Die Wölfe 5 ~Das Blut des Paten~ von Enrico (Teil V) ================================================================================ Kapitel 42: ~Es wird Zeit~ -------------------------- Die Stille ist nicht zu ertragen und diese vier Wände erscheinen mir von Minute zu Minute kleiner. Wie soll ich das, nur den Rest meines Lebens aushalten? Nie wieder Motorrad fahren, nie wieder einfach dahin gehen, wo ich will, nicht mal die Beine kann man sich hier drin vertreten. Keine Fenster mehr ohne Gitter, keine offenen Türen, jeder Schritt überwacht. Schon beim bloßen Gedanken, für immer eingesperrt zu sein, bekomme ich Panik. Unruhe schleicht sich in mein Herz und lässt es rasen. Ich atme gequält und lege mich auf die Pritsche, ich brauche dringend Ablenkung. „Rede mit mir, erzähl mir irgendwas!", bitte ich Toni. „Was willst du denn wissen?" Gute Frage, eigentlich beschäftigt mich nur der Gedanke, wann und ob ich hier wieder raus kann, doch das kann er mir nicht beantworten. „Wie läuft's im Club so?", will ich stattdessen wissen, auch wenn es mich nicht wirklich interessiert. Toni seufzt und steckt sich eine neue Zigarette an. Er nimmt einen Zug, bevor er mir antwortet: „Ich habe keine Ahnung!" Ich lege den Kopf in den Nacken, um ihn ansehen zu können. Wie meint er das, er hat keine Ahnung? Er schaut unter meinen Blick hinweg. „Ich hab mir die letzten Tage die Kante gegeben und war meistens so zu, dass ich nicht viel mitbekommen habe." „Warum überhaupt?" Er seufzt und schaut aus dem vergitterten Fenster. „Ich hab eigentlich nie darum gebeten, die Wölfe anzuführen!" Hab ich mich verhört? Er wollte doch unbedingt den Club haben. Seit Wochen liegt er mir damit in den Ohren. „Du wolltest doch die ganze Zeit meine Hälfte des Clubs." „Die Idee ist nicht auf meinen Mist gewachsen!" Ach nein? Auf wessen dann? „Anette wollte das unbedingt. Ich habe mit dem ganzen Geschäftskram nichts am Hut", entgegnet er, „Ich will diesen ganzen Ärger nicht am Hals haben. Nutten zu ihrem Job zu zwingen, grobe Freier vor die Tür zu setzen und den Clan zusammen zu halten, das waren immer deine Aufgaben. Mir hat es gereicht, einfach nur an deiner Seite zu sein und einzuspringen, wenn es brenzlig wurde." Verdammter Idiot. Warum hat er denn nichts gesagt? „Warum bist du nicht deswegen zu mir gekommen?" Er lächelt bitter. „Was hätte ich dir denn sagen sollen? Das mir das alles zu viel ist? Du hast dich doch auf mich verlassen!" „Ich hätte schon jemand anderen für den Job gefunden!" „Und Aaron?" „Denn hätte ich auch noch überzeugt!" Er schweigt und sieht betreten gen Boden. Mir fällt nichts mehr ein, was ich ihn fragen kann, also wende ich meinen Blick aus dem vergitterten Fenster. Wenn wir doch nur irgendwo dort draußen wären und nicht in dieser stinkenden Zelle. Der Pate ist tot, ich habe jetzt alle Hände voll zu tun. „Enrico, darf ich dich mal etwas fragen und du antwortest offen und ehrlich?", meint er auf einmal sehr ernst. Ich nicke und sehe ihn an. „Warum schläfst du eigentlich mit jedem Weib, das dich aufspringen lässt und jetzt auch noch mit Jan? Als Robin damals hinter unser Verhältnis gekommen ist und uns geraten hat, uns auf eine Frau einzulassen, um zumindest nach außen hin den Schein zu wahren, war es dir noch genau so unangenehm wie mir, und jetzt? Mir ist das mit Anette schon zu viel. Selbst als sie Schwanger war, habe ich es nicht über mich gebracht, sie zu heiraten. Aber du hast eine nach der anderen." Ich werde nachdenklich. Wir hatten noch Glück, dass es nur Robin war, die uns damals erwischt hat. Sie waren mir sehr ähnlich, das Geschlecht ihres Partners, war ihr herzlich egal. Ich habe sie sehr oft mit Frauen zusammen gesehen, manchmal auch mit mehren Männern. Sie liebte das Abenteuer, gerade beim Sex. In ihrer Villa trafen sich oft Pärchen aus der Szene, dort waren wir unter gleich gesinnten, auch wenn wir das aufgrund unserer Stellung im