Zum Inhalt der Seite

Nachtgestalten

Von Monstern und Sagen
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Rusalka
Stirbt ein junges Mädchen vor ihrer Zeit auf eine gewaltsame Art, so ist sie dazu verdammt, als untotes Geschöpf des Wassers in Seen oder Flüssen ihr Unwesen zu treiben, bis ihre eigentliche Zeit gekommen ist und ihr der Weg ins Jenseits frei steht. Einige Rusalki suchen Rache an denen, die sie für ihren Tod verantwortlich machen, während andere aus Wut über ihren Tod oder vielleicht aus reinem Vergnügen Männer ins Wasser locken und ertränken. Man sagt, die Augen einer Rusalka leuchten grün bei Nacht und wer des Nachts grüne Feuer über dem Wasser sieht, sollte sicher gehen, dass er mit beiden Beinen auf trockenem Boden steht, sonst kann es sein, dass das letzte, was er auf Gottes Erde spürt, zwei kalte Hände sind, die ihn in die Tiefe zerren...

Rusalkawoche
In einigen slawischen Kulturen gilt die erste Woche des Juni als Rusalkawoche, in der es - so sagt man - nicht sicher ist in freien Gewässern zu schwimmen, da die Rusalki auch bei Tag an die Wasseroberfläche kommen können und bei Nacht sogar die Gewässer verlassen. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Rusalkawoche

„Bleib vom Wasser fern, Laszlo“, mahnte seine Mutter, während seine Hände sich dem kühlen Nass entgegen streckten. „Sonst holt dich die Rusalka.“

„Aber es ist so warm“, jammerte das Kind, während es die über dem Wasser tanzenden Mücken beobachtete.

„Die Wärme wird dich nicht umbringen“, erwiderte die Mutter nur und hob den Korb mit der gewaschenen Wäsche höher.

Das Kind zog einen Schmollmund, doch wusste es, das Widerspruch keinen Sinn hatte. Man hatte ihn oft genug gewarnt.

Und so folgte Laszlo seiner Mutter nach Hause, einen sehnsüchtigen Blick zum Wasser zurückwerfend.
 

Doch auch am nächsten Tag brannte die Junisonne heiß auf ihr Dorf hinab und selbst der Schatten der Bäume vermochte keine Abkühlung zu bieten. Obwohl der Sommer erst begonnen hatte, war das Moos unter den Bäumen trocken und das Wasser des Flusses glitzerte verführerisch.

„Laszlo!“, hörte er die Stimme Armins nach ihm rufen und richtete sich auf.

Er sah den anderen Jungen auf ihn zulaufen. „Dein Vater lässt nach dir rufen.“

Laszlo seufzte, hatte er doch gehofft, der Arbeit auf dem Hof zu entkommen, wenn er sich lang genug versteckte. Sein Blick verweilte auf dem glitzernden Wasser des Flusses.

„Du solltest nicht ins Wasser gehen“, sagte auch Armin, als er seinem Blick folgte. „Dort lauern die Rusalki.“

„Ich weiß, ich weiß“, seufzte Laszlo und glaubte doch kein Wort.

Rusalka, Rusalki... Er hatte noch nie einen Wassergeist gesehen. So oft schon war er schwimmen gegangen, doch ein totes Mädchen hatte er noch nie im Wasser gesehen.
 

Auch der dritte Tag der Woche brachte keine Abkühlung und die Alte Matea sagte bereits einen besonders trockenen Sommer voraus, was den ein oder anderen schon um die Ernte fürchten ließ, obwohl es doch noch lange war, bis diese eingefahren wurde.

Doch zumindest – so sagte Matea – war der Brunnen nie trocken geblieben.

Dies bedeutete jedoch für Laszlo, das er für seinen Vater das Wasser aus dem Brunnen holen musste. Das kühle Brunnenwasser, das jedoch viel zu kostbar für ein Bad war.

Sehnsüchtig trank das Pferd aus seiner Tränke, während sein Vater dem alten Tier den Rücken klopfte.

„Wieso führen wir es nicht in den Wald?“, fragte der Junge.

„Die Rusalki haben auch schon Pferde ins Wasser gezogen“, antwortete der Vater und sein Tonfall ließ keine weiteren Fragen zu.
 

Am nächsten Tag half er Matea, wie es die Kinder immer wieder abwechselnd taten. Er brachte der alten Wasser zum Kochen, brachte ihr ein Buch, wenn sie danach fragte und sammelte Speisen aus ihrer Vorratskammer.

„Babcia Matea“, begann er unschuldig, während er gelangweilt einige Kartoffeln für sie schälte, „gibt es die Rusalka wirklich?“

„Aber natürlich gibt es die Rusalka“, antwortete die alte Frau, deren Augen mittlerweile so schlecht waren, dass sie nur mit Mühe ihr Rezept lesen konnte. „Und wenn du nicht aufpasst, dann lockt sie dich ins Wasser!“

„Ich habe sie aber nie gesehen!“, antwortete Laszlo und hackte weiter auf die Kartoffeln ein.

„Sei froh, sei froh“, erwiderte die alte Frau. „Sie hat schon viele Kinder und auch den ein oder anderen jungen Mann geholt.“

„Aber wieso sollte sie?“ So einfach wollte er sich nicht zufrieden stellen mit den Antworten, die Erwachsene oft gaben.

„Weil sie sich das holt, was sie einst verloren hat“, antwortete Matea und es war die letzte vernünftige Antwort, die er an diesem Tag von ihr bekam.
 

