Wer Wind sät von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Ivan --------------- Die Welt sagt immer, wir sind das, was die Abtei und Balkov aus uns gemacht haben... Doch wissen sie nichts über unsere Vergangenheit, die uns weit mehr zu dem machte, was wir heute sind. Sie lehrte, prägte, verletzte, tötete... Balkov wusste dies lediglich zu nutzen und zu pflegen, zu schöpfen und keimen zu lassen... He wakes up haunted With voices in his head Nobody knows it but today He won't go unnoticed He can't forget Can't forgive For what they said He's never been so hurt but Today the screaming Is over [Three Days Grace] Leises Schluchzen erfüllte den dunklen Raum. Die Straßenlaterne warf ihr schummriges Licht durch das hohe Fenster, dessen Vorhänge offen standen, sodass das Zimmer schemenhaft zu erkennen war. So auch die kleine Gestalt, die eng zusammen gerollt in ihrem Bett lag, die Decke schützend über den gesamten Körper gezogen. Dennoch war das Beben eben jener zitternden und von Weinkrämpfen geschüttelten Gestallt deutlich zu erkennen. Immer und immer wieder stellte sich das Kind die Frage nach dem Warum, während ein Schluchzer auf den Nächsten folgte. Warum taten sie ihm das an? Warum taten sie ihm so weh? Warum ließen sie ihn nicht einfach in Frieden? Er hatte doch nichts gemacht… nichts getan… niemandem! Aber wie jede Nacht fand er keine Antwort… Keine Antwort auf seine verzweifelten Fragen, die ihm keine Ruhe ließen. Und wie jede Nacht schlief er unter Tränen ein… ~ Hämisches Gelächter um ihn herum. Eine Beleidigung folgte der Nächsten, jede traf ihn hart, erniedrigte ihn ein weiteres Mal von neuem. Er versuchte wegzuhören, an andere Dinge zu denken, und kniff seine Augen fest zusammen, um nicht in ihre zu gemeinen Fratzen verzogenen Gesichter zu blicken. Sie bildeten einen Kreis um ihn herum, zeigten mit dem Finger auf ihn und er hatte das Gefühl, dass ihr Lachen nur noch bösartiger wurde. Er wollte weg. Einfach nur weg. Konnte sich aber nicht bewegen. Er war wie erstarrt. Ängstlich presste er die Hände auf seine Ohren, konnte ihre nur so vor Boshaftigkeit triefenden Worte nicht mehr ertragen. Er hatte das Gefühl, sie kämen immer näher. Ängstlich zuckte er zusammen, als er plötzlich spürte, wie man ihn von hinten packte und schubste, sodass er schmerzhaft auf dem Boden zum Liegen kam. Er verzog das Gesicht und versuchte sich aufzurichten, da spürte er schon einen weiteren, stechenden Schmerz, der ihn aufstöhnen lies und ihm die Tränen in die Augen trieb. Der Nächste aus dem Kreis war heran getreten und hatte ihm in die Seite getreten, was von weiteren Jubelrufen und Gelächter begleitet wurde. Quälend langsam schaffte er es dann doch, in eine aufrechte Position zu kommen, da spürte er schon, wie er an den Haaren nach oben gerissen und nach vorne geschubst wurde, sodass er gegen eine andere Gestallt prallte, die ihn mit einem Fausthieb auch direkt wieder von sich stieß. Diesmal konnte er sich gerade noch auf den Beinen halten, da wurde er plötzlich von hinten gepackt und festgehalten. Panisch riss er die Augen auf, während ihm langsam die Tränen über die Wangen liefen. Blitzartig stand auf einmal einer von ihnen genau vor ihm. Er blickte erschrocken zu ihm herauf, sah direkt in das verachtende Gesicht, in die Augen, die ihn gierig anfunkelten. „Na? Wollen wir nicht mal nachsehen, ob unsere kleine Pussy beschnitten ist?