Die Wölfe 5 ~Das Blut des Paten~ von Enrico (Teil V) ================================================================================ Kapitel 5: ~Pussycat Deluxe~ ---------------------------- Tonis Worte beschäftigen mich noch lange. War ich wirklich eine so große Nummer, in den Geschäften meines Schwiegervaters? Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, habe stehst nur das getan, was uns, mit möglichst wenig Aufwand, das meiste Geld einbrachte. Aber Toni hat recht, Aaron hat mir irgendwann freie Hand bei allen Entscheidungen gelassen. Ich war längst nicht mehr nur für die groben Auftragsmorde zuständig. Obwohl ich mit Abstand der Jüngste der vier Clanführer war, geschah nichts ohne mein Einverständnis. Wirklich bewusst, wird mir das aber erst jetzt. Ein lautes Magenknurren beendet mein Grübeln. Toni sieht mich verlegen an und hält sich den Bauch. Ich muss lächeln. Hat er etwa Hunger? Der lächerliche Donut von heute Morgen, wird ihm sicher nicht gereicht haben und seitdem sind auch schon wieder gut fünf Stunden vergangen. „Hunger?" „Du nicht?", entgegnet er. Ich schüttle mit dem Kopf, während mein Magen mir mit einem lauten Knurren widerspricht. „Ach komm schon, mir machst du nichts vor." Er grinst breit. „Und wenn schon! Wir haben kein Geld, um irgendwo essen zu gehen", gebe ich zu bedenken. Das Grinsen weicht aus seinem Gesicht. „Aber ich brauch was zwischen die Zähne!" Ich seufze, auch wenn ich noch eine ganze Weile ohne Nahrung ausgekommen kann, mein Freund kann es offensichtlich nicht. Was nun? Ich schaue an mir herab, auf die Waffe in meinem Hohlster. Die Spezialanfertigung ist sicher einige hundert Dollar wert. Wenn wir sie verkaufen, sind wir zumindest unsere offensichtlichsten Sorgen für eine Weile los. „Schmuggelt Erik noch immer Waffen?", frage ich. Toni folgt meinem Blick auf die Neun-Millimeter. Seine angespannte Haltung verrät mir, dass er die Pistole auf keinen Fall verkaufen will. Ihm scheint das Teil wirklich mehr zu bedeuten, als mir. „Lass uns lieber eine von meinen Beiden verkaufen", schlägt er vor. Ich schüttle mit dem Kopf. „Die Uraltteile bringen doch nichts ein!“ „Aber ...", protestiert er vergebens. Meine Entscheidung ist bereits gefallen. „Du hast doch Hunger, oder nicht? Außerdem war Erik schon immer scharf auf die Waffe, er wird uns 'nen anständigen Preis zahlen und sie in seiner privaten Sammlung aufbewahren. Wenn wir wieder flüssig sind, können wir sie ja auslösen." „Ja, und dann will der Hurensohn das Dreifache dafür haben." Ich muss schmunzeln. Da hat er nicht ganz unrecht. Erik ist ein gewitzter Geschäftemacher, aber auch einer meiner engsten Verbündeten. Er hat meine Gang mit Waffen und Munition versorgt und war auch für den ein oder anderen illustren Zeitvertreib gut. „Du willst jetzt aber nicht ins Pussycats oder?" „Das gibt es noch?", frage ich freudig überrascht. „Das Gewerbe ist in der schlimmsten Zeit nicht tot zu kriegen", erklärt Toni und schüttelt abwehrend mit dem Kopf. Das Etablissement ist noch nie sein Ding gewesen, ich hingegen habe viele aufregende Nächte dort, beim Pokern und mit den leichten Mädchen, verbracht. Eine gewisse Vorfreude steigt in mir auf, auch die kommende Nacht dort zu verbringen. Meinen alten Kumpel wiederzusehen, ein paar Scotch mit ihm heben, ihm das Geld beim Pokern aus der Tasche ziehen, danach steht mir jetzt der Sinn. Mein Lächeln wird breiter, als ich verkünde: „Oh doch!" Ich sehe mich nach der nächsten U-Bahnstation um und setze mich in Bewegung, als ich eine ganz in unserer Nähe ausmachen kann. „Können wir die Waffe nicht in irgendeiner Pfandleihe hinterlegen?", ruft Toni mir nach. Er folgt mir nur widerwillig. „Und riskieren, dass sie verkauft wird, wenn wir das Geld nicht rechtzeitig auftreiben können? Ich dachte, dafür wäre sie dir zu schade?" Ich liebe es, Toni mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Ihm fällt kein schlüssiges Argument ein, um mich umzustimmen. Zähneknirschend schließt er zu mir auf. Gemeinsam folgen wir den Treppen, die uns hinab zur U-Bahnstation führen. Die nächste Bahn ins Zentrum lässt uns fünf Minuten warten. Als wir einsteigen, will Toni von mir wissen: „Was sollen wir Erik sagen, wer du bist?" „Er ist doch immer noch neutral oder?" „Ja!" „Wir brauch Verbündete, also werde ich kein Geheimnis um meine Identität machen. Da fällt mir ein: Wie wäre es denn, wenn wir wieder als Türsteher bei ihm anheuern? Der Job macht uns nicht reich, aber er bringt genug, dass wir uns ums Essen keine Sorgen mehr machen müssen." Ich lasse mich auf dem letzten Sitze nieder, der noch frei ist. Toni muss stehen bleiben. Er platziert sich neben mir und greift nach der Stange über seinem Kopf. „Muss das sein? Es nervt, die Betrunkenen vor die Tür zu setzen und die