G.A.B.T. von Rigel (Grand Anime Booze Touring) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Engel fällt vom Himmel... in die Hölle ----------------------------------------------------- Aufgeschreckt vom hellen Läuten der Schulglocken erhoben sich müde Leiber von ihren Plätzen und packten die Taschen. Ausgezehrte, apathische Mutationen von Menschen; keine Euphorie beim Verlassen des Geländes, keine gute Laune. Das Wetter und die Luft waren verklebt mit Staub und Hitze prügelte jeden Funken der gehobenen Stimmung nieder. Und es war Sommer... Einer dieser Sommer, öde wie die Wüste, mit Tagen, an denen man den Unterricht eher matt und müde versäumte, als genervt sein Ende abzuwarten; an dem man keine Muße hatte, sich zu verabreden und jeder neue Tag wie der Gestrige erschien. Wilde Vorstellungen und Phantasien machten sich daher in den Köpfen dreier, bestimmter Schülerinnen breit. Nur um etwas Spannung zurückzuholen dachten sie, Satania sei zurückgekehrt und habe sie wieder in eine Zeitschleife eingeschlossen - wie schon einmal. Es waren kleine Dinge, in denen sich die Tage und Wochen unterschieden. Und die Abende waren erfüllt von Langeweile. Diese wurde (wie im Falle von Momoko) durch stundenlange Gespräche mit dem Angebeteten (Yosuke Fuuma) besiegt; zugunsten der Liebe, sehr zuungunsten der Telefonrechnung und zum Leidwesen der Eltern. Im Falle von Yuri Tanima, indem man der Mutter bei einigen neuen Entwürfen half oder einfach nur zusah, wobei sich zwangsläufig die wirrsten Gedanken in den Kopf schlichen und die obskursten Bilder manifestierten von eben diesen Modekreationen (Kleiner Vorgeschmack? Schon mal an Kazuya in einem Brautkleid oder einem rosa Röckchen gedacht). Lediglich Hinagiku war diejenige, die an diesem Abend vor der Tür stand und den klaren Sternenhimmel bestaunte. Der sommerfrische, warme Nachtwind hatte etwas Erhebendes, dachte sie. Das laute abendliche Plappern der Zikaden übertönte den Lärm der Innenstadt und ließ sie einen Moment lang vergessen, daß sie inmitten einer Stadt lebte und nicht auf dem Land. Es war 23:15 Uhr. Längst Zeit, das Bett aufzusuchen, doch die Hitze trieb den Schweiß auf die Haut und machte das Schlafen zu einer Qual. Hätten sie gewusst wie aufreibend der nächste Tag werden würde, hätte ihnen das Schlafen keine Probleme gemacht. Als die Sonne sich am nächsten Morgen über die Häusersilhouetten erhob, ahnte noch niemand, daß 8 Menschen im Begriff waren, diese Welt zu verlassen und in eine andere Welt zu reisen, die sich so sehr von ihrer eigenen unterschied. Mittlerweile besuchten unsere Helden die Universität und doch trat an diesem Tag die alte Mannschaft des Santa-Flora-Gymnasiums zu einem Erinnerungsspiel an. Letztlich lag sie mit 3:0 vorne und konnte das Spiel klar für sich entscheiden. Bester Spieler war der ehemals jedes Titelblatt der Schülerzeitung zierende Frauenschwarm Kazuya Yanagiba dessen Herz aber nur für eine schlug: Yuri Tanima. Die Gastmannschaft hatte das nachsehen und musste blamiert wieder heimfahren. Während der von den (überwiegend weiblichen) Zuschauern kommende Applaus immer lauter donnerte, gesellten sich die besten Spieler zu den drei Mädchen am Spielfeldrand. Darunter Kazuya Yanagiba und Yosuke Fuuma. Yuri fasste einen kühnen Entschluss, als sie sich vornahm, schneller bei Kazuya zu sein als er bei ihr. Immerhin sollte vornehme Zurückhaltung ihr keine überschwängliche Begrüßung untersagen. „Kazuya“, rief sie froh in vollem Lauf, doch ausgerechnet wenige Meter vor dem Ziel kam ihr das böse Schicksal dazwischen (mancher würde sagen zu Hilfe) und ließ sie über einen Stein stolpern. Angst überkam den bis eben noch fröhlichen Kazuya, er rief ihren Namen und stürmte nach vorn, um sie aufzufangen. Dabei nicht sonderlich um die Art des „Auffangens“ besorgt, berührte er versehentlich eine rundliche Stelle, die unter der weißen Bluse verborgen war. Gefangen hatte er sie, doch der Schock für Yuri war im ersten Augenblick noch viel größer, sie stieß sich abrupt los und fiel nach hinten auf den Boden. Mit hochrotem Gesicht hielt sie sich die ihrem Gefühl nach entblößte obere Körperhälfte mit den Armen zu, sah ihren Freund entsetzt an und flüsterte fassungslos: „Kazuya... nein.“ „Yuri, das war nicht so gemeint, es war keine Absicht, verzeih mir bitte“, bat der ebenso verlegene Spieler und beachtete die verwunderten Kollegen hinter ihm nicht, die nicht mitbekommen hatten, was ihm widerfahren war. Yuri aber, so im Überschwang der Gefühle und ihrer Verzweiflung, rappelte sich auf und lief unter Tränen davon. Momoko und Hinagiku sahen ihr ebenso entsetzt hinterher, wollten bei Kazuya aber nicht an Vorsatz denken. Erst einmal entschied sich Momoko, Yuri zu folgen und sie zu beruhigen, da ihre gute Freundin aus edlem Hause immer ein wenig überemotional zu reagieren pflegte, wenn es an Intimitäten ging. „Sag mal, Kazuya, das war ja hoffentlich keine Absicht“, wandte sich Hinagiku grinsend an ihn, als sie nahe genug herangekommen war. Sofort röteten sich seine Wangen und heimlich wandte er sich im Gegenzug an sie: „Natürlich nicht, es war ein Unfall. Es ist mir fruchtbar peinlich, daß das passiert ist.“ Er suchte darauf schleunigst den Kontakt zu den anderen Spielern, um dem leidigen Thema entkommen zu können. Momoko hatte derweil nach langem Suchen eine reichlich verstörte Yuri im Behandlungszimmer gefunden. Sie versuchte beschwichtigend auf sie einzureden. „Hör mal, Yuri, Kazuya hat es bestimmt nicht so gemeint, es ist ein Versehen gewesen, das musst du mir glauben. Du dürftest Kazuya besser kennen als ich, also müsstest du wissen, daß er so etwas niemals mit Absicht tun würde.“ Yuri wandte sich ihr zu, wischte eine Träne von ihrer Wange und entgegnete leise. „Ja, das weiß ich. Ich bin ihm nicht böse und es tut mir auch leid, daß ich so aus der Haut gefahren bin. Aber, weißt du, Momoko... Ich habe immer sehr behütet gelebt. Zwar nahmen mich meine Eltern oft auf Modenschauen mit, aber dort habe ich nur ältere Herren mit noch älteren Ansichten über das Leben getroffen. Ich fühlte mich zu Hause nie eingeengt, aber seid ich euch kenne, kommen mir Zweifel, ob meine Welt nicht eine andere sein sollte. Bisher habe ich höchstens einmal einen Fußballer ohne sein Trikot gesehen. Das war aber auch alles. Mit einem freizügigeren Leben kenne ich mich nicht aus.“ Sie senkte den Kopf und blickte zu Boden. Momoko verstand jetzt, worauf Yuri hinaus wollte. „Ich verstehe. Da kommt mir eine Idee. Es ist noch eine Woche bis wir sechs Wochen Ferien haben. In dieser Zeit werde ich mit Hinagiku etwas austüfteln, was wir machen können, damit du etwas lockerer wirst. Ein wenig Erholung wird dir sicher gut tun. Warte die Woche noch, wir finden schon was.“ Da mit diesem Vorschlag für alle Seiten erst einmal wieder Ruhe geschaffen war, konnte man den Tag auf diese Weise beenden und abends waren alle zufrieden. Wirklich alle? Nein, sicher nicht, denn gegen 21:00, als die Sonne unterging, erkannte eine gewisse pinkhaarige Person in ihrem Zimmer, daß sie sich auf ein sehr waghalsiges Vorhaben eingelassen hatte. „So ein Mist. Jetzt habe ich mich aber in etwas hineinmanövriert... Was soll ich denn mit Yuri anfangen? Sie wird bestimmt enttäuscht sein, wenn mir nichts einfällt. Das Umfeld, in dem sie gelebt hat, macht ihr zu schaffen. Ich frag einfach mal Mama danach.“ Ihre Mutter Sakura hörte sie unten wie gewohnt in der Küche klimpern. Niemand würde vermuten, dass die sanfte Frau einer der mächtigsten Engel im Rosengarten war und die drei Liebesengel schon einmal aus einer misslichen Lage befreit hatte. Statusvermerk: G.A.B.T. spielt fünf Jahre nach Wedding Peach DX, zu einer Zeit, da der alte Krieg auch in der Menschenwelt Früchte getrieben hatte und die Menschen sich nicht länger für die einzige hochentwickelte Rasse hielten. Schuld daran waren vor allem die wandernden Boten und Händler gewesen... „Du Mama... Sag mal, kannst du mir bei einer sehr wichtigen Sache helfen? Ich möchte gern Yuri helfen. Sie ist... wie soll ich sagen... etwas mit ihren Gefühlen überfordert und wünscht sich weniger gehemmt zu sein. Ich hab ihr schon versprochen, sie auf andere Gedanken zu bringen, aber mir will nichts einfallen?“ Sakura knabberte an ihrem Zeigefinger wie sie es immer tat, wenn sie nachdachte. „Hmm... ihr habt doch bald Sommerferien. Wie wäre es denn, wenn ihr mit Yuri einen Ausflug macht. Ich habe noch ein altes Flugblatt von einem dieser Händler, der einmal hier vorbeigekommen war. Die findet man heute ja fast überall (fast?). Er sagte etwas von der teddsanischen Welt, die nichts an Wünschen offen lasse (weeeeiiiit übertrieben, wie es die Boten zu tun pflegen). Es ist vielleicht etwas weit, aber sicher eine Abwechslung. Warte, ich gebe es dir.“ Von Momoko gefolgt huschte ihre Mutter ins Wohnzimmer und wühlte eine Weile zwischen alten Fotos, die ihr Mann gemacht hatte, ehe sie das Flugblatt gefunden hatte. „Versprich mir aber, daß du gut auf dich aufpasst“, mahnte Sakura. „Danke Mama, du bist die Beste“, antwortete Momoko glücklich und schloss ihre Mutter in die Arme. Sie hatte noch keine Ahnung, daß dieses Flugblatt der Anfang einer Reise sein würde, die sie und alle anderen in eine Welt führen wird, in der man vor Augen geführt bekommt, wie viele Möglichkeiten eines vorzeitigen Todes es geben kann, aber auch wie viel Spaß eine gebeutelte Rasse haben kann... Theyzan, der Anfang vom Ende Freiheitsbekenntnis oder Sittenverfall? Auslegungssache! Zu Beginn der Geschichte hatten alle Beteiligten jeweils zu Hause beim Essen gesessen und dem lahmen Ticken der Uhr gelauscht. Die Sommerzeit war so dick und zäh dahingeflossen. Die letzte Woche raste für die drei jedoch davon wie ein Sturzbach... Schließlich hielt Momoko den beiden anderen freudig grinsend das Flugblatt unter die Nase, als sie sich am Freitag auf dem Gelände ihrer alten Schule - des Santa Flora Gymnasiums - trafen, um zu besprechen, wie man es nun angehen sollte. „Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe etwas für uns alle gefunden.“ Sie schwenkte den Zettel. Hinagiku und auch Yuri sahen gebannt darauf und keine bemerkte die Silhouette einer Gestalt, die eben hinter einer Gebäudefassade verschwand. Die Nachmittagssonne vertrieb die Wolken und färbte den Asphalt des Schulhofes rot. Der Stein brannte genau wie das Feuer der Neugier in den Augen aller, die den Zettel lasen: Ein Flugblatt, das zum Besuch auf einen Planeten einlädt... Theyzan. Besuchen Sie uns und bewundern Sie die Schönheit unserer Welt, in der Sie Freiheit an jedem Winkel und in jedem Einheimischen finden werden, denn Freiheit ist das Gesetz dieses Planeten (Anarchie wäre das bessere Wort gewesen) Kommen Sie noch heute und genießen Sie berühmte Orte wie Mute City Tedds City White Land Port Town Die gobanische Wüste Zimhagan Lighttown und viele andere mehr... Nun? Hat Sie die Lust nach Freiheit gepackt? Dann zögern Sie nicht länger und brechen Sie auf! So lauteten die Zeilen des Flugblattes und klein gedruckt fanden sie am unteren Rand einen weiteren Schriftzug: „Nebenbei ist der Alkohol spottbillig“ „Wie wäre das? Sollen wir nach Theyzan aufbrechen? Wäre doch eine interessante Abwechslung und Ferien haben wir nun sowieso. Was haltet ihr davon, wenn wir für morgen ein Treffen mit allen ausmachen, die wir mitnehmen wollen?“ Momokos Euphorie war spürbar, aber weder Yuri noch Hinagiku waren richtig überzeugt. „Gut und schön, das hört sich ganz nett an und es wird einfach werden, meine Eltern zu überzeugen, aber haltet ihr einen Planeten wie Theyzan wirklich für den richtigen Ort“, zweifelte Hinagiku, „Wir wären auf uns allein gestellt. Soweit ich gehört habe, hassen die Teddsaner Menschen. Und hat einer von uns zufällig Teddsanisch gelernt? Ich wüsste es nicht. Ohne die Sprache werden wir da nicht sehr weit kommen.“ Yuri trat plötzlich nervös und verlegen auf der Stelle herum. Momoko fiel das als erstes auf. „Was hast du Yuri? Sag bloß, du kannst...“ Yuri brach das Schweigen. „Nun... ja, ein wenig. Es ist nicht gerade viel, aber es dürfte reichen. Ich habe es bei einem Teddsaner selbst gelernt (gut, akzeptiert, die sind zuverlässig). Aber... ich schämte mich bisher immer ein wenig dafür, weil sich die Sprache so unanständig anhört (aber eine tolle Leistung, daß sie sich dazu durchgerungen hat, denn die wenigsten können heute Teddsanisch außer den Teddsanern). Allerdings... dürfte ich Mühe haben, meine Eltern zu überzeugen. Sie werden sicher nicht einverstanden sein, wenn ich einfach so fortgehe und dann auch noch auf einen anderen Planeten.“ „Und wenn Kazuya dabei ist“, wandte Momoko hämisch grinsend ein. Yuri errötete noch wegen des „Unfalls“, der sich neulich ereignet hatte, nickte aber nur stumm und wandte den Kopf ab. Hinagiku äußerte einen weiteren Punkt, der ihnen (keine) Schwierigkeiten bereiten sollte. „Wie kommen wir überhaupt dorthin? Habe noch nie einen Liebesengel durchs Weltall fliegen sehen.“ Da aber meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund, die rasch lauter wurde. „Ha, das sind mir die Richtigen. Machen eine ziemlich kopflose Reiseplanung und vergessen den Chauffeur, aber dafür bin ich ja da.“ Sie wandten sich um und erkannten einen hochgewachsenen Mann in einem violetten Gewand mit auffallend weiter Kapuze. „Wer sind Sie überhaupt und was wollen Sie von uns“, fragte Hinagiku skeptisch. Yuri brachte es auf den Punkt. „Sagen Sie, sind Sie etwa ein wandernder Bote?“ „Ganz genau, der bin ich und ich kann euch ein unschlagbares Angebot machen, mit dem ihr problemlos nach Theyzan kommen könnt. Wie wäre es?“ „Lass hören“, forderte die burschikose Grünhaarige. Revelation Act und die Folgen: Im Jahre 2000 wurde die Weltöffentlichkeit von einem beunruhigenden Ereignis angezogen. In allen Teilen der Welt tauchten plötzlich Männer in weiten Kutten auf, die ihre Gesichter hinter Kapuzen verbargen. Von ihnen erzählte man sich, daß sie beliebig auftauchen und verschwinden könnten. Die Liebesengel glaubten zunächst an eine Rückkehr der Dämonen, bis sie erkannten, daß diese Männer Menschen waren, die über so etwas wie eine interplanetarische Transportlizenz verfügten. Seitdem waren diese wandernden Boten in aller Welt bekannt und hatten bereits viele Menschen in andere Welten mitgenommen. Ihr Erscheinen auf der Erde wurde von den wichtigsten Nationen einheitlich als “Revelation Act“ bezeichnet. „Ich bringe euch ins Teddsland für genau 3,70 TD (das sind nach dem offiziellen Umrechnungskurs 2,39982 8,88 €, also ca. 1256 Yen). Was sagt ihr? Kommt schon, es lohnt sich.“ „Hört sich nach einem fairen Preis an. Werden Sie uns auch morgen dorthin bringen? Wir haben hier noch nicht alles erledigt“, sagte Momoko und setzte das lieblichste Lächeln auf, das sie ziehen konnte, um einen potentiellen Chauffeur zufrieden zu stimmen. „Mach ich doch glatt. Ich bin sowieso noch bis morgen in der Stadt. Ach, übrigens, wäre es euch 2000 Yen wert, mehr über teddsanische Seidenstrümpfe zu erfahren?“ Im Chor antworteten sie mit Schweißperlen auf der Stirn. „Nein, danke!“ „Wir müssen eh nach Hause“, fügte Hinagiku hinzu, „wir treffen uns morgen. Ich hoffe, Sie nehmen auch andere Währungen.“ Und schon waren sie auf dem Weg nach Haus, einem erholsamen Abend und einem viel aufregenderen Tag entgegen. Wie sollten sie auch wissen, wo all dies enden würde... Die Heimkehr hatte etwas von einem alten Enthüllungsdrama, denn nun würden sie ihren Eltern etwas gestehen müssen, was schlicht unglaublich klang: Sie würden auf einen anderen Planeten gehen (Und jetzt, liebe Schülerinnen und Schüler, stellt euch vor, ihr würdet das euren Eltern sagen... Die würden sich prompt fragen, was ihr in der 45-minütigen Mittagspause in der Schule noch alles „einwerft“) und dann noch der Planet, mit dem größten Alkoholkonsum (ach, wenn’s nur das ist... bei einem anderen Planeten spielen dann nicht mal mehr gelbe Wildschweine mit grüngepunktetem Hautausschlag, die rücklings auf Turbogleitern durch die Luft düsen und „Du musst ein Schwein sein“ singen eine Rolle). Alles in allem würde es aber bei diesen Eltern wesentlich leichter werden, da sie wussten, daß ihre Töchter Liebesengel waren. Die Gespräche glichen Gerichtsverhandlungen, denn die Eltern lamentierten über alles negative, was man schon mal über die Teddsaner gehört hatte (interessant ist, daß diese Klischees auf etwa 60 % der teddsanischen Bevölkerung zutreffen). Momoko hatte ihren Vater schnell mit dem Ass überzeugt, daß ihre Mutter auch ein Liebesengel war und sie nun ebenfalls auf sich selbst aufpassen konnte. Andere aber hatten da nicht so viel Glück und brauchten weit mehr Verhandlungsgeschick, um sich herauszuwinden. Wie im Falle von Yuri, die nur mit all ihrer Überredungskunst ihre Eltern dazu bewegen konnte, sie gehen zu lassen. Ihr Vorteil dabei war, daß Ryuzo und Elena nur sehr wenig von den Teddsanern wussten (wehe, wenn sie es je heraus fänden). Hinagiku dagegen musste nur einmal einen Tobsuchtsanfall bekommen und ihren kleinen Bruder als Geisel nehmen und schon hatte sie die Erlaubnis. Das letzte Treffen fand am folgenden Tag auf dem Schulgelände statt. Momoko hatte bereits alle benachrichtigt, die auch mitkommen wollten (oder sollten): Das waren Yosuke (der von Anfang an involviert gewesen war), Kazuya (dem dabei auch nicht ganz wohl war), Takuro (der glaubte, daß man ihn nicht dabei haben wollte, womit er zumindest bei Hinagiku goldrichtig lag) und zuletzt Scarlet (die sich erst nach halbstündigem Gebettel Momokos und viel gutem Zureden erweichen ließ). Auf dem Schulhof blies ein mäßig angenehmer Wind, der die völlige Unbelebtheit dieses Ortes betonte. „Also, wir alle haben unsere Eltern jetzt überzeugen können, daß wir einige Zeit weg sein werden, sehe ich das richtig“, fragte Momoko, die anderen beiden anblickend, um ihre Position als Anführerin geltend zu machen. Die zwei nickten. „Gut. Wir brechen heute also nach Theyzan auf. Ich hoffe nur, daß dieser Bote rechtzeitig erscheint. Diese ganze Aktion könnte doch teurer werden, als wir dachten.“ (oh ja und wie viel teurer – da sich die Kurse zu dieser Zeit auf Theyzan um den Gefrierpunkt bewegten, waren nicht mehr viele Boten dorthin unterwegs und die Reisekosten stiegen) In jenem Augenblick aber wurden sie alle abrupt durch eine andere Stimme aufgeschreckt, die auf dem Platz ertönte und sie fast ein wenig enttäuscht klingend fragte: „Hey, wolltet ihr los, ohne auf uns zu warten?“ Yosuke hatte das gefragt. Momoko eilte zu ihm und warf sich ihm in die Arme. „Drei Liebesengel werden wohl entschieden zu wenig für die teddsanische Welt sein.“ Scarlet marschierte stolz erhobenen Hauptes durch das Tor zum Schulhof, gefolgt von noch vier Leuten und einer schwebenden Gestalt. Neben Scarlet und Yosuke waren auch Kazuya und Takuro gekommen. Dabei war aber auch noch eine verrückte, junge Frau mit violetten, Spirallocken und einem übermäßig fröhlichen Lächeln (ja, leider kennen wir diese Vogelscheuche des Chaos auch noch – ehemals Wasserdämonin Potamos, berühmt und gleichzeitig berüchtigt durch Sprüche wie „so etwa“ oder Yosukes unglaublich poetisch-genialer Spitzname „Yo-Yo-Maus“ x.x). Nun aber nannte sie sich Hiromi Kawanami und war von Satanias Einfluss befreit. „Ihr könnt doch nicht einfach abhauen, so etwa“, flötete sie und spazierte mit den anderen nach vorn. „Wer bei Satania hat die Schnepfe eingeladen“, empörte sich Momoko mit zornesrotem Gesicht. „Also, ich hab mich ganz allein eingeladen, Momoko, ja, so etwa. Ich war zufällig wieder in der Gegend, da hab ich Yosuke und die anderen getroffen und Yo-Yo-Maus hat mir erzählt, was ihr vorhabt.“ Momoko stieß sich sofort von Yosuke weg. „Das glaube ich nicht, du hast es ihr erzählt?!“ Yosuke hob entschuldigend die Hände. „Was hätte ich denn machen sollen, sie wäre uns ja doch überallhin nachgelaufen.