Clan, nie zugeben konnten, war ich gerade deswegen, immer sehr gern bei ihr. Zum Glück war sie unsere Ausbilderin und keiner hat verdacht geschöpft, wenn ich sie dort besucht habe. Doch dieses Thema hatten wir seit Jahren nicht mehr, ich habe beinah vergessen, warum ich überhaupt etwas mit Frauen angefangen habe, obwohl ich damals schon längst mein Herz an ihn verloren hatte. „Naja, ich mag auch Frauen", gebe ich zu. Sie haben ganz andere Vorzüge, einen weichen Busen und gleich drei heiße Löcher zum erforschen, aber das ist nicht alles. „Aber eigentlich will ich, dass du eifersüchtig wirst!" Toni schaut finster, doch ich fahre unbeirrt fort: „Bei dir weiß ich nie, woran ich bin. Einmal willst du nur Freundschaft, dann überwältigst du mich in der Dusche. Erst verlässt du Frau und Kind für mich, dann pennst du mit Anette und machst wieder einen auf heile Familie. Ich weiß nie, was du wirklich willst, außer wenn ich dich eifersüchtig mache." „Idiot!" Mehr sagt er nicht dazu? Wieso schweigt er jetzt wieder? Ich seufze. Eigentlich reicht er mir doch völlig, wenn ich nur immer so dürfte, wie ich will. Aber ganz ohne Sex, nur weil er mal wieder herum spinnt, dass halte ich nicht aus. „Ich bin süchtig nach dir und nach Sex mit dir!", gebe ich zu. Er schaut irritiert. „Wenn es nach mir geht, würde ich Tag und Nacht in oder auf dir verbringen, aber das willst du nicht, also such ich mir halt jemand anderen dafür." „Wer sagt denn, dass ich das nicht will?" Blöde Frage! „Du, immer mal wieder, je nach dem, wie deine Laune ist." Er wendet sich ab und schweigt. Wie ich das hasse. „Jetzt sei du mal ehrlich! Was willst du eigentlich wirklich von mir?" Er seufzt und sieht mit ernster Mine auf. „Ich will dass du damit aufhörst!" „Womit?“ Ich schaue fragend. „Hör auf mit anderen ins Bett zu steigen, egal ob Mann oder Frau! Du gehörst nur mir, mir allein!" Ich belächle ihn amüsiert. Das glaubt er doch nicht wirklich, oder? Ich gehöre niemandem, schon gar nicht ihm. Doch je langer ich ihn anschaue, um so mehr beschleicht mich das ungute Gefühl, dass ich nicht mal was dagegen habe. Ach verdammt, die verfluchten grünen Augen und dieser verdammte ernste Blick. Na gut, er ist wirklich der Einzige, wo ich dass vielleicht akzeptiere, irgendwie sogar heiß finde. „Na gut! Aber dann bist du von heute an, jeden Abend fällig, dass ist dir hoffentlich klar! Ohne Sex, kann ich nämlich nicht gut einschlafen." Ich lege die Hände hinter den Kopf und lehne mich an die Wand. Er schmunzelt. „Also alles, wie in alten Zeiten!", lacht er und lehnt sich ebenfalls zurück. Mir zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht, als ich an die Zeit auf unserem Dach denken muss. „Nicht ganz, da hatte ich dich auch Tagsüber immer mal wieder!“ Er rollt genervt mit den Augen, dann schmunzelt er wissend. „Das schaffst du nie!" Ach nein? Wenn er Wort hält, schaffe ich das sehr wohl. „Die Wette halte ich! So lange du mir jeden Abend gehörst und mit dieser verdammten Freundschaftsmasche aufhörst, gehöre ich dir allein." Er lacht wieder. „Ich gebe dir eine Woche." „Mehr gebe ich dir auch nicht, bis du deine Meinung wieder änderst." Wir schweigen beide. Es gibt einfach viel zu viele gebrochene Versprechen zwischen uns, aber dieses würde ich wirklich gern halten, wenn er es auch tut und wir hier wieder raus kommen. Denn die Wahrscheinlichkeit dürfte schwindend gering sein, dass wir uns für immer eine Zelle teilen werden. Andererseits, wäre das Versprechen in einer gemeinsamen Zelle, viel leichter zu halten. Ich schmunzle vor mich hin, bis mir ein neuer Gedanke kommt: „Sag mal, das mit Anette und dir ist doch nur Tarnung, oder?“ Er nickt flüchtig. „Warum kommst du mir dann dauernd mit der Freundschaftsmasche und damit, dass du sie nicht verlieren willst?“ „Ich will Kira nicht verlieren!“ „Okay, das kann ich ja noch nachvollziehen, aber was ist mit Anette? Wegen ihr, bist du mir so oft blöd gekommen.