aufdringlichen Freier von den Nutten zu zerren, wenn sie sich nicht benehmen können." „Immer noch besser, als an den Docks für ’nen Hungerlohn zu arbeiten", halte ich dagegen. Tonis ehrlicher Job hat ihn in die Armut getrieben und von Aaron können wir im Moment auch keine Finanzspritze erwarten. Mir gefällt meine Idee. Ich habe auch kein Problem damit, allein bei Erik anzuheuern, wenn Toni ablehnt. Bei ihm sitzen wir wenigstens an einer reichhaltigen Informationsquelle. Die einflussreichsten Männer aus Wirtschaft und Politik sind Stammgäste in seinem Lokal. Dort wird es uns leicht fallen, neue Kontakte zu knüpfen und reiche Geschäftspartner zu finden, um den Locos wieder auf die Beine zu helfen. „Na schön, bei deinem Talent, dich in Schwierigkeiten zu bringen, kann ich dich ja kaum allein da arbeiten lassen." Wie gnädig von ihm. Und der drei Mal höhere Lohn, hat damit gar nichts zu tun? Ich belasse das Gespräch bei einem zufriedenen Lächeln und sehe aus dem Fenster. Die Stationen fliegen an uns vorbei, nach vier weiteren haben wir unser Ziel erreicht und steigen aus. Noch ein kurzer Fußmarsch, dann stehen wir vor der großen Leuchtreklame: PUSSYCAT DELUXE. Wir sind die ersten und einzigen Gäste. Es ist noch zu früh, für die meisten Freier und die Männer, die hier ihren Feierabend mit Kartenspiel und Alkohol verbringen. Nur zwei stämmige Türsteher laufen vor dem Lokal auf und ab. Der kahlköpfige, mit den Schultern so breit, wie ein dreitüriger Kleiderschrank, raucht gerade eine Zigarette, während der andere, mit den großen Segelohren und der breiten Nase, sich in kleinen Kreisen die Beine vertritt. Beide tragen einen schwarzen Anzug und eine dunkelblaue Krawatte. Letzteres werde ich dann wohl auch wieder tragen müssen. Ich verziehe das Gesicht. Der einzige Nachteil an diesem Job. „Und wie willst du an denen vorbei kommen? Wir haben nicht mal ne Einladung", flüstert Toni, während wir auf die Türsteher zuhalten. An die Empfehlungsschreiben, die man braucht, um in Eriks Lokal eingelassen zu werden, habe ich gar nicht mehr gedacht. Ich war dort Stammgast und die Türsteher kannten mich. Ich brauchte keine Einladung, aber diese beiden Gorillas sind neu. Ihre Gesichter kenne ich nicht. Es wäre sicher auch unklug meinen richtigen Namen schon hier am Eingang preis zu geben. Nur weil Erik neutral ist, heißt das noch lange nicht, dass es seine Angestellten auch sind. Zumal die beiden, wenn sie neu sind, mit meinem richtigen Namen eben so wenig etwas anfangen können. „Meinst du, Erik kommt runter, wenn wir deinen Namen nennen?", will ich wissen. „Keine Ahnung. Ich bin mit ihm nie warm geworden. Glaub nicht, dass er sich für mich bemüht." Wohl wahr! Freunde sind die Beiden noch nie gewesen. Da Erik für keinen der Clans Partei ergriffen hat und bei ihm alle Männer ein und ausgehen, die Einfluss haben, hat Toni ihm stets misstraut. Vielleicht nicht immer zu unrecht. Ich erinnere mich da, an eine seiner Mädels, die mich mit einem Messer erstechen wollte, während ich mit ihr schlief. Es stellte sich zwar heraus, dass die von den Drachen eingeschleust worden war und Erik damit nichts zu tun hatte, zum Verhängnis wäre es mir dennoch fast geworden. Gerade in meiner jetzigen Situation, muss ich in diesen Kreisen auf der Hut sein. Wir haben die beiden Gorillas fast erreicht, als eine Tür in der Seitenstraße, neben dem Lokal, aufgerissen wird. „Du nutzlose Göre!", brüllt die dunkle Stimme eines Mannes, dann fällt eine junge Frau auf den Bordstein. Sie schlägt sich Knie und Hände auf dem harten Untergrund auf und beginnt, auf allen Vieren hockend, zu wimmern. Ihre ohnehin dürftige Kleidung ist zerrissen, sie hält sich krampfhaft den losen Träger ihres BHs, um ihn nicht ganz zu verlieren, während der letzte Stoffrest ihres Höschens herabrutscht und ihren blanken Po entblößt. Ein alter Greis, mit kahlem Haupt und tiefen Furchen im Gesicht, erscheint hinter ihr. Er tritt sie kräftig in die Seite und stößt sie, in die dunkle Gasse, neben dem Lokal. Den Greis kenne ich nicht, die junge Frau hingegen schon. „Darla", kommt mir ihr Name über die Lippen. Sie ist eine von Eriks Prostituierten. Ein gutherziges Ding, die immer zu Späßen aufgelegt ist und diesen Job nur macht, um sich und ihre kleine Schwester, nach dem Tod der Eltern, durchzubringen. Ich schaue von ihr zu den Gorillas. Es ist ihr Job, Situationen wie diese zu schlichten, doch sie tun nichts. Der Schrank raucht unbeeindruckt seine Zigarette auf, während der andere sich gerade erst eine ansteckt. Sie blicken nur kurz in Richtung der Gasse und zucken mit den Schultern. Mister Segelohr schaut auf seine Taschenuhr und wendet sich ab, als er die Zeit abgelesen hat. Ist das ihr ernst? Sie greifen nicht ein, weil sie noch nicht im Dienst sind? Was