Waking Up To Ash And Dust von KISHIRA_22 ================================================================================ Kapitel 2: Mark II ------------------ Mark II Die U-Bahn-Tunnel waren verlassen und voller Trümmer. Im Halbdunkeln war es schwierig, sich dort hindurchzubewegen und Peter blieb regelmäßig stehen um sich davon zu vergewissern, dass Mr. Stark und Charles ihm immer noch folgten. Letztendlich entdeckte er allerdings endlich das Ende des Tunnels und sprang leichtfüßig aus dem U-Bahn-Schacht direkt auf ein stehengebliebenes Auto. Dort verharrte er, um sich umzusehen. Sie waren in einem Vorort New Yorks gelandet. Verlassene Autos, zerstörte Einfamilienhäuser, zugewachsene Vorgärten, brüchige Straßen. Auch hier war von der einstigen Zivilisation nicht mehr viel zu sehen. Er drehte sich um und warf einen Blick zurück auf die Skyline von New York. Es war sein Zuhause gewesen, er hatte jede Straße gekannt, jedes Gebäude, jeden Aussichtspunkt. Er war dort zur Schule gegangen, hatte Freunde gefunden und war der Teil eines einzigartigen Teams geworden. Dass all das wirklich verloren war... Dass sie all diese Menschen im Stich gelassen hatten... Er wollte sich nicht einmal ausmalen, was mit Tante May geschehen war. Mit Harry. Mit Gwen... Er ballte seine rechte Hand zur Faust und atmete tief durch. Nicht jetzt. Nicht hier. //Ich glaube, ich habe es geschafft//, sendete er stattdessen an Charles. Bevor er allerdings noch etwas hätte hinzufügen können, durchbrach ein eindeutiges Geräusch die Stille. Motoren. Instinktiv sprang er in die Dunkelheit des U-Bahn-Tunnels zurück und versteckte sich hinter einen heruntergestürzten Felsen. Vorsichtig lugte er dahinter hervor und beobachtete einen schwarzen Jeep dabei, wie er wenige Meter von seinem Versteck entfernt zum Stillstand kam. Die Fahrertür öffnete sich und eine junge, rothaarige Frau schlüpfte aus dem Inneren des Wagens heraus. Peter starrte sie für mehrere Augenblicke ungläubig an, als sie sich auch schon in seine Richtung umwandte und milde lächelte. „Du kannst ruhig rauskommen. Charles wird dir sicher bestätigen, dass ich auf eurer Seite bin.“ Peter zögerte, doch als er von dem Telepathen keine Einwände hörte, trat er vorsichtig hinter seinem Versteck hervor. Sobald sie ihn sah, wurde ihr Lächeln zu einem Grinsen. „Bitte sag mir, dass du vor Stark aufgewacht bist und ein Foto von ihm gemacht hast, als er aufgewacht ist.“ Okay, jetzt war er überzeugt: sie war es wirklich. „Tut mir sehr Leid, Natasha“, entgegnete er nun ebenfalls grinsend. „Aber ich hatte keine Kamera dabei.“ „Wozu denn auch?“, ertönte hinter ihm Mr. Starks Stimme. Peter drehte sich um und sah ihn aus dem Tunnel herausschlendern, Charles nur wenige Schritte hinter ihm. „Ich würde selbst mit Sabber am Mund und einer rot-weiß-blau gestreiften Captain America Unterhose das begehrenswerteste Genie des 21. Jahrhunderts sein, meine Eigenschaften als Milliardär, Playboy, Wohltäter und Philanthrop einmal bei Seite gelassen.“ Er trat an Peter vorbei und fixierte Natasha. „Aber es freut mich doch zu hören, dass Sie Ihren zugegebenermaßen recht schrägen, russischen Humor nicht gänzlich eingebüßt haben, Miss Romanoff.“ Mr. Stark blieb stehen und schmunzelte überlegen. „Und da sagt man immer, junges Gemüse würde nach dem Auftauen all seinen Biss verlieren.