Mugen Tsukuyomi – Träume sind Schäume von Rabenkralle ================================================================================ 10. Shikamaru suchte die Menge nach Kankurou ab. Natürlich glänzte er mit Abwesenheit, also blieb die Verantwortung an ihm hängen. So gern er Temari ihrem Schicksal überlassen hätte – mit ihrem Auftreten hatte sie so eine Reaktion geradezu provoziert –, war sie in diesem Augenblick eine im Ansatz hilflose Frau. Und eine Frau, die nicht den Hauch einer Chance gegen eine Überzahl hatte, ignorierte er nicht. Mit zusammengebissenen Zähnen und einer Wutfalte auf der Stirn stapfte er zur Tanzfläche und bahnte sich mit den Ellenbogen gnadenlos eine Schneise durch die tanzenden Leute. Er stieß den Kerl, der Temari „Baby“ genannt hatte, zur Seite und wurde Zeuge, wie einer der Typen sie am Hintern begrapschte. Sie schien es nicht zu bemerken, doch ihn ließ diese Aktion endgültig rot sehen. Shikamaru packte den Mann am Handgelenk. Seine Rechte ballte sich automatisch zur Faust und bevor ihm bewusst war, was er tat, hatte er dem Grapscher einen Kinnhaken verpasst. Die Wucht des Schlages streckte diesen zu Boden. Seine Fingerknöchel pochten, aber das Adrenalin verpasste ihm ein seltenes Hochgefühl.Er schüttelte seine Hand kurz aus und blitzte herausfordernd die übrigen Männer an. „Traut sich noch jemand, sie anzufassen?“, fragte er angriffslustig. Die Typen starrten ihn nur an. Keinem schien noch der Sinn danach zu stehen, Temari bedrängen zu wollen. Shikamaru nahm jeden einzelnen in Augenschein, dann schloss er: „Dann verpisst euch gefälligst und schlagt eure Zelte woanders auf!“ Er wartete nicht, dass die Typen seiner Aufforderung nachkamen, sondern nahm Temari am Arm. Er zog sie von der Tanzfläche und aus dem Festsaal und ließ sie erst im Flur wieder los. „Ich wusste gar nicht, dass du so schlagfertig sein kannst“, sagte sie imponiert. Er zuckte die Achseln. Das Hochgefühl verpuffte jäh und er hatte seinen Soll erledigt, also musste er sich nicht länger mit ihr befassen. „Zieh dir was Richtiges an“, sagte er gleichgültig, dann drehte er sich um und schlenderte Richtung Ausgang. Zur Not warf er eine Fensterscheibe ein, um ins Haus zu kommen, aber mit seiner Mutter schlug er sich an diesem Abend nicht mehr herum. Temari legte ihm eine Hand auf die Schulter und er blieb stehen. „Danke“, sagte sie. Er nickte, dann ging er weiter. Noch bevor er den Saal passiert hatte, schloss sie zu ihm auf. „Warte!“ Er hielt inne und warf ihr einen desinteressierten Blick zu. „Ich hab mich heute ziemlich danebenbenommen, oder?“ Seine rechte Augenbraue zuckte nach oben. „Wie kommst du nur auf die Idee?“, fragte er sarkastisch. Sie atmete tief ein. „Ich weiß, dieses Spielchen mit deiner Mutter war bescheuert –“ „Bescheuerter geht’s nicht“, pflichtete er ihr bei. Sie biss sich auf die Unterlippe, verkniff sich einen genervten Kommentar und fuhr fort: „Und natürlich bist du mir zu nichts verpflichtet, also –“ „Gibst du mir das schriftlich?“, unterbrach er sie. Ihre Augen funkelten ihn missgestimmt an. „Ich versuche, mich gerade bei dir zu entschuldigen!“, fuhr sie ihn an. Er musterte sie gleichgültig. „Und wofür?“ Sie schürzte die Lippen und seufzte. „Falls dir was einfällt, womit ich es wieder gutmachen könnte …“ Sie zuckte die Achseln und angelte ihre Jacke von der Garderobe. Shikamaru, der höchst erstaunt von ihrem plötzlichen Sinneswechsel war, starrte auf ihren Rücken. Und auf einmal war es, als würde sich ein Schalter in seinem Kopf umlegen. Mit der Verrückten in ihr hatte er abgeschlossen, aber … „Temari?