Kammerflimmern von KankuroPuppet (LawxKid AcexMarco) ================================================================================ Kapitel 1: Das letzte Foto (1/2) -------------------------------- My Bittersweet Melody of Life Prolog. Das letzte Foto (1/2). Als Thatch damals die Einwegkamera hervorholte, nur um einen Schnapsschuss für die Erinnerungskiste zu machen, hätte niemand ahnen können, dass dies der letzte Moment sein würde, in dem sie alle so unbeschwert zusammen sein sollten. Es war das letzte Foto, auf dem ihre Welten noch heil waren; Bestand hatten. Es war das letzte Foto, bevor alles zerstört wurde. Das letzte Foto, vor der Sache mit Kid. Das letzte Foto, bevor er all die Dinge über Law erfuhr. Das letzte Foto, bevor er das Leben seines Marcos zerstören sollte… Es war die letzte Momentaufnahme, ein kurzer Augenblick angehaltener Zeit. Eine Zeit, in der sie noch träumen konnten. Ein kleines Stückchen Glück. Das letzte Foto, bevor alles in die Brüche ging… ~*~ Das war ja mal wieder typisch! Egal, was die Stimme am anderen Ende der Leitung sagen würde, egal, welche Erklärung sich anschließen würde – nichts, aber auch gar nichts, konnte das wieder gut machen. Noch war es nicht ausgesprochen, aber es würde passieren. Gleich. Jetzt. „…und deshalb muss ich…“ „…und deshalb muss ich heute länger im Büro bleiben“, beendete Ace den Satz seines Freundes, bevor er frustriert gegen den Display seines Handys seufzte und die linke Hand tiefer in seine Hosentasche drückte. Obwohl er mit der Nachricht rechnete, seit sein Handy vor fünf Minuten unerwartet geklingelt hatte, traf ihn die Enttäuschung wie ein Schlag ins Gesicht. „Es tut mir Leid, Ace. Du weißt, wenn es nicht absolut notwendig wäre, dann…“ „…dann würde ich sofort nach Hause kommen“, wieder beendete er den Satz, nun gefolgt von einem Seufzen von der anderen Seite der Leitung. Der junge Mann mit den pechschwarzen Haaren hopste die letzten Schritte über den ausladenden Hof des Hauses seines Freundes und hatte alsbald die Haustür erreicht, wo er begann nach dem Schlüsselbund zu suchen, das sich in einer der zahlreichen Taschen seiner Shorts befinden musste. „Was sind das da eigentlich für Geräusche im Hintergrund?“, fragte er währenddessen und lauschte auf das Rauschen hinter der Stimme seines Freundes, das klang, als würden sich zahlreiche Menschen unterhalten. „Nur ein Meeting“, kam prompt die Antwort, gefolgt von weiteren Anweisungen. Wie immer. „Leg dich einfach noch an den Strand. In ein paar Stunden bin ich hier durch und dann komme ich direkt zu dir. Versprochen.“ „Wir waren für heute verabredet“, murrte Ace. „Das holen wir nach.“ „Einen Jahrestag kannst du nicht einfach so nachholen!“ Ergriffen von einer frustrierten Müdigkeit, steckte er den Schlüssel ins Schloss der Haustür. Auf den Tag genau waren er und Marco nun ein Jahr offiziell zusammen. Nachdem Ace sein Chemiestudium vor zwei Monaten geschmissen hatte und als Folge dessen das Wohnheim mitsamt seinem einstigen Zimmergenossen Law verlassen musste, hatte Marco vorgeschlagen, dass er zunächst bei ihm einziehen sollte. Eine Übergangslösung. Versteht sich von selbst. Und so wurde aus dem Übergang der Dauerzustand, doch warum auch nicht, schließlich war im Strandhaus des Firmenjuniors genügend Platz. „Jetzt sei nicht zickig. Leg dich an den Strand, halt den Mund und warte, bis ich da bin.“ Ansage Ende. Marco hatte aufgelegt und Ace hörte nur noch das kurze, elektronische Signal, welches ihm mitteilte, dass jeglicher Einwand nun zwecklos war. So betrat er das Haus, warf seinen grünen Rucksack über die Couch im Wohnzimmer, das sich direkt an den Eingangsbereich anschloss. Erschöpft von einem ganzen Tag des Zeitvergeudens streckte er sich, betrachtete sein Oberteil und stellte fest, dass dieses den heißen Sommertag nicht überstanden hatte, zog es aus und warf es auf den Rucksack. Gerade wollte er sich eine erfrischende Dusche gönnen, als er von der Terrasse her Stimmen hörte. Schnell bog er um eine Ecke, erreichte die offene Küche mit der Glasfront, die direkt zum Außenbereich und darüber hinaus zum Strand führte. Zunächst war nichts zu erkennen. Also kamen die Geräusche von weiter vorne. Bestimmt die Nachbarn, stellte Ace für sich fest. Vorsichtig schob er die Tür zu Terrasse auf, schlüpfte auf seinen Flip-Flops über die hölzernen Dielen, verfolgte weiterhin das Geräusch. Und da eine Strandfeier sowohl Essen als auch kühles Bier versprach und sein Freund ihn sitzen gelassen hatte, beschloss er, der Party einen kleinen Besuch abzustatten. Lässig hüpfte er die kleine Treppe hinab, die Hände wieder in den Hosentaschen, sprang in den Sand, rutschte kurz weg, fing sich aber wieder und ließ die angenehm kühle Brise des Meeres durch seine schulterlangen Haare wehen. Seine Vermutung wurde bestätigt, als er die ersten Menschen etwa 50 Meter weiter entdeckte, dazu eine kleine Bühne, auf der Leute mit ihren Instrumenten standen. Um diesen zentralen Punkt verteilt tummelten sich um die 30 Menschen. Wenige Schritte weiter und Ace konnte auch erkennen, um wen es sich bei der Feiergemeinde handelte. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen mischte er sich unter die Leute, hopste schnell und unauffällig, aber mit wachem Auge durch die Menge, bis er sein Opfer fand, seine flache Hand zurückzog und seinem Zielobjekt kräftig gegen den Nacken schlug. „Du Idiot!“, rief er und lachte dabei über das ganze, sommersprossige Gesicht. Der Geschädigte zuckte erschrocken zusammen, war nicht vorbereitet auf die liebevolle Attacke und drehte sich daher zunächst nur fragend um, bis er den Übeltäter identifizierte und diesen mit einer festen Umarmung begrüßte. „Ich hab‘ dir das echt abgekauft, du Arsch!“, murrte Ace, erwiderte dabei aber die zärtliche Geste der Begrüßung. Der Blondschopf in seinen Armen lachte, offensichtlich glücklich, dass die kleine Täuschung funktioniert hatte, löste sich dann aber wieder und zeigte in die Runde. „Du bist früher als erwartet, also ähmm… Überraschung?“, witzelte sein Freund, als just in diesem Moment dessen bester Kumpel und Firmenkollege, Thatch, einen Arm um seine Schultern legte. „Die Hauptattraktion hat uns also gefunden?“, sprach er und warf einen fragenden Blick auf den halbnackten Ace, ließ diesen Fakt allerdings unkommentiert. Im Nachhinein hätte er sein Oberteil bei sich behalten sollen, durfte das Überraschungskind feststellen, bevor sich ein weiteres Mitglied zu der Gruppe gesellte. „Ist zwar ein komischer Anlass für eine Überraschungsparty, aber hey… Das Haus hier ist die Stunde Anreise mit dem Bus echt wert“, erklärte Law. Und tatsächlich, die Universität lag nicht nur um einiges entfernt, auch die Wohnungen, wenn nicht sogar das gesamte Leben mitsamt seinen Menschen schien wenig mit dem gemein zu haben, was man hier oben fand. So war es nicht verwunderlich, dass Law als Student zunächst beeindruckt von Ace‘ neuen Lebensumständen war, besonders, wenn man an die dunkle Zelle dachte, die sich die beiden einst teilen mussten. „So Leid es mir tut, ich muss dir deinen Hübschen noch einmal entreißen“, warf Thatch ein, als Ace‘ seinen langjährigen Kumpel gerade begrüßen wollte. Marco kommentierte dies nur mit einem Schulterzucken und schon waren die zwei verschwunden. Zeit, um sich Law zu widmen. Der Medizinstudent trug wie immer ein schwarzes T-Shirt mit diesen seltsamen smiley-artigen Zeichen, die er so sehr mochte. Seine dunklen Haare, die im Winter immer unter einer seiner zahlreichen Mützen versteckt waren, standen nun dicht und widerspenstig in alle Richtungen ab, während seine Mimik nicht viel über seine derzeitige Gefühlslage vermuten ließ. Ace durfte vergnügt feststellen, dass er sich in den letzten zwei Monaten kein Stück verändert hatte. „Schön, dich zu sehen, aber… Was machst du hier? Was machen die alle hier?“, fragte er seinen ehemaligen Mitbewohner. Dieser antwortete, indem er mit einem Blick auf Ace‘ blonden Freund deutete, der inzwischen mit Thatch die Bühne erreicht hatte. Marcos Blick ließ auch auf Entfernung erahnen, dass er von der plötzlichen Aufmerksamkeit, die seiner Person gewidmet wurde, nicht sonderlich begeistert war, so verschränkte er verharrend die Arme vor der Brust, als wolle er eine Mauer errichten. Eine Mauer, gegen Thatch‘ Übermut und Tatendrang, wenn es darum ging, die Menge zu unterhalten. „Er hat mich angerufen“, erklärte Law. Kurz und Prägnant. Alles wie immer. „Ähehemmm…“, röhrte mit einem Mal und das auch noch viel zu laut Thatch‘ helle Stimme durch die Lautsprecher, ließ dabei jeden einzelnen kurz zusammenfahren. Einer der Bandmitglieder nahm die Situation ohne zu zögern in die Hand und drehte am Regler, bis die Lautstärke angepasst war. Wieder setzte Thatch an. „Ich…“, begann er und bekam große Augen, als Marco ihm das Mikrophon eiskalt und kommentarlos aus dem Fingern zog. Die Leute lachten, Thatch protestierte. Leise, denn das Mikrophon hatte nun ein anderer. Und dieser jemand stellte sich nun etwas schlaksig an den Rand der Bühne, versteckte eine Hand in der Hosentasche und hielt mit der anderen das Mikrophon an seinen Mund. „Ich…“, nahm er das erste Wort seines Vorredners auf und grinste dabei frech, „…bin mir sicher, dass unser Thatch viele tolle Worte vorbeireitet hat über Liebe und Romantik und den ganzen Kram, aber wer will das schon hören, wenn wir mal ehrlich sind.“ Thatch verzog beleidigt den Mund, einige kicherten, auch Ace musste grinsen, selbst wenn er sich fragte, was das ganze werden sollte, denn Reden lagen seiner „zweiten Hälfte“ ganz sicher nicht, soviel stand fest. „Also Ace…“, wandte sich der Sprecher dann mit einem Mal an ihn persönlich und während sich die Menschenmenge zu ihm drehte, schaute er verdattert auf die Bühne, wo er den wohlvertrauten, blauen Augen begegnete. „Ich weiß, eigentlich geht man zusammen essen, verschenkt Rosen und so’n Kitsch… Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass wir das irgendwie nicht sind.