“ Autsch. Das ging definitiv unter die Gürtellinie. Doch anstatt ihre Waffe zu ziehen, stemmte Natasha nur ihre Hände in die Hüfte und ließ ihren Blick in aller Ruhe über seinen Körper wandern. „Gemüse“, konterte sie, „kann durch gute Würze immer noch appetitlich werden. Doch trockenes Fleisch bleibt selbst dann nichts weiter als trockenes Fleisch.“ „Fleisch, das sie bis vor wenigen Sekunden nur zu gern beim Aufwachen beobachtet hätten, nicht wahr, Miss Romanoff?“ Peter unterdrückte ein Lachen und drehte sich zu Charles um, der sich neben ihn gestellt hatte und äußerst amüsiert schien. „Hatten die Beiden in deiner Zeit etwas miteinander?“, flüsterte er. „Tja, das ist die große Frage, nicht wahr?“, entgegnete er. „Aber falls sie etwas miteinander hatten, dann bevor ich zu ihnen gestoßen bin.“ Ehe sie das weiter hätten ausführen können, trat Natasha zu ihnen und wandte sich direkt an den Telepathen. „Gut, dich zu sehen. Es war leichtsinnig, von dir...“ Peter hörte den Rest nicht mehr, weil er stattdessen Mr. Stark beobachtete, der sich in den Arm kniff und so etwas wie „Trocken... bestimmt nicht so trocken wie ihr Humor“ murmelte, ehe er sich abwandte und Richtung Auto davonschlenderte. „Von wegen junges Gemüse! Hier leidet einer eindeutig an Gefrierbrand!“, sagte er dabei etwas zu laut. Natasha verdrehte die Augen und sprach wieder mit Charles: „Während du unterwegs warst, hat Magneto sich bei uns gemeldet. Und nein, du musst gar nicht erst nach ihm suchen, er ist sofort wieder verschwunden.“ Das ließ Peter aufhorchen. Magneto? DER Magneto? In seiner Zeit war er ein verbitterter, alter Mann gewesen, der die Menschheit hatte vernichten wollen und dem sie sich vor Thanos oft hatten in den Weg stellen müssen. Doch auch der Professor X seiner Zeit war alt gewesen und nicht wie dieser Charles. Nicht so jung, nicht mit Haaren auf dem Kopf. Er hatte das Gefühl, dass auch Magneto anders sein würde, als er erwartete. „Er meinte, dass Thanos in letzter Zeit auffallend viel Metall in seine Lagern liefern lässt. Es sieht so aus, als würde er etwas ganz besonders großes anfertigen lassen. Magneto denkt, dass er es sich etwas genauer ansehen wird und sich wieder bei uns meldet, sobald er genaueres herausgefunden hat. Seine Abschiedsworte lauteten, ich zitiere: 'Lasst euch nicht umbringen, das wäre reinste Verschwendung'.“ Sie schüttelte mit dem Kopf. „Manchmal würde ich ihm zu gerne eine reinhauen.“ „Verdammt, Erik“, flüsterte Charles. Ohne ihnen ein einziges Wort der Erklärung zu liefern, schloss er seine Augen und führte seine Hand an seine Schläfe. Was zum...? „Komm“, sagte Natasha. „Er braucht seine Konzentration.“ Gemeinsam schlossen sie sich Tony an, der in der Begutachtung des Jeeps versunken war und dessen Gesicht äußerst unbeeindruckt wirkte. „Nicht jeder kann einen Ferrari fahren“, kommentierte Natasha das. „Außerdem ist ein Jeep dort draußen um einiges praktischer als einer Ihrer alles geliebten Sportwagen. Aber wenn der Wagen Sie stört, können Sie sich gerne in einen Ihrer Anzüge schwingen. Dann kann ich mich wenigstens in aller Ruhe mit Peter unterhalten.“ Dieser hob eilig abwehrend die Hände. „Hey, haltet mich da raus!“ Natasha hob eine Augenbraue, sagte aber ausnahmsweise nichts. Dafür warf sie Charles einen Blick zu. „Ich hoffe, er kommt schnell wieder zurück. Ich will hier nicht zu lange bleiben. Die Gegend gefällt mir nicht.“ „Keine Eile, Agent Romanoff“, bemerkte Tony, während er in den Wagen glitt. „Jarvis' Berechnungen zu Folge haben wir noch 45 Sekunden Zeit, bevor das Geschwader Killerdrohnen in Sichtweite ist und zur vollkommenen Vernichtung unsereins ausholt.