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Little Moments

~Kurzgeschichtensammlung~
von

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Good bye Fremder

Ich hatte die ganze Zeit über keine Ruhe. Das lag vor allem an 'Hallo Fremder', für die ich kein passendes Ende gefunden hatte. Da hatte ich den Salat und ich musste die Suppe auslöffeln. Die halbe Nacht hatte ich mir den Kopf zerbrochen, bis mir die Idee zu einem Ende kam.

Aber ich hab's geschafft!!! Hier das endgültige Ende von Hallo Fremder. ^^
 


 

Good bye Fremder
 

Die Zimmertür fällt ins Schloss, ein heller Piepston, sie ist verriegelt. Seufzend lehne ich mich mit dem Rücken dagegen. Was für ein Abend! So viel war schon lange nicht mehr los im Club. Trotz des langen Wochenendes, hätte ich nicht mit so vielen Gästen gerechnet. Es wurde viel getrunken und viel gebaggert. Bin ich froh, dass ich jetzt Feierabend habe!

Lange halte ich es hier wirklich nicht mehr aus. Am liebsten würde ich meine Sachen packen und von diesem Ort verschwinden. Am besten, ich würde sogar gleich die gesamte Stadt hinter mir lassen, doch ich kann nicht. Wie soll ER mich dann finden, wenn ich nicht mehr hier bin? Dann doch lieber das hier aushalten und auf ihn warten.

Erschöpft steige ich aus der knappen Pantie, die ich beim Tanzen heute getragen habe und stelle mich unter die Dusche. Das warme Wasser wird hoffentlich die Erinnerungen des heutigen Abends von meiner Haut waschen, ebenso den Schweiß und die noch immer gefühlten Blicke auf meinem Körper. Endlich allein und nur für mich. Keiner der mich angafft oder angrapschen will.

Nachdem ich aus der Dusche steige, fühle ich mich tatsächlich etwas besser, doch das ändert sich recht schnell wieder. Meine Augen bleiben an dem kleinen Kalender haften, den ich neben dem Badezimmerspiegel hängen habe. Noch 42 Tage. Eher werde ich ihn nicht wiedersehen. Fast so viele Tage sind schon wieder um, und die Sehnsucht wird immer stärker. Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche und von Monat zu Monat. Und jedes Mal wird diese Sehnsucht schlimmer.

Innerlich leer und einsam lege ich mich in mein Bett und schließe die Augen. Dabei stelle ich mir vor, er wäre bei mir, würde sich von hinten an mich drücken und mich mit seinen Armen liebevoll umfangen. Das stelle ich mir immer vor, wenn ich am Einschlafen bin. Es hilft mir, auch wenn ich weiß, dass alles bloß Einbildung ist. Nur ganz, ganz kurz, für einen winzigen Moment, wenn ich kurz vorm Wegdämmern bin, dann fühlt es sich so an, als wäre er wirklich bei mir. Dieses Gefühl tröstet mich, doch helfen tut es eher weniger. Denn der Morgen ist danach umso ernüchternder.
 

Damals, als er das erste Mal bei mir gewesen war, hätte ich niemals gedacht, was innerhalb kürzester Zeit daraus entstehen würde. Damals, als wir uns das erste Mal in einem Club, nicht weit weg von hier, begegnet waren.

Früher tat ich noch mehr, als bloß für Geld zu tanzen. Ich war noch recht jung und für mich war alles eine riesige Party. Das damit verdiente Geld war das Tüpfelchen auf dem I. Ich weiß nicht mehr genau, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass ich ihn angemacht habe. Wahrscheinlich waren es seine Augen gewesen, die mich so sehr fasziniert haben, dass ich ihm nicht widerstehen konnte. Dieses unendliche Grün und Braun, das mir heiße und kalte Schauer beschert, jedes Mal, wenn ich endlich wieder in sie Blicken darf.

Ich stand an der Bar, starrte ihn unverhohlen an und er stieg mit ein. Nachdem wir eine Zeit lang miteinander geflirtet hatten, stand er auf und kam zu mir. Dann passierte alles ganz schnell. Ich nahm ihn mit zu mir nach Hause und wir verbrachten die Nacht meines Lebens miteinander. Danach war nichts mehr so wie früher. Für ihn auch nicht, denn er nahm mir das Versprechen ab, für Geld nichts mehr mit anderen Männern anzufangen. Ihm dieses Versprechen zu geben, war mir nicht sonderlich schwer gefallen, weil ich mich von Anfang an in ihn verliebt hatte und wollte auch gar keinen anderen mehr außer ihn.