“ Er seufzt hörbar, dann ringt er sich zu einer Antwort durch: „Weißt du, ich muss ständig so tun, als wenn mir was an einer Frau liegen würde. Ich schauspielere den ganzen Tag und manchmal habe ich dann die Hoffnung, ich bin doch normal und kann damit leben und dann sehe ich dich unter der Dusche und alles ist wieder hinfällig. Es wäre alles einfacher, wenn ich auf Frauen stehen würde. Manchmal versuch ich es mir deswegen wahrscheinlich einzureden und kann dann nicht mal vor dir damit aufhören.“ „Also willst du lieber ein Leben mit ihr, als mit mir?“, frage ich enttäuscht, auch wenn es sicher einfacher für uns alle wäre. „Nein, ich will eines mit dir und kann es nicht haben!“ Ich lächle versöhnlich, während mir eine Idee kommt. „Ich kaufe uns das alte Haus. Wir lassen es ausbauen und wann immer wir die Zeit finden, treffen wir uns dort. Das wird unser zu Hause, den Rest sehen wir einfach, wie unseren Job an.“ „Klingt gut! Aber nur wenn ich die Inneneinrichtung aussuchen darf. Dein Geschmack ist ätzend!“ „Von mir aus!“ Ich hab sowieso nicht viel mit Inneneinrichtung am Hut, das überlasse ich gern ihm, genau so, wie das Aufräumen. Gedanklich beginne ich mir dieses neue Leben schon auszumalen, bis mein Blick durch die Zelle schweift. „Schon seltsam, dass man uns erst in eine Zelle sperren muss, damit wir mal miteinander reden.“ Gerade jetzt, wo wir uns mal ausgesprochen haben, ist es schon fast zu spät. Wenn wir verurteilt werden, lohnt sich ein Hauskauf nicht. Die fröhliche Stimmung verschwindet allmählich. Toni sagt nichts, er schaut an sich hinab und betrachtet seinen Bauch über den sich das Hemd spannt. „Sag mal, hab ich wirklich zugenommen?“, will er wissen. Ich muss lachen. „Ja, ein bisschen schon. Das ruhige Leben ohne mich, bekommt dir eben nicht.“ Selbst jetzt bring er mich noch zum Lachen. Toni will gerade etwas erwidern, als die Tür aufgeschlossen wird. Erschrocken sehen wir beide auf den Spalt, der sich immer weiter aufschiebt. Ich rutsche auf der Pritsche zurück und auch Toni nimmt eine aufrechte Haltung ein. Die Zigarette drückt er hinter sich am Boden aus und verstaut die Schachtel in seiner Jackentasche. Als wenn man nicht auch so deutlich genug riechen würde, das hier drin geraucht wurde. Die Kippen dürfte er gleich los sein. Das kann was werden, Toni hinter Gittern und auf Entzug. Ein schmächtiger Polizist tritt ein. Wir atmen beide erleichtert durch, als Jan allein herein kommt. Seinen finsteren Blick kann ich nicht deuten, als er fordert: „Mitkommen!" Ich schaue Toni fragend an, doch er zuckt nur mit den Schultern und steht auf. Gemeinsam folgen wir Jan, der uns den Rücken zuwendet und die Zelle verlässt. Will er uns nicht mal Handschellen anlegen? Wissen seine Kollegen, was er hier macht? Als wir ihn eingeholt haben und ich auf gleicher Höhe mit ihm laufe, lässt er mich leise wissen: „Ihr habt mehr Glück als Verstand! Der Butler hat für euch ausgesagt und eure Leute im Club haben bestätigt, dass ihr zur Tatzeit im Midnights wart. Ihr könnt gehen!" Jester lebt? Gleich zwei riesige Felsbrocken fallen mir vom Herzen. „Jester lebt also? Wie geht es ihm?", will ich wissen. „Den Umständen entsprechend. Ich würde euch ja zu ihm ins Krankenhaus bringen, aber wir haben ein ganz anders Problem. Holt eure Sachen, wir treffen uns in fünf Minuten zwei Blocks weiter in der kleinen Seitenstraße." Ein anderes Problem? Ich muss schwer schlucken. Jans Blick ist unheilvoll, das bedeutet nichts Gutes. Wir trennen uns. Während Jan uns bei einem seiner Kollegen zurück lässt, verschwindet er durch den Haupteingang. Der Polizist hinter dem Schreibtisch, übergibt mir meine Brieftasche, Schlüssel und meine Pistole. Auch Toni bekommt seine Wertsachen zurück. Als ich die Waffe verstaue, spüre ich einen finsteren Blick auf mir. Ich drehe mich nach dem Polizisten um. Jans Vater knirscht mit den Zähnen, den Kaffeebecher in