“ „Hmpf, meinetwegen. Du kannst mitkommen, Hiromi. Aber wenn du uns wieder solchen Ärger machst wie schon einmal, lassen wir dich zurück. Ihr solltet euch sowieso alle noch einmal überlegen, ob ihr wirklich mitkommen wollt. Ich habe euch vielleicht etwas überstürzt gebeten, uns zu begleiten. Wir kennen diese Welt nicht. Es kann gefährlich werden.“ Yosuke lachte und legte Momoko sanft eine Hand auf die Schulter. „Hey, Pfirsichtörtchen, du hast wohl vergessen, was wir schon alles durchgemacht haben. Immerhin haben wir gegen die Dämonen und gegen Satania gesiegt. Da werden wir doch wohl noch einen Ferienausflug auf einen anderen Planeten überleben.“ Großspurig wie immer... 1. Wisst ihr wirklich, worauf ihr euch einlasst? Ihr solltet besser teddsanisch sprechen, denn obwohl die meisten Teddsaner durchaus Japanischkenntnisse haben, machen sie sich oft einen Scherz daraus mit Fremden und Touristen nur teddsanisch zu sprechen und sie verzweifeln zu sehen, wenn diese vergeblich versuchen, mit einem Wörterbuch in der Hand ihre Verhandlungsposition zu verbessern. 2. Freut euch ja nicht zu früh: Im Reich der Dämonen konnte man wenigstens noch demolieren, was man wollte, aber auf Theyzan wird man mal eben erschossen, wenn man eine Orange klaut und all das ist legal – hier ist es vielleicht ein Fehler, der politischen Autorität zu gehorchen. Sie waren alle bereit aufzubrechen, als ein wütend fluchender Bote hinter einem Gebäude hervorkam und auf sie zu stampfte, mit den Händen in der Luft gestikulierend und schrecklichste Teufelsfratzen für sie entwerfend. „Was soll denn das? Davon wusste ich ja gar nichts! Jetzt muss ich doch wieder mehr Leute mitnehmen, als ich ursprünglich vor hatte. So läuft das aber nicht, ihr zahlt einzeln!“ Momoko griff schnell ein. „Jetzt stellen Sie sich nicht so an, ich hatte Ihnen gesagt, dass wir wahrscheinlich noch nicht vollzählig waren. Was halten Sie davon, wenn Sie für alle anderen, die jetzt noch mitkommen wollen noch einmal den Preis verlangen, den sie uns empfahlen und dann nehmen sie uns alle mit?“ „Vergesst mich aber auch nicht, jama!“ (Ja, der kleine Jamapi möchte auch mit) „Du willst auch mit? Na ja, so ein kleiner Kerl wird ja wohl nicht so viel Umstände machen.“ Der Mann unter der Kapuze wandte ihnen den Rücken zu und wiegte sich hin und her, als denke er angestrengt über dieses Geschäft nach. „Geizige Schweinepriester“, murmelte er in seine Kapuze, dann drehte er sich um. „Eigentlich ist das geschäftsschädigend, aber ohne Rabatt gibt’s Kundenflucht. Also, ihr bekommt den Preis. Aber da gibt es noch einen kleinen Haken.“ Das hab ich doch irgendwie geahnt, dachte Hinagiku. „Was denn für ein Haken, wir dachten, wir können jetzt los“, beschwerte sich Momoko. „Schon, aber ich vergaß euch mitzuteilen, daß ich euch zu diesem Preis nur in eine teddsanische Großstadt bringen kann. Sucht euch deshalb lieber eine Großstadt aus, sonst kann ich das Angebot schlecht aufrecht halten.“ (Der nachvollziehbare Grund für die Beschränkung solcher Angebote auf teddsanische Großstädte ist der, dass die Boten in großen Städten leichter Neukunden auftreiben können). „Einverstanden. Aber... welches sind denn nun teddsanische Großstädte“, erkundigte sich Momoko. „Nun, die größte Stadt des Planeten ist Zimhagan, sie liegt auf dem südlichen Kontinent und nimmt etwa 59% des Kontinentes ein, das sind mehr als 1800 km Ost-West-Breite. An die 120 Millionen Bewohner tummeln sich in dieser Stadt und dort ist der Sitz der Regierung“, erklärte der Bote. „Auch wenn eigentlich Tedds City die Hauptstadt des Planeten ist“, kommentierte Yuri. „Politisch gesehen ist sie es noch immer, aber dem Vizepräsidenten waren alle Relikte des Imperialismus verhasst, deshalb wurde Zimhagan zum Sitz der Regierung erklärt. Wollt ihr vielleicht dorthin?“ „Ist uns völlig egal, wir wollen nur endlich los und raus bekommen, was es mit diesem Flugblatt auf sich hat.“ Hinagiku hatte den Aufschub satt und der Bote trat einen Schritt zurück. „Schon gut, schon gut, ich werde keine Predigten mehr halten. Stellt euch um mich auf und wir können los.“ Sie sammelten sich um ihn und ein weißes Licht umhüllte sie. Die Reise fühlte sich an als würden sie in einen riesigen Staubsauger gezogen (was ihnen ebenfalls schon vertraut war), dann wie ein langer, unglaublich schneller Tunnel, der sie wiederum in weißes Licht hinein spuckte, als sie das Ziel erreichten... Kapitel 2: Zimhagan und der Schrecken des Meeres ------------------------------------------------ Die rasante Reise endete mit einem Mal, als sie am Boden landeten. Sie befanden sich auf einer großen Plattform, umgeben von einer goldenen, halb transparenten Kuppel. Unter ihnen ein gähnender Abgrund, in dem sich fliegende Fahrzeuge tummelten und viele, schienenartige Verbindungen auf denen ähnliche Transport-Plattformen umher fuhren wie die ihre und sie alle fuhren einem riesigen Gebäudekomplex aus goldenem Glas entgegen: Der Residenz der Regierung. Bevor sie diese erreichten, bogen sie in eine Häuserreihe ein, die so gigantisch hoch war, daß ihnen der Weg dazwischen wie der Canyon zwischen zwei Felswänden erschien. Schließlich stoppte das Gefährt an einem breiten Steg, der zu einer Verbindung zwischen zwei Gebäudesäulen führte, die von den Gebäuden selbst noch um gut fünfzig Meter überragt wurde. „Da wären wir. Gelhzazarh, ein großer Wohnkomplex der Stadt mit etwa 500.000 Einzelappartements. Hier werdet ihr sicher eine Unterkunft finden, aber Vorsicht: diese Gebäude sind riesig und erst einmal werdet ihr die Anmeldung suchen müssen. Und jetzt wird gezahlt“, erklärte der Bote und sie alle bezahlten den Preis, der von ihnen verlangt wurde. „So, ich danke herzlichst, aber nun muss ich euch wieder verlassen, wir sind immerhin nur fürs Transportieren zuständig. Wie ihr nun in der Stadt herumkommt, ist selbstredend eure Aufgabe. Vielleicht bis bald.“ Damit entschwand er bereits wieder in unbekannte Gefilde und ließ sie allein zurück. Hier standen sie nun inmitten einer gewaltigen Metropole mit so vielen Einwohnern und keiner Ahnung, wo sie überhaupt hingehen sollten. „Vielleicht... hätten wir uns vorher einen Stadtführer besorgen sollen“, maulte Yosuke (teddsanische Fachsprache? Oh Gott! Ganz nebenbei ist ein Stadtführer über Zimhagan an die 300 Seiten lang)... „Möglicherweise steht noch etwas in dem Flugblatt, was wir bisher übersehen hatten. Schauen wir noch einmal hinein“, schlug Scarlet vor. Da ihnen in diesem Moment sowieso nichts Besseres einfiel, entschlossen sie sich, eben dies zu tun und auf der Rückseite des Flugblattes fanden sie tatsächlich etwas, das sie verwunderte. „Da steht: Gilhiad-Adnebhshar P12 3-X4 Port Town. Was hat das zu bedeuten?“ Momoko rätselte einen Moment lang an dem seltsamen Schriftzug herum, bis sich die bisher schweigsame Yuri aus dem Hintergrund meldete und bekannt gab: „Ähm, Port Town ist eine wohlbekannte Hafenstadt des Planeten. Sie liegt nördlich von uns an der Küste des nächsten Kontinents und ist über Fährschiffe zu erreichen.“ „Mann, du kennst dich ja richtig aus, Yuri. Woher weißt du das alles“, fragte Hinagiku erstaunt und auch die anderen sahen sie begeistert an, als sie errötend gestand: „Ich habe mich - als ich die Sprache lernte - auch mit Kultur und Geographie des Planeten beschäftigt, weil ich mehr darüber erfahren wollte. Und ich habe so einiges gelernt. Fragt mich einfach, wenn ihr etwas wissen wollt. Ich glaube, ich kenne mich ganz gut aus.“ Über den Gingas Kontinent Zimhagan war nichts weiter als ein auf Papier gezeichneter Entwurf, als die Imperialisten regierten und nicht viel mehr, als der Krieg ausbrach. Unglücklicherweise wurde die Basis, in welcher auch die Entwicklungspläne und die Konzeption der Stadt lagen, angegriffen und somit gingen alle Pläne buchstäblich in Rauch auf. Elektronisch blieben die Pläne erhalten. Bedauerlicherweise fielen diese nach dem Ende des Krieges der Übergangsrepublik in die Hände, die sie bis ins Jahr 2344 unter Verschluss hielten. Es dauerte schließlich 70 Jahre, bis sie endlich vollendet war. Die heutige Residenz der Regierung war ursprünglich als Einkaufszentrum geplant, doch der Vizepräsident erzwang letztendlich die Umgestaltung. Größter Nachteil für die etwa 120 Millionen Einwohner der Stadt sind die langen Pendlerwege, wenn man jeden Tag von einem Ende der Stadt ans andere Ende gelangen muss, was für manche eine Reise von insgesamt (Hin- und Rückweg eingeplant) 2400 Kilometern bedeuten konnte. Ein Defizit, das heutzutage durch die schnellen und günstigen Verkehrswege ausgeglichen wird. Viele aber sind ausgewandert, weil sie das beengte und erdrückende Stadtleben nicht mehr ertragen konnten (Teddsaner sind und bleiben wohl immer gemütliche Wesen, denen Ruhe und Frieden über alles gehen). Die Sonne stand tief, das erkannten sie am abendroten Glimmen, welches über die Gipfel der Gebäude hinwegstrahlte. „Was sollen wir jetzt genau machen? Port Town ist auf einem anderen Kontinent, wie Yuri sagte. Wie kommen wir bitte auf einen anderen Kontinent und wer sagt uns, daß wir dort wirklich Anhaltspunkte finden, woher dieses Flugblatt stammt (gar keine so abwegige Idee, da Teddsaner Menschen bis auf die Unterwäsche ausnehmen, wenn sie die Möglichkeit sehen)“, äußerte Momoko. Alle Blicke richteten sich auf Yuri, die verlegen auf der Stelle trat und eine Antwort zu finden suchte. „Wir könnten ja eine Überfahrt mit der Fähre wagen. Zimhagan besitzt eine direkte Verbindung zur Nordküste. Wenn wir die erreichen, können wir eine Fähre nach Port Town nehmen und dort weitersehen. Was haltet ihr davon? So können wir die Überfahrt auf einer Fähre genießen (???) und werden das erste Mal teddsanische Fähren sehen (so sehr unterscheiden die sich von den Irdischen auch nicht, der Gründer der teddsanischen Rasse war ein Erdling).“ Die anderen blickten einander zweifelnd an. Momoko aber meldete sich nach einigem Überlegen zu Wort und sprach entschlossen für alle: „Gut, einverstanden. Versuchen wir an die Nordküste zu kommen, es ist immer noch besser, als weiter in diesem riesigen Technikloch zu bleiben.“ Alles nickte... Sie durchquerten also einen langen beleuchteten Korridor, der sie durch eine der Häuserwände hindurch zu einer Plattform auf der anderen Seite führte, wo sie des Abendlichtes ansichtig wurden und eine Transporterplattform fanden. Da die Fahrtziele samt und sonders auf teddsanisch formuliert waren, bestanden sie auf Yuris Hilfe. Sie suchte in der digitalen Liste und ihr Finger hielt bei der Bezeichnung „Kelrhebh-Açarhebh“ „Hier steht Kelrhebh-Hafen und ehrlich gesagt kann ich mir im Moment keinen anderen Hafen in der Stadt vorstellen, denn Flughafen heißt Reyghçerhebh. Dort müssen wir also hin. Steigt auf und dann geht es los.“ Yuri berührte die Bezeichnung, die aufleuchtete, ehe sich die Kuppel über ihnen schloss und sich die Plattform in Bewegung setzte. Die Plattform raste ihrem Ziel entgegen, durch den dichten Wald aus Türmen und Gebäudeblöcken und über gähnende, vor Fluggefährten wuselnde Abgründe. Über ihren Köpfen zog der Nachmittagsdämmerhimmel hinweg und unter ihnen das rasante Leben der größten teddsanischen Stadt mit ihren unzähligen Häuserschluchten, an deren Ende sich auf dem Boden die Massen drängten, um ihre Geschäfte zu erledigen und nur wenige die Zeit zur teddsanischen Ruhe fanden. Nach 20 Minuten, in denen sie dort gesessen hatten, verlangsamte sich die Plattform endlich, die Kuppel fuhr herunter und sie glitten durch eine gläserne Röhre in eine Halle hinab, in der sich Teddsaner und Menschen sowie einige Boten herumtrieben. Von der Hafenhalle aus gelangten sie über ein breites Rollband in den hell erleuchteten Eingangsbereich. Hier fühlten sie sich nicht mehr so eingeengt, weil durch den Ausgang der Halle Abendsonne und Seeluft hereinkamen. Reisefieber machte sich daher in ihnen breit, als sie durch das große Bogentor auf das weitläufige Hafengelände hinaus traten. Die Schiffe vor Anker glitzerten im goldenen Licht des Abends und ließen die drei Freundinnen und ihre Begleiter in romantischen Gedanken schwelgen. Den verklärten Blick auf ihren Gesichtern schrieben die dort anwesenden Teddsaner aber eher dem Einfluss von Drogen zu, die auch am Hafen von Zimhagan leichter zu bekommen waren, als man dachte. Plötzlich lenkte ein anderes Schiff ihre Aufmerksamkeit auf sich, das einer irdischen Fähre sehr ähnlich war. Davor sah man bereits den hintersten Schwanz einer Schlange von Leuten, die sich den Weg ins Innere bahnten. Die Freundinnen befürchteten das Schlimmste und Yuri wandte sich geistesgegenwärtig an zwei Teddsaner, die etwas weiter entfernt an einer Fahrplanliste standen und redeten. Sie überwand ihr Unbehagen diese Sprache zu sprechen und fragte: „Fhasnor, xezhsor-jen quep tilhen, sakhurh irhashir-ça yelglha sas?“ (Übersetzung: Entschuldigung, können Sie mir sagen, wann die nächste Fähre „geht“ – eine passende Alternative zu „abfährt“, da die Teddsaner „fahren“, also quinhen eher nur für Gefährte mit Rädern verwenden). Der Teddsaner hatte sie gut verstanden und, hämisch grinsend, antwortete er knapp: „Çihihi, ibdj-çyr chesthra.“ (Übersetzung: «Kichern», in 5 Minuten). Yuris Augen weiteten sich panisch, sie rief erschrocken: „Was?! Dann fährt sie ja gleich ab!“ Als sie sich umwandte, um mit den anderen loszulaufen, rief ihr der Teddsaner immer noch äußerst schadenfroh hinterher: „Haha, ponerh, ya breghsa samen!“ (Übersetzung: Haha, ihr müsst wohl rennen!) Und das taten sie, denn in den verbleibenden vier ein halb Minuten mussten sie immerhin noch etwa 800 Meter bis zum Schiff zurücklegen. Nun wünschten sie sich fast, daß die Zeit diesmal ein wenig langsamer vergehen möge, denn zumindest Yuri wusste von der himmelschreienden Unpünktlichkeit teddsanischer Fähren und der Wartezeit, bis eine Neue kam (ein halber Tag, wenn man Pech hatte und wenn man ganz viel Pech hatte, verpasste man die nächste auch noch, weil diese dann nämlich eine halbe Stunde früher kam, als sie sollte). Puh, ein Glück, das haben wir geschafft, dachten sie alle, schnaufend und erledigt am Boden kniend, als sie endlich an Bord waren und sich just in diesem Moment die schwere Stahlbüchse vom Pier trennte und auf das in tristem Nachtgrau versunkene Meer zuschipperte. Nun befanden sie sich auf der Reise nach Port Town (einer Stadt, die nicht nur den Ruf hat finster zu sein, es laufen auch noch finsterere Geschäfte dort, wenn man sich dieses scheinbar unschuldige Flugblatt ansieht...) Die Freundinnen und Freunde befanden sich in der Empfangshalle mit ornamentalem Steinboden und dem Schalter direkt vor sich. Ein weiterer Anflug von Panik aber hinderte sie daran, das prunkvolle Ambiente zu bestaunen. „Moment, haben wir überhaupt ein Ticket“, sprudelte es aus Hinagiku heraus und Scarlet fasste sich prompt an den Kopf, weil alle dies vergessen hatten. „Keine Sorge, wir können immer noch am Schalter eines bekommen“, beruhigte Yuri. Trotzdem wandten sich ihr nun einige, wutverzerrte Visagen zu, die im Chor keiften: „Wieso hast du uns das nicht eher gesagt?!“ Yuri beeilte sich darauf, um an den Schalter zu kommen und Tickets für sie alle zu besorgen und wandte sich an den dort sitzenden Teddsaner in Uniform. „Dyrha mos nascid talnjamhen narhes adnoshibh.“ (Übersetzung: Ich möchte gern eine Fahrkarte kaufen) Der Teddsaner sah erst jetzt zu ihr auf. „Gowes agorh“, fragte er gelangweilt (Übersetzung: Welcher Art?). Yuri stutzte, sie musste nachdenken, was bestimmte Wörter hießen. „Skhra...“ war deshalb ihr einziges Wort (Zögerwort, ähnlich „äh...“). „Bijhunabhal ozwarh“, fragte sie darauf (Übersetzung: Paarweise vielleicht?). „Derhidtcha-Mivhos? Jea, ça badgens“, erwiderte der Teddsaner (Übersetzung: Doppelzimmer? Ja, das geht/funktioniert). „Nascad, non neghshi-irhes tam derhidtcha-mivhos. Ça corhes-sekh“, schloss sie das Ganze ab (Übersetzung: Gut, dann nehmen wir 4 Doppelzimmer. Was kostet das?). „Maçi-Shogerh Vesbarha-Tezzhdhories.“ (Übersetzung: Alles zusammen 17 Tedds Dollar – ein Schnäppchen, das sind 40,80 € oder 5719,72 Yen für acht Personen). Yuri bezahlte mit Unterstützung der anderen. „Ich frage mich wie die rausfinden wollen, wenn jemand mal vergisst“ - dabei machte Hinagiku Anführungszeichen mit den Fingern - „sein Ticket zu lösen.“ Ticketsünder Du solltest es besser nicht darauf ankommen lassen. Ganz davon abgesehen, dass man ohne gültiges Ticket an Bord einer solchen Fähre in keine Kabine herein kommt, keine Waren kaufen und kein Essen bestellen kann, sind in die Tickets Chips eingearbeitet, die von Sensoren im Fußboden des Schiffes erfasst werden. Der Bordcomputer weiß also ganz genau, wie viele Passagiere an Bord Tickets besitzen und kennt ihre Personalien. Aus der Differenz mit der Gesamtzahl der Passagiere ergibt sich die Zahl derer, die kein Ticket besitzen. Und weil auch die Personalien dieser Leute vor betreten des Schiffes aufgenommen wurden, werden diejenigen gern einmal per Lautsprecher (für alle anderen Passagiere hörbar und es gibt für Teddsaner nichts schlimmeres als öffentlich bloßgestellt werden) aufgefordert, (zum Teufel nochmal) in die Empfangshalle zu kommen und ihr (sch...verfl...) Ticket zu lösen. Zudem darf man für jede halbe Stunde, die das Ticket zu spät gelöst wird, fünf Prozent auf den Ticketpreis drauf zahlen. Löst man es also erst zwei Stunden, nachdem man an Bord gegangen war, zahlt man schon 20 % mehr. Das erste, was sie nun (wie jeder, der an Bord einer Fähre war) zu tun hatten, war es, ihre Kabinen aufzusuchen (kurios ist: Das Teddsanische kennt so eine Differenzierung wie Kabine nicht. Raum ist Raum und deshalb ist alles Mivhos. Meistens aber nennen Teddsaner die Kabinen auf den Fähren „Baphos“ – und das bedeutet „Büchse“; eine Anspielung darauf, daß die meisten Teddsaner recht genervt von der Größe der Kabinen sind). Die Freunde aber hatten schon genug damit zu tun, diese überhaupt erst einmal zu finden in dem Labyrinth an Kabinen und Zimmern, als sie die langen mit grünem Teppich ausgelegten Gänge durchforsteten, immer auf der Suche nach einer gescheiten Zahlenfolge, während alle Zahlen, die sie fanden, völlig willkürlich verteilt schienen (die Anordnung der Räume war für Teddsaner völlig normal, aber nicht für Menschen). Nachdem sie endlich die vier Doppelzimmer 1854 - 1857 gefunden hatten, wollten sie sich ihre Kabinen ansehen, doch Momoko hielt sie auf: „Hey, Leute, wisst ihr zufällig, wo Jamapi steckt?“ Die ganze Gruppe wurde wieder aufgescheucht, sah sich prüfend zu allen Seiten um und wollte schon ein verzweifeltes „Oh Nein“ von sich geben, als die kleine Knubbelkugel anscheinend aus dem Nichts wieder auf Momokos Schulter landete. „Momokochen, es gibt da was interessantes, das ich euch sagen muss“, teilte er mit. „Jamapi, wie kannst du uns nur so einen Schrecken einjagen? Wir haben schon gedacht, du bist verschwunden oder auf dem Teller eines Teddsaners gelandet“, schimpfte Momoko (ja, das IST ein Risiko. Bei seinem Anblick wäre für einen Teddsaner die naheliegende Assoziation: Riesen-Germknödel mit Blaubeer-Topping) „Tut mir leid, aber ich habe da eine Veranstaltung entdeckt, die ganz lustig sein könnte. Da ist vor einem verdunkelten Saal ein Plakat ausgehängt, auf dem steht, daß heute Abend ein Konzert mit Live-Musik stattfinden soll.