Doch irgendwie hatte ich mir das alles ganz anders vorgestellt. Ich glaubte doch tatsächlich, er würde bei mir bleiben. Aber dann verließ er mich, versprach mir aber, bald wieder zu kommen. Todtraurig über seinen Weggang schlurfte ich ins Bad und fand dort die erste Rolle Scheinchen, die er mir seitdem jedes Mal dalässt. Ein Zettel lag dabei, auf dem Stand: "Damit du auf keinen anderen mehr angewiesen bist", stand dort. "Ich hoffe, es reicht dir für diesen Monat." Ich war sprachlos und furchtbar wütend. Was dachte er sich dabei? Wollte er mich kaufen? Dann jedoch kam mir in den Sinn, dass es auch nichts anderes war, als das, was ich schon die ganze Zeit vorher getan hatte. Mit einem Unterschied, und an diesen klammere ich mich noch heute.

Er tut das, weil er mich liebt. Ja, er hat es mir noch nie gesagt, aber ich glaube fest daran, dass er es tut.

"Er liebt mich, so wie ich ihn liebe …" Ich atme tief ein und drücke mein Gesicht tiefer ins Kissen. Schlafen. Je eher ich einschlafe, desto kürzer kommt es mir vor, bis er endlich wieder bei mir ist.
 

*
 

Piep. Ich zucke zusammen. War das eben die Verrieglung meiner Tür? Ich reiße die Augen auf und drehe mich vorsichtig auf den Rücken und wirklich! Das Licht der Verriegelung blinkt grün! Entsetzt und voller Angst schaue ich zu, wie sich der Griff senkt und die Tür leise nach innen schwingt. Da kommt jemand!

Hektisch, aber so leise wie möglich, taste ich blind mit meiner Hand zwischen Matratze und Bettrahmen. Dort verstecke ich eine kleine Pistole, die ER mir einmal gegeben hat. "Für den Notfall", meinte er bloß und duldete keine Widersprüche. Ich musste sie annehmen. Punkt. Jetzt bin ich froh, dass ich sie habe, und bei unserem nächsten Treffen, werde ich ihn auf Knien dafür danken, sollte ich das hier überstehen.

Vorsichtig spanne ich den Hahn und ziele mit dem Lauf Richtung Tür. Ein dunkler, großer Schatten schleicht in mein Zimmer. Mein Herz pumpt so schnell, dass ich spüre, wie meine Hand zittert. Mein Zeigefinger zuckt nervös. Soll ich jetzt schon schießen? "Cain?" Mir bleibt das Herz stehen. Der Einbrecher kennt meinen Namen!

"Ich habe eine Pistole", antworte ich mit unsicherer Stimme. "Einen Schritt weiter und ich schieße."

"Da wärst du heute nicht der erste." Ich erschrecke furchtbar und hätte beinahe abgedrückt. ER ist es!

"Oh Gott!" Ich sichere die Pistole wieder, danach fällt sie mir aus der gefühllosen Hand.

Schnell rapple ich mich auf und greife zum Lichtschalter, doch "Nicht! Lass es aus!"

"Wieso?"

"Zu gefährlich." Es piepst wieder. Die Tür ist verriegelt. Langsam kommt er auf mich zu und lässt sich ächzend aufs Bett fallen. "Ich brauche ein Handtuch, heißes Wasser, Alkohol, eine Schere, Pinzette, Feuerzeug und so was wie Nähgarn. Hast du so was hier?" In meinen Kopf überschlägt sich alles.

"Ja ... Irgendwo schon. Aber was ist denn passiert?" Ich robbe zu ihm rüber und berühre ihn zaghaft am Arm. Durch das Flimmern der Werbetafel kann ich einen dunklen Flecken knapp unterhalb seines rechten Schlüsselbeines erkennen. "Du bist verletzt!"

"Bitte Cain. Ich erkläre dir alles, aber nicht jetzt. Beeil dich und such mir alles zusammen."

"Ja ... Ja doch, sofort!" Ich springe vom Bett und suche alles zusammen, so gut es im Halbdunklen geht. "Wasser muss ich im Bad holen, ansonsten ..."

"Ich geh schon. Der Raum hat keine Fenster und ich brauche Licht." Schwankend richtet er sich auf, nimmt mir das zusammengesuchte Zeug aus den Händen und begibt sich Richtung Bad.

"Soll ich dir helfen?", frage ich ihn leise.

"Zieh dir was an und such alles Wichtige zusammen, das du brauchst. Wir müssen hier weg." Weg? Wir müssen hier weg? Wir beide zusammen?

Mein Herz macht einen Satz. "Du willst mich mitnehmen?" So sehr ich mich darüber freue, aber "Was ist denn passiert?"