hat sich Erik da für Idioten angeschafft? Ich schüttle verständnislos mit dem Kopf und folge Darla und ihrem Freier mit zügigen Schritten in die Seitenstraße. Auch Toni wird schneller. Ich kann sein Seufzen deutlich neben mir hören, als wir die Beiden erreichen. „Du Fotze hast mir in den Schwanz gebissen! Das wirst du mir büßen!", schreit der Greis und erhebt die Faust. Genug! Ich packe seine Hand am Gelenk und verdrehe ihm den Arm auf den Rücken. Ein schmerzverzerrter Laut kommt aus seiner Kehle. Er zappelt und versucht sich zu befreien, also verdrehe ich seinen Arm noch stärker, bis er vor Schmerzen in die Knie geht und sich nicht mehr rührt. „Lass mich los! Was soll der Scheiß? Wer seit ihr Hurensöhne?", flucht er. Toni bleibt neben uns stehen. Er verschränkt die Arme und macht nicht den Eindruck, mir helfen zu wollen. „Halts Maul!", schnauze ich den Alten an, "Wer nicht weiß, wie man sich einer Dame gegenüber zu benehmen hat, der hat hier nichts zu suchen!" Der Greis windet sich und spuckt auf den Boden. „Pah! Das ist nichts weiter, als eine billige Hure!" „Und du bist gleich nichts weiter, als tot, wenn du dich nicht augenblicklich von hier verpisst!", brülle ich und gebe ihn frei. Noch bevor er sich wieder erhoben hat, trete ich ihm in den Rücken. Er stolpert drei Schritte nach vorn, genug Zeit, um meine Waffe zu ziehen und damit auf seinen Kopf zu zielen. Als er sich gefangen hat und mir zuwendet, verschwindet sein wütender Blick. Die Pistole verfehlt ihre Wirkung nicht, abwehrend hebt er die Hände. „Das ist doch nur ’ne kleine Nutte, nichts wofür man gleich so ausfallend werden muss!", seine Stimme nimmt einen bebenden Unterton an, trotzdem bleiben seine Worte abfällig. Ich krümme den Zeigefinger um den Abzug. „Noch ein Wort und du wirst die Sonne nie wieder aufgehen sehen!" „Ihr tut gut daran, jetzt zu verschwinden! Mein Freund hat einen sehr nervösen Zeigefinger", meint Toni belustigt. Der Greis sieht von ihm zu mir und wieder zurück, dann erst beginnt er sich langsam in Bewegung zu setzen. Er verlässt die Gasse und spricht noch etliche unverständliche Flüche, bevor er aus unserem Blickfeld verschwindet. Als ich seine Schritte nicht mehr hören kann, nehme ich die Waffe runter und verstaue sie im Hohlster. „D... Danke!", keucht Darla, dann kommen schon die beiden Gorillas um die Ecke. Für den geschätzten Kunden scheinen sie Partei ergreifen zu wollen, denn sie schreien aufgebracht, als sie zu uns kommen: „Was fällt euch ein, unsere Kunden zu bedrohen?" „Wer seid ihr überhaupt?", faucht der Andere und schnippt seinen Zigarettenstummel fort. „Mach du das!", weise ich Toni an und überlasse es ihm, die Situation zu bereinigen. Er geht auf die Beiden zu und beginnt eine heftige Diskussion, die von wilder Gestik und Mimik der Gorillas begleitet wird. Ich beachte sie nicht weiter. Stattdessen wende ich mich der gepeinigten Darla zu, die noch immer auf dem Boden kniet. Ich nehme mein Jackett ab und lege es ihr über die Schultern. Dann reiche ich ihr meine ausgestreckte Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Mit einem dankbarem Lächeln, nimmt sie das Angebot an und lässt sich von mir auf die Beine ziehen. Sie ist so leicht, dass ich mich kaum bemühen muss. Ihre Hände sind blutig und feucht, ihre Augen mit Tränen gefüllt. Jetzt, wo ich die Zeit habe, sie eingehend zu betrachten, erschrecke ich. Von der jungen, lebenslustigen Frau, ist nicht mehr, als ein geschundenes Gerippe übrig. Einige der Schrammen und blauen Flecke sind älter, beginnen schon zu heilen. Es ist also nicht der einzige Vorfall, bei dem ihr Gewalt angetan wurde. Aber warum? Erik hat nie zugelassen, dass jemand Hand an seine Mädels anlegt. Sicher nicht aus Menschenliebe, sondern weil sie so weniger Geld einbringen, aber trotzdem ging es den Frauen hier sehr viel besser, als auf dem Straßenstrich. Während ich Darla eingehend mustere, schaut auch sie mich ganz genau an. Sie legt den Kopf schief und fragt leise, mit Zweifel in der Stimme: „Enrico?" Ich reiße die Augen weit auf und lege ihr meine Hand auf den Mund, kopfschüttelnd gebe ich ihr zu verstehen, dass dies nicht der richtige Ort ist, meine Identität preis zu geben. Sie nickt. Anscheinend hat sie verstanden, also nehme ich meine Hand wieder weg. „Meinst du, du kannst uns rein schmuggeln und zu Erik bringen?", frage ich sie flüsternd. Sie lächelt verstehend, dann sieht sie zu den beiden Gorillas, die sich noch immer in einer heftigen Diskussion mit Toni befinden. „Die Beiden sind zahlende Kunden. Sie gehören zu mir", erklärt sie ihnen und findet langsam zu einer aufrechten Haltung zurück. Toni wirft einen fragenden, fasst schockierten Blick zu uns, als wolle er wissen, ob sie das ernst meint. Ich muss über seine Schüchternheit schmunzeln. Die