Winter Carols von Frigg ================================================================================ Kapitel 25: Türchen 24 – Heilig Abend ------------------------------------- Der Morgen kam langsam und schleichend und doch genauso schnell, wie Naomie gestern aus der Schule verschwunden war. Der Gedanke schlich sich auch sofort in Setos Kopf, als der Schlaf ihn verließ und er langsam wach wurde. Sie war gegangen. Sie hatte nicht auf Mokuba gewartet oder sich noch ein weiteres Mal umgedreht. Sie war einfach...weg. Er hatte es nicht geschafft sie umzustimmen und Seto hätte auch nicht gedacht, dass der Gedanke so schwer sein würde. Aber am meisten nahm er ihr doch übel, dass sie sich zum einen halb vor ihm versteckt hatte und zum anderen, dass sie Mokuba nicht richtig verabschiedet hatte. Wenigstens auf seinen kleinen Bruder hätte sie warten können, anstatt die Geschenke zu überreichen und sich aus dem Staub zu machen. Das machte ihn noch immer ziemlich wütend und am liebsten wäre er ihr nach gefahren, aber sie hatte ihre Entscheidung getroffen und er würde ihr nicht nach laufen. Auch wenn sein Gewissen sich wieder meldete und ihm anderes zuflüsterte, ihn anfeuerte und ihn anstachelte sich ins Auto zu setzen und persönlich nach England zu Siegfried zu fliegen, um sie zurück zu holen. So traurig hatte er Mokuba ewig nicht gesehen. Als wäre Shadow von einem Laster überfahren worden. Wenn er sie wieder sah, würde er ihr ordentlich was erzählen! Da konnte ihr Geschenk noch so gut sein! Egal, was sie da verpackt hatte. Seto blinzelte müde und seufzte schwer. Verschlafen drehte er sich zur Seite und blinzelte gegen die Helligkeit von draußen an. Es war noch dunkel und die Lichterkette am Fenster war das einzige Licht, was das Zimmer ein wenig erhellte. Heute war Heilig Abend und mit Sicherheit würde Mokuba gleich hier herein stürmen und auf das Bett springen, ihn wecken und anbetteln aufzustehen, zu frühstücken und dann endlich die Geschenke aufmachen zu dürfen. Sechs Uhr. Wie jedes Jahr. Da brauchte er gar keinen Wecker. Seto sah kurz auf die Uhr des Digitalweckers und stöhnte. Halb sechs. Gut, dann konnte er ja noch mal die Augen schließen und etwas Schlaf holen, ehe der Wirbelwind herein kam. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Nein, das wäre ja auch zu schön gewesen um wahr zu sein. Nach langer Stille meldete sich sein Gewissen wieder. „Du solltest ihr nach reisen. Wenn du jetzt fliegst, dann wärst du zwar Mittags da, aber du wärst Heilig Abend in dieser Zeitzone zurück und ihr könntet zusammen Essen. Mokuba würde sich so freuen“, flüsterte sein Stimmchen wieder und ging ihm wieder auf den Geist. Wie war das noch mal, dass er es vermisst hatte? Er nahm alles zurück! Sofort! Mürrisch brummte Seto. Sein Hirn fing bei den Worten auch direkt an zu rechnen, wie schnell er zurück sein könnte, doch das Problem war die Zeitzonenrechnung. Irgendwie wollte das grade nicht von seinem Hirn verarbeitet werden. Daher brummte er erneut. „Spiel nicht die beleidigte Leberwurst. Du hast sie. Es fehlt nur der richtige Anstoß!“ Mit dem Arm umschloss er sein Kissen und ignorierte den Gedanken. Es war einer seiner wenigen freien Tage und jetzt wurde er um seinen Schlaf geraubt! „Stell dir doch mal vor, dass wäre jetzt nicht dein Kissen, sondern Naomie! Du könntest sie so schön im Arm halten, sie küssen, sie anlächeln und mit ihr Lachen vor Glück! Wäre das nicht herrlich? Und obendrein auch ganz andere Dinge tun, wie die, die dir bei der Gala durch den Kopf gingen…Na, wie wäre das?“ Absolut kitschig! Wie kam sein Hirn bitte auf so einen Gedanken, dass er schon vom zuhören Karies bekam? Er zog die Decke höher und zuckte zusammen, als er im Flur Geräusche hörte. Seto rechnete fest damit, dass Mokuba kommen und sich auf das Bett stürzen würde, wie er es später auch bei den Geschenken tun würde, aber nichts passierte. Seine Anspannung fiel nur langsam von ihm und Seto versuchte wieder einzuschlafen. Jedoch blieb ein Gedanke hängen, nämlich der, dass das Kissen Naomie wäre und er sie im Arm halten könnte. Als er wieder die Augen öffnete, war es bereit hell draußen und obwohl alles wolkenverhangen war und ausnahmsweise mal nicht schneite, konnte er sehen, dass es deutlich später als sechs Uhr war. Seto streckte sich ausgiebig und sein Rücken gab ein Knacken von sich, aber es tat gut endlich mal solange geschlafen zu haben, frische Energie zu tanken und sich auszuruhen. Kein Telefon, was klingelt. Keine Nachrichten, kein Mokuba, der Geschenke auspacken wollte und keine Nachrichten von Naomie… „Naomie…Mokuba…“, murmelte er und war sofort hellwach. Seto schnappte sich sein Handy und blickte auf die Nachrichten aus dem Chat mit ihr. Keine Reaktion. Sie hatte noch immer nicht geschrieben oder gar geantwortet auf seine Frage, ob sie gut angekommen wäre und ob es ihr gut ginge mit Siegfried. Nicht mal gelesen hatte sie es. „Scheiße…“, murmelte er und fuhr sich unruhig durch die Haare. Er hatte es verbockt, ut, das war ihm klar, aber sie musste doch schon längst angekommen sein! Auch, wenn es in England grade mal elf Uhr abends war und noch immer ein Tag vor Heilig Abend. Sein Herz krampfte sich zusammen. Gut, es wäre auch möglich, dass sie schlief und noch gar keine Chance hatte auf ihr Handy zu sehen oder… „Oder sie ist mit Siegfried zugange und knutscht wild mit ihm herum!“, kicherte sein Gewissen und versetzte ihm damit einen ziemlichen Stich ins Herz. „Halt die Klappe!