"Keine Fragen! Mach einfach was ich dir gesagt habe!" Mir wird die Tür vor der Nase zugeschlagen.

'Er will mich mit sich nehmen …' Ein Ruck geht durch meinen Körper und ich fange an, wahllos irgendwelches Zeug in eine Tasche zu stopfen, während er im Bad herumwerkelt.

Es ist gar nicht so leicht sich zu entsinnen, was man denn alles brauchen könnte, wenn man dies im flackernden Licht einer Reklametafel machen muss, aber es klappt irgendwie und die Hauptsache ist doch, dass er mich endlich mit sich nimmt. Und obwohl ich es schon tausende Male in meinem Kopf durchgespielt habe, was ich im Falle der Fälle machen würde, nähme er mich eines Nachts wirklich mit, kann ich es noch immer nicht richtig realisieren.
 

Während ich auch den letzten Rest meiner zusammengesuchten Sachen in der Tasche verstaue, sowie die Pistole, die ich vorsichtig in eine der Seitentaschen schiebe, schaue ich immer wieder zum Bad rüber. Von dort kommen in unregelmäßigen Abständen unterdrückte Laute, Schmerzenslaute um genau zu sein, und ich mag mir gar nicht vorstellen, was er da gerade tut. Fertig gepackt laufe ich besorgt auf das Bad zu und drücke mein Ohr gegen das Holz. "Ich bin fertig", verkünde ich leise.

"Warte." Etwas klappert. Schritte. Dann öffnet sich dir Tür. "Komm rein." Es ist dunkel im Bad und erst als ich drinnen bin und die Tür wieder verschlossen ist, macht er das Licht wieder an.

"Ach du liebe Zeit!" Hier sieht es aus wie in einem Schlachthof. Meine Beine werden weich, und in Gedanken rufe ich mir die Nummer des Notrufes ins Gedächtnis. "Du verblutest!"

"Tue ich schon nicht", krächzt er und setzt sich auf den geschlossenen Toilettendeckel. "Du musst mir das verbinden. Hast du was da?"

Geschockt starre ich auf die Wunde. Sind das da Nähte? "Hast du das genäht?"

"Cain, keine großen Unterhaltungen. Vergessen?"

"Ach so ... Entschuldige." Ich stehe total neben mir und versuche meine Gedanken zu sortieren. "Verbandszeug! Gehen auch zerrissene Laken?"

"Zur Not ja."

"Gut!" Ich will wieder aus dem Bad stürmen, da hält er mich ein weiteres Mal auf. Das Licht! Zuerst wieder das Licht aus, dann raus ins Schlafzimmer.

Wieder zurück, zerreiße ich das dünne Laken in schmale Streifen. Vorsichtig drückt er einige Wattepads auf die Wunde, während ich sie mit den Stoffstreifen fixiere. "Hattest du mir nicht versprochen, auf dich aufzupassen?", frage ich ihn vorwurfsvoll, nachdem ich endlich etwas ruhiger bin. Er sieht nicht so aus, als würde er mir gleich halbverblutet umkippen.

"Habe ich doch. Hätte ich das nicht, wäre ich jetzt tot." Meine zuvor erkämpfte Ruhe ist dahin. Wieder beginnen meine Hände zu zittern und wieder versuche ich mich zusammenzureißen.

"Was zum Geier machst du eigentlich?" Verdiene ich nicht langsam mal eine Erklärung? Wer er ist und was er tut, dass sich jemand genötigt sah, auf ihn zu schießen?

"Das darfst du nicht wissen." Es ist zum Mäuse melken!

"Und wieso müssen wir von hier weg? Wenigstens das hätte ich gern mal erklärt." Irgendwas muss er mich doch sagen.

Er seufzt und bewegt seine Schulter, um zu testen, ob der Verband auch gut sitzt. Dabei verzieht er leicht das Gesicht, aber er scheint seinen Ansprüchen zu genügen. "Ich bin aufgeflogen, aber das ist nicht das Schlimmste. Anscheinend wissen sie nicht nur über mich Bescheid, sondern sie wissen auch wer du bist und dass du mir viel bedeutest." Leichte Angst krabbelt an meiner Wirbelsäule entlang.

"Wer sind die?"

"Schlechte Menschen, wie ich es einer bin."

Ich schüttle den Kopf. "Du bist kein schlechter Mensch!"

"Doch, bin ich."

"Nein!"

"Cian, diskutiere nicht schon wieder mit mir. Wir haben keine Zeit zu verlieren."