Gorillas winken ab. Sie zünden sich eine neue Zigarette an, dann verschwinden sie. „Das war leichter als gedacht", verkünde ich triumphierend. Darla setzt sich in Bewegung. So gut es geht, versucht sie, die zerrissene Kleidung an ihrem Platz zu halten, als sie uns durch den Dienstboteneingang ins Lokal führt. Über eine Treppe, gelangen wir in das Kellergewölbe. Vor uns öffnet sich ein kleiner Raum, in dem etliche Bänke und Spinde stehen. Aufgeregte Frauen kommen uns entgegen. Die meisten haben noch ihre normale Straßenkleidung an, nur zwei von ihnen stecken bereits in ihrer spärlichen Arbeitskleidung. Sie fallen Darla um den Hals und erkundigen sich besorgt, nach ihrem Befinden. „Es geht schon. Ich hatte ja Hilfe", erklärt sie ihren Kolleginnen und deutet in unsere Richtung. „Das ist schon das vierte Mal diese Woche", berichtet eine Blondine. „Nicht genug, dass uns ständig diese Schläger auflauern, jetzt werden auch die Freier immer brutaler", fügt eine Andere hinzu. Ihr Geschnatter lässt mich aufhorchen. Schläger, die die Mädels bedrohen? Damit hatte Erik schon einmal zu kämpfen, weil er sich weigerte, an die Red Dragons Schutzgeld für sein Lokal zu zahlen. Mit der Hilfe meiner Gang sind wir sie damals losgeworden, aber die Wölfe gibt es nicht mehr. Sind damit auch die Geldeintreiber zurück? „Bitte wartet hier einen Moment! Ich will mir schnell etwas Neues anziehen", erklärt uns Darla und geht ihrem Spind entgegen. Die Frauen verteilen sich wieder im Raum. Die einen beginnen damit, sich für ihre Schicht einzukleiden und die, die bereits fertig sind, versammeln sich um Toni. Sie klimpert mit ihren langen Wimper und schmiegen sich, gleich einer Katze, an ihn. „Und Schöner, wie können wir dir danken, dass du unsere kleine Darla beschützt hast?", schnurrt die Blonde, mit den endlos langen Beinen und presst ihren üppigen Busen gegen Tonis Oberkörper. Dieser erstarrt förmlich und sieht hilfesuchend zu mir, während er kein Wort mehr herausbringt. Seine Hände ballen sich zu Fäusten. Ich muss über ihn schmunzeln. Die Reize der Frauen hier, haben ihn schon immer aus der Fassung gebracht. Er kann einfach nichts mit ihnen anfangen, dabei ist er bei den Mädels heiß begehrt. Es wurden sogar Wetten darauf abgeschlossen, welche von ihnen ihn zuerst ins Bett bekommt. Gewonnen hat sie bisher noch keine. Selbst bei seiner Freundin Anette ist ihm Zweisamkeit ein Graus. Ich frage mich nach wie vor, wie er es geschafft hat, seine Tochter zu zeugen. Auch wenn er Anette immer gut behandelt hat, habe ich das Gefühl, sie ist nur sein Alibi. „Das ist vergebene Liebesmüh, er ist in festen Händen", versuche ich ihm zu helfen. Sie wenden sich mit bedauerndem Blick von ihm ab, allerdings nicht, ohne ihre Hüften schwingen zu lassen. „Das ist ein Grund, aber kein Hindernis!", säuseln sie und versuchen es nun bei mir. Ich spüre einen weichen Busen in meinem Rücken und einen warmen Schritt über meinem Knie. Zwei schlanke Schenkel pressen sich gegen mein Bein. Ich kann nicht anders, mein Blick verirrt sich in der Oberweite, die mir die Blonde unter die Nase hält, während meine Hand, wie von allein, zum Hintern der Brünetten wandert, die sich neben sie drängt. Ich kann bis heute nicht verstehen, wie Toni das alles kalt lassen kann. „Wie wäre es denn mit uns beiden?", funkelt mich die Blonde an und dreht ihren Zeigefinger über meinen Oberkörper. Wenn ich doch nur genug Geld dabei hätte, aber so muss ich wohl leider passen. „Tut mir leid, heute sind wir rein geschäftlich hier. Aber der Tag ist ja noch jung. Vielleicht komme ich auf das Angebot zurück." Ich kann meinen Blick einfach nicht von den schlanken Beinen und diesen großen Brüsten lassen. Es ist ehrlich ein Jammer. „Du wirst es nicht bereuen", schnurrt die Brünette. Daran habe ich keinen Zweifel. Ihr heißer Schritt jagt mir jetzt schon wohlige Wärme in die Lenden. „Doch wird er!" Tonis Stimme ist auf einmal so nah. Er legt mir seinen Arm um den Hals und zieht mich nah zu sich. Die jungen Frauen weichen einige Schritte zurück und beobachten uns verwirrt. Tonis harter Griff schnürt mir die Luft ab. Ich greife nach seinem Arm und versuche ihn von mir zu schieben. Es gelingt mir nicht! Sein heißer Atem stößt mir ins Ohr, als er mich leise aber bestimmt wissen lässt: „Wenn wir hier zu Geld kommen und du es für Nutten raus wirfst, schwöre ich dir, kastriere ich dich eigenhändig." Ich bin mir sicher, dass er das ernst meint. Toni versteht keinen Spaß, wenn er Hunger hat. „Dein Jackett hat leider ein paar Blutfecken abbekommen. Ich werde es reinigen lassen, du kannst es dann bei mir ..." Darla kommt zu uns zurück, hält jedoch inne, als sie uns in dieser vertrauten 'Umarmung' vorfindet. Ein vorsichtiges Lächeln huscht über ihre schmalen Lippen. „Wie