“, murmelte er laut zu der Stimme seines Gewissens und er verdrängte die Sorge und sein zusammengekrampftes Herz bei dem Gedanken an sie und die Möglichkeit, dass sie einen Absturz gehabt haben können. Blanke Horrorszenarien schlichen sich schon in seinen Kopf. Von einem verführerischen Siegfried, der es wild mit ihr im Bett trieb bis hin zu einer Entführung und einem Flugzeugunglück. Aber ehe er seinen wilden und verrückten Gedanken nach ging und nach Flugzeugabstürzen suchen würde im Internet oder sie anrief bis sie abhob, was sie wohl als ziemliches stalken empfinden könnte, widmete er sich sofort etwas anderem. Der nächste Punkt war Mokuba. Wo war er und wieso hatte er ihn ausnahmsweise mal schlafen lassen? Das war sonst nicht seine Art und es schien auch nicht so, als wollte er heute damit aufhören. Sofort sprang Seto aus dem Bett und zog sich eine lockere Hose und Shirt an, ehe sein Dienstmädchen vor Schreck umkippte, weil er nur in Boxershorts aus seinem Zimmer gestürmt kam. Mit schnellen Schritten lief er über den Teppich und zum Zimmer seines Bruders. Die Tür stand offen und das Zimmermädchen lüftete grade, ordnete die Kissen und Bettdecke und räumte die Kleidung vom Boden auf. Als Seto im Türrahmen stehen blieb, blickte sie um und nickte leicht mit einem Lächeln. „Guten Morgen, Herr Kaiba, Ihr Bruder ist unten in der Küche beim Frühstück“, beantwortete sie seine stumme und unausgesprochene Frage und ohne ihr auch nur einen Morgengruß zu schenken, lief er nach unten. Im Flur wurde er direkt von Shadow kläffend begrüßt. Er sprang auf die Hinterbeine und bettelte um seine Aufmerksamkeit, damit jemand mit ihm spielte. Aber Seto ging zielstrebig weiter und tätschelte Shadow nur leicht den Kopf. Als er in die Küche kam, saß Mokuba am Tresen und stocherte lustlos in seiner Schale mit Müsli herum. Seine Cornflakes waren schon ganz matschig. Er nahm einen Löffel auf und ließ die Pampe lustlos zurück in die Schale klatschen, was ein schmatzendes Geräusch verursachte. Wortlos beobachtete Seto seinen Bruder, wie er im Müsli rührte und keinen Bissen runter kriegte. Mokuba steckte auch noch immer in seinem Pyjama. Seine Füße baumelten lustlos hin und her. „Morgen, Mokuba“, sagte Seto nach einer Weile und trat in die Küche ein. Er ging sofort zur Kaffeemaschine und nahm eine Tasse aus dem Schrank. An der Maschine drückte er auf doppelten Espresso und wartete bis der Kaffee frisch und heiß in der Tasse war. Etwas Milch und Zucker dazu, fertig. „Morgen, Seto“, murmelte Mokuba und schob die Schale weg. „Kein „Fröhliche Weihnachten“ oder sowas?“, hakte er nach, „Kein Betteln, damit du die Geschenke öffnen darfst?“ „Geschenke sind doch erst morgen dran!“, erwiderte er prompt und wich damit der anderen Frage von ihm aus. „Stimmt. Aber das hat dich all die Jahre auch nicht aufgehalten mich um sechs zu wecken und mich zu fragen, ob du schon mal eines auspacken darfst. Was ist also los?“ „Nichts.“ „Deswegen stocherst du in deinem Müsli herum?“ Seto nahm die Schale von der Anrichte und kippte das Zeug in den Müllschlucker, ehe er sie in die Spülmaschine stellte. „Na komm, ich mach dir ein richtiges Frühstück und du erzählst mir, was los ist und dann öffnen wir beide zusammen Naomies Geschenk. Ausnahmsweise, ok?“ Seine Stimme war fürsorglich geworden und er lächelte seinen Bruder zaghaft an. Kurz strich er ihm auch über den Kopf. „Ich mach dir einen Obstsalat und Kakao. Was hältst du davon?“ Mokuba nickte abwesend und Seto nahm frische Milch aus dem Kühlschrank und mixte seinem Bruder im Handumdrehen einen warmen Kakao. Sofort nippte sein Bruder davon. Wenigstens etwas. Seto zig währenddessen frisches Obst aus dem Kühlschrank und aus der Obstschale, zuckte ein Messer und fing an die Sachen zu schneiden. „Ich finde das nicht fair!“ „Was?“, fragte er und blickte über die Schulter. „Das Naomie einfach so abgehauen ist! Sie hat gesagt, sie wartete noch bis ich fertig bin!“ Seto seufzte leise und schnitt den Apfel fertig klein. Damit hatte er fast gerechnet. „Sie musste den Flug kriegen, sonst wäre sie nicht weggekommen. Ich hab gestern Abend noch gehört, dass die Flughäfen danach gesperrt waren.“ „Dann hätte sie halt hier gefeiert!“ „Ich weiß und ich hätte auch nichts dagegen gehabt. Aber sie wollte eben.“ Mokuba gab ein brummen von sich und Seto Köpfte grade eine Kiwi, eher sie schälte und klein schnitt. „Sie ist ja bald wieder da. Also mach dir keinen Kopf. Ich hab sie gebeten auf dich zu warten, aber sie musste wirklich los und es tat ihr auch leid. Sie hat es nicht böse gemeint. Sie mag dich wirklich“, versuchte Seto es weiter und widmete sich als nächstes den Äpfeln. Aus dem Kühlschrank entnahm er Butter, Käse, Wurst zwei gekochte Eier aus der Verpackung. Im Brotkasten lag noch frisches Schwarzbrot. „Ich hätte gern ihr Gesicht gesehen, wenn sie ihr Geschenk aufmacht“, murmelte er und trank einen großen Schluck von dem warmen, süßen Getränk. Seto sah kurz über die Schulter und trank ebenfalls etwas von seinem Kaffee. „Ich auch, aber ich bin sicher, sie lässt uns irgendwie dran teil haben.“ „Aber das ist nicht das gleiche!“ Was sollte er machen? Er konnte sie doch schlecht einsperren und dass er sie bevormunden und über sie bestimmen würde, hatte sie ihm auch schon vorgeworfen. Wenn er ihr auch noch verbieten würde mit Siegfried mit zu fliegen, wären seine Chance direkt unter Null. Es würde genauso weit unten liegen, wie die Chance, dass Wheeler jemals an einer Uni studieren würde bei seinen Noten. Als Seto fertig war, stellte er den Obstsalat vor seinen Bruder. „Iss einfach ein bisschen und dann werden wir uns einen schönen Tag machen und übermorgen fliegen wir nach Schottland zu unserem Ferienhaus“, sagte er tröstend und machte direkt weiter, seinem Bruder die gekochten Eier zu pellen und die Brote zu schmieren. „Hast du von ihr schon was gehört, ob sie wenigstens gut angekommen ist?“, fragte Mokuba und löffelte etwas von dem Salat in seinen Mund. „Nein, leider nicht. Aber ich bin sicher, sie wird sich melden, wenn sie angekommen ist. Vergiss nicht: Dort ist es grade mal halb zwölf Nachts. Ich glaube, sie wird todmüde sein und noch schlafen.