“ Sie wandte sich zu ihm um – und ihr aufrichtig deprimierter Gesichtsausdruck verleitete ihn dazu, etwas Unüberlegtes zu tun. --- Obwohl sie schweigend nebeneinander durch den Regen spazierten, konnte Hinata ihr Glück kaum fassen. Naruto hielt den Schirm wie ein Gentleman über sie und es schien ihm nichts auszumachen, dass sein rechter Arm, der nicht unter dem Schutz verborgen war, nass wurde. Aus den Augenwinkeln lugte sie zu ihm herüber. Sie wollte etwas sagen, ihn dazu auffordern, näher an sie heranzukommen, damit er ganz im Trockenen war, doch sie wollte diesen wunderbaren Moment nicht zerstören, indem sie den Mund aufmachte und Unsinn stammelte. Bei dem Gedanken stieg ihr das Blut noch mehr ins Gesicht. Am liebsten wäre sie vor Verlegenheit schreiend davongelaufen, aber das Selbstbewusstsein, das sie sich an diesem Abend zugelegt hatte, war noch nicht aufgebraucht, sodass sie dem Drang standhalten konnte. Sie bemerkte, wie er sie musterte. Unsicher wollte sie zur Seite schauen, doch dann schenkte er ihr ein Lächeln und nahm ihre Hand. Hinata war froh, dass es dunkel war und der Schatten des Regenschirmes sie vom Licht der Straßenlaternen abschirmte, sodass er nicht erkennen konnte, wie verlegen er sie damit machte. Sie lenkte ihren Blick auf den Asphalt des Weges und gab sich ihrer Fantasie hin. Ein seliges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Sie wusste nicht, wann und warum sie auf der Preisverleihung einschlafen war, aber Fakt war, dass sie in ihrem Traum mit Naruto Hand in Hand durch den Regen ging. Der Regen, der unaufhörlich auf Konoha einprasselte und ihre Fantasie auf wunderbare Weise akustisch untermalte. Bewusst spürte sie die Wärme seiner Hand, versank noch tiefer in ihrer Gewissheit, dass sie nur träumte, als plötzlich ein dunkler Schemen vor ihr auftauchte. Naruto zog sie sanft aber bestimmt zur Seite und in seine Arme, doch Hinata hatte nur Augen für die wütende Person, die sie fast umgerannt hätte. Ino stapfte mit einer dämonischen Grimasse den Weg entlang. Ihre Kameradin murmelte Flüche, die sie nicht verstand, dann verschwand sie wieder aus ihrem Blickfeld und in die Dunkelheit. Perplex starrte Hinata ihr nach – und ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie sich nicht in einem Traum befand. --- Temari drehte sich zu ihm um. Seine Augen lagen nur kurz auf ihren, aber er erkannte, dass sie den durchgeknallten Teil ihres Ichs zurück in seine Zelle gesperrt hatte. Dasselbe galt für sein Widerstreben, ihr auf irgendeine Weise noch einmal zu nahe zu kommen. Ohne ein Zögern ging er zu ihr, drückte sie bestimmt an die nächste Wand und küsste sie. Einen Moment lang stand sie reglos da, dann erwiderte sie seinen Kuss und verschränkte ihre Arme in seinem Nacken. Seine Hände fuhren ihre Taille hinab zu ihrer Hüfte. Er machte die offenstehende Tür zu ihrer Linken auf, führte Temari dorthin, ohne von ihr abzulassen. Der Raum war leer und das verlassene Sofa lud ihn regelrecht dazu ein, zu wiederholen, was sie schon einmal dort getan hatten. Außerdem hatte sie ihn gleich zweimal für ihre Zwecke benutzt, also war es nur fair, wenn er es genauso tat. Ein Fünkchen in Shikamarus Verstand blitzte auf, doch er erstickte ihn auf der Stelle. So egoistische Scheiße war nicht seine Art, aber heute, am Abend der Dummheiten, kam es auf eine mehr nicht an. --- Die Tür war gerade hinter den beiden ins Schloss gefallen, als Ino wutschnaubend in den Eingangsbereich stürmte. Sie hinterließ bei jedem Schritt Pfützen auf dem Steinboden und ihr Kleid klebte an ihr wie eine zweite Haut. Sie stiefelte zur Garderobe und versuchte in dem Gewirr Shikamarus Jacke auszumachen, die ihr als Handtuch gute Dienste leisten konnte, doch sie fand sie nicht. Zitternd rieb sie sich mit den Händen über die Oberarme, dann stakste sie in Richtung Personalgarderobe. Als sie am Festsaal vorbei kam, erhaschte sie