“ (mir schwant Übles, gaaanz Übles. Solche Veranstaltungen sind der Grund, weshalb alle anderen Schiffe und Boote diese Fähren fürchten wie den Klabautermann) „Das hört sich toll an, Jamapi“, sagte Momoko begeistert, die nur an eines dachte (na klar, mit Yosuke tanzen). Die anderen sahen dagegen eher skeptisch aus (würden sie die Wahrheit kennen, sähen sie eher todessehnsüchtig aus). „Ich weiß nicht. Woher sollen denn die Teddsaner Live-Musik haben und vor allem: Wer soll die singen“, fragte Hinagiku (recht so, immer schön hinterfragen, bevor man blindlings ins Unglück rennt). „Das würden wir dann schon sehen, außerdem könnte so ein Abend die beste Gelegenheit sein, sich zu entspannen“, meinte Yuri (sich zu VERspannen trifft es besser, und zwar in epileptischer Schockstarre). „Na gut, ich denke, wir haben uns für heute genug abgehetzt, da werden wir uns die Erholung einfach mal gönnen“, entschied Momoko (ich zitiere aus Max und Moritz: Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe). Die anderen nickten und gingen, doch ehe Yuri ihnen folgen konnte, berührte eine vertraute Hand sanft ihre Schulter und eine warme Stimme fragte von hinten: „Yuri, kann ich dich kurz sprechen?“ Sie wandte sich zu Kazuya um, mit dem sie einen Moment in die Kabine verschwand. Beide saßen auf dem Bett, als Kazuya begann. „Yuri... bitte glaub mir. Das neulich in unserer Welt tut mir wirklich aufrichtig leid.“ Yuri schüttelte den Kopf. „Es war nicht deine Schuld. Ich habe darüber nachgedacht. Du wolltest mich doch nur auffangen und ich hätte mir sicher weh getan, wenn ich hingefallen wäre. Du hast mich gerettet. Mir tut es leid, daß ich sofort so aus der Haut gefahren bin. Ich hätte besser aufpassen sollen. Ist schon gut. Ich bin nicht böse.“ Sie küsste ihn auf die Wange, lief selbst feurig rot an und Kazuya (der, wenn er ehrlich zu sich selbst gewesen wäre, nicht weniger schüchtern war als Yuri) verließ als erster die Kabine. Yuri blieb noch einen Moment dort sitzen mit klopfendem Herzen und rasenden Gedanken, dann aber gesellte sie sich zu den anderen, um sich das Schiff anzusehen. An Deck hatte schon die Dunkelheit die Welt ringsum verschluckt, daher sah man bloß noch die Lichter Zimhagans wie Glühwürmchen in der Ferne. Dann aber trennte sich die Gruppe: Scarlet zog mit Hiromi los (jedoch nicht um ihrer Gesellschaft Willen, sondern um sie zu bewachen wie ein Schießhund). Momoko hakte sich bei Yosuke unter, Yuri schlenderte Hand in Hand mit Kazuya davon und Hinagiku verschränkte die Arme im Nacken und spazierte selbst los. Takuro blieb allein zurück. Jamapi war auf Anraten Momokos zu seiner eigenen Sicherheit in der Kabine geblieben. Der Dampfer war bis unter das Deck mit Geschäften vollgestopft, wovon 65 % Spirituosen führten, 30 % Fressalien feilboten und die restlichen 5 % alle möglichen Arten von fragwürdigen Pülverchen, Räucherstäbchen, Tabak oder Pillen verkauften. Die Tour über das Schiff endete für alle in der Empfangshalle. Kazuya wollte Yuri ein wenig imponieren und hatte daher (heimlich) in seinem Wörterbuch nachgeschlagen. Nun wandte er sich recht holprig an den Empfangsmitarbeiter: „Sakurh gambadhs çe gilmho-çadhz?“ (Übersetzung: Wann beginnt das Konzert?). Der Teddsaner musste schmunzeln, doch nicht wegen der unbeholfenen Aussprache: „Hehe, tes thorser ça gilmho? Tes nogh rivher tes tilher sokhbaos.“ (Übersetzung: Hehe, das nennst du Konzert? Du weißt nicht, wovon du redest.) Damit war Kazuya leider überfordert, weil er mit einer Uhrzeit gerechnet hatte und bevor er vergeblich das Wörterbuch quälte, steckte er es lieber weg und setzte ein Lächeln auf, zu dem er nickte, als würde er verstehen (für Teddsaner jedoch ein klares Anzeichen, daß es nicht so war). Yuri kam ihm zu Hilfe und fragte nachdrücklicher: „Nascid warbhes-rivh mos, sakurh çe gilmho gambadhs.“ (Übersetzung: Ich würde gern wissen, wann die Vorstellung beginnt.) Der Teddsaner hörte zu lachen auf und antwortete kurz und bündig: „Threa derhbeçakh-çen horhies.“ (Übersetzung: Um 21:00 Uhr) Sie hakte noch einmal kurz nach: „Ponerh, ibdj torhesbarh chesthra?“ (Übersetzung: Also, in 30 Minuten?) „Che mas marh“, erwiderte der Empfangsbeamte (Übersetzung: So ist es). Sie wandte sich ab und ging, ohne den Teddsaner weiter zu beachten. Kazuya bildete lieber die Nachhut, denn wegen des misslungenen Teddsanisch-Versuchs kam er sich nun etwas dumm vor. Es waren noch 30 Minuten bis zur Show, als Scarlet sich plötzlich an die Gruppe wandte und ihre Kleidung kritisierte. „Also eines steht fest: Wenn es dort Musik gibt, können wir in diesem Kleidern nicht dazu tanzen.“ (das ist keine Musik, zu der man tanzen möchte, sondern eher schreiend davon rennen) Die anderen stimmten dem zu, doch hatten sie nicht damit gerechnet etwas mitnehmen zu müssen. „Na, dann tanzen wir halt so“, protestierte Hinagiku, „Ist doch nichts dabei. In der Disco trägt man ja auch keine Abendgarderobe.“ „Wir müssen gar nicht so tanzen“, wandte Scarlet schnell ein, „wenn wir etwas benutzen, das wir sowieso immer bei uns haben.“ Den anderen fiel es von den Augen wie Schuppen. „Genau, jama. Ihr verwandelt euch in Liebesengel.“ „Es sind zwar Kleider für den Kampf, aber... sie sind schön genug, um damit zu tanzen“, meinte Momoko und Yuri schloss sich schwärmend an: „Ist das romantisch, dann kommt es uns vor, als würden wir alle schon heute Hochzeit feiern.“ Los marschierten sie und betraten die Music-Lounge. Zu ihrer großen Überraschung entdeckten sie jetzt schon einige Personen, die mit einem Glas Hochprozentigem nur noch halb an der Theke hingen oder unter den Tischen dort lagen. „Was ist denn mit denen los“, fragte Hiromi. Auch die anderen konnten sich darauf nicht unbedingt einen Reim bilden (wer es gekonnt hätte, wäre spätestens jetzt freiwillig von Bord gegangen) Anmerkungen zu den Sauf-Phasen: Ihr seid einem schrecklichen Geheimnis auf der Spur, das den Liebesengeln bevorsteht und nicht einmal die zauberhaften Vier werden sie davor retten können (jedenfalls nicht, wenn sie sich nicht in ein paar superschalldichte Ohrstöpsel verwandeln können). Dazu aber später mehr. Es gibt bei solchen Veranstaltungen in der teddsanischen Welt immer viele Menschen und Teddsaner, die grölen, kotzen oder sich besaufen (wenn sie noch können). Das ist so Tradition und Teddsaner suchen im Grunde immer nach einer passenden Gelegenheit, um sich selbst abzufüllen. Ehrenhaft war ja sogar, daß es diesmal sogar einen tieferen Sinn hatte, sich ins Delirium zu saufen, denn es diente dem Selbstschutz. Die Schluckspechte hier teilten sich in 4 Gattungen: Die Vor-Säufer: Sie wissen von der Gefahr, der sie sich aussetzen werden und versuchen sich bestmöglich vor dem Konzert zu schützen, indem sie sich vorher so gut wie möglich zuschütten (6,9 Promille und eine Valium reichen meist). Sie sind informiert und kommen daher am glimpflichsten weg. Andere haben es dagegen nicht so gut. Die Last-Minute-Säufer: Das sind diejenigen, die keine Ahnung hatten und erst kurz vor dem Konzert erfahren, was ihnen blüht. Dann versuchen sie, in aller Eile so viel zu saufen wie es geht, schaffen das aber meist nicht und sind deswegen die Mehrzahl derer, die nach dem Konzert über der Rehling hängen und den Blick aufs (vollgekotzte) Meer „genießen“. Die Standard-Säufer: Das waren jene, die das Konzert als Anlass nahmen, sich zu besaufen und meistens hatten sie es während der Veranstaltung auch bitter nötig. Denn sie merkten erst, was vor sich ging, wenn sie es am eigenen Leib spürten. Die Nach-Säufer: Das sind die ärmsten Schweine, wenn das ganze gelaufen ist. Denn dann liegen sie jammernd unter den Tischen und fragen sich, wieso sie nicht zu den Vor-Säufern gehört haben und saufen danach so viel wie es geht, damit sie wenigstens eine gewisse Aussicht auf einen geruhsamen Schlaf haben, anstatt die ganze Nacht schlafwandelnd von einem singenden Freddy Krüger im Schlafrock kreuz und quer über das Schiff gejagt zu werden. Trotz des Alkoholgeruchs, der besonders Yuri (einer feinen Dame aus gutem Hause) überhaupt nicht zusagte, setzten sie sich dort auf freie Plätze und bestellten sich einen Saft. Der Saftbetsand auf dem Schiff war an Abenden wie diesen sowieso so gut wie nie gefährdet. Eigentlich war die „Lounge“ sehr schön mit dem gedämpften Licht auf der Tanzfläche. Die darum verteilten Tische lagen völlig im Dunklen, hatten aber leuchtende Ränder und wirkten auf diese Art wie kleine beleuchtete Inseln. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Freundinnen und Freunde feststellten, daß sich auf dem Schiff wohl doch mehr Leute befanden, als sie anfangs angenommen hatten. Der Raum füllte sich, er wurde schummrig erleuchtet, während man die Vorhänge zuzog. Und schließlich ging es pünktlich los, nachdem schon die ersten Liter verschiedener Spirituosen geflossen waren... Ein Überlebenstipp: Man verziehe sich lieber nach Möglichkeit an das andere Ende des Schiffes, warte bis 04:30 Uhr und dann komme man vorsichtig zurück! Live-Konzert – Das Grauen beginnt Diejenigen, welche die Live-Musik singen sollten, waren drei Teddsaner in Lederjacken, die unglaublich „cool“ aussahen (besonders die Lederjacken, die viel zu klein waren, so daß man nur darauf wartete, daß die Nähte endlich platzten...). Als das erste Lied begann, erwogen die hier versammelten Helden spontan, selbst mit dem Alkohol anzufangen. Ja, Teddsaner waren unglaublich „kreative“ Sänger, denn sie trafen Töne, von denen die meisten Musik-Professoren nicht mal wussten... meistens waren es aber leider nicht die, die sie hätten treffen sollen. Dieses kleine Defizit konnte aber weder die Schönheit ihrer Stimmen noch die Poesie ihrer Texte oder die Eleganz ihrer Bewegungen schmälern. Die Liedertexte bargen eine solche Ausdruckskraft, daß Goethe und von Eichendorff blass geworden wären (leichenblass). Und erst die unvergleichliche Sinnhaftigkeit dieser Texte, die fast philosophische Tiefe erreichte. Und die tänzerischen Fähigkeiten überstiegen die der Liebesengel noch bei weitem... Na, merkt ihr wie die Ironie aus diesen Zeilen in eurer Gesicht springt, dann wie eine eisige schwarze Soße an eurem Rücken herunterläuft und euch einen kleinen Vorgeschmack von dem Schrecken liefert, der dahinter steckt? Ohne Weichzeichnen gesagt: Die Texte waren so poetisch, daß sie sich in einem Satz wiedergeben ließen, der nicht mal einer war: „Mxt-d-kn-zn Spack!!!“ Und sie waren so sinnvoll wie... Eine Katze mit Krähenflügeln, die, einen Regenschirm hochhaltend, ihren dreibeinigen Yorkshire-Terrier auf einem rosa Fahrrad über ein Hochspannungskabel spazieren fährt... Dazu kamen Bewegungen, die aussahen wie die eines fetten, gehbehinderten Pinguins, der nach 5,9 Promille und einer Bekanntschaft mit der Schiffsschraube immer noch glaubte, tanzen zu können. Die Musik und den Gesang, das Schlimmste von allem, konnte man sich kaum vorstellen. Es hatte aber Ähnlichkeit mit dem rostigen Quietschen einer verstimmten Violine aus dem Jahr 5000 v. Chr. (daß es zu jener Zeit keine Violinen gab, ist absolut richtig) zusammen mit der aufs Grausamste (also gar nicht) entstellten Stimme einer gehörnten Operndiva – wem der Anwesenden angesichts solchen Ohrenschmauses auch noch Hörner gewachsen sind, blieb unklar... Die andächtigen Vor-Säufer würden sich am nächsten Morgen zwar vorkommen, als hätte jemand während der Nacht mit einem Nebelhorn versucht, ihren Kopf als Aufblasboot zu missbrauchen, würden aber auch froh darüber sein, die Live-Musik lebendig überstanden zu haben... Nach nicht mal 15 Minuten waren die Nerven der Freunde dermaßen zum Zerreißen gespannt, daß es Yuri als erster reichte, die in ihrem ästhetischen Empfinden so sehr gestört war, daß sie abrupt aufstand, zur Bühne marschierte, dem Haupt„sänger“ das Mikrofon wegschnappte und ihn anfuhr: „Djuther tes ma whao?“ (Übersetzung: Warum verschwindest du nicht?). Äußerst beifälliges Klatschen von allen Anwesenden, die noch halbwegs wussten, wer sie waren und wo sie sich befanden. Der Bandleader sah sie einen Moment entsetzt an und begann dann wild mit den Fäusten vor ihr herumzufuchteln. Yuri tat es nun aber schon wieder leid, daß sie so wütend und unbeherrscht gewesen war und sie lenkte ein: „Fhasnor, whao-nogh jasa-ya narhes barhaçekh? Jea, non xezhsi marh-chiegh gotha-jadhen.“ (Übersetzung: Entschuldigung, warum macht ihr nicht eine Pause? Wir können ja so lang weitermachen.) Nun hörte der Teddsaner mit dem Fuchteln auf und grinste. „Çe mas nascad. Çe mas nascad-warh! Non djasi...çenrha!“ (Übersetzung: Das ist gut. Das ist sehr gut! Wir hauen ab... vorerst!) Mit diesen Worten hörten die Musiker zu spielen auf und verließen die Bühne. Sie gingen zur Bar und bestellten sich Drinks zur Erfrischung. Nun erst brach er richtig los, der Jubel der Gepeinigten über ihre Erlösung und der Befreiung vom Joch der (akustischen) Körperverletzung – und wieder einmal, so wird es in den Geschichtsbüchern stehen, haben die Liebesengel die Welt gerettet! „Jetzt hast ausnahmsweise du uns mal in was reinmanövriert, Yuri... Keiner von uns kann doch wirklich professionell singen“, sagte Momoko kleinlaut, als Yuri zu den anderen zurückkam. „Oh doch, ich glaube, wir können singen und ich werde es beweisen, weil ich als Erste nach vorn gehe.“ „Das ist sehr mutig von dir, Yuri“, lobte Kazuya, wurde aber nach diesen Worten am Handgelenk gepackt und mit auf die Bühne genommen, wo auch er singen sollte. Hinagiku deutete mit dem Daumen auf die an der Bar sitzenden Teddsaner. „Tss, besser als DAS da sind wir allemal.“ Das stimmte allerdings, denn obwohl die Liebesengel keine musikalische Sonderausbildung hatten, war für die gequälten Ohren alles außer den krächzenden Teddsanern Engelsgesang! Daher wunderte es auch kaum jemanden, daß man den Engeln der Liebe begeistert Beifall klatschte, als sie ihre Gesangseinlage "virgin love" beendet hatten. Nun waren Momoko und Yosuke mit dem Singen an der Reihe, während die anderen entweder zu der Musik tanzten oder sich setzten und etwas tranken (natürlich alkoholfrei, denn der meiste Alkohol war eh schon versoffen oder schwappte soeben die gierigen Kehlen der Sänger herunter). Nachdem Yuri und Kazuya ausgiebig gesungen und getanzt hatten, saßen sie zusammen am Tisch und sahen den anderen zu, während die dort Anwesenden zu fetzigen Liedern mitgrölten oder zu ruhigeren schunkelten. „Sag mal, Kazuya... Hast du eigentlich schon einmal an... eine Hochzeit gedacht...“, fragte Yuri errötend. „Ja, das habe ich. Ich fand den Gedanken in der Welt der Engel Hochzeit zu feiern sehr schön. Damals habe ich all die Paare gesehen, als ich in der Garde tätig war, und ich war meistens dabei, wenn zwei Engel heirateten. Ich habe einen Entschluss gefasst, als mich ein wunderschöner Engel in weißer Rüstung vor dem dämonischen Elixier rettete. Diesen Engel möchte ich heiraten. Doch erst möchte ich ihn hier als Mensch heiraten und dann im Reich der Engel. Denn ich liebe dich als Yuri und als Lily...“ Sie strahlte über das ganze Gesicht. Seine Hand, die ihre Wange streichelte, verdeckte deren Rötung. „Ich bin... noch nie glücklicher gewesen, Kiiro. Ich wünschte, es könnte für immer so bleiben.“ „Wenn ich auch nur ein einziges glückliches Leben mit dir verbringen kann, käme keine Ewigkeit dagegen an.“ „Das hast du schön gesagt“, flüsterte Yuri mit glänzenden Augen. Er hielt ihre Wange, blickte ihr tief in die Augen und fügte hinzu: „Viele können dir schöne Worte sagen, doch das hier kommt nur von mir.“ Darauf küsste er sie mit aller Hingabe. Yuri schloss die Augen, spürte den Schwindel dahinter, sie öffnete sie wieder, spürte den Schwindel davor und wie ihr süß die Kraft aus dem Körper gesogen wurde. Die romantische Stimmung endete jäh. „Hinagiiikuuu! Bitte nicht, du weißt doch, ich... ich kann nicht tanzen“, winselte Takuro, als er von Hinagiku in Richtung Tanzfläche geschleift wurde. „Dann lernst du es eben. Ich habe keine Lust, den Abend ohne tanzen zu verbringen, nur weil du Jammerlappen Schiss hast.“ Schließlich kamen Momoko und Yosuke wieder an den Tisch und setzten sich. Getanzt hatten sie schon so viel, daß ihnen die Füße schmerzten. „Pfirsichtörtchen, erinnerst du dich eigentlich noch, als wir in der Schule noch einmal Hochzeit gefeiert hatten nachdem Satania besiegt war? Da haben wir auch soviel getanzt. Und du sahst in dem Kleid unglaublich schön aus.“ Momoko errötete und stieß ihm sanft den Ellenbogen in die Seite. „Na, du Schleimer... musst du jetzt damit anfangen?“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Plötzlich kam ein Teddsaner, der einfach so im vorbeigehen sagte: „Giçanh-thop gomhesh byjhakhon bilhijhakege?“ (Übersetzung: Schon mal übers F... nachgedacht?). Spontan lief Yuri puterrot an und wagte kaum noch zu sprechen. Die anderen, die ja nicht verstanden hatten, was er gesagt hatte, fragten sie neugierig: „Was regst du dich so auf, Yuri? Was hat er denn gesagt?“ Yuri schüttelte absolut verlegen den Kopf. „Nein, das... das kann ich nicht sagen... das geht einfach zu weit...“ „Ich will das jetzt wissen, was hat er gesagt? Wenn du’s mir nicht sagst werde ich im Wörterbuch nachschauen“, beharrte Hinagiku (Bilhijhakege steht nicht im Wörterbuch, darauf gebe ich dir Brief und Siegel). Yuri zögerte, doch schließlich rang sie sich dazu durch, eine Antwort zu geben: „Er sprach von... nun... äh... wie soll ich sagen? Das gehört auch zur Partnerschaft... erst küsst man sich doch... und dann...“ Weiter kam sie nicht, denn Hinagiku plapperte wieder einmal dazwischen: „Spann uns nicht so auf die Folter, was meinst du?“ „Fieken“, schrie ein Teddsaner von hinten, hatte es aber falsch ausgesprochen. „Was? Ich weiß beim besten Willen nicht, was er meint“, meckerte Hinagiku, bis Yuri ein Einfall kam und sie wieder die Stimme hob: „Jetzt weiß ich. Was tut man in der Hochzeitsnacht?“ Nun endlich hatten es alle verstanden und liefen auch gemeinschaftlich rot an. Die Teddsaner aber, die noch klar denken konnten, brachen über diese (in ihren Augen) spießige Erklärung nur in schallendes Gelächter aus. „Keiner von uns hat bisher...“, begann Scarlet vorsichtig, bekam aber nur von allen ein pikiertes „Ssshhh!“ zu hören. „Nein, aber sprechen wir hier besser nicht über dieses Thema. Ich halte das für das falsche Umfeld“, sagte Yuri und darauf schwiegen sie. Um 23:45 endlich kamen die Musiker zurück, waren aber mittlerweile so besoffen, daß ihre Stimmen durch den Alkohol und die leisen Lieder einigermaßen erträglich geworden waren. Die Liebesengel hatten somit ihre Schuldigkeit getan und zogen sich auf ihre Quartiere zurück, um die Nacht dort zu verbringen. Alle gingen zeitig ins Bett und während Yuri nur peinlich berührten Herzens in ihrem Pyjama vor Kazuya treten mochte, hatten die anderen keine Probleme... wirklich keine? Doch, da gab es nämlich zwei in der Gruppe, die schon seit längerer Zeit zusammen waren und deswegen viel weniger Berührungsängste haben sollten. Diese beiden standen nun tomatenrot in ihrer Kabine voreinander und konnten nicht entscheiden, wer sich als erster umziehen sollte. Momoko und Yosuke nämlich... „Jetzt mach schon, Momoko, du musst dich schon umziehen, wenn wir schlafen wollen.“ Sie blickte zu Boden und wirkte fast ein wenig betrübt. „Irgendwie hatte dieser Teddsaner ja recht. Liebesengel leben auch nicht ewig. Wir leben ein Leben und sterben eines Tages. Wenn wir die Liebe, das kostbarste Geschenk in diesem Leben, nicht völlig auskosten, haben wir doch einen Fehler begangen, oder? Ich möchte nicht gerne sterben und wissen, daß ich etwas verpasst oder falsch gemacht habe...“ Ich...“ Sie wurde rot, noch mehr als davor und versuchte es noch einmal: „Ich... möchte nicht als Jungfrau sterben...“ Sie fühlte plötzlich Yosukes Hände auf den Schultern und wollte erst zurückweichen, doch er hielt sie, zog sie an sich und ließ ein Gefühl der Geborgenheit und Wärme in ihren Körper fahren. „Noch nicht... ich habe das Gefühl, daß bald der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Und ich denke, es gibt sicher einen Ort, an dem man uns nicht dafür verfolgen oder verspotten wird, daß wir Engel und Dämon sind. Komm, gehen wir schlafen. Es war eine lange Nacht.