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The last sealed Second

Diarium Fortunae
von

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Das sind also die Hindernisse

Am Anfang spürte ein Traumbrecher zunächst nichts davon, dass jeder einzelne Schuss aus seiner eigenen Energie bestand – genau das konnte vielen oft zum Verhängnis werden. Es verleitete die meisten schnell dazu, die Pistole gedankenlos wie wild zu benutzen, um gegen den Feind anzukommen. Erst am Ende brachen dann die Konsequenzen über den Nutzer herein, wenn es im Grunde schon zu spät war.

Luan vergaß dagegen niemals die Gefahr der Erschöpfung, sobald er diese Handfeuerwaffe beschwor, dafür hatte er sie schon zu häufig durchlebt. Manchmal sah er sich dennoch dazu gezwungen, sie exzessiv zum Einsatz zu bringen. Erst recht in einer solchen Lage, in der Leben und auch seine Heimat bedroht wurden. Deshalb zögerte er gar nicht, den Abzug zu betätigen und dem auf ihn zuhaltenden Alptraum somit eine gewaltige Energiekugel entgegen zu schleudern.

Inzwischen war er geübt genug darin, Schüsse mit solchen Ausmaßen abzugeben, dass er sich nicht mehr zwingend vorher darauf konzentrieren musste und sie sofort erschaffen konnte, ratsam war das jedoch nicht. Der heftige Rückstoß ließ ihn zähneknirschend nach hinten stolpern, als die große Kugel aus der Mündung hervorbrach und die Halle noch mehr in gleißendem Licht ertränkte. Die weißen Flecken, von der die Energie durchzogen war, glühten dabei stärker als das Hellblau, das die meiste Fläche für sich beanspruchte.

Der Alptraum stieß ein panisches Kreischen aus und versuchte abzubremsen, was diesem im Sturzflug aber nicht mehr rechtzeitig gelang. Rasch verschlang ihn Luans Energiekugel förmlich an einem Stück und färbte sich durch diese Verschmelzung leicht rötlich, ehe sie schließlich verblasste und sich wieder auflöste. Von dem Alptraum war danach nichts mehr zu sehen, nicht mal weiße Sandkörner. Seine Existenz war von der reinen Energie vollständig zersetzt worden, wie es sein sollte.

Einzig ein roter Samen fiel zu Boden und verschwand in dem Chaos zwischen den Personen sofort aus Luans Sichtfeld. Jetzt danach zu suchen, wäre vergebliche Mühe. Stattdessen gab er sich lieber der Erleichterung darüber hin, dass es ihm tatsächlich gelungen war, erneut solch einen Alptraum zu vernichten. Einzig mit seiner Energie, während die anderen Traumbrecher weiterhin nichts damit bewirken konnten.

Warum funktioniert es ausgerechnet bei mir?, dachte Luan und starrte dabei fragend auf seine Pistole, doch sie gab ihm natürlich keine Antwort darauf. Was ist so anders an meiner Energie?

Oder lag es nur an der Menge? Auch Ferris hatte seinen Gegner von dieser Art mit lauter normalen Schüssen bearbeitet, genau wie der Rest um Luan herum es gerade tat. Derart große Energiekugeln zu bilden war zudem nicht leicht, vor allem wenn man kaum Zeit für die nötige Konzentration fand.

Panisch huschten die Traumbrecher hin und her, manche sogar orientierungslos, und schossen dabei, solange sie konnten. Bald dürften die ersten zusammenbrechen, wenn das so weiterging. Zeit zum Nachdenken blieb also nicht, Luan sollte froh darüber sein, helfen zu können. Daher beschloss er, nicht noch länger als nötig nur ratlos herumzustehen und lief in die Mitte der Halle, wobei er einigen Traumbrechern ausweichen musste.