einen Blick auf Yoshino. Die Kälte in ihrem Körper verschwand, um einem seligen Gefühl der Rache Platz zu machen. Es erwärmte sie wie ein Kaminfeuer, zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen. Sie konnte es kaum erwarten, ihr von den Treiben ihres Sohnes zu berichten. Und im Anschluss würde sie Kankurou aufsuchen und genüsslich dabei zusehen, wie er Shikamaru in seine Einzelteile zerlegte. Mit diesen Gedanken betrat Ino die Garderobe, peilte den großen Schrank an und holte ein paar Duschtücher heraus. Ihre Rache musste noch ein wenig warten, aber bis dahin würde sie den süßen Geschmack der Vorfreude darauf voll auskosten. --- Kiba schlug den Müllcontainer im Hinterhof zu. „Wo ist das verdammte Ding?“ Tenten, die ihn beobachtete, legte die Stirn in Falten. Sie konnte kaum glauben, dass er tatsächlich den Abfall durchwühlte, um einen Preis an sich zu nehmen, der nicht für ihn bestimmt war. „Du hast doch gesehen, wie er ihn hier hinein geworfen hat, oder?“, fragte er forsch. „Ich habe gesehen, dass Shikamaru durch diese Tür ist und kurz darauf ohne die Auszeichnung wieder herein kam.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, legte den Kopf schief und bemerkte spitz: „Aber zuhören war ja noch nie deine Stärke.“ Kiba knurrte, was ihn erst recht wie ein Hund wirken ließ und fixierte sie bedrohlich. „Warum mach ich diesen Scheiß überhaupt? Warum gibst du mir meinen Preis nicht einfach wieder?“ „Weil du ihn mir überlassen hast und er rechtmäßig mir gehört“, sagte sie und warf ihm ein verschlagenes Lächeln zu. „Oder möchtest du den Titel des unrealistischen Traums wirklich wieder haben?“ Seine Gesichtszüge entglitten und er schüttelte sich angewidert. „Bloß nicht.“ „Und möchtest du dir den Preis eines anderen heimlich aus dem Müll fischen und dich wie ein Dieb nach Hause schleichen?“ Irritiert blinzelte er sie an. „Was soll die Fragerei?“ „Willst du das“, fuhr sie unbeirrt fort, „oder möchtest du erhobenen Hauptes vor allen Leuten stehen, die neidisch auf dich sind, weil sie denken, dass du gleich zwei Preise abgesahnt hast?“ Mürrisch schürzte er die Unterlippe. „Wenn du ’nen Plan hast, spuck ihn aus.“ Sie klatschte in die Hände und stellte das unverschämteste Grinsen zur Schau, das Kiba je gesehen hatte. Ihm war alles gleich, solange er zu einer ehrenhafteren Auszeichnung kam als die, die er dieser gerissenen Kunoichi überlassen hatte. --- „Stimmt etwas nicht?“ Narutos Stimme holte sie aus ihrer Gedankenwelt. „Hmm“, murmelte Hinata. „Ich mache mir Sorgen wegen Ino. Meinst du, wir sollten ihr nach und fragen, was los ist?“ „Ich glaube, sie kommt allein zurecht“, erwiderte er und sein Atem machte ihr bewusst, wie nah sich seine Lippen an ihrem Ohr befinden musste. In ihren Inneren zog sich alles vor Entzückung zusammen und sie glaubte, eine Ohnmacht drohe, über sie zu kommen. Sie schnappte nach Luft, behielt die Fassung und rang sich ein „Du hast Recht“ ab. Er legte ihr daraufhin einen Arm um die Schulter und flüsterte: „Heute Abend zählen nur wir beide.“ Hinata versuchte, das Glücksgefühl, das sie hatte, seitdem er sie zu einem Spaziergang aufgefordert hatte, aufrecht zu erhalten, doch es löste sich in nichts auf. So gern sie daran geglaubt und es weiter festgehalten hätte: Irgendetwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht. --- Ino betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Ihr wasserfestes Make-up zahlte sich aus und das Kleid, das sie in einem Spind gefunden hatte, passte ihr wie angegossen. Sie verließ die Umkleide und hielt auf den Festsaal zu. Tenten und Kiba, die nahe der Hintertür herumlungerten, nahm sie nur am Rande wahr. Falls die beiden etwas am Laufen hatten, würde sie es früher oder später herausfinden, aber in diesem Moment lag ihr Interesse woanders. Ino hechtete in den Festsaal. Sie machte Shikamarus Mutter an einem Tisch aus, ließ in Vorfreude ihre Fingerknöchel knacken und bahnte sich entschlossen einen Weg durch die Menge. Sie lächelte. Ihr Rachefeldzug konnte beginnen. --- Hinata löste sich aus dem Griff ihres Begleiters und blieb stehen. Naruto hielt inne und blickte sie verwundert an. „Stimmt etwas nicht?