“ Er lehnte sich in aller Ruhe in seinem Sitz zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Dein Einsatz, Kleiner.“ Natasha sprang eilig auf den Fahrersitz und startete den Wagen. „45 Sekunden? Verdammt, Stark, das hätten Sie wirklich eher sagen können!“ Peter konnte ihr nur Recht geben, doch momentan galt es, einen gewissen Telepathen das Leben zu retten. Mit einer lässigen Armbewegung schickte er einen Spinnfaden los, der sich sofort um den Mann schlang und mit dem er ihn eilig zu sich zog. „Sorry, Professor“, entschuldigte sich Peter bei ihm, während er ihn eilig auf die Rückbank schubste. „Aber wir müssen hier weg.“ Er sprang selbst in den Wagen und schon trat Natasha aufs Gas und düste davon. Dabei warf sie einen Blick auf den Rückspiegel. „Bitte sagen Sie mir, dass Sie wirklich so gelassen sind, wie Sie vorgeben zu sein und einen guten Plan haben, Stark.“ Peter drehte sich um, damit er ihrem Blick folgen konnte und wünschte sich beinahe, er hätte es nicht getan.. „Fuck.“ Der ganze Himmel schien von Drohnen bedeckt zu sein. Und sie alle flogen auf sie zu. Mr. Stark schien sich jedoch nicht einmal davon aus der Ruhe bringen zu lassen: „Haben Sie mich denn jemals planlos erlebt, Agent Romanoff? Was würden Sie nur ohne mich tun?“ „Oh, mir fallen einige Dinge ein, die ich ohne Sie tun würde“, knurrte sie, als der ehemalige Multimilliardär bereits mit seiner Ausführung begann: „Wir brauchen nichts weiter als eine kurzzeitig breitbandige, elektromagnetische Strahlung, die bei einem einmaligen, hochenergetischen Ausgleichsvorgang abgeben wird und in der Lage ist, ein energetisch hoch angeregtes System unter Aussendung eines Impulses in den Grundzustand abklingen zu lassen. Durch die Wechselwirkung der niederfrequenten, elektromagnetischen Strahlungsanteile mit freien Ladungsträgern, die zum Beispiel in Metallen und oder Halbleitern vorkommen, werden dort starke, kurzzeitig schwankende Ströme induziert, was bei nicht oder unzureichend abgeschirmten elektrischen Geräten zu Fehlfunktionen bis hin zum Totalausfall oder sogar zur Zerstörung einzelner elektronischer Bauteile führen kann.“ „Mr. Stark, das halte ich für keine gute Idee...“, ergriff Charles das Wort, wurde allerdings von Natasha unterbrochen: „Sie wollen also einen starken, elektrischen Impuls erschaffen, der diese Dinger flachlegt? Und wie wollen Sie das anstellen? In New York hätten wir Ihnen vielleicht eine Energiequelle beschaffen können, aber hier? Nie und nimmer.“ Besonders weil diese Lösung sie unter Umständen alle umbringen könnte, wenn ihnen auch nur ein Fehler unterlief. Um die allgemeine Moral jedoch nicht noch mehr zu senken, behielt Peter das für sich und sagte stattdessen: „Es könnte funktionieren...“ Er nickte entschlossen und begann breit zu grinsen. „Dann mal los, Mr. Stark! Zeigen Sie diesen Blechmaschinen, was Sie draufhaben!“ „Endlich mal jemand, der meine Sprache spricht!“, beglückwünschte dieser ihn sofort. „Deine Einstellung ist äußerst löblich, Kleiner. Hier...“ Er warf ihm einen Teil seiner Rüstung zu und machte sich selbst über ein anderes, identisches Teil her. „Isoliere die Magnetspule und versuch, uns dabei nicht vorzeitig in die Luft zu jagen.“ „Mr. Stark, glauben Sie wirklich, dass dies eine gute Idee ist?“, mischte sich Charles in das Gespräch ein. „Sie etwa nicht?“ „Nun, wenn Sie mich so fragen... nein.“ Er schien kurz seine Gedanken zu lesen, denn seine nächsten Worte lauteten: „Sind Sie... sich wirklich sicher?“ „Absolut.