Die Wölfe 5 ~Das Blut des Paten~ von Enrico (Teil V) ================================================================================ Kapitel 22: ~Die Beerdigung~ ---------------------------- Blut, der ganze Boden ist in Rot getaucht. Schmerzensschreie, so grauenhaft laut. Ein Frauenkörper, geschunden und krampfhaft zusammengerollt. Robin! Ihr zu Füßen liegt ein Kind, ein Junge. Er rührt sich nicht mehr. Rene! Weinen, hell und schrill. Ein Schuss! Ein kleines Mädchen fällt mir kraftlos in die Arme. Amy! "Amy!" Schreiend schrecke ich aus dem Schlaf hoch. Im Bett sitzend, sehe ich mich um: Vier dunkle Wände. Es ist so still, dass ich meinen eigenen Atem hören kann. Ich schaue auf den Platz neben mir. Rene dreht sich von einer Seite zur Anderen, er murmelt im Schlaf. Ich fahre mir durch die verschwitzen Haare. Es war nur ein Traum, Rene geht es gut und Amy ist bei ihrer Mutter, nur Robin ... Ich schiebe den Gedanken an die tote Freundin zur Seite und streiche Rene durch die struppigen Haare. Es geht ihm gut, er lebt und schläft ganz friedlich. Ein Glück habe ich ihn nicht geweckt, ich bin froh, wenn er mal eine Nacht durch schläft, ohne selbst von Alpträumen geweckt zu werden. Dafür bin ich jetzt hell wach und je länger ich mich in meinen Zimmer umsehe, um so kleiner erscheint es mir. Seufzend schiebe ich die Bettdecke von meinen Beinen und stehe auf. Um mich von diesen schrecklichen Bildern abzulenken, brauche ich jetzt frische Luft. Ich steige aus dem Bett und öffne das Fenster. Vom Mond am Himmel ist lediglich eine kleine Sichel zu sehen und nur die hellsten Sterne schaffen es, gegen das Licht der Stadt anzustrahlen. Eine milde Brise strömt ins Zimmer, endlich wird es wärmer, die kalten Tage des Frühlings sind dem Sommer gewichen. Ich steige über das Fensterbrett hinaus auf das Vordach. Hier draußen fühle ich mich gleich viel leichter und atme einige Male tief durch, bis auch die letzten Erinnerungsfetzen des Traumes aus meinen Gedanken verschwunden sind. Selbst hier halte ich es Nachts nicht in geschlossenen Räumen aus. Müsste das nicht langsam mal besser werden? Mit den Händen in den Hosentaschen, lasse ich meinen Blick über den Innenhof schweifen. Es ist so still, sicher ist die Feier bereits beendet und meine Leute haben sich auf den Heimweg gemacht. In der Ferne ragen die Hochhäuser der Stadt steil in den Himmel, sie leuchten heller, als die Sichel des Mondes. Robin werde ich da hinten nie wieder besuchen können. Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie einfach nicht mehr da ist, dass ich sie nie wieder um Rat bitten kann, sie nie wieder berühren werden. Heute Nachmittag ist ihre Beerdigung, dann wird von ihr nichts mehr bleiben, als ein Grabstein mit ihrem Namen. "Kannst du auch nicht schlafen?", spricht mich jemand von hinten an. Ich fahre zusammen, mein Herz setzt einen Schlag lang aus. Als mich auch noch eine Hand am Arm berührt, läuft es mir eiskalt den Rücken hinab. Leandro lächelt mich schief an, während ich ihn erschrocken mustere. Ich greife mir ans Herz und atme einige Male durch. "Man, musst du mich so erschrecken?" "Hast du mich denn gar nicht kommen gehört?" Ich schüttle mit dem Kopf. Das Kind kann sich so lautlos, wie eine Katze bewegen, aber wahrscheinlich lag es dieses Mal an mir. "Ich war in Gedanken. Warum bist du so spät noch wach?" Leandro verstaut die Hände in seinen Hosentaschen und sieht hinauf zum Sichelmond, als er mir antwortet: "Ich hab schlecht geträumt." "Geht