“ Während er sprach wanderte sein Blick immer wieder nachdenklich zu seinen Füßen, dann wieder hoch, sodass er Ace ansah. „Und na ja… Dann habe ich eben ein paar Leute eingeladen, die sich jetzt für uns freuen und neidisch auf uns sein dürfen.“ Ace beobachtete, wie sich Marco kurz umsah, um dann in seine Hosentasche zu greifen. Unterdes hatte sich auf Ace‘ Gesicht schon ein kleines Lächeln gestohlen, denn nie hätte er damit gerechnet, dass sich sein Partner solche Gedanken machen würde und vor allem, dass er genau wissen würde, das Ace‘ Geschmack traf. Diese Party tat es. „Also…“, sprach der Redner dann weiter und sicherte sich erneut die Aufmerksamkeit der Meute, „Ace.“ Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, da verfolgte er Angesprochene mit vor Entsetzen geweiteten Augen und ungläubig geöffneten Mund, wie sich sein Freund auf der Bühne auf ein Bein kniete, nur um daraufhin eine Schachtel aus seiner Hosentasche zu ziehen. Das Herz des Jüngeren machte einen kurzen Sprung, während ihm gleichzeitig heiß und kalt wurde. Kapitel 2: Das letzte Foto (2/2) -------------------------------- My Bittersweet Melody of Life Prolog. Das letzte Foto (2/2). ...„Also…“, sprach der Redner dann weiter und sicherte sich erneut die Aufmerksamkeit der Meute, „Ace.“ Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, da verfolgte er Angesprochene mit vor Entsetzen geweiteten Augen und ungläubig geöffneten Mund, wie sich sein Freund auf der Bühne auf ein Bein kniete, nur um daraufhin eine Schachtel aus seiner Hosentasche zu ziehen. Das Herz des Jüngeren machte einen kurzen Sprung, während ihm gleichzeitig heiß und kalt wurde… Noch vor fünf Minuten war er auf ihn sauer gewesen. Sauer auf seinen Freund, der allen Ernstes die Frechheit besaß, ihn an ihrem Jahrestag zu versetzen, um die Zeit stattdessen mit einem Haufen Akten und langweiligen Anzugträgern zu vergeuden. Gut, er hatte ihm Unrecht getan, so viel stand fest. Dennoch… Bei allem was er seinem Freund zutraute… Überstürzte Liebesbeweise zählten nicht dazu! Sein Herz wollte nicht weiterschlagen und seine Lungen schienen vergessen zu haben, welche Aufgabe ihnen eigentlich angedacht war. Augenblicklich spürte Ace den kalten Schweiß auf seiner brennenden Haut, ohne dabei verhindern zu können, wie ihm seine Gesichtszüge entgleisten. Die Erlösung brachte erst ein lachender Marco, der belustigt in Ace‘ schockiertes Gesicht sah. Schnell hatte er sich wieder erhoben, zeigte dabei deutlich den Gegenstand in seiner Hand, bei dem es sich lediglich um eine halb verknüllte Packung Zigaretten handelte. „Ich wollte nur dein Gesicht sehen, sorry…“, erklärte er der Menge seine kleine Showeinlage, zwinkerte Ace‘ dabei frech zu und konnte ein leises amüsiertes Glucksen nicht unterdrücken. Thatch, der immer noch auf der Bühne stand, war hingegen merklich enttäuscht, hätte er sich doch sehr über eine so romantische Geste seines Kollegen gefreut. „Idiot!“, hallte Ace‘ wütende Stimme über die Menge kombiniert mit einer wütend gehobenen Faust und wurde mit Gelächter begleitet. Das Opfer des Theaterstücks war sich aber alles andere als sicher, ob er darüber lachen konnte, denn für einen Augenblick hatte er tatsächlich um den Zustand seines Herzkreislaufsystems bangen müssen. Marco bedachte ihn mit einem liebevollen Blick, bevor er sich eine Bierflasche aus den Händen eines Musikers schnappte. „Schön, dass du es trotzdem ein Jahr mit mir ausgehalten hast“, sprach er, hob die Flasche, woraufhin die Meute die Geste erfreut nachahmte. Ace erkannte sofort das schwere, aufgeregte Atmen seines Freundes, welches den anderen Gästen wohl kaum auffallen würde – wobei Thatch vielleicht eine Ausnahme war – und ahnte daher, dass diese Rede ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hatte. Er zweifelte nicht an der Glaubwürdigkeit der gleich folgenden Worte, doch wusste er, dass es dem Firmenerben bisweilen schwer fiel, sie zu artikulieren. Doch heute wollte er es anscheinend tun. In der Öffentlichkeit. Für Ace. „Ich liebe dich.“ Kaum hatte Marco es ausgesprochen, trank er schnell einen Schluck, die Gäste taten es ihm gleich, bevor sie anfingen den kurzen Blick zu bejubeln, den sich die beiden Männer nun über die Menge hinweg zuwarfen. Dann wurde es still bis auf das Rauschen des Meeres. Offensichtlich erwarteten sie nun die Gegenantwort von Ace. Ich liebe dich – Ich liebe dich auch. Zwei Sätze, die es nur im Doppelpack zu geben schien. Ying und Yang, Ketchup und Majo, Bonnie und Clyde. Wer das eine sagt, muss auch das andere sagen, so wollte es die Gesellschaft, alles andere würde nur eine unangenehme Atmosphäre hervorrufen – und wer wollte die schon? Etwas unter Druck gesetzt, öffnete Ace also den Mund, holte Luft, machte sich bereit und… Und. Und wurde unterbrochen… Eine giftige Lache kämpfte sich von weit hinten bis nach vorne. Verwundert wandte sich jedes einzelne Augenpaar in diese Richtung, suchten den Störenfried der Romantik. Auslöser der Unruhe war ein Rotschopf, der sich auf einen der Tische gestellt hatte, die eigentlich für Kühltaschen und Getränke reserviert waren. Nun stand er da, mit seiner leuchtend hellen Frisur und freute sich augenscheinlich über jegliche Form der Aufmerksamkeit. Ace verdrehte genervt die Augen. „Du hast ihn mitgebracht?!“, zischte er wütend in Richtung Law, der ertappt den Mund verzog. Bei dem Jungen auf dem Tisch handelte es sich – Verwechslung ausgeschlossen – um Kid, einen exzentrischen, seltsamen Kerl, den Law während seines Studiums kennengerlernt hatte. Ein Physikstudent mit einer unerklärlichen Obsession für alles magnetische, der oft - wenn man Ace fragte viel zu oft - in ihrem Zimmer rumgehangen hatte. Bis heute konnte er nicht verstehen, was Law mit diesem chronischen Unruhestifter verband. „Auf unser Studienabbrecher-Aschenputtel und den reichen Prinzen mit dem Strandhaus. Cheers!“ Er lachte, trank den letzten Rest aus seiner Flasche und warf sie gedankenlos hinter sich in den Sand. Die Meute wirkte verunsichert. Auf der Suche nach dem richtigen Verhalten, bahnten sich ihre Blicke den Weg zurück zur Bühne, wo sie verhalten auf Marco starrten. Als dieser aber ungläubig den Kopf schüttelte, bevor er grinsend die Flasche erneut hob, machten es ihm die Gäste gleich. „Cheers!“, erwiderte der Firmenjunior mit einem Lachen, leerte ebenfalls die Flasche, gab diese dem Musiker zurück und sprang, gefolgt von Thatch, von der Bühne. Als sich die zwei den Weg zu Law und Ace gebahnt hatten, wurden sie direkt von Thatch‘ strafenden Blick begrüßt. „Kannst du deinen ‚Freund‘ nicht etwas unter Kontrolle halten?“, murrte er. Law zuckte unbeteiligt mit den Schultern, machte dabei aber deutlich: „Er ist nicht mein ‚Freund‘.“ Marco schmunzelte nur und legte einen Arm um den etwas kleineren Ace. „Ist schon ok. Schließlich hat er eben den Kleinen hier zur Prinzessin gemacht.“ Empört stieß Ace seinem Freund mit dem Ellenbogen in die Seite, woraufhin Marco scharf Luft holte. Kaum hatte man ihn erwähnt, tauchte er Rotschopf auch schon aus der Menge auf, in einer Hand ein neues Bier, in der anderen eine Zigarette, an der er genüsslich zog und den Rauch in die Runde blies. „Nicht schlecht“, stellte er dann mit belegter Stimme fest, räusperte sich und deutete auf das Haus und den Strand. „Dein Schätzchen hat nicht zufällig einen reichen Kumpel, der auch auf kleine Jungs steht?“, witzelte er und lachte dabei über seinen eigenen Witz. Auch Law musste unter vielsagendem Blick lächeln, während Marco eine Geste in Richtung Thatch machte. Kaum war dies getan, schmiss sich der um mindestens zehn Jahre jüngere Kid an die Seite des brünetten Firmenpartners, hob und senkte dabei mehrmals hintereinander in einer spielerisch aufreizenden Geste seine Augenbrauen. Die Runde lachte, mit Ausnahme von Thatch, der Marco eiskalt anfunkelte. Wenn Blicke töten könnten… „Lass gut sein, Kid. Wir können ja nicht alle wie Ace direkt unseren Big Spender finden“, griff Law die Witzelei auf, schnappte sich die Zigarette aus der Hand des Rotschopfs mit dem auffällig engen, rot-weiß gestreiften T-Shirt und nahm selbst einen Zug. Kid lachte frech. „Langsam reicht‘s…“, murrte Ace schließlich, hatte er diese Art von Spaß über sich ergehen lassen müssen, seit er seinen Freund vor einem Jahr kennenlernte. Ja, Marco war zehn Jahre älter als er selbst, ja, er würde irgendwann Erbe der Firma seines Vaters sein, ja, er hatte Geld, ja… Aber darum ging es doch letztendlich nicht. Oder? „Du bist ziemlich frech für jemanden, der nicht mal sein Studium fertig hat“, konterte Marco und bedachte Law mit einem prüfenden Blick. Dieses Mal lachte Thatch frech: „Schau ihn dir lieber genau an, Marco. Das ist das hübsche Gesicht des Arztes, der dir in ein paar Jahren Ace ausspannen wird, wenn du endgültig alt geworden bist.“ Kids Lache auf die Stichelei war am lautesten, worauf Thatch den Finger hob, als wäre ihm etwas lang Vergessenes wieder eingefallen und verschwand. „Ich bin nicht alt, ich bin interessant“, erklärte Marco, ging kurz an einen anderen Tisch, um für die Runde Bier zu holen und verteilte dies. Und tatsächlich, wenn sich Ace so einen Freund besah, in seinen knielangen Shorts, den Flip-Flops und dem offenen Hemd, dann sah er wirklich noch nicht nach seinen 32 Jahren aus. Dennoch wollte Marco Thatch‘ kleine Drohung wohl nicht so stehen lassen, so dass er ein kurzes: „Finger weg“, murmelte, als er Law die kühle Flasche überreichte. Sie hatten gerade angestoßen und zum ersten Schluck der kühlen Erfrischung angesetzt, als Thatch zurückkehrte; in der Hand ein kleines Gerät. „Was hast du vor?“, fragte Marco verwundert und kniff dabei die Augen zusammen, um erahnen zu können, was sein Firmenkollege im Schilde führte. Thatch brauchte daraus jedoch kein Geheimnis zu machen und so hielt er vielsagend eine bunte Einwegkamera in den Händen, wobei er stolz grinste. „Aus welchem Jahrhundert hast du die den geklaut?