The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 22: Ich spiele mit -------------------------- Hellblaue Energiekugeln, in die sich ein paar weiße Flecken gemischt hatten, sausten geschwind auf den Feind zu: Ferris’ Geißel. Luan hatte bereits den Abzug seiner Pistole betätigt, noch bevor er mit dem ersten Fuß den Boden im Inneren des Refugiums betrat. Der Knall von jedem einzelnen Schuss dröhnte lauter als gewöhnlich in seinen Ohren und half ihm dabei, konzentriert seinen Plan im Vordergrund zu halten, statt sich von den Veränderungen ablenken zu lassen, die sich ihm boten. Irgendwie war es der Geißel tatsächlich gelungen, etwas an der Optik ihres Verstecks zu verbessern. Für Luan gab es jetzt aber nur ein Ziel, das er fest mit den Augen fixierte und dafür vorerst alles andere außer Acht ließ. Auch ihr eigenes Aussehen hatte die Geißel innerhalb der kurzen Wartezeit geändert, vermutlich weil sie es wirklich leid war, so zu tun, als wäre sie Ferris. Daher trug sie die Haare wieder offen und die Augen glühten nun rot, womit sie die zuvor unterdrückte Bosheit unterstrichen, von der dieser Alptraum eigentlich in Massen erfüllt war. Anscheinend gab es für diesen gerade keinen Grund mehr, sie weiterhin zu verstecken. Davon ließ Luan sich diesmal nicht mehr so leicht beeindrucken. Zielsicher flogen seine Energiekugeln auf den falschen Ferris zu, der für diese Angriffswelle nur ein amüsiertes Grinsen übrig hatte und mit einem simplen, schnellen Schritt zur Seite auswich. Es sah beinahe wie eine Teleportation aus, vielleicht war es auch eine. Immerhin bildete dieses Refugium einen Teil von seinem Schöpfer und dieser konnte hier drin alles tun, wonach ihm der Sinn stand. Auch davon wollte Luan sich nicht aufhalten lassen und feuerte noch mehr Schüsse ab, während er sich immer tiefer in diesen Ort wagte, der scheinbar von der Fläche her viel größer ausfiel als letztes Mal. „Ach, Luan“, gab sein Gegenspieler gelangweilt von sich, ohne sein Grinsen abzulegen. Gleichzeitig wich er auch den neuen Kugeln mühelos mit schnellen Schritten aus, die für das menschliche Auge kaum erfasst werden konnten. „Bist du etwa auch schon so wild darauf mit mir zu spielen? Dabei müssen wir doch erst mal in Ruhe die Spielregeln klären, also warum entspannst du dich nicht und zeigst etwas mehr Klasse, Howler?“ Howler. Das galt für Traumbrecher als Beleidigung, besonders wenn es von Alpträumen kam, deshalb zog Luan missbilligend die Augenbrauen zusammen, sagte jedoch nichts dazu und suchte instinktiv Schutz hinter einer freistehenden Wand mitten im Raum, als der andere mit einem eigenen Angriff in Form einer dunklen Energiekugel konterte. Sie war um einiges größer als seine Schüsse, Luans gesamter Körper könnte von ihr verschluckt werden. Seine schwarze Ablagerung kribbelte unruhig auf der Haut und er folgte der feindlichen Energiekugel kurz mit den Augen, nachdem sie neben der Wand an ihm vorbeirauschte. Einige Meter weiter zersprang sie mit einem unheilvollen Knistern und war verschwunden. Angespannt wagte Luan sich kurz darauf wieder aus seiner Deckung hervor, für weitere Schüsse, denen die Geißel wie gehabt auswich und hinterher erneut mit einem eigenen Angriff darauf reagierte. Noch eine dunkle Energiekugel, die direkt aus ihren Handflächen kam. Rasch zog Luan sich hinter die Wand zurück und drückte sich mit dem Rücken dagegen. Knisternd flog auch diese Kugel seitlich an ihm vorbei, ohne zu treffen. Nachdenklich runzelte Luan die Stirn. Bestimmt könnte die Geißel seine Schüsse mit dieser konzentrierten Menge an negativer Energie ganz leicht verschlucken, solange er selbst nur kleinere Mengen abfeuerte, dennoch tat sie es nicht. Könnte darauf hindeuten, dass sein Feind es zu vermeiden versuchte, mit der Energie eines Traumbrechers in Berührung zu kommen, weil sie ihm mindestens nicht behagte. Oder er interpretierte zu viel hinein, immerhin nahm die Geißel ihn nicht sonderlich ernst. Noch war Luan allerdings nicht fertig, er hatte erst angefangen. „Ich meine es ernst“, warnte der andere und klang schon deutlich weniger amüsiert. „Auch meiner Geduld sind Grenzen gesetzt. Möchtest du etwa, dass ich euch alle doch schon hier und jetzt vernichte?