„Rowan!“, rief er laut, ohne zu wissen, wo der sich gerade genau befand. „Treibe sie mir auf einen Haufen zusammen!“

Nur Sekunden später erhielt er aus einer anderen Ecke des Raumes eine Antwort. „Geht klar!“

Sobald es um den Kampf ging, zeichnete sich Rowan durch seine erstaunliche Auffassungsgabe aus. Bestimmt hatte er, trotz seiner eigenen Kämpfe, nebenbei realisiert, dass es Luan gelungen war, einen der Alpträume unschädlich zu machen und hinterfragte das vorerst nicht, sondern erkannte darin die Chance auf einen Sieg. Auf die Eifersuchtsphase konnte Luan sich aber sicherlich hinterher gefasst machen, denn Rowan mochte es eigentlich überhaupt nicht, von anderen in seinem Spezialgebiet überholt zu werden. Zum Glück blieb er im laufenden Gefecht allerdings auf die wichtigen Dinge fokussiert.

Da er das Zusammentreiben beruhigt Rowan überlassen konnte, bemühte Luan sich darum, so schnell wie möglich ins Zentrum der Halle zu gelangen, damit er von dort möglichst viele Alpträume auf einmal aus dem Weg räumen konnte. Schon der Schuss vorhin hatte seine Spuren bei ihm hinterlassen, sein Körper bewegte sich schwerfälliger als vorher und er spürte einen leichten Druck im Kopf. Noch war das gut auszuhalten.

Kurz bevor er sein Ziel erreichte, warf er den Blick nach oben. Als Koloss-Traumbrecher war Rowan nicht dazu fähig zu schweben, aber durch seine kraftvollen Sprünge sah es trotzdem jedes Mal so aus, als würde er problemlos durch die Luft fliegen, so wie die Alpträume. Mit Hilfe von gezielten Schlägen seines Hammers lenkte er sie und sammelte sie so nach und nach zu einem Haufen zusammen, den er bestmöglich unter Kontrolle hielt.

Tatenlos ließen die Alpträume sich das nicht gefallen und schlugen mit ihren üblichen Fähigkeiten zurück, wählten dafür jedoch nicht immer Rowan, der momentan ihr größtes Problem sein müsste. Wahllos griffen sie noch mehr Traumbrecher aus der Ferne an, fast wie besessen. Einige der Feinde, die durch Hammerschläge etwas zerbröselt waren, ließen außerdem zusätzlich aus ihrem Inneren Feuerfontänen hervorquellen, genau wie Ferris es schon erlebt hatte.

Dadurch drohte sich eine kräftezehrende Hitze auszubreiten, aber wenigstens dagegen konnten die Schöpfer-Traumbrecher etwas ausrichten, indem sie die Flammen dank kleiner, schwarzer Löcher einsaugten und durch einen künstlichen Regen die Atmosphäre wieder etwas abkühlten. Ein paar schienen also doch noch dazu imstande zu sein mitzudenken und nicht nur blind zu schießen.

Kaum in der Mitte angekommen, hob Luan mit beiden Händen die Pistole über seinen Kopf und umklammerte sie fest, als er den nächsten Schuss auslöste, der die zusammengetriebenen Alpträume auf einen Schlag beseitigen sollte. Abermals fuhr der Rückstoß dabei durch seine Arme und eine neue, große Energiekugel rauschte nach oben, wo sie erfolgreich sämtliche Zielobjekte in sich aufnahm, die dank Rowans Bemühungen in der Schussbahn gehalten wurden.

Diesmal war ein Chor aus erstickten Schreien zu hören, für deren Laute es keinen passenden Vergleich gab. Unmenschliche, verzerrte Stimmen von Bestien aus einer anderen Welt, die sich in dem Schmerz ihrer Vernichtung wanden. Wie zuvor dauerte es nicht lange und auch diese Energiekugel löste sich mitsamt den Alpträumen auf, nachdem sie ihr Werk vollbracht hatte. Rote Samen mischten sich zwischen die Tropfen des künstlichen Regenschauers, in einem verzweifelten Versuch, sich zu tarnen und nicht weiter aufzufallen, während sie haltlos nach unten rieselten.

Auch Luan ließ die Arme erschöpft sinken und atmete kontrolliert durch. Für den Augenblick kehrte die Ruhe etwas zurück, sie wurde nur durch das nervöse Getuschel und Keuchen der Traumbrecher getrübt. Niemand wollte sich zu früh freuen, alle blieben angespannt und behielten wachsam alles im Blick. Im Moment waren in der Halle keine weiteren Alpträume mehr zu sehen, doch dieser Zustand hielt leider nicht lange an.