schön, dass sich bei euch Beiden nichts geändert hat", lacht sie. Toni und ich sehen uns fragend an. Ist dem so? Benehmen wir uns immer so? Toni schaut verlegen weg, sein Griff lockert sich, sodass ich entkommen kann. „Kennst du die Beiden etwa?", wollen ihre Kolleginnen von ihr wissen. Ich werfe Darla einen mahnenden Blick zu. „Ja, von früher. Aber das ist schon lange her", sagt sie nur und setzt dabei ein warmes Lächeln auf. Ihr Blick gilt mir, doch ich weiß nicht, was er zu bedeuten hat. „Na kommt!", fordert sie uns auf. Toni wirft mir noch einen letzten warnenden Blick zu, bevor er ihr folgt. Also keine Nutten für heute Abend? Ich schaue noch einmal durch die Umkleide und sehnsüchtig zu den jungen Frauen, die uns zum Abschied winken. Mal von Darla abgesehen, scheint Erik sein ganzes Personal ausgetauscht zu haben. Die Frauen, die hier vor fünf Jahren gearbeitet haben, hatte ich alle schon durch, diese hier sind mir unbekannt. Aber vielleicht ist das gerade gut so. Es reicht, dass Darla mich erkannt hat. Ich hoffe nur, sie kann mein Geheimnis bewahren, bis die Zeit gekommen ist, meine Rückkehr offiziell zu verkünden. Sie öffnet uns eine Tür und führt uns über eine Treppe hinauf ins Lokal. Der Barkeeper hinter dem Tresen poliert gerade gelangweilt einige Gläser. Die roten Hocker vor ihm sind leer, auch an den Tischen und den knallroten Lederbänken, die im Halbkreis drum herum aufgebaut sind, sitzt noch niemand. Sanfte Soulmusik schwebt durch den Raum, der in ein gedämmtes Licht getaucht ist. Auf den ersten Blick, hat sich hier nichts verändert. Da wir die einzigen Gäste sind, ziehen wir unweigerlich die Aufmerksamkeit des Barkeepers auf uns. Verwirrt beobachtet er Darla, wie sie uns am Tresen vorbei führt. Ich sehe mir das Gesicht des Mannes an, das sofort einen Namen in mir wachruft: Maike arbeitet also noch hier. Um die Oberarme hat er ordentlich zugelegt. Ob das wohl etwas mit der Bedrohung durch die Schläger zu tun hat? Er schüttelt mit dem Kopf, als er Toni sieht. Zumindest ihn hat er erkannt. „Der Chef ist oben beim Pokern, ihr kennt ja den Weg", erklärt uns Darla und stoppt vor einer breiten Treppe, mit dünnem Geländer. Ihr ausgestreckter Arm weißt die Stufen hinauf. Typisch, das Lokal hat noch nicht mal offiziell geöffnet und Erik betreibt schon wieder illegales Glücksspiel. Ich nicke Darla dankend zu und betrete die erste Stufe. Direkt neben ihr halte ich noch einmal an und lege meinen Kopf an ihr Ohr, um ihr zu zuflüstern: „Bitte behalte für dich, dass du mich gesehen hast. Es ist noch nicht offiziell, dass ich wieder zurück bin." Sie verschließt ihren Mund und deutet einen Schlüssel an, den sie symbolisch wegwirft. Ihre Augen lächeln und geben mir das Gefühl, ihr vertrauen zu können. Ich schenke ihr ebenfalls ein Lächeln und will meinen Weg fortsetzen, als sie mich am Handgelenk festhält. Was will sie denn noch? „Ich freue mich, dass du wohlauf bist", sagt sie und schaut mich verträumt an. Noch immer kann ich nicht einschätzen, was mir dieser Blick sagen soll. „Und Enrico!", fügt sie leise hinzu. „Ja?" „Danke!" Wieder muss ich lächeln. War ja keine große Sache, den Greis in seine Schranken zu weisen. Ich nicke, dann gibt sie mich frei und lässt uns allein. Sie läuft den Weg zurück, den wir gekommen sind. Echt ein Jammer, dass sie noch keinen Job gefunden hat, der besser zu ihr passt. „Die steht auf dich", sagt Toni auf einmal. Erschrocken sehe ich ihn an. „Blödsinn!" Ich und Darla? Auf keinen Fall! Sie ist eine der wenigen von Eriks Mädels, mit der ich niemals ins Bett steigen würde. Irgendwie ist sie für mich mehr eine kleine Schwester. „Sag, was du willst, aber die hat ein Auge auf dich geworfen." Na und? Selbst wenn, gehören da immer noch zwei dazu. Mal ganz davon abgesehen, dass sie mit ihrem kleinen Busen und dem dürren Körper überhaupt nicht mein Typ ist. Um die Diskussion nicht noch zu vertiefen, setze ich meinen Weg fort und erklimme die wenigen Stufen, die uns zu den Spieltischen führen. Erik sitzt uns mit dem Rücken zugewandt an einem der kreisrunden Tische, auf dem etliche Dollar aufgetürmt sind. Eine gelblich verfärbte Stofflampe darüber, sorgen gerade für genug Licht, dass der Tisch und die Karten darauf ausgeleuchtet sind. Der Rest des Raumes liegt im Dunkeln. Die Luft hier oben ist angefüllt von Zigarrenqualm und lässt mich die Nase rümpfen. Die fünf Männer in ihren Smokings beachten uns nicht, sie sind ganz in das Spiel vertieft. Ich steige die letzte Stufe empor und gehe zwei Schritte weiter, bis ich das Spielfeld und Eriks Karten einsehen kann. Er hat ein ziemlich schlechtes Blatt auf der Hand. Eine Herzsieben und eine Karoacht. Im Augenwinkel sehe ich Toni zu mir kommen. Als er näher an den Tisch heran treten will, versperre ich ihm mit dem