“ Darauf fiel Luan nicht herein. Dieser Typ wollte etwas von ihm, sonst würde er sich gewiss nicht die Mühe machen, ihn zu einem ruhigen Gespräch zu bringen. Mit Geißeln mochte er sich zwar noch nicht auskennen, doch deswegen war er auch nicht blind. Also machte Luan sich keine Sorgen darum, mit der Geduld seines Gegners zu spielen. Sollte es zu riskant werden, merkte er das schon früh genug. Flüchtig warf er einen Blick auf seinen rechten Arm, wo noch das leichte Gewicht der Klingen zu spüren war. Nach wie vor blieb der Kontakt zu ihnen gestört, so konnte er sie nicht richtig nutzen, aber vielleicht reichte ihre Anwesenheit schon aus, um etwas anderes zu versuchen. Entschlossen nickte er sich selbst zu und sprang aus der Deckung hervor, nur um zuerst nochmal neue Schüsse abzugeben. Dafür hielt er die Pistole nun in der linken und hob die andere Hand Richtung Laufbahn der Kugeln, spürte dabei das leichte Ziehen von unsichtbaren Fäden an seinen Fingern, dank denen er die Geschosse in der Luft stoppen konnte, ehe sie bei ihrem Ziel ankamen oder wirkungslos ins Nichts verpuffen konnten. Zufrieden deutete Luan ein Lächeln an, da es zu funktionieren schien. Durch die Atem-Prägung konnte er seine Energie führen, sobald sie mit der Waffe zu Kugeln geformt und nach draußen gelangt war. Nicht viel, dafür ungemein praktisch. Alle Energiekugeln rotierten abwartend in der Luft und verbanden sich binnen weniger Sekunden über feine Fäden zu einem großflächigen Netz, als Luan ihnen gedanklich den Befehl dazu gab. Einzig eine Handbewegung genügte als Geste und das Fangnetz aus reiner Energie fiel von oben herab, konnte seine Beute jedoch nicht erwischen. Genau vor ihm erschien innerhalb eines Wimpernschlags via Teleportion die Geißel, packte fest die Hand, in der Luan seine Pistole hielt und versetzte ihm synchron einen kräftigen Schlag gegen die Taschenuhr, damit sie sich schloss. Sofort lösten Waffe und Fangnetz sich in einem grellen Lichtblitz auf. Keuchend rang Luan nach Luft, da der Schlag sein Herz erwischt hatte und somit einen stechenden Schmerz in der Brust zur Folge hatte. Dieser Zustand stimmte den Täter spürbar zufrieden, was man auch der Tonlage seiner folgenden Worte entnehmen konnte. „Selbst schuld. Ich sagte dir doch schon, dass ich keine Taschenuhren mag, und wie dumm muss man sein, um eine Geißel in ihrem eigenen Reich herauszufordern?“ Ein theatralisches Seufzen war zu hören. „Außerdem bin ich nicht so ahnungslos wie manch andere Alpträume. Ich weiß, wo eure Schwächen liegen. Da muss ich mich gleich wieder fragen, wie du und Ferris so lange in dieser Branche überleben konnten.“ Abrupt hielt Luan den Atem an und sein rechter Arm schnellte nach oben, zielte mit geballter Faust auf die Geißel vor sich, die sehr nahe war. „Nimm seinen Namen nicht in den Mund, Alptraum, sonst reiße ich dein Refugium in Stücke und dann sehen wir mal, wie deine Chancen gegen mich wirklich so stehen.