„Nein!“, stieß schließlich jemand überfordert hervor, womit die Anspannung nur weiter zunahm.

Gleichzeitig mit dem Schrei stürmten neue, gesichtslose Menschenkörper aus weißem Traumsand die Halle, allesamt kamen aus den Tunneln. Dort musste irgendwo die Quelle liegen und etwas in Luan weckte eine böse Vorahnung, weshalb er dem gleich nachgehen musste. Er rannte der neuen Flut aus Feinden furchtlos entgegen und versuchte dabei, sie nur mit leichten Schüssen zu treffen, um zu sehen, ob das auch schon etwas bewirkte.

Zu ihrem Glück zeigten die Alpträume darauf wirklich eine Reaktion und verloren im Flug das Gleichgewicht. Kreischend stürzten sie ab, sobald Luan sie mit einem Schuss traf, und verloren sich daraufhin in schmerzvoll aussehende Krämpfe, lösten sich aber nicht auf. In dem Zustand schienen sie allerdings schon weniger gefährlich zu sein, was sie zu ihrem Vorteil nutzen konnten.

„Hört zu!“, verschaffte Luan sich Gehör, der seinen Weg Richtung Tunnel fortsetzte. „Gebt nicht so schnell auf! Nur, weil ihr sie nicht vernichten könnt, seid ihr nicht wehrlos! Schöpfer, tut euch zusammen und sperrt sie in Käfigen ein, damit sie uns nicht mehr angreifen können!“

Einige warfen sich unsichere Blicke zu, andere nickten verstehend und begannen nach dieser Aufforderung gleich damit, spezielle Risse zu bilden, die als Käfige für die Alpträume dienen sollten. Über den Handflächen der Schöpfer entstanden aus dem Nichts violette Gitterkugeln, in denen ein dunkler Nebel schwebte, der unruhig hin und her waberte. Dieser quellte plötzlich zwischen den einzelnen Löchern der Gitter hervor, umhüllte einen der geschwächten Alpträume und sog diesen mit sich in die Kugel zurück.

Nachdem auf diese Weise die ersten Unruhestifter in Gewahrsam genommen werden konnten, rauften sich langsam auch die restlichen Schöpfer zusammen und folgten dem Beispiel der anderen. Die wenigen Schall-Traumbrecher dazwischen sorgten derweil mit ihrem wohltuendem Gesang dafür, dass ihre Kollegen etwas zur Ruhe fanden und nahmen auch den Verletzten einen Teil der Schmerzen, so dass die Konzentration allgemein wieder zunahm. Auch Luan blieb fleißig, schoss so viele Alpträume ab wie möglich und wandte sich kurz vor dem Tunnel nochmal mit seiner Stimme an Rowan.

„Kümmere du dich um die, die ich nicht erwische und schütze die anderen!“

„Das musst du mir nicht erst sagen!“, entgegnete dieser schnaubend und hielt seinen Hammer kampfbereit erhoben. „Was hast du vor?!“

„Ich suche die Quelle!“, antwortete Luan knapp.

Danach verschwand er bereits in einem Tunnel, der zu den einzelnen Zimmern der Traumbrecher führte. Sein Verdacht gab ihm eine genaue Richtung vor, also musste er ihr nur folgen. Er befürchtete, dass vielleicht er für diesen ganzen Ärger verantwortlich war und konnte nur hoffen, mit dieser Vermutung nicht recht zu haben.

Je näher er den Zimmern kam, desto mehr Koloss-Traumbrechern begegnete er unterwegs, die mit aller Kraft versuchten, diese Armee von Alpträumen aufzuhalten. Für ihre hohe Ausdauer waren sie wahrlich zu bewundern, wie Luan fand. Dummerweise besaß jeder dieser Kolosse für sich einen furchtbar wilden Kampfstil, ähnlich wie Rowan, weswegen es für Luan nicht so einfach war, unbeschadet vorwärts zu kommen. Noch dazu bei den mangelnden Platzverhältnissen in dem Tunnel.