“, murrte Kid ungläubig, hatte dabei sein Bier schon zur Hälfte geleert und zauberte aus Thatch‘ glücklichen einen beleidigten Ausdruck. „Ich hab auf dem Weg hierhin noch tanken müssen und da lagen die neben der Kasse. Ich dachte, wenn ich sie mitnehme, machen wir wenigstens Fotos. Das mit den Handys hat‘ die letzten Male schließlich – aus welchen Gründen auch immer - nicht geklappt“, erklärte der Mann mit der auffälligen Frisur und warf bei den letzten Worten einen strafenden Blick auf Marco, der lediglich entschuldigend mit den Schultern zuckte. „Also!“, fügte Thatch hinzu und deutete durch eine Geste, dass die Gruppe enger aneinanderrücken sollte. Marco seufzte laut auf, verdrehte theatralisch die Augen, legte aber dennoch einen Arm um Ace, der nur Grinsen konnte. Er hatte im letzten Jahr immer wieder feststellen dürfen, dass die beiden Firmenkollegen in vielerlei Hinsicht Gegensätze darstellten, doch schien es eben diese Mischung zu sein, die ihre Freundschaft schon über viele Jahre nährte. Noch machte sich Marco zwar über Thatch‘ Begeisterung für Fotos lustig, doch wenn das Bild irgendwann eingerahmt an der Wand hing, dann würde auch er sich darüber freuen. Gerade war das bevorstehende Foto angekündigt, hatte sich Law mit vorsichtigen Schritten bereits rückwärts aus dem Bild gestohlen, wurde aber umgehend von Kid eingefangen und zurückgeholt. „Nichts da!“, protestierte der Rotschopf grinsend. „Dieses Bild sollte wenigstens zwei fotogene Menschen enthalten.“ Wen er mit der zweiten Person meinte, machte er deutlich, indem er sich mit einem Arm über Laws, mit dem anderen über Marcos Schulter schmiss und sich so zur zentralen Figur des Arrangements machte. Thatch öffnete seinen Mund für einen Kommentar, behielt ihn dann aber doch für sich, drehte am Rädchen der Kamera und hielt sich diese vors Auge. Kaum hatte er das Bild erfasst, unterbrach er den Vorgang mit einem lauten: „Marco!“ Der Angesprochene brauchte nicht mehr zu hören, wusste er doch direkt, was sein Kollege an ihm auszusetzen hatte und bewerkstelligte daher ein leichtes Grinsen auf seinen Lippen. Von der nur allzu vertrauten Szene amüsiert, konnte Ace nicht anders und ergab sich einem lauten Lachen, genau in dem Moment, als die Kamera klickte. „Na klasse, Ace. Du hast es versaut!“, meckerte Kid lachend, ließ Marcos Schulter los und schubste dessen Freund strafend nach vorne. Ace taumelte und wäre fast gegen Thatch gelaufen, der jedoch rechtzeitig ausweichen konnte. Gerade als er sich wieder gefangen hatte, hörte man aus dem Hintergrund, dass sich die Musiker dazu entschieden hatten, mit ihrer kleinen Show zu beginnen. Die meisten von ihnen waren Freunde aus der Firma, die Ace schon das ein oder andere Mal getroffen hatte. „Wir machen es einfach noch mal…“, murmelte Thatch vor sich hin und drehte abermals das Rad der Kamera. Doch wie es so häufig das Schicksal der Fotographen war, kam es zu keinem zweiten Versuch, da sich das Quartett umgehend aufgeteilt hatte, kaum das Foto Nummer 1 geschossen war. Während Law auf Ace zuging, der dort stehengeblieben war, wohin ihn Kids Schubs hatte taumeln lassen, Marco von einem seiner Mitarbeiter in Beschlag genommen wurde und Kid wohin auch immer verschwunden war, gab sich Thatch geschlagen, legte die Kamera auf einen der Stehtische und mischte sich selbst unters Volk. Ace durfte feststellen, dass zwei Monate eine lang Zeit waren, wenn man zuvor zusammen gewohnt und sein Leben quasi geteilt hatte. So verging die Zeit wie im Flug, während er mit Law am Rand der Feier stand, das ein oder andere Bier trank und dabei unter anderem erfuhr, dass sein ehemaliger Mitbewohner nur einen Monat nach ihm das Wohnheim verlassen und sich eine eigene Wohnung genommen hatte. Die „eigene“ Wohnung war in diesem Fall jedoch mehr eine WG, erkannte Ace mit einem Grinsen, als Law beinahe in seinem Flüsterton und mit angestrengter Beiläufigkeit einen Untermieter erwähnte. „Du bist mit Kid zusammengezogen?“, stellte Ace nach kurzer Analyse von Laws Verhalten fest. Dieser zuckte ertappt, bemühte sich dann aber, seine gemeinhin ausdrucklose Mimik beizubehalten und hob lediglich die Schultern. „Er bezahlt Miete“, erklärte der Medizinstudent trocken und entlockte seinem Gesprächspartner dadurch ein lautes Lachen. „Vor mir brauchst du dich bestimmt nicht zu rechtfertigen.“ Als sich Ace danach umdrehte, um ihre leeren Bierflaschen durch volle zu ersetzen, stellte er mit Erstaunen fest, dass es bereits dämmerte. Über dem Meer versank die Sonne in den wärmsten Farben und entzündete dabei die ruhigen Wogen des Wassers zu einem tänzelnden Feuerspiel. „Und zwei für euch!“ Thatch hatte sich unbemerkt von hinten an Ace und Law herangeschlichen, fischte dabei Marco aus einem Gespräch heraus und zog diesen mit sich, bevor er an jeden einen Kurzen verteilte. „Du kannst mich nicht jede Runde mittrinken lassen“, beschwerte sich sein Firmenkollege, nahm sein Glas aber ohne weiteren Protest entgegen. Thatch ignorierte die Klage, hob unter breitem Grinsen die Hand und erklärte mit einem frechen Zwinkern: „Auf unsere Turteltauben!“ Law lachte kurz, bevor er sein Glas leerte, Marco verdrehte die Augen, Ace schüttelte den Kopf. Der Schnaps sorgte ohnehin dafür, dass alle Vier den Mund verzogen. „Nur so nebenbei…“, flüsterte Thatch mit unerwartetem Ernst, nachdem sie ihre Gläser auf einem nahestehenden Tisch abgestellt hatten und legte einen Arm um Laws Schulter, der daraufhin verwundert aufblickte. „Du passt auf, dass dein kleiner Freund keinen Mist baut, oder?“ Der Frage folgte ein höfliches Lächeln. Law zog zunächst nachdenklich die Augenbrauen zusammen, musterte Thatch eine Weile, bevor er sich ohne Antwort von diesem löste und einen Blick über die Menge warf. Tatsächlich hatten sie Kid seit dem Foto nicht mehr gesehen. „Pass lieber auf, dass du keinen Mist baust“, wandte sich Marco an Thatch und haute diesem leicht an den Hinterkopf, offensichtlich wenig erfreut über dessen anhaltendes Misstrauen gegenüber dem exzentrischen Rotschopf. Ace vergrub eine Hand in der Hosentasche, während er sich auf seine Zehenspitzen stellte und suchte: „Wo ist er denn hin?“ Law schien dieselbe Frage zu beschäftigen, da auch er weiterhin die Menge musterte. Marco beendete das Spiel, indem er schweigend mit einem neuen Bier in der Hand auf die Bühne deutete, auf der neben den altbekannten Musikern nun auch ein etwas jüngerer Kerl rumhopste, der durch seine leuchtenden, wild abstehenden Haare kaum zu übersehen war. Mit einer schieren Glückseligkeit hatte sich dieser eine der Gitarren umgeschnallt und tänzelte neben dem Sänger von einem Bein aufs andere. „Hatte er nicht eben noch ein T-Shirt an?“, drängte sich die Frage aus Ace‘ Gedanke, während er das lustige Schauspiel verfolgte. Dachte er genau zurück, dann konnte er sich sogar an einige Abende erinnern, an denen sie zu dritt nach einer Party auf ihrem Zimmer im Wohnheim gesessen hatten, während Kid müde Gitarre spielte und sie betrunken irgendwelche Ideen austauschten, an die sich am nächsten Tag keiner mehr erinnern würde. Es waren schöne Nächte gewesen. „Hatte er…“, beantwortete Law Ace‘ Frage, wirkte aber wenig überrascht. Offensichtlich hatte er schon ganz andere Eskapaden mit seinem neuen Untermieter durchgemacht und wirkte eher erstaunt, dass dieser solange unbemerkt geblieben war. „Es ist immer wieder das Gleiche“, murrte Thatch, seufzte ausgiebig und stemmte eine Hand auf die Hüfte, während er ungläubig den Kopf schüttelte. „Hmm…“ Marco, der fasziniert die Bühne fixierte, verzog den Mund und stellte unter einem amüsierten Grinsen fest: „Ist doch irgendwie heiß…“ Law konnte mit dieser Bemerkung offensichtlich wenig anfangen, schaute zunächst erschrocken auf Marco, dann zu Ace und fand seinen inneren Frieden augenscheinlich erst wieder, als dieser das Gesicht zu einem belustigten Lachen verzog. Auch Thatch grinste vielsagend. „Wie wär’s statt Jungen mal mit Männern?“, fragte er seinen jahrelangen Freund, wuselte diesem kurz durch die Haare, bevor er ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen drückte und sich zu einer anderen Gruppe gesellte. Die Zärtlichkeiten der beiden brachten Law wohl noch weiter durcheinander, so sehr, dass er seine Verwirrung durch einen Blick an Ace weiterleitete, der das Ganze aber lediglich schwungvoll abwinkte. Er kannte inzwischen Thatch‘ liebevolle Angewohnheiten Marco gegenüber und hatte bereits vor Monaten aufgehört sich daran zu stören, denn irgendwie gefiel es ihm, dass es Thatch war, der den weiblichen Part in seiner Beziehung mit Marco einnahm – so seltsam diese Triade auch anmutete. Die Sonne versank, der Abend schritt voran. Thatch verteilte weiterhin lustig Schnaps, machte die Gäste betrunken genug, so dass gegen drei Uhr morgens die meisten genug getanzt, gelacht, gefeiert und die Party verlassen hatten. Nur kurze Zeit später taumelte der Verursacher der Alkoholeskapaden an ihnen vorbei, im Arm einen noch betrunkeneren Marco, der sich schwankend an seinen Kollegen klammerte, weiterhin versucht möglichst nüchtern zu wirken. „Ich bring‘ ihn hia mal liebr ims Bät…“, nuschelte Thatch lachend, als die zwei an Ace vorbeiliefen. Doch beobachtete man, wie sie daraufhin zum Strandhaus stolperten, konnte man nicht eindeutig ausmachen, wer da wen ins Bett bringen musste. Nachdem auch die Band und die restlichen Gäste verschwunden waren, blieben nur noch Ace und Law übrig, die vor einem langsam erlöschenden Lagerfeuer saßen und den ruhigen Gitarrenklängen lauschten, die Kid, der im Schneidersitz neben ihnen ihm Sand saß, zum Besten gab. Erst als sie die ersten, zaghaften Morgenlichter unterbrachen, machten sich auch die letzten beiden Gäste auf, Law durch den Sand schlendernd, Kid vor ihm her laufend, auf den Heimweg. Ace erstickte die letzten Reste des Feuers mit Sand und taumelte dann selbst, immer noch leicht beschwipst, nach Hause. Müde erklomm er die letzten Stufen, fuhr sich gähnend durchs Gesicht, während er in der Spiegelung der Fensterscheiben beobachtete, wie das Sonnenlicht erbarmungslos das Ende der Nacht einleitete und das, obwohl er noch nicht eine Minute geschlafen hatte. Doch gerade erreichte er die Terrassentür, als er neben sich auf den Rattan-Sofa, die Beine auf dem kleinen Beistelltisch abgelegt, seinen Freund entdeckte, der seelenruhig das Land der Träume durchschritt. Mit einem Lächeln auf den Lippen lief Ace ins Haus, schnappte sich eine Decke aus dem Wohnzimmer, die er mit nach draußen nahm, um seinen schlafenden Freund darin einzuwickeln, wobei er sich gähnend neben ihn setzte und seinen Kopf an dessen Schulter lehnte. Kaum hatte er Marco berührt, hob dieser schon seinen Arm, um ihn um Ace zu legen. „Wie spät ist es?