Zum Inhalt der Seite

The last sealed Second

Diarium Fortunae
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich weise an der Stelle nochmal darauf hin, dass Kapitel 14 und 15 ursprünglich als ein gemeinsames Kapitel geplant waren. :,D Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Erzähl mir von deiner Vergangenheit

„Du warst von einem Alptraum besessen“, konfrontierte Luan das Opfer direkt damit, statt ihn erst langsam darauf vorzubereiten.

Bei einem gewöhnlichen Menschen hätte er es natürlich niemals so offen angesprochen und es einfach verschwiegen, in diesem Fall sprach er aber mit einem anderen Traumbrecher, also war es in Ordnung. Die Gesamtsituation war eine völlig andere als sonst, deshalb sollte man Ferris diese Tatsache besser gar nicht allzu lange vorenthalten und sich mit ihm zusammen diesem Thema stellen. Wahrscheinlich würde es auch erst mal dauern, bis Ferris Luan diese Aussage überhaupt abkaufte und das war noch ein Grund mehr, warum er gleich zu Beginn schonungslos mit dieser Nachricht rausrückte.

Aber dann wurde er von Ferris überrascht, denn der zeigte eine gänzlich andere Reaktion als erwartet. Nicht nur, dass diese Mitteilung keinesfalls neu für ihn zu sein schien, er blieb sogar ungewohnt ruhig, als er die folgenden Worte sagte: „Ich weiß.“

„Wie, du weißt es?“, meinte Luan perplex. Eigentlich müsste Ferris hier derjenige sein, der ungläubig und erstaunt dreinblickte, doch übernahm Luan diese Rolle gerade an seiner Stelle. „Woher denn?“

„Ich habe dich im Traum gesehen“, antwortete Ferris und schmunzelte amüsiert, weil er so einen Anblick selten an Luan beobachten konnte. In letzter Zeit war es aber bestimmt schon viel zu oft vorgekommen, dass er so ein Gesicht machte und Luan war froh darum, es selbst nie sehen zu können. „Auch den Alptraum konnte ich sehen.“

Normalerweise blieb den Opfern nach dem Befall eines Alptraumes nur in Erinnerung, dass sie schlecht geschlafen hatten und selbst das kam nicht bei jedem vor. Manche konnten sich gar nicht mehr entsinnen, was sie geträumt hatten oder ob sich überhaupt etwas dergleichen bei ihnen im Schlaf getan hatte. Oft fühlten sie sich aber nach dem Aufstehen einfach nur schlapp, dachten nicht weiter darüber nach und starteten in ihren Alltag.

Die Behauptung von Ferris war daher sehr interessant und gleichermaßen unglaubwürdig, doch es offenbarte Luan auch erneut, dass er vieles noch nicht wusste. In diesen Gedanken wollte er sich lieber gar nicht erst verlieren, es würde ihn nur frustrieren. Das aktuelle Gespräch hingegen brachte ihm bisher nur Verwirrung und darauf ließ er sich eher ein als auf Frust, also hielt er es am Laufen: „Und dann bleibst du so gefasst? Findest du das etwa nicht unbegreiflich?“

„Selbstverständlich ist es unbegreiflich. Traumbrecher, die von Alpträumen befallen werden. Hat man so etwas schon mal gehört?“ Glaubwürdig kam das nicht unbedingt rüber, so sorglos wie Ferris nun lächelte. Vorhin war es noch ein bedrücktes Lächeln gewesen. „In Panik auszubrechen würde mir aber nicht helfen.“

Dieser Wortwechsel allein genügte und Luan merkte, wie seine Nerven strapaziert wurden. „Du sollst ja auch nicht gleich in Panik ausbrechen.“

„Sondern?“

Ihm drängte sich ein Spruch auf, den er anbringen und Ferris somit aufzeigen wollte, wie gut ihm etwas mehr Ernst tun würde. Darauf verzichtete er jedoch und wählte kurzerhand einen anderen Satz, der im Kern eine ähnliche Bedeutung besaß. „Wir dürfen diesen Fall nicht auf die leichte Schulter nehmen.“