„Pass auf!“, warnte ihn jemand mit scharfer Stimme. Nur knapp konnte Luan soeben dem Schlag einer Waffe, eine gigantische Axt, ausweichen, als ein Traumbrecher versuchte einen Alptraum mit Schwung in zwei Hälften zu spalten. „Was willst du denn hier?! Du bist uns im Weg! Geh zu den anderen!“

Luan sparte sich jedes Wort und nahm mit der Pistole den Feind ins Visier, gegen den der Angriff mit der Axt gerichtet gewesen war. Dieses Exemplar zuckte hin und her, sah mehr aus wie ein Nadelkissen als eine menschliche Gestalt. Bevor der Traumbrecher ihn darauf aufmerksam machen konnte, dass Energiekugeln nichts bewirkten, hatte Luan längst geschossen und den Alptraum zwar nur ganz knapp am Arm erwischt, doch das genügte schon vollkommen, um ihn ebenfalls kreischend zu Boden zu zwingen.

„Macht mir Platz!“, forderte Luan ungeduldig und eilte direkt weiter, an dem verblüfften Kollegen vorbei, der damit nicht gerechnet hatte.

Auch die nächsten Alpträume brachte er zügig zum Schweigen, um die Kämpfe im Tunnel zu unterbinden und besser voranzukommen, womit er weitere Koloss-Traumbrecher mit Erstaunen zurückließ. Nach einem gefühlten Marathon erreichte Luan anschließend endlich den Gang, auf dem all die Zimmer lagen.

Durch den hohen Energieverbrauch war ihm inzwischen furchtbar schwindelig und schlecht, aber er musste auf den Beinen bleiben. Er steuerte die letzte Tür am Ende an, hinter der sich sein eigener Wohnbereich befand. Schon von weitem erkannte er, dass seine Befürchtungen offenbar zutrafen.

Risse zogen sich wie ein unheilvolles Spinnennetz durch eine Wandseite, ausgehend vom Zugang zu Luans Zimmer. Schwarze Dornenranken hatten sich durch den Rahmen der Tür gebohrt und ihn dabei regelrecht auseinander genommen, so dass sie nun das neue Gerüst bildeten. Ruhig bewegten diese augenscheinlichen Pflanzen sich schlangenartig auf und ab, nur mit der Taschenuhr konnte Luan die rote Aura sehen, die wie Rauch von ihnen ausging und sich oben an der Decke sammelte.

Etliche dunkle Knospen blühten an den einzelnen Ranken und er wusste sofort, dass jeder Alptraum von hier stammen musste. Einige knackten leise, wie ein Ei, aus dem bald ein neues Wesen schlüpfen könnte. Vorsichtshalber verlangsamte Luan seine Schritte, als er sich der Tür näherte, die nur noch von einem dicken Geflecht aus Dornenranken an ihrer alten Position gehalten wurde. Leicht schwankend blieb er mit ein bisschen Abstand davor stehen und starrte dieses Bild einfach nur ernst an.

„Das sind also die Hindernisse“, vermutete Luan und betrachtete nervös eine der Knospen, aus der weißer Traumsand rieselte, während sie knackend zu blühen anfing.

Wie viele Alpträume könnten diese Pflanzen wohl noch hervorbringen? Was war das überhaupt? So etwas hatte selbst Luan bisher noch niemals zuvor gesehen und das gefiel ihm nicht, auch wenn seine Energie wirksam gegen diese Gattung war. Seine Ablagerung auf der Haut kribbelte auch längst wieder, dem konnte er durch die momentane Lage nur noch kaum Beachtung schenken.

Mara ...

Sie war noch immer dort drin, jedenfalls glaubte er nicht, dass sie weggegangen war. Schlimmstenfalls schlief sie sogar noch und musste nun als Opfer für diese Alpträume herhalten. Hätte er das verhindern können, wäre er nach dem Aufwachen nicht direkt panisch abgehauen? Abgesehen von den Regungen der schwarzen Kruste hatte es aber zuvor keinerlei andere Anzeichen für eine Gefahr gegeben.

Er biss die Zähne zusammen und zielte mit der Pistole auf eine der Ranken. Eigentlich sollte er nicht mehr schießen, sein Körper war erschöpft, aber er musste versuchen Mara dort herauszuholen. Also dachte er nicht erst darüber nach und feuerte eine Kugel ab, die sich in die Pflanze hinein fraß. Auch hier schien seine Energie Wirkung zu zeigen, nur wollte ihm das in diesem Fall nicht gefallen, denn der Schmerzensschrei, der nach diesem Schuss ertönte, gehörte eindeutig Mara.