“, murmelte er leise und verschlafen, ohne aber die Augen zu öffnen. Ace grinste: „Viel zu früh. Warum bist du hier draußen?“ „Vermutlich weil Thatch in unserem Bett liegt?“ „Du riechst nach Alkohol.“ „Du riechst nach Feuer…“ Beide Stimmen waren belegt und müde, doch entlockte die frühmorgendliche Nörgelei beiden ein Schmunzeln. Etwas enger wurde der Arm um Ace‘ Schultern und etwas tiefer vergrub er sich in die Halsbeuge seines Freundes, wobei er abermals gähnte. Fast wäre er eingeschlafen, als ihm etwas Wichtiges in den Sinn kam, das ihn innerlich hochschrecken ließ, auch wenn sein Körper äußerlich für derartige Regungen zu erschöpft war. Die noch verbliebene Kraft brauchte er schließlich zum Sprechen, sodass er ein leises: „Danke. War die beste Idee“, ins Ohr seines Freundes hauchte, der daraufhin zum ersten Mal seine blauen Augen öffnete. Kurz musterte er den jungen Mann in seinem Arm, dann grinste er, lehnte sich wieder zurück, nur um erneut die Augen zu schließen. „Was hättest du geantwortet?“, fragte er schließlich, wobei seine rechte Hand begann mit Ace‘ schulterlangen Haaren zu spielen. Dieser wusste erst nicht, worauf sich die Frage bezog, ging die vergangenen Stunden durch, erreichte schließlich den Beginn der kleinen Feier und erinnerte sich an den neckischen Heiratsantrag. Keine Sekunde später zeichnete sich ein glückliches Lächeln auf sein müdes Gesicht, während er sich gegen die ihn streichelnde Hand lehnte. „Du hast nicht ernsthaft gefragt, also muss ich auch nicht antworten…“ „Hm“, hörte er ein leichtes Raunen in der Brust, auf die er seinen Kopf gelegt hatte. „Und wenn ich es ernst gemeint hätte?“, folgte schließlich eine weitere Frage, die Ace stutzen ließ. Kurz löste er sich vom warmen Körper unter ihm, setzte sich auf und zog dabei die Decke mit sich. Die plötzliche Unruhe veranlasste auch Marco dazu erneut seine Lider zu öffnen, wobei Ace nicht umhin kam, die leichte Anspannung in seinen Augen zu entdecken. Dem gegenüber stand sein eigenes, zunächst verwundertes, dann verspielt lächelndes Gesicht. „Was hättest du geantwortet?“, wiederholte Marco seine anfängliche Frage und versuchte dabei so beiläufig wie eben möglich zu klingen. Er scheiterte kläglich. „Ich hätte…“, begann Ace, sah eine schiere Ewigkeit nachdenklich in den immer heller werdenden Himmel, der die verträumte Dunkelheit mit enthüllendem Licht durchschnitt. Langsam hob er seinen Arm, formte seine Hand so, dass Zeige- und Mittelfinger ausgestreckt waren. Marco beobachtete das Geschehen mit fasziniert geöffneten Mund, versuchte aus jeder der Bewegungen eine Antwort zu deuten, sagte nichts, als die beiden Finger näher auf ihn zukamen, blieb immer noch ruhig, als diese beinahe sein Gesicht berührten, hielt den Atem an und… Frech stupste Ace gegen die Stirn seines Freundes, der überrascht zurückschreckte und daraufhin mit einem großen Fragezeichen im Blick in die Augen seines Sitznachbarn schaute. „Ich liebe dich“, sagte dieser mit ruhiger Stimme. „Das hätte ich gesagt. Nicht mehr. Nicht weniger.“ Das Fragezeichen verweilte einen Moment, doch dann wurde aus ihm liebevolles Verständnis und letztendlich Zufriedenheit. Schweigend zog er seinen Kleinen wieder an sich, wuselte diesem in zärtlicher Rache durch die dunklen Haare und gab ihm schließlich einen Kuss auf die Stirn. Ace nutzt die wiedergewonnene Nähe, um sich erneut an Marcos warmen Körper zu schmiegen, während er müde und erschöpft die Augen schloss. „Du bist ein Idiot“, murrte es noch kurz über ihm und ließ ihn grinsen. „Ich weiß“, bestätigte er in einem Gähnen, zog die Decke enger um sich und war bald darauf eingeschlafen. ~*~ Zu diesem Zeitpunkt konnte Marco noch nicht ahnen, wie Recht er doch hatte. Ja, er war ein Idiot. Ein verdammter Idiot. Ein Idiot von der Sorte, die alles besitzt und dennoch blind um sich greift, in der Hoffnung mehr zu finden, ohne dabei zu bemerken, wie sie auf die Weise das bereits erschaffene Paradies zertrümmert. Es war der letzte Abend an dem sie so vertraut, so verliebt beieinander sein sollten. Der letzte Abend einer heilen Welt. Das Foto, welches vor einigen Stunden geschossen wurde und nun eingeschlossen in einer Einwegkamera vergessen am Strand lag, sollte das letzte sein, das Zeuge dieser Zeit war. Der letzte Abend, bevor Ace all das zerstören würde, was er doch so sehr liebte. Er war der erste Dominostein der fiel und damit eine Kette von Ereignissen entfesselte, die nicht nur seines, sondern auch das Leben seiner Freunde für immer und unwiderruflich verändern würde… Kapitel 3: Im Rausch der Nacht ------------------------------ My Bittersweet Melody of Life Erstes Kapitel. Im Rausch der Nacht. Kaum waren sie vor zwei Tagen auf der Terrasse aufgewacht und hatten sich ein ausladendes Frühstück gegönnt, da war ihre gemeinsame Zeit auch schon wieder durchschnitten von Marcos Arbeitspflichten. Da sein Vater, Gründer und Besitzer der Newgate Corp., langsam in die Jahre kam, in denen die Weisheit die körperliche Agilität überschritt, musste der Junior immer mehr Aufgaben übernehmen und so kam es nicht selten vor, dass die Firma ganze Wochenenden verschlang. Am Tag nach der Feier war zu allem Übel das worst-case Szenario eingetreten und sein Freund hatte für zwei Tage auf eine Geschäftsreise gemusst, weshalb der weiterhin arbeits- und studiumslose Ace allein im Strandhaus zurückblieb. Gelangweilt hatte er sich in den von der Sommersonne erhitzten Sand gelegt, alle Gliedmaßen von sich gestreckt, fragte sich, was er mit seiner kostbaren Zeit anfangen sollte. Er könnte das Chaos im Haus beseitigen, bevor Marco heute Abend zurückkommen würde. Aber eigentlich sahen die meisten Zimmer noch recht passabel aus. Er könnte sich über einen alternativen Studiengang informieren. Aber eigentlich waren die Bewerbungsfristen schon seit zwei Wochen rum und er könnte ohnehin erst zum Sommersemester beginnen. Er könnte… Mit einem Seufzen setzte er sich in den Schneidersitz, griff in eine seiner tiefen Hosentaschen und kramte sein Handy hervor. Mit Freude durfte er feststellen, dass er zwei Anrufe in Abwesenheit hatte, beide von Marco. Der Tag konnte also demnach doch noch sinnvoll gefüllt werden! Vergnügt machte er sich also an den Rückruf. Das Freizeichen piepte, einmal, zweimal, dreimal… Eine Möwe setzte sich neugierig aus der Luft herab neben ihn, musterte den jungen Mann mit schnellen Kopfbewegungen aus dunklen Augen heraus. „Ace…?“, schreckte ihn eine Stimme aus den Gedanken. „Hier!“, stieß der Gefragte schnell hervor und wäre vor Schreck fast rückwärts in den Sand gefallen. „Sorry… Ich war kurz abgelenkt“, gestand er und warf dem gefiederten Übeltäter einen bösen Blick zu. Am anderen Ende der Leitung hörte er ein amüsiertes Lachen. „Das klingt, als wärst du beschäftigt. Das ist gut.“ „Das ist gut?“, wiederholte Ace die Frage, dachte einen Augenblick darüber nach und ergab sich einem lauten, langgezogenen Seufzen. Genervt fuhr er sich durch die dunklen Haare, warf mit einem kleinen Stein auf die hartnäckig verweilende Möwe. „Wann?“, war das einzige Wort, dass er seinem Freund gönnte und das alles andere als liebevoll ausgesprochen. Wenn es gut war, dass Ace genug zu tun hatte, konnte die einzig logische Konsequenz sein, dass Marco ebenfalls viel zu tun hatte. „Irgendwann heute Nacht. Warte besser nicht auf mich. Wir haben noch ein Meeting, aber ich bin mir nicht sicher, welchen Flug ich erwische. Es tut mir wirklich leid.“ Tief im Innern war sich Ace bewusst, dass Marco in diesem Fall schlechter dran war als er selbst, da er die nächsten Stunden mit langweiligen Gesprächen und einer noch langweiligeren Rückreise verbringen musste, doch das Bedürfnis nach Beschäftigung war so groß, dass er sich in diesem Fall nur noch weiter aufregen konnte. Marco musste die Stille auf der anderen Seite als schlechtes Zeichen gedeutet haben – und das zu Recht – sodass er erneut das Wort ergriff: „Du könntest doch…“, setzte er an, kam aber nicht weit, da Ace sich nun doch dazu entschlossen hatte, zu sprechen. „Mach mir keine Vorschriften, wie ich meine Zeit zu füllen habe. Das kriege ich auch gut alleine hin!“, protestierte er drauf los. Es war nicht ganz fair. Er hatte keinen Grund so genervt zu sein, doch konnte er seine Gefühle noch nie gut verstecken. Sich seiner Schwäche bewusst, fügte der dann trotzdem noch ein „Beeil dich einfach“, hinzu, wartete aber keine Antwort ab, sondern legte auf. Kaum war das Handy wieder in der Tasche verschwunden, sah er in die dunklen Augen der Möwe und stellte fest – er hatte keine Ahnung, wie er seine Zeit füllen sollte. Die Idee kam erst eine Stunde später, als er ein Sandwich kauend auf dem Sofa hockte und ziellos durch das nachmittägliche Fernsehprogramm schaltete, bis er an einer der inzwischen zahlreichen Krankenhaussoaps hängen blieb. Inspiriert von den weißen Kitteln, kramte er sein Handy erneut hervor, wählte eine Nummer und wartete, bis sich jemand am anderen Ende meldete: „Yep.“ Im ersten Moment war er verwundert, da die Stimme nicht der Person gehörte, mit der er eigentlich sprechen wollte. „Ähhm…“, begann er zögerlich, damit nicht aufgelegt wurde, denn er hatte schließlich angerufen und ein Gespräch am Telefon funktionierte nur, wenn jemand etwas sagte… Wieder einmal durfte er feststellen, wie unnatürlich und anstrengend diese Form der Kommunikation war. „Schön, dich zu sprechen Ähhhm. Lange nichts von dir gehört“, feixte die Stimme am anderen Ende und Ace brauchte nicht länger zu überlegen, um wen es sich handelte. Die Erkenntnis machte es ihm zumindest einfacher ein Gespräch anzufangen. „Hallo Kid. Ist Law da? Ich dachte, ich hätte seine Nummer gewählt.