Meine bizarre Welt von Kaylien (oder wie ich den Tod kennenlernte) ================================================================================ Kapitel 1: Das warten auf den Zaubertrank ----------------------------------------- Das Wort ist der Zaubertrank, der uns vor Selbstmord schützt. Wenn das so ist… was ist dann, wenn die Welt um dich herum langsam aber sicher stumm wird? Unaufhaltsam? Was ist, wenn auf einmal keiner mehr seine Worte an dich richtet? Kein einziges? Was passiert dann? Muss man dazu taub werden? Spricht nicht alles in der Welt auf seine Weise zu uns? Jeder Mensch, jedes Tier, sogar jedes Ding? Aber… was ist wenn man blind für all das wird? Darauf wartet, dass Man angesprochen wird? Das einem jemand diesen einen Zaubertrank anbietet…? Aber es kommt keiner? Es gibt keinen, der ihn dir anbietet? Nein, ich bin nicht taub für alles um mich herum. Wie könnte ich? Dann hätte es ja auch keinen Sinn mehr zu warten, nicht? Aber niemand sieht mich. Und ich kann nicht schreien. Ich habe Angst dass sie mich nicht hören. Dass sie mich gar nicht hören. Dass ich nicht blind für sie geworden bin, sondern sie blind für mich. Dass sie mich gar nicht mehr wollen… Ich hatte auf den Zaubertrank gehofft… Aber er kommt nicht. Er kommt einfach nicht. Niemand sieht mich an und spricht mit mir. Ich bin schon zu lange unsichtbar für sie, oder? Würde es überhaupt auffallen, wenn ich auf einmal nicht mehr da wäre….? Einfach weg... wie ein Sandkorn. Dem weint man auch nicht hinterher. Das ist doch auch nur im Weg… Auf einmal ist mir kalt. Eiskalt. Der weiche Vorhang bauscht sich vor dem großen Fenster, in der kalten Winterluft. Durch das Fenster sehe ich die Stadt unter den Sternen leuchten. Friedlich und freundlich sieht sie aus. Mit einem großen, rundem Vollmond darüber, und alles überzuckert mit weißem Schnee. Ob gerade jemand an mich denkt? Schließlich ist heute ein besonderer Tag… Ich hab mich extra schön gemacht. Das Make-Up hervor gekramt und mir sorgfältig geschminkt. Schließlich will man doch hübsch sein, an seinem Geburtstag, nicht wahr? Ich habe auch extra mein schönstes Kleid angezogen… es soll schließlich ein ganz besonderer Tag werden, für mich. Das lange, rote. Das so schön fällt und meine Figur gut betont. Das mit den passenden Handschuhen. Und der Rose, die so schön zu meinem dunklen Haaren passt. Der Kuchen steht auf dem kleinen Tischchen in der Ecke neben dem Fenster. Ein einzelner Stuhl davor. Hübsch sieht sie aus, die kleine Torte… ich hab mir viel Mühe damit gegeben. Stunden lang stand ich in der Küche. Und die kleine, blutrote Rose in der Vase… Was habe ich nicht alles getan um eine so perfekte Rose zu bekommen. Und dann auch noch eine Karte, die zur Rose passt… fast unmöglich. Aber ich hab es geschafft. Und ich habe mich sehr bemüht, als ich sie beschriftet habe. ‚Niemand gibt etwas auf das er als Teil von sich selbst betrachtet.‘ Mein Lieblingsspruch. Die Lehne des alten Stuhls kippt nach hinten. Ganz langsam. Krachend fällt der Stuhl zu Boden. Ich schmecke das rote Blut auf meiner Zunge. So rot wie die Rose. Schnappe gierig nach Luft. Aber ich spüre nichts in meiner Lunge. Meine Lieder flattern. Meine Hände greifen hektisch an meinen Hals. Zerren an dem festen Seil. Es bewegt sich nicht. Ich kann nicht schreien. Und es wird schwarz. Alles um mich herum wird schwarz. Ob jemand dastehen wird, an meinem Grab? Mir die kleine Rose schenken? Den Zaubertrank in der Hand? In einem kleinen, schönem Fläschchen? Vielleicht weinend? Traurig, dass er es nicht geschafft hat? Bereuen, das er sich das eine Mal in seinem Leben zu viel Zeit gelassen hat, wo er sonst doch immer so korrekt ist? Auf meinen kalten, vom dunklen Sarg bedeckten, Körper herunter sehen und bereuen wird? Oder gibt es gar keinen Zaubertrank für mich? Gab es nie einen? Bilde ich mir nur ein, dass es mal jemanden gab, der sich für mich interessierte? Der mich vermissen wird? Werden sie jetzt anfangen sich für mich zu interessieren? Ein weit ein weit entferntes Krachen. Wie von einer heftig aufgeschlagenen Tür. Es wird dunkel und still um mich herum. Dunkler als schwarz. Und still… So still… Kapitel 2: Die Regeln... ------------------------ Das Leben ist ein Spiel - der Mensch ist die Spielfigur, nicht der Spieler Stefan Radulian „Komm, wir wollen ein hübsches Spielchen spielen…“ Das kleine Totenkopfäffchen hatte den pelzigen Schwanz um die Pfoten gerollt und saß, seltsam groß wirkend, ganz alleine auf dem hübschen dunklen Tisch in der Mitte des Raumes. Die schwarzen Augen ganz ruhig auf mich gerichtet. Sehr aufrecht saß es da. Blinzelte nicht und machte keine einzige, unnötige Bewegung. „Komm, wir wollen ein hübsches Spielchen spielen…“ Der Affe hatte es mit einem solchen Nachdruck gesagt, dass ich nicht einmal dazu kam mich darüber zu wundern dass es ein Affe war, der es gesagt hatte. Es hatte auch nicht wie eine Frage oder gar eine Einladung gewirkt, sondern eher wie eine Feststellung. Als wäre sowieso von Anfang an klar, dass ich ‚ja‘ sagen würde. Als gäbe es keine andere Antwort. Aber Affe sprechen normalerweise doch überhaupt nicht, oder? Ich bin mir da gar nicht so sicher… In das linke Auge hatte das Äffchen ein kreisrundes, goldenes, Okular geklemmt, das sein Auge noch größer und schwärzer erscheinen ließ, als es so wie so schon war. Es war an einem Kettchen befestigt, das in der Brusttasche seines schwarz roten Dandy Jacketts verschwand. Das Jackett war mit goldenen Knöpfen und Kettchen verziert, die das Äffchen wie einen Zirkusdirektor wirken ließen. Nur die Schulterpolster fehlten. Oder eher wirkte das Äffchen wie eine Karikatur eines Direktors. Auf dem Kopf trug es einen, zum Jackett passenden, Dreispitz, der wohl eher zu einem Piraten gepasst hätte und unter dessen Krempe die kleinen grauen Ohren hervorlugten. Am rechten Ohr trug das Äffchen einen goldenen Ohrring wie man es von Zimmermännern oder sonstigen Handwerkern kennt, die auf die Walz gehen. An den Hinterpfoten trug es schwere, schwarze Stiefel. Und in der einen Pfote hatte es einen Stock, der am unteren Ende sehr spitz und vergoldet war. Der runde Knauf war mit funkelnden Steinchen besetzt, die ein Muster oder ein Wesen zu formen schienen; so genau konnte ich dies auf die Entfernung allerdings nicht ausmachen. „Komm, wir wollen ein hübsches Spielchen spielen.“ Wiederholte es noch einmal mit mehr Nachdruck, fast schon forsch. Wahrscheinlich, weil ich bis jetzt nicht geantwortet hatte. Ich zögerte. Nur, was für ein Spielchen wollte das Äffchen den spielen? Der Raum war, abgesehen von dem Tisch in seiner Mitte mit dem Affe darauf und mir selbst, leer. Nur fünf Türen waren in den Wänden, von denen aber keine einzige so aussah, als könne man sie öffnen. Manche waren sehr groß, so dass ganze LKW’s hindurch gepasst hätten, andere wiederum so klein das ich bezweifelte das sie für etwas anderes gemacht wären als Dekoration.. Ich selbst hatte keinerlei Ahnung, wie ich hier her gekommen war. Die Decke des Raumes war wie aus Glas. Doch sie zeigte nicht den Himmel. Sie zeigte etwas, auf dem sich Lebewesen bewegten. Nur alle auf dem Kopf! Sie gingen an der Decke entlang und taten komische Dinge. Mein Blick fiel wieder auf den Affen, der mich erwartungsvoll ansah. Also nickte ich schließlich zögerlich. Der Affe verzog den Mund zu etwas, das man mit viel Phantasie als ein gruseliges Grinsen identifizieren konnte. Dabei zeigte er seine spitzen, gelben Zähne, was mir fast schonwieder Angst machte. Er grinste wie ein Dämon. Er erhob sich auf die Hinterbeine und marschierte, so gut es für einen Affe eben möglich ist, würdevoll auf und ab. Dabei schwenkte er den Gehstock bedächtig von links nach rechts, was ihn vielleicht elegant aussehen lassen sollte, aber eher wirkte, als sei er einer der Affen, die bei Zirkusaufführungen gerne zusammen mit Clowns auftreten. „Als erstes will ich dir die Regeln erklären… es sind nicht viele, aber du solltest sie im Kopf behalten. Vor allem, weil es dir das Spiel etwas leichter machen sollte…“ begann das Äffchen umschweifend. „Ich öffne dir eine Tür und du gehst hinein, was auch immer dahinter sein mag. Was auch immer du sehen wirst wenn ich sie öffne. Das Aussehen der Türen gibt übrigens auch keinen Rückschluss darauf was dahinter ist, das will ich bloß schon einmal anmerken. Nicht das du dir falsche Hoffnungen machst… Einmal durch eine der Türen hindurch gegangen, kannst du nicht wieder hierher zurück. Erst, wenn du einschläfst und danach wieder aufwachst, wirst du wieder hier sein. Dann geht das ganze Spiel von vorne los. Die nächste Tür. Allerdings muss das wiederrum nicht unbedingt die Tür sein, die neben der Tür liegt, die du schon betreten hast. Es kann auch jede andere sein… Du kannst nur ein einziges Mal durch jede einzelne dieser Türen gehen. Danach wird sie verschlossen sein. Egal, ob das, was dahinter war schön, oder furchtbar war. Es spielt keine Rolle. Wenn du nach deinem Schlaf aufwachen wirst, wirst du, wie schon gesagt, wieder hier sein. Lass dich überraschen, den jedes Mal wird dieser Raum sich ein wenig verändert haben, in deiner Abwesenheit…“ Die seltsam raue Stimme des kleinen Tieres versiegte und wieder grinste der kleine Affe mich an und fixierte mich erneut mit seinen tiefschwarze Augen. Sein Grinsen wirkte bösartiger, als jenes zuvor. „Hinter jeder der Türen ist etwas, das du entschlüsseln musst. Allerdings vielleicht anders, als du es bis jetzt erwartest… Auch wenn du herausgefunden haben solltest, was das etwas ist, das du entschlüsseln sollst, bekommst du nichts, was dich aus dieser Welt heraus führt. Das kann nur der Schlaf… Aber, lass dir gesagt sein: Wie sehr du diese andere Welt auch verlassen willst… der Schlaf wird warten. Er wird nicht einfach so kommen, nur weil du es willst. Und mit dem Schlaf werden Träume kommen. Und dann, dann wirst du es bereuen, je auch nur daran gedacht zu haben, das du schlafen willst. Zu hoffen gewagt zu haben, dass der Schlaf dir auch nur in irgendeiner Weise etwas Gutes bringen könnte… Den auch aus dem Schlaf wirst du nicht einfach so erwachen. Weder wenn es ein Albtraum ist noch wenn es wunderschön ist… was selten vorkommen sollte… oder eher überhaupt nicht…“ Der Affe lachte. Ein hohes, widerlich keckerndes Lachen. Ich musste mich zusammenreißen, um mir nicht die Ohren fest zu halten. Es dauerte einige Zeit, bis er sich wieder gefangen hatte. „Es kann sein, das du hinter einigen Türen jemanden triffst, der dich begleitet oder dir eventuell anbieten wird zu helfen. Nur das das klar ist: Ich werde mich nicht großartig einmischen. Ich bin nur der Leiter dieses kleinen Spielchens… mehr aber auch nicht. Ich kann es auch nicht sonderlich beeinflussen. Das kann keiner, nicht einmal du. Aber das spielt auch keine Rolle, nicht wahr?“ Der Affe blinzelte. Das erste Mal in der ganzen Zeit in der ich schon hier war blinzelt er. Die erste, natürliche Bewegung, die er machte, wie mir erschien. Er sah mich durchdringend an, als erwarte er eine Art von Beweis, dass ich ihm zugehört habe. Also nickte ich erneut. Was blieb mir denn auch anderes übrig? Was sollte ich denn sagen? „Schön, dass wir uns so gut verstehen…“ meinte der Affe mit einem süffisanten Lächeln. Als hätten wir gerade einen sehr, sehr wichtigen Vertrag ausgehandelt und abgeschlossen. Zu seinen Gunsten. Kapitel 3: Der erste Traum -------------------------- Die Sonne blendet mich, grelles Licht, ich muss hier weg - zu hell für mich! ~ die Orsons Zitate Plötzlich ist es widerlich hell. Zu hell. Viel zu hell. Und das ohne eine Lichtquelle… Es brennt in meinen Augen. Ich will mich bewegen, das Helle wegscheuchen. Das muss doch möglich sein! Ich muss es doch verscheuchen können! Wie soll ich es den sonst loswerden…? Aber ich schaffe es nicht. Ich kann das viel zu helle Licht nicht verscheuchen. Es ist überall. Überall um mich herum. Und ich… Ich bin nichts. Habe keine Arme. Habe keine Beine. Auch keinen Kopf. Keine Hände und Füße. Keine Finger. Keine Nase und kein Mund… Auch keine Ohren. Aber trotzdem höre ich. Da ist etwas. Ein hoher, gleichmäßiger Ton. Piep. Peep. Piep. Peep. Piep. Peep… Leise, aber endlos. Im Hintergrund. Und immer gleich…. Monoton. Er tut mir weh. Meinem körperlosem nichts. Vielleicht genau deshalb. Der Ton ist in mir drinnen. Löst mich langsam auf. Frisst mich… von allen Seiten. Bitte, Gott! Lass das hier einen Traum sein! Lass den Affen Recht behalten! Lass mich aufwachen! Bitte! Bitte! Aber niemand lässt mich aufwachen… Ich versuche den Ton zu ignorieren… Auch wenn es nicht geht. Das kann nicht der Himmel sein… Bin ich denn nicht tot…? Piep. Peep. Piep. Peep. Piep. Peep…. Kapitel 4: Als ich mich für meinen Weg entschied und jemanden dabei verlohr... ------------------------------------------------------------------------------ Zwei Waldeswege trennten sich und ich – ich ging und wählt' den stilleren für mich – und das hat all mein Leben umgedreht. Robert Frost „Das ging aber schnell...