“ Sie nickte, beide küssten sich noch einmal zärtlich, bevor sie sich getrennt umzogen und die Betten aufsuchten, denn das war bitter nötig... Kenneth, der Kenner: Wer das jetzt noch nicht verstanden hat: die Gruppe war in männlich und weiblich aufgeteilt. Soll heißen, Kazuya und Takuro teilten sich ein Zimmer, so wie Scarlet und Hiromi, Yuri und Hinagiku. Lediglich Momoko und Yosuke schliefen in einer Kabine (allerdings in getrennten Betten). Der nächste Morgen kam schnell und die ersten, die halbwegs nüchtern aus den Betten kamen, waren die Liebesengel, die nicht nur NICHT betrunken waren, sondern auch noch die Musiker davon abgehalten hatten, die ganze Besatzung des Schiffes in einen komatösen Zustand zu versetzen. So fanden sie bald die Kantine, in der das Frühstück serviert worden war (3 Stunden vorher), denn die Lautsprecher der Kabinen hatte irgendein technikbegeisterter Nach-Säufer wohl sabotiert, um lange genug schlafen zu können. Um einen Snack zu bekommen, reichte es trotzdem noch. Anschließend gingen sie an Deck und stellten fest, daß das Wetter angemessen war, um schwimmen zu gehen (nicht im Meer, obwohl ich auch gerne mal gesehen hätte wie 8 Leute der Fähre hinterher schwimmen). Sie entschieden alle, ein wenig schwimmen zu gehen, denn die meisten fettbäuchigen Wasserverdränger (genannt ‚Teddsaner’ ) lagen außerhalb auf Decken und schliefen, was sie sowieso schon fast den ganzen Tag taten (wenn sie nicht gerade Essen in sich hineinstopften, soffen oder irgendetwas Undefinierbares rauchten). Glücklicherweise, hatten die Frauen, wenn sie auch sonst nichts mitgenommen hatten, ihre Badesachen dabei, weil sie die Möglichkeit in Betracht gezogen hatten, schwimmen zu gehen. So konnten sie also bei warmen 22° ins Wasser gehen (bald sollte es sehr viel kälter werden). Letztlich war es aber nur Hinagiku, die sich ins Wasser traute, während die anderen draußen zu bleiben pflegten und sich in Gespräche vertieften, aus denen sie bald unsanft befreit werden sollten. Takuro, der Hinagiku von außerhalb zusah, bemühte sich, sie nicht direkt anzusehen, denn sonst wurde er rot und dies war ihm äußerst unangenehm und so verbarg er sein Gesicht die meiste Zeit hinter einem Zeitungsblatt (verdächtig daran: die ganze Zeitung war auf teddsanisch und er verstand kein Wort). Durch Hinagikus überaus selbstbewussten und eleganten Schwimmstil angespornt, kamen auch einige Teddsaner zum Baden. Und wenn diese erst begonnen hatten, herzukommen, war es nur noch eine Frage der Zeit bis der Riesenklops auftauchte. Und so geschah es dann auch, als mit Poltern und Quietschen ein gewaltiger, fassförmiger Teddsaner erschien, der etwa das Zehnfache von Hinagikus Gewicht haben dürfte (im Klartext: über 400 kg Lebendgewicht). Unter ihm bogen sich schon die Leitersprossen des Sprungturms und erst das Brett. Das war wirklich zum Bersten gespannt. Hinagiku, die es mit der Angst zu tun bekam, schwamm schnell gen Beckenrand und brachte sich hinter Takuro in Sicherheit. Tatsächlich war so ein gewaltiger Wuchtbrummer die wahre Massenvernichtungswaffe, denn wenn er sprang wurden alle unter ihm zerquetscht. Alle, die in seiner Nähe im Wasser gewesen waren, schleuderte die Druckwelle dermaßen gegen den Beckenrand, daß sie sich alle Knochen brachen und die Flutwelle aus dem Becken spülte die am Rand Liegenden vom Schiff herunter. Schlimmstenfalls hätte es das ganze Schiff gespaltet (gut, das war übertrieben, aber es ist die geeignete Warnung)... So kam es, daß die Freunde und alle anderen außerhalb des Beckens eine ziemlich unfreiwillige Dusche abbekamen und die im Wasser befindlichen ihre Zähne hinterher an einem Finger abzählen konnten. Für den Rest des Tages wollten sie sich danach lieber nicht mehr auf weitere böse Überraschungen mit Teddsanern einlassen, sie würden wohl früh genug noch mehr als genug davon erleben (stimmt allerdings). So waren sie wirklich froh, als gegen 21:00 Uhr abends, nachdem sie gespeist hatten, der Lautsprecher (mittlerweile wieder in Takt) verkündete: „Boçorhakh! Boçorhakh! Ça yelglha werha-idhsas chieghan-ibdj çukanh Port-Town-Bihaç! Negshor-çy-jen maçi jgç’adarh jenhes baphos, eydhya. Delhal.“ (Übersetzung: Achtung! Achtung! Die Fähre wird in Kürze im Hafen von Port Town einfahren! Bitte nehmen Sie sämtliches Gepäck aus Ihren Kabinen mit. Danke.). Nur Yuri hatte es verstanden und übersetzte für die anderen, woraufhin die Räumungsaktion der Kabinen begann. In der Empfangshalle sahen sie abermals lauter Teddsaner, die eine Flasche Alkohol am Mund hatten und eifrig den Inhalt zu leeren versuchten (eine uralte, teddsanische Tradition ist es auf einer Seereise, kurz vor dem Einlaufen des Schiffes eine bereits am Vortag angebrochene Flasche Alkohol zu leeren, noch ehe das Schiff angelegt hat – dies erklärt auch, weshalb sich so viele Menschen, die das versuchen, gleich nach dem Anlegen in ärztliche Behandlung begeben müssen). Denn Freunden blieb kaum Zeit den Hafen von Port Town zu bewundern, ehe sich die grölenden Teddsaner ihren Weg aus dem Schiffsbauch bahnten. Nachdem sie gerade ihre Flaschen geleert hatten, waren sie schon wieder auf der Suche nach der nächsten Gaststätte (denn bekanntermaßen machte Alkoholkonsum hungrig und die deftigen Speisen danach wiederum durstig, so daß Teddsaner sehr gern das eine dem anderen folgen ließen). Der hereinbrechende Abend tauchte den Himmel in violettes Rot und den Hafen in Stille, nachdem die Teddsaner verschwunden waren. Im Osten - jenseits der Wasser - sahen sie das schemenhafte Gobadhra-Gebirge und davor - auf den nun friedlichen Wogen - sahen sie große Gebilde, die an grasbewachsene Muscheln erinnerten, aus deren Innern Lichter drangen... die legendären, schwimmenden Hotels von Port Town. Kapitel 3: Auf den Spuren des Sündikats --------------------------------------- Während aus der Halle hinter ihnen das reiselustige teddsanische Volk, das trank, aß oder schwatzte, zu hören war, stand den Helden der Sinn aber nur nach Einem, nämlich die Herkunft des Flugblattes ergründen. Aus welchen Gründen sie auch immer hergekommen waren, jetzt fühlten sie sich wie Schatzsucher in einer fremden Welt und überall schien es mehr Hinweise zu geben. „Noch einmal zur Vollständigkeit. Die Adresse, die wir suchen, nennt sich Gilhiad-Adnebhshar P12 3-X4 Port Town“, resümierte Scarlet. „Was machen wir, um dorthin zu kommen? Sollen wir versuchen ein Taxi zu bekommen, wenn es das hier gibt“, fragte Momoko (gibt es schon, aber bevor man ein Taxi nimmt, sollte man eines bedenken: anders als in der irdischen Welt gibt es auf Theyzan kein Gesetz, das das Frisieren des Tachos verbietet. Weil die Regierung wichtigeres zu tun hat und die Teddsaner ohnedies eher Bus fahren, ist dagegen auch noch nie mit Vehemenz vorgegangen worden. Daher kann es, gerade für Touristen, die sich nicht auskennen, im Taxi schnell SEHR teuer werden). „Vielleicht... Aber hier gibt es auch noch Busse und die sind wohl günstiger, denke ich“, riet Yuri (gutes Kind, die teddsanischen Busse sind auf dem ganzen Planeten nämlich an einen einheitlichen Tarif gebunden, der sich seit einem halben Jahrhundert nicht mehr verändert hat). „Wir müssen uns schon entscheiden. Aber wenn wir eine bestimmte Adresse suchen, ist ein Taxi besser. Das kann uns gezielt zu der Adresse fahren. Ein Bus kann das nicht“, warf Yosuke ein. „Das mag schon sein, aber Taxis sind hier einfach zu teuer und auf der Streckenliste der Busse könnten wir unsere Adresse wiederfinden“, sagte Yuri. Die anderen entschieden (um ihr Geld fürchtend) für den Bus und sie betraten den Vorplatz des Hafengebietes, der von einigen kerzenförmigen Laternen in ein diffuses Licht getaucht wurde. Eine Haltestelle fanden sie am Ende des Vorplatzes zur Straße hin. „Schaut mal, der Mond“, staunte Jamapi, „der sieht so anders aus als der, den wir kennen, jama.“ „Das ist ja auch ein anderer, Jamapi“, erzählte Yuri, „Die Teddsaner nennen ihn Dispar. Der Krater, den ihr dort seht, ist das Meer der Zeit.“ Tatsächlich wirkte dieser Mond etwa doppelt so groß wie der Irdische und in der Mitte lag ein Krater, so tief, dass er selbst teilweise im Schatten lag. Das sah aus, als befinde sich im Mond eine schwarze Sichel. Zurück zur Streckenliste der Busse. Die Freunde mussten feststellen, dass sie bei ihren Überlegungen die Rechnung ohne teddsanische Abkürzungen gemacht hatten! Das wirre Gewusel verschiedener, mit Apostrophen getrennter Schriftzeichen verwirrte sogar Yuri. Leider beherrschte sie Theyzan in Wort und Schrift, eben aber nicht in jener speziellen Ausprägung der Schrift. Das Teddsanische Alphabet: Die teddsanische Sprache lässt sich, wie allgemein behauptet wird, viel schwerer sprechen, als schreiben, doch auch die geschriebene Sprache hat ihre Tücken. Theyzan besteht (wie das kyrillische Alphabet) aus einer Schriftzeichen-Gruppierung, bei der jedes Zeichen für einen bestimmten Lautwert steht. Diese Schriftzeichen können auseinander genommen und anders zusammen gesetzt werden, so dass die für Teddsaner das Wort kenntlich machende Lautstruktur erhalten bleibt, aber das Wort selbst kürzer wird. Diese Abkürzungen sind schwerer zu verstehen, weil bloß ein Skelett des einstigen Wortes erhalten bleibt. Es wäre vergleichbar, wnn mn lln dtschn wrtn d vkl sthln wrd (wenn man allen deutschen Worten die Vokale stehlen würde). Einfacher wird es, wenn man weiß, dass teddsanische Adressen so gut wie nie Postleitzahlen enthalten, da Städte dort immer in Abschnitte aufgeteilt sind (ähnlich den Arondissements von Paris). Man muss theoretisch nur die größtmögliche Ähnlichkeit der Schriftzeichen bei der gesuchten Adresse und den vorhandenen Abkürzungen suchen. Wie Bienen um ihre Königin scharten sie sich nun um den Stadtplan und Yuri entdeckte als erste die richtige Adresse. „Da ist sie: P 12 ist der Stadtteil. Die Straße nennt sich Gilhiad-Adnebhshar und die Hausnummer muss dann 3-X4 sein. Jetzt kennen wir die Position und müssen nun noch herausfinden wie der Adressname abgekürzt wird.“ „Takuro! Was treibst du denn da? Hör auf, du kannst kein Wort teddsanisch“, maulte Hinagiku, als sie sah, wie ihr Schulkamerad auf die Fahrplanliste starrte. Er aber erwiderte: „Ich mag kein Theyzan sprechen, aber in Memory war ich schon immer unschlagbar. Und die Schriftzeichen hier auf dem Fahrplan ähneln denen unserer Adresse auf dem Stadtplan.“ Sofort stürmten sie heran. „Dieses Straßenkürzel nennt sich Gil’h’ad-sh. Die könnte es sein?“ Yuri nickte sich selbst zu, „Ja, ich bin ziemlich sicher, daß sie das sein muss.“ „Hey, ich bin ja überrascht, was du alles drauf hast, Takuro. Hätte ich gar nicht gedacht“, lobte ihn Hinagiku, er aber wandte sich errötend ab. „Das ist die Linie E-124, Die kommt in fünfzehn Minuten“, sagte Yuri und sie warteten. Es wurde auch höchste Zeit, dass der Bus kam. Der Mond war hinter aufziehenden Sturmwolken verschwunden wie eine Zimmerlampe hinter verärgert zugezogenen Vorhängen und ein eisiger Wind wehte über die Straße. 15 Minuten später kam der Bus. „Narhes adnoshibh amha bai humhins, eydhya“, bat Yuri (Übersetzung: Eine Fahrkarte für 8 Menschen bitte). „Gowa menkhy?“ (Übersetzung: Welche Linie?). Sie überlegte kurz ehe sie antwortete: „Menkhy e-çerbha’tam’derhbe.“ (Übersetzung: Linie E-124; Kurzform für 124 - ausgeschrieben: çerbhaya-tamothy-derhbeçakh) „Sasmerhe Tezzhdhories.“ (16 Tedds Dollar; normale Langstrecke mit 38,40 €, also 4,80 € pro Person oder: 5312,03 Yen). Linienwechsel: Dass der Busfahrer nach der Linie gefragt hat, ist zu dieser Abendzeit normal. Das Prinzip verschiedener Routen ist bereits aus England bekannt - in Hull fahren die East Ridings of Yorkshire immer die Hauptstraßen ab, während die Stage Coaches sich den Nebenstraßen widmen; hier erledigt dies ein einzelner Bus, er bietet also je nach Tageszeit und Anzahl der Fahrgäste eine andere Linie an, wobei die 124 die Nebenstraßen abfährt. Sie genossen das außergewöhnliche Ambiente teddsanischer, öffentlicher Verkehrsmittel (jene, die nun schon Ironie schmecken, liegen richtig, denn das Ambiente heißt: Klein, eng und muffig Deluxe; es riecht nach Zigarettenqualm, denn ein generelles Rauchverbot schien der teddsanischen Regierung undurchführbar, alte Fastfood-Verpackungen liegen herum und die Polsterung der Sitze ist so weich, dass man darin versinkt). Trotz der wenig erbauenden Umstände waren sie froh, überhaupt ein erschwingliches Transportmittel gefunden zu haben. Nach etwa zehn Minuten erreichten sie ihr Ziel. Die Straße Gilhiad-Adnebhshar befand sich abseits der Hauptstraßen in einer vornehmen Ecke der Stadt. Umso überraschter waren sie also, als sie vor dem Haus 3-X4 standen: einem reichlich lädierten Altbau mit Holzverstrebungen und einer grünen Metalltür, von der schon die Farbe bröckelte. Yuri rümpfte die Nase. „Was, dieser verwahrloste Schuppen? Ich hoffe nur, dieses Flugblatt war wirklich seriös.“ (Meine Liebe, welche Quelle auf Theyzan ist denn bitte seriös?) In Ermangelung einer Klingel klopften sie und wählten - als es auch darauf keine Reaktion gab - die dritte Möglichkeit und öffneten die Tür. Neben ihnen zweigten verschlossene Türen in andere Räume, wahrscheinlich die Keller, ab. Vor ihnen fanden sie eine nun edle lackierte Holztür, durch die sie einen nostalgisch eingerichteten Raum betraten. Licht spendete eine grüne Banker-Lampe auf einem feudalen Schreibtisch, hinter dem eine Person saß, die - rein äußerlich betrachtet - absolut nicht in das Bild passte: Ein verwahrloster Kerl mit grauweißen, ohrlangen Haaren in einem grünen Pullover mit Dreitagebart und Ringen unter den Augen. Er wirkte abwesend und noch ehe einer der Freunde ein Wort gesprochen hatte schrie er: „Banzhalyblirhe!!!“ (Das hat keine Bedeutung) „Entschuldigen Sie. Wenn Sie uns sagen könnten, wo wir jemanden finden, der für dieses Prospekt hier verantwortlich ist.“ Momoko sagte dies in ihrer Sprache und zeigte dem Mann das Prospekt. Seine Augen weiteten sich manisch, so als wolle er wieder schreien, doch er schwieg und wies auf eine Tür rechts neben dem Schreibtisch an der Wand... Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, öffneten sie die Tür und gingen. Sie betraten einen langgezogenen, engen kellerähnlichen Gang, an dessen Ende sich eine weitere Tür befand. Als sie diese öffneten, bot sich ihnen das Bild eines feudal eingerichteten Studierzimmers, dem polierten Holz an den Wänden und den Gemälden nach zu urteilen sehr teuer. Ein Teddsaner im weißen Rollkragenpullover und einer schwarzen Weste saß auf einem gepolsterten Sessel und las in einem dicken Wälzer. Erst als sie näher kamen, sah er auf und begrüßte sie überraschend: „Ah, herzlich willkommen. Ihr seid spät dran. Also, ich habe die saisonalen Klassiker von Fazer und Linde und auch einige unabhängige Abfüllungen, die nachweislich nicht im Katalog stehen.“ „Ich fürchte, Sie irren sich“, unterbrach Yuri, „aber wir sind keine Wein-Sommeliers.“ Das bis eben noch freundliche Gesicht des Teddsaners verzog sich missmutig. „Nicht? Dann verschwindet wieder, ich bin beschäftigt.“ Momoko ließ dennoch das Prospekt auf den Schreibtisch fallen. „Wir werden gleich wieder gehen, wenn Sie uns sagen, was es damit auf sich hat.“ Ein kurzer Blick auf das Flugblatt und der Teddsaner fing laut zu lachen an. Er wendete es schließlich, rückte sich die goldene Brille auf der Nase zurecht und antwortete noch immer schmunzelnd: „Dann, fürchte ich, seid ihr deutlich zu spät dran. Einen Fetzen wie den habe ich seit neun Jahren nicht gesehen.“ Den Freunden blieb der Atem im Halse stecken. „Soll das heißen, wir sind völlig umsonst hergekommen“, fragte Momoko geschockt. „Das kommt darauf an, weshalb genau ihr hergekommen seid“, erwiderte der Teddsaner, „Soll ich euch sagen, was das wirklich ist? Dieses Flugblatt war eine Falle. Früher befand sich hier der Sitz eines Verbrechersyndikats. Sie veranstalteten Erlebnisreisen in die verbotene Stadt, füllten die Leute dort mit Alkohol ab und raubten sie aus. Das alles war ein riesiger Betrug, doch dieses Syndikat gibt es schon sehr lange nicht mehr. Aber sagt mal, wieso seid ihr überhaupt nach Theyzan gekommen?“ „Wir wollten nur die Sommerferien hier verbringen und nun auch wissen, woher dieses Flugblatt kommt... oder besser gesagt: wohin es führt“, erklärte Momoko. „Da fällt die verbotene Stadt eher in die Kategorie »Erlebnisreise« auf eigene Gefahr, wie Bergsteigen ohne Sicherungsseil. Die Stadt ist unmenschlich und gefährlich für jene, die nicht wissen, was sie tun und immer noch ein Risiko für jene, die es wissen. Wenn ihr da wirklich hin wollt, gibt es noch aktive Routen des ehemaligen Syndikats. Heute nutzt man die, um etwas Gutes für die Leute in der verbotenen Stadt zu tun. Eine dieser Gruppen nennt sich das Punk-Netzwerk. Zu denen unterhalte ich selbst einige Verbindungen. Der aktuelle Sitz ist in White Land.“ „Wir wollen die Sommerferien in der schlimmsten Stadt des Planeten verbringen“, fragte Yuri empört. Ohne von seinem Buch aufzublicken antwortete der Teddsaner: „Offensichtlich. Wenn ihr dem Flugblatt folgen wollt, ist das euer Ziel. Ich habe mir aber sagen lassen, dass es nirgendwo auf dem Planeten so gute Partys gibt wie dort.“ „Mal angenommen, wir wollten nach White Land, wie Sie sagten, wie genau kommen wir dorthin“, fragte Momoko. „Es gibt Spezialeinsatzwagen des führenden, teddsanischen Busunternehmens, die außerstädtisch fahren. Damit kommt ihr nach White Land. Allerdings ist es vielleicht besser, wenn ihr die Nacht hier verbringt und morgen weiterseht.“ „Das würden Sie für uns tun“, fragte Scarlet. „Ich habe viele Gäste und die Räumlichkeiten ohnehin anbauen lassen. Durch die Tür da geht es in die anderen Räume, die Gästezimmer sind hinter der Tür links im Empfangsraum.“ Bevor sie sich aber umwandten, ergriff Yuri noch einmal das Wort. „Ich kenne Sie. Kann es sein, daß Sie Marvhelh Labravhe sind?“ Der Teddsaner grinste sie zufrieden an: „Wenigstens eine erkennt mich. Ist aber auch nicht überraschend, wo die Teddsaner doch alle ziemlich gleich aussehen.“ Die anderen schauten dumm aus der Wäsche, denn sie kannten diesen Teddsaner nicht. Einige Infos zu Labravhe und dem „Schnapsbund“: Marvhelh Labravhe ist weit mehr als nur ein gewöhnlicher Teddsaner. Er ist viel mehr der Pionier des modernen, postimperialistischen, teddsanischen Unternehmergeistes. Nachdem der Krieg beendet und der Gründer entmachtet worden war, erlebte Theyzan einen wirtschaftlichen und kulturellen Tiefstpunkt. Die Teddsaner - durch ihre Niederlage in Krieg noch mehr in ihrem Minderwertigkeitskomplex bestärkt - versanken in Apathie und wollten nur noch überleben. Vorbei der Traum der teddsanischen Hochkultur. Die Teddsaner wollten direkt nach ihrer Geburt einen möglichst einfachen und anspruchslosen Beruf ergreifen, gerade mal genug Geld verdienen, um überleben zu können und sich in ihre Heime zurückziehen. Das hatte verheerende Konsequenzen. Berufsfelder mit geringen Anforderungen wurden überflutet, d.h. es gab viel zu viele Bewerber für die „Drecksarbeit“ während jene Berufe, die eine bessere Qualifikation erforderten, immer mehr Anwärter verloren, so dass dem Teddsland ein eklatanter Mangel an Ärzten, Technikern und Lehrkräften drohte. Da man niemanden zu einem Beruf zwingen konnte (und sich viele Teddsaner auch ganz ohne Beruf durch mogelten), stellte sich die Frage, was zu tun war. Derjenige, der den Teddsanern die Hoffnung darauf zurück gab, Großes vollbringen zu können, war Marvhelh Labravhe. Ursprünglich der kleine, unterbezahlte Gesell eines Fischhändlers aus Lighttown, kam er auf die Idee, aus den Fischabfällen des Verkaufs eine Fischsuppe herzustellen. Dass er damit zu einem kleinen Vermögen kommen würde, hatte anfangs wohl nicht einmal er selbst gedacht. Marvhelh Labravhe stieg zum Geschäftsführer einer eigenen Firma auf, die Suppen, Saucen, Dips und Lebensmittelaromen. Das Unternehmen expandierte schnell und wurde weltweiter Marktführer der genannten Produkte. Labravhe gab daraufhin die Führung seines Konzerns ab und ließ sich mit der enormen Abfindung und einem lukrativen Aktienanteil im leerstehenden Gebäude des ehemaligen Syndikats in Port Town nieder. Als persönliches Hobby trat er von dort aus dem renommierten Schnapsbund bei. Dieser geht zurück auf die zwei revolutionärsten Personen der teddsanischen Alkoholindustrie: die Imperialisten Spiderha und Pharanzu (die Japaner kennen ihn als Franz, da sie seinen Namen als Furanzu verstanden haben). Diese beiden begründeten den Spirituosenkult auf dem Planeten nachdem sie in die teddsanische Welt gekommen waren und sich den Imperialisten abgeschlossen hatten. Als sie einander nach langer Trennung wieder trafen, musste dies ausgiebig gefeiert werden und zu einer guten Feier gehörte Alkohol dazu. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keinen solchen auf Theyzan gab, begannen die Freunde kurzerhand eigene Kreationen herzustellen. Die ersten Abfüllungen von Pharanzu waren eine Art Kakteenschnaps, der zwar fruchtig geschmeckt haben soll, aber hochgradig tödlich war... Sie versuchten es gemeinsam weiter, aber erst viele Jahre später zu Beginn des Krieges schafften sie es, Genießbares zu produzieren (Fazer und Linde sind zwei ihrer berühmtesten Marken, unter denen Pralinen, Wein und Spirituosen geführt werden). Der Schnapsbund basiert auf einer Idee, die sie während der Kriegsgefangenschaft hatten. Nach ihrer Freilassung wollten sie einen Club eröffnen, der regelmäßig zusammen kam, um neue Abfüllungen zu besprechen und zu verkosten sowie über alte Zeiten zu reden und den Nosthra-Kult hoch zu halten. Das schriftlich festgehaltene Vorhaben gelangte an die Öffentlichkeit und besagter Club ward gegründet. Spiderha und Pharanzu kehrten aus der Gefangenschaft zurück und mussten feststellen, dass ihr Club bereits gegründet worden war. Geselligkeit und Alkohol waren ein geeignetes Heilmittel in der Tristesse der Nachkriegszeit. Zu Anfang übernahmen Spiderha und Pharanzu selbst den Vorsitz des Schnapsbundes, doch nachdem sie Theyzan verlassen hatten, wurde Marvhelh Labravhe Stammmitglied und einer der Vorsitzenden des Clubs, der vor allem in den bekanntlich düsteren Städten wie Port Town und Junktown sehr beliebt wurde (ehemals Tedhsatonha II; heute ist die Stadt aber verfallen und pleite – alles ist dort umsonst, aber alles hat gleichermaßen auch die Qualität von ‚Umsonst’). Marvhelh Labravhe hat also auf vielen Gebieten einiges erreicht. Aber wie alle Teddsaner, die großen, finanziellen Erfolg hatten, vermeidet er Arbeit und genießt seit seinem Ausstieg aus der Geschäftswelt seine Mitgliedschaft im Schnapsbund in seinen privaten Räumlichkeiten in Port Town. „ Wo ihr mich schon kennt, ich kenne euch auch. Wir haben durch unsere Medien auch von der Erde erfahren und von den berühmten Liebesengeln. Und ihr seid wirklich nur wegen dieses Schmuddelblatts hier?“ „Also am Anfang wollten wir unserer Freundin nur zu mehr Selbstvertrauen verhelfen“, erklärte Momoko, „und nun ist es irgendwie eine Spurensuche nach den Ursprüngen und dem Ziel dieses Flugblatt geworden.“ „Verstehe. Wie ich sagte befindet sich ein Kontaktpunkt des ehemaligen Syndikats im Verwaltungsgebäude von White Land. Ob ihr da nun wirklich von wollt, ist freilich eure Ehescheidung.“ „Wie könnten wir denn an so einen Spezialbus kommen, von dem Sie gesprochen hatten“, wollte Yuri wissen. „Die Vegetationszonen dieses Kontinents spielen völlig verrückt, daher ist White Land eine Stadt inmitten einer riesigen Eiswüste, etwa vier Stunden von hier entfernt. Wenn ihr noch heute einen Spezialbus bucht, bekommt ihr ihn morgen für 25,00 TD (das sind 60 Euro bzw. 8106,04 ¥). Ich sag euch was: Ihr übernachtet hier und morgen früh wird der Bus auf euch warten. Ich lasse euch wecken.“ „Haben Sie vielen herzlichen Dank“, antwortete Momoko, „Nur aus Neugier: Wer ist der Mann im Empfangsraum? Er macht auf uns einen - wie soll ich sagen - leicht verwirrten Eindruck...“ Die Frage hatte allen unter den Nägeln gebrannt. Froh, sie endlich los zu sein, warteten sie auf die Antwort. Labravhe erwiderte mit mitleidigem Grinsen: „Verwirrt ist gut. Der Mann heißt Bongartz und war schon der Empfangsmann, als hier noch das Verbrechersyndikat saß. Leider hat er sich einmal auf ein Wettsaufen mit einem Teddsaner eingelassen und lag einige Monate im Koma. Er hatte Glück, daß er überhaupt wieder aufgewacht ist, aber er hat hierher zurückgefunden und von mir aus kann er gerne bleiben. Hier hat er Speis und Trank und er schläft in der meist leeren, linken Wohnung oder im Hinterzimmer. Und ich sage: Bevor er nun auf der Straße sitzen muß, ist es besser, wenn er hier bleibt. Keine Bange, er ist völlig harmlos. Seit damals rührt er aber kein Glas Schnaps mehr an, er lebt völlig abstinent. Überrascht mich nicht, er wäre beinahe draufgegangen. So vorteilhaft der Spirituosenkult für die teddsanische Rasse auch sein mag, hat er auch einige Opfer gefordert. Nun ja, aber das sind alte Geschichten, damit will ich euch nicht weiter langweilen... Oh, schon 22:47 Uhr. Die Weintester sind überfällig. Da werde ich jetzt mal anrufen und Rabatz machen. Und ihr geht besser schlafen, das wird morgen ein langer Tag für euch.“ Das hielten die Freunde auch für die beste Idee und verließen Marvhelh Labravhe. Im Empfangsraum angekommen, trafen sie erneut auf den ungepflegten Mann, der schon übertrieben freundlich mit der Hand wedelte. „Ist die Wohnung links noch frei“, fragte Hinagiku. Nickend antwortete er: „Frei, frei, gheu fheu.“ Die letzten Worte schienen aus einer ihnen unbekannten Sprache zu stammen (teddsanisch war es jedenfalls nicht). „Wir werden dann schlafen gehen. Gute Nacht“, versuchte der (barmherzige) Liebesengel Momoko Wohlwollen zu stiften, bekam aber nur als Antwort: „Schlaaf gutt, gho florh.“ (Das Wort florh gibt es im Teddsanischen wirklich, steht aber für Gülle... legt man dieses rätselhafte gho nun als ‚in’ aus, sollte man vielleicht über eine andere Schlafgelegenheit nachdenken) Wider Erwarten aber wirkten die mehrstöckigen Gästezimmer äußerst gepflegt. Das nötige Gepäck für die Nacht hatten sie ja. Einen Moment standen sie in dem geräumigen Vorraum und bewunderten die seltsam verzerrt gebaute Kuckucksuhr an der Wand (Vorsicht, nicht erschrecken! Kleiner Tipp: Teddsaner kennen gar keinen Kuckuck!). Das sollten die Anwesenden auch bald merken. Denn als sie sich der Uhr näherten, ertönte ein schriller Klingelton. Heraus aus dem Türchen kam eine Teddsanerpuppe, die von einer anderen in den Hintern getreten wurde und dabei den Glockenton erzeugte. Dazu verkündete der hintere Teddsaner mittels eines eingebautem Tonbands: „Gaçenh-dis domh çenarh. Bha ibdj-çe thuyj! Bha ibdj-çe thuyj, ghetaç-bodhorha! Uuuooooaaah!!!“ (Übersetzung: Noch 10 (Minuten) bis 11 (Uhr). Ab ins Bett! Ab ins Bett, Saubande! Uuuooooaaah!!!) „Wie unanständig“, empörte sich Yuri, als sie dies hörte. Die teddsanische Vorstellung einer Kuckucksuhr war wohl etwas grotesk im Vergleich zur Irdischen. Und nach dieser eher abschreckenden Botschaft beschlossen sie, schnell schlafen zu gehen. Dieser Planet hatte bisher eine Überraschung nach der anderen für sie bereit gehalten und sie konnten sich vorstellen, dass dies auch so weitergehen würde... Der nächste Morgen begann für die Freunde um 10:00 Uhr, als man sie weckte. Der Bus stand draußen auf der Straße und erwartete sie. Ihr Fahrer, ein (wie immer) rundlicher Teddsaner, der anscheinend über Kenntnisse ihrer Sprache verfügte, begrüßte sie und sie bezahlten (eine Fahrt von 4 Stunden für 8 Personen normalerweise nicht billig, aber diese Vorausplanung machte den Unterschied). Eines aber hatten die Helden vergessen und dies sollte ihnen bald eiskalt aufgetischt werden. Kapitel 4: Die Leiden des Shobun Mifitaga ----------------------------------------- Während der Fahrt wandte sich der Fahrer plötzlich an sie. „Sagt mal, was wollt ihr eigentlich in White Land? Da gibt’s nicht gerade viel zu holen. White Land ist eine recht öde Gegend.“ „Wir hatten eigentlich vor, Menschen aufzusuchen, die heute noch diese Stadtfahrten vornehmen. Wir werden sehen, ob wir jemanden finden“, sagte Yuri. „Ach, ihr meint sicher die Punkverbindungen. Das sind miese Kreise, habe ich mir sagen lassen. Aber ihr müsst natürlich selbst wissen, was ihr tut. Ach ja, ihr solltet langsam eure dicken Klamotten rausholen.“ „Wieso das“, fragte Momoko. „Seid ihr verrückt? Ihr wollt mir doch nicht erzählen, ihr wisst das nicht! White Land hat seinen Namen nicht von irgendwoher. Die Stadt ist eine einzige Eiswüste. Die Leute müssen Thermoanzüge tragen, damit sie überleben, wenn sie nach draußen gehen. Alle Häuser sind mit einer dicken Eisschicht überzogen und das ganze Jahr über herrschen dort mindestens –49°.“ „Waaas?! So kalt? Das hat uns dieser Marvhelh Labravhe aber nicht gesagt“, beschwerte sich Hinagiku (hat er doch, aber wie man ehrgeizige Jugendliche so kennt, sind sie sofort Feuer und Flamme für ein neues Projekt und überhören den Rest einfach). „Wir haben aber keine warme Kleidung dabei“, erklärte Momoko aufgebracht. „Tja, dann werdet ihr aber ein Problem haben, wenn wir die Stadt erreichen. Ich werde dort auch erst einmal einige Stunden festsitzen, weil mir der Motor sofort zufriert, wenn ich nicht gleich wieder verschwinde. Ich brauche erst spezielles Frostschutzmittel gegen richtig dickes Eis. Was ihr dann anfangt, müsst ihr sehen.“ Der Rest der Fahrt erschien ihnen nunmehr wie ein Himmelsfahrtskommando. Sie versuchten fieberhaft, sich einen Plan auszudenken wie sie durch die Kälte kommen sollten. Darüber vergaßen sie die Zeit und schon rief ihnen der Busfahrer zu: „Ich werde jetzt gleich an der Stadtgrenze ankommen, dann geht es auf den großen Vorplatz vor der Bus- und Zugstation. Weiter kann ich euch leider nicht fahren, der Vorplatz ist so etwas wie die magische Grenze. Alles dahinter würde den Wagen umbringen und früher oder später auch mich. Ihr werdet den Weg bis ins Gebäude wohl so schaffen müssen. Ich hoffe, ihr habt Glück und es schneit nicht, denn wenn es in White Land schneit, meine ich damit einen Blizzard, bei dem man die Hand nicht mehr vor Augen sieht. Stellt euch darauf ein, dass es ein ganzes Stück zu Laufen sein wird. Demnächst fragt besser vorher, was euch erwartet, besonders auf diesem Kontinent. Denn hier kann man nie wissen, was als nächstes kommt.“ 15 Minuten später war es dann soweit, die Grenze der Stadt kam in Sicht und waren die anfangs noch wenigen vom Wind verwirbelten Flöckchen schon ein Grund zur Beunruhigung, so wuchsen sie bald zu einem Flockengewirr, aus dem kaum mehr erkennbar war, wo sie sich gerade befanden. Schließlich stoppte der Fahrer den Bus. „Wie schätzen Sie nun die Entfernung ein“, fragte Hinagiku vorsichtig, in Gedanken bereits schrecklich fröstelnd. „Nun... bis zum Eingang dürften es etwa 100 Meter sein. Orientiert euch an dem blauen Signallicht da vorne am Gebäude und rennt schnell dorthin, bevor ihr erfriert. Ich werde euch jetzt die Tür öffnen. Haltet euch bereit.“ In diesem Moment ergriff Kazuya das Wort: „Wartet! Vielleicht halten wir die Kälte besser aus, wenn wir unsere Wellen der Liebe als Schutzschild verwenden. In gegenseitigem Austausch dürften sie eigentlich sehr nützlich sein.“ „Das ist eine ausgezeichnete Idee von dir, Kazuya. Los, auf geht's“, sagte Scarlet zustimmend. „Sag mal, Yuri, was gibt es eigentlich über diese Stadt zu wissen“, wandte sich die neugierige Hiromi an ihre „Reiseführerin“ (aber in einer Situation, die unpassender kaum sein konnte). „Können wir das vielleicht besprechen, wenn wir außer Gefahr und wieder im Warmen sind“, fragte diese, während einige Mutige bereits erste Schritte nach draußen machten. Schnell folgten alle anderen, die Frauen nahmen ihre Partner bei den Händen und gemeinsam durchschritten sie die Pforte in eine Hölle, die sie bisher immer für heiß gehalten hatten (doch auch Kälte konnte schmerzen...). „Ich wünsche euch viel Glück“, sagte der Fahrer noch, ehe die Tür sich schloss. Sogleich umfegte sie ein aggressiver Eiswind, die Hand war vor Augen nicht mehr zu erkennen und nur das Rufen Kazuyas drang durch des Blizzards Brausen an ihre Ohren. „Setzt eure Wellen der Liebe frei, jetzt!“ Das sanfte, warme Leuchten flackerte schwach im starken Schneesturm und vor sich erkannten sie die blauen Signalleuchten, vier an der Zahl, in einiger Entfernung vor ihnen. Und schon rannten sie los, Momoko und Yosuke als Anführer voraus, alle anderen hinterdrein. Beinahe wäre Momoko eine Treppe hinabgestürzt, die sich vor ihnen durch den Schnee abzeichnete und auf einen vertieften Pfad führte. Nur wenige Details der Umgebung ließen sich erkennen. In einigen vereisten Kästen blühten tatsächlich Blumen, die Schnee und Kälte trotzten. Die Umrisse eines kuppelartigen Gebäudes erhoben sich vor ihnen. „Kommt weiter, wir sind gleich da“, brüllte Yosuke mit allem, was seine Lungen hergaben durch den Wind und keuchend stapften sie weiter durch den Schnee, der hier bereits kniehoch lag. Nicht einmal die stärksten Wellen der Liebe konnten dieser Gewalt Gaznaels lange standhalten. Alte Königsmythen: Den Königsmythen zufolge gab es in alter Zeit einige hohe Götter, die das Weltgefüge auf Theyzan beherrschten und jedes Jahrhundert ein Königreich ernannten, welches zum mächtigsten Herrscherreich aufsteigen sollte. Dieser Mythologie nach wurde das 13. Königreich der teddsanischen Welt (dieses war das Königreich Havesthir) von Gaznael, dem Wettergott ernannt, der auf einem mächtigen, weißen Hund vom Himmel geritten kam. Er wurde als Krieger beschrieben, dessen Rüstung alle möglichen Bestandteile der Natur vereinte: Flüsse, Berge, grüne Hänge, Wälder, Erde, Eis- und Windlandschaften. So sollen auch einmal die unterschiedlichen Klimazonen des Zentralkontinentes entstanden sein. Allerdings haben Klimaforscher und auch Historiker des Imperialismus ihre jeweils eigene Version über die Entstehung dieser massiven Klimaunterschiede. „Bald... nicht mehr weit“, hörten sie das zum Flüstern abgeschwächte Rufen Kazuyas, denn jeder Schrei erforderte einen Atemzug und jeder davon ließ die Kälte wie Messer in die Lunge fahren. Dann, von einem Moment auf den Nächsten, sprinteten sie durch eine sich selbst öffnende Tür und befanden sich in einem Korridor zwischen mehreren Vortragssälen. Die gerade besetzten Auditorien waren mit schwarzen Vorhängen verschlossen und Schilder mit goldenen Schriftzeichen gaben die Titel der Vorlesungen bekannt. Hinagiku trat an die Glastür heran, durch die sie gekommen waren. Daneben war ein Schild angebracht, das in roter Schrift „nitadha-sajamhen“ verkündete. „Schaut mal, die ist von ganz feinen, roten Linien durchzogen.“ Sie legte die Hand dagegen, bevor Yuri sie aufhalten konnte (Autsch, Schilder sind zum lesen da), schrie auf und riss die Hand weg. „Verdammt noch mal, die ist ja kochend heiß“, fluchte sie, als eine Stimme hinter ihnen bejahte. „Natürlich. Da steht ja auch 'nicht anfassen'. Die Tür darf nicht zufrieren, deshalb die Wärmeleiter.“ Sie wandten sich zu dem Teddsaner um, der sich zu ihnen gesellt hatte. Yuri blinzelte, die schwarze Weste und das gelbe Abzeichen auf der rechten Brusttasche verrieten ihn als Taxifahrer (bitte den Abschnitt über die Fahrtkosten für Taxis wiederholen!). „Eines würde mich mal interessieren? Wie zum Teufel kommt ihr mit diesem dünnen Fummel hierher und wie wollt ihr weiter kommen?“ „Das wissen wir noch nicht. Wir kamen mit einem Spezialbus hierher, waren aber nicht gut vorbereitet und hatten daher keine passende Kleidung mitgenommen“, berichtete Momoko, während Yosuke ihre Schultern mit den Händen wärmte. „Nicht gut, nicht gut. Ihr könnt froh sein, dass ihr es bis hierher geschafft habt. Und was wollt ihr hier? Entschuldigt, dass ich frage, nur: White Land ist nicht gerade ein Touristenmagnet.“ „Wir suchen hier nach dem Kontaktpunkt eines ehemaligen Syndikats. Die Zentrale soll sich vor 9 Jahren noch in Port Town befunden haben. Man hat uns gesagt, dass einige Leute die alte Route heute noch betreiben“, erzählte Kazuya. „Ja, ich weiß, was ihr meint“, sagte der Teddsaner, „Die sitzen im zentralen Verwaltungsgebäude von White Land. Offiziell machen die Sachbearbeitung, also eine Art Outsourcing für die Unternehmen der unteren Stockwerke. Diese komische Tour bieten sie unter der Hand an.“ „Dann müssen wir dorthin. Wissen Sie wohl, wo wir hier dickere Kleider herbekommen und einen Bus finden können, der uns dorthin bringt“, fragte Yuri freundlich. „Busse bei dem Wetter? Vergesst es, bei diesem Sturm steht der Verkehr still, da geht nichts. Wenn der Sturm sich gelegt hat, werde ich euch dorthin bringen. Ich habe eh noch Dokumente bei der Verwaltung abzuliefern, daher liegt es auf dem Weg. Ich mach euch einen guten Preis, weil ihr Kumpel seid. Da ihr acht kaum in ein Taxi passen werdet, muss ich zwei weitere anheuern. Unter 10 TD pro Taxi kann ich da leider nichts machen (für teddsanisches Taxifahren ist das wirklich ein Superschnäppchen. Wir reden hier von 30 TD, also 72 Euro oder 9621,83 Yen für den Transport von acht (!) Personen. Der geneigte Autor dieses Werkes hat mir verraten, dass er für seine Taxifahrt vom Bahnhof Rotterdam zum Hafen allein soviel bezahlt hat). „Vielen Dank, das ist sehr großzügig von Ihnen“, antwortete Momoko zwar, aber innerlich fürchtete sie schon um ihre Ersparnisse. Hoffentlich stecken wir nicht bis zum Hals in Schulden, wenn wir wieder zurück sind. „Und was ist jetzt?“ Alle wandten sich um. Hiromi hatte das gesagt. „Was denn“, fragte Hinagiku etwas genervt (die meist etwas schroff reagierte, wenn Leute pflegten, sich ihre Gedanken aus der Nase ziehen zu lassen). „Ich meinte Yuri. Du wolltest doch etwas über die Stadt erzählen, so etwa.“ Yuri blinzelte verwundert, erinnerte sich aber und setzte ihr typisches Madonna-Lächeln auf. „Aber Hiromi. Du kannst dir doch sicher denken, dass ich uns nie in eine solche Gefahr gebracht hätte. Hätte ich irgendetwas über diese Stadt gewusst, hätte ich euch doch gewarnt. Ich habe vorher nicht viel darüber erfahren können und auf meiner Studienreise bin ich nie hier gewesen. Informationen zu Studienreisen: Generell kann man sagen, dass die teddsanische Sprache für Einsteiger besser zu lernen ist, wenn man sich in höhere Kreise begibt und beispielsweise mit Nachrichtensprechern oder Unternehmensleitern zu tun hat. Deren Sprachform ist weit besser verständlich, denn sie benutzen nicht das typische Nuschel-Teddsanisch, welches noch immer viele ehrgeizige Sprachanwärter zur Verzweiflung bringt. Yuri tat also gut daran, die teddsanische Welt mit dem Ziel aufzusuchen, die Sprache in guten Kreisen zu lernen. Zu einer Studienriese gehört es erst einmal, als Praktikant/in in einem Unternehmen zu arbeiten und sich an die herrschenden Sprachverhältnisse zu gewöhnen. Dann wird man auf einen historischen Kurztrip durch verschiedene Länder des Planeten geschickt und gewinnt einen groben Überblick über die teddsanische Kultur, die Welt und die Geschichte. Man erkennt an Yuris jetziger Bildung jedenfalls, dass solche Studienreisen die zuverlässigsten Mittel sind, um Theyzan kennen zu lernen. Informationen zu White Land: An dieser Stelle gleich noch eine Info (ich höre auch bald wieder mit dem Kulturgeschwafel auf, versprochen). Die Frage wie eine Stadt überhaupt existieren kann, wenn sie täglich bis zu maximal 69° minus erdulden muß und stetig in einer dicken Eisschicht steckt, ist durchaus berechtigt und erfordert einen kleinen Rückblick in die Zeit der Imperialisten. Man kann über die Imperialisten und ihre Untaten schimpfen wie man will, auf der anderen Seite aber nicht leugnen, dass sie einen blühenden Fortschritt ermöglicht haben. Der imperialistische Wissenschaftler Catapilhar entwickelte jene Solarzellen, die White Land mit der bitter nötigen Wärme versorgen. Diese befinden sich auf weiten Flächen violetter Generatorplatten, welche die Stadt umgeben, dazwischen liegen die Gleise der verkehrenden Züge. Die roten Heizlinien in den Türen sind nur eine Nutzungsart der Solarenergie. Sie wird auch verwendet, um Züge und andere Fahrzeuge fahrtauglich sowie Fenster, Türen und Durchgänge eisfrei zu halten. Die Eisschicht an den Gebäuden kann nicht beseitigt werden, da die Außenfassaden ständig Schnee und Eis ausgesetzt sind. Das wäre zu kostspielig. Die Heizkosten für die Innenräume sind schon astronomisch. Auch die Solarheizungen werden durch die Generatoren am Stadtrand gespeist, ebenso wie die Rohrleitungen für fließendes Wasser durch die Hitzeleitungen vor dem Zufrieren bewahrt werden. Ein technisches Wunderwerk ist diese Stadt, der selbst der größte Schneesturm nichts anhaben kann – abgesehen davon, dass zu dieser Zeit der Verkehr zum Erliegen kommt. „Also geht das klar“, fragte sie der Taxifahrer, „Wenn ihr die Verwaltungsgebäude besuchen wollt, bringe ich euch nach dem Schneesturm hin.