“, fragte er und erneut warf er ihr dieses Lächeln entgegen. Diesmal erwärmte sie es nicht, sondern es machte sie wütend. Sie zog die Augenbrauen zusammen und trat einen Schritt zurück. „Wer bist du?“ Ihr Gegenüber lächelte weiterhin und trat auf sie zu. Abermals wich sie zurück. „Ich bins, Naruto“, sagte er. „Erkennst du mich denn nicht?“ Sie wollte seinen Worten so gern Glauben schenken, doch sie wusste es besser. „Du bist nicht der Naruto, den ich so mag“, gab sie entschlossen zurück. „Der Naruto, den ich liebe, ist ein ungeschickter Dummkopf und kein perfekter Gentleman.“ „Ich liebe dich auch, Hinata“, erwiderte er und setzte sich in Bewegung. Er verzog keine Miene, als wäre er sich keiner Schuld bewusst und das war es, was sie erst recht wütend machte. Was bildete sich dieser Fremde ein? Dass er nur sein Äußeres ändern musste und sie so dumm war, dass sie seine Maskerade nicht durchschaute? Sie biss die Zähne zusammen und als er sie fast erreicht hatte, ballte sie die Hand zur Faust und holte aus. Sie traf Fake-Naruto am Kinn, seine Augen weiteten sich, dann flog er rückwärts. Bevor er auf dem nassen Asphalt aufkam, verhüllte ihn eine Rauchwolke. Hinata hörte ein Krachen, hechtete nach vorn und blinzelte ungläubig. Ein Henge, ganz wie sie vermutet hatte, doch die Person, die sie sah, war die letzte, mit der sie gerechnet hatte. Vor ihr in der Pfütze lag niemand geringeres als Uchiha Sasuke. --- Ihr schwerer Atem streifte Shikamarus Ohr. Im Gegensatz zu den beiden Malen, bei denen Temari ihn mehr oder minder freiwillig für ihre Zwecke benutzt hatte, fühlte er sich phänomenal. Er hatte sich die Zügel nicht von ihr aus der Hand nehmen lassen und es ihr heimgezahlt – wobei heimgezahlt ein unschönes Wort war. Er hätte sich geschämt, dass ihm diese Formulierung überhaupt in den Sinn kam, wennTemaris durchgeknallte Seite und dieses Hochgefühl nicht gewesen wären. Ein Erbsenzähler wäre mit seiner Revanche noch nicht fertig gewesen, aber für Shikamaru waren sie quitt. Er konnte sich mit versöhnlicher Laune und ohne ein schlechtes Gewissen verziehen. Er spielte mit dem Gedanken, genau das in die Tat umzusetzen, doch die Gemütlichkeit, die er verspürte, hielt ihn davon ab. Der Raum war warm, die kuschelige Decke auf dem noch kuscheligeren Teppich gemütlich und da er hinter dem Sofa lag, brauchte er sich nicht zu fürchten, dass ihn jemand sah, sollte er sich in dieses Zimmer verirren. Das Beste daran war jedoch der heiße, nackte Körper, der halb auf ihm lag. Ihr beider Schweiß hatte sie nahezu aneinander geklebt und der Duft ihrer Haare stieg ihm bei jedem Atemzug in die Nase und löste ein Gefühl der Glückseligkeit in ihm aus. Er seufzte innerlich. Es war verlockend, abzuhauen und ihr für ihr voriges Verhalten den Stinkefinger zu zeigen, aber er hatte nicht den geringsten Drang danach. Er hoffte einfach, dass sie nicht irgendwas Dämliches von sich gab, war sich gleichzeitig aber sicher, dass sie genau das tun würde. Schließlich war sie eine Frau. Vor allem eine, die vor nicht allzu langer Zeit noch völlig durchgedreht war. Shikamaru schloss die Augen, inhalierte ihren Geruch – er war eine Mischung aus allem Möglichen und undefinierbar – und sah sich mit dem jähen Ende der wunderbaren Ruhe konfrontiert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)