"Von mir aus", blaffe ich ihn an. "Aber eins lass dir gesagt sein." Ich richte meinen Zeigefinger auf ihn. "In meinem Job ist eine gute Menschenkenntnis überlebenswichtig. Und deshalb weiß ich, dass du kein schlechter Mensch bist!" In diesem Punkt würde ich meine Hand für ihn ins Feuer legen. Scheiße! Ich würde sogar die Verbrennungen für ihn in Kauf nehmen, sollte ich mit meiner Vermutung falsch liegen!

Er lächelt schmal und steht auf. Er ist fast einen Kopf größer als ich, weshalb ich zu ihm aufblicken muss. "Ich liebe dich, Cian." Ich war auf alles gefasst, aber nicht auf das! Bevor ich auch nur antworten oder reagieren kann, liegen seine Lippen auf meinen. Er liebt mich! Er hat es gesagt!

Ganz benommen vor Glück schaue ich ihn an. Er liebt mich … "Wir müssen jetzt schleunigst von hier weg." Er lässt mich leider wieder los, geht an mir vorbei zum Waschbecken, hebt dort was auf und kommt zurück zu mir.

"Was ist das?" Er öffnet den Toilettendeckel und wirft das Etwas hinein. Die Kugel! "Ist die von dir?", frage ich unnötigerweise. Er lächelt mich schief an und drückt die Spülung. "Hast du dir das Ding aus der Schusswunde gezogen?"

"Schnapp dir deine Sachen", fordert er mich auf, ohne auf meine Frage einzugehen, zieht sich sein Hemd über und macht sich auf den Weg das Badezimmer wieder zu verlassen. Das Licht im Bad erlischt mit einem leisen Klicken.

"Wohin gehen wir?", will ich wissen und laufe ihm nach.

"Wohin du willst, nachdem wir unbehelligt aus dieser Stadt heraus sind." Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Der veralbert mich doch! In was ist er, sind wir, da hineingeraten? "Du gehst vor. Tu so, als sei nichts und als würdest du einfach bloß spazieren gehen. Ich nehme inzwischen deine Tasche und gehe dir nach ein paar Minuten nach."

"Ich soll mitten in der Nacht spazieren gehen?"

"Ja. Wenn du aus dem Club raus bist, läufst du die Straße nach links entlang, bis zur Kreuzung. Dann wieder links, zu dem kleinen Nachtclub mit dem großen Angebotsschild davor. Den kennst du doch?" Ich nicke. "Dort gehst du rein und setzt dich an einen der freien Tisch und wartest unauffällig auf mich." Ich schließe für einige Sekunden die Augen. Ich bin in einen verfluchten Spionagefilm geraten! "Hast du das verstanden, Cian?"

"Ja!"

"Dann geh und versuch erst gar nicht nach mir Ausschau zu halten. Dreh dich nicht um, schau niemanden an. Verhalte dich ganz normal und, verdammt noch mal, pass auf dich auf." Übelkeit steigt in mir auf. Das hier scheint ernster zu sein, als ich vorher angenommen habe.

"Ich warte auf dich", flüstere ich und umarme ihn vorsichtig.

"Bis gleich." Wir küssen uns, dann gehe ich auch schon los, wenn auch ungern.
 

Ich mache es so, wie er mir gesagt hat und tue so, als sei es das Normalste der Welt, dass ich um diese Uhrzeit spazieren. Wie spät war es eigentlich? Keine Ahnung, und ganz sicher werde ich niemanden hier danach fragen. Auf den Straßen begegnen mir recht viele Passanten, was hier aber normal ist. In den Amüsiervierteln ist um jede Uhrzeit Party.

Gemächlich, aber nicht zu langsam, schlendere ich auf den kleinen Club zu, den er mir genannt hat. Hier drinnen ist ebenfalls eine Menge los, aber ich finde noch einen freien Tisch. Ich bestelle einen Drink und merke erst jetzt, dass ich gar kein Geld dabei habe. 'Na toll! Wenn er nicht auftaucht, sitze ich in der Klemme.' Oder ich muss mir einen netten Herrn suchen, der für mich bezahlt, wenn ich nicht die Zeche prellen möchte. Beides keine schönen Aussichten. Was, wenn er wirklich nicht kommt? Oder ihm auf dem Weg hierher etwas passiert? Oh, bitte nicht! Nicht jetzt, wo er mir seine Liebe gestanden hat und bereit ist, mich mit sich zu nehmen!