“ „Das wäre wirklich sehr freundlich von Ihnen. Wir kommen gerne mit“, bestätigte Scarlet. Die Wartezeit brachten sie damit zu aus den Glasfenstern dem Schneetreiben zuzuschauen. Im Hintergrund unterhielten sich Yuri und der Taxi-Fahrer über die Stadt, denn wie man Yuri kannte, war sie bei allem Unbekannten entsprechend wissbegierig. „Diese Welt hier hat 326 Erdentage im Jahr. An 195 dieser Tage gibt es hier in der Stadt einen Blizzard und die Hölle ist los. Das dauert nie besonders lang, aber zu dieser Zeit steht der Verkehr still“, erklärte ihr Fahrer, „Oh, da scheint sich was zu tun. Ich glaube der Sturm legt sich langsam.“ Alle traten ans Fenster und sahen, wie die Schnee- und Eiswand immer durchschaubarer wurde und sich letztlich in kleine, vereinzelte Flocken auflöste. „Was ist das hier eigentlich für ein Gebäude“, wandte sich Yuri noch einmal an den Taxifahrer, auch wenn sie bereits eine Ahnung hatte. „Das ist ein Goterha“, antwortete er, „Häßlich gesprochen ein Schwafelhaus, auf Theyzan sehr gebräuchlich an Bahnhöfen. Hier kann man sich während der Wartezeiten aufhalten und die mit den schwarzen Vorhängen verschlossenen Vortragssäle besuchen, in denen Hobbyredner ihre Vorträge halten. Sie bezahlen, um den Saal zu mieten, bekommen dafür aber auch den Eintritt der Besucher ausbezahlt. Das reicht jetzt aber an Infos, Leute. Sonst platzt euch noch der Kopf. Ich organisiere wärmere Klamotten für euch. Dann werde ich die anderen Taxis bestellen und danach kann's losgehen.“ Schon eilte er davon. „Supi, endlich kommen wir mal voran. Also, ich finde dieses ganze Herumreisen ziemlich abenteuerlich. Zu Hause wären die Ferien sicher todlangweilig geworden“, verkündete Momoko. „Vor allem ist es hier nicht so heiß wie bei uns daheim. Dort ist jetzt Hochsommer“, sinnierte Yuri, doch allein ihr erster Satz hatte Hinagiku frösteln lassen. „Gefällt es dir in dieser Tiefkühltruhe etwa besser?“ Mit der Hand abwinkend verneinte sie: „Nicht wirklich, aber du musst zugeben, dass es eine Abwechslung ist.“ (Ja, noch besser wäre aber ein Trip nach White Land und anschließend nach Firefield – dann wird man zuerst schockgefroren und darauf geröstet; Gefrierbrand im wahrsten Sinne des Wortes...) Ihr Chauffeur war schnell zurück und hatte bereits telefonisch zwei weitere Taxis verständigt, die sich vor dem an den Bahnhof grenzenden Gebäude einfanden. Die Taxis glichen ovalen Schüsseln, die über dem Boden zu schweben schienen, es aber nicht wirklich taten. Tatsächlich befanden sich Metallschienen ähnlich den Kufen eines Schlittschuhs unter den Taxis. Die Metallschienen erhitzten sich beim Aktivieren des Motors und tauen den Boden an, so dass das Taxi über den Wasserfilm gleitet. Schließlich waren die Liebesengel froh, als sie sich in den Fahrzeugen zurücklehnen und die an ihnen vorbeirauschende Stadt genießen konnten. Zwar befand sich die viel belebtere Innenstadt noch in weiter Ferne, aber jetzt bereits stachen die Gebäude hervor und boten eine herrlich erleuchtete Skyline aus Häusern, die alle von einer türkisblauen Eisschicht überzogen waren, die im Gegenlicht golden schimmerte. Mittlerweile bemerkten sie auch wie alle Fahrzeuge auf den Straßen zögerlich wieder in Bewegung kamen und die vorher wie erstarrt wirkende Stadt mit neuem Leben füllten. Etwa eine halbe Stunde dauerte die Fahrt, dann erhoben sich deutlich die pilzförmigen Verwaltungsgebäude, von denen das Zentrale am größten war. Aus dem Häuserdschungel stachen sie nun hervor und ragten hoch auf, als die Taxis anhielten und die Fahrgäste ausstiegen. „Also, da wären wir. Das hier ist der Verwaltungskomplex der Stadt. Das Büro, das ich meinte, ist ganz oben. Und mich müsst ihr nun entschuldigen, ich muss meinen Kram wegbringen und dann gleich wieder an die Arbeit.“ Nach japanischer Sitte verneigten sich alle acht kurz, bezahlten die Fahrt und gingen (auch wenn die japanische Sprache in der teddsanischen Welt mittlerweile durchaus vertreten sein dürfte, die Gepflogenheiten des Landes kennt dort keine Sau). Sie betraten gemeinsam die Treppe zum Gebäude und konnten durch eine weitere Glastür mit roten Heizlinien eintreten. Gebranntes Kind scheut das Feuer: Hinagiku wagte sich nicht mehr, der Tür zu nahe zu kommen und trottete hinterdrein, als alle anderen hindurchgegangen waren. Im Innern des Gebäudes fanden sie den typischen Baustil von White Land vor. Weiß, überall weiß. Das Material wirkte fast silbern. Zur Linken führte ein langer Gang davon, vor ihnen lag eine Treppe zu einer Erhöhung des ersten Stocks und dahinter waren bereits die Aufzüge zu erkennen. Ganz rechts befand sich eine Rezeption. Hier trennten sich die Wege der Gruppe und des Taxifahrers. Ein Wachposten in der typischen, schwarzen Regierungsuniform mit der Waffe am Gürtel stand neben dem linken Gang und gab sofort einige Erklärungen ab, als sie auf ihn zutraten. Zuerst deutete er auf den Gang: „Boçorhakh! Batarhigjel jobidh. Mivhos-Sether’rhi’warhatçadzh odjo. Çirhakhen jebadh.“ (Übersetzung: Achtung! Garderobe hier. Aufenthalts- und Versammlungsräume oben. Aufzüge dort.) Yuri verneigte sich knapp als Dank. „Ich schlage vor, wir werden als erstes diese dicken Thermoanzüge los“, sagte sie zu den anderen. Die Anzüge, die ihnen freundlicherweise vom Taxifahrer übergeben worden waren, brachten sie in die Garderobe. Anschließend waren sie wie in einem Taumel der Neugier, dieses neue Gebäude zu erkunden. Auch Yuri merkte man an, dass sie einen solchen Ort zum ersten Mal sah. „Wie die das alles hier aufgebaut haben, ist phänomenal“, rief Hinagiku lauthals, als sie auf die Aufzüge zusteuerten. Diese waren viel nobler, als sie in ihrer Heimat je welche gesehen hatten. Eine durch und durch silberne Tür verschloss ihn. Sie spiegelten sich darin. Ein Druck auf einen ovalen Knopf genügte, er leuchtete blau auf. Ohne den Aufzug hören zu können, warteten sie. Dann, ganz plötzlich, öffnete sich zunächst die silberne Tür und ließ eine metallisch goldene Tür zum Vorschein kommen, die sich nach oben hin öffnete. Der Weg in den Aufzug war geebnet. Beeindruckt pfeifend sah Hinagiku von unten nach oben durch den zylindrischen Aufzug, der im Inneren ebenso metallisch spiegelnd war wie außerhalb. „Ist ja alles pikobello. Dass die Teddsaner so reinlich sind, wusste ich gar nicht“, sagte sie (hehe, sind sie auch nicht; alles Wahlpropaganda des werten Herrn Vizepräsidenten, ihr solltet erst einmal die Nobelklötze von Gebäuden in Zimhagan von innen sehen). Unter den Staunensrufen von Momoko und Hinagiku verließen sie den Aufzug auch wieder, als sie im 36. Stockwerk angekommen waren. Yuri ging schweigend neben ihnen, mit schamgebeugtem Kopf. Die anderen – Scarlet, Yosuke, Takuro, Kazuya und Hiromi – kamen hinterdrein und versuchten, sie noch einzuholen, denn etwas schien sie zu beschäftigen. „Du sag mal, Yuri. Habe ich nicht vorhin gelesen, dass dieses Gebäude hier 40 Stockwerke hat“, wandte Jamapi seine bisher unterdrückte Frage an die brünette Führerin der Gruppe. „Das stimmt auch, Jamapi“, antwortete diese. „Und was machen wir dann hier im 36. Stockwerk“, wollte Hinagiku wissen. „Nichts weiter, ich wollte mir nur einmal die Etage der großen Bosse ansehen. Wegen einer uralten Bewandtnis befindet sich in allen Verwaltungsgebäuden die Ebene der Geschäftsführer in Etage 36.“ Momoko und Hinagiku wollten zu schimpfen anfangen, aber ein dringender Ausspruch entfuhr Momoko. „Puh, was ist das hier nur für eine Affenhitze.“ Tatsächlich empfanden es zumindest Hinagiku und Momoko als auffallend warm. Die Grünhaarige hatte gleich eine Erklärung dafür parat. „Das kommt bestimmt daher, dass es draußen so kalt ist und die Leute hier wärmere Gefilde gar nicht mehr richtig gewöhnt sind. Daher müssen sie in ihren Räumlichkeiten natürlich immer ausreichend geheizt haben, damit sie keinen Kälteschock bekommen.“ (netter Versuch, aber das ist nicht der Grund). Über die 36: Die Sache mit der 36 stammt aus der präimperialistischen Zeit der teddsanischen Welt, als alle noch diesem Mythos von der glücklichen Entwicklung der teddsanischen Kultur erlegen waren und die Bürotürme in Mute und Sim City wie Pilze aus dem Boden schossen. Und zwar galt nach alter Regel, dass in den hohen meist in Glasdächern auslaufenden Wolkenkratzern immer die oberste Etage auch den höchsten Herren vorbehalten war. Als aber einmal ein heftiger Sturm über Mute City hinweg fegte, der vermutlich durch die extremen Winde aus Death Wind hergetragen worden war, wurde die oberste Etage eines der führenden Regierungsgebäude von einer starken Böe einfach herunter gerissen und 30 Regierungsbeauftragte stürzten in den sicheren Tod. Dies sahen die Teddsaner als eine Strafe des Himmels an. Denn in der altvorderen Zeit der Götter und Kaiser hatte das Volk von Theyzan gegen die Götter aufbegehrt und einen Bruch zwischen dem Himmelreich und der teddsanischen Welt herbeigeführt (dies wird mit Den Epias-Briefen wohl verständlicher werden). Nun wurde angenommen, dass die noch immer existierenden Götter glaubten, die Teddsaner wollten mit dem Bau dieser hohen Türme den Himmel ankratzen und dieses Reich auch noch für sich beanspruchen. Daher wurden dieser Sturm und die Zerstörung der obersten Etage als Racheakt von Razhan Wyvharn, dem obersten, teddsanischen Gott gesehen und die Regierungschefs blieben seitdem der obersten Etage fern. Die Zahl 36 wurde als neue Etage der Regierung verabschiedet, weil damals die berühmte Epias-Dynastie bzw. deren zwei Regenten Dalhen und Meiy zur Beilegung des Streits zwischen Göttern und Teddsanern beigetragen hatte (nach den beiden teddsanischen Schriftstellern Marvhon Belhebagh und Serverhin Baghnaçadzh). Und diese Dynastie ist die 36. Dynastie der Herrscher gewesen. Bullenhitze in Bauwerken teddsanischer Art: Hinagikus Theorie klang ja ganz plausibel, aber die Wahrheit ist wieder einmal absolut verrückt. Denn es handelt sich bei der Temperatur um exakt 25° C, was vom teddsanischen Gesetz so geregelt worden war. Man weiß inzwischen, dass Teddsaner als Angehörige einer Bär-Mensch-Rasse sehr gemütliche Wesen sind, die dämmerige Kneipen, kuschelige Betten und warme Höhlen mögen. Da ihnen von alters her eine ganze Jahreszeit Schlaf fehlt (wegen des ausbleibenden Winterschlafes) mögen sie erst recht alle lauschigen Plätze und ziehen daher Teppiche und gepolsterte Sitze kalten Parkettböden oder Fliesenwänden vor. So wurde durch Vizepräsident Wolheverhan Pattabayhe kurz nach Amtsantritt des Präsidenten gesetzlich festgelegt, dass alle Innenräume von öffentlichen Gebäuden eine optimale Temperatur von 25° C haben sollten. Man kann sich also darauf verlassen, dass in 90% aller öffentlichen Gebäude des Teddslandes eben diese Temperatur vorherrscht. Allerdings haben sich die Teddsaner bereits vor der gesetzlichen Verabschiedung an die Temperaturregelung gehalten. Zu dem Gesetzesentwurf sagte der Schriftsteller Baghnaçadzh, genauso gut könne man ein Gesetz erlassen, wonach jeden Morgen die Sonne aufzugehen hat. Dass Gesetz hat aber auch einen anderen Nutzen: Stellt nun ein Teddsaner mit einem Thermometer eine Raumtemperatur fest, welche die vorgeschriebene Musterwärme um mehr als 3° C über- oder unterschreitet, kann er gegen die Firma, der das Gebäude gehört, wegen Nichterfüllung staatlich verhängter Auflagen klagen. Wird seinem Antrag stattgegeben, bekommt die Firma einen Gnadenversuch, die ordentliche Temperatur wiederherzustellen. Sollte dies nicht gelingen, wird das Gebäude geschlossen und der Firma wird die Handelslizenz entzogen. Harte Regeln, aber den Teddsanern bedeutet Wärme viel. Nur werden einige Ausländer ihre Probleme mit den andauernden 25° C haben und auch einige stark schwitzende Teddsaner sind nicht froh über dieses Gesetz (Gallipi beispielsweise). „Ist euch schon einmal etwas aufgefallen“, fragte Momoko plötzlich nachdem sie sich mehrmals um sich selbst gedreht hatte, „Hier in der Regierungsetage sehen alle Türen völlig gleich aus und sie sind so seltsam gewölbt.“ „Ja“, erklärte Yuri, „Die Türen sind nach außen gewölbt und tragen am rechten Türflügel die silbernen Schilder mit Namen und Firma des Beamten. Außerdem sind diese Türen immer metallisch schwarz und haben diese goldenen, geschwungenen Angeln. Es sieht sehr kunstvoll aus, nicht wahr? Ich glaube, das sind stilistische Überbleibsel aus der Zeit des Präimperialismus.“ (Is’ rischtisch!) „Na, ich glaube aber weniger, dass wir hier einfach so klopfen sollten. Der Taxifahrer sagte doch, dass wir die Sachbearbeitung erst ganz oben finden“, meinte Yosuke. „Na dann auf nach oben, Yoyo-Maus, so etwa“, rief Hiromi heiter. Nur wenige Augenblicke später wurde der linke Flügel einer Doppeltür aufgeschoben und ein Teddsaner im schwarzen Anzug schaute heraus, der mit zuckendem Augenlid nachfragte: „Aber sonst geht’s gut, ja?!“ Yuri verbeugte sich knapp: „Ja, bestens, sie hat das öfter.“ Darauf machte sie sich daran, die anderen wieder in den Aufzug zu schieben. Im 40. Stockwerk waren die Gänge breiter und ausladender. Sofort neben dem Aufzug erwartete sie ein Schalter vor einer Trennwand, daneben eine sich ihnen öffnende Glastür in den Bürokomplex. Der oberste, pilzförmige Gebäudetrakt war reserviert für Bibliothek und Verwaltung. Am Schalter saß ein bartloses Pickelgesicht im violetten Dienstpullover dessen Gesichtsfarbe den Eindruck erweckte, als benutze es Bartwichse als Abführmittel. Yosuke schob ihm das so lang schon mitgeführte Flugblatt zu. „Wir wollten fragen, ob so was in der Art noch existiert.“ Der Beamte beugte sich einmal so tief darüber, dass man meinte, er wolle die Farbe abschlecken, dann verzog er das Gesicht und winkte ab. „Bin ich nicht für zuständig. Müsst ihr zum Schalter 20A.“ Ein wenig Missmut war da schon in der Bauchgegend, sei es nun aufgrund des mürrischen Beamtentons oder in Befürchtung eines irren Beamtenmarathons von A bis O und wieder zurück. Wie auch immer, Schalter 20A befand sich links durch eine Glastür hindurch und hinein in einen weiteren Büroabschnitt mit angeödet tickenden Bahnhofsuhren und noch viel angeödeteren Gesichtsruinen - von gerade 4 Stunden Arbeit pro Tag (oh, ich hatte ganz vergessen, dass diese Damen und Herren selbstredend der Ausbund an Arbeitswut sind, den das teddsanische Land schon seit der Republik so verzweifelt gesucht hatte...) Nein, man konnte kaum davon sprechen, dass sich ihr Etagensport dem Ende näherte. „Schalter 49B, hier raus in den Hauptgang und immer gerade aus und dann rechts durch die Schiebetür – ist sogar automatisch“, verriet die Dutt tragende Frau mit begeistertem Grinsen (mehr Fortschritt hätte ihr vermutlich einen allergischen Schock eingejagt). Dort angekommen, traten sie durch die automatische Schiebetür in einen allein schon seiner Ausstaffierung wegen „helleren“ Raum. Hell waren auch alle anderen Wände... ja, hell... hellgrau, steril und impotent. An diesen Wänden klebten über Massen von Flüssig-, Sekunden-, Stunden- und Trockenkleber Reiseplakate und -prospekte, dem in ihren Händen gar nicht unähnlich. Ein erster Hoffnungsseufzer drohte ihnen zu entfleuchen. Aber zu früh gefreut... Momoko übergab diesmal dem Mann in Tweedjacke und blauer Brille das Zettelchen. „Haha, den Schrott verkaufen sie noch“, lachte er, als er einen flüchtigen Blick darauf warf. Was derweil so interessant über seinen Rechnermonitor flimmerte, konnte keiner von ihnen von dort aus sehen (es muss die Spiegelung seines Grinsens gewesen sein). „Nein, das haben wir nicht gekauft, sondern gefunden. Sagen Sie, wird dieser Dienst noch angeboten?“ „Jaaa... wird er. Habe aber einige, schlimme, schmierige Sachen darüber gehört. Da soll doch glatt irgendein Perverser diese Fahrten ausnutzen, um den Teilnehmern – symbolisch oder eben nicht symbolisch gesprochen – in den Schlüpper zu grabschen.“ (wenn besagter Perverser nun in einer Sprechblase auftauchen könnte, würde er beteuern: „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts!“) „Ach so“, wunderte sich Hinagiku, „Dann wird das also mittlerweile gar nicht mehr darüber betrieben?“ „Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint. Nur lag der Dienst wegen dieser Geschichte in den vergangenen Jahren auf Eis. Offensichtlich gibt's ihn aber noch. Dieser Sittenstrolch soll ein ums andre Mal in Junktown auftauchen und die Beziehungen zwischen Junktown und der verbotenen Stadt aufrecht halten. Und weil Junktown - das darf ich aber nicht zu laut sagen - auch ein Kontaktpunkt dieser Route ist, läuft das dann wieder auf uns zurück. So ist’s gemeint.“ „Und Sie arbeiten im Auftrag dieses Dienstes“, hakte nun Kazuya nach. Scheel sah der Bebrillte zu ihm auf, als hätte Kazuya einen obszönen Witz gerissen. „Hehe, nur indirekt. Ich will weder mit diesem Volk in Junktown noch mit dem in der verbotenen Stadt irgend etwas zu tun haben. Nicht, weil ich was Persönliches gegen sie habe, sondern weil es meinen Ruf schädigen würde.“ „In diesem heruntergekommenen Büro haben Sie noch einen Ruf zu verlieren“, fragte Hinagiku in ihrer gnadenlosen Ehrlichkeit. Der Mann ließ verdrossen den Kopf hängen. „Hast ja Recht. Im Grunde sind wir hier auch nicht besser dran. Aber du kannst dir sicher denken, wie’s läuft: Mit 23 Lenzen kam ich her, mit nicht mehr als ein paar geschmierten Brötchen und jeder Menge Zuversicht – hauptsächlich eingetrichtert von meiner Mutter, die wollte, dass aus mir was wird. Ich habe nie verstanden, weshalb sie meinte, das könne mir ausgerechnet hier gelingen. Und dann komme ich hier am Raumhafen an und alles, was mir mein teddsanischer Gastgeber an der Rezeption da gelassen hatte, war ein alter Werbewisch, auf den mit schwarzem Filzer ‚Komm her!’ und eine Adresse geschrieben stand. Seitdem ging es bergab mit mir... oder besser bergauf, wenn ich bedenke, wie ich angefangen habe. Was Gutes hat es ja auch. War man einmal so tief unten, kann man quasi nur noch aufsteigen. Und dabei hatte ich - da wo ich herkam - richtig gute Chancen. Ich habe meine Hochschule mit Auszeichnung verlassen, sprach vier Sprachen in Gebetform und das im Schlaf, hatte schon mehrere Praktika voll und war gefasst auf eine Übernahme an irgendeiner Stelle. Und dann glaubt meine Mutter, ich könne hier groß rauskommen. Das einzig Große in dieser Welt ist der lächerliche Widerspruch zwischen dieser präimperialistischen Protzerei und den deprimierten Visagen der Teddsaner. Das Eine sag’ ich euch: Sucht euch überall eine Arbeit, aber bitte nicht hier!“ Gemeinschaftlich erleichtertes Schnaufen (von manchen leiser, von anderen lauter) über das Ende des trauerschweren Vortrags. „Eine Runde Mitleid“, spottete Hinagiku angriffslustig, „Oh, tut mir leid, Mitleid ist aus. Sind Sie jetzt fertig mit dem Gejammer?!