“ „Und Sie sind sich der Konsequenzen bewusst?“ „Vollkommen.“ Peter sah aus den Augenwinkeln, wie der Telepath nickte. „Dann viel Glück.“ Er konnte nur hoffen, dass das bedeutete, dass es wirklich funktionieren würde. Er war gerade dabei, die letzte Magnetspule zu isolieren, als Mr. Stark sich zu ihm umwandte: „Bereit, Kleiner? Auf mein Kommando schmeißen wir die Dinger aus dem Fenster.“ „Ich bin bereit, wenn Sie es sind“, entgegnete er und positionierte sich am Fenster. Eins. Zwei. Drei. Gleichzeitig ließen sie die Stücke fallen, die kurz über den Boden schliffen und dann liegen blieben. Doch damit war es nicht getan. Peter fing die Schusswaffe auf, die sein Mentor ihm zuwarf und lehnte sich damit aus dem Fenster. „Erst schießen, wenn dieses fliegende Altmetall...“ „...direkt darüber ist“, beendete er Mr. Starks Satz. „Ich weiß, was ich zu tun habe.“ „Wehe, du schießt daneben oder zu spät!“, ermahnte ihn Natasha und wich einem Metallteil aus, das mitten auf der Fahrbahn lag. Peter verlor dadurch fast das Gleichgewicht und musste sich am Rahmen abstützen, um nicht aus dem Wagen zu purzeln. „Dann mach du keine plötzlichen Bewegungen!“, beschwerte er sich und nahm das Ziel wieder auf. Er atmete tief durch und für einen Moment blieb die Zeit stehen. Er sah die Drohnen, die unaufhaltsam näher kamen, er sah ihre Schüsse, die um sie herum in den Boden einschlugen, er sah die Steine und den Staub, die dadurch aufgewirbelt wurden und vor allen Dingen sah er sein Ziel. Bei seinem nächsten Atemzug schoss er und begann zu grinsen, als er traf. Sein Grinsen verschwand allerdings, als ihm klar wurde, was das eigentlich bedeutete. Wurde eine Spannung von einer weiteren Energie getroffen, entlud sich der elektrische Impuls, den Mr. Stark prophezeit hatte. Und in diesem Fall wurde er von einer gewaltigen Druckwelle begleitet. Erschrocken hielt er sich an der Tür fest und wäre fast fortgerissen worden, hätte ihn nicht in letzter Sekunde jemand zurückgezogen. Durch den Schwung feil er auf den Rücken und landete direkt im Schoß seines Retters: Charles. Wer sonst. Doch Peter war froh über die zusätzliche Stütze, da Natasha große Probleme hatte, die Kontrolle über den Wagen zu behalten. Peter konnte es ihr nachempfinden, er hätte nun ungern mit ihr getauscht. Der Einzige, der sich nicht im mindesten an der gegenwärtigen Situation störte, war Mr. Stark: „Sieh sich das einer an“, kommentierte er Peters momentane Position. „Kaum hat er den Tag gerettet, glaubt er schon, sich auf seinen mikroskopisch kleinen Lorbeeren ausruhen zu können.“ Er betrachtete ihn kurz, ehe er den Kopf wieder abwandte und hinzufügte: „In Anbetracht der Umstände und der gut kalkulierten Fügung des Schicksals wäre wohl ein Lob an dich angebracht. Professor, loben Sie den Jungen.“ Während Charles und Peter ihn verdutzt anstarrten, drehte der Mann sich wieder um und nahm den mittleren Gurt des Rücksitzes, um ihn anzuschnallen. „Wenn du nicht wie deine Artgenossen an der Windschutzscheibe enden willst, Kleiner, dann solltest du dich jetzt gut festhalten.“ Kaum hatte er den Satz beendet, wurde das Fahrzeug bereits von einer zweiten Druckwelle erfasst, beschleunigte kurz und kam dann je zum Stillstand kam. „Und da sind die Schattenseiten ihres Plans, Mr. Stark“, kommentierte Charles und Peter konnte ihm nur recht geben. Der elektromagnetische Impuls hatte nicht nur die Drohnen außer Kraft gesetzt, sondern jegliche Elektronik in der näheren Umgebung. Von nun an würden sie zu Fuß weitergehen müssen. Als Natasha auf Russisch zu fluchen begann, schnallte Peter sich gut gelaunt ab und schlüpfte aus dem Wagen. „Danke für die Hilfe, Charles!