“ Außerhalb ihres Verstecks nahmen die Kräfte von Alpträumen ab, weil sich die Realität nicht so leicht beeinflussen ließ. Sicher, für mächtige Alpträume, insbesondere Reinmahre, war das trotzdem kein Hindernis und doch blieb es eine Tatsache. Und die Reaktion der Geißel ließ darauf schließen, dass es auch bei ihr so sein könnte oder sie allgemein Respekt vor Atem-Prägungen hatte, denn sie löste sich sofort von Luan, um ein Stück zurückzuweichen. Genervt hob sein Gegenüber die Hände. „Pass auf, Howler, entweder du benimmst dich jetzt langsam mal oder ich komme meiner Drohung nach.“ „Für einen Alptraum redest du ganz schön viel“, bemerkte Luan. „Wir können auch meinetwegen die Zeit weiter mit kämpfen verschwenden und sparen uns das Gerede“, bot die Geißel an und zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Du weißt aber, dass du gegen mich aktuell noch keine Chance hast und während du hier so ein Theater machst, könnte Ferris’ Zeit ablaufen.“ Eine Weile musterte Luan noch aufmerksam seinen Feind, jede kleinste Regung von ihm, die Haltung und das bedrohliche Flackern in dessen roten Augen, in denen er erkennen konnte, was er wissen wollte. Deswegen gab es ab hier erst mal keinen Grund mehr, einen Kampf zu provozieren und zu riskieren, dass Ferris doch etwas geschah. Langsam ließ er den rechten Arm wieder sinken und griff nach der Taschenuhr, um sie vorsichtshalber unter dem Mantel verschwinden zu lassen, wo sie etwas sicherer sein sollte. „Verstanden“, gab Luan nach. „Reden wir.“ „Geht doch. Warum nicht gleich so?“ Nickend drehte der andere ihm den Rücken zu, womit er vermutlich zur Schau stellen wollte, dass er keinen Funken Angst vor ihm hatte – und damit auch etwas anderes von sich preisgab, was Luan sich ebenfalls genau merken würde. Mit leichtfüßigen Schritten schwebte die Geißel förmlich zurück zum Mittelpunkt des Refugiums, wo sie auf ihren Besucher gewartet hatte, und winkte diesen dabei über die Schulter mit sich. Widerwillig ging Luan dem nach und folgte dem Alptraum, wobei er seine Aufmerksamkeit nun auch auf die Umgebung lenkte. Schwärze war immer noch eine Menge vorhanden und kreiste sie von fast allen Seiten her ein, nur gab es aber einige Neuheiten zu entdecken. Zum Beispiel bestand der Boden hier jetzt gänzlich aus einer roten Flüssigkeit, wahrscheinlich sollte sie an Blut erinnern, was Luan als ziemlich geschmacklos empfand. Obwohl ihre Füße ein Stück über dieser Oberfläche schwebten, verursachte jeder Schritt von ihnen die üblichen Wellenbewegungen. Von der Decke hingen dagegen massenhaft metallische Ketten wie Vorhänge herunter und sollten wohl die Dekoration darstellen, den eigentlichen Blickfang gaben jedoch die vielen menschengroßen Spiegel ab. Hinter einen von diesen hatte er sich vorhin Deckung gesucht. Kreisförmig schwebten sie um sie herum, verkleidet in einem edlen, dunklen Holzrahmen. Da sich weder Luan noch die Geißel in ihnen spiegelten, war anzunehmen, dass auch sie nur die Gegend ausschmücken sollten oder eine andere Funktion besaßen. Im Zentrum des Refugiums blieb die Geißel stehen und wandte sich wieder Luan zu. „Also, was sagst du?“ „Wozu?“, wollte dieser wissen und blieb einige Schritte von ihr entfernt stehen. „Zu der Optik meines Refugiums natürlich.“ „Nicht mein Stil.“ Ehrlich gesagt überraschte es Luan ein wenig, nicht wesentlich mehr unnötigen Schnickschnack hier vorzufinden. In Athamos sah das Zimmer von Ferris wie ein explodierter Lagerraum aus, so viele Dinge ließen sich dort finden. Das hier war angenehm überschaubar, aber eben nicht Luans Geschmack, wie er sich auch schon vorher gedacht hatte. „Etwa zu simpel für dich?“, vermutete der Eigentümer des Refugiums. „Nein, einfach nicht mein Stil.“ Seufzend griff die Geißel sich an die Stirn. „Hach, das enttäuscht mich. Das hatte ich nicht erwartet.“ Diesmal zuckte Luan gleichgültig mit den Schultern. „Wenn du Lob für deine Einrichtungskünste hören willst, musst du andere Menschen einladen.“ „Menschen, hm?