mir genau so." Wir schweigen eine Weile und betrachten beide die Skyline der Stadt. Leandro hat in seinem jungen Leben schon so viel ertragen und verlieren müssen, trotzdem macht er auf mich immer einen fröhlichen Eindruck. Selbst jetzt nach einem Alptraum, hat er noch die Kraft für ein Lächeln. Wie macht er das bloß? "Obwohl dich Alpträume plagen und du so viel erleben musstest, sehe ich dich immer lächeln. Du beklagst dich nie, bist immer guter Dinge. Wie machst du das?", frage ich ihn irgendwann. Leandro sieht nachdenklich vor sich hin, er brauch einen Moment, bis er mir antwortet: "Mhm, weiß nicht. Mir geht es doch jetzt gut. Ich hab ein Dach über dem Kopf, was zu Essen, Freunde. Ich habe keinen Grund unglücklich zu sein, gerade weil es mir schon viel schlechter ging." Starke Worte für ein Kind von zwölf Jahren. Ich nicke verstehend und sehe wieder in die Ferne. Wenn ich doch nur genau so bescheiden sein könnte, wie dieses Kind, aber ein Dach über dem Kopf, Essen, Freunde und Familie reicht mir nicht. Leandro gähnt herzhaft und reibt sich die müden Augen. Ich beobachte ihn lächelnd und werde von seinem Gähnen angesteckt. "Vielleicht sollten wir beide wieder ins Bett gehen", murmelt der Junge. Für ihn mag das eine Option sein, aber ich finde heute sicher keine Ruhe mehr. Langsam trottet er über das Dach zum Fenster seines Zimmers. "Schlaf schön!", rufe ich ihm nach. Der Junge dreht sich noch einmal zu mir. Streng sieht er mich an, als er sagt: "Du solltest auch schlafen. Deine Augenringe reichen schon bis zum Boden." Ich schmunzle amüsiert. Das Kind hört sich schon an, wie Raphael und Susen. "Werd's versuchen", versichere ich ihm. Er nickt und klettert über das Fensterbrett zurück in sein Zimmer, ich höre ihn noch durch den Raum schlurfen, dann wird es wieder bedrückend still. Warum kann ich nicht so fröhlich und bescheiden sein, wie er? Meine Verletzungen heilen, meine Freunde und Familie stehen hinter mir, auch um Obdach und Essen brauche ich mir keine Sorgen machen und trotzdem fehlt etwas. Etwas das mich selbst in den chaotischsten Zeiten glücklich gemacht hat. Unweigerlich fällt mein Blick auf das Fenster, direkt neben meinem. Es ist nur angelehnt, so wie immer. Ich habe mich so oft Nachts über das Vordach in Tonis Zimmer geschlichen und mich zu ihm gelegt, ihn verführt oder einfach nur genervt. Trotzdem hat er es nie geschlossen. Das war doch sicher Absicht von ihm. Ganz gleich, wie oft er sich über die nächtlichen Überfälle auch beschwert hat, er hat sich nie eingeschlossen. Es hat ihm sicher gereicht, mir die Schuld an allem in die Schuhe schieben zu können und es trotzdem zu genießen. Erst als Anette vor kurzem mit ihm Schluss gemacht hat, warf er mich konsequent raus und trotzdem ist das Fenster immer offen geblieben. Aus ihm werde ich auch nach all den Jahre nicht schlau. Ob er seinen Kram schon zusammen gepackt und abgeholt hat? Ich gehe zum Fenster und schiebe es auf. Alles ist noch da. Das Bett ist gemacht, die Kissen sind gerichtet, die Bücher im Regal sind nach Größe sortiert. Nichts hat sich verändert, offenbar ist er nicht einmal hier gewesen. Ich steige in den Raum und gehe zum Kleiderschrank. Hemden, Hosen, alles liegt Kante auf Kante, nicht ein Kleidungsstück scheint zu fehlen. Wie seltsam. Er hat nichts mitgenommen. Wie kann er denn einfach alles stehen und liegen lassen? Seufzend schließe ich den Schrank und sehe auf das verlassene Bett. Kein Wort, keine Nachricht, nicht