“, sagte er, eher er sich umsah. Soweit er es beurteilen konnte, waren sie momentan allein, doch das konnte nur eine Frage der Zeit sein. Der Impuls war stark gewesen. Irgendjemand – oder irgendetwas – musste sie bemerkt haben und es würde sicherlich nicht lange dauern, bis sie wieder umzingelt waren. „Gehen wir!“, rief Natasha, die ihre Waffe nachlud und sie dann Charles zuwarf. „Ich will nicht mehr hier draußen sein, wenn es Nacht wird.“ „Warum nicht?“, fragte Peter mit einem flauen Gefühl im Magen. „Ganz einfach“, sagte sie und begann, vorauszugehen. „Nachts kommen die Monster raus.“ Die Monster? Peter warf einen letzten Blick zurück auf New York. Dabei fiel ihm ein heruntergekommenes Gebäude auf. Neugier brachte ihn dazu, näher heranzutreten. Es war eines dieser Holzhäuser, die bei dem erstbesten Tornado davon geweht werden würde. Einige Bretter waren bereits verrottet, doch im allgemeinen waren sie in einem guten Zustand. Wären da nicht die Spuren gewesen. Tiefe, eindeutige Kratzspuren, wie von einem Löwen. Nur dass nicht einmal ein Löwe so große Pranken haben konnte. Schluckend wandte er sich ab und eilte den Anderen hinterher. Er hatte das Gefühl, dass er nicht wissen wollte, was für Monster Natasha meinte. Trotzdem ahnte bereits ein Teil in ihm, dass das nur noch eine Frage der Zeit war. ******************** Fünf Monate. Er war nun bereits seit fünf Monaten in dieser zerstören Welt, die Charles so unbedingt retten wollte und es gab immer noch kein Anzeichen darauf, dass sie sie allzu bald wieder verlassen würden. Er war mitgekommen, weil dieser naive, selbstlose, selbstzerstörerische Telepath ansonsten allein gegangen wäre und das hatte er nicht zulassen können. Warum konnte er sich auch nicht einmal heraushalten? Warum konnte er nicht einsehen, dass er nicht dazu verpflichtet war, jeden verdammten Menschen zu retten? Warum hatte er sich nicht auf ihre Welt, ihre Zeit beschränken können? Ganz einfach, weil er Charles Francis Xavier war. Deshalb gab es nur eine einzige Möglichkeit, ihn vor seiner eigenen Dummheit zu retten: Er musste diesen Konflikt beenden, bevor er noch mehr außer Kontrolle geraten konnte und er musste dafür sorgen, dass Charles in diesem Moment so weit wie möglich von ihm entfernt war. Erik Lehnsherr stand im Konferenzzelt seines Lagers und starrte die Karte an, die den Grundriss des nächstgelegenen Chitaurihauptquartiers zeigte. Von draußen drangen die Stimmen der Anderen herein, Mutanten und Menschen, die allesamt bereit waren, bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Ihr wichtigstes Attribut war allerdings, dass keiner von ihnen S.H.I.E.L.D. über den Weg traute. Charles mochte sich mit ihnen verbündet haben, er selbst beschränkte sich darauf, so selten wie möglich mit ihnen zu kommunizieren. Ihm war selbst nicht ganz klar, was ihn eigentlich an diesen Leuten störte. Dass sie eine geheime Organisation zur Staatssicherheit waren, die momentan ganz zufällig die Einzigen waren, die sich den Chitauri in den Weg stellen konnten? Dass sie den Krieg, der vor knapp 30 Jahren beinahe alles auf dieser Welt ausgelöscht hatte, unbeschadet überstanden hatten, obwohl sie die Ersten hätten sein müssen, die von Thanos' Armee zermalmt würden? Oder war es einfach sein Instinkt, der ihn warnte? //Erik!