“ Mokuba nickte und Seto schob ihm den Teller mit den fertigen Broten zu. „Iss jetzt dein Frühstück. Ich bin mal oben im Arbeitszimmer und schau mal, was ich tun kann.“ Seto lächelte Mokuba aufmunternd zu. „Geh nachher mal mit Shadow raus. Ich glaube, er braucht einen Spielgefährten und das bringt dich auf andere Gedanken. Der Schnee im Garten ist auch noch unberührt.“ Das entlockte seinem Bruder doch endlich ein kleines Lächeln und Seto fiel ein Stein vom Herzen, das wenigstens etwas wieder bergauf ging. Zufrieden seufzte er und nahm sich seine Kaffeetasse mit. Kurz machte Seto auch einen Abstecher ins Wohnzimmer. Unter dem geschmückten Baumlagen nur die beiden Geschenke, die Naomie ihnen gegeben hatte und Seto nahm sich seines darunter hervor und ging damit nach oben in sein Arbeitszimmer. Es wurmte ihn so ziemlich, dass Mokuba dieses Jahr Weihnachten wohl nicht so glücklich verbringen würde, wie die Jahre davor und das nur, weil er alles verbocken musste. Seto war froh, dass Mokuba davon nichts ahnte oder ihm zumindest keinen Vorwurf machte, aber dennoch würde er nicht zulassen, dass er Trübsal blieb. Ihm musste etwas einfallen! Aber erstmal würde er duschen gehen und vielleicht hatte Naomie in der Zeit auch geantwortet, dann würde er ihr Geschenk öffnen…obwohl, das konnte er auch direkt tun. In seinem Schlafzimmer angekommen, setzte Seto sich auf das Bett und öffnete die Schleife der Schachtel. Er konnte wirklich nicht sagen, was dort drin sein würde. Es war eine ganz normale eckige Box. Es klang jedoch metallisch und sie fühlte sich schwer an. Langsam öffnete er das Papier und sah eine verzierte Dose mit Duell Monsters Figuren darauf. Hauptsächlich waren es Drachen. Sogar sein geleibter Weißer war mit abgebildet. Seto schluckte. Wie war sie daran gekommen? Diese Box gab es noch gar nicht auf dem Markt! Dafür lief grade mal die Werbung und sie sollten erst nach Weihnachten raus kommen! Wie hatte Naomie das gemacht? „Oh mein Gott…“, flüsterte er leise und öffnete die Dose, um sich die Karten anzusehen. Es war ja schon unfassbar, dass sie an Karten kam, die noch nicht mal auf dem Markt waren, aber dann auch noch an die Kartenbox mit Rare-Karte und Ultra-Rare-Karte war einfach unglaublich. Ihm blieb fast die Luft weg, als er die Hologrammdrucke sah. Einige dieser Karten würden nach Veröffentlichung über Tausende von Dollar wert sein! Niemals hatte sie so viel Geld. Nicht mal mit dem Extra-Bonus, den seine Firma ihr zahlte und der war schon großzügig und im fünfstelligen Bereich, wo sie sicher auch noch aus den Socken fallen würde, aber das spielte hier nichts zu Sache. Seto besah sich vorsichtig die Drachenkarten mit den möglichen neuen Kombinationen im Duell. Die Zauber- und Fallenkarten waren alle neu und rochen nach frischer Druckerfarbe. Sie würden sein Deck erheblich verstärken und aufpolieren. Der Wert dieses Geschenks war für ihn nicht nur materiell, sondern auch emotional unglaublich wertvoll. Er könnte ihr gar nicht genug danken dafür! So musste er sich nicht auch noch auf die Suche nach diesen speziellen Sonderkarten machen und Millionen dafür ausgeben. Aber wie…? „Wie hat sie das geschafft?“, flüsterte sein Stimmchen genauso fassungslos und vor seinem Auge tauchte ein Bild der Erinnerung auf. Sie stand in seinem Vorzimmer und wartete darauf, dass er Zeit für sie hätte. Pegasus, der auf sie einredete und ihr eine schwarze Box überreicht hatte. Genau die Box, die er jetzt in den Händen hielt. Das komplette Set mit allen Sondereditionen und seltensten Karten. Schwer schluckte er und legte die Karten zurück, ehe er eine Hand auf seinen Mund presste. Sie hatte es also von Pegasus bekommen und vermutlich hatte sie sich vorher auch ziemliche Gedanken gemacht, ehe der alte Sack es ihr angedreht hatte. Aber dass sie es ihm überhaupt einfach so schenkte, anstatt es zu verkaufen und sich eine goldene Nase zu verdienen, war einfach nur süß. Allein das zeigte ihm, wie viel er ihr bedeute. „Und du hast dich, wie der letzte Idiot verhalten!“, warf ihm sein Gewissen vor und Seto sprang vom Bett auf. Die Box schloss er direkt in seinen Aktenkoffer ein, dann ging er zum Schrank und zog einen frischen Pullover und eine Hose aus dem Schrank. Nein, das konnte er bis Neujahr nicht so stehen lassen! Mokuba, gut, das konnte er hinbiegen und warten bis sie zurück kam, aber dieses Geschenk und sein mieses Gewissen, konnte er nicht beruhigen. Allein die Vorstellung, wie mies er sich benommen hatte in den letzten Tagen und sich auch noch mit ihr gestritten hatte und dann dazu das Geschenk…nein, da konnte er nicht mal schlafen und allein bei dem Gedanken in Kombination mit Mokuba wurde ihm schlecht. „Und was willst du tun?“ Was wohl? Er würde duschen und sich direkt danach auf den Weg zum Flughafen machen, um nach England zu fliegen mit seinem Privatjet! „Du überraschst mich grade, Seto. Scheinbar lernst du doch noch dazu!“, kommentierte sein Fistelstimmchen die Sache und er könnte innerlich sehen, wie zufrieden es doch grinste. Es stand ja wohl außer Frage, dass er ihr jetzt folgen würde, um sie zu sich zu holen und ihr alles zu sagen, was ihm auf der Seele brannte. Mit dem internen Haustelefon rief er Roland an und teilte ihm mit, dass er in einer Stunde den Jet bräuchte und gleich den Wagen. Dann verschwand er ins Badezimmer, um sich schnell fertig zu machen. Naomie fühlte sich total schläfrig, obwohl sie den halben Flug über geschlafen hatte. Aber obwohl der Sitz bequem gewesen war und Siegfried ihr auch eine Decke übergelegt hatte, fühlte sie sich steif und unausgeschlafen. Siegfried war sogar so lieb gewesen und hatte ihr den Sitz zurück gestellt, damit sie richtig liegen konnte wie in einem Bett. Der Sitz war auch breit genug dafür, um als kleines Bett durchzugehen. Das war schon ein ziemlicher Vorteil, wenn man ein Privat-Flugzeug hatte. Es war groß und geräumig. Aber all das änderte nichts an der Tatsache, dass sie fror und sich total eklig vorkam in den Sachen geschlafen zu haben, die sie am Vorabend bei der Schulaufführung getragen hatte. Ihre Bluse war zerknittert und der Rock lag total unordentlich und hatte sich halb in ihren Beinen verheddert. Verschlafen drehte sie sich zur Seite und richtete sich etwas auf. „Morgen…“, nuschelte sie zu Siegfried, der von seinem Laptop aufsah und sie direkt mit einem warmen Lächeln begrüßte. „Du meinst wohl: Guten Abend?