“ Der Affe beugte sich ganz nah über mein Gesicht. Fast war ich froh seine pelzige Schnauze zu sehen. Ich war wieder aufgewacht. „Lang geschlafen hast du ja nicht wirklich… glaubst du sicher, dass du schon fertig bis? Nicht noch ein kleiner, süßen Schlummer, bevor es wirklich los geht…?“ fragte er mich mit einem hämischen Grinsen. Entsetzt schüttelte ich schnell den Kopf. Ich will nicht mehr einschlafen! Am aller besten nie mehr! „Nicht? Na, dann bist du dir hoffentlich darüber im Klaren das du das alles nun nicht mehr heraus zögern kannst…“ Wieder fletscht er die spitzen Zähne. Er hüpft flink von meiner Brust herunter und dreht sich dann wieder ungeduldig zu mir um. „Komm! Aufstehen! Ich kann dich nicht durch eine dieser Türen tragen, das musst du schon selber tun… Übrigens kannst du auch gerne mit mir sprechen… Ich versteh dich.“ Das erste Mal habe ich das Gefühl das er mich freundlich ansieht. Fast aufmunternd. Ich will etwas sagen. Aber ich kann nicht. Den Mund bewegen, das ja. Das kann ich. Aber ich kann nicht sprechen. Kein Ton kommt über meine Lippen. Überhaupt nicht. Und es macht mir Angst. Wie soll ich denn jetzt mit anderen Leuten in Kontakt treten? Wenn ich nicht sprechen kann? Wie soll ich um Hilfe rufen, sollte es einmal wirklich nötig sein, wenn ich nicht einmal reden kann? Der Affe grinst mich nur an. Als hätte er es bereits so erwartet. Als wolle er mich mit der Aufforderung zum reden bloß ärgern. Er geht vor ran zu einer Tür und fuhrwerkt umständlich an dem großen Schloss herum. Die Tür ist eine der Größten. Sie erinnert eher an ein Scheunentor… nur ist dieses Scheunentor mit reich mit Goldeinlagen verziert, wie das Tor eines Schlosses. Ich folge ihm und warte geduldig und etwas nervös, biss er fertig war. Langsam öffnete sich die Tür. Knarzend. Als wären die Scharniere nicht aus Gold, sondern aus altem, rostigem Eisen. Der Affe trat einen Schritt zurück und deutete eine spöttische Verbeugung an. „Darf ich bitten?“ Er schwang den Stock elegant und gekonnt durch die Luft. Ich späte misstrauisch durch die weit geöffnete Tür. Irgendwo musste doch ein Hacken sein… Viel konnte ich auf der anderen Seite der Tür nicht erkennen. Es war alles verschwommen. Wie mit einer milchig weißen Schicht überzogen. Als wäre viel Nebel hinter der Tür, ein richtiges Nebelmeer. Oder als wäre da noch eine Tür aus dickem Eis, bevor man wirklich auf die andere Seite gelangen konnte… Ungeduldig tippt der Affe mit der Stockspitze auf den Boden. Als würde er sagen wollen ‚wird’s bald? Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!‘ Aber er tut es nicht. Er wartet. Sehr ungeduldig, aber er wartete. Unsicher machte ich einen Schritt in die Richtung der Tür. Und noch einen. Vorsichtig berührte ich die ‚Tür aus Eis‘ und in dem Moment erfasste mich ein heftiger Sog, der mich hineinsaugte. Es fühlte sich an als würde ich fallen, ohne wirklich hinunter zu fallen. Und für einige Sekunden wurde er schwarz um mich herum. Fast hatte ich schon Angst wieder eingeschlafen zu sein, aber als das schwarz verschwand war ich nicht wieder im Dunklen. Im Gegenteil. Die Sonne schien sanft durch die Gipfel einiger hoher Bäume und lies den ganzen Wald warm und golden erstrahlen. Die Bäume waren schlank und hoch. Bis hoch zu den tief grünen Wipfeln kletterte Efeu an ihnen hinauf. Zwischen den Kronen konnte man Fleckchen weise den strahlblauen Himmel ausmachen. Ich fühlte mich benommen. Nach einiger Zeit richtete ich mich etwas auf. Im selben Moment begann sich alles um mich herum zu drehen und ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und zu fallen, obwohl ich doch sicher und fest auf dem Boden saß. Als ich mit schließlich wieder gefangen hatte und klar sah ließ ich meinen Blick über die Umgebung streifen. Meine Hände krallten sich in saftig grünes Sternmoos. Es quoll zwischen meinen Fingern hervor wie eine sehr weiche Decke. Das Moos bildete eine Straße, die in einer Schneise durch den Wald führte. Links und rechts von der, vielleicht vier Meter breiten Schneise, standen die hohen Bäumen, die im Licht der Sonne keinen Schatte zu werfen schienen. Zwischen den Bäumen standen nur vereinzelt einige Sträucher. Trotz der Bäume war der Boden des Waldes grün, wie eine Frühlingswiese und saftig standen Blumen dazwischen, die schönen Köpfe zur Sonne geneigt. Nichts schien sich wirklich zu bewegen. Es schien keinen Wind zu geben. Alles war still und ruhig um mich herum. Keine Geräusche, die man sonst in einem Wald hören mochte. Weder Vogelgezwitscher, noch Blätter rauschen oder Zweige knacken. Nichts. Einfach nichts. Stille. Fast schon bedrückend. Als wäre ich uhrplötzlich taub geworden. Dabei hatte ich doch eben noch die Stimme des Affen gehört, oder etwa nicht? Nervös kratzte ich einige Moos Funzel, die sich unter meinen Fingernägeln verfangen hatten, heraus und lies sie fallen. Das Aufstehen im Moos gestaltete sich wesentlich schwieriger, als ich gedacht hatte. Ich glaube, es war mir nie so schwer gefallen. War ich überhaupt schon einmal in Moos aufgestanden? Woher wollte ich denn wissen, wie es sich anfühlte? Es war, als würde ich einfach darin versinken. Als Gäbe es keinen richtigen Grund unter meinen Füßen. Als wäre das Moos unendlich tief. Es wirkte als stünde ich in Treibsand. Und nur schwer schaffte ich es schließlich zu gehen. Schritt für Schritt war schwer und anstrengend und schon bald atmete ich heftig und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Die Dinge um mich herum erschienen Unwahrscheinlich groß. Die Bäume, die Blumen. Als wäre ich geschrumpft, als ich durch die Tür trat. Auch änderte sich die Landschaft nicht, obwohl ich mir sicher war das ich vorwärts gegangen war… Ich hatte mich doch bewegt! Und dennoch standen dieselben kleinen Blumen wie vorher schon neben dem Weg. Genau neben dem kleinem Baumstumpf, in dessen Wurzeln sie sich schmiegten. Es machte mir Angst. Irgendwie. Ich wollte rufen. Einfach in den Wald schreien. Vielleicht hätte mich jemand gehört, der mir helfen könnte…. Aber ich konnte nicht. Wie vorher kam kein einziger Ton über meine Lippen. Egal wie heftig ich es versuchte. Hatte der Affe nicht gesagt, dass die Träume schlimm waren…? Wirklich schlimme Albträume…? Sollte das hier dann nicht ein wenig angenehmer sein? Bis jetzt sah ich allerdings nicht viel Unterschied… Ich ließ mich wieder hinfallen. Und das Moos gab nach, wie ein Kissen. Grün und friedlich lag der Wald um mich herum da. Ich hatte plötzlich wirklich richtige panische Angst. Das erste Mal in meinem ganzen Leben. Ich begann zu zittern und schließlich lautlos zu weinen. Ohne auch nur eine einzige der Tränen zu spüren. Ich sah bloß, wie sie auf meine Finger fielen. Herunter tropften und schließlich auf das grüne Moos rollten. Alles um mich herum verschwamm, wie zu einem Aquarellbild, vor dem man viel zu nah steht. Plötzlich erklang ein leises, tiefes Brummen hinter mir. Ich zuckte zusammen und drehte mich so langsam um, wie möglich. Ganz nahe vor mir stand eine große, hellbraune Bärin. Das Maul leicht geöffnet und die kleinen, schwarzen Augen auf mich gerichtet. Sie war so nah, das ich ihr langes Fell fast schon riechen konnte. Wild roch sie. Beängstigend wild. Aber auch frei. Auf die schweren Hinterbeine erhoben sah sie ruhig auf mich herunter. Das lange Braune Fell fiel in weichen Wellen über ihren gedrungenen, schweren Körper. Die großen Pfoten hatte sie leicht nach vorne gestreckt, als würde sie nach mir greifen. Den Kopf hatte sie leicht nach unten geneigt. Wie eine Mähne stand das Fell lang von ihrem Hals ab. Sie sah fast aus wie ein Teddybär. Ein großer, weicher, freundlicher Teddybär, mit kleinen, runden Ohren und freundlichen Augen. Und trotzdem habe ich Angst. Der Boden bebt leicht, als sie sich schwer auf alle Viere fallen ließ. Sie nähert sich mir, bis mich ihre große, schwarze Nase fast berührte. Ihr Atem pfiff durch die Naselöcher. Die Zeit schien still zu sehen. Nichts bewegte sich, außer der schnüffelnden Nase neben meinem Ohr. Die Bärin beugte sich nach vorne und begann mir mit ihrer großen Zunge über das Gesicht zu lecken. Mit ihren großen Pfoten zog sie mich zu sich hin und drückt mich in ihr Fell. „Hör auf zu weinen…“ murmelte sie mit schwerer, rauer Stimme und stupst mich sanft mit ihrer Nase an. Langsam wich die bleierne Angst von mir und ich klammerte mich an ihr langes Fell und schluchzte lautlos hinein. Ich bin absolut hilflos! Was soll ich denn tun!? Langsam löste sich mein Heulkrampf und ich sah der großen Bärin vorsichtig in das Gesicht. Sie hatte ihre Lefzen zurückgezogen und es sah wirklich aus als würde sie mich anlächelt. Sanft und liebevoll und warm sah es aus. Und es machte mich irgendwie glücklich. Und warm. Von innenheraus… Ganz langsam zogen sich meine Mundwinkel nach oben und ich lächelte sie mit Tränen verschmiertem Gesicht schief an. Die Bärin brummte wohl wollend. „Komm, setz sich auf meinen Rücken…“ grummelte sie warm. „So kommst du nie auch nur einen Schritt vor ran…“ Dann lies sie sich auf dem Bauch nieder und streckte mir ihren großen, schweren Kopf zu mir hin und sah mich von unten herauf treu an. „Steig auf. Und halt dich gut fest, dann bist du ganz schnell weit weg von hier…“ murmelte sie sanft und blinzelte mich langsam an. Zögerlich nickte ich und kletterte dann vorsichtig auf ihren Rücken. Ich setzte mich zwischen ihre Schulterblätter und schlang meine Beine um ihren stämmigen Hals. Dann klammerte ich mich in ihr langes Fell, das wie die Mähe eines Löwen um ihr Genick stand. Langsam und schwankend erhob sich die Bärin. „Gut festhalten…“ brummte sie gemütlich, sie klang zufrieden und glücklich obwohl ich sehr an ihrem Fell gerissen haben musste um mich fest zuhalten. Ihr Schritt war, trotz des schwierigen Bodens fest und gleichmäßig und die Bärin sank kaum, oder besser, gar nicht, ein. Sie brummte irgendeine leichte, leise Melodie vor sich hin die mich sehr beruhigte. Ich legte den Kopf in das lange Nackenfell und kuschelte mich an sie. Die Bärin brummte warm und glücklich auf. Ich mochte das Gefühl, das ihr warmer Bass in mir auslöste. Langsam sackten meine Lieder nach unten. Eigentlich hatte ich Angst vor dem Einschlafen… Bei dem Traum, den ich hatte, kann man das ja auch mehr als gut verstehen, nicht wahr? Aber ich kann nicht anders… Es ist wie ein Traum, den man schon seit langem hat… einer, der endlich in Erfüllung geht. Mit einem riesigen Teddybären schmusen… und dann gut behütet einschlafen… Doch gerade, als meine Augen zufallen, fällt mein Blick in den Wald, der immer dichter und dunkler geworden ist. Etwas lauert in dem großen Haselstrauch, ganz in der Nähe des Weges. Es sieht mich an. Mit großen, bösen gelben Augen. Mir wird uhrplötzlich eiskalt und ich begann heftig zittern, als wäre ich in einem Schneesturm. Die Bärin bleibt stehen und dreht den Kopf soweit nach hinten wie möglich. Besorgt blinzelt sie mich an. „Was ist, mein Kind?