“ Aus irgendeinem Grund fand sein Gesprächspartner diese Aussage sichtlich amüsant, dabei war daran nichts falsch. Auch als Traumbrecher zählte Luan noch zu den Menschen, aber einige sahen das oft anders, selbst unter ihresgleichen. Egal, darum ging es hier nicht. „Kommen wir endlich zum Thema“, forderte Luan ernst. „Wo sind Ferris, Vane und Bernadette?“ „Auf einmal also wieder so direkt und fixiert, ja? Aber gut, wir haben in der Tat genug Zeit verschwendet.“ Bevor der andere weitersprach, ließ er die Hand unter den schwarzen Anzug gleiten, den er trug. Falls das ein Versuch sein sollte, seriös zu wirken, versagte er dabei vollkommen. Bisher hatte Luan nicht mal auf seine Kleidung geachtet, weil seine boshafte Ausstrahlung viel mehr Aufmerksamkeit auf sich zog und diese Aufmachung zudem überhaupt nicht zu seinem Träger passte. Erst recht nicht in Verbindung mit der Zigarette, die Ferris’ Doppelgänger hervorholte. „Erlaube mir, mich dir erst mal anständig vorzustellen“, begann die Geißel daraufhin und deutete halbherzig eine Verbeugung an. „Mein Name ist Verrell, hauptberuflich Geißel von Ferris und dein zukünftiger Spielpartner.“ „Du hast einen Namen?“, reagierte Luan verwundert. Normalerweise besaßen Alpträume keine Namen. Sie bestanden ja auch nur aus einer Ansammlung von negativen Gefühlen mit Zerstörungsdrang, mehr nicht. Andererseits schienen Geißeln nicht umsonst menschliche Gestalt anzunehmen, so wie Verrell. Womöglich konnten Alpträume sich zu solchen Individuen entwickeln, sofern man sie ließ. „Wie du soeben gehört hast, ja“, bestätigte ihm Verrell und nahm die Zigarette in den Mund, die sich ohne die Hilfe einer Feuerquelle von alleine entzündete. Wenigstens waren sie hier nicht in einem engen Raum eingesperrt, wo der Rauch Luan wieder verrückt machen könnte, so wie letztes Mal. Mit Distanz war es auszuhalten, weshalb er auch gar nicht weiter darauf achtete, zumal Verrell seine Abneigung auch jetzt sicher völlig egal wäre und er trotz jeder Bitte seelenruhig weiterzurauchen plante. „Na schön, Verrell“, sagte Luan verächtlich. „Beantworte meine Frage. Wo sind die anderen?“ „Sie sind ganz nah und doch weit entfernt.“ Solch eine Antwort stellte Luan alles andere als zufrieden. „Gehört das schon mit zu deinem Spiel, dass du dich nicht genauer ausdrückst?“ Verrell nahm einen langen Zug von der Zigarette und lächelte anschließend gespielt unschuldig. „Vielleicht~. Keine Bange, ich zeige dir schon noch, wo deine Freunde sind. Besprechen wir zuerst etwas anderes.“ Vane und Bernadette zählten nicht zu seinen Freunden, doch Luan sparte es sich, ihn darauf hinzuweisen. „Na schön, du sagtest, du wolltest spielen, richtig?“ „Richtig, vorher gebe ich dir aber erst wie versprochen ein paar Antworten, also Informationen, die dir helfen werden, alles etwas besser zu verstehen.“ Genüsslich zog Verrell erneut an der Zigarette und ließ den Blick dabei über die einzelnen Spiegel gleiten, von denen sie eingekreist wurden. „Wie ich dir schon bei unserer ersten Begegnung sagte, wurdet ihr meinetwegen hergeschickt. Was glaubst du, woher euer Hauptquartier davon wusste, wenn Geißeln angeblich nur eine Legende sein sollen?“ Gute Frage. Entweder wurden Traumbrecher ohne ein bestimmtes Ziel in Gebieten, in denen schon öfters Alpträume tätig waren, auf Streife geschickt oder bekamen gleich den Standort mitgeteilt, wo sich eines dieser Wesen aufhielt. Atanas war derjenige, der ihnen diese Anweisungen gab, und als Anführer ihrer Gruppe besaß er allein Zugriff auf eine einzigartige Prägung, mit der sich Alptraumaktivitäten aufspüren ließen. Ob Atanas in dem Fall schon vorher gewusst hatte, dass sie es mit einer Geißel zu tun bekämen oder nur erahnen konnte, wie groß die Gefahr war? Warum sollte er es den Traumbrechern verschweigen, falls er darüber Bescheid wusste, wie viel Wahrheit hinter den Legenden steckte? „Ich bin sicher, du denkst gerade genau das, worauf ich dir die Antwort geben kann“, fuhr Verrell fort. „Euer ach-so-geschätzter Anführer verschweigt euch bewusst eine wichtige Kleinigkeit: Ihr tragt alle eine Geißel in euch. Jeder einzelne.