“, fragte er grinsend. „Sind wir schon da?“, nuschelte sie und richtete sich etwas auf. Sofort zog sie die Decke wieder halb über sich. „Fast. Wir sind grade über London. Es ist nicht mehr weit. Etwa zehn Minuten noch. Du hast den ganzen Flug über geschlafen.“ Er grinste sie an und winkte den Stewardess herbei, damit er ihr etwas zu trinken geben konnte. „Egal, was du gegen deine Flugangst genommen hast, es hat dich ziemlich ausgeknockt.“ Er ließ ein Kichern hören und klappte den Laptop zu, während er sich frischen Kaffee nachschenken ließ. „Tut mir leid. Ich weiß nicht mal mehr, dass ich eingeschlafen bin.“ „Schon gut. Du sahst nach der Schulaufführung ziemlich fertig aus. Du hast die Ruhe gebraucht und dafür bist du auch hier. Ich hoffe nur, du kannst nachher noch schlafen? Hier ist es grade mitten in der Nacht.“ Siegfried nippte von seinem Glas, während sie sich streckte und von dem Wasser trank. „Ich denke schon. Wirklich ausgeruht bin ich nicht. Tut mir trotzdem leid. Wir waren mitten im Gespräch!“ Verlegen sah sie über den Rand ihres Wasserglases zu Siegfried und stellte den Sitz wieder normal ein, damit sie nicht wieder einschlief, auch wenn sie grade nichts anderes lieber getan hätte. „Wir haben uns über die Aufführung unterhalten und was wir die nächsten Tage unternehmen werden. Du bist wirklich eingeschlafen und hast mir sogar noch geantwortet!“, lachte er und Naomie lief hochrot an. „Oh Gott! Ich will, glaub ich, nicht wissen, was ich gesagt habe!“ Sie trank das Glas leer und sah aus dem Fenster. Zu Hause würde es schon Heilig Abend sein und sie fragte sich, wie es Seto und Mokuba wohl ging. Es fühlte sich komisch an so weit weg von zu Hause zu sein. „Du hast nur irgendwas wegen Kaiba gesagt. Er scheint dir zu fehlen und ich will wohl nicht wissen, was passiert ist, dass du gestern mit einem ziemlich trüben Gesicht da raus gekommen bist.“ Siegfried verzog ein wenig das Gesicht und blickte sie mitleidig an, während sie nach draußen sah und die Lichter von London beobachtete. Auch hier war alles weiß und sah verschneit aus. Einfach wunderschön. „Er hat mir gestern gesagt, dass er mich liebt“, murmelte sie leise und ihr warmer Atem beschlug das Glasfenster des Fliegers. „Er hat…was?“ Siegfried klang ziemlich überrascht. „Er hat gesagt, dass er mich liebt.“ „Und warum guckst so, als wäre das etwas total schreckliches? Ich dachte, du liebst ihn auch?“ „Tu ich auch, aber es war mitten im Streit. Wir hatten uns darüber gestritten, dass du mich zur Gala eingeladen hast und eins führte zum anderen und er fauchte mich an und meinte dann, dass er mich liebt…“ „Verstehe. Kaiba war ja noch nie dafür bekannt subtil zu sein oder einfühlsam. Tut mir leid zu hören, ich wollte dir auch keinen Ärger machen.“ „Dafür kannst du ja nichts, wenn er eifersüchtig wird.“ Siegfried brummte. „Aber dafür bin ich ja extra hier bei dir, damit ich mich ablenken kann und er kann sich in der Zeit beruhigen.“ „Stimmt genau! Übrigens hat dein Handy vorhin mehrfach geklingelt. Ich hab nur den Ton ausgemacht und gesehen, dass es Kaiba war. Ich hab es also nicht gelesen.“ „Bestimmt will er wissen, ob ich gut angekommen bin…“, murmelte sie und las kurz die Nachrichten. Da der Empfang jedoch grade ziemlich schlecht war, würde sie erst später darauf antworten, wenn sie bei Siegfried angekommen wären. „Herr Schröder, bitte schnallen Sie sich und Ihr Gast bitte gut an. Wir landen jetzt!“, sagte der Pilot über die Freisprechanlage und Naomie schnallte sich sofort an. Der Stewardess räumte die Getränke noch schnell weg. Siegfried sah sie durchdringend an, während er ebenfalls den Sicherheitsgurt anlegte. „Kannst du dich eigentlich entspannen, wenn er dir die ganze Zeit über schreibt?“, fragte er besorgt und sah ebenfalls kurz nach draußen. „Ich wird einfach nicht reagieren. Ich schreibe ihm, dass ich gut angekommen bin, aber damit hat es sich dann auch getan. Er weiß, wieso ich nicht geblieben bin, obwohl er mich mehrfach darum gebeten hat.“ „Kaiba hat dich gebeten zu bleiben?“ Naomie nickte. „Hätte ich bleiben sollen?“, fragte sie ein wenig besorgt und ihr Herz machte einen Satz. War es falsch gewesen? War Siegfried auch der Meinung, sie wäre dort besser aufgehoben? Tat sie ihm leid? Was, wenn er das nur aus Mitleid tat? „Das läge bei dir. Ich hätte dich nicht gedrängt mit mir zu kommen. Es ist nur ungewöhnlich, dass Kaiba soweit über seinen Schatten springt. Du musst ihm wirklich was bedeuten, sonst würde er das nicht tun. Er ist nicht so der Gefühlsmensch.