“ Der Brillenträger ordnete seine Papiere und seufzte dann auch. „Ja, schon gut. Ich sollte wirklich zu jammern aufhören und mich freuen, dass ich hier im Warmen sitze und wenigstens eine Arbeit habe, ganz anders als all diese armen Schweine in…“ Er hielt inne, blickte zu ihnen auf und wirkte zum ersten Mal verstört. „Äh… wohin, sagtet ihr, wollt ihr noch gleich?“ „Das wissen Sie doch mittlerweile“, protestierte Momoko, „In die Stadt dieser Verbindung, was immer das auch sein soll.“ Der Mann deutete energisch mit dem Zeigefinger auf das Kleingedruckte am unteren Rand des Prospekts, wo stand, dass der Alkohol - nebenbei bemerkt - spottbillig sei. „Euch ist schon klar, was dieser Punkservice ursprünglich war, oder?“ „Woher soll uns das klar sein, bisher hat niemand uns etwas Genaues darüber sagen können“, warf Kazuya ein. „Hat Marvhelh nichts gesagt“, fragte der Mann, von einer plötzlichen Geisteseingebung getroffen. „Sie kennen Marvhelh Labravhe? Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“, fragte Yuri (vielleicht, weil es seinem Siebkopf entfallen war). „Natürlich kenne ich ihn. Er ist Mitorganisator des Punkservice und ich bin…“ Er druckste einen Moment herum, als scheue er sich, eine unangenehme Wahrheit auszusprechen. „…ich bin der Wortführer des Punkservice. Is‘ ja auch egal. Ihr geht hier nicht in ein Ferien-Resort für die gesellschaftlich Höhergestellten. Die Stadt ist ein Moloch im wahrsten Sinne des Wortes und ihr geht dort auf eine Sauftour! Ich hoffe doch schwer, dass keiner von euch mehr minderjährig ist, denn sonst bin ich euch nie begegnet.“ Der einzig Minderjährige in der Gruppe wäre Jamapi, überlegte Momoko bei sich, aber der zählte nicht (wohl auch deshalb nicht, weil er sich die ganze Zeit über hinter Momokos Rücken versteckt hielt). „Wie jetzt, heißt das, wir können da doch nicht hin“, fragte Hiromi erschüttert (während sie versuchte sich an der widerspenstigen Hinagiku vorbei zu drängen). Shobun Mifitaga (stand auf dem Alu-Schild auf dem Schreibtisch) hob die Hände zur Verteidigung. „Nein, nein. Sicher könnt ihr da hin. Is‘ ja euer Leben. Hab‘ nur fragen wollen, ob ihr wisst, worauf ihr euch einlasst.“ Hinagiku stampfte mit dem Fuß auf, ein untrügliches Zeichen für das äußerste Ende ihrer Geduld. „Das wissen wir, verdammt nochmal, nicht! Wir hatten ja gehofft, dass Sie uns was dazu sagen können.“ Mifitaga zuckte unbekümmert die Schultern. „Ich weiß nur, dass jeder, der freiwillig in diese Stadt geht, nicht mehr alle Flusen in der Mottenkiste haben kann. Letztes Jahr lag die Sterblichkeitsrate dort bei… is‘ ja auch egal. Machen wir’s kurz: die Stadt ist gefährlich, nur Deppen gehen rein, ihr solltet trinkfest sein und der teddsanischen Sprache mächtig. Ach und ein paar Judogriffe könnten auch nicht schaden. Wenn ihr’s immer noch wollt, vermerke ich euch als Gruppe in der Liste, ihr habt die Wahl. Wollt ihr die harte Tour oder wollt ihr sie nicht?“ So plötzlich zu einer Entscheidung gedrängt, gerieten die Freunde doch ernstlich ins Zögern. Keiner wollte entscheiden, vor allem aber wollte keiner für den anderen entscheiden und an Jamapis herum huschenden Augen hinter Momokos Rücken ließ sich ablesen, dass er gerade darüber nachdachte, ob es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, die Liebesengel zu begleiten (darüber hätte er vielleicht vor der Abreise nachdenken sollen). Schließlich wandte sich Momoko kleinlaut an Mifitaga. „Können… können wir wohl kurz rausgehen und das besprechen? Selbst wenn ich wohl… glaube ich jedenfalls, die Anführerin bin, habe ich kein Recht, für meine Freunde zu entscheiden. Also, dürfen wir…“ „Wenn’s denn dem Frieden dient“, erwiderte der Wortführer stoßgebetartig, „Hauptsache, ihr diskutiert nicht, bis es taut.“ Um Yuris Lippen zuckte es, als sie sich zum Gehen umwandten, doch sie konnte sich das Lachen verbeißen (Tau in White Land, das is’n Kracher). Sie verließen die Verwaltungsetage und fuhren mit den Aufzügen ins Erdgeschoß zurück, wo sie sich unbemerkt vor den Eingangstoren nach links wandten und in einen leeren, weißen Raum flüchteten, offensichtlich so etwas wie eine zur Zeit geschlossene Kantine (hehe, das wird sie auch bleiben, weil alle großen, teddsanischen Bosse zum Essen vornehme Restaurants aufsuchen). „Also, was tun wir jetzt“, eröffnete Momoko die Diskussion. „Welche Alternativen haben wir denn“, fragte Takuro. „Unsere Alternative lautet, wir blasen alles ab“, erklärte Momoko, „Irgendwo hier wird sich ein Händler finden, der uns nach Hause zurückbringt. Nur… ich weiß nicht, ich käme mir dabei so… klein vor. Als hätten wir gegen einen besonders fiesen Dämon gekämpft und müssten nun das Feld räumen.“ Scarlet meldete sich zu Wort. „Das Gefühl verstehe ich nur zu gut, Momoko, mir ginge es genauso. Aber was denkt ihr? Gehen oder bleiben?“ „Also ich hätte diese berüchtigte Stadt schon gern gesehen, bevor ich sie berüchtigt nenne“, verkündete Yosuke großspurig (ohne zu ahnen, dass es Dutzende gäbe, die sie berüchtigt nennen würden, ohne sie auch nur namentlich zu kennen). „Yoyo-Maus hat Recht, ich will sie auch sehen, etwa so“, pflichtete Hiromi mit heftigem Kopfnicken bei. Jamapi hüllte sich in Schweigen, Kazuya enthielt sich auch vorsichtshalber der Stimme und so sah alles nun auf Liebesengel Lily. „Was ist mit dir, Yuri“, wollte Momoko wissen, „Deinetwegen, könnte man sagen, sind wir ja erst hier gelandet.“ Yuris Blicke straften sie mit Empörung. „Momoko, bitte stell‘ es nicht so dar, als sei ich Schuld daran gewesen.“ „Na-Natürlich tu ich das nicht“, ruderte sie zurück, „Sagen wir, wir sind dir zuliebe hier gelandet und wissen nicht, ob es noch immer das ist, was du willst.“ Yuri stand etwas einsam an einem der großen Fenster und blickte hinaus auf den goldenen Glanz der Häuser in ihren Mänteln aus Eis und kam sich mit einem Mal auch wie in Eis gefangen vor. Den ganzen Sommer lang, war sie ihrer Mutter bei Näharbeiten zur Hand gegangen, doch während sie aus Langeweile Kazuya in allen möglichen, lächerlichen Kostümen gesehen hatte, waren ihr auch einige, viel furchterregendere Bilder im Traum erschienen. Allein ihre Mutter, die mit versonnenem Blick einen Hochzeitsanzug für Kazuya nähte, wäre genug gewesen, doch das andere Mal hatte sie geträumt, ein Dämon hätte sie getötet und sie wäre (aufpassen, der ist besser, als das tauende White Land) als sein Trikot wiedergeboren worden. Und wenn sie noch ehrlicher gewesen wäre, hätte sie zugeben müssen, dass sie ihren Sturz nach dem Fußballspiel damals noch hätte abfangen können. Sie hatte bewußt darauf verzichtet, weil sie sich gewünscht hatte, vor allen anderen in seinen Armen zu liegen. Und, ja, jetzt wünschte sie sich nach Hause zurück, wo sie sich in das Schneckenhaus ihres Engelssymbols Reinheit & Unschuld verkriechen könnte und nicht mehr darüber nachdenken müsste, was eigentlich mit ihr los war. Ganz offen gesagt, fürchtete sie sich weniger davor, wo ihre gemeinsame Reise sie hinführen konnte, als davor, wo ihre eigene Reise sie hinführen mochte. Aber, konnte sie eigentlich noch zurück? Die anderen hatten sich mehr oder minder einstimmig dazu entschieden, die von Mifitaga angekündigte harte Tour zu versuchen. Wie stünde sie dann da, wenn sie jetzt Widerspruch einlegte? Sie gab sich geschlagen. „Gut“, sagte sie und straffte die Schultern, „Ich weiß zwar nicht, was uns eine Beteiligung an einem Trinkgelage bringen soll, aber letztendlich entscheiden wir ja wohl, was wir in dieser Stadt machen oder nicht. Und ich finde, wir sollten sie uns wenigstens einmal ansehen.“ (ob sie ihre Meinung wohl später noch ändern wird? – ich denke nicht). Wieder gemeinschaftlich erleichtertes Schnaufen (nur Jamapis Laut kam einem Todesseufzer näher). „Da wir unsere Konferenz ja nun beendet haben“, schloß Momoko, „schlage ich vor, wir gehen zurück und lassen uns erzählen, was dieser Punkservice uns für die Weiterreise bieten kann.“ (die Antwort wird euch nicht gefallen). Shobun Mifitaga blickte nervös umher, als die achtköpfige Gruppe sich erneut seinem Schreibtisch näherte, denn mittlerweile lugten nicht wenige, glotzende Mitarbeiterköpfe über die Ränder der Bürotrennwände. „Habt ihr’s jetzt, ja? Fein, ich würde auch vorschlagen, wir erledigen das hier. Ihr zieht mir mittlerweile zu viel Aufmerksamkeit auf euch.“ „Das ist Ihr Problem“, schnappte Hinagiku, „Sie wollten, dass wir entscheiden? Bitte, wir haben entschieden.“ „Wir machen es“, verkündete Momoko, „Also, was können Sie uns anbieten?“ „Zunächst mal das hier.“ Mifitaga kramte kurz in einer Ablage unter dem Schreibtisch und schob dann ein Klemmbrett zu ihnen herüber – darauf ein Zettel mit einer kurzen Erklärung und einigen Spalten für Unterschriften. „Was soll das sein?“, wollte Momoko wissen. „Eine Verzichtserklärung. Darüber, dass ihr euch für diese Reise aus freien Stücken entschieden habt, nicht durch arglistige Täuschung, Irreführung oder unter Androhung von Gewalt. Außerdem besagt diese Erklärung, dass ihr die volle Verantwortung für euer Handeln übernehmt und für gar nichts uns die Schuld geben werdet. So die Standardprozedur. Der Punkservice haftet für nichts, insbesondere nicht für den Verlust von Erinnerungen, Gliedmaßen oder dem Leben. Tragt den Gruppennamen und die Unterschriften aller Beteiligten ein.“ Als er sein Klemmbrett wieder hatte, setzte Momoko noch einmal an. „So, was können Sie uns nun anbieten?“ „Nun, ich würde sagen: eine Route… wie ihr von hier aus weiter kommt. Also, die Züge hier in White Land sind recht zuverlässig – wenn es nicht gerade einen Schneesturm gegeben hat. Kehrt zurück zum Bahnhof und nehmt den Zug G12, fährt von Gleis 23. Der Zug bringt euch direkt zur Baçodekh-Grenze. Die Grenze liegt übrigens mitten in der Walachei, da ist kein bewohnter Ort in der Nähe. Den Grund dafür“ – er warf einen kurzen Blick auf Yuris schulkonform erhobene Hand – „kennt ihr ja schon. Die Züge hier sind nur für das Klima von White Land konzipiert – mit anderen Worten, wärmer als -25°C ist zu viel für so einen Zug. Dann kann er nicht mehr fahren. Auf der Baçodekh-Grenze allerdings erhöht sich die Temperatur nach nur 500 Metern in östliche Richtung von -40° auf +10°C. Deshalb haben sie hier einen Umsteigebahnhof eingerichtet. Dort fährt der zweite Zug G12 weiter – einer, der normalen Bedingungen angepasst ist. Er wird euch in unter zwei Stunden nach Clokhaçadzh bringen. Von dort aus ist es leicht: in Clokhaçadzh nehmt ihr den Interkontinental-Express nach Batushekh auf dem Nordkontinent und von dort aus gelangt ihr per Fernbus nach Lighttown. Hier wiederum ist ein weiteres Mitglied des Punkservice ansässig, das euch sagen kann wie’s weitergeht. Seine Adresse steht auf dem Ausdruck eurer Route. Einen Augenblick, bitte.“ „Moment mal“, mokierte sich Hinagiku plötzlich, „soll das etwa alles sein, was Sie uns anbieten!?“ „Ja, freilich“, gab der Bebrillte offen zurück, „habt ihr gedacht, wir übernehmen die Reisekosten? Dafür müsstet ihr uns erst einmal bezahlen.“ Yuri meldete sich zu Wort und verbarg wachsenden Unmut unter ihrer kühlen Beherrschtheit. „Wir dachten, das hätten wir bereits. Von Marvhelh Labravhe wissen wir nämlich, dass dieser Punkservice sich hauptsächlich über Spenden finanziert.“ Mifitaga wuchs ein hämisches Grinsen. „Ja. Spenden, von denen wir hier keine einzige Münze sehen. Keiner darf die verbotene Stadt verlassen, genauso wenig wie Geld, das dort verdient wurde. Die stecken alles in die Sanierung des Punknetzwerkes und der Unterkünfte. Wir finanzieren uns nur über Werbung. Die Gilde der Händler bezahlt uns dafür, dass wir solche Prospekte verteilen und sie als führendes Transportunternehmen anpreisen und die Händler bringen uns dann die Besucher her. Da aber in den letzten Jahren nur noch inoffiziell – das heißt: nicht über uns – Besucher in die verbotene Stadt kamen, sahen wir von deren Geld keinen müden TeddsDollar. Woher sollen wir also das Geld haben, um solche aufwendigen Fahrten zu bezahlen?“ „Und wenn uns das Geld ausgeht“, fragte Scarlet. „…habt ihr ein Problem“, antwortete der Wortführer, „Genauso, wenn ihr in Lighttown niemanden mehr antrefft. Die Route ist nämlich nur noch bis Batushekh sicher. Von unserem Kontaktmann in Lighttown hab‘ ich seit fünf Jahren nichts mehr gehört.“ Yuri biss sich in die Wange. Das wird ja immer besser, fauchte sie innerlich. „Wie dem auch sei“, beendete Mifitaga und schob den fertigen Ausdruck zu Momoko herüber, „hier ist eure Route. Ihr habt euch entschieden. Macht das Beste draus. Und ganz viel Glück. Wird euch zwar nichts nützen, aber dass ich’s gesagt habe, erspart mir das schlechte Gewissen.“ Eine Viertelstunde später standen sie (innen) vor den verglasten Eingangstoren des Verwaltungsgebäudes. Die roten Heizlinien darin entsprachen den Zornesadern an den Schläfen einiger Damen und Herren. Man konnte sagen, sämtliche Liebesengel waren nun ernstlich ein wenig verstimmt (man konnte sogar sagen, sie waren so verstimmt, dass es die teddsanische Live-Musik an Schrecken übertroffen hätte). „Das ist doch eine Unverschämtheit, was erlaubt dieser elende Dreckskerl sich eigentlich“, wütete Hinagiku. „Ich bin auch nicht begeistert“, pflichtete Yuri bei, „aber es war ein Argument. Wenn es so riskant ist, sich in diese Stadt zu begeben, würde kein Unternehmen – schon gar keins, das in Geldnöten steckt – Haftung für Unfälle übernehmen wollen, ganz zu schweigen von Haftung für die Unzufriedenheit derjenigen, die sich unter dieser Fahrt eine Ferienreise vorgestellt hatten.“ Scarlet schnaubte verächtlich. „Na, den Zahn hat er uns wohl eben gezogen.“ Hinagiku gebot ihr Einhalt. „Oh, jetzt sind wir es, die jammern und das kann ich echt nicht ab. Takuro, willst du dich wieder nicht beteiligen? Was machst du da eigentlich?“ Er sah auf und rückte mit schüchternem Lächeln seine Brille zurecht. „Na ja, ich mache mich nützlich, könnte man sagen. Unser Hauptproblem besteht doch darin, dass wir nicht wissen, wie wir die weitere Reise bezahlen sollen, oder? Also rechne ich aus, welche Kosten noch auf uns zukommen könnten.“ Hinagiku blinzelte verblüfft. „Was, das kannst du?“ Takuro lächelte wieder sein scheues, fast trauriges Lächeln. „Natürlich. Es hat ein wenig mit Permanenzenberechnung zu tun. Ich habe in Port Town erfahren, wie viel der Bus kostet und von einigen Berichten weiß ich, dass die öffentlichen Verkehrsbetriebe in dieser Welt ständig in Wettbewerb zueinander stehen. Nimmt man neben den Kosten anderer öffentlicher Verkehrsmittel noch die Nummer des Zugs, das Gleis und die Abfahrtszeiten, kann man daraus den wahrscheinlichsten, derzeitigen Tarif der Züge von White Land nach Clokhaçadzh errechnen.“ „Dann lass mal hören“, forderte Yosuke. „Wenn meine Berechnungen stimmen, dann liegt White Land in der Tarifstufe 7. Der G12 ist nicht der beste Zug, dafür aber erschwinglich. Jedenfalls sollte eine Fahrt nach Clokhaçadzh nicht deutlich mehr, als 15 TD kosten (das wären nach Adam Riese 36 € oder 4932,94 Yen). Der Fahrschein wird natürlich durchgehend gelten, d.h. auch wenn wir an der Baçodekh-Grenze umsteigen, gilt der Fahrschein bis nach Clokhaçadzh. Nur über den Interkontinental-Express konnte ich nichts herausfinden, weil er keinem Verkehrsunternehmen angehört.“ Yuri trat plötzlich wieder verlegen auf der Stelle, so wie damals, als sie gestand, ein wenig Teddsanisch sprechen zu können. Diesmal, weil sie etwas Wichtiges beizusteuern hatte – eine Erklärung. In diesem Falle aber waren alle viel zu sehr von Takuros Rechenkünsten gebannt, als auf sie zu achten. Man bemerkte daher ihr stillschweigendes Begehren nach Aufmerksamkeit nicht (wenn das mal nicht ins Auge geht – die meisten, wichtigen Dinge kommen immer erst raus, wenn’s zu spät ist). „Tja, da hätten wir aber immer noch ein Problem: wie kommen wir zum Bahnhof zurück“, fragte Scarlet. „Stimmt“, pflichtete Yosuke bei, „Den Taxifahrer von vorher werden wir nicht noch einmal treffen und zwei andere bestellen, würde unserem Geldbeutel sicher nicht gut tun.“ „Was ist, Takuro“, fragte Hinagiku, „Hast du zu den Taxis auch so eine tolle Rechnung parat?“ „Ich denke schon“, antwortete Takuro und tippte eine Weile an seinem Laptop… „Das Taxi-Unternehmen hat einen sogenannten 1.7er-Tarif. Das heißt, die würden erst einmal 5 TD Anzahlung pro Person erheben.“ Alle rissen verdutzt die Augen auf. „Anzahlung? Wofür denn eine Anzahlung“, fragte Kazuya. „Hier steht, die erheben für den Fall eines Schneesturms und damit verbundenen Auftragsausfall sporadische Kosten für die Bestellung des Taxis, die Anfahrt und dafür, dass sie uns einsteigen lassen. (hehe, dreist, was?) Wenn ich dann die Tachorate schätze, dürfte eine halbstündige Fahrt wie die zum Bahnhof bei normalem Verkehr mit etwa 40 TD für ein Taxi zu Buche schlagen und das auch nur, wenn der Fahrer seinen Tacho nicht frisiert hat, was mich wundern würde. Zur Sicherheit sollten wir von 60 TD pro Fahrt ausgehen. Da wir acht Leute sind und zwei Taxis brauchen werden, zahlen wir also 40 TD Anzahlung und noch einmal 120 für die Fahrt, insgesamt also 160 TD.“ (Summa Summarum also 383,97 € oder 52341,08 Yen für eine Taxifahrt – und dabei hat der gute Takuro ganz die Möglichkeit eines Schneesturms vergessen. Dann nämlich bleibt der Verkehr absolut still stehen, nur der Tachometer läuft munter weiter, so dass man am Ende ganz lässig 200-250 TD bezahlen darf) Hinagiku motzte: „Na wunderbar. Und wie kommen wir jetzt bitte zum Bahnhof? Oder sollen wir hier wirklich festsitzen, bis es taut?“ Hiromi wedelte mit der Hand in der Luft, was wohl so etwas wie schulisches Aufzeigen sein sollte, ehe sie sprach: „Wir könnten doch so einen Bus bestellen, wie den, der uns hergebracht hat, so etwa?“ Yuri schüttelte nachsichtig den Kopf. „Das geht nicht, Hiromi. Die Busse, die Marvhelh Labravhe bestellt hat, sind für die Verhältnisse dieser Stadt nicht gemacht. Sie fahren nur bis in die Vororte von White Land, wo es nicht so kalt ist. Das heißt, dass sie spätestens ab dem Bahnhof nicht weiter in die Stadt hinein fahren.“ Momoko ließ den Kopf hängen. „Uff, daran hätten wir vorher denken sollen. Wie sollen wir nur zum Bahnhof kommen?“ So bedrückt wie sie waren, hatte keiner den teddsanischen Geschäftsmann bemerkt, der eben aus dem Fahrstuhl gestiegen war und nun die Treppe hinab in den Eingangsraum kam. „Ganz einfach“, sagte er in perfektem Japanisch, „Ihr bestellt euch eben einen anderen Bus… wie ich.“ Yuri stutzte. Sie erkannte in ihm eben den Geschäftsmann, der nach Hiromis eigenwilligem Gebrabbel auf der 36. Etage verstört aus seinem Büro geblickt hatte. Gleich darauf zückte er einen Ohrstecker an dessen Kabel sich eine Art Mikrofon befand, drückte einen Knopf und murmelte etwas hinein, das bei näherem Hinhören wie Brezidirh klang. Gleich darauf telefonierte er wohl mit jemandem… „Eydhya, ners-e-banghi caghi-çento sarhe warhitheraiy… Jea, veseydhal jasarha. Disothem-e-çesthra? Thoy.“ (Übers.: Einen Bus Klasse 1 zum Verwaltungszentrum, bitte. Ja, 70 %. 