“, fragte die große Gestallt in die Runde, worauf zustimmender Beifall folgte. Hysterisch sah er sich um. Es gab keine Fluchtmöglichkeit und ehe er einen weiteren Gedanken fassen konnte, spürte er schon die Hände des anderen an seiner Hose, die diese mit einem Ruck herunter zogen… ~ Erschrocken fuhr der kleine Junge aus seinem Schlaf. Die Augen waren vor Angst weit geöffnet, ja sogar kleine Tränen standen in ihnen, und sein Atem ging hektisch. Angespannt sah er sich um und beruhigte sich erst wieder, als er merkte, dass er alleine in seinem Zimmer war. Es war also nur ein Traum. Ein Alptraum… Jetzt verfolgten sie ihn nicht mehr nur tagsüber, sondern auch noch in seinen Träumen. Er konnte immer noch ihre Stimmen hören, wie sie ihn beleidigten, ihn erniedrigten, wie man es sich kaum vorstellen konnte. Verstohlen wischte er sich über die feuchten Wangen, schniefte kurz und warf einen Blick auf den Wecker, der auf seinem Nachttischchen stand. Bald müsste er aufstehen. Er wollte nicht. Am liebsten würde er sich unter seiner Bettdecke verstecken und nie wieder unter ihr hervor kriechen, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Wenn er vor den Anderen beim Frühstück unten sein wollte, musste er sich langsam aus dem Bett bewegen. Dies tat er dann auch. Er schlug die warme Decke beiseite und stand langsam auf, wobei er leicht zusammen zuckte, als seine kleinen Füße den kalten Boden berührten. Er nahm sich seine Alltagskleidung und ein Handtuch aus dem großen, aus dunklem Holz gemachten Schrank und trat aus seinem Zimmer. Leise tapste er über den langen und dunklen Flur zu den Gemeinschaftswaschräumen, stets darauf bedacht, nicht die Dielen zu betreten, von denen er wusste, dass sie quietschten, und ging hinein. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich, achtete kleinlich darauf, keine Geräusche zu erzeugen, und schaltete dann das Licht ein. Im ersten Moment kniff er noch die Augen zusammen, da die plötzliche Helligkeit ein wenig stach, aber er gewöhnte sich schnell daran und durchquerte den Vorraum des Saals, um zu den Regalen zu gelangen. Dort legte er seine Kleidung an seinem Stammplatz ab, während er sich dann auch seines Pyjamas entledigte und tapste daraufhin zu den Duschen. Er stellte sich unter die in der hintersten Ecke und ging, während er das Wasser anstellte, ein wenig zur Seite. Die Duschen hier brauchten immer eine Weile bis sie warm wurden, wenn sie es denn überhaupt taten. Aber heute schien er wohl doch etwas Glück zu haben. Er stellte sich unter das nun lauwarme Wasser und versuchte nicht daran zu denken, was ihn im Laufe des Tages noch erwarten würde. Er dachte lieber daran, dass sie heute mal wieder Besuch kriegen würden und ganz vielleicht war auch Jemand dabei, der sich für ihn interessierte. So hatte es ihm zumindest Oxana, eine der Betreuerinnen, erklärt und er glaubte ihr. Er glaubte ihr eigentlich fast alles. Selbst wenn sie ihm erzählen würde, dass die Erde eine Scheibe sei, er würde es ihr glauben, und dabei wusste doch jeder, dass das nicht stimmt. Zumindest die, die wie er schon in die 2. Klasse gingen. Er glaubte ihr auch, dass die anderen es nicht so meinten, auch wenn ihm das von Tag zu Tag schwerer viel. Aber sie hatte gesagt, dass es so ist und dann wird es wohl auch so sein. Plötzlich zuckte er erschrocken zusammen. Leise Stimmen drangen aus dem Vorraum zu ihm durch. Hatte er so lange unter der Dusche gestanden, dass sie schon wach waren? Er spürte wie er langsam panisch wurde. Er stellte die Dusche aus und versuchte, den Klos ein seinem Hals herunter zu schlucken. Dann ging er langsam in Richtung der Stimmen, die auch näher zu kommen schienen. „Na, du kleine Made? Bist du auch schon wach?“, grinste ihn einer von ihnen hämisch an, als er an ihnen vorbei ging. Sein Blick war starr auf den Boden gerichtet. Wenn er sie nicht beachtete, würden sie ihn vielleicht auch nicht beachten. Er spürte zwar noch, wie er angerempelt wurde, aber es passierte nichts weiter. Ein wenig wunderte es ihn schon, denn so leicht hatten sie ihn noch nie in Ruhe gelassen. Aber vielleicht war heute doch sein Glückstag. Noch immer hörte er ihr Gelächter, während er auf seinen Platz zu ging und langsam seinen Blick hob, worauf sich seine Augen vor Entsetzten weiteten. Wo waren seine Sachen? Er hatte sie doch genau da hingelegt! Das tat er doch immer und sie konnten doch nicht einfach verschwinden. Mit Ausnahme… Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Deswegen hatten sie ihn also eben in Ruhe gelassen. Er biss sich auf die Lippen, während seine Schultern anfingen zu beben. Er hatte das Gefühl, ihr Gelächter direkt hinter sich zu hören. Sollte er jetzt etwa so in sein Zimmer? Dann würde ihn doch jeder sehen… „Oh schaut mal, der Kleine ist ja immer noch hier. Vermisst du was?