Aber sind wir wirklich in so großer Gefahr? Was sind das für schlechte Menschen, die ihm, und angeblich auch mir, nachstellen? Sind sie hier? Beobachten sie mich, oder ihn? Wollen sie uns umbringen? Verschleppen? Foltern? In meinem Kopf beginnt sich alles wild durcheinander zu drehen und ich werde immer ängstlicher. Ich nippe hin und wieder meinem Drink, während ich jeden Gast unauffällig mustere. Ich werde noch paranoid! Ich mahne mich zur Ruhe. Niemand will mir etwas Böses in diesem Club, sonst hätte er mich nicht hier her geschickt. Ganz sicher nicht. 'Alles wird gut', rede ich mir ein und wünschte, ich könnte in diesem Moment auch daran glauben. Doch das werde ich erst, wenn er bei mir ist.

Leider glaube ich mit jeder verstreichenden Sekunde meinem kleinen Mantra weniger und kaum dass ich mich versehe, sitze ich schon eine dreiviertel Stunde in diesem Club und von ihm ist noch immer nichts zu sehen. Ihm … Meinem Fremden. Verdammt! Wenn er wieder bei mir ist, muss er mir einfach seinen Namen sagen! Ich kann ihn doch nicht immer Fremder nennen. 'Warum darf ich ihn nicht erfahren? Liegt das an diesen Kerlen, die uns verfolgen?'

Oh Mann! Was spielt er nur für ein Spiel? Was treibt er die ganze Zeit über, wenn er nicht bei mir ist? All die Monate, in denen ich nichts von ihm höre oder sehe? Wie konnte er in solche Schwierigkeiten kommen? Wem hat er was angetan, dass man auf ihn schießt?

Alles Grübeln und Kopfzerbrechen bringt mir nichts. Zuerst muss er erstmal wieder zu mir kommen, was heißt, ich darf mal wieder auf ihn warten. Ständig warte ich auf ihn. Ich seufze. Das hat jetzt hoffentlich ein Ende. Er will mich mit sich nehmen ... Das heißt, wenn er überhaupt wieder zu mir kommt. ... 'Meine Gedanken drehen sich im Kreis!' Scheiße! Ich habe solche Angst um ihn!

Erneut seufzend wische ich mir übers Gesicht. "Warum so traurig?" Adrenalin jagt durch meinen Körper und lässt mich aufrecht sitzen.

Neben mir steht ein Mann, der mich fragend anschaut. Er hat eine Vollglatze, trägt eine Brille und ... "Hallo Fremder?" Ist er es?

"Hallo Hübscher. Hättest du was dagegen, mich zu begleiten? Für einen Labdance zum Beispiel." Er beugt sich zu mir herunter und stellt zwei Schnapsgläser vor mir auf den Tisch. Eins davon ist leer. "Und? Begleitest du mich?"

"Nichts lieber als das", wispere ich und muss mich beherrschen, ihm nicht überglücklich in die Arme zu fallen.
 

***
 

"Cian? Wach auf." Jemand rüttelt an meiner Schulter. Halt! Nicht irgendjemand. ER ist es, erinnere ich mich erleichtert.

"Was denn?" Ich öffne die Augen, schließe sie aber gleich wieder. Warum ist es so hell? "Wo sind wir?"

"Sieh selbst." Sehr witzig!

"Einen Moment noch", bitte ich ihn. Er lacht nur und steigt aus dem Auto, das wir gestern Abend einfach gestohlen, oder wie er es nannte, ausgeliehen haben.

Ich atme tief durch und rieche frische Luft, die von der geöffneten Fahrertür herein weht. Ein Hauch von Salz und etwas anderem, das ich nicht genau bestimmen kann. Es riecht jedenfalls gut und weckt allmählich meine Lebensgeister. Trotzdem ziere ich mich noch immer die Augen ein weiteres Mal zu öffnen. Stattdessen rufe ich mir die letzten Stunden vor meinem Wegdämmern ins Gedächtnis und döse noch etwas in meiner nicht ganz bequemen Schlafposition. Im Auto auf dem Beifahrersitz zu pennen ist nicht das Bequemste, aber immer noch besser, als alleine in einem gemütlichen Bett zu liegen.

Gestern, nachdem ER endlich aufgetaucht war, nahm er mich mit raus aus dem Club. Keine Ahnung, ob er mein Getränk zuvor bezahlt hatte, oder wir die Zeche am Ende doch geprellt haben. Es war und ist mir auch egal. Jedenfalls liefen wir den Gehweg entlang, redeten kein Wort miteinander und versuchten nicht allzu hektisch zu wirken. Bei ihm sah das so mühelos aus, während ich hinter jedem harmlosen Passanten irgendeinen grimmigen Verfolger sah, der mir meinen geliebten, nicht mehr ganz so fremden Freund wegnehmen wollte. Ich hatte Angst, dass wir auffliegen und erwischt wurden, und sicher sah ich alles andere als sorglos aus. Aber wir fielen niemanden auf und verfolgt wurden wir auch nicht, wie er mir später bestätigte.