Sämtliche Knospen an der Ranke verdorrten auf der Stelle und die Ranke rollte sich kläglich zusammen, im Hintergrund hielt der Schrei an. Obwohl er nur dumpf von der anderen Seite der Tür zu hören war, sorgte er dafür, dass sich Luans Inneres ebenfalls schmerzhaft zusammenzog. Ihre Stimme klang der von Estera so ähnlich ...

„Nein!“, ermahnte er sich selbst und schüttelte den Kopf. „Mara! Hörst du mich?!“

Wenn diese Ranken in irgendeiner Form mit ihr verbunden waren, konnte er nichts tun. Auf keinen Fall wollte er ihr unnötig Schmerzen zufügen müssen, zumal er nicht wusste, was er damit alles bei ihr anrichten könnte. Darum hasste er solche unbekannten Feinde, sie raubten ihm jegliche Handlungsmöglichkeit, es sei denn, er riskierte Fehler – und das wollte er nicht.

Da er keine Antwort bekam, wagte er es, näher an die Tür heranzutreten und griff nach der Klinke. Natürlich war sie fest verschlossen und regte sich kein Stück, egal wie sehr er daran rüttelte. Selbst wenn er nicht erschöpft wäre, hätte er auch nicht genug körperliche Kraft gehabt, sie mit Gewalt zu öffnen. Unbekümmert – trotz eines Verlustes – ließen die Ranken ihn machen und beachteten ihn scheinbar gar nicht, was nur für noch mehr Frust sorgte.

„Verdammt!“, fluchte Luan.

„Ich weiß, das haben wir auch schon versucht“, sagte eine Männerstimme in der Nähe darauf ebenso erzürnt. „Was geht denn da bitte in deinem Zimmer ab, Mann?“

Ein Blick zur Seite verriet ihm, dass zwei der Koloss-Traumbrecher ihm gefolgt waren und ihn fragend ansahen, während die anderen vermutlich lieber die Umgebung sicherten. Klar, sie erwarteten eine Antwort von ihm. Dieses Chaos hatte er zu verantworten, nur verstand er noch nicht, wieso. Woher kamen diese Alpträume nur? In Athamos durfte es so etwas nicht geben, hier war es immer sicher gewesen. Hatte er diesen heiligen Ort entweiht?

„Ich weiß es nicht“, erwiderte er wahrheitsgemäß.

Misstrauisch musterten sie ihn, was er gut nachvollziehen konnte. „Warum ist nur deine Energie wirksam gegen diese Dinger?“

Ja, er musste deswegen in der Tat sehr verdächtig auf sie wirken. Bestimmt gehörte das alles zu Verrells Plan, zu seinem Spiel, wie auch immer er das anstellen konnte. Solange Luan nichts gegen diese Ranken tun konnte, wenn er Mara nicht verletzen wollte, bestand die Gefahr, dass stetig neue Alpträume erschienen und alle angriffen. Gleichzeitig verlor er hier durch die Kämpfe eine Menge Zeit, während Verrell in aller Seelenruhe Ferris brach.

Ich Idiot, mit so einem hinterhältigen Plan hätte ich rechnen müssen.

Luan könnte sich selbst verfluchen, vielmehr entwickelte er aber nur Hass gegenüber Verrell. Selbst Vanes Mühe, seine Atemhypnose so gut wie möglich zu flicken, konnte nichts dagegen tun. Als seine Ablagerung aber bedrohlich heiß wurde, riss Luan sich zusammen und zwang sich innerlich zur Ruhe. Gefühlschaos brachte ihn hier nicht weiter, er musste eine Lösung finden. Ganz sicher gab es eine.

„Verdammte Geißel!“, zischte einer der Traumbrecher plötzlich und hob seine Waffe. „Da kommen wieder neue!“

Sofort wich Luan von der Tür zurück, noch bevor er sah, dass wirklich aus zwei Knospen Unmengen weißer Traumsand zu Boden floss, der sich zu menschlichen Gestalten zusammenformte. Mit jedem Sandkorn löste die Blüte sich Stück für Stück auf und hinterließ eine neue, winzige Knospe, deren rasches Wachstum man mit bloßem Auge verfolgen konnte. Wie es aussah, kehrte hier nicht so bald Ruhe ein. Es sei denn, er zerstörte alle Ranken.