“ brummte sie misstrauisch. Am liebste würde ich schreien, so viel Angst habe ich vor diesen wirren, gierigen, verrückten Augen. Zitternd zeige ich auf das Wesen, das sich immer noch im Gebüsch verbirgt. Die Bärin sieht in die Richtung, in die mein Finger zeigt. Plötzlich erhebt sie sich auf die Hinterpfoten und ich muss mich festklammern, um nicht herunter zu fallen. Sie zieht die Lefzen zurück und zeigt die Zähne. Ihr Knurren klingt wütend, angespannt und gefährlich. Als wäre sie bereit ihr Leben für mich zu opfern. Die gelben Augen verdrängen sich zu schmalen Schlitzen und schließlich sind sie verschwunden. Ein leises Rascheln erklingt und dann ist es wieder still. Das Nackenfell der Bärin ist immer noch aufgestellt und noch eine Minute steht die Bärin auf den Hinterbeinen. Dann ließ sie sich wieder auf alle Viere zurück fallen. „Keine Angst. Ich beschütze dich…“ brummte die Bärin leise. Langsam setzte sich wieder in Bewegung. Es war etwas wie eine Schifffahrt. Ich schwankte gleichmäßig hin und her. „Keine Sorge… ich passe auf dich auf…“ Brummte die Bären beruhigend. Und irgendwie konnte ich nicht anders als ihr zu vertrauen. Mit meinem ganzem Herzen. Auch wenn in den Büschen und Sträuchern am Wegesrand immer wieder wilde Augen auftauchen. Ab und zu blitzten Krallen auf und Haare hingen in den Sträuchern. Zähne blitzten auf und hin und wieder war ein tiefes, erschreckendes Knurren und Jaulen ganz nahe am Wegesrand zu hören. Ich hatte keine Angst. Die Bärin beschützte mich… vor allem. Egal, wie groß und gefährlich es auch sein würde. Doch plötzlich blieb die Bärin stehen. Einfach so. Langsam und vorsichtig ließ sich die Bärin auf dem Boden nieder. Einige Minuten war als still. Dann begann, uhrplötzlich, der mächtigste Körper der Bärin zu zucken und zu beben, so dass die Bäume um mich herum erneut schwankten. Ich ließ mich von ihrem breiten Nacken hinunter gleiten. Nun war der moosige Boden wieder stabil und ich sank nichtmehr darin ein. Ich ging zu ihrer großen Schnauze und strich vorsichtig über ihre große Nase. Die Bärin blinzelte. „Ab hier musst ich dich zurück lassen. Ich kann dich nicht weiter begleiten, so lieb es mir auch wäre…“ Große Tränen liefen aus ihren warmen Augen. „Du kannst nicht ewig hier stehen bleiben…“ murmelte die Bärin leise, als ich mich an ihre Schnauze schmiegte und keine Anstalten machte mich von ihr zu entfernen. Ich sah die Bärin traurig an. „Du musst weiter gehen, mein Kleines…“ Sie stupste mich mit ihrer Schnauze vorsichtig an und schob mich sanft ein wenig weg. „Pass auf dich auf. Und wähl gut…“ Mahnte sie und deutete mit ihrer Schnauze auf ein Schild, das an einer Weggablung stand. „Ich pass auch auf dich auf…“ brummte die Bärin und stieß mich noch einmal sanft in Richtungen der Weggablung. Zwei Schilde zeigten in entgegengesetzte Richtungen. Auf dem einen stand in eleganten, abblätternden Goldlettern ‚Stille‘ auf dem anderen in harten, glänzenden Metalllettern ‚Lärm‘. Stille würden für mich wohl eher passen, da ich so wie so nichts sagen konnte… Vorsichtig, ich fühlte mich unsicher auf meinen Beinen, ging ich zurück zur Bärin, umarmte deren Schnauze ein letztes Mal und küsste sie sanft. Ich hatte Angst, vordem, was kommen würde wenn die Bärin, die mich einen Teil des Weges so gut beschützt hatte, zurück ließ. Und dennoch drehte ich ihr den Rücken zu. „Fahre wohl…“ Murmelte die Bärin in meinem Rücken leise, als ich in Richtung ‚Stille‘ abbog, leise. Als ich mich umdrehte lag die Bärin still da. Die Augen auf mich gerichtet. Ich wollte plötzlich zurück zu ihr. Doch als ich einen Schritt auf sie zu machen wollte, konnte ich nicht. Und um mich herum wurde es tief schwarz. Kapitel 5: Aufgeben ------------------- Aufgeben heißt am eigenen Willen gescheitert zu sein. Benjamin Stramke Nein! Ich will nicht! Ich will zu der Bärin zurück! Sie hat mich beschützt! Wie soll ich es ohne sie schaffen…?!? Und dann ist es wieder da. Das Helle weiß. Und wieder ist es überall. Und dieser schrille Ton…. Piep. Peep. Piep. Peep. Piep. Peep. Piep. Peep… Es macht mir Angst. Ich will weglaufen, aber ich kann nicht… Auch wenn ich weder Arme noch Beine besitze, zumindest nicht sichtbar, fühlt es sich an, als wäre ich irgendwo festgebunden. So fest, dass ich mich nicht bewegen kann. Dabei spüre ich nicht einmal meine Arme wirklich… Es ist verwirrend… Als wäre ich in dem hell… und das hell fixiert… Irgendwo. Irgendwie. Es macht mir Angst. Schreckliche Angst. Soll das der Himmel sein? Oder bin ich in der Hölle? Aber sollte es da nicht anders aussehen? Und Warm sollte es doch auch sein… Oder eher heiß… Aber mir ist kalt. Lebe ich noch…? Ist es schief gegangen, am Ende? Aber… wie könnte es? Das ist doch unmöglich! Und doch… Die Kälte kommt von außen. Als wäre ich in einem Schneesturm gefangen. Ist es das? Bin ich in einem Schneesturm? Es ist doch Winter, oder nicht? Oder es war. Aber… was wird passieren, wenn sich der Sturm legt? Wo werde ich dann sein? Wieder da wo ich vorher war? Ich versuche gegen die unsichtbaren Fesseln zu kämpfen. Obwohl ich nicht einmal weiß, mit was ich gegen die Fesseln kämpfe. Es fühlt sich an als würde ich seit Jahren gegen die Fesseln kämpfen.. Ich bin schwach. Ich gebe auf. Mein Blick verliert sich im Endlosen weiß. Ich kann nichtmehr. Alles was passiert ist bricht über mich ein. Und ich… ich kann nicht anders als in das Weiß zu starren… Langsam verschwimmt es. Dreht sich. Ich weiß es. Obwohl ich nicht einmal einen Fixpunkt habe, an dem ich es festmachen könnte. Wird grau… Und schließlich…. Wird alles wieder tief schwarz. So schön schwarz… Kapitel 6: Die besten Freunde der Welt -------------------------------------- Das einzelne Schaf ist in Gefahr vor dem Wolf. Ich lag wieder auf dem Rücken. Wieder in dem seltsamen, rundem Raum. Ich blieb einfach liegen. Erleichtert schloss ich die Augen für einen Moment. Und öffnete sie gleich wieder. Ich blinzelte zu der Decke empor. Es war gut zu wissen, dass da oben eine Decke war. Eine gewölbte Decke, mit Schachmuster und gemalten Ranken, die aus ihr heraus zu wachsen schienen. Und das Schachbrett war vergilbt und fleckig. Es gab kein reines Weiß. Und erst recht kein unendliches… Und keinen widerlichen, quietschenden Ton… Aber… hatte die Decke vorher nicht anders ausgesehen…? Irgendwie wunderte mich das aber auch nicht weiter. Was war schon so wichtig an einer Decke… Ich seufzte tonlos auf. Ich hätte ewig hier liegen bleiben können… den braunen Holzboden in meinem Rücke und die geschlossenen Türen um mich herum… Die Tür durch die ich als erstes gegangen war, war nun grau und vergilbt. Verwittert, als wäre sie Jahre lang den immer wechselnden Witterungen ausgesetzt gewesen. Das Gold war fast schon verschwunden. Und doch wusste ich noch genau wie schön sie gewesen war, als ich sie das erste mal gesehen hatte…. Nur den Affen sehe ich nicht. Aber das war mir im Augenblick auch egal. Es zählte nur, dass das Weiß weg ist. Und die Kälte… Genaugenommen, fühlte ich nichts. Weder Wärme, noch Kälte. Meine Augen waren immer noch auf die vergilbte Tür gerichtet. Ob ich sie wohl wieder öffnen könnte…? Dahinter war der Wald… mit den Monstern und Wölfen… Und die Bärin. Ruckartig setzte ich mich auf. Die Bärin! Ich hatte sie einfach so zurück gelassen! Ohne mich richtig von ihr zu verabschieden… Ich stand auf, so schnell ich konnte, und stürzte zu der Tür. Ich rüttelte an dem Griff, der klein und unscheinbar über dem großen Schlüsselloch angebracht war. Doch die Tür bewegte sich nicht. Keinen Millimeter. Nur ein leises Knarren war zu hören. Als würde sich die Tür doch bewegen. Wenn auch nur ein ganz kleines Stück. Aber sie tat es nicht. Nicht das kleinste bisschen. Erschöpft lehnte ich mich schließlich gegen sie und lies mich an dem Holz herunter gleiten. Ich wollte schreien. Aber ich konnte nicht. Und trotzdem tat es weh. So furchtbar weh… Doch meine Kehle brannte, als hätte ich geschrien. Lange und laut. Ich zog die Knie an meine Brust und versteckte den Kopf hinter ihnen und schlang meine Arme fest um meine dünnen Beine. Ich wusste nicht, wie lang ich da so saß. Ich vermisste die Bärin furchtbar, obwohl ich nicht viel Zeit mit ihr verbracht hatte. Zumindest, nicht wirklich… Ich wollte sie wieder treffen. Mich bei ihr bedanken. Ich wünschte, ich wäre nicht einfach so gegangen… Ohne mich wirklich richtig von ihr zu verabschieden… Ohne mich bei ihr zu bedanken, dass sie mich so sicher durch den Wald getragen hatte. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag und mein Atem wieder. Hatte der Affe nicht gesagt, dass sich nach jeder Tür etwas in dem Zimmer verändern würde? Oder war das mit der Verblichenen Tür schon alles? Ich sah mich um. Und das erste Mal auch an mir selbst hinunter. Ich hatte ein schwarzes Kleid an. Es ging gerade so bis zu meinen Knien und war mit einigen Borten aus Spitze und Schleifen verziert. Meine Beine waren bis zu den Knien mit schwarzen Strümpfen bekleidet und ich trug kleine, schwarze Schuhe. Ich war mit nicht bewusst je ein solches Outfit besessen zu haben. Aber es gefiel mir… irgendwie. Meine Haare vielen mir in sanften Locken auf die Schultern und als ich zu meinem Kopf fasste, bemerkte ich, das ich ein Bonet trug. Wahrscheinlich sah ich aus wie eine Puppe… aber ich hatte nichts dagegen. Auch das hatte ich mir früher immer gewünscht… Ich wünschte nur, ich hätte einen Spiegel und könnt mich wirklich anschauen… Mein Blick fiel auf die Tür. Habe ich mich immer schon so schnell ablenken lassen…? Ich war mir nicht sicher. Aber das war nun auch nicht wichtig. Ich wollte mir eher den Raum anschauen. Herausfinden, ob sich noch etwas, abgesehen von der Tür, verändert hatte. Ich ging langsam an den Türen vorbei und sah mich um. Die Tür von gestern schien nicht mehr so groß. Als wäre ich gewachsen. Ein weinig zumindest. Als ich einmal um den Raum gewandert war und mir nichts aufgefallen war, drehte ich mich der Mitte des Raumes zu. Auf einigen hauch dünnen Stelzen stand etwas auf dem Boden. Es fiel mir erst jetzt auf. Der Tisch war etwas über meinem Kopf. Er hatte keine Decke. Und als ich mir unter ihn stellte und ihn von unten musterte fiel mir auf das er von unten genau so aussah wie die Decke. Die Platte war ebenso hauch zart wie Beine des Tisches. Als ich mich auf die Zehenspitzen stellte konnte ich einen Blick auf die Platte erhaschen. Auf der Platte war ein Schachbrett. Die weißen Quadrate waren aus Elfenbein und die schwarzen aus Ebenholz. Das Schachbrett war wunderschön. Und auf dem Schachbrett standen zwei Figuren. Die eine Figur war eine Bärin. Hochaufgerichtet stand sie auf ihren elfenbeinernen Hinterbeinen erhoben da. Schützend stand sie so vor der anderen Figur. Es war ein kleines Mädchen, das zusammen gekrümmt da saß. So genau hergestellt, das man fast die Tränen sehen konnte, die über ihr Gesicht laufen mussten. Auch das Mädchen war aus Elfenbein gefertigt. Aber das Mädchen war mir egal. Vorsichtig fischte ich, noch immer lang gestreckt auf den Zehenspitzen, nach der Bärin und hob sie vorsichtig herunter. Ich presste die filigrane Figur vorsichtig an meine Brust. „Na, fertig mit dem trauern…?“ fragte eine Stimme spöttisch. Ich fuhr herum. Da stand der Affe. Auf beide Hinterbeine erhoben und sah mich spöttisch an. „Gib das wieder her…“ Meinte er und nahm mir die Figur weg, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Er stellte sie vorsichtig, schon fast behutsam auf das Schachfeld, genau dahin, wo sie vorher gestanden hatte. Dann betrachtete er mich aufmerksam. Fast schon eindringlich. „Hübsches Kleid…“ meinte er schließlich lauernd. Ich sehe in an. Weiß nicht, ob das ein Kompliment sein soll oder nicht. Als nicke ich nur unsicher. „Passt wunderbar zu meinem Anzug…“ Meinte der Affe und wirbelte den Stock herum. Dann beugte er sich vor und machte einen Knicks. „Wollen sie sich nicht eine Tür aussuchen, my Lady…?“ Fragte er schließlich und streckte mir seine Pfote entgegen. „So lassen sie uns etwas an den Türen vorbei flanieren… und sie wählen die Tür ihrer Wahl.