„Tue ich nicht“, garantierte Ferris ihm und betonte seine Worte zusätzlich dadurch, dass er sich mit einer Faust gegen die Brust klopfte. Eine Geste, die man bei ihm schon als eine Art Versprechen ansehen konnte. „Lass uns also darüber reden, hm?“

„Gut. Also du sagtest, dass du den Alptraum und mich gesehen hättest? Was genau hast du denn gesehen? Und wo?“, hakte Luan nach, rutschte an die Bettkante und blieb dort aufrecht am Rand sitzen. „Also ich habe nichts von deiner Anwesenheit gespürt, falls du auch da warst, in derselben Traumwelt wie ich.“

Ferris bemerkte das Interesse von Luan sofort und wirkte erfreut darüber, wie dieser ihm seine Aufmerksamkeit in diesem Thema schenkte. „Ich war auch nicht dort, wo du gekämpft hast. Du konntest mich gar nicht sehen.“

Das ließ Luan stutzig werden. „Wo sollst du sonst gewesen sein?“

Offenbar wusste Ferris nicht so recht, wie er es formulieren sollte. Ihm war anzusehen, dass er sein Gedächtnis nach einem halbwegs passenden Wort durchsuchte, mit dem er den Ort beschreiben konnte, an dem er sich während des Kampfes aufgehalten hatte. Um was für einen es sich dabei wohl handeln könnte? Noch war Luan ziemlich ratlos und ging in Gedanken derweil nochmal durch, was für gewöhnlich mit den Träumenden geschah. Ließ Ferris somit seine Zeit, sich den richtigen Ausdruck für das herauszusuchen, was es für ihn zu beschreiben galt.

Sobald einer ihrer Feinde sich den Traum des Schlafenden zu Eigen gemacht hatte, wurde das Opfer aus dem Weg geräumt, indem dessen Geist in einen Gegenstand eingesperrt wurde, der anschließend das Herzstück des Ganzen bildete. Auf diese Weise war abgesichert, dass der Träumer nicht mehr aufwachen konnte und gleichzeitig den Alptraum nicht dabei störte, die Welt nach seinen Wünschen umzugestalten. Solange die Betroffenen weiterschliefen und nicht mehr dazu fähig waren aufzuwachen, blieb der jeweilige Traum lebendig und stellte ein sicheres Heim für den Alptraum dar. Dort konnte er dann tun und lassen was er wollte.

Was zum Herzstück wurde, war von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hing auch damit zusammen, wovon der aktuelle Traum handelte. Auch auf die Gattung des Alptraumes kam es an, denn einige waren derart geschickt darin in ihren Opfern zu lesen, dass sie trotzdem aus dem Kontext des Traumes heraus ein Herzstück erschaffen konnten, von dem sie wussten, dass es als besonderes Symbol für den Schlafenden galt. Der Grad der Erinnerung, die das Opfer mit diesem Gegenstand verband, war entscheidend, um dessen Geist darin einsperren zu können. Dort erlebte man außer Schwärze nichts mehr vom Traum mit und blieb dennoch ein wichtiger Teil davon, hielt das Gebilde zusammen.

Zerstörte man das Herzstück, brach dadurch der Traum sofort in sich zusammen, da ihm ein wichtiger Stützpfeiler entrissen wurde. Der Geist des Opfers war wieder frei und diese Person schlief einfach traumlos weiter, während der Traumbrecher sich noch dem Feind stellen musste, um ihn restlos zu vernichten. So sah der normale Ablauf aus, darum verstand Luan auch immer noch nicht, wieso das eine Mal nur ein rötlicher Samen zurückgeblieben war, anstelle eines Menschen.

Ja, der Samen. Den sollte ich mir jetzt vielleicht nochmal genauer anschauen, kam es ihm in den Sinn. Von diesem Vorhaben wurde er aber gleich abgehalten, kaum dass es ihm eingefallen war.