Nach einem scheinbar ziellosen Herumgeirre, hielten wir vor einem grauen VW Golf. Daran machte er sich zu schaffen, knackte das Ding innerhalb von noch nicht mal einer Minute und lies mich über den Fahrersitz auf den Beifahrersitz krabbeln. Meine Tasche schmiss er einfach hinten auf die Rückbank und nachdem er unter dem Lenkrad einige Kabel herausgerissen hatte, um den Wagen zu überbrücken, sprang die Karre tatsächlich an. "Tust du das öfter?", fragte ich ihn und schaute mich unsicher auf der Straße um. Wenn der Besitzer gekommen wäre, wären wir im Arsch gewesen.

"Hin und wieder, wenn es die Situation erfordert", hatte er mir geantwortet und fuhr aus der Parklücke.

"Und wohin fahren wir?"

"Hab ich doch schon gesagt. Erst aus der Stadt, dann wohin du willst. Es muss nur weit, weit weg von hier sein." Ob wir das in dieser Karre jemals schaffen, wage ich noch immer zu bezweifeln.

"Ich will ans Meer", grinste ich, und meinte das eigentlich bloß als Scherz.

"Dann ans Meer", grinste er zurück und trat das Gaspedal durch.

'Ans Meer ... Als ob wir in einer Nacht am Meer ankommen kö...' Ich reiße die Augen auf. Hat es eben nicht nach Salz gerochen? "Oh Fuck! Er hat's getan!" Er hat mich ans Meer gefahren! Vor mir tut sich ein blaues Panorama ganz aus Wasser und einem strahlend blauen Himmel auf! Nun wollen meine Augen gar nicht mehr zufallen.

Staunend steige ich aus dem Wagen und schaue auf meine Schuhe, die im hellen Sand versinken. "Er hat uns wirklich bis zum Meer gefahren." Ungläubig schaue ich wieder auf und suche den Strand ab. Wo ist er eigentlich?

Keine zwanzig Meter von mir entfernt sehe ich ihn stehen. Mitten auf einem sich schier unendlich erstreckenden Strand steht er vor einer Art altem Fass und wirft dort lauter Sachen und Zettel hinein. Langsam schlendere ich auf ihn zu. "Was tust du da?"

"Meine Vergangenheit auslöschen", flüstert er. Beinahe hätte ich ihn nicht verstanden, da das Rauschen der Wellen so verdammt laut ist. Niemals hätte ich gedacht, dass das Meer solch laute Geräusche macht. Wie gewaltig. Einfach atemberaubend.

Ganz fasziniert schaue ich minutenlang auf das Meer hinaus und sehe der schäumenden Gischt dabei zu, wie sie über den hellen Sand fließt und sich wieder zurückzieht. "Das hat ja gar kein Ende."

Neben mir lacht es leise. "Irgendwo und irgendwann hat alles und jeder mal ein Ende. Auch das Meer." Da hat er recht. Wir befinden uns wohl selbst gerade an so einem Ende.

"Das muss aber kein endgültiges Ende sein", sage ich nachdenklich. "Ein Ende ist doch auch immer ein Anfang für etwas Neues."

"Wie wahr", seufzt er und sieht mich an, was ich aus den Augenwinkeln sehen kann, aber ich möchte meinen Blick noch nicht von dem Schauspiel vor mir lösen. "Hast du deinen Ausweis einstecken?"

"In der Tasche. Wieso?" Er beugt sich runter, wo meine Tasche liegt. "Was willst du damit?" Nun drehe ich mich doch zu ihm herum.

"Verbrennen."

"Was?"

"Keine Sorge. Du bekommst einen Neuen." Macht der Scherze? "Überlege dir schon mal, wie du in Zukunft heißen willst." Er zieht meinen Geldbeutel hervor und holt den Ausweis heraus, der dann in die Tonne wandert. Angst steigt in mir auf und ich trete näher an die Tonne heran. Was hat er denn nun schon wieder vor?

Kleidung, Papiere und anderes Zeug liegen im Fass verborgen. "Das hast du ernst gemeint", wispere ich und halte mir die Hand vor die Nase. Benzin fließt auf den ganzen Wust aus Stoff, Papier und Plastik. Wie das Benzin stinkt!

"Natürlich. Oder willst du, dass man uns wieder findet?" Ich verneine. Alles was ich will ist, mit ihm zusammen zu sein. Da ist mir auch mein Name egal. Allerdings ...

"Darf ich deinen Namen jetzt erfahren?" Verdient hätte ich es, oder?

"Such dir einen aus."