// Charles. Natürlich. Inzwischen musste er erfahren haben, dass Erik vorhatte, in Thanos' Festung einzudringen. Er hatte sich bereits gefragt, wann die Moralpredigt kommen würde. //Erik... das ist Wahnsinn//, fuhr sein Freund fort, als er ihm nicht antwortete. //Es gibt andere Mittel und Wege, Thanos' Pläne zu offenbaren. Lass uns darüber reden... lass mich wenigstens mit dir gehen...// //Ich bin nicht alleine//, entgegnete er und übermittelte ihm die Bilder seiner Begleiter. Charles' offensichtliche Sorge ihm gegenüber ignorierte er. Er durfte sich nicht von Sentimentalitäten beeinflussen lassen. Deshalb hatte er auch bei seinen nächsten Worten kein schlechtes Gewissen, selbst wenn er wusste, dass er ihn damit verletzen würde: //Ich brauche dich nicht!// Er versuchte, soviel Überzeugung wie möglich hinter diese Worte zu legen, konnte aber nicht verhindern, dass etwas von seiner eigenen Sorge durchsickerte, die er einzig und allein für den Oxfordabgänger reserviert zu haben schien. //Also. Halt. Dich. Da. Raus!// //Das kann nicht dein Ernst sein!// Charles schien ihn immer noch von seinem Plan abbringen zu wollen. Dabei sollte er ihn eigentlich besser kennen. //Es ist noch immer viel zu riskant, Erik...// Ohne zu zögern, griff Erik nach dem Helm, diesen schrecklichen Helm, der dem Magneto und dem Professor X dieser Welt nichts als Unglück gebracht hatte und führte ihn zu seinem Kopf. //ERI...// Charles' Stimme erstarb, kaum dass das Metall seinen Kopf berührt hatte und schon war er wieder alleine in seinem Geist. „Charles bringt dich um, wenn du nur noch einen Schritt weiter Richtung Thanos machst...“, sagte Logan, der gerade das Zelt betreten hatte. Erik fragte sich zum wiederholten Male, weshalb er sich mit diesem vermaledeiten Mutanten abgab. Vielleicht lag es daran, dass sie ähnliche Charaktere besaßen – wobei das bei ihrem Fall nicht unbedingt ein Vorteil war – oder dass der Mann ein guter Kämpfer war. Oder es lag an dem Adamantium, das in seinen Gliedmaßen steckte. Erik liebte dieses Metall. Es war stark, unzerstörbar und vollkommen einzigartig. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb fiel es ihm um einiges einfacher, es zu manipulieren, als so manche anderen Metalle. Nur Eisen gehorchte ihm mehr, doch das konnte daran liegen, dass er damit gelernt hatte, seine Mutation zu kontrollieren. //Bewege diese Münze, Erik.// Er vertrieb diese Erinnerung schnell wieder. Sebastian Shaw hatte hier nichts zu suchen. Das war Vergangenheit. Jetzt zählte die Zukunft. „Wir haben sehr viel zu erledigen, Wolverine“, benutzte er dessen selbstgewählten Spitznamen. „Aber es wäre unklug, dort planlos hinein zu wandern. Davon abgesehen, dass Charles mich wahrscheinlich wirklich umbringen wird, wenn ich darin umkommen würde, besitzen die anderen keine Selbstheilungskräfte. Und ich weiß nicht, wie es dir geht“, fügte er hinzu und stoppte kurzerhand Logans Hand mitten in ihrer Bewegung, als dieser nach der Karte hatte greifen wollen. „aber ich möchte es eigentlich vermeiden, dass wir unnötige Tode verschmerzen müssen. Wir sind ohnehin viel zu wenige.“ „Was in Dreiteufelsnamen bildest du Bengel dir eigentlich ein?!“, fluchte Logan zwischen fest zusammengebissenen Zähnen. „Schon gut, Boss“, knurrte er. „Wir richten uns nach deiner Metallbirne. Und jetzt mach mich los!“ Erik spielte kurz mit dem Gedanken, ihn dazu zu zwingen, bitte zu sagen, doch da das wahrscheinlich seine Toleranzgrenze gesprengt hätte, gab er ihm nach und löste seinen Griff um den Metall. „Wir brechen in einer Stunde auf“, sagte er. „Und sobald es dunkel ist, werden über diesen Weg hineingehen.