“ Automatisch griff Luan sich mit einer Hand an die Brust und spürte die harte Schicht der Ablagerung unter seiner Kleidung. In dieser einen Erinnerung von Ferris hatte Theeder auch schon davon gesprochen, dass er ebenfalls eine Geißel hätte. Irgendwie konnte Luan das noch nicht so recht glauben, denn ... „Warum sollte unser Anführer uns das verschweigen?“ „Ganz einfach.“ Aufmerksam beobachtete Verrell Luans Reaktionen auf seine Worte, als wartete er nur darauf, ihn verzweifeln zu sehen. „Um sich selbst zu schützen. Es ist nämlich Atanas höchstpersönlich, der euch Geißeln einpflanzt.“ Zweifelnd schüttelte Luan den Kopf. „Gib dir keine Mühe, ich vertraue ihm. Du kannst mich nicht gegen ihn aufhetzen.“ „Oh, das habe ich gar nicht vor“, versicherte Verrell schmunzelnd. „Ich kann mich schon gut alleine gegen ihn auflehnen. Mir liegt nur etwas daran, dir die Wahrheit zu sagen.“ „Warum? Was hättest du denn davon?“ Der Zigarettenrauch, den Verrell auspustete, formte sich zu kleinen Ringen und sie weiteten sich aus, je höher sie stiegen. „So vergesslich, mein Guter? Ich wiederhole mich auch hier nochmal: Mein Wirt mag dich ... und ich finde es langweilig, wenn einem alles so leicht in den Schoß fällt.“ Statt nachzugeben, blieb Luan hartnäckig. „Du könntest mir viel erzählen. Was sollte es für einen Sinn haben, uns mit Geißeln zu bepflanzen?“ „Komm, ein bisschen mitdenken musst du schon“, bat Verrell, in einem spöttischen Ton. „Zum einen, damit Traumbrecher bei der Arbeit nicht mehr von anderen Alpträumen befallen werden können, so sind sie schon besetzt. Zum anderen sollen wir in euch heranwachsen.“ Leider klang der erste Teil doch nachvollziehbarer, als Luan sich gewünscht hätte. Ihm gefiel diese ganze Geschichte dennoch nicht und er sollte auch gar nicht erst in Erwägung ziehen, zu glauben, was Verrell sagte. Ein Alptraum würde mit Sicherheit alles tun, um Traumbrecher gegeneinander auszuspielen. Unbeirrt sprach Verrell weiter, sichtlich zufrieden damit, schleichend einen inneren Konflikt bei Luan auszulösen. „Und wenn wir ausgewachsen sind, ist es unser Ziel, den Wirt zu brechen. Deshalb nennt man uns Geißel, wie quälen unser Opfer so lange, bis wir sie seelisch zerstört haben. Nicht wahr, Kian?“ Wie auf Stichwort reagierte die schwarze Schicht auf seiner Haut auf den Namen und erhitzte sich, begleitet von einem starken, unangenehmen Kribbeln. Unter seiner Handfläche war ein leichtes Stoßen zu spüren, weshalb Luan sie von seiner Brust nahm und unruhig durchatmete. War Kian der Name der Geißel, die in ihm lebte? „Atanas würde nie absichtlich etwas tun, um uns zu schaden“, lenkte er sich selbst von diesem Kian ab und hielt an seiner Überzeugung fest. „Bist du sicher? Es hat schon seinen Grund, warum er will, dass ihr gebrochen werdet.“ Abermals wollte Luan widersprechen, doch ihm blieben die Worte im Hals stecken, als der Hass schlagartig zunahm, der in Verrells Augen brannte. Es war für ihn eindeutig persönlich und nicht nur so daher gesagt, wie Luan es sich einreden wollte. All die Abscheu gegenüber Traumbrechern hatte bei Verrell einen Grund, den er am eigenen Leib erfahren haben musste und der ihn aufwühlte. Darauf reagierte auch das Refugium, in dem die Kälte schwand und es wärmer wurde. In der Ferne war das Knistern von Feuer zu hören, das dem Ruf von Verrells Stimmung folgte. „Finde diesen Grund heraus“, sprach dieser weiter. „Ich werde es dir nicht selbst sagen, das ist nämlich schon mal ein Punkt von den Spielregeln, die ich für dich vorbereitet habe.