10 Minuten? In Ordnung.) Sprachliche Eigenheiten: An einem Teddsaner merkt man sofort, ob er aus gutem Hause kommt, sprich eine gute Ausbildung genossen hat. Ganz davon abgesehen, dass teddsanische Geschäftsleute nicht abgewrackt nuscheln, sondern viel sauberer sprechen, benutzen sie noch einige, sprachliche Kniffe, die im Allgemeinen als schicklicher gelten. Zum Beispiel setzt der gebildete Teddsaner als Höflichkeitsgeste das „Bitte“ (eydhya) nicht an das Ende einer Frage, sondern an den Anfang. Er spricht die Zahlen vollständig aus, statt sie zu verkürzen (çento statt çen) und er benutzt das kultiviertere „Bindungs-E“, wenn zwei Wörter auf einen Konsonanten enden und anfangen, was die Aussprache schwierig oder unverständlich machen würde (ners-e-banghi). Zusätzlich benutzt er das bessere Wort „Warhitheraiy“ für Verwaltung (sonst wäre es borghaçegh gewesen) und er benutzt das gehobene Thoy, was so viel heißt wie adäquat oder angemessen, kein solches Deppenwort wie Okay. Zudem spricht er die Minute mit dem weicheren Ç statt mit dem harten Ch! Zur Klasse 1: Bei so gut wie allen, teddsanischen Beförderungsmitteln (Zug, Bus, Taxi etc.) gibt es die erste Klasse nicht als Abteil, sondern als eigene Fahrzeuglinie. Entweder fährt man also mit einem Bus der normalen Klasse oder mit einem der Klasse 1. Brezidirh beispielsweise ist ein Unternehmen, das ausschließlich Busse und Taxen der Klasse 1 zur Verfügung stellt. Diese fahren keine speziellen, vorgegebenen Strecken, sondern werden bestellt. Dabei hat der Kunde einen Vertrag mit dem Unternehmen und zahlt feste Preise, kann dafür aber innerhalb eines Monats so oft auf den Dienst zugreifen wie er will. Die Klasse 1 zeichnet sich durch absoluten Fahrkomfort, teuerste Baustoffe und gedämpfte Atmosphäre aus. Die meisten teddsanischen Geschäftsleute bestellen als Standard einen Bus der Klasse 1, der zu 70 % frei sein soll, d.h. nur maximal 30 % der Sitzplätze dürfen bereits mit anderen Fahrgästen belegt sein, die die gleiche Strecke fahren (bei 30 Sitzplätzen dürften also höchstens 9 Plätze belegt sein). Natürlich sollten Leute, die die Klasse 1 nutzen, mit dem Kleingeld nicht sparen. Ein wenig pikiert über die so offen zur Schau gestellte, höhere Stellung standen die acht Freunde abseits und warteten verdrossen, bis acht Minuten später ein pechschwarzer, glänzender Bus vorfuhr an dessen Flanke in goldener Schrift Brezidirh stand und dessen getönte Fenster von innen mit dunkelroten Vorhängen verhängt waren. Der Teddsaner hob seine Tasche vom Boden auf und spazierte zur sich teilenden Eingangstür. Hinagiku wandte sich daraufhin heimlich an Yuri und schimpfte rohrspatzartig: „Wenn ich ein teddsanischer Bonze wäre, würde ich mir auch so ’nen Bus bestellen.“ Schon auf der Türschwelle, wandte sich der Bonze noch einmal um. „Was ist, kommt ihr jetzt mit oder was?“ Wenn sie nicht so fest im Kopf gesessen hätten, wären nun ganze 16 Augen (18, Entschuldige, Jamapi) über den polierten Boden gekullert. Yuri vergaß ihren Anstand und fragte schlicht: „Hä?!“ „Ich hab‘ doch gesagt, dann bestellt ihr eben einen anderen Bus. Da draußen steht er und wartet darauf, dass ihr einsteigt. Oder habt ihr’s euch anders überlegt?“ Minuten schienen zu verstreichen, während man zu der Annahme hätte kommen können, die Eingangshalle sei mit acht frisch lackierten Feuermeldern dekoriert worden, so rot waren die Freunde angesichts ihrer abschätzigen Gedanken angelaufen und etwas zögerlich setzten sie sich alle in Bewegung. Sie hatten ganz vergessen, wie sich White Land draußen anfühlte. Es war, als zögen sich alle Muskeln vor der Kälte krampfartig zusammen, die Haut brannte bis in die untersten Schichten, wie in flüssigen Stickstoff getaucht. Dem Teddsaner hingegen machte die Kälte wegen seines Pelzes gar nicht so viel aus. Wenige Meter waren es nur, die Treppe herunter, dann standen sie vor einer einladenden Bustür, die in einen Innenraum mit herrlichster, teddsanischer Normtemperatur führte. Kaum hatten sie sich aber hinter ihrem Gönner eingereiht, beschwerte sich der Fahrer. „Chengrha Quinhsamer?! Nitha-che masir-e-jodar!“ (Übersetzung: Noch mehr Fahrgäste?! Das war nicht abgemacht!). „Ich sage dir, was nicht abgemacht war“, begann der Geschäftsmann aufgebracht, „Es war nicht abgemacht, dass hier ein völlig leerer Bus vorfährt. Ich hatte absolut klar einen 70 % leeren Bus bestellt.“ Der Fahrer zuckte verwirrt mit den Schultern. „Äh… Je weniger… desto besser, dachten wir.“ „Falsch gedacht. Vielleicht wünsche ich mir ein wenig Gesellschaft, nur nicht zu viel. Diese jungen Leute sind zu acht, d.h. wenn sie sich setzen, haben wir von den 30 Sitzplätzen 8 belegt, womit etwa 73 % frei wären, genau wie abgemacht. Also entweder lässt du sie jetzt Platz nehmen oder ich rufe den Geschäftsführer an und bespreche mit ihm, wie viel 70 % freie Sitzfläche bedeuten.“ Anscheinend war dem Fahrer die Vorstellung einer Beschwerde unbehaglich genug. „Also… etwa 30 % belegte Sitze. Wie abgemacht, ja? Bitte nehmen Sie Platz, wir fahren gleich los.“ Die acht Freunde versammelten sich alle um ihren neugewonnenen Freund im hintersten Teil des Busses. Teddsanische Atmosphäre strahlte dieser aus mit den kleinen, dezenten Lämpchen an der Decke, den roten Vorhängen, dem Teppichboden und den weich gepolsterten, großen Sitzen. Yuri ergriff zuerst das Wort, während die anderen es sich noch bequem machten. „Das war wirklich unglaublich nett von Ihnen. Dürften wir Ihren Namen erfahren, wenn es nicht zu aufdringlich wäre.“ „Haha, ich habe mich ja wohl euch aufgedrängt, also nichts für ungut. Firbatedhs, heiße ich. Firbatedhs Gramhon. Nennt mich Firbatedhs.“ (Das ist so etwas wie ein Freundschaftsangebot, denn eigentlich pflegen Teddsaner einander mit dem Nachnamen anzusprechen). „Oh und keine Ursache dafür, dass ich euch mitfahren lasse. Sagen wir, ich mache das nicht ganz umsonst.“ „Was verlangen Sie“, fragte Yuri. „Hehe, nicht viel mehr, als ein wenig Plauderei. Mich würde brennend interessieren, was so eine bunte Bande wie ihr ausgerechnet in White Land verloren hat.“ Einer nach dem Anderen, stellten sie sich Firbatedhs Gramhon vor und dann erzählten sie (hauptsächlich Momoko und Yuri) die ganze Geschichte, bis nach ihrem Gespräch mit Shobun Mifitaga im 40. Stockwerk des Verwaltungszentrums. Als sie fertig waren, machte Firbatedhs Gramhon den Eindruck, als könne er sich nicht entscheiden, ob er nun amüsiert, erstaunt oder nachdenklich sein soll. „Ha, der olle Mifitaga. Was der erzählt, müsste man unter dem Mikroskop betrachten können, wollte man wissen, ob er nun wirklich die Wahrheit gesagt hat. Der hat mal ein Seminar zum Beschwatzen potentieller Arbeitgeber mitgemacht. Damit wollte er hier wohl groß rauskommen. Jedenfalls beherrscht er die Kunst, haargenau das Gegenteil dessen zu sagen, was er meint, ohne dass man es ihm anmerkt. Uns hat er immer erzählt, er bemitleide dieses arme Pack in der verbotenen Stadt und wir glaubten ihm das, weil wir genauso dachten. Dann aber haben wir ihn auf einer Feier mal abgefüllt und plötzlich fing er davon zu reden an, wie gerne er doch mal in die Stadt kommen und herausfinden wollte, wie es sich dort so lebt – für ein Muttersöhnchen am gefährlichsten Ort des Planeten. Der ist schon komisch. Und ihr habt tatsächlich Marvhelh getroffen und wollt jetzt mit der Tour weitermachen? Dann führt eure Reise wohl nach Clokhaçadzh, nicht wahr?“ „Ja, allerdings“, antwortete Hinagiku, „Wissen Sie irgendwas über die Stadt? Ist sie schön?“ „Oh ja, kann man wohl sagen. Besonders die öffentlichen Badehäuser. In anderen Städten haben sie nur diese zu klein geratenen Waschräume, aber dort… das hat noch Klasse. Leider bin ich nicht so oft da, wie ich’s gern hätte. Mein Weg führt woanders hin. Ich nehme einen Expresszug nach Mute City, dort findet eine Tagung der Logistik-Bosse statt. Ich will wenigstens das klassische Geschäftsessen nicht verpassen.“ Einige von ihnen schmunzelten über so viel teddsanische Offenheit. Jedenfalls hatte ihnen dieser freundliche Wink des Schicksals viel Mühe und vor allem Kosten erspart. In weniger als einer halben Stunde fuhr der Bus während des ersten, leichten Schneetreibens durch die Stadt und erreichte den ihnen bekannten Bahnhofsvorplatz. „Da wären wir. Ich hab nachgeschaut. Ihr müsstet den G12 bis zur Baçodekh-Grenze nehmen und von dort aus nach Clokhaçadzh weiter. Der nächste G12er geht in 30 Minuten, also habt ihr noch genug Zeit.“ Sie bedankten sich nochmals herzlich bei ihm, dann stiegen sie aus dem luxuriösen Bus und nahmen die Beine für den kurzen Sprint zum Vorraum in die Hand. Dort bemerkten sie zwischen den Eingängen zu den Vortragssälen eine Treppe, die sie nach unten in den Bahnhofstrakt hineinführte. Glücklicherweise gestaltete sich die Suche nach dem richtigen Gleis bedeutend einfacher als ihre Suche nach dem Bus bei ihrer Ankunft in Port Town. Hier suchten sie nach nur einem Schriftzeichen und einer Zahl. Mit Yuris Hilfe war beides schnell gefunden, so dass sie wenig später eine lange Treppe bis zum Gleis hochstiegen. Die Gleise befanden sich in langen, glasüberdachten Hallen, die von oben wirkten wie lange, blaue Röhren. Man hatte die Innenräume vollkommen von der Kälte draußen abgeschirmt und teddsanische Normtemperatur hergestellt, was den Freunden abermals ein Gefühl dafür gab, welch horrende Heizkosten White Land innerhalb eines Jahres entstehen mussten. Scarlet machte den Versuch, sich noch einmal zu vergewissern, was sie im Begriff waren zu tun. „Wir hatten ja alle einvernehmlich beschlossen, dass wir das tun wollen, ja“, fragte sie, „Nur, dass jetzt keine Ratte mehr das Schiff verlassen will. Wir stecken alle mit drin.“ Alle nickten gemeinschaftlich (Jamapi nicht, der hatte seit Mifitagas Ausführungen kein Wort mehr verloren und hielt sich in Momokos Tasche versteckt). Der Zug traf fahrplanmäßig ein. Ein recht gewöhnliches Eisengefährt, das selbst wie eine lange Röhre wirkte. Die Übergänge der einzelnen Abteile waren kaum auszumachen. Yuri löste eine Gemeinschaftskarte, dann betraten sie den Zug und nahmen gleich im ersten Abteil acht Plätze ein. Dabei stellten sie doch recht überrascht fest wie leer der Zug geblieben war. Keiner in der Gruppe (mit Ausnahme von Momoko und Hiromi vielleicht) war so unaufmerksam, dies nicht zu bemerken. „Seltsam…“, brachte es Yuri zur Sprache, „dass der Zug so leer bleibt. Dabei ist Clokhaçadzh eine der berühmtesten Städte auf diesem Planeten und der G12 ist einer von drei möglichen Zügen, die man dorthin nehmen kann. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass nur so wenige nach Clokhaçadzh reisen wollen.“ Zu leeren Zügen: Teddsanern kann man im Grunde selten bis niemals bescheinigen, rücksichtsvoll, solidarisch oder am Gemeinwohl interessiert zu sein. In diesem einen Punkt aber strafen sie alle Kulturklischees Lügen, denn die Züge bleiben deshalb so leer, weil Teddsaner ein System entwickelt haben, nach dem sie das Zustandekommen übervoller Züge verhindern. Sicher steckt dahinter nicht in erster Linie das Gemeinwohl, sondern das Eigene. Wenn der Teddsaner eines hasst, dann sind es zu viele Artgenossen auf engem Raum. Deshalb veröffentlichen Teddsaner in den Bahnhofszeitschriften regelmäßig Frequentierungslisten, d.h. sie veröffentlichen einen Bericht darüber wie viele Leute für den entsprechenden Monat oder die entsprechende Woche bereits mit den einzelnen Zügen in die entsprechende Stadt fahren wollen. Andere Teddsaner richten ihre Reisepläne eben danach aus und verteilen sich so intelligent auf alle verfügbaren Züge, dass es so gut wie nie zu einer Überfrequentierung kommt und die Züge so leer bleiben, wie es der Durchschnittsteddsaner mag. Not macht halt erfinderisch und selbst wenn es so solidarisch nicht ist, kann man nur den Hut ziehen vor so viel Einfallsreichtum. Sie haben schon ihre Vorteile, die biestigen kleinen Pelzträger. Der Zug rollte gemächlich und leise vor sich hin, die Landschaft zog vorbei und nun schwanden auch langsam die letzten Sonnenstrahlen und machten Platz für den hereinbrechenden Abend. Nach etwa dreißig Minuten erreichte der für White Land konzipierte Eisschienenzug die Baçodekh-Grenze. Die Damen erkannten beim Aussteigen schon, dass Shobun Mifitaga Recht gehabt hatte: Dieser Umsteigebahnhof bestand aus nichts weiter als aus zwei Gleisen, den dazugehörigen Bahnsteigen, einigen, hohen Lampen und (an jedem Bahnsteig) einer Anzeigetafel, über die unentwegt in goldener Schrift teddsanische Abkürzungen huschten. Das Gleis, welches von White Land herkam, endete einfach dort, wo auch der Bahnsteig endete und auf der anderen Seite war es genauso, nur dass diese Schienen für gewöhnliche, teddsanische Züge gemacht waren und in Richtung Osten in der Dunkelheit verschwanden. Schlotternd stand also die Gruppe im eisigen Abendwind der Ausläufer von White Land (Jamapi nutzte den Vorteil seiner geringen Größe und verkroch sich – nach wie vor – in Momokos Tasche) und horchten erleichtert auf, als endlich die langersehnte Durchsage kam… „Çirhay quinhsamer, boçorhakh! Ço djeç, G-derhes, suh-idhsamun odd’jahi-derhidtch. Eydhya, sasa-ya jeferha!“ (Übersetzung: Achtung, verehrte Fahrgäste! Der Zug G-12 wird bald auf Gleis 2 einfahren. Bitte treten Sie zurück!). Eine neue Zeit: Ähnlich wie es im Französischen das futur simple gibt, existiert auch in der teddsanischen Sprache (vor allem in der Gehobenen) eine Futur-Variante, welche die Zukunft in nur einem Wort ausdrückt. Genau wie bei den Vergangenheitsformen bleiben in dieser die ersten drei Personen Singular gleich und nur an die drei Personen Plural werden die Endungsbuchstaben aus dem Präsens angehängt. Yuri übersetzte es obligatorisch für die Anderen und sehnsüchtig warteten sie, bis auf dem gegenüberliegenden Gleis endlich der Zug nach Clokhaçadzh einfuhr. Dieses Exemplar war deutlich größer und luxuriöser als der Zug aus White Land. Als die Triebmaschine an ihnen vorbeirollte, bemerkte Hinagiku drei Paar große, schornsteinartige Rohre an der Maschine, aus denen violettes Gas strömte. „Wow, abgefahren! Wie fährt so ein Ding eigentlich? Ich hab‘ hier nirgendwo Stromkabel gesehen.“ „Die fahren mit Energiezellen an Bord“, erklärte Yuri, „Energiezellen sind mit flüssigem Byazhin-Gas gefüllt, das in den Motoren verbrannt wird. Auch wenn es nicht so aussieht, es ist eine sehr umweltfreundliche Art des Antriebs.“ „Wahnsinn, Yuri, was du alles weißt“, begeisterte sich Hinagiku, „Das hast du doch nicht alles auf einer Studienreise gelernt?!“ Die durch die Kälte in Yuris Gesicht getretene Röte vertiefte sich noch. „Na ja, ich habe mich auch vor der Reise schon ein wenig informiert.“ Als sie nun sahen wie die letzten Fahrgäste in den Zug stiegen, beeilten sich auch die Liebesengel, der Kälte White Lands zu entfliehen und sich wieder in wohlige, teddsanische Normtemperatur zu begeben. Kaum hatten sie in einem Abteil Platz genommen, rollte der Zug an und fuhr in entgegengesetzter Richtung davon. Die Acht nahmen beinahe das ganze Abteil ein, doch überraschenderweise war auch dieser Zug angenehm leer. „Dieses Teil sieht von innen fast noch besser aus als von außen“, schwärmte Hinagiku. „Und wusstet ihr, dass man mit einer dieser Energiezellen, von denen Yuri sprach, unsere Heimatstadt für ein halbes Jahr mit Strom versorgen könnte“, fragte Takuro. „Was, so lange?“ Momoko blieb vor Staunen der Mund offen stehen. „Wäre das toll, wenn wir diese Dinger in unserer Welt verwenden könnten. Allerdings bezweifle ich, dass die Teddsaner diese Geschäftsidee so einfach aus den Händen geben werden.“ (Da sollte sie gar nicht zweifeln, Teddsaner verschachern nämlich alles, wovon sie glauben, dass es Geld bringt). Schweigend bewunderten sie die edle Aufmachung des Abteils mit roten, gepolsterten Sitzen und holzvertäfelten Wänden, die mit Lampen in goldenen Floralfassungen behängt waren. Ihnen war überhaupt nicht aufgefallen, dass am Bahnsteig ein verdächtig gut gekleideter Teddsaner gewartet hatte, der sein Gesicht fortwährend hinter einer Zeitung versteckt gehalten hatte. Das hätte natürlich auch nur ein Zufall sein können. Zu diesem Zeitpunkt zückte jener gut gekleidete Teddsaner in seinem Abteil sein Mobiltelefon und telefonierte eilig nach Mute City… „Jea, Meshgalha… Piaghey, quitch-e-nitha-xezh-mos waruther.“ (Übersetzung: Hallo, Meshgalha… Ich kann leider nicht kommen.) Sein Gesprächspartner empörte sich... „Nitha-waruther? Mors-e-karhar-tes ibdj çûm shigha?! Mute-City-skhra, ravinhir-mos tors-amha.“ (Übersetzung: Nicht kommen? Veräppelst du mich? Ich habe in Mute City für dich reserviert.) „Che-rivh-mos, Meshgalha. Rhi-piagh-mos quitch… Tilhsi-non jimha shogh-çe caperhevhir-mors.“ (Übersetzung: Ich weiß, Meshgalha. Und ich bedaure es, aber… sagen wir, dass die Neugier mich gepackt hat.) „Çe shogh? Nithada boyegh-mos. Ponherh… sekh quep-laser-e-tes?“ (Übersetzung: Die Neugier? Versteh ich nicht. Was hast du nun vor?) „Sam-mos warbekh-e-clokhaçadzh. Eydhya, samakarhen riçhe-mors-xezher-e-tes?“ (Übersetzung: Ich gehe nach Clokhaçadzh. Könntest du mich bitte vertreten?) „Seth-che baighs masen. Quitch-e-dyrha-mos rivhen, sekh butorhs ‚çe shogh‘.“ (Übersetzung: Wenn’s sein muß. Aber ich will wissen, was „die Neugier“ bedeutet.) „Werha-rivher-tes, Meshgalha. Waruthe warbekh-e-clokhaçadzh seth tes-e-didirh ibdj Mute City. Delhalh!“ (Übersetzung: Das wirst du, Meshgalha. Komm nach Clokhaçadzh, wenn du in Mute City fertig bist. Danke!) Was so auffällt: An einigen, einfachen Dingen bemerkt man, dass hier zwei wohlgebildete Personen miteinander sprechen. Das Bindungs-E wird ständig verwendet, damit die Aussprache nicht so stockend ist und man findet viele Inversionen, die ebenfalls in der gehobenen Klasse üblich sind (Bsp.: nitha-xezh-mos, tors-amha, laser-e-tes). Trotzdem stehen diese beiden einander sehr nahe, denn immerhin redet der Eine seinen Freund mit ‚Meshgalha‘ an, eindeutig ein teddsanischer Vorname. Interessant ist auch, dass der Satz des Freundes 'Mors-e-karhar-tes ibdj çûm shigha' wortwörtlich 'Trittst du mir vor's Bein' bedeutet, was in der teddsanischen Sprache idiomatisch übersetzt wird mit 'veräppeln, verarschen' oder 'zum Narren halten'. Wir können da wohl gespannt sein, was sich noch ergeben wird, denn dieser Teddsaner plant etwas. Es kommt eben selten vor, dass ein Teddsaner von Neugier spricht… Die Fahrt ging weiter, während die Liebesengel Grüppchen gebildet hatten, in denen entweder lieber geredet oder geschwiegen wurde. Scarlet starrte schweigend aus dem Fenster (wie meistens), Hinagiku und Takuro schwiegen (wie immer), Hiromi schwieg auch (sie sah aus wie ein Vulkan, der jeden Moment ausbrechen könnte, so sehr musste sie sich das Reden verkneifen). Kazuya unterhielt sich leise mit Yuri und Momoko schwatzte gut hörbar mit Yosuke. Plötzlich vernahmen alle ein »Ritsch« und Jamapi schälte sich aus Momokos Tasche, wo er nun schon so lange Zeit schweigend (und schmollend) ausgeharrt hatte. „Ach, du lässt dich auch wieder blicken“, fragte Hinagiku bissig, „wir dachten schon alle, du wärst sauer.“ Jamapi spielte den Empörten. „Bin doch nicht sauer, jama. Nur… seid ihr alle wirklich sicher, dass wir uns in solche Gefahren begeben sollen? Das ist ja so, als wären wir damals alle ins Reich der Dämonen gegangen.“ „Also, ich finde, du übertreibst, Jamapi“, erwiderte Yosuke (finde ich nicht… und die verbotene Stadt übrigens auch nicht). „Wir wissen alle, dass es dort gefährlich werden kann“, versuchte Momoko ihn zu besänftigen, „Falls du dich aber um uns oder dich sorgen solltest, kann ich dir etwas versprechen: wir werden alle zusammen bleiben wie immer und wir werden alle gut aufeinander aufpassen, also auch auf dich.“ „Danke, Momokochen, danke, jama“, rief der kleine Knubbel und kuschelte sich gegen ihre Wange. Außerdem, dachte Yuri, kann uns immer noch das Geld ausgehen, bevor wir diesen Kontinent verlassen haben. Das halte ich sogar für sehr wahrscheinlich… Der Engel der Reinheit wurde plötzlich aus seinen Gedanken gerissen, als Scarlet ihn ansprach. „Du, Yuri… wann erzählst du uns eigentlich etwas über die Stadt, in der wir bald ankommen werden. Ich wüsste schon gern, womit wir es dort zu tun bekommen.“ Yuri rutschte nervös auf ihrem Platz herum und betete, dass sie jetzt nicht rot anlief. „Na ja… wisst ihr… ich erzähle euch am besten erst etwas über die Stadt, wenn wir angekommen sind. Man bekommt ein viel besseres Bild von Clokhaçadzh, wenn man sich die Stadt auch ansehen kann.“ „Da bin ich aber gespannt, Yuri“, ereiferte sich Kazuya. Und was ich zu sagen habe, wird euch nicht gefallen, dachte sie wieder - hinter zusammengebissenen Zähnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)