"Lass die Spielchen!" Fängt er schon wieder damit an? "Sag ihn mir doch einfach."

"Ich werde, genau wie du, einen neuen Namen brauchen. Also denk dir einen aus, der dir gefällt."

"Und wenn ich zufällig deinen richtigen Namen nenne?"

"Das wird nicht passieren", lacht er.

"Ach? Da bist du dir so sicher?"

"Ja."

"Warum? Ist er so ungewöhnlich?"

Seufzend zieht er eine Packung Streichhölzer aus seiner Jackentasche. "Wenn du es genau wissen willst, ich kann mich an meinen richtigen Namen, den, den mir meine Eltern gegeben haben, nicht mehr erinnern." Was? "Ich hatte schon so viele Decknamen und Identitäten, dass er mir entfallen ist. Er ist unwichtig für mich geworden."

"Fuck! Wer bist du?" Irgendwie habe ich das Gefühl, ihn mit jeder Sekunde weniger zu kennen, obwohl ich dachte, langsam würden wir uns näher kommen.

"Ich bin der, der dich so sehr liebt, dass er alle Zelte hinter sich abbricht, damit du in Sicherheit bist." Zischend erwacht das Streichholz zum Leben. "Ich werde dich von hier wegbringen, wohin auch immer du willst. Hauptsache du kannst dort sicher und unentdeckt leben."

"Aber du bleibst doch bei mir?", frage ich ihn mit wachsender Panik. "Du lässt mich doch nicht wieder allein, irgendwo, in irgendeiner Stadt, und lässt dich nur alle paar Monate bei mir blicken?" Lieber lasse ich mich von seinen Verfolgern aufspüren, als dass ich das noch einmal mitmachen muss!

Er sieht mich nicht an, als er mich vorsichtig ein paar Schritte von der Tonne wegschiebt und das Streichholz danach hineinwirft. Ich halte mir den Arm vors Gesicht, als der ganze Inhalt darin in lodernd in Flammen aufgeht. "Ich werde bei dir bleiben", sagt er leise über das Prasseln des Feuers hinweg. "Nur so kann ich dich beschützen." Nach der kurzen Schreckattacke eben, atme ich tief ein und werfe mich ihm erleichtert entgegen.

Zusammen taumeln wir von der brennenden Tonne weg. "Dann wirst du nie wieder morgens einfach abhauen und mich ewig auf dich warten lassen?"

"Nie wieder", beteuert er mir und umfasst mein Gesicht. "Also überlege dir einen Namen für mich, damit du mich nicht immer Fremder rufen musst. Das wäre zu auffällig, findest du nicht?" Über alle Maßen glücklich nicke ich und stelle mich auf Zehnspitzen, um ihn küssen zu können.

"Unter einer Bedingung. Du suchst dafür meinen Namen aus", wispere ich ihm gegen den Mund und grinse dabei wie ein Schneekönig.

"Sicher?"

"Ganz sicher. Und er muss mit einem F anfangen. Genau wie deiner."

Lachend schüttelt er den Kopf und drückt mich fest an sich. "Ganz wie du willst. Wollen wir am Strand entlanggehen, bis unsere Vergangenheit zu schwarzer Asche geworden ist?"

"Gerne!", rufe ich und ziehe ihn mit mir. "Und dabei überlegen wir uns, wo wir als nächstes hinfahren."

"Fahren? Ich dachte da eher an Fliegen. Natürlich erst nachdem wir unsere neuen Pässe haben." Unglaublich! Dieser 'fremde' Kerl ist einfach nur unglaublich!

Aber egal wohin es uns verschlagen wird, und egal was in seiner Vergangenheit passiert ist, ab jetzt sind wir wirklich und wahrhaftig zusammen. Das er mir jemals von seinem Vorleben erzählen wird, daran glaube ich weniger. Vergangen und vergessen. Jetzt zählt nur noch eins: Wir.

Ich schaue hinaus aufs Meer, während wir langsam am Strand entlanglaufen, bleibe nun aber stehen und stelle mich vor ihn. "Was ist?", fragt er mich und lächelt mit der Sonne um die Wette.

Da fällt mir ein: "Ich habe dich noch nie bei Tageslicht gesehen."

"Und? Sehe ich schlimmer aus als bei Nacht?"

Ich mustere ihn gründlich, was ich eigentlich gar nicht brauche. Ich kenne sein Gesicht in- und auswendig. Wahrscheinlich sogar besser als diese komischen Verfolger. "Nein. Du siehst aus wie immer."

"Das hat mir noch nie jemand gesagt", schmunzelt er.

"Dann wird das ja mal Zeit. Und da gibt es noch was, was ich dir sagen muss."