“ „Das habe ich gemerkt“, brummte sie und lehnte sich im Sitz zurück. Sie gähnte und sah nach draußen. In ihrem Kopf war sie bei Seto und Mokuba. Sie hätte mit ihnen beiden feiern können, sie hätte bei Seto schlafen können, dann ein gemeinsames Frühstück, den Tag gemeinsam verbringen, um das Warten auf die Geschenke zu verkürzen und am Abend würden sie zusammen Essen. Vermutlich würde es ein riesiges Festessen sein. Sehnsüchtig seufzte sie bei dem Gedanken und ihr schlechtes Gewissen meldete sich. Ihre Selbstzweifel riefen ihr zu, dass sie umkehren sollte, um bei ihnen zu sein. Erst recht, weil sie nicht auf Mokuba gewartet hatte. Der Kleine tat ihr Leid für diese miese Nummer. Aber noch eine Sekunde länger bei Seto und sie hätte sich wirklich von ihm küssen lassen und ob sie dann noch so standhaft gewesen wäre, wäre fraglich gewesen. Immerhin wollte Naomie auch nicht Siegfried hängen lassen. Dieser verdammte Zwiespalt machte ihr zu schaffen und ihr war einfach nur zum heulen, wie sie diesen verdammten Firmenchef mit seinen blauen Augen so verfallen war! Um die Tränen zu verstecken, schloss sie kurz die Augen. „Mach dir keine Sorgen, kleine Prinzessin, hier kannst du dich ein wenig ausruhen und in Ruhe über alles nachdenken. Ich hab dir doch von dem großen Spa-Bereich erzählt. Du kannst es jederzeit nutzen. In deinem Zimmer ist auch ein großes Bad mit Badewanne und Dusche. Wenn dir also danach ist, lass dir ruhig ein Schaumbad ein und lehn dich zurück. Mein Personal steht dir…“ Siegfried unterbrach sich und Naomie fragte sich, wieso. Sie war doch noch wach und hörte zu, auch wenn ihre Lider sich schwer anfühlte. „…zur Verfügung“, beendete Siegfried den Satz und sie hörte, wie er ein Lachen unterdrückte, „Du bist die Zeitzonenverschiebung wirklich nicht gewohnt. Dann schlaf mal weiter und wir sehen uns morgen früh in aller frische, Prinzessin.“ Naomie spürte, wie er ihr durch die Haare strich. Zärtlich und liebevoll und für einen Moment stellte sie sich vor, Seto wäre da und würde das selbige tun und sie küssen. Doch sie wusste, nichts dergleichen würde passieren und ihr Herz wurde schwer bei dem Gedanken. Eine dicke Träne stahl sich unter ihren Lidern hervor und lief ihr über die Wange, wo Siegfried sie auffing. „Kaiba weiß dich wirklich nicht zu schätzen“, murmelte er leise und sie konnte es aber hören. „Mag sein, aber ich mag ihn“, antwortete sie und zwang sich ein weiteres Mal die Augen zu öffnen. „Tut mir leid. Ich dachte, du bist wieder eingeschlafen.“ Er sah sie versöhnlich an. „Wäre ich auch fast. Aber wir landen gleich und ich will nicht, dass du mich tragen musst oder sowas.“ „Das würde mich nicht stören.“ „Es muss aber nicht sein und ein bisschen Bewegung und frische Luft tut mir bestimmt gut.“ Ein Ruck ging durch die Maschine, als die Räder langsam den Boden berührten und die Maschine auf der Landebahn ausrollte. Sie konnte jetzt nicht mehr die Lichter der Stadt sehen, sondern nur noch die Dunkelheit und die schwachen Lichter der Bahn. „Gut, aber wenn du wirklich nicht mehr kannst, dann schlaf wieder und ich regel alles.“ Naomie nickte und blickte auf die kleine Tüte von Seto und Mokuba, die unangetastet auf dem Boden stand. Sie war ziemlich neugierig, was da drin war und was sich die beiden wohl überlegt hatten. Selbst ihre Müdigkeit verflog bei dem Gedanken, was sich wohl darin befinden musste. Aber erst stand noch eine halbe Stunde Autofahrt durch ein Waldgebiet an, ehe sie bei Siegfrieds Anwesen sein würde. Sobald die Maschine hielt, schnallte sie sich ab und stand auf. Genüsslich streckte sie ihre Glieder und bewegte sich ein wenig, um die Rückengelenke nach dem langen Sitzen zu entspannen. „Morgen abend gibt es übrigens ein riesigen Essen in der Halle mit dem gesamten Personal und mein kleiner Bruder wird auch da sein“, sagte Siegfried und nahm seinen Mantel vom Haken, ehe er ihn überzog. „Das klingt gut. Aber wieso mit dem Personal?“ Leicht fragend legte sie den Kopf schief. „Das ist Tradition bei uns und es ist sozusagen die Weihnachtsfeier für das Hauspersonal.“ „Oh verstehe. Das ist echt eine schöne Tradition.“ Naomie nahm ihre Sachen und folgte ihm aus dem Flieger, während sie die Tüte fest mit den Fingern umklammerte, um sie nicht zu verlieren. „Ich hoffe nur Leon kommt bei dem Wetter zurück und hängt nicht am Flughafen fest“, gab Siegfried leicht zu bedenken und es war an ihm einen besorgten Seufzer auszustoßen. „Ansonsten bin ich ja da und du bist dann nicht alleine!“ Naomie grinste ihn an und als die kalte Nachtluft sie begrüßte, atmete sie diese tief ein. Es tat so gut die Beine wieder zu bewegen und wieder streckte sie sich. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi und auch wenn die kalte Luft ziemlich schnell unter ihre Kleidung kroch, tat es gut die Kälte zu spüren. Es machte sie direkt wacher und trug die warme, kuschlige Müdigkeit von der Heizung und des Schlafes mit fort. „Wenn wir zu Hause sind, kannst du auch endlich dein Geschenk von Kaiba öffnen“, sagte sie Siegfried über die Schulter hinweg und reichte ihr die Hand, als er unten war. „Wie kommst du darauf, dass ich es wissen will?“, fragte sie leicht peinlich verlegen und nahm seine Hand an. „Ich sehe doch, wie du sie sehnsüchtig ansiehst.“ Er grinste sie an und führte sie direkt zu dem Wagen, der schon bereit stand. Sie mussten nur noch auf das Gepäck warten, dann konnte die Autofahrt auch schon los gehen. „Oh…naja ich bin halt neugierig.“ „Kann ich verstehen.“ „Ich frag mich auch, ob er meines schon aufgemacht hat.“ „Das kann ich dir nicht sagen, aber du bist ja auch hier, um dich von Kaiba abzulenken und nicht um weiter über ihn zu reden.“ „Oh sorry…ich…“ „Du vermisst ihn einfach. Schon klar, meine Liebe!“ Er küsste galant ihren Handrücken und sah ihr verzeihend in die Augen. „Ich bin trotzdem froh, dass du mitgekommen bist.“ „Ich hätte es einfach falsch gefunden abzusagen.“ „Du musst dich nicht verpflichtet fühlen, hier zu sein.“ Siegfried sah sie besorgt an und zögerte einen Moment die Autotür zu öffnen, um sie einsteigen zu lassen. Er blickte zu dem Flugzeug und sie folgte seinem Blick zu Flieger. Er würde sie sofort zurück schicken, wenn sie es wollte. Das würde er sofort tun. Hier und jetzt! Sie musste es nur sagen und Naomies Herz machte einen kleinen Sprung vor Freunde bei dem Gedanken zurück zu fliegen. Aber… Ihr Blick ging wieder zu Siegfried. Er hatte sich so viel Mühe gegeben und sie konnte ihm einfach nicht absagen. „Ich fühle mich nicht verpflichtet“, antwortete sie langsam, „Ich halte es grade nur für vernünftiger hier zu sein und du hast mich eben zuerst gefragt. Du bist kein Ersatz für Kaiba oder sowas. Das will ich damit nicht sagen.