“ „Wie Euer Gnaden befehlen“, erwiderte Logan mürrisch. Erik ignorierte ihn. Stattdessen fuhr er mit seiner Hand über die Karte. „Es geht nur darum, herauszufinden, was Thanos baut. Wir sind nicht dort, um Chaos zu stiften. Tatsächlich wäre es das Beste, wenn er nie herausfindet, dass wir dort gewesen sind.“ In letzter Zeit verhielt Thanos sich relativ ruhig und ließ zumindest die wenigen Siedlungen in Frieden, die noch von Menschen und Mutanten bewohnt wurden. Wenn er aber nun herausfand, dass einige dieser Menschen in sein innerstes Heiligtum eingebrochen waren, würde er höchstwahrscheinlich zurückschlagen. Deshalb mussten sie äußerst vorsichtig sein. Erik würde nicht die Auslöschung ihrer Spezies riskieren, nur um Genugtuung zu ernten. Ginge es nur um sein eigenes Leben, wäre es natürlich etwas völlig anderes. Aber dummerweise hingen noch andere an seiner Entscheidung dran. Das mochte ein weiterer Grund dafür sein, warum er Logans Nähe schätzte. Der Mann würde zumindest nicht sterben, wenn einer seiner Pläne schief ging. Abwesend rieb er sich die Stirn. Wann war er eigentlich so mitfühlend geworden? Das war doch nicht zum Aushalten. „Wenn es sein muss“, kommentierte Logan seine Beharrlichkeit, unentdeckt zu bleiben. „Aber ein bisschen... Bewegung hätte dir sicher auch ganz gut getan.“ Erik beobachtete, wie er kurz die Karte studierte. „Ich glaube nicht daran, dass wir ganz ohne Aufsehen zu erregen reinkommen“, bemerkte er. Erik glaubte auch nicht daran, doch Charles hatte Recht gehabt, als er ihn auf die Gefahr hingewiesen hatte. Sollten sie entdeckt werden und von Thanos' Truppen umzingelt werden, könnte es schwierig werden, da wieder herauszukommen. „Was soll's“, meinte Logan, während er sich streckte. „Wenn Thanos dich nicht umbringt, wird es Charles ganz sicher tun.“ „Wenn du Charles so sehr vermisst, dass du ihn in jedem zweiten Satz erwähnen musst, kannst du gerne zu ihm zurückkehren“, entgegnete er kühl. „Ich werde dich ganz bestimmt nicht aufhalten.“ „Habe ich doch tatsächlich einen wunden Punkt getroffen?!“, bemerkte Logan schmunzelnd, ehe er wieder sachlich wurde. „Wenn du wirklich unbemerkt bleiben willst, lass deinen unerfahrenen Kindergarten hier und geh mit mir allein da rein.“ Erik ließ sich den Gedanken durch den Kopf gehen. „Du meinst, damit du dich da drin aus dem Staub machen und deinen eigenen Weg gehen kannst?“ Jeder wusste, dass Wolverine ein selbsterkorener Einzelgänger war. Es wunderte ihn ohnehin, dass er bereits solange bei ihnen geblieben war. „Ganz ruhig, Junge“, meinte Logan mit offenkundiger Belustigung. „Ich lauf dir schon nicht weg, solange du nicht auf irgendwelche zwielichtigen Hintergedanken kommst.“ Für mehrere Augenblicke starrten sie sich einfach nur an, in denen Erik abzuwegen versuchte, ob er ihm trauen konnte. Schließlich nickte er. „Du hast Recht, wir sollten alleine gehen.“ Weniger riskant und um einiges unauffälliger war es um allemal. „Aber solltest du auch nur auf die Idee kommen, mir in den Rücken zu fallen, werde ich dir dein Adamantium aus deinem Körper reißen und dich damit in einer hübschen, verlassenen Gegend aufspießen“, fügte er mit einem Grinsen hinzu, das definitiv zu viele Zähne zeigte. Logan erwiderte es. „Nur du und ich und eine besonders hässliche Erscheinung der dritten Art“, fasste er zusammen. „Fantastisch. Das Wochenende scheint mir gerettet zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)