ein Anruf oder ein Zettel, hat er für mich hinterlegt. Ich ertrage dieses Schweigen nicht, da ist es mir lieber, er schreit mich an und streitet mit mir. Ob er wenigstens bei Robins Beerdigung auftaucht? Ich gehe die wenigen Schritte bis zum Bett, ziehe die glattgestrichene Decke vom Laken und lege mich auf seine Seite. Mit seinem Kissen im Arm wickle ich mich in der Decke ein. Ich atme nach seinem Duft, doch nach knapp drei Wochen, ist davon nicht mehr viel übrig. Bald wird er ganz aus dem Stoff verschwunden sein. Dieser verdammte Idiot! Fehle ich ihm den gar nicht? "Wo ist dein Vater?" Judy? Wieso sucht sie denn nach mir? Ich bin doch hier, Noch ganz verschlafen schaue ich mich um. Das ist nicht mein Zimmer, sondern das von Toni. Reflexartig schaue ich neben mich, doch dort liegt niemand, die zweite Decke ist noch immer säuberlich zusammen gelegt. Augenblicklich fällt mir Rene wieder ein, den ich in meinem Zimmer zurück gelassen habe. Ob er sich so ganz allein gefürchtet hat? Ich bin schon wieder nicht für ihn da, obwohl ich es sollte. Verdammt! Dabei wollte ich doch nur in Erinnerungen schwelgen und nicht einschlafen. Mein Blick geht zum Fenster, es ist heller Tag, das erste Mal seit Wochen habe ich durchgeschlafen und trotzdem fühle ich mich wie erschlagen. Ich ziehe die Decke weit über den Kopf, um das Licht des Tages abzudunkeln. Nur noch ein bisschen die Augen schließen, nur noch ein bisschen vor mich hin dösen. "Ich weiß nicht!", höre ich Rene nebenan gähnen. "Na, ich kann's mir schon denken", meint Judy. Das Klappern ihrer Schuhe verlässt das angrenzende Zimmer und kommt immer näher. Ahnt sie wirklich, dass ich hier bin? Es scheint so, denn sie bliebt stehen und drückt die Klinke, sie kommt herein und wirft die Tür nach sich ins Schloss. Ich schlucke schwer, das gibt Ärger, da bin ich mir sicher. Sie umrundet das Bett und setzt sich an das Fußende, ihr Atem ist ruhig und gleichmäßig, sie sagt keinen Ton. Wie seltsam, ich habe fest damit gerechnet, dass sie schimpfen und toben wird. Ich hebe die Decke vom Kopf und sehe nach ihr. Sie schaut aus dem Fenster und hat ihre Hände im Schoss gefaltet. Ist das die Ruhe vor dem Sturm? Das sie mich nicht anschreit, mich noch nicht mal ansieht, macht mich unsicher. „Judy?", frage ich vorsichtig. Sie seufzt und blickt auf ihre Hände, ihre Daumen ringen miteinander. "Und ich dachte du würdest dich mal um unseren Jungen kümmern, mal Verantwortung übernehmen", sie lacht bitter, "Ich bin wirklich naiv!" Was meint sie denn damit? Fragend betrachte ich sie, doch Judy sieht nicht auf. "Als ich gestern hier war und dich mit Rene habe Karten spielen sehen, da habe ich wirklich geglaubt, ihr zwei versteht euch langsam. Deswegen bin ich wieder gegangen. Ich dachte, wenn ihr nur ein bisschen Zeit zusammen verbringt, merkst du, was für ein toller Junge er ist und kümmerst dich besser." War sie wirklich am Abend hier? "Ich dachte ich überrasche euch am Morgen mit Frühstück und wir machen es uns schön." Das klingt doch gut. Frühstück könnte ich jetzt gebrauchen, mein Magen knurrt schon die ganze Zeit. "Das können wir doch machen. Ich könnte sowieso gerade ein ganzen Schwein verdrücken." Versöhnlich lächle ich sie an, doch Judy sieht noch immer nicht zu mir. "Was machst du hier in Tonis Zimmer? Wieso schläfst du hier und nicht bei Rene?" Ihre Stimme zittert, sie unterdrückt ihre Wut und knetet ihre Finger immer fester durch. Ich atme schwer und bin mir nicht sicher, was