Arm den Weg. Ich will erst noch zusehen, bevor wir auf uns aufmerksam machen. Er versteht wortlos und bleibt neben mir stehen. Wir verschränken die Arme und ich versuche abzuschätzen, was wohl die anderen Männer auf der Hand haben und wie ihre Taktiken sind. Ganze drei Spiele lang bleiben wir unbemerkt. Erik verliert eines davon, die letzten zwei kann er für sich entscheiden. Eine neue Runde beginnt und so langsam durchschaue ich seine Mitspieler. Der Bär mit der Halbglatze blufft immer, wenn er sich am Hosenbein kratz, der Blonde mit der Brille spielt ehrlich und steigt aus, sobald er kein gutes Blatt auf der Hand hat. Der Kerl mit dem ungepflegten Dreitagebart nuckelt, bei schlechten Karten, immer an seiner Zigarre herum, während der junge Mann neben ihm, nervöse Schweißperlen an der Stirn bekommt, sobald er ein gutes Blatt hat. Erik hingegen verzieht keine Miene. Könnte ich seine Hand nicht wie jetzt einsehen, würde mir seine Körpersprache rein gar nichts über seine Karten verraten. Um ihn zu schlagen, bliebe nur anhand der schon gefallenen Karten und der Reaktionen der anderen Spieler abzuschätzen, welche Karten noch im Spiel sind. Aber gerade das macht das Spiel mit ihm so reizvoll. Ich bekomme Lust mich dazu zu setzen und ebenfalls eine Partie mitzuspielen, doch ich traue den Kerlen am Tisch nicht. Meine Intuition sagt mir, dass mindestens einer von ihnen ein Drache ist. Ich muss Erik also vom Tisch weg bekommen, um unter vier Augen mit ihm sprechen zu können. Mir bleibt nichts anderes übrig, als aus dem Schatten direkt hinter ihm zu treten. Ich lege ihm meine Hand auf die Schulter und beuge mich vor zu seinem Ohr. Er zuckt kaum merklich zusammen, rührt sich sonst aber nicht. „Das Spiel kannst du nicht mehr gewinnen. Der Blonde hat ’nen Full House, der Glatzkopf ’ne Straße und du, mein Freund, nur zwei lächerliche Neuner. Gib auf und lass uns reden. Der weiße Wolf ist zurück", flüstere ich ihm zu. Das Nennen meines Spitznamens, den mir die Unterwelt gegeben hat, dürfte reichen, ihn aufhorchen zu lassen. Er hält die Luft an, während uns seine Mitspieler verwirrt mustern. „Wir warten in deinem Büro", füge ich hinzu und ziehe mich vom Tisch zurück. Erik hat sich noch immer nicht zu uns umgedreht, offensichtlich muss er das Gehörte erst einmal verdauen. Ich deute Toni mit einem Schwenk meines Kopfes an, dass wir ins Büro gehen. Da sich hier nicht viel verändert hat, nehme ich an, dass es sich noch immer hinter den letzten Tischen in einer Nische des Raums befindet und gehe auf die kleine Tür zu, die hinter einem dunkelroten Vorhang versteckt liegt. Toni folgt mir kommentarlos. „Kanntest du eine von den Gestalten am Tisch?", will ich von ihm wissen, als er mich eingeholt hat. Da er unter den Drachen ausgebildet wurde, kennt er fast jedes einflussreiche Gesicht unserer Feinde. „Der Kahlköpfige macht bei den Drachen die Buchhaltung. Der Junge neben ihm, wurde erst vor kurzem in den Clan aufgenommen." Also habe ich recht behalten. Erik von seinen Gästen wegzulocken, ist die richtige Entscheidung gewesen. Der Stuhl des Barbesitzers bewegt sich kratzend über den Steinboden. „Ich muss mich entschuldigen. Es wartet ein Geschäft, das ich nicht aufschieben kann", verabschiedet er sich von den Männern. Seine Schritte eilen uns nach. Ich ziehe den Vorhang ein Stück zur Seite, bis er die Klinke frei gibt und öffne das Büro. Noch bevor Erik uns eingeholt hat, betreten wir den Raum. Durch ein breites Fenster, fällt genügend Tageslicht herein, dass es unnötig wäre, den Lichtschalter zu betätigen. Ein langer Schreibtisch steht vor einem bequemen Sessel, die Regale rechts und links davon, sind gefüllt mit Aktenordnern. In der linken Ecke steht eine Minibar, mit einigen Whiskygläsern und teuren Weinen, Schnäpsen und anderen Spirituosen. Ich öffne eine Flasche Scotch und gieße den Inhalt in ein Glas, bis es sich zur Hälfte gefüllt hat. Die Flasche stelle ich zurück und nehme das Glas in die Hand, als Erik das Büro betritt. Er wirft die Tür nach sich ins Schloss und sieht uns wütend an. „Was fällt euch ein, mich hier so einfach zu überfallen und diesen Namen in den Mund zu nehmen, ihr ...!", bricht es aus ihm heraus. Unbeeindruckt davon gehe ich auf ihn zu und reiche ihm das gefüllte Glas. Bei dem, was er gleich erfahren wird, braucht Erik mit Sicherheit einen Drink. „Nimm und setzt dich!", schlage ich ihm vor. Er sieht von mir zu Toni. Seine Wut weicht einer allgemeinen Ratlosigkeit. „Antonio? Was wird das für ein Spiel? Du weißt ganz genau, dass ich diesen Namen hier nie wieder hören will." „Setzt dich lieber!", pflichtet auch er ihm zu. Erik funkelt uns beide noch einmal wütend an, dann entreißt er mir das Glas und leert es mit einem Zug. Wusste ich es doch, dass er dieses Gespräch nicht