„Ein Hohlraum!“, rief Ferris schließlich überzeugt. „Ja, das kommt ganz gut hin. Ich war in einem versteckten Hohlraum.“

Im Geiste wiederholte Luan dieses Wort, konnte sich aber noch nichts darunter vorstellen und fragte Ferris weiter aus. „Wie hat er ausgesehen?“

„Irgendwie creepy.“

Es war typisch für Ferris, dass er nicht mal dann ernst genug sein konnte, nachdem er selbst von einem Alptraum befallen worden war. Wieder unterdrückte er einen dazu passenden Spruch, stieß nur genervt einen Seufzer aus und versuchte Ferris wenigstens dadurch deutlich zu machen, wie sehr ihm diese Ausdrucksweise missfiel. „Geht das auch bitte vernünftig?“

„Ach, habe ich dir wieder zu viel Spaß?“, scherzte Ferris und streckte ihm, wie ein kleines Kind, die Zunge raus, nur um ihn noch mehr zu ärgern. Daran musste er wirklich eine Menge Spaß haben.

Fast wäre Luan spätestens jetzt eine seiner üblichen Reaktionen darauf herausgerutscht, doch er konnte sich noch ein drittes Mal rechtzeitig zusammenreißen und tat es auch diesmal nicht. Nach dem, was er über Ferris durch den Schall-Alptraum sowie die Erinnerung erfahren hatte, würde er sich nur schlecht fühlen, sollte er ihn wegen seinem zu hohen Spaßfaktor zurechtweisen. Also schluckte er seinen Ärger runter und behielt ihn ausnahmsweise für sich, versuchte sich stattdessen erneut an einer anderen Erwiderung.

„Meinetwegen kannst du gern so viel Spaß haben wie du willst.“ Sogar aus seiner Stimme hatte Luan jegliche Form von Ärger und Anzeichen dafür verbannt, dass ihm Ferris mit seiner Art mal wieder auf die Nerven ging. „Könntest du mir trotzdem bitte eine etwas genauere Beschreibung geben? Mit diesem creepy alleine kann ich halt nichts anfangen.“

Jetzt hatte Luan es doch noch geschafft, Ferris zu überraschen, denn er starrte ihn mit großen Augen an und war sich unschlüssig darüber, wie er dieses Verhalten deuten sollte. Wenig später nickte er dann aber verstehend, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, konnte sich so scheinbar besser vorstellen, wie der besagte Hohlraum ausgesehen hatte. Als er das Bild wohl klar genug wieder vor sich hatte, begann er, es zu beschreiben.

„Es sah aus wie ein großer Thronsaal aus weißem Marmor, mit Säulen und all dem Kram, in dem eine oder mehrere Bomben eingeschlagen haben. Er war sehr verwüstet und zerstört, echt wie so ein Schlachtfeld. Da war auch dieses komische, schwarze Zeug, das fast überall festklebte und so kaum noch was von dem hübschen Weiß des Marmors zu sehen war. Ich musste tierisch aufpassen wo ich hintrete, weil sich viele Risse durch den Boden zogen und die waren stellenweise so tief, dass ich da ungern reinfallen wollte. In den Wänden klafften dann noch diese riesigen Löcher, durch die ich zwar nach draußen schauen, den Saal aber nicht verlassen konnte.“

Luan hätte nicht gedacht, dass Ferris doch dazu in der Lage sein konnte so gute Beschreibungen abzuliefern. Ein Hohlraum, der wie ein Thronsaal aussah? Wieso hatte Ferris den Ort nicht gleich als solchen beschreiben und erst nach einem anderen Wort dafür gesucht? Aufmerksam hatte Luan ihm gelauscht, seine Stirn legte sich mehr und mehr in Falten, weil dieses Bild schon wieder ein neues Rätsel lieferte, das es zu lösen galt, neben all den anderen in der Warteschlange.