“ Flötet er affektiert. Dieses Schauspiel schien ihm Spaß zu machen. Und da ich ihm nicht wiedersprechen konnte ließ ich zu das er meine Hand nahm und so folgte ich ihm durch den Raum. Als wie zwei Runden um den Raum gedreht hatten blieb er stehen. „Haben sie sich schon entschieden…?“ Fragte er dann scheinbar höfflich. Ich zuckte mit den Schultern. Am liebsten würde ich die alte Tür wieder benutzen. Die vom letzten Mal. Aber der Affe hatte mir ja erklärt dass ich das nicht durfte… oder nicht konnte. Also ging ich einfach auf die erstbeste Tür zu. Sie war nur ein klein wenig größer als ich, rot und mit den Sternkreiszeichen verziert. Sie war eine der schönsten Türen, die es noch gibt. Der Affe nickte. „Wie die Dame beliebt…“ Der Affe küsste mit seiner pelzigen Schnauze meine Hand. Dann öffnete er die Tür. Ohne Schlüssel. Einfach so. Dann machte er einen tiefen Kratzfuß. „Wir sehen uns, my Lady…“ Hörte ich ihn noch sagen, dann war ich auch schon durch die Tür getreten. Diesmal wurde es nicht schwarz um mich. Ich stand einfach auf einer wunderschönen, grünen Blumenwiese. Alleine. Ich sah mich um. Ob ich die Bärin wieder treffen würde? Ich wünschte mir es so sehr! Hatte sie nicht gesagt, dass sie auf mich aufpassen würde? Sie musste hier sein! Doch ich sah sie nicht. Also begann ich einfach los zu gehen. Immer der Nase nach. Es war ganz leicht. Fast, als würde ich über die Wiese schweben… Es machte richtig Spaß, alleine zu gehen! Auch wenn ich die Bärin wirklich lieb gewonnen hatte, war es doch schön alleine und ohne Hilfe vorwärts zu kommen. Als ich einige Zeit über die Wiese gegangen war, kam ich an einen Irrgarten aus großen, dichten Haselsträuchern. War die Bärin vielleicht da drin? Es dauerte einige Zeit, bis ich mich durch den großen, unübersichtlichen Irrgarten gekämpft hatte, doch schließlich hatte ich es geschafft. In der Mitte war allerdings nicht die Bärin, wie ich gehofft hatte, sondern auch wieder nur eine Wiese. Ein Kreisrundes Wiesenstück. Ohne Blume. Nur einige seltsame, zweistufige Podeste standen auf der Wiese herum. Aber ansonsten war es einfach nur eine langweilig grüne Wiese. Enttäuscht und traurig ließ ich mich in das Graß sinken. Hatte die Bärin nicht gesagt sie würde auf mich aufpassen…? Plötzlich raschelte es in den Büschen neben mir. Und ich schreckte heftig hoch. Waren nicht böse Wesen in den Büschen gewesen, hatten darin gelauert, gejault und geknurrt und mich mit wirren, gierigen Augen angestarrt, als die Bärin mich sicher an den Büschen vorbei getragen hatte? Ich zitterte leicht. Jetzt war ich wirklich alleine. Ganz alleine. Ohne jegliche Hilfe. Was sollte ich denn nun tun, wenn so ein Böses Tier aus dem Haselstrauch sprang? Ich konnte mich ja kaum wehren! Ich sah auf meine kleinen Hände. Schlagen würde das Wesen sicher nur wütender machen… Das rascheln kam immer näher, und ich suchte nach dem Weg, durch den ich herein gekommen war. Doch er war Weg. Es gab keinen Ausgang aus dem Irrgarten. Oder, zumindest keinen Gang mehr, der dorthin führte! Nur Haselsträucher. Freundlich hellgrün in der hochstehenden Sonne. Also blieb mir nichts anderes übrig, als still zu halten. Ich versuchte mich so wenig zu bewegen, wie möglich. Da brach die Hecke plötzlich auf und durch das Loch kam ein kleines, cremefarbenes Löwenkopfkaninchen mit weißen Ohrspitzen gehoppelt. Es sah mich kurz an, nahm aber ansonsten nicht weiter Notiz von mir. Es hoppelte zu einem der Podeste, setzte sich darauf und begann sich mit den Pfoten das Gesicht zu waschen. Das Tierchen war ja sicher nicht gefährlich… Langsam begann ich mich wieder zu entspannen. Kaninchen waren Hilflose Tiere. Würde in irgendeiner Art und Weise Gefahr drohen, wäre dieses Tierchen sicher nicht so entspannt. Bald darauf raschelte es wieder in der Hecke. Eine kleine Ziege zwängte sich durch das Loch, schüttelte sich die Blätter auf dem braun weiß geflecktem Fell und von den kleinen schwarzen Hörnern und ging dann, wie auch das Kaninchen, ganz entspannt zu einem der Podeste und ließ sich darauf nieder. Nach und nach folgten weitere Tiere. Alle Jung. Und jedes suchte sich, ganz selbstverständlich ein Podest aus. Da war ein Bieber, mit flachem Schwanz und vorstehenden Zähnen; ein kleiner Luchs mit Pinselohren und tief grünen Augen; ein junger Wolf der sich ein Podest am Rande der Lichtung suchte, das im Schatten der Haselsträucher fast nicht aus zu machen war, und nur hin und wieder mit seinen gelben Augen zu mir herüber sah. Ein junges Rehkitz sprang flink und klein durch das Loch in den Sträuchern und sprengte, kaum mehr als ein brauner Blitz, an mir vorbei. Und so füllte sich die Lichtung langsam. Mit allen möglichen, wilden und zahmen Tieren. Ein kleiner Cockerspaniel Welpe lag auf dem einen Podest und direkt daneben, ohne auch nur eine droh Gebärde, ein hübscher, rotgestromter, Perser Kater. Und als letztes stakste ein junges Fohlen vorsichtig durch das Loch und lief scheu zu einem der Podeste. Mühsam faltete es die langen Beine unter seinem Körper und ließ sich darauf nieder. Schließlich waren nur noch Zwei Podeste frei. Und ich entschloss mich, neugierig auf das, was nun kommen würde, mich auf eines von ihnen zu setzen. Die Tiere sahen mich fast ausnahmslos an, als ich vorsichtig zu dem Podest ging. Ich wusste bloß nicht zu deuten wie sie mich ansahen. War es freundlich? Misstrauisch? Verärgert? Hatte ich einem von ihren Freunden den Platz genommen? Aber sie sagten nichts. Also behielt ich meinen Plan bei und lies mich vorsichtig auf das Podest sinken. Und keine Sekunde zu früh. Es knackte und krachte ganz fürchterlich in den Büschen, die die Lichtung umgaben. Und schon entstand ein riesiges Loch. Die jungen Tiere um mich herum erhoben sich und als schließlich ein großer, stattlicher Elch mit einem riesigen Geweih durch das Loch trat, verbeugten sie sich alle gleichermaßen tief. Hatte vorher doch noch, wenn auch nur sehr leise, ein gewisses Gemurmel geherrscht, so war es nun Totenstill. Das einzige, was zu hören war, waren die Schritte des Elches auf dem Gras. Mit seiner tiefen, singenden, röhrenden Stimmer begann er zu erzählen. Von Dingen, die wir alle nicht wissen konnten. Dingen, die vor ewigen Zeiten geschehen waren. Die wir uns nicht einmal vorstellen konnten. Und schon bald brummte mir der Kopf. Plötzlich hörte ich eine Stimme neben mir. „Es ist anstrengend, nicht wahr?“ Ich drehte den Kopf. Es war das erste Mal an dem Tag, dass ich wirklich eine Stimme hörte, die an mich gerichtet war. Das jemand mit mir sprach, abgesehen von dem Äffchen. Ich hätte dem Mädchen gerne geantwortet. Und ihm gesagt, wie hübsch es war. Es trug ein langes, weißes Kleid, das mit Rüschen verziert war und wunderschön aussah. Im Dunkelbrauen Haar trug es weiße Rosen und in der einen behandschuhten Hand hielt es einen wunderschönen spitzen Schirm. Ich nickte es zögerlich an und lächelte. „Er ist ja bald fertig…“ Meine das Mädchen dann und drehte sich wieder nach vorne um den ruhelos umherstreifendem Elch mit den Augen zu folgen. Ich hatte schon vor einiger Zeit aufgegeben seinen Gedanken zu folgen. Es erschien mir unmöglich etwas davon wirklich zu verstehen. Schließlich verwand der Elch erneut in der Hecke und das Loch im Geäst schloss sich raschelnd hinter ihn. Noch immer wie benommen saß ich da und sah ihm hinterher. Ich vernahm zwar ein krachen, durch welches ich durchaus merkte, dass die Hecke erneut eine Öffnung gebildet haben musste, aber war nicht wirklich fähig mich zu bewegen. Auch dem Mädchen erschien es nicht anders zu ergehen und selbst die Tiere saßen noch etwas bewegungslos auf ihren Plätzen, bevor sie sich langsam bewegten. Sie alle strömten in die Richtung das Neuen Loches zu. Das Mädchen vom Podest neben mir reichte mir die Hand. „Komm, wir gehen mit ihnen…“ Sie führte mich durch das Loch in der Hecke und schließlich standen wir wieder auf der großen Wiese, auf der ich angekommen war. Die anderen Tiere standen im Halbkreis da und schienen mich zu erwarten. „Hallo, willst du mit uns spielen?“ fragte mich das Löwenkopfkaninchen schließlich schüchtern. Zu dem Mädchen, das noch immer neben mir stand sagte es nichts. Ich nickte und lächelte. „Gut… DU bist!“ Das Kaninchen quiekte begeistert auf und schlug mich mit seiner kleinen Pfote ab. Dann rannte es hackenschlagend vor mir davon als hätte ich eine Chance es zu fangen. Und im nächsten Moment rannten dann auch alle anderen schon davon. Vor mir weg und ich ihnen hinter her. Es machte richtig Spaß, mit den Tieren fangen zu spielen! Auch wenn die meisten viel zu schnell für mich waren… Manchmal erbarmten sie sich ein wenig und liefen mir praktisch in die Arme. Nur das Mädchen im weißen Kleid stand neben dem Spiel und sah zu Auch der Wolf rannte nicht vor mir davon. Ich hatte ihn nichtmehr gesehen, seit dem der Elch auf die Lichtung gekommen war... Schließlich konnte ich nichtmehr. Möglichst unbemerkt sonderte ich mich von den anderen Tieren ab, die gerade vor dem rotgestromten Perser Kater davon liefen und legte mich ins Gras um nicht so auffällig zu sein. ein Herz raste und ich kam kaum zu Atem. Meine Lunge brannte, schmerzhaft. Die Gesichter der anderen Tiere erschienen über mir. Selbst die graue Schnauze des Wolfs. Sie begannen sich zu drehen. Herum zu wirbeln und das letzte, was ich im aufkommenden, schwarzen Nebel sehen konnte war das besorgte Gesicht des Mädchens in Weiß. Kapitel 7: Qualle im Nebel -------------------------- Seltsam im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, Kein Baum kennt den andern, Jeder ist allein. ~Hermann Hesse Ich sinke zurück in das Weiß. Aber… diesmal ist es anders. Es ist nichtmehr rein weiß. Es scheint als wäre etwas hinter dem Weiß. Etwas buntes, etwas das sich bewegt. Und es ist auch nichtmehr kalt, diesmal ist es warm, fast schon heiß! Das Gefühl von den Fesseln löst sich langsam von meinem Körper und ich kann mein Blickfeld steuern. Als ich meinen Blick senke sehe ich etwas unter mir. Ja, ich habe wieder einen Körper… wenn auch noch nicht das, was man wirklich einen Körper nennen würde. Er ist irgendwie durchsichtig… Quallen artig. Etwas pulsiert. In roten Linien zieht es sich durch meinen Körper. Fasziniert betrachte ich meine Hände. Es sieht seltsam aus… Aber irgendwie ist es auch faszinierend. Es dauert lange, bis ich meinen Blick von den Linien unter meiner Haut losreißen kann. Die Wärme um mich herum ist erträglicher geworden. Mein Mund fühlt sich trocken an. Etwas in meinem Arm sticht, als würde man mit Blutabnehmen und hat vergessen die Nadel heraus zu ziehen. Dort ist es auch kalt. Als würde nicht etwas aus mir heraus, sondern etwas in mich hinein fließen. Aber ich kann nichts erkennen, als ich hinsehe. Wahrscheinlich ist das auch nur ein Teil des Traums. Auch wenn das Weiß nun etwas weniger kräftig erscheint, der nervige Ton ist immer noch da. Piep. Peep. Piep. Peep. Piep. Peep. Ich beginne durch das weiß zu gehen. Auf die Schemen zu. Ich gehe und gehe. Aber ich bewege mich doch nicht vom Fleck. Keinen Millimeter. Inzwischen höre ich noch etwas anderes als das immer wieder kehrende Peep. Piep. Peep. Piep. Es ist leises Gemurmel, das fast so klingt wie Stimmen. Es kling in meinen Ohren, als würden sie mich rufen. Aber, egal was ich tue, ich komme ihnen nicht näher. Bin ich wirklich an dieser Stelle hier gefangen? Kann ich mich den, auch wenn die Fesseln verschwunden sind nicht weg bewegen…? Ich gehe langsamer. Ich renne. Aber immer noch passiert nichts. Langsam kriecht die Panik wieder in mir hoch. Mit ekligem Geschmack breitet sie sich in meinem Mund aus. Sie riecht schal, abgestanden. Und ich kann nichts gegen sie tun. Bleiern legt sie sich über mich und drückt mich zu Boden. Ich kämpfe gegen sie. Wehre mich. Ich will nicht in diesem Traum bleiben! Ich will hier nicht gefangen sein! Ich will aufwachen! Ich will den Affen sehen! Ich will leben! Mir wird schwindelig. Ein Lufthauch streicht mich und wirft mich zu Boden. Und ich falle. Ich falle und falle und falle…. Unendlich tief… Kapitel 8: 'Die Allerbestenfreunde verabschieden sich' oder 