Es war zu warm, um gut zu schlafen, dachte sich Laszlo in der folgenden Nacht und saß am nächsten Morgen gähnend beim Frühstück.

„Lehn deinen Kopf nicht auf den Arm“, mahnte ihn die Mutter.

Er schreckte auf. „Ja ja...“

Bevor sein Vater ihm weitere Arbeit für diesen Tag zuteilen konnte, schlenderte er in den Wald, wo eine kühle Atmosphäre den Fluss umgab.

Er legte sich in die Nähe des Schilfs und schloss die Augen. Während er blinzelte hatte er für einen Moment fast den Eindruck, das ein Paar Augen zurückblinzelte.

„Was machst du hier?“, fragte eine kühle Stimme und als der erschreckte Junge aus seinem Halbschlaf erwachte, sah er eine hübsche Frau, die einen Korb Wäsche bei sich trug. Es war Olessa, die Tochter des Müllers.

„Nichts, nichts“, antwortete das Kind und errötete, fühlte es sich doch ertappt.

„Ein Junge wie du, sollte nicht in der Nähe des Flusses schlafen“, meinte die Frau. „Sonst holt dich die Rusalka.“

„Aber wieso sollte sie mich holen?“, erwiderte Laszlo mürrisch.

„Weil es ein Junge wie du war, den sie verloren hat, bevor sie sich selbst ertränkte. Also scher dich lieber ins Dorf, wenn du nicht ihr Schicksal teilen willst. Dein Vater sucht sicher nach dir.“

Und natürlich hatte sie Recht.
 

Auch der sechste Tag der Woche brachte Hitze und mehr Arbeit, wenig Zeit sich zu entspannen und noch weniger Möglichkeiten sich abzukühlen. Doch zumindest war die Woche beinahe um und bald würde man ihn zumindest bei Tage in den Fluss lassen.

Dabei machte es doch gar keinen Sinn, dachte sich Laszlo, dass die Rusalka nur in einer Woche auch am Tage Kinder – und junge Männer – holte.

Doch während er am Abend die Schweine zurück in die Scheune trieb, hatte er doch das Gefühl, das etwas seltsam war. Er sah zum Waldrand, wo er durch das Dickicht hindurch das Wasser schimmern sah und für einen Augenblick meinte er, ein grünliches Leuchten zu sehen, doch als er nur einmal blinzelte, was das Schimmern verschwunden.

Die Hitze jedoch verschwand nicht und so folgte auf diesen Tag eine weitere heiße Nacht. Laszlo fand keinen Schlaf und wenn er doch einmal einschlummerte, so wurde er doch gleich geweckt.

Irgendwann, es war bereits gänzlich finster, erwachte er so erneut und gab es auf so schnell wieder Schlaf zu finden. Seine nackten Füße tasteten nach dem Boden, ehe er aus dem Schlafraum, den er sich mit den Eltern teilte, schlich. Er dachte daran, sich etwas zu trinken zu holen, doch gerade als er die nun leere Küche betrat, fiel sein Blick aus dem Fenster.

Zwischen zwei anderen Häusern hindurch konnte er auf den Wald sehen und dort, einige Ellen von dem vertrauten Hof seiner Eltern entfernt, sah er es wieder: Das grüne, feurige Glühen.

Es hätte ihm Angst machen sollen, doch eine solche Angst verspürte er nicht. Nur Neugierde und eine seltsame Sehnsucht in seinem kleinen Kinderherz.

Ungeachtet fiel der Wasserkrug zu Boden, während seine Füße ihn zur Haustür trugen. Er öffnete die Tür und wie ein Schlafwandler wankte er in Richtung Wald. Er dachte an den kühlen Fluss, an die Abkühlung die dieser brachte und an das sanfte Lächeln einer Mutter...

Wie seltsam dieser Gedanke war, kam ihm gar nicht erst in den Sinn.

Und als er den Waldrand erreichte, sah er das Geschöpf, dessen Augen grünlich schimmerten, nackt über die Oberfläche des Flusses tanzen. Es war eine Mutter, dachte er, und nie wäre er auf die Idee gekommen, sie Rusalka zu nennen.

Sie bemerkte ihn und lächelte ihm zu. Sie streckte eine Hand zu ihm aus und in dieser Hand war die schönste und saftigste Birne, die er je gesehen hatte.

Das kühle Wasser, das süße Obst und das Lächeln der Mutter. All das war zu verführerisch, als das er sich auch nur einmal umgesehen hätte.
 

Am siebten Tag läuteten die Glocken der Dorfkirche – riefen zur Sonntagsmesse.

Doch zu dieser Zeit war das Bett des kleinen Laszlo schon lange leer und kalt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ryodita
2014-10-03T08:23:32+00:00 03.10.2014 10:23
Sehr schön! Sowas will man doch im Oktober lesen! Nun tut es mir fast ein bisschen leid, dass das Wetter hier so gut ist XD Mit nebliger Stimmung käme das sicher noch besser! Aber zumindest hab ich ein Stück Kürbiskuchen! Ich bin auf die nächste Geschichte gespannt^^
Von: _Delacroix_
2014-10-03T07:38:21+00:00 03.10.2014 09:38
Uh, da ist ja endlich, die Fic zum Gemeinschaftsprojekt. 
Hat mir gut gefallen die Geschichte, passt schön zu Halloween, das ja immer näher rückt, auch wenn die Story eigentlich im Sommer spielt^^

Bin gespannt, was als nächstes kommt.
Antwort von:  Alaiya
03.10.2014 09:46
Vielen lieben Dank ^^
Freut mich, dass sie dir gefallen hat!


Zurück