„Hey, Howe, tu was!“, verlangte der andere Mann gereizt. „Wir haben gesehen, dass du dieses Zeug vernichten kannst! Worauf wartest du denn?!“

„Ich kann nicht“, widersprach Luan. Nicht, solange Mara dort drin war. „Ich habe keine Energie mehr.“

Was nicht mal vollkommen gelogen war, jeder weitere Schuss könnte ihn auf der Stelle bewusstlos werden lassen. Noch war aber nichts verloren, er hatte eine Idee. Eine Person gab es, die ihm helfen könnte. Er ließ die anderen nur ungern hier zurück, doch es ging nicht anders. Sie mussten jetzt beweisen, dass sie richtige Traumbrecher waren. Hastig huschte er an den beiden Koloss-Traumbrechern vorbei, um sein neues Ziel in Angriff zu nehmen.

Die reagierten verständlicherweise fassungslos. „Wo willst du hin?!“

„Haltet hier weiter so viele von denen auf wie möglich!“, riet er ihnen und blickte dabei über die Schulter. „Und sagt den Schall-Traumbrechern, sie sollen versuchen, die Alpträume mit Gesang zu besänftigen, damit die Schöpfer sie leichter einfangen können.“

Eine Reaktion auf seine Worte wartete Luan nicht mehr ab und sah wieder nach vorne, um den anderen Personen und nur noch wenigen Alpträumen auszuweichen. Zwischendurch verlor er aufgrund der Erschöpfung das Gleichgewicht und musste sich an den Wänden abstützen, dennoch kam er irgendwie voran. Zur Vorsicht behielt er die Pistole noch in der Hand, vermied es jedoch lieber, sie weiter zu benutzen, weil er nicht umfallen wollte.

In der Halle schien sich die Lage inzwischen einigermaßen beruhigt zu haben, zumindest den Umständen entsprechend. Haufenweise Gitterkäfige schwebten nun statt Alpträume in der Luft herum und die Stimmung war am Tiefpunkt. Durch die kurze Verschnaufpause konnten die meisten erst realisieren, wie schlimm einige von ihnen verletzt worden waren. Psychische Male waren schon nicht angenehm, aber manche hatten üble Verbrennungen davongetragen oder waren von Stacheln durchlöchert worden. Wenn man das so sah, konnte Luan von Glück reden, selbst keinen Angriff abbekommen zu haben.

Anhand der blauen Auren, von denen die Traumbrecher umgeben waren, konnte man erkennen, dass einige ihre Taschenuhr noch aktiviert ließen, nur um sicherzugehen. Die Nervosität hatte sich trotz der willkommenen Ruhephase momentan eben doch nicht gänzlich gelegt. Zu gern hätte Luan sie darauf hingewiesen, was für eine Verschwendung ihrer wertvollen sechs Stunden sie damit zuließen.

Am besten sollte er aber möglichst unbemerkt zur Haupttreppe gelangen, er durfte keine Zeit verlieren und sich mit Fragen aufhalten lassen, deren Antworten er sowieso nicht mal selbst kannte. Leider gab es immer noch Rowan, der nur auf ihn gewartet zu haben schien, so schnell wie der auf einmal vor ihm stand und nicht gerade erfreut über diese Ereignisse wirkte. Seine Körperhaltung verriet, wie wütend er war.

„Du!“, sprach er ihn lauthals an und rang sichtbar nach den richtigen Worten. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll! Kannst du mir mal verraten, was das zu bedeuten hat?!“

„Nicht jetzt, Rowan. Da werden gleich noch mehr kommen.“

„Nicht dein Ernst?!“

„Doch, tut mir leid.“ Er senkte reumütig den Kopf. „Ich kann es dir jetzt nicht erklären, aber ich regle das.“

„Das behauptest du immer!“, brummte Rowan.