'Fächer' -------------------------------------------------------------------- Es ist seltsam, wie jemand, der vor kurzem noch ein Fremder war, einem plötzlich so wichtig sein kann. Diesmal dauerte es nicht lange, bis ich wieder aufwachte. Und ich war wirklich. Wirklich froh darum. Ich hatte es mir anders vorgestellt zu schlafen. Schrecklicher. Beängstigender. Aber da hatte sich das Äffchen wohl getäuscht. Und, ehrlich gesagt, war ich nicht traurig darum. Auch wenn ich den Schlaf keineswegs als entspannend empfand. Ich sah mich erneut in dem Kreisrunden Raum um. Wieder hatte sich nichts verändert. Außer der Tür. Wieder war sie grau geworden und das Gold herab gefallen, und der rote Stoff, mit dem sie überzogen gewesen war, hing in Fetzen an dem Fahlen Holz herab. Nur war das nicht alles. Die Tür war regelrecht verkettet. Eine Kette über der anderen. Dicke, silberglänzende Eisenketten wanden sich um die Tür und verschwanden in der Mauer. Als sollte ich ja auf keinen Fall je auch nur das kleinste bisschen einer Möglichkeit haben zurück zu kehren. Ich hatte die Bärin nicht wieder getroffen… also fragte ich mich, ob ich eine der anderen Personen wieder treffen würde, wenn ich die nächste Tür öffnen würde. Wahrscheinlich nicht. Auch wenn ich es gerne gehabt hätte. Vor allem das Mädchen in dem weißen Kleid ließ mich nicht los. Ich hätte sie gerne besser kennen gelernt. Aber das war ja unmöglich, ohne eine Stimme. Wir hätten sicher gute Freundinnen werden können… Mein Blick wanderte zu dem Tischchen, das immer noch in der Mitte des Raumes stand. Aber das Tischchen schien geschrumpft zu sein. Denn als ich jetzt neben ihm stand, konnte ich, ohne mich auf die Zehenspitzen zustellen, bequem das Schachbrett bewundern. Und es war bei weitem nicht so makellos, wie es mir beim ersten Mal erschienen war. Im Ebenholz zeichneten sich feine Risse und Kratzer ab. Und im Elfenbein fanden sich ebenfalls einzig kleine Risse. Es tat etwas weh, etwas so schönes zu sehen, das dabei war kaputt zu gehen. Aber warum? Kamen noch andere hier her? Spielten andere Leute damit? Machten sie es etwa mutwillig kaputt? ich suchte die Bärin, die immer noch vor der kleinen Elfenbein Gestalt des kleinen Mädchens stand und es zu verteidigen schien. Und wieder versetzte mir der Gedanke an die Bärin einen Stich. Doch nun waren weitere Figuren zu den beiden anderen hinzugekommen. Acht der Tiere, mit denen ich am schönsten gespielt hatte, standen in einer Reihe vor der Bärin. Das kleine Kaninchen, dessen Elfenbein Fell genau so weich aussah wie sein echtes, der junge Luchs, dessen Ohrpinsel auch in der Schachfigur erkennbar waren. Das Rehkitz, das mit seinen langen Beinen unsicher auf dem Kleinen Podest stand, den Kopf tief geduckt und scheinbar um das Gleichgewicht bemüht. Auch der kleine Perserkater war da. Sogar seine Fellzeichnung war selbst in der genauen Elfenbein Version zu erkennen. Da stand das Zicklein. Die winzigen Hörnchen stolz in den Himmel gereckt und sie Beinchen elegant durchgedrückt. Das Zicklein sah aus wie ein kleines Schlachtross, bereit für den Kampf. Neben ihm der Bieber. Aufrecht, auf den breiten Schwanz gestützt. Für sich gesehen, beeindruckend. Doch gegenüber der Bärin ein nichts. Klein, und harmlos. Der kleine Cockerspaniel lag, schön zusammengerollt auf seinem Sockel und blickte mit treuen Augen zu der Bärin empor. Zum Schluss kam das Fohlen. Sehr filigran und hübsch sah es aus, als es da auf seinem Platz stand. Den eleganten Kopf leicht erhoben, die großen, schönen Augen auf die Bärin gerichtet. Wieder erstaunte mich die Genauigkeit, mit der die Figuren geschaffen waren. Man konnte fast jedes Haar an ihnen einzeln erkennen. Und diesmal berührte ich die Figuren nicht. Wahrscheinlich gehörte das Spiel dem Affen und ich war einfach zu groß um die feinen Figuren richtig halten zu können, ohne sie zu zerbrechen. „Gefällt dir das Spiel den so sehr?“ Fragte mich eine spöttische Stimme hinter mir. Ich fuhr herum. Da saß der Affe. Ganz elegant und ruhig auf dem Boden. Ich nickte. Natürlich war es faszinierend. Ich hätte dem Affen auch gerne gesagt, wie schön ich es fand. Wie ich den Meister, der die Figuren schnitzen musste, um sein Handwerk beneidete. Aber immer noch konnte ich nicht sprechen. Hatte der Affe eigentlich keinen Namen? Ich war es leid ihn immer ‚Affe‘ zu nennen, wenn ich über ihn nachdachte. Aber mehr blieb mir nicht übrig. Ich konnte ja nicht sprechen. Der Affe sah mich an. „Gestern hast du mir besser gefallen…“ Meinte er und ließ seinen Blick kritisch über mich gleiten. Ich sah an mir herunter. Das schwarze Kleid trug ich nichtmehr. Stattdessen ein weites Oberteil und einen kurzen, eleganten Rock. Beides schwarz. Wer auch immer mich umgezogen hatte ich war es sicher nicht gewesen musste eine Vorliebe für diese Nichtfarbe haben. Ich hatte sie auch, wie ich es in dem Augenblick bemerkte. Ich mochte schwarz. Auch wenn es bis jetzt nichts Gutes für mich verheißen hatte. „Wie dem auch sei…“ Nun klang der Affe geschäftlich, als er mit klackernden Absätzen über den gefliesten Boden stolzierte. „Hast du dir wieder eine Tür ausgesucht? Du musst wissen, meine Zeit ist knapp bemessen.“ Jegliche Höflichkeit die er bei der letzten Tür gezeigt hatte, war verschwunden. Sie war einem lästig Forderndem Unterton gewichen, der mich noch mehr erschöpfte. Der Affe hatte mir prophezeit, dass ich im Schlaf Albträume haben würde. Aber er hatte mir nicht gesagt, das dieser schlaf mich nur erschöpfen würde. Ich schüttelte leicht den Kopf. Noch hatte ich mir keinen Gedanken über die Türen gemacht, außer über jene, durch die ich das letzte Mal gegangen war. Der Affe warf mir einen ungnädigen Bick zu. Ich wollte gerne verstehen, warum er so seltsame Anwandlungen hatte. Aber ich versuchte nicht ihn zu fragen. Das würde ihn vielleicht nur noch mehr reizen. Als sah ich mich einfach schnell im Raum um. Diesmal wählte ich eine schwere Eichentür mit hübschen, verschnörkelten Eisenbeschlägen. Sie sah so verheißungsvoll nach einem alten, großen Schloss aus, das ich einfach nicht anders konnte. Die Tür war schlichter als die anderen, hinter denen ich bis jetzt mein Glück versucht hatte. Der Affe nickte Fachmännisch. „Dam wünsch ich ihnen schon im Voraus einmal einen schönen Tag…“ schnarrte er und machte sich an der Tür zu schaffen. Krachend und knarzend schwang sie auf. Ein Farbenmeer schien hinter ihr zu explodieren, so fröhlich und angenehm das ich mich fast schon auf diese Tür freute! Der Affe grinste höhnisch, als er die Vorfreude auf meinem Gesichte sah. „Lass dich nicht irritieren!“ Meinte er hart. „Und jetzt los! Ich habe noch anderes zu erledigen!“ Meinte er schroff. Ich befolgte seinen Befehl. Als ich nun an im vorüber ging, merkte ich, das ich ein ganzes Stück größer war als er. Noch größer, als ich es gestern gewesen war. War ich gewachsen? War er deshalb so ungnädig zu mir? Das Farbenmeer empfing mich mit seinen Farben, hüllte mich ein und spülte mich davon. Ich wartete durch ein Farbenmeer. Es war schön. Wie schwimmen. Oder, besser, wie fliegen. Ich taumelte von Farbklecks zu Farbklecks und die Farben taumelten mit. Ich genoss das herum schweben. Doch es dauerte nicht lange an. Die Farben begannen zu verblassen. Eine nach der anderen. Und schließlich war es dunkel. Wirklich dunkel. Aber nicht schwarz. Eher ein schmutziges, widerlich dreckiges Dunkelgrau. Ich konnte nichtmehr fliegen. Ich stützte und landete auf etwas. Ich setzte mich auf. Da war… nichts. Wirklich nichts um mich herum.. Fast wie das Weiß. Bloß ohne Ton. Ich entschloss mich Ruhe zu bewahren. Konnte ich ja doch nichts an meiner augenblicklichen Situation ändern. Lage Zeit geschah nicht und ich fragte mich schon, warum der Affe es so eilig gehabt hatte. Doch ein einmal sah ich ein Licht. Weit in der Ferne. Aber es kam näher. Gleichmäßig und ruhig. Und schließlich nahm es Gestalt an. Es war das Mädchen das ich hinter der letzten Tür getroffen hatte. Seine braunen Haare wehten leicht in einem Wind den ich nicht spürte. Es kam auf mich zu und lächelte. Dabei sah es aus wie ein Engel. Ein echter, wirklicher Engel. Ich war glücklich. Das erste Mal traf ich jemanden wieder. Ich fiel dem Mädchen um den Hals, und es lachte Glockenhell auf. Ich wollte ich könnte mit ihr Lachen… „Was machst du denn hier?“ Fragte das Mädchen mit sanfter Stimme. Ich zuckte die Schultern. Ich wusste es nicht. Woher denn auch. Das Mädchen sah sich um, als würde es sich sehr unwohl fühlen. Noch immer ging ein Licht von ihr aus. Inzwischen erschien es mir allerdings nichtmehr so hell, wie es gewesen sein musste als sie auf mich zugekommen war. Aber es reichte um einen Teil der Dunkelheit zu vertreiben und ich fühlte mich in ihm so sicher, wie ich mich auf dem Rücken der Bärin Gefühlt hatte. Auch wenn mich der unruhige Blick des Mädchens verunsicherte. Erwanderte durch das Dunkel, das uns umgab, ohne an irgendetwas haften zu bleiben. Es gab ja auch nichts, oder? Doch. Ein Schemen huschte am Rand des Lichts vorbei. Schnell und lautlos. Und plötzlich sah er mich an. Nur mich. Der Schatten blinzelte mir mit zwei gelben Augen zu. Und als er sie wieder öffnete waren die Augen nicht mehr gelb, sondern grün. Mit ruhigen, freundlichen, grünen Augen sah der Wolf mich an. Das Mädchen schien ihn noch nicht bemerkt zu haben. Schritt für Schritt, Pfote vor Pfote schlich der Wolf auf mich zu. Er hatte nichts Furchteinflößendes. Im Gegenteil. Er beruhigte mich. Fast noch mehr als das Mädchen. Doch plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne. Richtete Auf, witterte und machte kehrt. Schneller als der Wind war er wieder im Dunkel verschwunden. Und plötzlich sah ich auch warum. Etwas näherte sich mir von der anderen Seite. Es waren die Tiere von der anderen Tür. Alle waren sie da. Ich lächelte. Freute mich darauf wieder mit ihnen zu spielen. Doch sie sahen mich nur alle sehr ernst an. Sie stellten sich in einer Reihe vor mir auf. Das Kaninchen ganz vorne. Es sah mir nicht in die Augen als es zu sprechen begann. „Ich werde gehen.“ Sagte es mit fester Stimme. „Du magst nett sein, und gewiss bist du auch nicht hässlich. Aber du nützt mir nicht. Du kannst mir nicht sagen wo das beste Graß wächst, noch in irgendeiner Art helfen. Ich gebe mich nicht mit Leuten ab, die mir nichts nützen.“ Für einen ganz kurzen Moment sah es mir in die Augen. Da war… nichts Kein bedauern. Nur Kälte. Das Kaninchen wand sich ab. Hinter ihm stand unsicher das Rehkitz. Als das Löwenkopfkaninchen einen Wink mit einem Löffel gab, senkte das Rehkitz das schöne Gesicht und folgte dem Kaninchen mit einem Letzten Blick auf mich. Ich sah Unsicherheit in seinen Augen und Ergebenheit. Dann folgte es dem Kaninchen. Widerstandslos. Beide verschwanden sie im Dunkel der Schatten. Der Luchs sah mich einfach nur überheblich an. Dann drehte er mir den Rücken zu und verschwand hinter den anderen beiden her. Die Ziege sah mich arrogant von oben her an. „Mit dir kann man nicht spielen!“ Meckerte sie. „Du stellst dich so an! Außerdem blamierst du mich!“ Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich konnte ja eigentlich nicht reagieren. Die Ziegen stand mir noch einige Momente gegenüber und starrte mich an. Dann hob sie die Nase hoch in die Luft und stolzierte dann arrogant davon. Der Bieber schlug heftig mit dem Schwanz auf den Boden. „Ich bin es leid das mir Leute sagen was ich zu tun und was zu lassen hab!“ Brüllte er. Ein weiteres Mal klatschte der breite Schwanz auf den Boden. Dann lief der Bieber schnell davon, den anderen hinterher. Von der Ferne hörte man noch einmal sein Pfeifen. Das Fohlen, das bis dahin verlegen von einem Huf auf den anderen getreten war riss den Kopf hoch. Als ob der Bieber seine einzige Rettung war galoppierte es davon. Ich sah ihm nach. Was war das hier? Es tat weh. Ich hatte sie doch alle gleich gemocht! Jetzt waren nur noch Hund und Perserkater übrig. Der Kleine Kater fauchte mich regelrecht an, das lange Fell wütend gesträubt. „Ich hab es genau gemerkt! Du wolltest die Freundschaft zwischen mir und dem Hund zerstören!