Etwas beschäftigte ihn aber ganz besonders. „Wieso konntest du diesen Saal nicht verlassen? Wenn die Löcher so riesig waren, hättest du doch sicher durch gepasst?“

„Das schon. Aber ich durfte nicht“, meinte Ferris nur, zuckte lasch mit den Schultern und öffnete kurz ein Auge, um ihm einen Blick zuwerfen zu können, der verriet, dass er selbst nicht schlauer war als Luan. „Frag mich nicht wieso, etwas hinderte mich einfach daran. Ich wusste, dass ich dazu gezwungen war dort zu bleiben und nicht rausgehen durfte, weil das ein Gefängnis war, in dem man seine Zeit abzusitzen hatte.“

Es wurde immer mysteriöser. Ob es damit zusammenhing, dass Ferris ein Traumbrecher war? Landeten diese etwa an so einem Ort, sollten sie von Alpträumen befallen werden? Nachdenklich vergrub Luan sein Kinn in einer Hand, atmete einmal tief ein und aus, sagte vorerst nichts dazu. Sein Schweigen fasste Ferris richtig auf und schloss das Auge wieder, um mit seiner Erzählung über diesen Hohlraum weiter zu machen. Wie gebannt hing Luan an seinen Lippen.

„Wie ich schon sagte, konnte ich durch die Löcher in den Wänden nach draußen schauen, falls ich es so nennen kann. Ich hatte nämlich das Gefühl bloß kleine Eindrücke von dem Bildschirm eines Fernsehers einsehen zu können, weil die Außenwelt des Thronsaals das reinste Störbild war.“

„Hm“, kommentierte Luan nur knapp. „Und wie willst du den Alptraum und mich dann gesehen haben?“

„Ganz einfach.“ Ferris öffnete nun beide Augen wieder, griff hinter sich nach dem Kissen und klemmte es zwischen seinen Rücken und der Wand, gegen die er sich lehnte, nachdem er bis zum Kopfende des Bettes gerutscht war. „Irgendwann wurde dann doch noch ein Bild angezeigt und ich hatte eindeutig den Blick auf eine Schall-Welt, auch wenn sie vor lauter Schnee schwer zu erkennen war, aufgrund einer miesen Übertragung. Dort war die weiß leuchtende Gestalt eines Menschen zu sehen, die gegen einen Schatten kämpfte.“

„Sollen das etwa der Alptraum und ich gewesen sein?“

„Ich wusste eben, dass du mich retten kommen würdest und die weiße Gestalt nur du sein konntest.“ Grinsend legte Ferris beide Hände hinter seinen Kopf, als Ersatzkissen. Dieser Gedanke machte ihn sichtbar glücklich, Luan dagegen eher ein bisschen verlegen. „Und es war mir auch klar, dass nur ein Alptraum mich an einem so seltsamen Ort einsperren konnte. Ist doch logisch.“

Verständnislos löste Luan seine Hand vom Kinn und strich sich mit ihr durch die Haare. Demnach hatte Ferris nichts als Vermutungen aufgestellt, das hätte er sich auch denken können. Verurteilen wollte er ihn deswegen aber nicht, immerhin war es bestimmt nochmal ein ganz anderes Gefühl, ob man selbst in diesem Thronsaal feststeckte oder es nur erzählt bekam. Nachvollziehen konnte er trotzdem noch so einiges nicht, zum einen wieso er diesen Ort als Hohlraum bezeichnete.

Fing jetzt etwa sogar Ferris damit an, ihm wichtige Dinge zu verschweigen? Nein, das konnte Luan sich nicht vorstellen, dafür log dieser Mann viel zu schlecht, so dass er es ihm längst angesehen hätte. Ein kurzer Augenkontakt zu ihm reichte dann auch aus, um sich dessen völlig sicher zu sein. Ferris war einfach zu ehrlich und es passte zu ihm, dass er bezüglich dieser weißen Gestalt sowie dem Schatten bloß seinem Bauchgefühl gefolgt war.