ich ihr antworten soll. "Ich konnte nicht schlafen", beginne ich kleinlaut zu berichten. "Und hier kannst du es?", fragt sie lauter. Ich sehe an ihr vorbei auf den Boden. Ja, irgendwie schon. "Er fehlt mir eben ...", flüstere ich. Ein müdes Lächeln huscht über ihre Lippen, sie sieht aus dem Fenster, als sie wieder zu sprechen beginnt: "Er war schon immer wichtiger als ich, wichtiger als deine Familie. Nicht einmal deine eigenen Kinder bedeuten dir so viel." Ich schlucke, doch der dicke Klos in meinem Hals, lässt sich nicht hinunter würgen. Irgendwie hat sie recht und obwohl ich das Gefühl habe, ihr widersprechen zu müssen, gelingt es mir nicht. Als ich schweige, nickt Judy stumm. "Ich nehme Rene und Amy wieder mit. Wenn du sie sehen willst, kannst du zu Aaron kommen. Aber solltest du sie noch mal ohne meine Einverständnis irgendwo hin mitnehmen, lernst du mich richtig kennen." Für das, was sie sagt, ist Judy erstaunlich ruhig. So kenne ich sie gar nicht, aber gerade das sagt mir, dass sie es ernst meint. Sie erhebt sich und läuft zur Tür. Bevor sieh geht, sieht sie noch einmal zu mir. "Was Toni angeht, so hoffe ich für dich, dass er nie wieder kommt und dort wo er jetzt ist, von euren Feinden erschossen wird. Dann brauch ich es nicht tun!" Ihr Blick ist eisig. Sie verlässt den Raum und schlägt die Tür nach sich zu. Ihre Worte hallen in meinem Kopf wieder. Würde sie wirklich so weit gehen? Es wäre nicht ihr erster Mord, den sie ohne mit der Wimper zu zucken verübt. In ihrer Kaltblütigkeit, steht sie mir und Toni in nichts nach. Seufzend sehe ich auf die geschlossene Tür. Das sind ja wirklich rosige Aussichten. Nun ist es nicht mehr nur Raphael, der Toni loswerden will, auch Judy fährt harte Geschütze auf. Dabei können wir doch auch nichts für unsere Gefühle, es ist ja nicht so, als wenn wir nicht dagegen angekämpft hätten. Der restliche Tag verfliegt ohne, dass es mir wirklich bewusst wird. Irgendwann finde ich mich auf der Beerdigung wieder, zwischen all den Männern und Frauen in schwarz, zwischen all den Tränen und traurigen Blicken. Die ganze Familie ist gekommen, Raphael, Susen, Aaron, Judy und die Kinder, selbst der halbe Clan ist anwesend. Inklusive Giovanni. Der Blick des Clanführers wandert immer wieder zu mir, stets schaut er ernst und vorwurfsvoll. Ich habe das ständige Gefühl, er sitzt mir im Nacken. Irgendetwas führt er im Schilde, doch ich will mich nicht damit auseinander setzen. Etwas anders quält mich viel mehr. Unter all den bekannten Gesichtern, kann ich das wichtigste nicht finde: Toni ist nicht gekommen! Wenn nicht mal Robins Beerdigung ihn dazu veranlasst zurückzukommen, dann sehe ich ihn mit Sicherheit nie wieder. Der Gedanke stimmt mich trauriger, als die Beerdigung selbst. Judy hat wohl recht, Toni geht mir wirklich über alles und so sollte es eigentlich nicht sein. Ich seufze und versuche meine Aufmerksamkeit der Beerdigung zuzuwenden. Ein tiefes Loch tut sich vor mir auf, daneben, hoch aufgetürmt, dunkle Erde. Robins weißer Sarg hängt über diesem Grab, muss nur noch hinab gelassen werden, um für immer in der Dunkelheit zu verschwinden. Der Priester dahinter redet schon eine ganze Weile von Frieden und Ruhe von Trost und einem Himmelreich. Ich glaube nicht an den Himmel und das sich Robin jetzt an einem besseren Ort befindet und wüsste der Kerl, was sie zu Lebzeiten alles getan hat, würde er sie nicht mal in geweihter Erde bestatten wollen. Der Gedanke erheitert mich auf seltsame Weise. Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn ich an die versauten Nächte mit ihr denke, oder an meine Ausbildung, wo sie mir erklärte und vormachte, wie man am effektivsten Menschen tötete. Dieser Kerl faselt von ihr, als wenn sie eine Heilige gewesen wäre und alle hören ihm in stiller Bewunderung zu, hin und wieder kann ich einzelne Trauergäste nicken sehen. Sie kannten sie gar nicht, niemand stand ihr nah genug, um zu verstehen, wie sie wirklich war. Dieses ganze Gefasel ist eine Fraß, die ich kaum ertragen kann. Wieso hat Aaron sich nur so eine Trauerrede aufschwatzen lassen? Vorwurfsvoll sehe ich zu dem alten Mann. Er hat Tränen in den Augen und die Hände ineinander gefaltet, sein Blick ist auf den Boden gerichtet. So niedergeschlagen habe ich ihn noch nie gesehen. Mein stummer Vorwurf, tut mir jetzt leid. Er will sicher nur Gutes über die getötete Tochter hören, so wie alle hier. Aber nichts von dem, was gesagt wird, passt zu ihr: Sie war nicht gütig, sondern besitzergreifend. Ihre Aufgabe im Clan war die Ausbildung von Auftragskillern, nicht der Haushalt ihres Vaters. Sie war auch keine warmherzige Schwester, sondern hatte von jeher eine Affäre mit mir. Wäre Robin jetzt hier, würde sie sich sicher köstlich darüber amüsieren, elegant die Haare zurück werfen, uns alle auslachen und mit einem verführerischen Hüftschwung verschwinden. Auch ich will einfach nur gehen. Ich hasse Beerdigungen, die bedrückende Stille, diese traurige Atmosphäre, die einem die Kehle zuschnürt. Eigentlich bin ich schon viel zu lange geblieben, viel länger als sonst. Im Augenwinkel sehe ich jemanden zu mir kommen. Diego bleibt nah bei mir stehen und flüstert: "Wo ist dein Leibwächter?" "Toni?", frage ich irritiert. Warum will er das wissen? "Hast du noch einen anderen?" Natürlich nicht. Ich will auch keinen anderen. "Nein und ich weiß nicht wo Toni steckt", entgegne ich kurz angebunden. "Du solltest nicht länger ohne Begleitschutz unterwegs sein. Ich hab die Tage ein Gespräch von Giovanni mitbekommen. Er hat irgendetwas gegen dich am Laufen." Wie beiläufig werfe ich einen kurzen Blick über die Schulter zu dem großen Mann, der sich mit einigen seiner Leute leise unterhält. Ständig sieht er dabei zu mir. "Ist mir auch schon aufgefallen. Er schaut die ganze Zeit schon so, als wenn er es verdammt schade findet, dass ich meinen Besuch bei den Drachen überlebt habe." "Hat er was damit zu tun?" "Das muss ich noch heraus finden." Ich werfe Giovanni einen finsteren Blick zu. So einfach bin ich nicht tot zu kriegen. Von jemanden wie ihm, lasse ich mich nicht unter kriegen. Der Scheißkerl bekommt sein Fett noch weg und wenn ich ihn eigenhändig umlege. "Wo wir gerade dabei sind, hast du heute Abend Zeit? Ich wollte zu Erik und ein paar neue Geschäftsidee mit euch beiden besprechen." Diego lächelt verschwörerisch. "Das klingt nach einer großangelegten Verschwörung." "Ach was, nur ein paar Scotch und hübschen Frauen aufgeteilt unter ein paar guten Freunden." Auch ich bekomme das finstere Lächeln nicht von meinen Lippen. "Für 'nen lustigen Abend, bin ich immer zu haben." "Also bist du dabei?" "Nach dem Trauerspiel hier, auf jeden Fall." "Alles klar, dann sehen wir uns heute Abend." Ich schlage Diego freundschaftlich auf die Schulter, und setze mich langsam in Bewegung. "Gehst du wieder?" Ich nicke nur und setze mich in Bewegung, als mir der alte Pate nach kommt. Ich bleibe stehen und lasse ihn aufholen. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn sind heute besonders tief, sein Blick finster, als er mir seine Hand auf die Schulter legt und mich ein Stück bei Seite nimmt. „Wie fit bist du im Moment“, will er im Vertrauen von mir wissen. Reflexartig taste ich meinen Oberkörper ab. Es schmerzt noch immer, besonders wenn ich tief Luft hole. Ein zwei Wochen werde ich schon noch brauchen und auch dann müsste ich erst mal trainieren, um in Form zu kommen. „Könnte besser sein“, entgegne ich nur. „Was hast du vor wegen Michael zu unternehmen?“ Macht er sich etwa Sorgen, ich lasse das Schwein davon kommen? „Was glaubst du wohl?“ Sobald ich wieder auf dem Damm bin, leg ich ihn um. „Ich habe bereits meine besten Männer auf ihn angesetzt, aber keiner kommt nah genug an ihn heran. Du bist der Einzige, den er sich sogar freiwillig ins Haus holt.“ „Darf ich vielleicht erst mal wieder auf die Beine kommen?“ Was stresst er mich jetzt so? Vor ein paar Tagen konnte ich noch nicht mal allein aufstehen. „Bereinige die Sache, sonst lege ich das erste mal seit Jahren wieder selbst Hand an und das wird böse enden, für uns alle.“ Was er damit wohl meint? Ich habe Aaron bisher nur einmal eingreifen sehen und das war ein ganz schönes Blutbad. Wer damals wohl für all das gerade stehen musste und für ihn in den Knast gegangen ist? Sollte er verhaftet und inhaftiert werden, sind die Locos ein leichtes Ziel, nur der Respekt vor ihm, schützt uns im Moment alle, vor einem weiteren Angriff. Ich seufze resigniert. In meinem Zustand ist ein Attentat auf den Paten der Japaner Selbstmord, doch Aarons fester Blick lässt mir keine wirkliche Wahl. Er wirft mir einen letzten durchdringenden Blick zu, dann kehrt er zur Trauerfeier zurück. Ich sehe ihm seufzend nach. Bisher habe ich noch keinen Gedanken an Rache verschwendet, ich hab genug damit zu tun, erst mal meinen Clan zu stärken und meine Familie zu schützen. Aber vielleicht ist das auch nur eine Ausrede. Würde Michael jetzt vor mir stehen, ich weiß nicht wie ich reagieren würde. Gedankenverloren verlasse ich den Friedhof über den Kiesweg. "Herr, unser Gott. Du gibst uns Menschen das Leben und dann nimmst du es wieder. Du holtest diese reine Seele viel zu früh zu dir, doch wer sind wir, deine Wege in Frage zu stellen ...", die Worte des Priesters verklingen hinter mir. Was für ein Geschwafel, von wegen reine Seele und ich stelle sehr wohl die Wege eines Gottes in Frage, der einen Tod, wie den von Robin, geschehen lässt. Kein Wunder das Aaron so sehr auf Vergeltung drängt. Ihre Mörder müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Aber ganz allein werde ich es nicht mal in die nähe Michaels schaffen. Für einen guten Plan brauche ich Zeit und eine bessere körperliche Verfassung. Ich verdränge den Gedanken vorerst, es gibt noch andere Dinge, die ich klären muss. Michael wird warten, so weit sind wir in seinem abscheulichen Spiel verblieben. Giovanni macht mir im Moment viel mehr Sorgen. Keiner wundert sich darüber, dass ich gehe, keiner kommt mir nach. Bisher habe ich noch keiner Beerdigung bis zum Schluss beigewohnt. Meistens komme ich nur, um mein Beileid zu bekunden, doch sobald die Grabrede beginnt, bin ich verschwunden. Zum Trauen bin ich lieber allein, niemand muss sehen, wie nah mir der Verlust wirklich geht. Mit den Händen in den Taschen laufe ich an den vielen Gräbern vorbei, ohne sie anzusehen, bis der Friedhof endlich hinter mir liegt. Den Weg zu meinem Automobil finden meine