“ Für Luan war es nicht gerade das, was er sich unter gute Antworten vorstellte. Sehr viel klarer war er immer noch nicht und etwas in ihm wollte auch gar nicht mehr wissen. Sollte sich herausstellen, dass es der Wahrheit entsprach und Traumbrecher wirklich Geißeln in sich trugen, nur um von ihnen gebrochen zu werden, wollte er das nicht verstehen. Welcher Grund könnte es rechtfertigen derart mit den Seelen von Menschen umzugehen? Atanas, bitte lass das nicht wahr sein. Es nützte sicher nichts, Verrell auszufragen, solange dieser die Überhand besaß. Außerdem hatte Luan für sich schon längst eine Entscheidung getroffen, die es überflüssig werden ließ, sich länger als nötig mit erfolglosen Wortwechseln auseinanderzusetzen. „Wozu dieses Getue mit dem Spiel?“, ging er stattdessen darauf ein. „Traumbrecher spielen keine solchen Spielchen, das ist ein ernster Job, und bei dir gibt es doch auch einen tieferen Hintergedanken, oder nicht?“ Unaufhaltsam rieselte die Asche von der Zigarette hinab in den roten See. Einen Moment lang starrten sie beide sich schweigend an. Das Gefühl von Hass brannte noch immer unaufhörlich in Verrells Augen, bis dieses Feuer von einem belustigten Funken ein wenig erstickt wurde. „Mag sein, dass ich nicht nur spielen will, und mit der Zuneigung von meinem Wirt hat das auch nicht zwingend etwas zu tun. Da habe ich vielleicht etwas gelogen, aber wen kümmert das schon?“ Nach diesen Worten schnippte Verrell einmal mit der freien Hand, wodurch etwas in den einzelnen Spiegeln sichtbar wurde. Bilder von einem Ort, der wie eine bizarre Schattenseite dieses Buchladens wirkte. Kaum entdeckte Luan die erste bekannte Person in einem der Spiegel, trat er sofort näher an diesen heran und warf einen genaueren Blick hinein. Dort waren Vane und Bernadette zu sehen, die sich gemeinsam durch diese Alptraumwelt bewegten und sich dabei unterhielten. Andere Spiegel zeigten noch einige verschiedene Blickwinkel von dieser Szene und Luan konnte nicht sagen, ob sie real waren oder Verrell ihm nur eine Illusion vorspielte. Beide machten aber den Eindruck, als wären sie nicht verletzt, nur Bernadette wirkte erschöpft. „Ferris!“, entglitt es Luan und er hechtete zu einem anderen Spiegel hinüber, in dem sein Partner zu sehen war. Im Gegensatz zu Vane und Bernadette kämpfte Ferris gerade gegen etwas, das wie eine Raupe aussah, an einem Ort mit zahlreichen schwebenden Türen. Dunkelblaue Kugeln wurden aus der Pistole abgefeuert, die er in den Händen hielt, und er arbeitete mit seiner Prägung gegen die Schwerkraft. Ferris verbrauchte offenbar mit jeder Sekunde Energie und Traumzeit, was Luan Sorgen bereitete. Zu allem Überfluss sah es auch noch so aus, als erreichte er mit seinen Angriffen nichts und er wusste, wie schnell Ferris zu frustrieren war. Seltsamerweise zeigte ein weiterer Spiegel Ferris aber in einer gänzlich anderen Lage: Dort sah es so aus, als würden rostige, durch ihn geschlagene Nägel ihn an einem Block aus Holztüren halten, doch das täuschte. Sie lagen nur jeweils dicht an seinem Körper, der reglos und schlaff in dieser Position verharrte. Vor ihm waren in der Dunkelheit schwach die Bewegungen von Schatten auszumachen, die ihn beobachteten und nach ihm griffen. „Ich habe mir erlaubt, schon mal mit meiner Arbeit als Geißel anzufangen und versuche Ferris zu brechen“, erklärte Verrell locker, da es für ihn nur nebensächlich zu sein schien – oder es verlangte ihn danach, Luan auf die Art noch mehr unter Druck zu setzen. „Du hast doch sicher nichts dagegen, oder?