„Du hast mich also gerettet“, sprach Ferris es an und lächelte ihm wieder zu, diesmal sehr herzlich. „Vielen Dank. Wer weiß wie es sonst geendet hätte? Wobei ich sicher in die Geschichte eingegangen wäre, hättest du mich nicht gerettet: Als der erste Traumbrecher, der von einem Alptraum vernichtet wurde statt umgekehrt. Keine Auszeichnung, auf die man stolz sein könnte, aber es wäre eine.“

Obwohl er die letzten Sätze mit einem Lachen in der Stimme sagte und es, wie immer, nicht so ernst meinte, wie man es nehmen sollte, gefiel Luan das gar nicht. „Sag sowas nicht, das ist nun wirklich nicht witzig.“

„Sorry, ehrlich“, entschuldigte er sich rasch. „Keine Sorge, meine Dankbarkeit ist größer als der Wunsch nach Ruhm.“

„Hör auf, bedank dich nicht bei mir“, warf Luan ein und blickte beschämt zur Seite. „Ich habe nur meine Schuld beglichen. Jetzt sind wir quitt.“

„Wir sind quitt?“

Warum konnte Ferris eine versteckte Botschaft nicht erkennen, wenn Luan ihm schon eine zuspielte? In solchen Dingen war er nicht besonders gut, sie machten ihn stets verlegen. Gerade jetzt merkte er es wieder sehr stark und fragte sich, ob es an dem lag, was Vane vorhin als zu instabil bezeichnet hatte. War seine Atemhypnose, die der Doktor gerichtet zu haben schien, etwa nicht komplett wiederhergestellt worden? Dabei hätte Luan ein Sicherheitsnetz für seine Gefühle in diesem Moment ganz gut gebrauchen können, sonst übermannte ihn die Verlegenheit nicht in so einer Höhe wie es gegenwärtig geschah.

„Du hast mich doch letztes Mal auch gerettet, schon vergessen?“, murmelte er, mit dem Versuch, dabei mürrisch zu klingen. „Sieh es also als Dank meinerseits an, dass ich diese Schuld beglichen habe.“

„Ist nicht wahr, du bedankst dich gerade echt bei mir?! Damit habe ich gar nicht mehr gerechnet“, platzte es aus Ferris raus. „Ich dachte schon, ich spinne mir nur was zusammen. Das habe ich ja schon ewig nicht mehr erlebt bei dir, kannst du das wiederholen? Ich war nicht vorbereitet, aber jetzt kann ich es nochmal richtig aufnehmen~.“

Wie sehr Luan sich wünschte, er hätte sich doch nicht noch nachträglich bei Ferris bedankt. Nachdem der aber seinen Dank für die Rettung vor dem Alptraum so offenherzig ausgesprochen hatte, fühlte Luan sich unwürdig dafür, da Ferris ihm zuvor ebenfalls zu Hilfe gekommen war und er sich seinem Retter bisher nicht mal erkenntlich gezeigt hatte. Im Gegenteil, bei ihrem letzten Zusammentreffen war Luan nicht gerade dankbar zu ihm gewesen. Immerhin hatte er es endlich nachgeholt, wenn auch etwas verspätet.

Dummerweise war Ferris nun dadurch mehr als euphorisch und konnte seine Begeisterung nicht zurückhalten, wodurch er Luan noch mehr in Verlegenheit brachte. Wie ein Kleinkind strahlte Ferris über das ganze Gesicht und auch sein Lächeln war noch aufdringlicher als sonst, obwohl Luan kaum für möglich gehalten hatte, dass Ferris sich in dem Punkt immer noch steigern konnte.