“ Der Cockerspaniel blaffte mich an. Unfreundlich und rau. „Wir gehen! Lass dich ja nichtmehr bei uns blicken!“ Fauchte der Kater aufgebracht und sprang aus dem Lichtkreis. Der Hund blafft noch einmal, dann rannte er hinterher. Ich war wieder alleine. Alle waren weg. Und ich verstand einfach nicht warum! Ich hatte ihnen doch nichts getan! Ich war doch nett zu ihnen gewesen! Ich begann zu zittern. Als ich mich umdrehen wollte konnte ich es nicht. Das Mädchen stand hinter mir und hatte tröstend beide Arme um mich gelegt. Es schien so, als hätte sie schon die ganze Zeit so da gestanden. Warum hatte ich sie nicht gespürt? Warum hatte ich eigentlich noch überhaupt nichts gespürt? Keinen Wind, nicht die Sonne. Noch das Fell der Tiere. Einfach gar nichts. Das Mädchen strich mir über die Wange. „Du weinst…“ Stellte es leise fest. „Nimm dir die Dummen Viecher nicht so zu Herzen… Sie haben gar keine Ahnung, wie toll du wirklich bist…“ Flüsterte das Mädchen nahen meinem Ohr. Ich drückte mich an sie und versteckte mein Gesicht in ihrer Brust. „Die sind nur arrogant und widerlich. Die wollen dich doch nur ausnutzen! Du könntest ihnen nie trauen, egal was sie dir sagen…“ Flüsterte es weiter. Und langsam wurde ich ruhiger. Als ich den Kopf wieder hob und das Mädchen dankbar lächelnd ansah, fielen mir die Falten in ihrem Gesicht auf. Unnatürlich waren sie. Tief und scheußlich. Das Mädchen lächelte, als sie meinen Blick bemerkte. „Mach dir nichts draus, ich habe eine kleine Hautkrankheit, das geht wieder weg.“ Ihr Blick war sanft und ruhig. Beruhigend. Ich sah mich um. Wir waren nichtmehr im Dunklen. Das Mädchen musste mich fortgetragen haben. Nun standen wir in der Wüste. Über dem Sand flimmerte die Luft. Es musste sehr heiß sein. Das Mädchen stand da. Warum hatte es mich hier her geführt, wenn es nicht wusste wohin? Es schien meine Gedanken zu lesen, den in dem Moment meinte sie. „Interessant, wo du mich hingeführt hast. Was gibt es den hier zu sehen?“ Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte doch bis eben noch gedacht dass sie mich hier her geführt hatte… Das Mädchen seufzte. Und auf der nächsten Dünne bewegt sich etwas. Flink und schnell. Bevor ich das Mädchen darauf aufmerksam machen kann, ist das Wesen schon die dünne herunter geglitten. Es war ein Wüsten Fuchs. Mit großen Ohren und einer kleinen Nickelbrille auf der langen Schnauze. Er trug eine, mit Ornamenten verzierte Pumphose, ansonsten nichts. Seine klugen Augen mustern Das Mädchen neben mir aufmerksam. Dann wand er sich mir zu. „Gestatten, Kitsune. Meiste der Zeit.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Ich würde an ihrer Stelle etwas Abstand von ihr nehmen…“ meinte er leise zu mir, mit einem Seitenblick zu dem Mädchen. Ich sah ihn verwundet an. Warum sollte ich? Sie war doch die einzige, die zu mir hielt. Der Fuchs zuckte mit den Achseln. „Ihre Entscheidung. Es wäre bloß sicher besser für sie…“ Er schob sich mit der linken Pfote die Brille höher auf die Nase. Das Mädchen verzog den Mund. Plötzlich stand der Fuchs ganz nahe vor mir. „Mein Kind… weißt du… was Fächer sind?“ Er zauberte einen Fächer hinter seinem Rücken hervor. Ich nickte. Der Fächer faszinierte mich. Er ist groß und wunderschön. Kitsune legte den eleganten Kopf schief. „Ich glaube nicht…“ Er lächelt mich freundlich an. Fächer sind nicht nur dazu da, das man schön viel Luft bekommt… oder die Hitze verscheucht…“ Er lächelt spitzbübisch. „Viel besser… man kann sich dahinter verstecken!“ Er hält sich den Fächer vor das Gesicht, so dass nur noch seine großen Ohren Sichtbar sind. Dann senkt er den Fächer wieder ein Stückchen. Und seine Augen blitzten mich verspielt an. "Da gibt es doch schon so ein schönes Sprichwort mit Masken, nicht? 'Jeder Mesch trägt eine Maske' Weißt du, wo der Hacken ist? Masken sind verdammt unhandlich! Es kann ja sein, das du mehr als eine brauchst, nicht wahr? VIelleicht hast du gegenüber jedem Menschen eine andere... Und wo steckst du die dann hin? Dann musst du ja praktisch einen ganzen Sack voller Masken mit dir herum schleppen! Jeden Tag! Das ist doch anstrengend! Bei einem Fächer geht das leicht…“ Aus einer Umhängetasche, die ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte, zog Kitsune einen anderen Fächer. Zusammengefaltet und dünn. „Fächer passen überall hinein… man kann sie zusammen falten, das macht sie klein und handlich…“ Als er den Fächer öffnete, war er noch größer als der Andere zuvor. Schwarz und mit kleinen Goldenen Schmetterlingen verziert. Immer mehr Fächer zauberte der Fuchs aus seiner Tasche. Dabei sprach er unentwegt vor sich hin. Ich mochte den Fuchs. Er war lustig. Das Mädchen schnaubte genervt. Der Fuchs unterbrach seine Vorstellung und sah es mit zusammen gekniffenen Augen an. Dann sah er zu mir. „Fächer haben auch immer eine andere Gestalt…“ Murmelte er mir leise zu. „Je nachdem was gerade passt, vom Anlass her. Mal passt ein Schwarzer besser, dann ein roter. Vielleicht sogar einmal einer aus feiner Spitze. Aber wenn du willst, das der Fächer dich ganz versteckt… Dann brauchst du einen Fächer, der genau deine Form annimmt…“ Seine Augen wanderten zu dem Mädchen. Ich verstand nicht, was er mir sagen wollte… Er schien zu bemerken, dass ich ihn nicht verstand. Enttäuscht machte er einen Schritt zurück und begann mit den Fächern zu jonglieren. Ich weiß nicht, wie er es machte. Aber immer wenn die Fächer genau über ihm in der Luft standen, falteten sie sich auf. Plötzlich begannen sie zu taumeln. Wie Blätter, die im Wind nach unten segeln. Bloß fielen sie nicht. Sie schweben. Flogen. Verhüllen den Fuchs und umkreisten ihn wie große Schmetterlinge mit nur einem Flügel. Die Bewegungen machten mich schwindelig… Dabei hätte ich ewig zuschauen können. Ich spürte, wie ich müde wurde, betört von der Stimme des Fuchses. Langsam dämmerte ich weg, das Mädchen hielt mich fest, den Kopf abgewandt. Ihre Haare waren länger geworden… und dünner. Aber das bemerkte ich nur ganz am Rande. Ich sah den Fächern dabei zu, wie sie Kitsune immer weite einhüllten. Und dann davon flogen. Er machte einen Schritt auf mich zu. Und noch einen. Bis er ganz nahe vor mir stand. „Weißt du, was passiert, wenn einmal alle Fächer weg sind?“ Wisperte er geheimnisvoll. „Man fühlt sich nackt… Dabei ist man das reine selbst. Perfekt, um es so zu sagen..“ Er lächelte mich traurig an. Hinter ihm sah ich einen Schatten auf der Dünne stehen. Er hatte den Umriss des Wolfes. Ich glaubte ein Heulen zu hören. Dann legte der Fuchs mir eine seiner Pfoten über die Augen und ich schlief ein. Glücklich und fasziniert… Zufrieden. Kapitel 9: Das Mädchen im Glassarg ---------------------------------- Ich kann nichts tun als dich beklagen, Weil ich zu schwach zum Helfen bin. ~Emanuel Schickanede Diesmal bin ich freiwillig eingeschlafen. Zumindest nicht so heftig, wie die letzten Male… Und irgendwie bin ich froh drum. Als ich zu Träumen beginne schließe ich die Augen. Ich spüre meinen Körper. Sauge das Gefühl auf. Die Kälte, die immer noch in meinen Körper dringt. Diesmal etwas weiter den Arm herab. Ich spüre die Wärme, die um mich herum ist. Nicht in mir drinnen. Es ist kein Gefühl. Es ist echte wärme von draußen. Nichts was nur ich fühlen kann, weil ich es mir einbilde. Ich vertraue fest darauf, dass der Traum nicht so schlimm wird. Aber trotzdem habe ich Angst, die Augen zu öffnen. Angst vor dem weiß. Denn… der Ton ist noch da. Ich strecke langsam meine Beine. Wieder höre ich Stimmen, neben dem Pieps Ton. Aber… immer noch zu schwach um sie zu verstehen. Schließlich öffne ich vorsichtig die Augen. Über mir ist es weiß. Und unter mir ist etwas hartes, glattes. Kaltes Behutsam richte ich mich auf. Ich sehe mich um. Immer noch ist da dieses weiß. Doch… der Boden. Der Boden ist durchsichtig. Zeigt mir eine andere Welt. Der gläserne Boden zeigt mir ein schreckliches Bild. Unter mir liegt jemand. Wie Schneewittchen in einem Sarg. Ich weiß nicht, woher die Stimmen kommen, denn außer dem Mädchen kann ich nichts sehen. Ihre langen Haare fließen über das Schneeweiße Kissen. Von ihrem Gesicht ist nicht viel zu erkennen. Überall sind Schläuche, die von ihr weg führen. Pflaster. Nadeln stecken in ihrer Haut. Über ihr liegt eine Decke. ‚Kühldecke‘ steht auf ihr. Und augenblicklich wird mir eiskalt. Wer ist das Mädchen? Ich will ihr helfen. Sagen das alles gut wird. Aber ich kann nicht. Ich kratze an dem Glass unter meinen Füßen. Das Kreischen meiner Fingernägel vermischt sich mit dem Ton der elektrischen Geräte, an denen das Mädchen angeschlossen ist. Ich habe Angst um sie. Es tut mir weh sie so zu sehen! Dabei kenn ich sie gar nicht! Die Stimmen um mich herum klingen bedrohlich… Als würden sie von etwas furchtbaren sprechen. Aber ich kann niemanden sehen… nur das Mädchen. Ein Aufschrei erklingt. Ein heftiges Schluchzen. Ich schnappe panisch nach Luft. Ich ersticke! Ich kann nicht atmen! Ich greife nach meiner Kehle. HILFE!!!! Piep. Peep. Piep. Peep. Schwarz, schwarz, schwarz. Erdrückend schwarz. Kapitel 10: Was ist Freiheit? ~ eine Disskusion ----------------------------------------------- Nichts, das man tötet, ist jemals tot. ~ Peter Rudl Diesmal hatte der Affe alle Zeit der Welt, wie es schien. Als ich aufwachte saß er bereits unter dem Tisch und beobachtet mich sehr aufmerksam. Als ich schließlich die Augen öffnete, blinzelte und ihn ansah, legte er den Kopf schief. „Las dich von mir nicht stören…“ murmelte er und huschte zu der Wand. Der Rücken zu mir gedreht spielte er mit einer Pfote an seinem Ohrring herum. Als ihm dies zu langweilig wurde, versuchte er seine Taschenuhr zu öffnen, indem er sie auf seine Handfläche schlug. Vor der letzten Tür hatte er es sehr eilig gehabt… doch das schien auch nicht für immer zu gelten… Konnte mir aber auch egal sein, oder? Ich saß noch einige Zeit auf dem Boden und blickte hoch zu der Decke. Ich würde gerne wissen, ob die Träume mit allem, was hier passierte in irgendeiner Art und Weise in Verbindung standen. Oder wieso sonst hatte ich das Gefühl das Gesicht des Mädchens unter dem Glas schon einmal gesehen zu haben? Ohne dass ich das Gesicht richtig erkennen konnte, unter den vielen Schläuchen und dem Glas? Hatte ich es schon einmal gesehen? Irgendwo? Irgendwann? Oder war das nur Einbildung? Warum hatte ich mir dann solche Sorgen gemacht? Warum hatte ich ihr unbedingt helfen wollen? Wegen nichts ja auch nicht oder? Die Gedanken ermüdeten mich. Strengten mich an. Ich wollte schlafen. Einfach schlafen. Ohne Träume. Schlafen, bis ich aufwachte. Irgendwo, wo ich nicht wieder durch Türen schreiten musste. Irgendwo hin, wo es mir offenstand zu tun und zu lassen, was ich wollte. Ohne das mir irgendetwas vorgeschrieben wurde. Ich wollte nichtmehr eine Spielfigur in einem Spiel sein. Ich wollte das Spiel selbst erfinden. Und nicht warten, dass irgendwem irgendetwas einfiel, was ich machen könnte. Ich bekam Kopf weh. Am besten sollte ich aufstehen. Ich sah zu dem Tisch. Ob wieder Figuren dazu gekommen waren? Das aufstehen fiel mir schwer. So unendlich schwer. Und ich wusste nicht warum… Als ich endlich aufgestanden war, war mir unendlich schwindlig. Erst als ich einige Male geblinzelt hatte und mich nicht bewegt hatte konnte ich wieder klar sehen. Vorsichtig, um weiterem Schwindel vorzubeugen, ging ich zu dem kleinen Tischchen. Und so einiges hatte sich auf dem Schachbrett verändert. Das erste, was mir auffiel, war die Bärin. Sie stand nichtmehr vor der Figur des kleinen Mädchens, sie stand, fast wie abgedrängt in einer Ecke des Schachbretts. Auch nichtmehr auf den Hinterbeinen erhoben, sondern in sich zusammengesunken. Fast glaubte ich ihren leeren Blick auf mir zu spüren. Nun war das Mädchen ganz alleine an der Front. Hinter ihrer Figur, in ihrer Spur aber ganz am Rand des Schachfeldes, stand der Wüstenfuchs. Kitsune hatte einen Fächer elegant vor einen Schnauze gehalten und sah mit seinen Klugen