“ „Ich verstehe schon“, sagte er und öffnete endlich die Tür, „Aber wenn etwas ist, dann sprich mit mir, okay?“ „Ja, tu ich.“ Sie setzte sich in das Auto und schnallte sich sofort an. Siegfried stieg von der anderen Seite dazu und sie sah ihn an. „Tut mir leid, wenn ich dich vielleicht nerve mit meinem Liebeskummer.“ „Mir war bewusst, worauf ich mich einlasse“, gab er zurück, „Ich mache mir eben auch Sorgen um dich, weißt du.“ Naomie nickte und sah auf ihren Schoß. Ihr Herz fühlte sich verdammt schwer und in ihrem Magen lag ein dicker schwerer Stein, der ihr zu schaffen machte. Dennoch war das Wissen, dass sie jederzeit zurück konnte, wenn sie es nicht mehr aushilft, tröstlich und machte es ihr einfacher nicht sofort einzuknicken. Naomie schlang während der Fahrt die Arme um sich. Zum einen, weil ihr trotz der Heizung Kalt war und zum anderen hatte es irgendwie was Tröstendes in diesem Augenblick. Die Fahrt verlief schweigend zum Anwesen von Schröder und der Weg war ziemlich holprig und uneben. Das Auto konnte auch nur langsam voran fahren, weshalb sich die Fahrt auch noch ein wenig in die Länge zog, aber als sie endlich da waren, konnte sie kaum den Mund vor lauter Staunen schließen. Das Anwesen entsprang direkt einem Disney-Märchenschloss! Das war keine Villa, sondern ein halber Palast! Dagegen wirkte Setos Villa klein. Das hier war riesig. Eine weitläufige Parkanlage, ein riesiges Anwesen und unglaublich viele bunter Lichter. Im dem Vorgarten stand ein großer, geschmückter Weihnachtsbaum mit bunten Lichtern. Es war ein wunderschöner Anblick und sie kam sich grade wie Cinderella vor, nur dass das hier nicht ihr Märchenschloss und der Besitzer auch nicht ihr Prinz. Aber es war einfach nur unglaublich schön und wäre sie nicht so müde gewesen, hätte sie direkt die Kamera gezückt, um den Anblick auf Bild fest zu halten. Morgen abend würde sie ein Foto davon machen. Aber für heute Nacht würde sie Ruhe brauchen. Andererseits war ihre Neugier auf das Anwesen ziemlich groß, so dass es ihr praktisch in den Fingern kribbelte die Kamera zu ziehen. Aber nein, dafür hatte sie noch Zeit genug. „Willkommen!“, begrüßte ein Angestellter sie, während ein zweiter die Koffer auspackte. Siegfried überreichte ihm direkt seinen Aktenkoffer und er wartete, ob sie auch ihm ihre Tasche geben würde, aber die behielt sie und er führte sie wortlos die Auffahrt und Treppe zum Eingang herein. „Willkommen zurück!“, begrüßte ein Dienstmädchen die beiden und nahm ihnen sofort die Mäntel und Schals ab. Die Frau lächelte breit und strahlend. Naomie sah sich neugierig in dem Vorzimmer um. Es roch nach Orangen und Nelken und einem Hauch von Zimt. Überall sah sie bunte Lichter, Kerzen und Tannenzweige mit bunten Kugeln. Es war einfach herrlich geschmückt. Weihnachtlich, aber auch nicht zu kitschig und auch nicht dezent. Genau die perfekte Mischung. Um das Treppengeländer schlang sich eine goldene Kette mit Rentieranhängern, Engeln und Trompeten. Es war total süß und niedlich. Selbst in der Eingangshalle stand ein kleiner Tannenbaum. Siegfried schien deutlich mehr von Weihnachtsdekoration zu halten als Seto, denn sie konnte die winterliche Atmosphäre fühlen. „Soll ich dir das Anwesen zeigen oder willst du erst etwas Essen und dich ausruhen?“, fragte Siegfried und grinste sie an, während sie das Foyer bestaunte, in dem allein schon ein ganzes Fest abgehalten werden konnte. „Etwas Essen klingt gut und ich würd gern duschen“, sagte sie. „Gut, worauf hast du Lust?“, fragte er, „Du kannst dir alles bringen lassen, was du willst.“ „Ein Sandwich würde reichen und dazu Tee.“ „Sehr gern! Ich bringe es Ihnen auf Ihr Zimmer!“, sagte das Dienstmädchen mit einem knicks und verschwand sofort. Naomie sah ihr kurz hinterher, wie sie davon eilte. „Komm mit. Ich zeig dir mal, wo die Zimmer sind. Morgen zeig ich dir das Anwesen, wenn du magst. Ich war übrigens so frei und hab dir noch ein paar Sachen besorgt. Wir werden bestimmt auch mal ausgehen und ich hab mir erlaubt dir für die Anlässe ein paar Kleider zu kaufen.“ „Oh…ähm okay“, murmelte sie verlegen und blickte sich noch mal um, während Siegfried sie die große Wendeltreppe nach oben führte und in einen Gang abbog. Naomie hoffte sich den Weg merken zu können. Denn das Anwesen war von drinnen noch größer, als es von außen aussehen mochte und es gab unzählige Türen und Nebengänge. Irgendwie fühlte sie sich immer mehr in die Rolle von Julia Roberts in „Pretty Woman“ versetzt. Eine Mischung aus Prinzessin und Cinderella. So viel Luxus und dann kaufte er ihr auch noch Kleider, wo sie jetzt schon wusste, dass sie besser nicht nach dem Preis fragte. Ihr Herz klopfte unruhig in der Brust und irgendwie kam sie nicht umhin Siegfried mit Seto zu vergleichen und kurz fragte sie sich auch, warum sie Siegfried nicht eher begegnet war. Er war um so vieles aufmerksamer und offener als Seto. Obendrein las er ihr jeden Wunsch von den Augen ab und sorgte dafür, dass sie sich rundum wohl fühlte. Aber sie hatte ihr Herz nun mal an den gefühlskälteren verlieren müssen und wenn sie Siegfried ansah, dann konnte sie dort nichts Tieferes empfinden, als das, was sie auch für Takuya – ihrem Bruder – empfand. Egal, wie fürsorglich oder liebevoll er zu ihr war. Sie würde ihn auch immer mit Seto vergleichen müssen. Sie waren sich beide zu ähnlich und doch auch grundverschieden. Es war auch schon merkwürdig gewesen, dass Siegfried ihr das superteure Kleid gekauft hatte für die Gala, was er ihr ausgesucht hatte. In dem Moment hatte sie sich noch nie so attraktiv gefühlt und es war mehr als Schade, dass Seto sich mit ihr gestritten hatte. Aber sein Blick hatte für sich gesprochen. Bei dem Gedanken musste sie grinsen und gleichzeitig kam eine schwere Wehmut über sie. Naomie wusste auch nicht genau, was sie erwartete hatte von ihm, wenn er sie sehen würde. Zumindest keinen Streit. Aber irgendwie hatte sie schon was erwartet. „Hier ist dein Zimmer“, sagte Siegfried und zog sie aus ihren Gedanken. Mist! Jetzt hatte sie total verpennt zu gucken, wo genau ihr Zimmer lag und ihm gar nicht zugehört! „Danke.