“ Der letzte Satz klang frecher als beabsichtigt, doch daraus machte sich sein Kommunikationspartner offensichtlich nicht viel. „Hat OP-Tag. Dann lässt er das Handy immer hier“, wurde ihm die Situation erklärt. Ace konnte ein genervtes Raunen nicht unterdrücken. An diesem Tag gab es wirklich nichts zu tun… Vielleicht war es die schiere Langeweile, vielleicht die Frustration, dass Marcos Arbeit mal wieder wichtiger war als Ace, vielleicht das schöne Wetter, das sich mit strahlendem Sonnenschein darüber lustig machte, dass er niemanden hatte, mit dem er es teilen konnte, vielleicht… Vielleicht hätte er einfach auflegen sollen, so wie er es bei Marco getan hatte, dann wäre nichts von all dem passiert. Dann wäre immer noch alles gut. Dann wäre Marco immer noch bei ihm… Aber Ace legte nicht auf; war gedrängt von dem Bedürfnis seinem Freund zu demonstrieren, dass er sehr wohl seine Zeit alleine füllen konnte. Law wäre ihm hundertmal lieber gewesen, doch irgendetwas musste dieser seltsame Kerl am anderen Ende der Leitung ja an sich haben, dass sein ehemaliger Zimmergenosse sogar mit ihm zusammengezogen war. „Sag mal Kid“, begann Ace also in zaghaftem Ton. „Hast du Lust was zu machen?“ Am anderen Ende war Stille, die kurz darauf von gehässigem Lachen verzerrt wurde. „Wird das ein Date?“, hörte er Kids freche Stimme und begann bereits seine Entscheidung zu bedauern… ~*~ Vier Stunden später, etwa gegen halb neun, befand er sich in einer Seitengasse nahe der Innenstadt, die trotz des anhaltenden Tageslichts bereits versteckt im Schatten lag. Seine weiten, schwarzen Shorts hatte Ace anbehalten, darüber trug er ein graues T-Shirt mit einem unleserlichen, weißen Aufdruck. Allein seine rote Kette, die er nicht einmal zum Duschen ablegte, brachte etwas Farbe in das gewählte Outfit. Es war nicht schwer, die von Kid genannte Bar zu finden, denn kaum hatte er den besagten Ort erreicht, entdeckte er die ersten Menschen, die sich für ein wenig frische Luft vor der Tür versammelt hatten. Ace kannte keinen von ihnen, schlüpfte daher unbemerkt zwischen ihnen hindurch und betrat den Innenraum. Da ihn Kid auf die Liste hatte schreiben lassen, musste er nicht einmal Eintritt bezahlen und kaum war er drin, da spürte er, wie er aufgeregt wurde. Wie lange war es her, dass er das letzte Mal Downtown in einer Bar feiern war? Vier Monate? Ein halbes Jahr? Er konnte sich nicht mehr dran erinnern. Zwar waren die Partys bei Marcos Freunden auch immer nett gewesen, doch merkte er dort ganz besonders die zehn Jahre Altersunterschied: Eigentumswohnungen, in teuren Marken schick gekleidete Menschen, die sich unterhielten und eventuell - Dank genügend Alkohol, am Ende des Abends ein, zwei Runden tanzten und sich ansonsten über Arbeit und Jahresurlaub unterhielten. Nein. Hier, in dieser kleinen, etwas heruntergekommen Bar, roch es nach Alkohol und altem Rauch. Neben Ace war eine kleine Theke, die vielleicht die Hälfte von dem, was sie an der Tafel hinten an der Wand anbot, auch wirklich ausschenkte. Am Ende des quadratischen mit drei Runden Tischen und einer Anzahl zusammengewürfelter Stühle bestückten Innenraums fand sich eine kleine Bühne, auf der bereits Instrumente drapiert waren. Das Publikum setzte sich aus jeglicher Altersklasse zusammen, doch verbanden sie der gleichbleibend düstere Klamottenstil und der unterbewusste Wettbewerb um die lauteste Lache im Raum. Ja, kaum hatte er die Bar betreten, spürte Ace, wie sehr er dieses Leben in den letzten Monaten vermisst hatte. „Ace?“ Überrascht seinen eigenen Namen zu hören, wandte er sich zur Seite und musterte den jungen Mann, der ihn gerade angesprochen hatte. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen, als er feststellen durfte, dass es Law war, der ihn mit einem gezapften Bier in der Hand verwundert anstarrte. Die graue Mütze auf dessen Kopf, die seine tiefschwarzen Haare bedeckte, wirkte dabei nahezu wie ein Sinnbild für die alte Zeit, die doch nur wenige Monate zurück lag und dennoch wie an anderes Leben erschien. „Was machst du denn hier?“, ergänzte er seine erste Frage, während er seine Verwunderung mit gehobenen Händen gestisch untermalte. Ace grinste, legte eine Hand auf die Hüfte, während er mit der anderen durch seine Haare fuhr – eine Bewegung, die er einfach nicht unterdrücken konnte, wenn er aufgeregt war. „Ich wollte dich heute anrufen, aber Kid war am Telefon und… Er hat mich quasi eingeladen.“ „Idiot… Wieso hat er mir denn nichts gesagt?“, murrte Law, streckte sich und durchsuchte mit düsterem Blick die Menschenmenge. „Ist lange her….“, begann Ace schließlich, nicht weiter daran interessiert, warum Kid ihn nicht angekündigt hatte. Der Themenwechsel glückte. Law wandte sich lächelnd zu ihm, nickte zustimmend und begleitete den Neuankömmling an die Bar. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis sich Kid schließlich zeigte. Mit einer Flasche Jameson in der Hand, torkelte der Rotschopf auf die beiden zu, auf den Lippen das breiteste Grinsen des Ladens, die abstehenden Haare mit einem Tuch, das er sich um die Stirn gebunden hatte, so gut es ging gebändigt. „Huch!“, gluckste er frech und lehnte sich mit einem Arm auf Ace‘ Schulter. „Die Prinzessin hat es tatsächlich geschafft.“ Der junge Mann unter ihm verzog beleidigt den Mund, konnte ihn aber nicht lange in dieser Position halten, da ihm ein Flaschenhals gegen die Lippen gedrückt wurde, bis er diese öffnete und gezwungenermaßen den ersten Schluck Whiskey an diesem Abend trank. Von der brennenden Flüssigkeit hustend, stieß er sich von Kid weg, der dreckig lachte. Law beobachtete sie mit einem belustigten Grinsen im Gesicht. „Wo hast du Marco gelassen?“, fragte er schließlich, als Ace wieder zu Atem gekommen war. „Arbeiten“, war die gemurrte Antwort. Allein der Gedanke an das Gespräch am Mittag erweckte erneut das Gefühl von Langeweile und Enttäuschung, weshalb er eigenmächtig zur grünen Flasche in Kids Händen griff und einen zweiten Schluck nahm, der die Empfindung schlichtweg ertränken sollte. Dieses Mal hustete er nicht. Kurze Zeit später war Kid wieder verschwunden, um mit Freunden zu sprechen, die gleich auftreten wollten. Ace und Law blieben an der Bar zurück. „Du kannst bei mir auf der Couch schlafen“, schlug der Medizinstudent vor, während er den beiden zwei neue Biere orderte. Ace nahm das Angebot dankend an, da er bereits nach einer Stunde in der Bar die Auswirkungen des Alkohols spürte. „Aber tu mir den Gefallen und versuch NICHT mit Kid mitzuhalten. Das schaffst du nicht und ich habe keine Lust, dich besoffen nach Hause zu tragen“, fügte sein langjähriger Freund mahnend hinzu und kassierte ein ausschweifendes Augenrollen. „Ich bin kein kleines Kind mehr“, schmollte Ace, nahm das neue Bier entgegen und stieß an. …Hätte er nur auf Law gehört. Hätte, hätte, hätte… Viel zu lange war er nicht mehr richtig feiern gewesen, viel zu lange hatte er nicht mehr solchen Spaß gehabt. Kaum hatte die Band angefangen zu spielen, trank er mehr Alkohol, rauchte mehr Zigaretten, tänzelte im Takt der lauten Indie Musik. Der Rest des Abends erschloss sich ihm nur noch in einzelnen, kurzen Episoden, die er im Nachhinein nur schwer zusammensetzen konnte, um aus ihnen ein durchgängiges Bild zu rekonstruieren. Erst als er am nächsten Morgen, der eher Mittag war, aufwachte, war er wieder im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte… 23 Uhr. Die Band ist gut. Zunächst hört er ihnen nur zu, bewegt eine Hand im Takt der Musik. Law steht neben ihm, macht mit, sorgt für neue Getränke, bis beide schließlich genug haben, um in erste tänzelnde Bewegungen überzugehen. Wann hatte er das letzte Mal so viel Spaß gehabt? Auf seinen Lippen liegt ein unbezwingbares Grinsen. Wie spät ist es? Die Band spielt nicht mehr, stattdessen hören sie Musik aus der Dose. „Ace?“ Law hat sich durch das Gedränge gekämpft und sieht ihn an. „Ich gehe jetzt. Hab‘ morgen Dienst.“ Ace will noch nicht gehen. Sagt dies auch. Laws Blick ist besorgt, aber Kid schaltet sich ein. „Kein Problem. Ich bring‘ ihn nach Hause.“ Er spürt einen besitzergreifenden Arm um seine Schultern. „Guck nicht so. Ich pass auf ihn auf“, verspricht Kid. „Mir geht es gut“, bestätigt er selbst. Law bleibt skeptisch. Irgendwann ist er verschwunden. Sie sind nicht mehr in der Bar. Er spürt die Motorenbewegungen unter sich, nimmt den Bus wahr, mit dem sie fahren. Kid sitzt neben ihm, auf dem Schoß hat der Rotschopf ein Mädchen, das seine Beine über Ace ausgestreckt hat. Sie ist hübsch, grinst frech. „Ich mag seine Sommersprossen. Niedlich. Ist das dein neuer Freund?“, fragt sie. Kid lacht hämisch, reicht Ace eine Flasche. Er trinkt. „Kein Interesse“, hört Ace sich selbst sagen. Das Mädchen gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Sie sind in einem Club. Die Musik ist laut, der Bass dröhnt in seinem Torso. Er spürt den Alkohol und das durch die Vibrationen verursachte Gefühl der Übelkeit, das sich seine Speiseröhre hinauf kämpft. Kid ist immer noch neben ihm, hält offensichtlich sein Versprechen an Law. Kids Shirt ist verschwunden. Sein Oberkörper glitzert vom Schweiß, über den Schultern trägt er einen riesigen Mantel, unpassend für einen aufgeheizten Club. Wo hat er den her? Ihm ist schwindelig, dennoch bewegt er sich zum Takt der Musik, während das Mädchen von eben neben ihm tanzt. Sie küsst Kid, lang und intensiv, dann fährt sie Ace durch die Haare. Er beschließt, dass er sie nicht leiden kann. Dieses Mal sind sie in einer Straßenbahn. Das Mädchen, er und Kid, ein anderen Kerl, der ihm vorher nicht aufgefallen war. Er lehnt gegen Kid, kann nur schwer die Augen offen halten. Wie spät ist es? Es riecht nach Essen. Er sieht auf, öffnet den Mund, lässt sich von einem breit grinsenden Kid mit schlechten Pommes füttern. „Wo sind wir?