„Und habe ich denn jemals gelogen?“

Darauf wusste er nichts zu erwidern und schnaubte nur schwer. Es war jedes Mal das gleiche mit Rowan, erst wünschte er sich Aufregung und wenn sie da war, zeigte er sich empört darüber. Daran war Luan aber schon gewöhnt und er hatte auch gerade ganz andere Sorgen.

Damit Rowan ihn ernst nahm, hob er den Kopf wieder und stellte sich seinem tödlichen Blick. „Bitte, unterstütze hier die anderen, so lange es geht.“

„Und dann?!“

„Nichts, um den Rest kümmere ich mich schon.“

Durfte Luan das denn? Womöglich riskierte er statt Maras Leben das von allen anderen, wie ihm bewusst wurde. Statt ihnen zu helfen, dachte er mehr an eine einzige Person. Selbst Rowan könnte sicher nicht ewig kämpfen und sich verteidigen, auch wenn er das Gegenteil behaupten würde. Warum musste sich ausgerechnet sein einziges Zuhause in ein solches Krisengebiet verwandeln?

„Worum kümmerst du dich? Dass wir hier nicht mehr von Alpträumen überrannt werden?“ Ungehalten ließ Rowan den Kopf des Hammers mit einem lauten Knall zu Boden fallen. „Ich bin auch ein Einzelgänger, aber denkst du nicht, dass Ego-Trips gerade unangebracht sind?!“

„Ich will jemanden retten“, gab Luan entschuldigend zu, leugnen hätte keinen Zweck. „Und ich will ... das alleine machen.“

Überraschenderweise fuhr Rowan ihn nach dieser Erklärung nicht noch wütender an, nein, er blieb seltsam ruhig und das giftige Funkeln in seinen Augen würde schwächer. „Jemanden retten? Wen? Dieses eine Mädel?“

Luan nickte nur stockend.

„Ist sie dir so wichtig?“, hakte Rowan weiter nach.

Erst wollte er nochmal nicken, aber er fand, diese Antwort hatte doch richtige Worte verdient. „Irgendwie schon.“

Rowan mochte nicht derjenige sein, der gern Predigten hielt, jedoch rechnete Luan genau damit. Gesagt zu bekommen, wie egoistisch er sich verhielt und dass er mehr Teamgeist zeigen sollte. Schlimmstenfalls sogar zu hören zu bekommen, dass Mara eh nur ein Sakromahr sei, eine Träumerei, bei der einzig deren reine Energie als wertvoll galt und echte Menschenleben ihr vorgezogen werden mussten. Alleine den Gedanken konnte er kaum ertragen.

„Na schön“, kam es monoton von Rowan und er schulterte den Hammer wieder. „Dann mach mal und kümmere dich schnell.“

Sprachlos sah Luan ihn an. Diese Worte sollten ihn beruhigen, aber er verstand es nicht. Wo blieben die erwarteten Belehrungen? Vorhin hatte seine Befürchtung bezüglich Mara noch Bestätigung gefunden und nun so etwas. Wurde hier gerade das Gleichgewicht zwischen gut und schlecht wiederhergestellt? Wäre Ferris hier, könnte er sich anhören, dass er einfach nur zu negativ eingestellt war.

„Ich würde an deiner Stelle das gleiche tun“, erklärte Rowan, als er diese Fragezeichen in seinem Gesichtsausdruck bemerkte. „Jemanden beschützen zu wollen, der einem wichtig ist, ist immer der richtige Weg.“

„Durante!“, unterbrach eine andere Stimme ihr Gespräch. „Da kommen noch mehr!“

„Zeit für meinen Auftritt.“ Sofort wandte Rowan sich von ihm ab und trat dem nächsten Gefecht entgegen. „Los jetzt, hau ab und beeil dich gefälligst.“

Ihm fehlten immer noch ein wenig die Worte, also fasste er sich kurz. „In Ordnung.“

Damit wandte auch er sich wieder seinem Ziel zu und eilte, so weit es sein Körper zuließ, zur Haupttreppe. Luan musste dort hin, wo ihn seine Panik nach dem Aufwachen bereits hinführen wollte, zu Vane, auf die Krankenstation. Der Arzt wusste etwas über die roten Samen, also könnte er ihm sicher einen Weg nennen, Mara zu retten. Er musste einen kennen.



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