“ „Morgen zeig ich dir den Rest“, sagte er und öffnete die Doppeltür, um sie in das Zimmer zu lassen, „Wenn du etwas brauchst, zieh einfach an dem roten Strick. Dann kommt jemand von dem Personal.“ Er deutete auf das Seil, was direkt neben dem Bett hing und es erinnerte sie sofort an das alte viktorianische Zeitalter. Vorsichtig betrat sie das Zimmer und sie sah sich um. Selbst eine kleine Tanne stand in der Ecke, es gab einen Kamin, sowie eine moderne Heizung, ein großes Doppelhimmelbett und ein großer antik aussehender Kleiderschrank. Dazu ein Tisch und ein kleines Sofa. Im Kamin brannte bereits ein Feuer, was den Raum eine angenehme Note verlieh und kuschlig warm hielt. „Ich hoffe, es gefällt dir?“, fragte Siegfried und musterte sie aufmerksam, während sie sich genau im Zimmer umsah. Naomie nickte und trat an das große Fenster, um nach draußen zu sehen. Es war stockfinster und sie sah nur den Schnee auf dem Balkon und die Lichter in Schneeflockenform. Sie wandte sich davon ab und legte ihre Tasche auf das Bett ab. Es fühlte sich jetzt schon kuschlig weich an und sie kam sich unweigerlich vor, als wäre sie im teuersten Luxushotel der Welt. Auf dem Bett lagen drei Kartonschachteln und Naomie wusste, dass darin die Kleider waren, von denen er gesprochen hatte. „Danke. Es ist alles wunderbar!“ „Das freut mich zu hören. Soll ich dann hier bleiben und dir noch Gesellschaft leisten oder dich allein lassen?“, fragte er, doch noch ehe sie antworten konnte, klingelte sein Handy und er sah sie entschuldigend an. Naomie musste schmunzeln. Es war wie bei Seto. Immer wollte jemand was. „Ja…gut….warten Sie…“, sagte Siegfried und blickte sie besorgt an, „Entschuldige, ich muss telefonieren, aber wenn etwas ist, mein Zimmer ist direkt drei Türen weiter. Dein Bad ist direkt hier nebenan. Deine Koffer werden gleich hoch gebracht und das Essen und der Tee auch. Ich wünsch dir schon mal eine gute Nacht.“ Siegfried trat kurz auf sie zu und küsste ihre Stirn, ehe er hinaus ging. Sie konnte noch hören wie er sagte: „Stellen Sie durch.“ Dann hörte sie nichts mehr und sie war allein in dem riesigen Zimmer. Im Kamin knackte das Holz und sie atmete erstmal durch, ehe sie ihren Sachen sortierte und es sich versuchte gemütlich zu machen. Die Kleidung in den Boxen würde sie sich später ansehen, erstmal huschte sie schnell unter die Dusche, um die Müdigkeit fort zu waschen und das merkwürdige Gefühl noch immer auf Reisen zu sein. Mit einer Dusche würde sie sich wesentlich besser konzentrieren können und auch länger wach bleiben können. Sie hatte Urlaub und sie würde ausschlafen können. Daher war es egal, wann sie ins Bett ging und wie es nun genau mit der Zeitverschiebung war. Als Naomie im Badezimmer fertig war, standen ihre Koffer am Fußende des Bettes und auf dem Tisch stand eine Tasse Tee und ein Teller mit zwei Gurkensandwiches. Daran könnte man sich doch glatt gewöhnen! Schnell schickte sie auch eine Nachricht an Seto, dass sie gut angekommen sei. Fast hätte sie seine Nachricht auch vergessen. Eigentlich wollte sie sich auch gar nicht bei ihm melden, aber wenn er schon besorgt nachfragte, dann wollte sie nicht so ungerecht sein und sich gar nicht melden, wie es ihr nach dem Flug ging. Aber mehr würde sie bestimmt nicht schreiben! Nachdem die Antwort auch abgeschickt war, legte sie das Handy zur Seite und stellte es auf stumm. Sie wickelte sich den Bademantel enger um und nahm die Geschenktüte von Mokuba und Seto mit auf das Sofa, um endlich zu sehen, was die zwei ihr geschenkt hatten. Neugierig zog sie die zwei Geschenke heraus und betrachtete die teure Schokolade, die dort mit drin war. Sie wollte nicht wissen, aus welchen teurem Patisseriegeschäft das war. Edel sah sie in jedem Fall aus! Doch ihre Aufmerksamkeit galt eher den zwei Schachteln. Zuerst öffnete sie die Größere der beiden und zum Vorschein kam eine Hülle mit CD darin. Auf einem handgeschriebenen Zettel stand die Anweisung, dass sie es in ihren Laptop oder PC einlegen sollte. Naomie nahm sich eines der Sandwiches vom Teller und stand auf, um den Laptop aus der Tasche zu holen. Kauend, zog sie Kabel und die kleine Maus mit heraus, baute alles schnell auf und fuhr das Gerät hoch. Währenddessen hatte sie das erste Sandwich verdrückt und als der Laptop startklar war, legte sie die CD ein. Sie wusste nicht, was genau passierte, aber scheinbar installierte ihr Laptop grade etwas von der CD. Irgendein Programm wurde dort grade drauf gespielt und Naomie runzelte fragend die Stirn. Auf der Hülle stand auch nichts. Sie war weiß und gab ihr auch keine Informationen. Aber da es noch dauern würde, nahm sie sich das zweite Geschenk vor. Das war eine kleide Schachtel und als sie diese öffnete, wäre sie fast am Bissen erstickt. „Scheiße…“, murmelte sie und legte das angebissene zweite Sandwich auf den Teller und putzte sich die Finger an der Serviette ab, ehe sie die Kette aus der Schachtel nahm und den kleinen Herzanhänger in Silber betrachtete. Das war doch eindeutig Setos Mist! Ihre Augen betrachteten unablässig die feine Silberkette und wie der Anhänger zwischen ihren Fingern hin und her pendelte. „Du Idiot….