“, hört er seine belegte Stimme fragen. Kid kichert, fasst ihm mit der fettigen Hand ins Gesicht. Seine Finger riechen süßlich. Der Geruch. Der Geruch war das Letzte, an das er sich erinnern konnte. Sie waren in einer Straßenbahn, der Himmel wechselte gerade von einem tiefen Schwarz in ein dunkles Grau, im Rachen schmeckte er Magensäure… Ihm war übel, er fror leicht - die Auswirkungen eines ausschweifenden Genusses an Alkohol. Sein Kopf dröhnte, während er sein Gesicht tiefer in die weichen Laken drückte. Das Kissen unter ihm roch ungewohnt, wahrscheinlich der Rauch, der sich in den vergangenen Stunden in seinen Haaren gesammelt hatte. Verschlafen begann er seine Glieder zu bewegen, hatte noch kein Interesse daran aufzuwachen. Ein penetrantes Stupsen gegen seinen Rücken ließ weiteren Schlaf jedoch zur Unmöglichkeit werden. „Lass mich Marco. Ich bin müde“, nörgelte er in sein Kissen hinein, ohne jegliche Motivation seine Lider zu öffnen. Hinter sich hörte er ein belustigtes Glucksen. Das Geräusch war ungewohnt. Waren das die Auswirkungen seiner kalten Ausnüchterung? „Mir egal. Beweg dich endlich“, meckerte eine Stimme. Nicht Marcos Stimme. Augenblicklich schreckte er hoch, riss die Augen auf. Sein Herz raste schmerzend in der Brust, schnell genug, um ihm kalten Schweiß auf die Stirn zu treiben und die Müdigkeit in einer Sekunde zu verjagen. Marco! Das war nicht Marco. Sein Blick wanderte durch den halbdunklen Raum. Durch die Nähe zum Boden erkannte er schnell, dass er in keinem Bett, sondern auf einer lieblos auf den Boden geschmissenen Matratze geschlafen hatte. Auf dem dunklen, verkratzten Laminat lag Kleidung verteilt. Hinten an der Wand lehnte ein Rucksack, daneben eine Kiste mit noch mehr Wäsche, auf der anderen Seite ein bemaltes Cajon. Dahinter hing ein Spiegel. Kurz schaute er auf den Boden neben sich, denn noch konnte er nicht genug Mut aufbringen, um auf die andere Seite in ein falsches Gesicht zu blicken. Neben ihm lagen Bücher, Romane, und zerknüllte Schmierzettel. Er hatte keine Ahnung, was passiert war. Wollte es auch nicht wissen. Seine Haut brannte, sein Magen überschlug sich und trieb ätzende Magensäure in seine Mundhöhle, während sein Atem stockte. Am schlimmsten waren die Stiche in seinem Herzen, als er den Kopf senkte und auf seine nackte Brust sah. Das war nicht gut. Das war gar nicht gut… ~*~ Kapitel 4: Ein Morgen danach ---------------------------- My Bittersweet Melody of Life Zweites Kapitel. Ein Morgen danach. Ace kniff verzweifelt die Augen zusammen, während er sich mit Schmerzen in der Brust fragte, wie er es nur wieder vollbracht hatte, sich selbst so zielstrebig in die Scheiße zu manövrieren. Mit einem traurigen Seufzer fuhr er sich ein letztes Mal durchs Gesicht, dann wandte er seine müden Augen zu der Person, die neben ihm lag und nicht ansatzweise zu ahnen schien, was gerade in Ace vor sich ging, ihm stattdessen voller Lebensfreude entgegen strahlte und ein letztes Mal mit dem Fuß gegen seinen Körper trat. „Machst dich ganz schön fett beim Schlafen“, feixte sie ihm ins Gesicht. Ace lächelte voller Ironie: Das Gleiche hatte ihm Marco auch gesagt, nachdem er das erste Mal bei ihm übernachtet hatte. Damals im Studentenwohnheim, als Law eine Nacht weg war. Nur verfügte Marco über eine bessere Wortwahl und überhaupt hatte es damals ganz anders geklungen. Viel liebevoller. „Fick dich“, zischte Ace zwischen seinen Zähnen hervor, während er in aller Ohnmacht den Kopf schüttelte und mit Daumen und Zeigefinger begann seine Nasenwurzel zu massieren. „Kein Morgenmensch, huh?“, folgte sogleich der amüsierte Konter. Ace kam Galle hoch, als er sich daraufhin wieder an seinen Bettnachbarn wandte. „Jetzt mal im Ernst, Kid. Halt einfach die Fresse!“ Er hatte nicht den Kopf, um sich mit dem Geschäker des rothaarigen Idioten auseinanderzusetzen. Dieser verdrehte die Augen, griff neben sich und hielt Ace eine kleine Flasche mit Wasser entgegen. „Hier“, erklärte er ohne jede Wertung und beobachtete daraufhin, wie Ace ihm das Getränk aus der Hand nahm und zulangte. Als Ace auch den letzten Tropfen getrunken hatte, legte er den leeren Behälter neben sich ab, wischte mit dem Handrücken über seinen Mund und holte tief Luft, um das Unvermeidliche anzusprechen. So sehr ihm eine innere Stimme auch sagte, dass er einfach aufspringen und die letzte Nacht für den Rest seines Leben leugnen sollte, so deutlich wurde ihm bewusst, dass er sich selbst und vor allem Marco Antworten schuldig war; egal wie peinlich es werden würde. „Dann mal los…“, flüsterte er zu sich selbst und erntete einen irritierten Blick von Kid. Davon unbeeindruckt setzte sich Ace in einen Schneidersitz und blickte auf Kid, der mit dem Oberkörper an der Wand lehnte. „Warum bin ich in deinem Bett?“, fragten graue Augen und sahen beschämt auf helle Laken. Kid starrte zunächst schweigend auf das kleine Häufchen Elend, das vor ihm kauerte, dann fuhr er sich durch seine abstehenden Haare, bevor er sich unbeteiligt den nackten Oberkörper kratzte: „Du willst wissen, ob was gelaufen ist?“, hakte er unverblümt nach. Ace schluckte schwer, dann hob er den Blick und fixierte Kids unnatürlich hellen Augen: „Und?“, fragte er nervös. Sein Gegenüber hob seine Augenbrauen, während er nachdenklich an die Decke sah und sich absichtlich Zeit ließ, um Ace zu necken. Ein kleiner Spaß, der für den Geschädigten allerdings zur puren Folter wurde. Sollte Kid die falsche Antwort geben, könnte das Ace‘ Leben für immer verändern. Wahrscheinlich würde er sich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen können und er würde Marco erzählen müssen, was geschehen war. Und Marco würde ihn verlassen. Er wäre allein. Kids Antwort konnte sein ganzes Leben auf den Kopf stellen und der exzentrische Kindskopf hatte nichts Besseres zu tun, als mit seinen Nerven Schindluder zu treiben. Ace schnaubte wütend. „Jetzt spuck schon aus: Was ist passiert?“, fragte Ace abermals mit bissigem Unterton, während sich seine Finger krampfhaft in die Laken krallten. Als selbst Kid den Ernst der Lage zu verstehen schien, reagierte er, indem er unentschlossen mit den Schultern zuckte. „Was weiß ich, Alter. Ich war mega dicht.“ Als er seinen Blick hob, konnte er verfolgen, wie Ace sämtliche Gesichtszüge entgleisten und seine Schneidezähne vor Nervosität begannen seine Unterlippe zu massakrieren. Sein Herzschlag wurde abermals schneller, während kalte und heiße Schauer der Panik abwechselnd über seinen Körper flossen. Ihm war zum Weinen zumute. Voller Wut auf sich selbst holte er aus und schlug gegen eines der Kissen, die auf der Matratze verteilt lagen. „So eine Scheiße“, brüllte er und ließ sich verzweifelt auf den Rücken fallen, während er peinlich berührt sein Gesicht in seinen Handflächen vergrub. Wie dumm konnte man sein? Der Anblick musste erbärmlich genug sein, dass sogar Kids Mitgefühl geweckt wurde. „Jetzt mach nich so nen Aufstand. Wenn’s dich glücklich macht, dann war halt nichts. Du hast hier nur gepennt, weil… Keine Ahnung, weil ich keinen Bock hatte deinen besoffenen Körper ins Wohnzimmer zu schleppen. Du warst total voll. Scheiß egal was passiert ist.“ Der Ältere lächelte ihn aufmunternd an, bevor er verschlafen gähnte. Ace schüttelte allerdings protestierend den Kopf, vergrub seine Hände in seinen pechschwarzen Haarsträhnen und sprang schließlich frustriert auf. „Scheiße…“, nuschelte er mit schmerzhaft rasendem Herzen, während er nervös auf und ab ging und dabei immer wieder knisternd auf einen der zahlreichen Schmierzettel trat, die überall auf dem Laminat verstreut lagen. „In zwanzig Jahren wirst du die Dinge bereuen, die du nicht getan hast, nicht das, was du getan hast“, meinte der rothaarige Junge mit einem Zwinkern, als Ace nach einer Viertelstunde der Wanderung durch sein Zimmer immer noch nicht zur Ruhe fand. Nun hielt er verwundert inne und starrte voller Verwirrung nach unten: „Was?“, fragte er patzig. Kid grinste schelmisch, wühlte einige Zettel zur Seite, bis er eine zerknüllte Packung fand, hineinlangte und eine Zigarette hervorholte. „Mark Twain“, erklärte er und führte seine Suche fort, bis er ein Feuerzeug in den Händen hielt. Ace schnaubte wütend, bevor er irritiert den Kopf schüttelte: „Kapierst du nicht, in was für eine Scheiße du mich hier bringst?“ Immer noch brannte seine Haut von seinem schlechten Gewissen entfacht, mit dem Wunsch, die letzte Nacht aus seinem Leben zu löschen. Während Ace verzweifelt seine Finger in seine langen Haare krallte, rollte Kid theatralisch mit den Augen, seufzte unbeeindruckt und entzündete die Zigarette in seinem Mundwinkel. „Hakuna Matata, Alter“, nuschelte er in sich hinein, während grauer Rauch aus Mund und Nase entwich, „Scheiß drauf was war, du kannst es eh nich mehr ändern.“ Ace schob unzufrieden seine Unterlippe hervor: „Nicht Hilfreich, Alter“, zischte der ehemalige Student seinem unverhofften Gastgeber entgegen und setzte sich abermals in Bewegung, auf der Suche nach einem Ausweg aus diesem Schlamassel. Eine Weile schwiegen beide, sodass lediglich Ace‘ rastlosen Schritte durch die Stille der Wohnung halten. Die warmen Strahlen der spätsommerlichen Sonne drückten sich immer erbarmungsloser in den kleinen Raum und erfüllten die ohnehin schon angespannte Stimmung mit schwüler, verbrauchter Luft, die das Atmen zum Hindernis machte. Als Kid schließlich seinen letzten Zug nahm und daraufhin die Reste der Zigarette auf einem alten Teller, den er neben sich fand, ausdrückte, bildeten sich bereits kleine Schweißtropfen auf der Haut der jungen Männer. „Jetzt hör verdammt nochmal auf, meine Zettel unter deinen dreckigen Füßen zu zerquetschen, zieh dich an und verpiss dich zu deinem reichen Sack“, polterte Kid mit einem Mal, als er die erdrückende Atmosphäre nicht länger ertragen konnte. Ace schreckte zusammen, als seine Gedankengänge ohne Vorwarnung unterbrochen wurden, sodass er bestürzt gen Boden sah. Wut stieg in ihm auf, als er in zwei helle Augen blickte, die offensichtlich nichts von seiner Misere verstanden. Wie um alles in der Welt sollte er einfach zu Marco gehen? Wie sollte er ihm in die Augen schauen, ohne zu wissen, ob er den Mann, den er liebte, vielleicht betrogen hatte? „Fick dich, Kid!“, maulte er, überflog dabei allerdings den Boden, bis er seine Hose fand und diese überstreifte, während ein provokant amüsiertes Lachen seine Ohren erreichte. „Was ist denn so witzig?