nüchtern überstehen wird. Er kneift die Augen zusammen und atmet hörbar durch, dann schaut er uns mahnend an. „Ich hoffe für euch, dass ..." Sein Blick bleibt an mir hängen. Je länger er mein Gesicht mustert, umso größer werden seine Augen. Sein Mund öffnet sich und ihm kommt ein tonloser Name über die Lippen. Schließlich schüttelt er mit dem Kopf. Er muss kräftig schlucken, dann schiebt er sich an mir vorbei zur Minibar. „Ich brauche noch einen!", sagt er mehr zu sich selbst. Er füllt sich das Glas mit zitternden Händen bis zum Rand und stolpert mehr schlecht als Recht zu seinem Schreibtisch. Schwerfällig lässt er sich auf dem Sessel fallen und verschüttet die Hälfte des Drinks über sein Sakko. „Verflucht!", schimpft er aufgebracht und schüttelt sich den Scotch von der Hand. Ich kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Es gefällt mir, den Pokerkönig aus der Fassung zu bringen. Während er ein Tuch aus seiner Tasche zieht und die gröbsten Spuren des Scotch zu beseitigen versucht, gieße ich mir nun auch ein Glas ein. Nicht ganz bis zur Hälfte, dann gehe ich zum Schreibtisch. Ich setze mich auf den schmucklosen Holzstuhl davor und lehne mich zurück. Erik ist noch immer mit dem Flecken auf seinem Sakko beschäftigt, während sich Toni auf die Platte des Schreibtisches gesetzt hat. Er hält eine Glasschale in der Hand und steckt sich immer wieder deren Inhalt in den Mund. Er isst so schnell, dass ich nur vermuten kann, dass es sich um Erdnüsse handelt. Er muss wirklich Hunger haben. Ich rolle mit den Augen und schüttle mit dem Kopf. Typisch! „Du hättchst mir ruhig mal einen mitch machen können!", mahnt er mit vollem Mund, als ich das Glas gerade an die Lippen setze. Ich halte ein, um ihm zu antworten: „Mach dir gefälligst selbst einen!" Wer bin ich denn? Sein Diener? Tonis Gesicht verzieht sich wütend. Er setzt die Schale klangvoll auf dem Tisch ab und erhebt sich. Während er sich an der Minibar einen Drink einschenkt, entspannt sich Erik langsam. Er lehnt sich in seinem Sessel zurück und leert den Rest, der sich noch in seinem Glas befindet. Das befleckte Tuch lässt er achtlos auf den Boden fallen. Eine seiner Putzfrauen, wird es früher oder später beseitigen. „Bring die Flasche gleich mit her!", ruft er Toni nach, dann wendet er sich mir zu. „Okay, ihr beiden Spaßvögel! Was um alles in der Welt, zieht ihr hier ab? Du müsstest tot sein." Ich will gerade meinen ersten Schluck nehmen, doch Eriks ernste Worte halten mich davon ab. Ich stelle das Glas auf meiner Stuhllehne ab, fühle ich mich doch zu einer Antwort genötigt: „Das war ich auch so gut wie, besonders nach den missglückten Anschlägen im Krankenhaus." Ich schaue in mein Glas und auf die braune Flüssigkeit darin, während ich das Geschehene Revue passieren lasse. „Robin, Jan und Lui haben mich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Krankenhaus geholt und alles Nötige in die Wege geleitet, um mich für tot zu erklären." Toni kehrt mit einem vollen Glas und einer zweiten Flasche Scotch zum Tisch zurück, die Erste ist bereits leer. „Na schön, aber wo warst du dann die letzten fünf Jahre?" Ich zögere. Auch, wenn Erik die Frage noch nicht ausgesprochen hat, so scheint sie mir dennoch in der Luft zu liegen. Warum hat meine Rückkehr so lange gedauert? Meine eigene Feigheit ist mir peinlich. Je mehr ich erfahre, umso deutlicher wird mir vor Augen geführt, dass meine Anwesenheit hier dringend nötig ist. „Ich habe ihn in Italien gefunden", antwortet Toni für mich. Ich werfe ihm einen grimmigen Blick zu. Wenn jemand diese Geschichte erzählt, dann ja wohl ich! Als er kein weiteres Wort verliert, fahre ich fort: „Ich lag zwei Jahr im Koma, weitere zwei brauchte ich, um auf die Beine zu kommen und meine Erinnerung wieder zu finden ..." Ich stoppe. „Und das letzte Jahr?" Soll ich ehrlich sein? Besser nicht! „Das ist nicht wichtig. Ich bin jetzt hier. Das ist alles was zählt." Von meinen Selbstzweifeln und den Versuchen, mir das Leben zu nehmen, muss Erik nichts wissen. Schlimm genug, dass Toni darüber Bescheid weiß. „Hast du überhaupt ’ne Ahnung, was hier abläuft, seit du weg bist?", mault Erik und beugt sich ein Stück vor. Ich sehe schuldbewusst unter seinem Blick hinweg. „Ich bekomme so langsam einen Überblick, ja." Ich stoppe, um endlich einen Schluck aus dem Glas nehmen zu können. Auch ich will bei diesem Thema nicht mehr nüchtern bleiben. Den Kloß in meinem Hals schlucke ich gleich mit hinunter und sehe Erik wieder direkt an, als ich frage: „Du hast den Schutz meiner Gang verloren und zahlst trotzdem kein Schutzgeld an die Drachen, oder?" Erik weicht meinem Blick aus. Ich habe also recht. „Woher weißt du ...?" „Deine Mädels reden viel und ich kann eins und eins zusammen zählen." Erik lächelt versöhnlich. „Du hast deine schnelle Beobachtungsgabe nicht verloren. Wie schön! Dann wirst du mir doch sicher deine Hilfe anbieten?" „Klar, warum nicht, solange die Bezahlung stimmt.