„Keine Ahnung, was dich dazu bewegt hat, aber mir gefällt das“, teilte er seine Meinung dazu mit. Sein Lächeln wandelte sich zu einem Grinsen. „Der Doc hatte nicht ganz unrecht, du bist heute wirklich sehr gesprächig. Sollte man ausnutzen, diese Phase. Wenn du also schon so gut dabei bist und Dank aussprechen konntest, möchtest du dich nicht auch gleich dafür entschuldigen, dass du mein Autoradio geschrottet hast?“

Empört verschränkte Luan die Arme. „Daran warst du selbst schuld. Dein Gekreische war kaum zu ertragen, wenn du Lieder mitgesungen hast und du nie damit aufhören wolltest, wenn ich dich darum gebeten hatte.“

„Du hast einfach keinen Geschmack für Musik. Mir wurde schon oft gesagt, dass ich ganz gut singen kann!“, verteidigte Ferris sich selbstsicher.

„Diese anderen waren nur freundlich zu dir. Du solltest nicht immer alles glauben, was man dir sagt.“

„Ist das so? Na, dann muss ich dir ja auch nicht glauben.“

„Das ist etwas anderes“, grummelte Luan, diesmal wirklich mürrisch. „Außerdem war ich das mit deinem Radio nicht mal.“

„Ha, als ob! Die Ausrede kommt viel zu spät, du hast es längst zugegeben!“

„Glaub doch, was du willst“, wehrte er weiter ab und schnaubte beleidigt. „Überspann den Bogen mal nicht so, sonst nehme ich meinen Dank gleich zurück.“

„Sowas nimmt man nicht zurück, das gehört sich nicht“, entgegnete Ferris unbeeindruckt, gab sich überaus gelassen und sicher.

Gefallen ließ Luan sich das nicht und holte gleich zum Gegenschlag aus. „Es gehört sich auch nicht, seine Traumzeit so achtlos zu verschwenden, wie du es immer tust.“

„Komm mir jetzt nicht wieder mit der Leier“, winkte Ferris ab.

„Doch! Es ist ein guter Zeitpunkt dafür. Erinnerst du dich nicht daran, was ich gesagt hatte?“ Entschlossen stand Luan auf und ging zu dem Bett hinüber, auf dem Ferris saß, um sich dort auf dem Rand auch schon wieder niederzulassen. „Ich hatte angekündigt, dass du von mir dazu noch was zu hören bekommen würdest.“

Tatsächlich betrachtete Ferris es etwas misstrauisch, dass Luan sich zu ihm gesetzt hatte. Gestört fühlte er sich nicht, sondern war nur davon verunsichert, ließ sich aber dadurch nicht von ihrem Gespräch ablenken. Jedenfalls nicht sonderlich lange. „Stimmt, da war was. Du warst sauer, gell?“

„Ja, und ich bin übrigens immer noch sauer auf dich.“ Er lehnte sich ein Stück nach hinten und stützte sich mit beiden Händen auf der Matratze ab, während er Ferris vorwurfsvoll ansah. „Das vergesse ich nicht so schnell.“

„Ich weiß“, erwiderte Ferris und sah ihn eindringlich an, auf eine merkwürdige Weise. Fast schon verträumt. „Mir wäre eine Entschuldigung trotzdem lieber, wenn du schon so eine Phase der Offenheit an den Tag legst und so viel redest.“

„Ich wollte nur unsere Lage besprechen, in der wir uns befinden.“ Abweisend versuchte Luan ihn förmlich mit den Augen zu erschießen, was natürlich nicht funktionierte. „Warum willst du unbedingt eine Entschuldigung von mir hören?“

„Weil Autofahrten total öde geworden sind, seit du das Radio zerstört hast“, schmollte Ferris und versuchte es auf einer anderen Schiene. „Komm schon, ich wurde von einem Alptraum befallen und fühle mich echt ausgelaugt, also gib mir etwas Zuspruch, damit ich mich wieder besser fühle~.“

Nach diesem lahmen Versuch nahm Luan ihn etwas gründlicher in Augenschein. Schon als er aufgewacht war hatte er bereits erschöpft ausgesehen und jetzt, da er genauer hinsah, merkte er auch wie mitgenommen Ferris in Wahrheit war. Es stand in seinen Augen geschrieben, in denen die Quelle jugendlicher Energie versiegt und die Lebensfreude etwas verblasst war. Dagegen kam Luan nicht an, also gab er sich einen Ruck und erfüllte dieser Nervensäge ihren Wunsch. Dafür löste er den Blick von ihm, den er stattdessen ziellos geradeaus richtete.