Augen durch seine Brille hindurch auf das Mädchen. Diese drei Figuren waren die einzigen, die noch aus dem weißen Elfenbein waren. Inzwischen war das Schachbrett auch an allen Ecken und Enden kaputt. An den Seiten waren Stücke abgesplittert und wie tiefe Krater durchzogen Risse das Spielfeld. Nur noch eine einzige Reihe führte unbeschadet zu Mitte der anderen Seite. Und dort stand etwas. Oder… jemand. Aber ich konnte die Figur nicht wirklich erkennen. Immer wenn ich es versuchte verschwamm sie vor meinen Augen. Ich konnte nur erkenne, das sie wie ein General da stand. Ein General, der seine Soldaten in die Schlacht treibt. Und all die Tiere, die das letzte Mal noch so freundlich vor der Figur des weinenden Mädchens gestanden hatten, standen ihr jetzt gegenüber. Der Kater und der Luchs bleckten beide die Zähne, die akkurat aus dem Ebenholz heraus gefeilt waren, und sträubten das Fell angriffslustig. Das Fohlen hatte die Ohren angelegt und eine recht verzweifelte Körperhaltung angenommen. Die Ziege wiederum hatte, ohne Zweifel, die Hörner gesenkt, bereit los zu stürmen. Der Bieber hatte den flachen Schwanz zum Schlag bereit erhoben und das Maul mit den langen Vorderzähnen zum Biss geöffnet. Ein kalter Schauer kroch mir über den Rücken. Warum war die Bärin nicht da? Warum beschützte sie mich nichtmehr? War ich ihr den nichtmehr wichtig? Ich wollte plötzlich nichtmehr durch eine der Türen gehen. Ich fürchtete mich vor ihnen. Sie alle waren bedrohlich. Schienen größer als zuvor. Dabei war ich wieder ein ganzes Stück größer geworden! Ich wollte mir wärmend die Arme reiben, doch ich spürte nicht einmal meine eigene Berührung. Ich sah auf meine Hände. Sie waren mit wunderschönen, roten Handschuhen bestückt. An meinem Körper trug ich ein langes, wunderschönes rotes Kleid. Ich musste wirklich hübsch aussehen… auch mit den hochgesteckten Haaren… Hatte etwa der Affe mich so hergerichtet? Aber… irgendwie freute mich dieses Gefühl, das ich schön war überhaupt nicht. Nein. Es machte mir regelrecht Angst. Warum sollte ich so hübsch sein? Ich war es für die anderen Türen ja auch nicht gewesen! Mein Blick suchte die Tür, durch die ich als letztes gegangen war. Die Eisenschnörkel waren verrostet und verbogen, als hätte jemand mit dem Hammer darauf eingeschlagen. Auch wenn die andern Türen in ihrem Verfall viel hässlicher ausgesehen hatten, so machten sie mir nicht eine solche Angst. Ich wusste nicht wieso, aber alleine die Vorstellung diese ausgebleichte, knochenfahle Tür zu berühren erzeugte ein flaues Gefühl in meinem Magen. Der Affe sah mich ungerührt an. Dabei wusste ich ganz genau, dass er wusste wie es mir gerade erging. Ich sah ihm direkt in die schwarzen Augen, welche mir, das erste Mal, komplett Seelenlos erschienen. Oder, besser. Nicht Seelen los. Es war schwer zu sagen. Es schienen darin eher zu viele Seelen zu sein, als das man sie zählen könnte… Zu viele, um zu sagen, was er denken könnte. Zu viele, als das es Sinn machte, über seine Gedanken nach zu denken. Er sprang geschmeidig auf. „So. Vielleicht solltest du weiter. Sonst schaffen wir das heute nichtmehr.“ Meinte er Emotionslos. Als er mir die Pfote entgegenstreckte zog ich meine Hand weg und versteckte sie unter meinem Arm. Ich wollte das Tier nichtmehr berühren. Nie wieder! Der Affe verzog das Maul. Halb spöttisch, halb enttäuscht, wie mir schien. Er war nicht sonderlich gesprächig… Zwei Türen standen noch zur Auswahl. Die eine schmucklos, die andere mit wunderschönen Einsätzen. Das war das, was ich im Augenblick am meisten fürchtete. Das Schmucke es hatte mir bis jetzt noch nie etwas Gutes verheißen… Ohne den Affen an zusehen deutete ich auf die schmucklose Tür. Ich hörte wie der Affe den Schlüssel im Schloss umdrehte und ging mit geschlossenen Augen durch die Tür hindurch. „Fahre wohl…“ Hörte ich den Affen noch sagen. Und es klang endgültig. Wirklich endgültig. Sollte ich jetzt etwa sterben…? Aber ... irgendwie… war es mir schon fast egal… Ich wollte meine Augen gar nicht aufmachen. Wirklich nicht. Vielleicht schlief ich dann ein bevor irgendetwas passieren konnte... Ich hoffte es zumindest…. Ich lag einfach nur da und rühre mich nicht. Von irgendwo her kamen Stimmen. Leise und fern. Aber ich wollte gar nicht wissen woher… Da würde bloß etwas passieren. Und im Augenblick war ich nicht für Überraschungen zu haben. Wirklich nicht. Weder für positive noch negative. Das war mir im Augenblick wirklich schnauze. „Hey… lebst du noch?“ fragte mich eine inzwischen bekannte Stimme. Nun konnte ich nicht anders. Ich öffnete meine Augen und lächelte das Mädchen an. Das erste gut, das ich gesehen hatte, seit ich hinter der letzten Tür eingeschlafen war. Das Mädchen lächelte auch. Auch wenn ich mir nicht sicher war ob sie überhaupt noch ‚ein Mädchen‘ war. Und… ob sie überhaupt noch das Mädchen war, das ich ‚kennen gelernt hatte… Ihr Gesicht war eingefallen und faltig, ihre Haare waren glatt und hingen kraftlos von ihrem Kopf herab. Aber ihr Lächeln war gleich. Also musste es das Mädchen von damals sein… Zumindest vertraute ich komplett auf mein Gefühl. Sie streckte mir die Hand hin und als ich sie fasste zog sie mich hoch und in ihre Arme. „Ich hab dich vermisst…“ Flüsterte sie leise. Ich hätte gerne gesagt dass ich sie auch vermisst hatte. Dass ich mich freute sie zu sehen. Aber wie schon zuvor konnte ich einfach nicht. Aber… ich glaubte das sie das schon wusste, denn sie lächelte mich an. Wenn sie dabei war, dann konnte es hinter dieser Tür gar nicht so schlimm werde, oder? Optimismus packte mich. Und, wenn ich jetzt schon stand, dann konnte ich ja auch gleich zu den Stimmen gehen, oder? Sie wäre ja dabei. Sie würde mich beschützen. Ich sah mich um. Es war grau. Nicht wirklich unendlich grau… nicht wirklich. Es sah so aus, als ob es Wände gäbe. Einen Boden und eine Decke. Auch wenn in undefinierbarer Entfernung. Und von irgendwoher kamen immer noch die beiden Stimmen. Vorsichtig befreite ich mich aus den Armen des Mädchens und nahm sie bei der Hand. Dann ging ich in Richtung der Stimmen. „Schönes Kleid…“ Meinte das Mädchen zu mir. Ich lächelte es an. Es machte mich froh, ein Kompliment von jemandem zu hören, dem ich glauben konnte… Sie folgte mir und hielt meine Hand fest. Schließlich sah ich, wer da sprach. Es waren Schildkröten. Zwei Schildkröten. Die eine war klein. Wirklich klein. Eine Griechische Landschildkröte vielleicht… Die andere war dafür umso größer. Ich vermutete dass sie eine Galapagos Schildkröte war. Die beiden saßen in der Mitte eines Kreisrunden Theaters und diskutierten. „Wissen sie, ich finde, man kann es nicht definieren.“ „Ich finde nicht, dass sie Recht haben. Natürlich kann man es Definieren.“ „Wie, meinen sie, soll das funktionieren? Es versteht doch jeder etwas anderes darunter, nicht wahr?“ Meinte die kleine Schildkröte. „Da magst du zwar Recht haben, aber es muss gehen, Kame. In der Diskussion ist nichts unmöglich.“ Erwiderte die Große Schildkröte. „Ich versteh zum Beispiel darunter dass man selbst entscheiden kann, ohne von der Meinung eines anderen Abhängig zu sein.“ „Aber ist man ist das doch immer, mein geschätzter Tartaruga.“ Erwiderte Kame. „ Ein jeder ist immer davon abhängig ob die Anderen mögen, oder nicht. Da kann man nichts dagegen tun. Klar kann man versuchen es zu ignorieren, aber das würde nicht klappen. Zumindest nicht auf Dauer.“ Holte die kleine Schildkröte weiter aus. Kurze Zeit war es still. „Aber eigentlich ist man nicht davon abhängig. Man glaubt bloß, dass man anderen gefallen und sich anpassen muss. Dabei muss man es eben nicht. Man kann auch, ganz für sich seinen eigenen Weg gehen.“ Beharrte die große Schildkröte auf ihrem Standpunkt. Ich hörte ihnen zu. Mich interessierte, über was die beiden diskutierten. Also ließ ich mich auf einer der Stufen nieder und das Mädchen setzte sich nach kurzem Zögern zu mir. „Aber man ist von seiner Wirkung auf andere abhängig.“ Erwiderte Kame ruhig. „Wenn man eine eklige, widerliche Wirkung auf andere hat, würde keine von ihnen dir helfen, wenn es einmal nötig sein sollte. Alles in allem müsste man den Begriff dann doch etwas auffächern. Und dann versuchen die einzelnen Aspekte treffend zu definieren.“ Tartaruga wog den Kopf auf dem faltigen Hals hin und her. „Aufteilen sagen sie… Das wäre durchaus eine Option…“ Wieder eine Minute des Schweigens im Theater. Dann begann Tartaruga zu nicken. Begeistert zu nicken. „Ihr Vorschlag ist eine grandiose Idee, mein lieber Kame! Ich hätte da eine mögliche Auffächerung: einmal würde ich es in die Politische, dann die Körperliche und zu guter Letzt in die Geistige Freiheit unterteilen.“ Kame überlegte einen Augenblick und nickte dann gemütlich und weise. „So lassen sie es uns noch einmal von vorne beginnen… davor würde ich sie aber um eine Zusammenfassung unserer vorher durchgeführten Diskussion bitten.“ Ich beugte mich vor um sie besser zu verstehen. Das war also der Diskussionsgrund… Freiheit… Tartaruga nickte gelassen. „Wenn ich uns noch richtig folgen konnte, so waren zu einem Punkt gelangt, an dem wir uns darauf einigten das es keine Freiheit geben kann, wie sie von vielen gewünscht wird. Dass es keine ‚absolute Freiheit‘ geben kann. Absolute Freiheit würde alle Grenzen und Gesetze vernichten und nichts mehr zurücklassen als pure Anarchie. Aber auch in dieser Anarchie gäbe es dann wieder eine gewisse Gruppen Bildung. Und in jeder Gruppe gibt es einen, der sie anführt. Und es gibt gewisse Regeln. Also befände man sich wieder nicht in der ‚absoluten Freiheit‘ sondern wäre erneut eingeschränkt.“ „Wir könnten uns auch einmal von der genau entgegengesetzten Richtung an das Thema nähern.“ Schlug Kame vor. „Die absolute Unfreiheit definieren.“ Die Schildkröten vor meinen Augen verschwammen langsam. Schlief ich wieder ein? Tartaruga nickte. „Meiner Definition nach wäre Absolute Unfreiheit, das man sich nicht bewegen kann und kein Recht auf Wahlen und ähnliches hat.“ Die Schildkröten verschwammen immer mehr. Wurden immer schwerer auszumachen, vor dem grauen Hintergrund. Ich sah hilflos zu dem Mädchen neben mir. Selbst es verschwamm vor meinen Augen. Trotzdem glaubte ich das sie erneut gealtert war. Oder war sie einfach… hässlich geworden, die ganze Zeit über? Und nicht gealtert? Aber sie sah nicht zu mir. Sie starrte auf die Schildkröten. Das Theater konnte ich vor dem grauen Hintergrund schon nichtmehr ausmachen. „Lass mich in dem Fall kurz auf die Auffächerung von Freiheit zurückgreifen, die wir vorher beschlossen haben. Definiert man Geistige Freiheit jetzt so, dass man denken darf was man will, wäre das als was sie eben als die ‚absolute Unfreiheit‘ definiert haben, nichts weiter als die absolute Unfreiheit im politischen und körperlichen Aspekt. Aber nicht im geistigen.“ Tartaruga schüttelte Zweifelnd den Kopf. „Ist es nicht die schlimmste Qual für jedes Lebewesen nur in seinem Geist gefangen zu sein? Man könnte seine Gedanken, im Geiste ausformuliert, ja nicht aussprechen. Denn mit ziemlicher Sicherheit wären sie auch kritisch gegenüber der Politik die dich unterdrück, womit sie sofort unter die Zensur der Politischen Freiheit fällt. Wäre es nicht schrecklich nur denken zu können, aber mehr nicht?“ Der kleine Fleck, der sich minimal von dem Grauenhintergrund abhob schien sich zu bewegen. Nickte Kame? Wahrscheinlich. Schließlich verschwand die Flecken der beiden Schildkröten ganz und es wurde mir schwarz vor den Augen. Aber ich blieb wach. Was war das?! Plötzlich hörte ich ein rascheln neben mir. „Komm, steh auf.