“, fragte einer von ihnen mit zuckersüßer Stimme. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. Er wollte nicht, dass sie sahen, wie er hier schon wieder am rum heulen war. Außerdem schämte er sich, so entblößt vor ihnen zu stehen. Fieberhaft überlegte er, was er tun sollte und kam am Ende zu dem Entschluss, dass ihm wohl nichts anderes übrig blieb, als so schnell wie möglich in sein Zimmer zu laufen. Doch bevor er dies überhaupt in die Tat umsetzten konnte, hörte er wieder einen der Anderen etwas sagen: „Hat deine Mami dir etwa nicht beigebracht, dass man antwortet, wenn man etwas gefragt wird? Ach entschuldige, kann sie ja gar nicht, sie wollte dich ja nicht mal haben.“ – „Den würde ich auch nicht haben wollen“, lachte der Nächste, während der Dritte im Bunde langsam auf den Kleinsten der Anwesenden zu ging und ihn voller Hohn ansah. „Ich denke, wir sollten das mal nachholen…“, sprach er und bevor der kleine Junge reagieren konnte, hatten sie ihn schon gefasst und zogen ihn Richtung Ausgang. „Nein, bitte nicht!“, flehte er, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. Doch es half nichts... Sie zerrten ihn weiter und während einer von ihnen die Tür öffnete – er konnte schon den Lärm der anderen Kinder auf dem Gang hören - schoben die anderen ihn hinaus. Er kniff die Augen zusammen, wollte nicht sehen, wie die anderen ihn auslachten... Aber er konnte nicht vermeiden, dass er sie hörte. Er spürte, wie er losgelassen und nach vorne gestoßen wurde, konnte sich gerade noch fangen. Ohne sich umzusehen, rannte er in sein Zimmer, schloss die Tür hinter sich mit einem lauten krachen, verkroch sich in seinem Bett und zog die Decke über sich. Er presste die Hände auf seine Ohren, wollte ihr verächtliches Gelächter nicht mehr hören und während er versuchte, ihre Stimmen aus seinem Kopf zu vertreiben, konnte er ein lautes Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Inzwischen waren die Geräusche auf dem Gang leiser geworden. Sie waren wohl auf dem Weg nach unten zum Frühstück. Dort hätte er eigentlich auch jetzt hingehen sollen. Eigentlich… Nach dem, was eben passiert war, wollte er sein Zimmer am liebsten nie wieder verlassen. Und das tat er auch nicht. Zumindest solange nicht, bis sie alle schon auf dem Weg zur Schule waren. Er hatte sich in der Zwischenzeit schon angezogen, schnappte sich nun seine Schultasche und ging hinunter. Wie erwartet, war keiner mehr da. Einzig eine der Nonnen kam ihm entgegen, lächelte freundlich und war schon im nächsten Raum verschwunden. Da auch der lange Tisch, der fast von einem bis zum anderen Ende des Raumes reichte, schon abgedeckt war, ging er also ohne etwas zu essen los. Während er auf dem Weg zur Schule war, hoffte er, dass der Tag nicht noch schlimmer werden würde… Eigentlich hoffte er das jeden Tag, bemerkte er wieder einmal. Er war so sehr in Gedanken versunken, dass er gar nicht merkte, dass er schon vor der Schule stand. Erst das Klingeln der Glocke lies ihn aufschrecken. Er ging in seine Klasse und war froh, dass seine Klassenkameraden ihn wenigstens nicht beachteten, im Vergleich zu den Älteren der Schule. Er war seit knapp zwei Jahren schon in der Schule, aber mit jemanden anfreunden, oder zumindest ein wenig auskommen, konnte er nicht. Dabei wusste er nicht mal, woran das lag. Er hatte ihnen nie etwas getan… Die Älteren machten sich immer darüber lustig, dass er, obwohl er schon sieben Jahre alt war, immer noch so klein war. Allgemein machten sie sich immer über sein Aussehen lustig. Seine viel zu große Nase, seine Haarfarbe, eigentlich über alles an ihm. Dazu kam dann noch seine tollpatschige Art, die ihnen immer wieder Anlass bot, ihn auszulachen. Seufzend