“, erkundigte er sich alsbald mit aufeinandergepressten Kiefern und beobachtete verärgert, wie Kid sich selbstherrlich durch die zotteligen Haare fuhr. „Pass auf, Kleiner“, begann dieser und überschlug selbstbewusst die Beine, während er die Arme vor der Brust verschränkte: „Solange dein Arsch nicht brennt wie Hölle, ist auch nichts gelaufen, kapiert? Und jetzt sei glücklich und hops Heim zu Papa. Deine traurige Fratze macht mich krank.“ Während Kid ihn genervt und doch belustigt anfunkelte, fiel Ace‘ Unterkiefer voller Erstaunen über die vulgäre Frechheit nach unten. Zwar war er alles andere als auf den Mund gefallen, doch auch für ihn gab es Grenzen – Kid schien da offensichtlich schmerzfreier sein. Nichtsdestotrotz glitt seine Hand unbewusst auf seinen Po und verweilte kurz, während Ace seine Gedanken ordnete. Die ganze Situation war absurd und pendelte sich zwischen Verzweiflung und Scham ein, dennoch entlockte sie Ace schließlich ein machtloses Lachen, das mit einem Kopfschütteln begleitet wurde. „Du bist echt nen Asi, Kid…“, stellte er anschließend fest, „Keine Ahnung, was Law an dir findet.“ Er wusste, dass sie nicht zusammen waren, dennoch erstaunte es ihn immer wieder, was seinen ehemaliger Mitbewohner an den idiotischen Rotschopf fesselte. Kid grinste indes zufrieden, stand auf, schnappte sich ein Oberteil und hielt es Ace entgegen. „Offensichtlich nicht genug“, murmelte er, stieß damit allerdings auf taube Ohren. Sein unfreiwilliger Gast war gerade mit anderen Dingen beschäftigt. „Tu mir einfach den Gefallen und erzähl Law nichts davon…“, bat Ace schließlich, als er all seine Kleidung wiedergefunden hatte und sich anschließend Portmonee und Handy in die Hosentaschen steckte. Kid zuckte mit den Schultern: „Wovon denn?“, fragte er unbeeindruckt, öffnete die Zimmertür und deutete auf den Flur. Kaum hatte Ace diesen betreten, hielt er vor Erstaunen inne. Er fühlte sich, als hätte er eine andere Welt betreten, wie ein Paralleluniversum neben dem spärlich eingerichteten, unordentlichen Raum, den er gerade verlassen hatte. Vor ihm erstreckte sich eine offene, moderne Küche mit Theke und Kochinsel vor einem großen, stilvoll eingerichteten Wohnzimmer, mit zwei schwarzen Sofas und einem beachtlichen Breitbildfernseher. Dahinter stand ein langer Esstisch aus dunklem Holz mit zwei Stühlen auf jeder Seite. Drei zusätzliche Türen gingen vom Flur ab. Law..., dachte sich Ace schweigend, während er das teure Apartment musterte. Zwar wusste er nicht, woher der Medizinstudent das Geld nahm, aber das Ergebnis war mehr als beeindruckend. Bei dem Anblick konnte er noch weniger verstehen, weshalb er sich Kid als seinen Mitbewohner ausgesucht hatte. „Ich hoffe dir ist bewusst, was du für’n Schwein hast…“, nuschelte er, als er sich an Kid vorbeidrückte und auf die Tür am Ende des Flures zuging, an welcher ein Spion verriet, dass es sich um die Haustür handeln musste. Kid folgte ihm und lehnte sich schließlich gegen den massiven Türrahmen, als Ace das Treppenhaus betrat. „Dann sind wir uns wohl gar nicht so unähnlich…“, erwiderte er und musterte Ace mit festem Blick. Dieser schluckte schwer und strich sich geradezu reumütig die schwarzen Haare aus dem Gesicht. Er konnte dem Rotschopf ansehen, dass ihn die kleine Anmerkung beleidigt hatte. Und dabei hatte Kid Recht – auch Ace würde nun zurück zu einem Haus fahren, das nicht ihm gehörte; Luxus, der nicht sein Verdienst war und anders als Kid bezahlte er nicht einen einzigen Cent dafür. Unangenehme Stille stand zwischen den beiden jungen Männern, bis sie von hallenden Schritten unterbrochen wurde, als eine ältere Dame im teuren Pelzmantel die Treppenstufen erklomm. Kaum hatte sie die entsprechende Etage erreicht, ließ sie einen betont urteilenden Blick über Kids Körper wandern, der von nicht mehr als Boxershorts bedeckt war. Ace verfolgte indes, wie sich ein breites Grinsen auf Kids Gesicht legte, als dieser die Dame erkannte. „Schönen guten Tag Frau Dougen. Alles fit?“ Seine Stimme war ein amüsiertes Säuseln. Die Angesprochene räusperte sich, umklammerte ihre Handtasche mit festen Griff und ließ ihre Augen für einen Moment zwischen den beiden Männern hin und herwandern. „So eine Unverschämtheit…“, polterte sie mit einem Mal und stapfte mit wütenden Schritten die Treppe weiter hinauf. Während Ace ihr vollkommen perplex nachschaute, schien Kid noch nicht genug zu haben. „Das geht schon klar. Irgendwie muss ich ja das Geld für die Bude hier ranschaffen“, rief er ihr hinterher und erntete ein empörtes Aufseufzen, welches ihn zufrieden lachen ließ. „Du Wichser“, entgegnete Ace mit belustigtem Blick auf Kid. Dieser zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme vor der nackten Brust. Als Ace die Eingangstür des Stadthauses öffnete, schlug ihm die schwüle Sommerluft wie eine Faust ins Gesicht. Vergebens rang er nach Luft, um den Kreisel seiner Gedanken zum Stillstand zu bringen. Unzählige Menschen liefen an ihm vorbei, drängten und schubsten, bis Ace schwarz vor Augen wurde und er sich an die nächste Straßenlaterne klammerte. Einige Passanten starrten ihn verwundert an, doch niemand fühlte sich verantwortlich ihn anzusprechen. So sackte der junge Studienabbrecher in sich zusammen, lehnte dich mit dem Rücken gegen den Pfahl und rieb sich durchs Gesicht, bis sich sein Kreislauf wieder stabilisiert hatte. Müde nippte er an der Wasserflasche, die ihm Kid in letzter Minute mit auf den Weg gegeben hatte und konzentrierte sich auf den rasanten Schlag seines eigenen Herzens. Egal aus welchem Winkel er die Sache betrachtete, er war am Ende und muss nach Hause. Nach Hause. Ein trauriges Lächeln huschte über seine spröden Lippen, als er sich kraftlos auf die Beine zog und zur nächsten Bushaltestelle wankte. „So ein verdammter Dreck“, schnaubte Ace wütend, als er sich im tropischen Klima des nächsten Linienbusses setzte und ein Blick auf sein Handy warf. Frustriert drückte er die wenigen Tasten des Smartphones, hoffte auf das kleinste Lebenszeichen und wurde bitter enttäuscht. Frustriert warf er seinen Kopf in den Nacken, fuhr mit den Fingern durch seine schweißverfangenen Haare und richtete seinen Blick nachdenklich auf die wechselnden Schemen hinter der Fensterscheibe. Es würde noch eine halbe Stunde dauern, bis er Marcos Haus erreichte und während ein Teil von ihm sämtliche Szenarien durchgehen wollte, wie ihr aufeinandertreffen aussehen würde, wollte der andere Teil sich der vollkommenen Leere hingeben und so tun, als wäre nichts erwähnenswertes geschehen und er könnte mit Marco weitermachen wie zuvor. Scheiß egal, was passiert ist, hatte Kid gesagt. Der kleine Hügel, der zum Strandhaus führte, wurde an jenem Nachmittag dem Erklimmen des Mount Everests gleich. Jeder von Ace‘ Schritten wurde mit einem lauten Seufzer begleitet, während sich seine schwarzen Zotteln unangenehm an seine schweißnasse Stirn klebten. So wie Marco gestern geklungen hatte, würde er noch nicht zurück sein. Das Haus war leer und würde Ace genügend Raum bieten, um zu entscheiden, was er als nächstes tun sollte; was er sagen sollte; ob er schweigen würde. Alles in ihm verkrampfte sich bei den Gedanken, Marco zu gestehen, was er ihm, dem Mann, den er aufrichtig liebte, vielleicht angetan hatte – und das alles aus einer jugendlich-dummen Laune heraus. Wie in Trance stapfte er über die Einfahrt, kramte in einer seiner Hosentaschen, bis er den Haustürschlüssel gefunden hatte und sich in all seiner Schwäche mit der Stirn gegen die Tür lehnte. Am Ende seiner Kräfte angelangt, schloss er die Augen, sog gierig die schwere Spätsommerluft ein und wartete einen Moment, bis er den Schlüssel drehte und das kühle Paradies der Klimaanlagen betrat. „Geschafft“, lobte er leise sich selbst, schlich ins offene Wohnzimmer und lehnte sich gegen eines der Sofas, als er ein unverhofftes Geräusch vernahm. Erschrocken riss er die Augen auf und blickte empor. Seine Haut brannte, sein Atem stockte, sein Kiefer zitterte unkontrolliert. „Ace?“, erreichte ihn eine Stimme aus einem der hinteren Räume, doch war er zu erstarrt, als dass er hätte antworten können. Die Schritte wurden lauter, hallten schließlich neben ihm, bis sich das verwunderte Lächeln seines Freundes in Ace‘ Blickfeld drängte. „Ich hatte mich schon gefragt, ob du heute überhaupt zurückkommst. Hattest du einen guten Abend?“, erklärte dieser und schnallte sich seine Pulsuhr um das Handgelenk, bevor er die Schnürsenkel seiner Laufschuhe fester schnürte. Erst als er keine Antwort bekam, blickte er auf und nahm sich mehr Zeit, den jungen Mann zu betrachten, der sich wie ein in die Enge getriebenes Reh gegen die Wohnzimmercouch lehnte, seine Augen starr auf Marco fixiert. Überrascht richtete sich der junge Firmenerbe auf, legte besorgt eine Hand auf Ace‘ Schulter und verfolgte für einen Moment die zahlreichen Schweißtropfen, die sich aus dessen nassen, verklebten Haarsträhnen kämpften. „Alles ok?“, fragte er besorgt. Ace hielt den Atem an. Unsicher blickte er in die klaren, blauen Augen, die ihn so aufrichtig und liebevoll ansahen und zum zweiten Mal an diesem Tag hatte er das Gefühl, ohnmächtig zu werden… ~*~ Kapitel 5: Klärungsbedarf ------------------------- Kammerflimmern Drittes Kapitel. Klärungsbedarf. „Bist du krank, verkatert oder beides?“, erkundigte sich Marco, legte eine Hand auf Ace‘ Schulter und schaute ihn teils amüsiert, teils beunruhigt an, als würde er die Antwort abwarten und sich daraufhin erst für eines der Gefühle entscheiden wollen. Dieser Wesenszug hatte Ace schon immer fasziniert, hielt sich Marco doch gerne alle Optionen offen, bis er die Gesamtsituation analysiert und das Optimum gefunden hatte. Er war eine dieser natürlichen Führungspersönlichkeiten – anders als Ace. Dieser sackte immer mehr in sich zusammen, versteckte sein Gesicht in seinen Handflächen und hoffte wie ein kleines Kind in der Unsichtbarkeit zu entschwinden. Die Hand, die so liebevoll auf seiner Schulter geruht hatte, wurde zurückgezogen und Marco kniete sich hin, um den zweiten seiner Sneaker fester zu schnüren. „Du siehst nicht so aus, als würdest du mit mir Laufen wollen, huh?