"Sag."

Mein Mund verzieht sich zu einem frechen Grinsen. "Good bye Fremder! Hallo ... Ähm ... Falko?" Er runzelt die Stirn. "Nein! Hallo ... Felix! Nein. Auch nicht. Wie wäre es mit ... Hallo Frederik? Oder Franz?"

"Gnade! Das hält ja niemand aus. Außerdem hieß ich schon mal Franz." Hä?

"Das ist nicht dein Ernst!"

"Wer weiß?" Er sieht mich unschuldig an und zuckt mit den Schultern. Es überkommt mich, und ich habe das dringende Bedürfnis, ihm diesen unschuldigen Blick mit meinen ziemlich überzeugenden Kusskünsten auszutreiben.

Ich glaube, die Namensgebung muss noch eine Zeit lang warten. Doch das macht nichts. Wir haben ja jetzt alle Zeit der Welt, denn wir stehen hier mitten am Meer, direkt am Beginn unseres gemeinsamen Anfangs.

Endlich.
 

Ende
 


 

Jetzt aber! Nun hat der kleine Oneshot auch das Wörtchen Ende am Schluss verdient, oder? Es regnet zum Schluss zwar haufenweise Zucker, aber mich stört es nicht. :-P

Hoffentlich gefällt euch das Ende genau so gut wie mir. Ich hab jedenfalls endlich ein gutes Gefühl damit. ^^
 

Bis zum nächsten Moment. (^____^)V



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  -Phenix-
2018-05-23T20:01:18+00:00 23.05.2018 22:01
Du hast den Beiden ein tolles Ende (oder soll ich eher Neuanfang sagen?) beschert. :)
Wie machst Du das nur immer?
Von:  Usaria
2016-10-24T20:57:44+00:00 24.10.2016 22:57
Huu! Tolle Geschichte, hast nicht lust daran weiter zu schreiben, währe bestimmt ne geile Geschichte! So Gängster mäßige Love Story. Jetzt weiß ich wieso du im Ersten Teil keine Namen genannt hast.
Antwort von:  Fara_ThoRn
06.08.2017 18:41
Mal sehen. Vielleicht träume ich ja noch was dazu ;-)
Von:  Momo26
2015-04-18T22:53:41+00:00 19.04.2015 00:53
Wow... Die war, ist einfach...wunderbar.
Echt. Geheimnisse und kein Name echt Klasse gelöst.
Echt. Man ich weiß nicht wie ist es beschreiben soll... Einfach Wow!
HKG Momo
Antwort von:  Fara_ThoRn
19.04.2015 08:31
Danke ^^"
Ich stehe auf so mysteriöses Zeug, nur fällt mir dazu leider nie viel ein. ^^"
Von:  Roxi_13
2014-10-25T13:43:42+00:00 25.10.2014 15:43
ich finde es wonderschön
es hat so ein richtig schönes happy end
und sowas liebe ich
freu mich schon auf weitere geschichten von dir
egal ob kurze oder lange
mach weiter so

LG
Roxi_13
Antwort von:  Fara_ThoRn
26.10.2014 17:30
Ich schreib mir schon de Finger wund! Naja ... im Moment komme ich nicht so wirklich zum Schreiben, aber ich hatte heute morgen gleich zwei neue Ideen. Bin schon ganz heiß drauf, die umzusetzten. ^^
Von:  selena
2014-10-22T11:39:44+00:00 22.10.2014 13:39
Das war ja wieder ne ganz tolle Story gewesen. Vor allem: Wer ist der Kerl?
Die Fragen, die Cian durch den Kopf gegangen sind, gehen mir noch weiterhin durch den Kopf.
Klär mich bitte, bitte, bitte auf! *dackelblick aufsetzt*
Antwort von:  Fara_ThoRn
22.10.2014 20:26
Ich weiß auch nicht, wer der Kerl ist. Der meinte, wenn er mir das verraten würde, müsste er mich töten. O___O
Nein, im Ernst. Denk dir einfach was aus. Es wird schon richtig sein. ^^
Ich stelle ihn mir irgendwie als eine Art Geheimagent vor. Vielleicht löst das ja deine Fragen. Mehr kann ich dir nämlich als Antwort nicht geben.

LG
Fara
Antwort von:  selena
22.10.2014 22:30
Töten? O.O
Nee, nee, nee, das darf der Kerl gaaaaaaaaaaaaaaaanz sicher nicht.
Wir wollen ja schließlich nicht nichts mehr von dir hören. Dafür sind deine Stories einfach zu gut.
Also verdränge ich diese ganzen Fragen einfach und warte ganz gespannt auf die nächsten Momente. :)


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