“ „Dann soll ich also anstatt den Drachen, dir Schutzgeld zahlen?" Und damit beginnen wohl die Verhandlungen. Ich schmunzele. „Schutzgeld ist so ein böses Wort. Du benötigst ein paar fähige Türsteher und wir brauchen was zu Essen auf dem Tisch. Sieh dir Toni an: Er ist schon so verzweifelt, dass er die Nüsse isst, die schon vor fünf Jahren auf deinem Schreibtisch standen." Toni sieht mich erschrocken an. Ihm wird sichtlich schlecht bei dem Gedanken, dass ich mit meiner Aussage recht haben könnte. „Na schön! Wie viel?" „Das Dreifache, was du den Schwachköpfen da draußen zahlst." „Du willst mich wohl ruinieren?" Er blufft doch nur. Bei dem Eifer, den die beiden Gorillas an den Tag gelegt haben, wird deren Bezahlung lächerlich sein. „Mir machst du nichts vor. Deine Gorillas schlagen sich noch nicht mal mit einem Greis für dich. Die bekommen nicht mehr als einen Apfel und ein Ei, oder?" Erik schmunzelt und sieht zur Seite weg. Wieder liege ich richtig. „Das Doppelt, und da tu ich euch schon einen Gefallen." Na immerhin, besser als nichts. Doch ich bin mir sicher, dass sich noch mehr rausholen lässt. „Okay, das Doppelte und 60 Dollar jetzt auf die Kralle. So können wir ja schlecht arbeiten." Ich deute auf mein Hemd, über dem das Jackett fehlt. Auch Tonis Kleidung ist abgetragen und fleckig. Kein besonders gutes Aushängeschild für sein Lokal. Er lacht abfällig. Erik weiß genau, dass er mich nicht so leicht übers Ohr hauen kann. „Du bist kaum zurück und ich kann dich schon nicht ausstehen", brummt er, doch sein Tonfall bleibt freundlich, „Ihr bekommt eure Arbeitskleidung von mir und 30 Dollar auf die Hand." Klingt gar nicht schlecht. Mit dem Geld kommen wir ’ne Weile über die Runden. Toni bekomme ich damit auf jeden Fall zwei Monate satt. „Einverstanden!" Ich reiche Erik die Hand, um den Deal zu besiegeln, doch er zögert. Da kommt also noch eine Bedingung? „Eins noch!" Ich wusste es! „Ihr beseitigt die Bande, die mir ständig den Laden demoliert und meine Mädels bedrohen. Ich finde schon kaum noch Schlampen, die für mich arbeiten wollen." Ich verstehe und ziehe meine Hand zurück. „Das kostet aber extra. Du weißt was wir fürs Saubermachen nehmen." Einen Auftragsmord wird Erik nicht bezahlen können, dass wissen wir beide. Den Job werde wir ihm wohl oder übel, als Freundschaftsdienst machen müssen. Trotzdem kann es nicht schaden, den Preis noch etwas in die Höhe zu treiben. „Wenn ich dicht machen muss, weil ich keine Nutten mehr habe, seht ihr beide gar kein Geld." War ja klar, dass er diese Karte ausspielt. „Ach komm schon Erik. Allein die Munition für den Auftrag übersteigt unsere momentanen Mittel. Du sitzt doch an der Quelle. Das kostet dich keinen Cent." Erik knirscht mit den Zähnen. Er weiß genau, dass ich auf seinen illegalen Waffenhandel anspiele. Wenn wir schon keine Kohle für den Auftrag sehen werden, dann wenigstens neue Waffen und ausreichend Munition, um die Bande hochgehen zu lassen. Erik zieht eine Schublade an seinem Schreibtisch auf. Er holt drei graue Schachteln heraus und stellt sie auf den Tisch. Munition konnte ich ihm also schon mal abquatschen. Läuft doch gar nicht so schlecht! Als Erik die Schublade wieder schließt, sehe ich ihn dennoch so an, als wenn ich ihn fragen wolle, ob das schon alles sein soll. Er seufzt und wendet sich Toni zu: “Du brauchst ein Gewehr, oder?" Toni schluckt den Scotch runter, dann antwortet er: „Ja, aber nicht so ein Billigteil, wie das letzte Mal. Ich will das, was ich dir verkauft habe." Ich schaue ihn überrascht an. Er hat tatsächlich das Gewehr verkauft, das er einst von seinem Ausbilder bekommen hat? „Ja, sicher!", murrt Erik und erhebt sich. Er kramt einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und schließt damit einen Tresor auf, der die ganze linke Wand des Raumes einnimmt. Seine private Waffensammlung befindet sich darin. Er zieht einen schwarzen Gitarrenkoffer hervor. Toni hat also tatsächlich sein Scharfschützengewehr verkauft. Erik reicht ihm den Koffer. Mein Begleiter streicht über das feine Leder des Deckels, bevor er die silbernen Schnallen an der Seite öffnet. Prüfend betrachtet er den Inhalt und scheint zufrieden zu sein. „Also sind wir im Geschäft?", will Erik wissen und reicht mir seine Hand. Das laute Knurren meines Magens verneint seine Frage. Ich schaue ihn verlegen an, als ich unsere letzte Bedingung stelle: „Wenn du noch ein Abendessen drauflegst. Wir sind am Verhungern." Erik muss lachen. „Bestellt euch unten bei Maike was. Das geht aufs Haus." Ich lächle dankbar und schlage ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)