setzte er sich auf seinen Platz. Gerade war die Lehrerin herein gekommen, der Unterricht begann. Die Stunden zogen sich wie Kaugummi, während er alle paar Minuten auf die Uhr sah. Eigentlich machte ihm der Unterricht immer recht viel Spaß, aber heute war das irgendwie nicht so. Er würde sich lieber wieder in seinem Bett verkriechen. Als dann auch endlich der erlösende Gong ertönte, packte er so schnell er konnte seine Sachen zusammen und lief aus dem Klassenzimmer. Er hoffte, dass die anderen Schüler nicht so schnell waren wie er. Die Älteren hatten bestimmt herum erzählt, was heute in der Dusche passiert war und er hatte heute einfach keine Kraft mehr, das, was folgen würde - begegne er ihnen - zu ertragen. Als er gerade den Schulhof verlassen wollte, hörte er hinter sich ein paar bekannte Stimmen: „Hey, du kleine Missgeburt, wo willst du denn so schnell hin?“ – „Willst du uns nicht erzählen, was du heute Morgen gemacht hast?“ Er blieb stehen, obwohl er nichts lieber täte, als weglaufen. Aber er wusste, dass es nichts bringen würde. Die anderen waren viel schneller als er und hätten ihn in null Komma nichts eingeholt. „Ich… Ich w-weiß nicht, wovon ihr sprecht…“, stotterte er sich zusammen. „So, so… Der kleine Bastard weiß es also nicht. Was meint ihr? Sollen wir seinem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen?“ Zustimmende Laute. Ängstlich sah er die anderen Jungen an. Die wollten doch nicht wirklich…? An ihren fies grinsenden Gesichtern konnte er erkennen, dass es doch so war. Er war sich sicher, dass es nichts bringen würde, aber als er sie auf sich zukommen sah, nahm er die Beine in die Hand und lief so schnell weg wie er konnte. „Los, den schnappen wir uns!“, hörte er ihre Stimmen und kurz darauf ihre Schritte. Er wusste, dass sie immer näher kamen, aber er dachte nicht daran, stehen zu bleiben. Er lief und lief. Er lief, bis er spürte, dass er irgendwo hängen blieb und ehe er reagieren konnte, lag er schon der Länge nach auf dem Boden. Er fühlte einen starken Schmerz in seinen Knien, der ihm sogar die Tränen in die Augen trieb, die ihm bald darauf über die Wangen liefen, begleitet von einem lauten Schluchzen. Es war ihm sogar egal, dass die anderen ihn heulen sehen würden. Er hatte nicht einmal mehr die Motivation aufzustehen, sie würden ihn ja eh kriegen. Er erwartete jeden Moment, dass sie bei ihm auftauchen würden und er kniff die Augen zusammen, als er vor sich auf einmal ein paar Füße stehen sah. „Willst du nicht aufstehen, Kleiner?“, hörte er die Stimme des Besitzers. Verwirrt blinzelte er. Diese Stimme kannte er nicht. Obwohl ihm weiterhin die Tränen hinunter liefen, hob er vorsichtig den Kopf, ehe er sich aufsetzte, weiterhin die Schmerzen spürend. Vor ihm stand ein Mann mittlerer Größe. Er trug komplett schwarze Kleidung, die ihn ein wenig furchteinflößend aussehen ließ. Dies wurde durch den langen schwarzen Mantel und einer Maske mit roten Augen noch verstärkt. Ängstlich sah er erst den Mann an, dann seine Umgebung. Er war in eine recht kleine Gasse gelaufen. Seine Verfolger konnte er nicht ausmachen. „Tut es sehr weh?“, sprach ihn der Mann ein weiteres Mal an und er konnte nur nicken. Traute sich nicht, etwas zu sagen, sah lieber auf seine Knie. Seine Hose war an beiden Stellen aufgerissen und er konnte erkennen, dass es blutete. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Mann etwas in seiner Manteltasche suchte und sich dann zu ihm herunter kniete. „Hier nimm.“, bot er ihm ein Taschentuch an. „So große Jungen, wie du, weinen doch nicht.“ Der Fremde lächelte ihn freundlich an, während er ihm vorsichtig das Taschentuch abnahm und ein leises ‚Danke’ nuschelte. Er wischte sich über die Augen und sah den Mann dann an. „Wie heißt du?“, fragte dieser ihn. „Ich…“, fing er mit rauer Stimme an, räusperte sich leise und sprach weiter. „Ich heiße Ivan… Und… Und Sie?“ „Mein Name ist Balkov…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)