“, murmelte sie leise und obwohl die Kette fein und leicht war, hatte sie das Gefühl, sie wog Tonnen in ihrer Hand. Nein, das konnte sie nicht annehmen! Sie konnte sie nicht tragen! Niemals! Hatte er gehofft, sie so zurück zu kriegen? Mit Schmuck oder was sollte das bedeuten? Naomie biss sich auf die Lippen und packte die Kette zurück in die Schachtel und schob sie außerhalb ihres Blickfeldes, während sich in ihren Augen bereits Tränen gesammelt hatten. Dieses Geschenk war….nun, damit gerechnet hatte sie einfach nicht! Schniefend wischte sie sich über die Augenwinkel und nahm einen Schluck von dem Tee. Er beruhigte sie sofort und die warme Flüssigkeit brannte ihr in der Kehle. Dennoch entwich ihr immer wieder und wieder ein schniefen. Sie vermisste ihn so unglaublich sehr und diese unnötigen Diskussionen und Missverstände zwischen ihnen machte es nicht einfacher! Nur weil sie aneinander vorbeiredeten und er besser gesagt so wie nie darüber, was in ihm vor ging. Ihr Blick ging zu dem Laptop, der das Programm fertig herunter geladen hatte und sie öffnete den neuen Button auf ihrem Desktop in Form eines Hundes, der Shadow irgendwie ähnlich sah. Das Programm öffnete sich und zum Vorschein kam ein Photoshopprogramm mit winterlichem Design. In der Ecke saß ein kleiner Hund und ein Chibi von…von ihr selbst. „Was zum…?“ Naomie beugte sich näher und betrachtete die Mini-Form von sich und Shadow und las die kleine Sprechblase zur Begrüßung und Einführung des Programms. Neugierig wie sie war, lies die die Einführung zu und schluckte schwer, als ein Video sich öffnete mit den Grundfunktionen von Photoshop. Genau das, was sie auf der Messe als Kurs gegeben hatte, wurde dort wiedergespielt als Video. Irgendwer hatte sie dort aufgenommen. „Scheiße…“, murmelte sie und klickte weiter. Scheinbar hatte Kaiba seine eigene Version von Photoshop für sie entworfen. Ihr Logo war hinterlegt, Grundeinstellungen, die sie bei jedem Foto verwendete gab es als Tastenkürzel eingespeichert, Lernvideos waren mit eingetragen und sogar ein Zugriff auf ihre Playlist und dem Radio der Umgebung, wo sie grade war, so dass sie es sogar in diesem Programm abspielen konnte und nicht erst den Musikplayer mit öffnen musste. Der kleine Chibi in der Ecke gab Kommentare ab, was man an dem Bild verbessern sollte oder ob ein Lernvideo gespielt werden soll oder welche abgespeicherte Favoritenbearbeitung man gerne nutzen wollte. Das Programm war einfach zu bedienen, dem originalen Photoshop so ähnlich und doch ganz anders mit erweiterten Funktionen und Nutzungsmöglichkeiten. Es war sogar mit ihrem Mail-Postfach verknüpft, um bearbeitete Fotos direkt zu verschicken. Selbst das Design ließ sich nach belieben verändern und persönlich anpassen. Seto hatte all ihre Funktionen irgendwie gespeichert und umgeschrieben, um ihr eine verbesserte Version von Photoshop zu schenken. Er war doch absolut verrückt! Als etwas feuchtes von ihrem Kinn tropfte, merkte sie, wie ihr die Tränen über das Gesicht liefen und sie wischte sie unruhig fort. Sofort bildeten sich neue und sie hasste und liebte ihn gleichermaßen dafür, dass er so aufmerksam war und das Programm geschaffen hatte. Laut schniefte sie und rollte sich zusammen. Ihr Herz schlug so kräftig und war gespalten mit mehreren Gefühlen. Wut, Verzweiflung, Sehnsucht, Liebe…und viele andere Dinge, die ihr Verstand kaum fassen wollten. Sie vergrub das Gesicht in den Händen, während die heißen Tränen über ihr Gesicht liefen. „Hei, was ist los?“, fragte Siegfried plötzlich neben sie und Naomie zuckte zusammen, während ihr ein kläglicher Laut entwich. „Es tut mir so leid, meine Liebe!“ „Er ist doch ein Idiot…“, schniefte sie und ließ sich an Siegfrieds Schulter ziehen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er herein gekommen war. Das war so peinlich! Dabei wollte sie ihn damit nicht so stark belasten. „Es tut mir so leid, was passiert ist. Ich kann verstehen, wenn du jetzt zurück willst“, murmelte er in ihr Haar und strich tröstend über ihren Kopf und Rücken. „Was…wieso?“, fragte sie schniefend und ließ zu, dass neue Tränen flossen. Jetzt wollte Siegfried sie scheinbar auch schon los werden und vermutlich bereute er es, so ein Häufchen Elend mitgenommen zu haben. „Bestimmt nicht wegen zwei Geschenke!“ „Geschenke?“, fragte er verwirrt und folgten ihrem Deut zu dem Programm und der Kette in der Schachtel. „Oh…ich dachte….“ „Was? Was ist denn los?“, fragte sie und wischte sich wieder über die Augen. „Nunja…ich dachte, du hättest es vielleicht selbst gehört…“ Siegfried sah sie besorgt an und biss sich auf die Lippe. „Was denn?“ „Kaiba…“ „Was ist mit ihm?“ „Scheinbar wollte er dir doch nach fliegen. Er war auf dem Weg zum Flughafen ohne Mokuba und da ist ein Transporter in seinen Wagen gefahren. Sein Auto ist wohl total hinüber und sein Fahrer liegt im Krankenhaus mit mehreren Brüchen. Ich weiß nur nicht, wie es um ihn steht. Der Unfall ist wohl schlimm gewesen, wegen der glatten Fahrbahn…“ „Was willst du damit sagen?“, fragte sie und leichte Panik beschlich sie. „Ich weiß nicht, wie schlecht oder gut es um ihn steht…Mokuba rief mich nur an und sagte, sein Bruder sei im Krankenhaus und ich soll dich informieren.“ Naomie hatte das Gefühl ihr Herz hörte auf zu schlagen. Die Sekunden zogen sich dahin, als wären es Jahre und sie konnte Siegfried nur ansehen, ehe sie sich zusammen rollte und die Hände über den Kopf legte. Kein Ton kam ihr über die Lippen und sie hatte das Gefühl zu ersticken. „Komm her, komm her…“, sagte Siegfried sofort und zog sie an sich, „Schau mich an, Naomie…atme tief ein, komm atme…ein und aus…so ist gut…“ Sie hatte das Gefühl noch immer zu ersticken, obwohl sie genau tat, was er sagte und wieder neue Tränen über ihr Gesicht liefen. „Es wird alles gut…“, flüsterte er, „Alles ist gut…Willst du zu ihm? Ich kann dich zurück bringen, wenn du willst und dann kannst du bei ihm sein…“ Naomie brachte zur Antwort nur ein Schluchzen zustande, während sie sich an ihren Gastgeber drückte und sich von ihm in den Arm nehmen ließ. „Naomie?“, fragte Siegfried, „Willst du zurück und zu Kaiba?“ Wieder sagte sie nicht und sie brauchte einen Moment, um sich ein wenig zu fassen, ehe sie den Kopf schüttelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)