seiner Hand, drückt er so fest, dass ihm der Inhalt über die Finger schwappt. Ich muss schmunzeln, als er sich das heiße Getränk weg schüttelt. „Bis zum nächsten Mal!", rufe ich ihm zu und lächle verschmitzt. Die Wut steht dem Kommissar ins Gesicht geschrieben. Er muss mich schon wieder laufen lassen, dass muss ihm ganz schön zusetzen. Ein harter Schlag trifft mich am Oberarm, erschrocken fahre ich herum. Toni sieht mich mahnend an, mit einem Schwenk seines Kopfes deutet er auf den Ausgang. Stimmt ja, Jan wartet auf uns. Gemeinsam verlassen wir das Präsidium und folgen der Straße zwei Blocks weiter. Die Menschen, die uns entgegen kommen, betrachten uns argwöhnisch, einige bleiben stehen. Unsere blutige Kleidung ist viel zu auffällig. Egal was Jan uns zu berichten hat, wir sollten uns wenigstens was Neues anziehen. Als wir die Seitenstraße erreichen, wartet der Polizist schon auf uns. Er lehnt an seinem Polizeiwagen und hat die Arme verschränkt. Sein Blick ist noch immer unheilvoll. Verdammt! Noch mehr schlechte Nachrichten, kann ich heute echt nicht brauchen. „Steigt ein!", fordert er. Wir tun was er sagt. Während ich auf dem Beifahrersitz platz nehme, steigt Toni hinter mir in den Wagen. Jan setzt sich ans Steuer und zieht die Tür zu. „Was ist so wichtig, dass du uns gleich ne Polizeieskorte gibst?", will ich endlich wissen. Jan steuert den Wagen auf die Straße. „Es gab eine Schießerei in eurem Club. Gerade kam auch noch ein Funkspruch durch, dass die Feuerwehr verständig wurde!" „Was!", entfährt es mir. „Er wollte uns nur aus dem Weg haben!", höre ich Toni von der Rückbank rufen. „Wahrscheinlich. Wenn ich die Beschreibungen richtig gedeutet habe, ist Michael dort!" Mir bleibt der Mund offen stehen. Das kann doch nicht wirklich passieren, oder? Alles wiederholt sich! Die Schießerei und das Feuer von damals. Meine Gedanken überschlagen sich: Was ist mit meinen Leuten? Geht wirklich gerade alles in Flammen auf, was ich eben erst wieder aufgebaut habe? „Toni, auf dem Rücksitz liegt eine braune Decke!" Mein Leibwächter kramt hinter uns herum, ich beobachte ihn im Rückspiegel. Was wickelt er da aus? „Für uns alle bringst du es heute Nacht endlich zu Ende!", richtet sich Jan an mich. Ich verstehe nicht, bis Toni eine lange Klinge aus dem Stoff löst. Das ist doch das Schwert, mit dem Aaron getötet wurde. Hat Jan es etwa aus der Beweismittelkammer entwendet? „Dieses Mal legen wir den Dreckskerl um, nur keine Sorge!" Mordlust spiegelt sich in Tonis Augen, als er die blutige Klinge betrachtet. Ich atme schwer. Das alles geht mir viel zu schnell. Ich will mir gar nicht vorstellen, Michael in wenigen Minuten gegenüber zu stehen. Der Anschlag vor fünf Jahren, die Folter bei den Drachen, alles kommt auf einmal in mir hoch. Was wenn sich auch das wiederholt? Meine Hände beginnen zu zittern, mir wird eiskalt. Ich habe dem Kerl noch nie etwas entgegen zu setzen gehabt, warum sollte es dieses Mal anders sein? „Enrico!", rufen Jan und Toni, doch ich kann nur auf die Straße sehen, die immer schneller an uns vorbei fliegt. Wir sind gleich in Brooklyn, wenn Jan weiter so rast, sind wir in fünf Minuten am Mitnightsclub. Ein immer größer werdender Kloß lässt mich schwer schlucken, das Herz trommelt unbarmherzig gegen meine Rippen. Ich kann die festen Blick meiner Freunde auf mir spüren. „Du wirst nicht mehr weglaufen, hast du mich verstanden!", fordert Jan. Er hat mich fünf Jahre lang auf meiner Fluch begleitet, scheinbar hat ihm das gereicht. Ich versuche mich zu beruhigen und atme tief durch. Jan hat recht, ich bin lange genug davor davon gelaufen. Selbst die letzten Wochen und Monate habe ich mich davor gescheut, die Drachen anzugreifen, obwohl sie uns ständig herausgefordert haben. Es wird Zeit! Heute Nacht wird es enden, auf die eine oder andere Weise. Immerhin habe ich einen Schwur einzulösen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)