“ Sagte das Mädchen. Ich folgte ihr. Vielleicht konnte sie mir helfen! Sie zog mich hinter ihr her, ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie meine Hand genommen hatte. Natürlich nicht. Ganzlangsam wurden die Stimmen der Schildkröten immer leiser. Ich hörte Tartarugas Stimme leise verklingen. „Ich bin dafür das die Freiheit lediglich eine Illusion in den Köpfen der Lebewesen ist, die sie davor bewahrt durch den Umstand des von allem abhängig zu sein nicht verrückt zu werden…“ Dann war es still. Wo waren die Schildkröten? Und warum waren ihre Stimmen verschwunden? „Sie gehen weg…“ Murmelte das Mädchen leise. Ich wollte ihre Stimmen weiter hören! Ich begann zu laufen und das Mädchen lief neben mir her, wie ich an ihren Schritten hörte. „Wir können sie nicht einholen…“ wisperte sie leise. „Sie sind zu schnell. Sie rennen so schnell…“ Ich blieb stehen. Warum taten sie das?!? „Nicht weinen…“ Die Stimme des Mädchens klang sanft. „Setz dich hin.“ Und auf einmal kalt. Kalt und hart. „Ein sehr schönes Kleid hast du da an….“ Klirrte ihr Stimme. „Die Farbe gefällt mir… weißt du, ich liebe rot!“ Sie machte mir plötzlich Angst. Ganz furchtbare Angst. Warum tat sie das!? Ich versuchte von ihr weg zu kommen. Robbte davon. Schwerfällig. Ich konnte nicht sehen wo sie war! Und plötzlich… Plötzlich bewegte sie sich lautlos! Dann ist ihre Stimme auf einmal über mir. „Du hast es doch nicht anders gewollt…“ flüstert sie belustigt. Ich spüre das Messer. Kalt bohrt sich der Stahl scharf in meinen Rücken. Ich spüre den Unglaublichen Schmerz. Und ich höre. Ein grausames, lautes Heulen. Meinen lauten, gellenden Schrei. Kapitel 11: Mein Tod -------------------- Der Tod hat viele Gesichter ~GG Fickling Ich schreie. Schreie und schreie. Die Augen fest zusammengepresst. Was macht es für einen Unterschied!? Ich bin sowie so blind… und da kann nur schwärze sein. Nach dem Tot kommt nichts. Nur schwärze. Und ich kann schreien. Das ist alles was zählt, im Augenblick. In meinem letzten Augenblick. „Hör auf so zu schreien.“ Höre ich eine Stimme hinter mir. Ich öffnete die Augen. Der Schrei blieb mir im Hals stecken. Da war ein Schachbrett. Auf eine runden Decke gepflastert. Aus der Ranken herauswuchsen. Ich keuchte. Laut war das Echo zu hören. Ich hörte mich. Ich konnte mich wirklich hören! Und ich konnte fühlen. Das harte, kalte Holz unter meinem Rücken… Ich krallte mich fest. Sah immer noch das Mädchen vor meinen Augen. Dabei hätte ich es gar nicht sehen können! Ich war doch blind, als sie sich über mich beugte, das Messer in der Hand. Als sie zustach. Ich zitterte. Plötzlich fühlte ich eine Hand auf meinem Arm. Als ich den Kopf wandte sah ich das Gesicht des Affen vor mir. Das Gesicht, das ich nie wieder hatte sehen wollen… Aber ich sah es. Ich konnte es wirklich, richtig echt sehen. Das war im Augenblick alles was zählte… Durch die Wärme in der Pfote brach etwas in mir und ich begann hemmungslos zu Schluchzen. Der Affe tat etwas, was ich nie von ihm erwartet hätte. Etwas, was mich fast noch mehr außer Fassung brachte, als die Tatsache dass ich noch lebte. Nicht tot war. Dass ich mich schreien hören konnte und schluchzen. Sehen und fühlen. Der Affe nahm meinen Kopf in beide Hände und strich mir sanft über die Stirn. Nach einiger Zeit stoppte er. „Meinst du nicht, dass es reicht? Mit dem weinen?“ Er ließ meinen Kopf los und setzte sich neben mich. „Ich hatte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass wir uns wieder sehen…“ Er legte verwundert den Kopf schief. „Aber offensichtlich sollte es so sein. Nun denn… es ist nicht oft so, dass mir so etwas passiert. Mich wundert auch dass du deine Stimme zurück gewonnen hast. Das du zumindest schreien kannst. Selbst das ist den wenigsten gelungen, die Je hier waren… Aber die meisten sind ja auch nicht wieder gekommen, nach der letzten Tür. Nun würde mich schon interessieren, was geschehen ist…“ Seine Augen wanderten zu dem Tisch in der Mitte. Ich richtete mich auf. Mühsam und schwach schleppte ich mich zu dem Tischchen. Das Schachbrett war zerfallen. Der Fuchs und die Bärin standen verlassen auf einzelnen, weißen Inseln, nicht mehr mit dem Rest des Brettes verbunden. Die Bärin brüllte. Wie von in Wahnsinnigen Schmerzen gebeutelt. Die Schwarze, undeutliche Figur war bis nach vorne zu dem Mädchen gerückt, hinter ihr die Tiere in einer geschlossenen Reihe. Unverändert aggressiv. Ich wollte das Elfenbeinmädchen nicht ansehen. Wollte nicht sehen was mit ihr geschah. Aber ich konnte nicht anders. Mein Blick wurde von dem fein modulierten Körper regelrecht magnetisch angezogen. Da saß es. Zusammen gekauert. Den Kopf nach vorne gestreckt. Wie zu seiner Hinrichtung. Ohne sich zu wehren. Jetzt konnte ich auch die andere Figur erkennen. Ganz genau. Viel zu genau…. Es war das Mädchen. Meine Mörderin. Ich schlug mir die Hände vor den Mund, wollte wegsehen. Die Augen schließen. Aber ich konnte meinen Blick nicht von der schwarzen Gestalt abwenden, die vor dem Mädchen stand. Ihre Haare waren widerlich verfilzt, das Gesicht zerfurcht und faltig. Breitbeinig stand sie da. Das Kleid wehte wie flatternd in von ihrem Körper. Zerfetzt und rissig. Ein großes Messer hoch erhoben, bereit zum zustoßen. Die Augen vergnügt blitzend, den Mund zu einem bestialischen Grinsen verzogen. Und dann sah ich ihn. Den Wolf. Sein Körper war aus dem reinsten Elfenbein, das ich je gesehen hatte. Im Sprung war sein Körper modelliert worden. Schwebte regelrecht über den Sockel. Er setzte zum Sprung über die Figur des weißen Mädchens hinweg an, stürzte sich mit gebleckten Zähnen auf die widerliche Figur des schwarzen Mädchens. Fast glaubte ich sein lautes, wütendes Knurren im Angriff zu hören. „So etwas habe ich noch nie gesehen…“ Murmelte der Totenkopfaffe fasziniert. Mit seinem langen Finger berührte er den Wolf. Und strich vorsichtig über die hübsche Figur. „Den hab nicht mal ich gekannt…“ Murmelte er leise. „Du erstaunst mich doch immer wieder.“ Meinte er und sah mich mit seinen seltsamen, Augen an. Sein Maul verzog sich zu einem Lächeln. „Sowas ist mir noch nicht oft passiert, und ich habe schon viele Spiele gesehen…“ „Was sollen das denn bitte für Spiele sein?!“ Meine Stimme stand lange alleine im Raum. Alleine und fast schon panisch. Der Affe strich sich mit einer Hand durch das Kopf Fell, nachdem er seinen Hut abgenommen hatte, und sah mich erstaunt an. „Ich habe nicht geglaubt, das du je wieder sprechen würdest… Das Spiel… was genau passiert weiß ich da auch nicht. Ich bin praktisch bloß der Moderator. Ansonsten habe ich nicht viel damit zu tun. Ich bring dich durch die Tür und das war’s auch schon. Das Spiel selbst ist etwas, das schon geschehen. Du warst schon mal der Teil eines Spiels… nur warst du dir darüber nicht im Klaren…“ Murmelte der Affe geheimnisvoll. Ich wich zurück. Vom Tisch, dem Schachbrett und dem Affen. Vor meinen Augen erschien das Bild des Mädchens hinter dem Glas. Das Mädchen, das mir so vertraut vorgekommen war… Ich prallte hart mit meinem Rücken gegen die Wand. Auf einmal hatte ich Angst. „Wo bin ich….? Wer oder was bist du?!“ Der Affe seufzte und zwirbelte seinen langen, pelzigen Schwanz in den Fingern. „Du bist in der Vorhalle zu einem Spiel. Praktisch in der Rezeption. Das du noch hier bist, beweist das du es nicht geschafft hast das Spiel zu beenden. Oder das du es eben doch geschafft hast. Das musst du selbst mit dir ausmachen. Wenn es dir gefällt, dann kannst du gerne hier bleiben…“ Er legte den Kopf schief und seine Augen bohrten sich in mein Fleisch. Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht hier bleiben! „Wenn du das allerdings nicht willst, so bleibt dir nichts anderes übrig als in das Spiel zurück zu kehren… aber es wird ein anderes Spiel sein. Ohne Vorhalle und ohne Pause. Vielleicht auch nicht ganz so angsteinflößend und schnell…“ Ich zögerte. Vom Regen in die Traufe, nicht wahr? Aber ich wollte nicht auf ewig hier bleiben! Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern. Der Affe grinste gehässig. „Ich hab nicht ewig Zeit. Nur ein neben Bemerk… Wenn du durch die nächste Tür gehen wirst, wirst du schlafen können, ohne zu träumen. Wirst schöne Träume haben…“ Er öffnete die letzte Tür, die noch im Raum war, leicht und verführerisch.„Das ist alles deine Entscheidung. War es auch. Und ich entschied mich für die letzte Tür. Trotz meinem erneuten grauen vor dem Affen nickte ich ihm freundlich zu. Ein ‚Danke‘ brachte ich dann doch nicht über meine Lippen. Der Affe grinste zurück. „So wünsch ich dir eine gute Reise und das das Spiel dir etwas beigebracht hat…“ Meinte das Äffchen grinsend. „Zu deiner Frage, wer ich bin…“ Wisperte er, als ich schon fast durch die Tür getreten war. „Ich bin der Tod… Fahre Wohl…“ Ich drehe mich in der Tür herum. Sehe ihn an. Meinen Tod. Den kleinen Affen in den Stiefeln und der Dandy Weste mit der Taschenuhr. Mit der gesamten Aufmachung, die so nach Zirkusdirektor aussah. Mit dem Spazierstock, auf dessen Knauf ein Menschenherz abgebildet war. Den Dreispitz hatte er abgenommen und vor die Brust gehalten. Im immer heftig aufkommenden Nebel verschwamm seine Gestalt als er eine Verbeugung andeutete. Hinter ihm standen, in riesigen Schemen, der Wolf und die Bärin, die mir beide ihre Tatzen entgegenstreckten. Immer weiter verschwamm der Affe, bis nur noch sein Gesicht als Totenkopf sichtbar war. Ein Keckerndes Lachen erklang. Und dann wurde es wieder Schwarz um mich. Tief schwarz. Kapitel 12: Auferstehung nach dem Seelenmord... ----------------------------------------------- Nichts ist gefährlicher und seelenmordender als die beständige Beschäftigung mit dem eigenen Wesen und Ergehen, der eigenen einsamen Unzufriedenheit und Schwäche. ~ Hermann Hesse, Der Weltverbesserer Gedanken verloren rühre ich in meinem Cappuccino. Der ist inzwischen auch wieder kalt. Wie immer, eigentlich. Vor mir liegt das Bild, an dem ich seit drei Monaten arbeite. Ich bin immer noch nicht zufrieden… Irgendetwas passte einfach nicht. Mal ist die Perspektive des Schachbrettes falsch, dann sieht die Bärin zu wütend aus. Oder der Affe zu albern. Mein Handy brummt. ‚treffen wir uns heute? So gegen acht bei mir? ;)‘ Ich lächle. ‚klar, bin pünktlich! :*‘ Tippe ich schnell zurück und lasse das Handy in meine Tasche gleiten. Dann mache ich das Licht über meinem Schreibtisch aus und gehe in den Gang. ‚Bin bei Tom‘ schmiere ich auf einen Zettel und Pinne ihn mit einem Magneten an den Kühlschrank. Das hab ich mit meiner Mama so ausgemacht, seit ich damals aus der Klinik rausgekommen bin. Aber trotzdem macht sie sich immer Sorgen um mich, wenn ich ohne sie das Haus verlasse. Ich habe sehr viel Glück gehabt, damals. Dass ich überlebt habe. Später habe ich erfahren dass Tom es war, der mich gefunden hat. Eigentlich wollte er mir zum Geburtstag gratulieren. Als er geklopft hat, hat meine Mutter ihn reingelassen. Und als er den Knall von meinem Stuhl gehört hat, hat er mich gefunden. Wahrscheinlich hab ich nur dank ihm überlebt… Ich müsste ihn, wahrscheinlich, dafür hassen. Das ich wegen ihm so lange im Koma lag. Aber am Ende hatte es doch fast nur positives, nicht wahr? Er hat mir später erzählt, wie viel Mut es für ihn gebraut hat um zu mir zu kommen und mir zu gratulieren. Das er schon viel zu lange zu viel Angst davor gehabt hatte und sich nicht überwinden konnte. Das er einfach zu scheu war um direkt auf andere Leute zuzugehen… Aber in dem Moment… hatte er irgendwie den Mut gehabt. Seit damals bin ich nicht mehr so alleine, will es auch nichtmehr sein. Sich nur mit sich selbst beschäftigen ist schrecklich, auf Dauer. Es macht einen regelrecht verrückt. Ich versuche mir nur noch ganz wenig Gedanken über meine Probleme zu machen und nichtmehr in Selbstmittleid zu versinken wie früher. Schon bizarr was ich alles gebraucht habe um zu kapieren das das auf die Dauer nicht gut für meine Psyche ist… Das es dazu erst soweit kommen musste. Ich schnappe mir den Haustürschlüssel und lege mir einen Schal um den Hals, das man die Narben von dem Seil nicht sehen kann. Ich weiß nicht, vielleicht hatte das ganze auch seinen Vorteil… Ich meine, wer weiß schon wie der Tod aussieht? Und der depressive Teil des eigenen Geistes…? Das der Tod, zumindest meiner, ein kleiner Totenkopfaffe ist? Ich lasse die Tür laut hinter mir zufallen und stapfe los, zu meinem Wolf, der mich gerettet hat. Kurz bevor es zu spät war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)