“ Luan fuhr herum und ging wieder auf Verrell zu. „Wo hast du sie hingebracht?“ Er sagte das mit so viel Nachdruck in der Stimme, dass der Befragte ein beeindrucktes Pfeifen hören ließ. „Du bekommst die Antwort am Ende, wenn ich dir die Bedingungen für unseren Kampf erklärt habe.“ „Du meinst deine Spielregeln?“, brummte er. „Ganz recht~. Als Traumbrecher willst du mich doch vernichten, korrekt? Bevor du aber nicht meine Regeln befolgst, bist du mir nicht würdig genug dafür.“ „Dann lass hören“, drängte Luan ihn ungeduldig. „Du solltest im Duden dringend mal das Wort Ruhe nachschlagen“, riet Verrell ihm und räusperte sich, um seinen folgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen. „Gut, also pass auf, hier sind die Regeln: Ich mische mich ab jetzt nicht mehr persönlich aktiv ein, solange du versuchst, alle Bedingungen zu erfüllen, die ich dir stelle. Es wird aber durchaus Hindernisse geben, die dir deine Arbeit erschweren werden.“ Damit hätte Luan ohnehin gerechnet, selbst wenn dieser Hinweis nicht genannt worden wäre, daher nickte er und blickte ihn fest an. „Weiter.“ „Meine Bedingungen sind leicht zu erfüllen, du musst nur einige Dinge herausfinden. Der eine Punkt wäre, wie gesagt, der Grund, warum Atanas will, dass ihr gebrochen werdet, und der andere, dass du in Erfahrung bringst, wie du mich vernichten kannst.“ Diese Aussage weckte Luans Misstrauen und er hob auch irritiert eine Augenbraue. „Bitte?“ „Ich bin viel mächtiger als du, und das ist, wie ich übrigens auch schon sagte, langweilig, wenn alles so leicht von der Hand geht.“ Nach diesen Worten tätschelte Verrell Luans Kopf, wie bei einem Kleinkind. „Etwas Gedächtnistraining könnte dir auch nicht schaden.“ Grob stieß er die Hand zur Seite. „Es wird mir ein Vergnügen sein, dich zu vernichten.“ Dank der kleinen Auseinandersetzung am Anfang hatte Luan auch schon eine gute Vorstellung davon, wie er das anstellen könnte. Seine Mundwinkel zuckten leicht bei diesem Gedanken, aber er riss sich zusammen und starrte Verrell nur weiterhin abwartend an, damit er fortfuhr. Ab und an schielte Luan hinüber zu den Spiegeln, die Ferris zeigten, in der Hoffnung, dass er noch wohlauf war, so weit es seine aktuelle Situation zuließ. „Ich bin gerührt“, kommentierte Verrell seine letzten Worte grinsend. „Jedenfalls hast du ein Zeitlimit. Ich gebe dir höchstens drei Tage, um alles in Erfahrung zu bringen. Mehr benötigst du dafür auch nicht.“ „Sagt der, der mir andauernd etwas von Ruhe predigt?“ „Das ist mehr als genug Zeit“, betonte er nochmal. „Ich werde hier auf deine Rückkehr warten. Solltest du es nicht rechtzeitig schaffen, breche ich Ferris. Glaub mir, für mich ist das ein Kinderspiel, so schwach wie er ist.“ Ein Gefühl sickerte durch die instabile Atemhypnose durch, wegen dem Luan ohne nachzudenken erneut den rechten Arm hob und Verrell mit seiner Prägung bedrohte. Die Klingen flimmerten sogar hellblau auf und lösten sich ein wenig aus ihrer Ruhephase. „Ich warne dich“, knurrte Luan ungehalten. „Solltest du Ferris weiter quälen, sind deine lächerlichen Spielregeln für mich hinfällig.“ Statt zurückzuweichen, so wie vorhin, blieb Verrell regungslos stehen und erwiderte seinen Blick kalt. „Sei mir lieber dankbar, dass ich dir die Chance gebe, deinen Freund zu retten. Du kannst mir jetzt nichts anhaben, sonst hättest du es längst getan.“ Das entsprach leider der Wahrheit. Luan blieb keine andere Wahl, als mitzuspielen, zumindest für den Anfang. Ganz sicher ließ er nicht zu, dass er Ferris verlor, nachdem er dank Mara daran glauben konnte, dass Estera vielleicht noch irgendwo lebte. Anscheinend hatte Vane gut dafür gesorgt, dass die Atemhypnose nicht so bald ein zweites Mal brach. Der kurzzeitig zurückgewonnene Kontakt zu seiner Atem-Prägung erlosch wieder und er senkte den Arm. „Brav.