Füße ganz von allein. Es ist eine der Karren, die ich noch vor Tonis Verrat, für Giovanni besorgt habe. Der pechschwarze Chrysler Imperial fängt an mir zu gefallen, er fährt sich gut und macht was her. Vielleicht sollte ich ihn behalten, schon allein um Giovanni eins reinzuwürgen. Als ich die Tür aufschließe, zieht ein heller Blitz über den bewölkten Himmel, gleich darauf folgt lauter Donner. Ich schaue nach oben, die ersten Regentropf fallen auf mein Gesicht. Wie passend, ein Gewitter an Robins Beerdigung. Ich öffne die Tür, setzte mich auf die Rückbank und atme schwer durch. Ruhe, endlich! Den Kopf lege ich in den Nacken und schließe die Augen. Verdammte Pflichtveranstaltungen, wenn ich nicht gehofft hätte, Toni hier zu sehen, wäre ich nicht mal gekommen. Die unumstößliche Gewissheit, dass Robin nie wieder kommt, ist einfach nicht zu ertragen. Sie ist gerade mal neunundzwanzig Jahre alt geworden, sie hatte noch ein ganzes Leben vor sich und ein weiteres in sich. Ein heftiger Stich durchzuckt mein Herz, beim Gedanken an das Kind, das nie geboren wird. Ich öffne die Augen und sehe aus dem Fenster. Darüber will ich nicht nachdenken, ich habe schon genug geheult, doch ich kann das Radio in meinem Kopf nicht abstellen: Robin hat nie geheiratet, ist nie Mutter geworden und irgendwie war sie immer einsam. Selbst mit mir, hatte sie ein einziges Problem am Hals. Sie hätte so viel besseres verdient gehabt: Einen Mann der sie glücklich mach, der mit ihr eine Familie gründet und sie aus dem Sumpf des Verbrechens herauszieht. Zu keiner Zeit hätte ich das gekonnt und das hat sie am Ende das Leben gekostet. Ein dicker Klos bildet sich in meinem Hals und schnürt mir die Kehle zu. Krampfhaft sehe ich nach draußen und versuche etwas zu finden, dass mich ablenkt. An meiner Stelle weint der Himmel um sie. In Strömen prasselt der Regen gegen die Scheibe und fließt in kleinen Bächen hinab. Immer wieder erhellen Blitze den Himmel und leuchten die nasse Straße aus. Der Wind fegt den Regen über den Bordstein und wirbelt eine Plastiktüte von einer Straßenseite zur Anderen. Die Menschen hasten an mir vorbei, sie alle haben ihre Jacken eng um sich geschlungen, andere kämpfen vergeblich mit ihrem Regenschirm gegen den Wind an. Die Welt dreht sich einfach weiter und stört sich nicht daran, dass ein wichtiger Menschen von ihrer Oberfläche gefegt wurde. Ein dunkler Wagen hält hinter mir. Im Rückspiegel sehe ich zwei Männer aussteigen. Ihre Schritte sind gelassen und ihre Haltung gestraft. Sie kommen näher. Über Mund und Nase tragen sie Tücher. Sie fixieren meinen Wagen mit finsterem Blick. Ihre Hände verschwinden unter ihren Sakkos. Das ist nicht gut! All meine Sinne schlagen Alarm. Ein greller Blitz erhellt die Straße. Etwas funkelt silbern in ihren Händen, sie richten es auf mich. Waffen! Ich zögere keinen Moment länger und werfe mich in den Fußraum des Autos. Schüsse fallen, unzählige Schüsse, unaufhörlich, immer wieder. Sie schlagen in das Blech des Wagens. Es ist so laut, dass ich mir die Ohren zu halte muss und mich so klein wie möglich zusammen rolle. Immer neue Kugel durchschlagen den Kofferraum und die Sitze im Inneren. Alles um mich herum zerreißt in Fetzen. Die Reifen platzen in einem lauten Knall. Mit einem Ruck sackt das Automobil tiefer. Ein Regen aus Glasscherben prasselt auf mich nieder. Ich kann nicht mehr atmen, mich nicht mehr rühren. Aufhören! Bitte! Aufhören! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)