“, nuschelte er dabei, richtete sich wieder auf und fuhr sich durch die kurzen, blonden Haare; wie jedes Mal, wenn er versuchte seinen Freund zu gemeinsamen sportlichen Unternehmungen zu bewegen. Ace schluckte schwer, atmete tief ein und versuchte seine Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen – Ging Marco eine Runde Joggen, würde ihm dies eine Stunde Zeit geben, um zu entscheiden, was er nun machen würde. „Erstens ist es ca. 50 Grad draußen, zweitens wird der Tag nicht kommen, an dem ich Laufen gehen werde“, kommentierte Ace und verschränkte die Arme vor der Brust, „Aber ich bewundere deinen Optimismus sowie dein Durchhaltevermögen, wenn es darum geht, mich danach zu fragen.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, entlockte er Marco ein schwaches Lächeln. Offensichtlich hatte er sich dafür entschieden, Ace‘ Zustand als verkaterte Folge der letzten Nacht zu interpretieren. Um seine Aussage zu unterstützen und von seinen wackligen Knien zu kommen, ließ sich Ace rückwärts auf die Couch fallen und verschränkte die Finger hinter seinem Kopf. Marco legte die Stirn in Falten: „Kid muss dich ja ganz schön rangenommen haben“, feixte er, schnappte sich entspannt eine Flasche Wasser von der Kücheninsel und öffnete sie mit einem Zischen, während Ace das Herz in die Hose rutschte. „Bitte was?“ Mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen hatte er sich in Windeseile aufgerichtet. Abwechselnd wurde ihm heiß und kalt, während sich sein Mund augenblicklich trocken anfühlte. Er stammelte: „Woher… und was?“ Ace‘ Gedanken überschlugen sich, während Marcos Mundwinkel abermals nach oben gezogen wurden: „Woher ich weiß, wo du warst, mein Poet?“, witzelte er mit seinem nach Ace‘ Ansicht fragwürdigen Humor, schritt um die Couch herum und ließ sich neben seinen Freund fallen - seine Augen funkelnd vor Belustigung. Ace fand die Situation weniger amüsant, vielmehr beängstigend; Marcos Nähe nun fast bedrohlich. Hatte Law etwa Marco angerufen? Er schüttelte den Kopf. Das würde Law ihm nicht antun. Außerdem war Law doch auf der Arbeit gewesen, als er die Wohnung an diesem Morgen verlassen hatte. Er konnte von nichts wissen… War Law vielleicht dagewesen, als er und Kid nach Hause gekommen waren? Die Antworten konnte ihm nur der Medizinstudent persönlich geben… Vielleicht sollte er ihn anrufen… „Du hast mir Nachrichten geschickt“, löste Marco eines der Rätsel in Ace‘ Gedanken und ließ dessen graue Augen verwirrt aufblicken. „Nachrichten?“, erkundigte er sich mit gerunzelter Stirn. Zwischen ihnen breitete sich Anspannung aus, entstanden durch die fehlende Balance im Wissen der beiden jungen Männer. Marco spielte mit Ace und das gefiel diesem ganz und gar nicht, auch wenn sein Freund wahrscheinlich nicht ahnte, welche Qualen Ace gerade durchstand. So verstrich eine schiere Ewigkeit, bis sich der Firmenerbe nach vorn lehnte, sein Smartphone vom Beistelltisch nahm und seinen Daumen kurz über den Display streichen ließ. „Bin in der Stadt mit Law und Kid. Vielleicht bis morgen“, begann Marco schmunzelnd zu zitieren. „Ich wusste nicht, dass du sauer warst… Warum hast du am Telefon nichts gesagt?“, hakte er nach, hob eine seiner schmalen Augenbrauen und verfolgte wie Ace abweisend mit den Schultern zuckte. „Wie kommst du drauf, dass ich sauer war?“, nuschelte er ertappt und zog den Mund zu einem Schmollen, während er die Beine überschlug und seine Arme auf die Unterschenkel stützte. „Vielleicht bis morgen?“, wiederholte Marco daher Beweisstück A, wartete aber nicht länger auf eine Bestätigung, sondern fuhr fort: „Law’s arbeiten. Geh mit Kid in Club. Akku fast leer.“ Während Marco kicherte, fuhr sich Ace beschämt durch die Haare. “Die nächste kam dann eine Stunde später: Ok Akku is da. Mega hier. Scheiss auf deine beknackte Arbeit.“ Ein Seufzen unterbrach Marcos Vortag. Ace war zum Heulen zumute. Nicht nur hatte er seinen Freund aufs Peinlichste beleidigt, nein, er hatte es wahrscheinlich noch schlimmer kommen lassen! Doch an das alles konnte er sich dank des Alkohols nicht mehr erinnern. Für einen Moment blitzte das Bild von Kids Zimmer im Mittagslicht vor seinem inneren Auge auf und er schüttelte den Kopf, um es schnell wieder loszuwerden. „Warum hast du nicht geantwortet?“, entgegnete Ace missmutig; traute sich nicht, Marco anzusehen. Der Gefragte zögerte jedoch keinesfalls mit der Antwort: „Ich hab dich wieder einmal ein Wochenende allein lassen müssen, du warst frustriert und hast seit langem wieder ordentlich gefeiert, wie es sich für jemanden Anfang zwanzig gehört. Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte“, erklärte Marco aufrichtig, wuselte mit einer Hand tröstlich durch Ace‘ pechschwarzen Strähnen und lächelte ihn verständnisvoll an. Wieder seufzte Ace, dieses Mal lauter: „Kannst du bitte aufhören, so perfekt zu sein? Ist ja schon widerlich…“ Schlechtes Gewissen trieb Übelkeit aus der Brust auf seine Zunge, als ihm bewusst wurde, dass er Marco niemals von seinem Morgen erzählen konnte. Niemals konnte er ihn dermaßen verletzen… „Die letzte Nachricht war dann von Kid“, meinte Marco schließlich, als er spürte, dass sich Ace‘ Laune nicht aufhellen würde. Sein Freund hob erschrocken den Blick, als er den Rotschopf erwähnte. „Kid?“, wiederholte Ace und starrte einen Augenblick gedankenverloren an die gegenüberliegende Wand. Damit verschwand schlussendlich auch Marcos Lächeln und wich einem nachdenklichen Ausdruck, bevor er begann vorzulesen: „Heyho reicher Sack, dein Häschen is voll bis über die Möhre und pennt bei uns. Fürn kleines Lösegeld schick ich ihn morgen zurück. Süße Träume xxx. Steht zwar kein Name dabei, aber ich schätze mal, dass nur Kid so charmant schreiben kann.“ Mit einem ironischen Schnauben legte er sein Handy zurück auf den Tisch und Ace wurde wiederholt deutlich, dass sich Marcos wenig euphorische Meinung über Kid wohl kaum ändern würde. „Ich bin danach Schlafen gegangen, aber es blieb ohnehin die letzte Nachricht“, schloss der Firmenerbe seinen Vortrag. Ace atmete erleichtert aus und konnte sich für einen Moment sogar ein leichtes Lächeln abringen, überdachte er die Worte der Nachricht. Klingt nüchtern genug für Kids Standards. Vielleicht ist wirklich nichts gelaufen… Wahrscheinlich... Ace wich erschrocken zurück, als er plötzlich an der Wange berührt wurde. Perplex blickte er in Marcos blaue Augen und verfolgte dessen ausgestreckten Arm, der nun ins Leere Griff, nachdem sich Ace ihm entzogen hatte. „Entschuldigung…“, formten seine Lippen und ließen Ace schuldbewusst zur Seite blicken. „Sorry… Mein Kopf bringt mich um… Ich denke, ich sollte was schlafen“, brachte Ace hervor. Er fühlte sich mit einem Mal dreckig; niemals gut genug für einen Mann, der treudoof auf ihn gewartet hatte, während er besoffen durch die Weltgeschichte gewandelt war; für einen Mann, der ihn nun so unverdient besorgt musterte: „Wir sind heute Abend bei Thatch eingeladen… Aber ich kann ihm absa-…“ „Nein!“ Ace war selbst erschrocken über seinen lautstarken Einwand und starrte in Marcos verblüfftes Gesicht, das ihn sogleich zur Erklärung aufrief. „Nein. Du solltest auf jeden Fall gehen. Ich hatte gestern meinen Spaß, du heute. Ist nur fair. Ich meine… Es tut mir Leid, aber ich sollte mich wohl lieber ausruhen. Gestern war wohl doch etwas… etwas…“, verzweifelt suchte er nach einem Adjektiv. „Wild?“, schlug Marco scherzend vor, doch sorgte er keineswegs dafür, dass sich sein Freund besser fühlte. Wenn du wüsstest… Ace fuhr sich erschöpft durch die immer noch schweißnassen Haare. Marcos Nähe machte ihn immer nervöser, so dass er aufstand, zur Küchentheke schlenderte, sein Handy ans Ladekabel anschloss und nach wenigen Sekunden einschaltete. Die Übelkeit wollte einfach nicht von Ace‘ Zunge verschwinden und die zuvor angenehme Klimaanlagenluft fühlte sich nun wie ein eisiges Brennen auf seiner prickelnden Haut an. Ace konnte einfach nicht verstehen, wie er so sehr die Kontrolle hatte verlieren können und mit dem Blick auf seinen Freund auf der Couch, der ihn so nachdenklich musterte, konnte er sich nicht einmal mehr daran erinnern, wieso er auf ihn hatte sauer sein können. In diesem Moment hasste er sich geradezu für seine destruktive Impulsivität. Indes sprang Marco mit Elan auf, trat auf Ace zu, der im selben Augenblick zurück zum Sofa schlich und seinen Freund mit einem Fragezeichen auf der Stirn zurückließ. Argwöhnisch und leicht unzufrieden griff der blonde Firmenerbe nach seiner Wasserflasche und nahm einen weiteren Schluck: „Du würdest mir sagen, wenn etwas nicht stimmt, oder Ace?“, erkundigte er sich schließlich mit einer leichten Schwere in den Worten. Ace zuckte zusammen, fühlte sich auf die Prozessbank gesetzt, ohne, dass es Marcos Absicht sein konnte, denn er war sicherlich nur besorgt. „Klaro“, murmelte Ace bemüht lethargisch in sich hinein, beugte sich nach vorn und kniff Augenlider und Lippen fest zusammen, um einen verzweifelten Aufschrei zu unterdrücken. Er hörte erst Marco seufzen, dann das Glas, das auf das Holz der Theke gestellt wurde. Schweigen legte sich um sie, unangenehm wie verräterisch in der schwülen und doch künstlich gekühlten Luft des Spätsommers. Kurz fürchtete Ace eine weitere Nachfrage, dann wurde die Atmosphäre von einem schrillen Piepen durchschnitten. Schritte hallten hinter dem Sofa, gingen fort, kamen näher und marschierten schließlich an ihm vorbei. „Ich bin in einer Stunde zurück. Ruh dich aus“, erklärte Marco und drückte einen Kuss auf Ace‘ Hinterkopf, woraufhin sich dessen Körper automatisch verkrampfte. Langsam nur lugte Ace hinter seinen schwarzen Strähnen hervor, hob eine Hand und versuchte mit seiner traditionellen Phrase Normalität in die Unbehaglichkeit der Situation zu bringen: „Viel Spaß, du kranker Fitnessfanatiker.“ Marco ließ ein leichtes Schnauben hören, öffnete die Tür und verabschiedete sich mit den Worten: „Das war eben dein Handy. Eine Nachricht von Law.“ Die Tür fiel in Schloss, während Ace‘ Herz in die Hose sackte. ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)