“ Ein selbstgefälliges Lächeln breitete sich auf Verrells Gesicht aus. „Das wären auch so ziemlich alle Spielregeln. Schaffst du es innerhalb von drei Tagen zu mir zurück, mit den gewünschten Informationen, darfst du nochmal gegen mich kämpfen und versuchen, Ferris zu befreien. Na, einverstanden?“ Es passte Luan nicht, eine Abmachung mit einem Alptraum zu treffen. Im Grunde hatte er aber keine andere Wahl, es ging hierbei nicht nur um eine ihm aufgetragene Mission, sondern vor allem um Ferris. Ein angenehmer Schauer fuhr ihm über den Rücken und ließ ihn leicht zusammenzucken. Irgendwie fühlte Luan sich auf einmal beobachtet. Suchend blickte er sich um, doch er bemerkte nur, dass die Bilder in den Spiegel mittlerweile wieder verblasst waren und er darin nichts mehr sehen konnte. Wie von selbst verschwand eine seiner Hände in den Mantel, um etwas hervorzuholen: Ein Bonbon. Ferris ... Sollte ihm etwas zustoßen, wäre das seine Schuld. Momentan war Ferris sicher noch angeschlagen wegen dem Rückblick in seine Vergangenheit, nach dem Luan verlangt hatte, und dadurch erst recht seelisch angreifbar. Das war nicht fair. Ferris war stets gut zu ihm gewesen, ein wahrer Freund, und er hatte sich ihm gegenüber in letzter Zeit nur abweisend verhalten. Er musste ihm helfen, auch wenn er dafür auf diese Großzügigkeit einer Geißel angewiesen war. Hinzu kam auch die Behauptung, Traumbrecher sollten von Geißeln gebrochen werden. Darüber musste er mehr erfahren. „Nur noch eine Frage“, warf Luan schließlich ein. „Was ist mit den anderen beiden?“ Ein leises Seufzen entglitt Verrell. „Vane und Bernadette? Was kümmern sie dich? Du magst sie doch nicht.“ „Darum geht es nicht. Ich werde sie dir nicht überlassen.“ „Oho, verstehe~“, meinte er angetan und warf den Zigarettenstummel über die Schulter. Zum Schluss war sie einfach nur abgebrannt, ohne dass Verrell weitere Züge zu sich genommen hatte. „Meinetwegen bin ich so nett und komme dir noch einen Schritt entgegen: Du darfst einen von den beiden wählen, den du schon mal mitnehmen kannst. Nur einen, die Entscheidung liegt bei dir.“ Schade, dass Ferris nicht dazu zählte, sonst wäre seine Wahl von der Sympathie her sofort auf ihn gefallen. Selbst wenn er auch ihn aussuchen könnte, gäbe es jedoch nur einen von den dreien, den Luan jetzt brauchte, obwohl ihm das überhaupt nicht gefiel. An das Gefühl war er langsam schon gewöhnt. Erwartungsvoll streckte Verrell ihm eine Hand entgegen. „Wie sieht es aus? Spielst du mit?“ „Nur, wenn du in den nächsten drei Tagen auch die Hände stillhältst und weder Ferris brichst noch irgendetwas anderes anstellst.“ Vertrauen konnte er Verrell zwar nicht, aber es war ihm wichtig, das mal anzusprechen und hoffen zu dürfen, sich in den nächsten Stunden weniger Sorgen machen zu müssen. Glücklicherweise wies der Spielleiter diese an ihn gestellte Bedingung nicht ab, was noch ein Zeichen dafür war, dass Verrell vermutlich ein höheres Ziel verfolgte. „Du bist ein hartnäckiger Typ. Schön, ich werde mich bemühen.“ „Gut.“ Ohne zu zögern, schlug Luan ein. „Ich spiele mit.“ Spielen blieb für ihn der falsche Begriff. Auf jeden Fall plante er seine Arbeit ernsthaft und anständig durchzuführen, aber er diskutierte mit der Geißel nicht mehr über diese Ausdrucksweise. Jetzt kam es Luan ironisch vor, dass er in Gegenwart von Mara mal gedacht hatte, er würde lieber gegen die mächtigste Form der Alpträume kämpfen, statt sich mit Frauen auseinandersetzen zu müssen. Dieser Wunsch hatte sich hiermit wohl erfüllt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)