„In Ordnung, hiermit entschuldige ich mich bei dir.“ Bereits nach diesen Worten holte Ferris schon tief Luft, doch Luan war noch nicht fertig. „Allerdings nicht für das verdammte Radio. Das war ich nicht und dabei bleibe ich.“

Enttäuscht pustete Ferris sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Du bist sooo stur.“

„Können wir uns jetzt wieder unserer Arbeit widmen und über den Alptraum sprechen?“ Unruhig legte er sich die bisherigen Fakten zurecht. „Es ist eine unbekannte Art aufgetaucht, die Traumbrecher befallen kann, wie wir an dir gesehen haben. Das ist verrückt, ja, aber wir müssen bereden, wie unsere nächsten Schritte aussehen sollen.“

„Erstens: Ich finde es wundervoll, dass du wir sagst“, reagierte Ferris zufrieden. „Zweitens: Ich will erst noch eine richtige Entschuldigung, dann können wir gerne mit der Arbeit weitermachen.“

„Du bist so ein nerviger Idiot.“ Länger konnte Luan es nicht für sich behalten. „Außerdem war das vorhin eine richtige Entschuldigung.“

„Ach ja? Wofür denn, wenn nicht für das Radio?“

Ich kann niemanden gebrauchen, der diese ganze Sache nicht ernst genug nimmt“, wiederholte Luan einen Satz, den er zu ihm gesagt hatte, bevor er zusammen mit Mara zum Buchladen aufgebrochen war. „Dafür ist die Entschuldigung gewesen. Tut mir ehrlich leid, dass ich das gesagt habe.“

Keine Reaktion folgte daraufhin von Ferris, er schwieg, genau wie Luan. Inzwischen war das Echo von Vanes Gesang und seiner Stimme an sich doch restlos verklungen, weshalb die Atmosphäre erdrückend wurde, als Stille eintrat. Etwas an der Ausstrahlung von Ferris änderte sich schleichend, was Luan nicht ganz geheuer war. Nach einer Weile wagte er es zögernd den Blick wieder zu ihm zu lenken und erschrak erst, da plötzlich jemand ganz anderes auf dem Bett zu sitzen schien.

Jemand, dessen Gesichtsausdruck emotionslos, einfach leer und unbeschrieben war. Ein fremdartiger Anblick, den Luan sich immer erträumt hatte und jetzt als unheimlich empfand, als dieser heimliche Wunsch wahr wurde. Auch die Stimme von Ferris klang anders, etwas tiefer und quoll geradezu über vor lauter Kummer, es war furchtbar deprimierend. „Oh Mann. Ich hatte es schon befürchtet, da macht jede Anstrengung gar keinen Sinn mehr.“

Nachzufragen traute Luan sich kaum, aber er überwand sich und nahm eine ernste Stimmlage an. „Was hast du befürchtet?“

„Du hast bei deinem Kampf gegen den Alptraum sicher einige Sachen gesehen, die dir neu über mich waren, ist es nicht so?“

Das war noch äußerst milde ausgedrückt, wie Luan fand. Früher oder später wollte er sowieso zu diesem Punkt kommen, nur war es doch ziemlich niederschmetternd, Ferris in der Realität so deprimiert zu erleben. Noch dazu in der Gegenwart, in der seine Vergangenheit weit hinter ihm lag. Zurückweichen kam jetzt aber nicht mehr in Frage, nicht nur, weil er diesem Theeder ein Versprechen gegeben hatte. Auch er selbst wollte mehr erfahren, also stellte er sich der bedrückten Stimmung und wollte ihn gerade direkt darauf ansprechen, doch er schnitt ihm vorher das Wort ab.

„Bist du deshalb so nett zu mir, heute?“, fragte Ferris und atmete flach.

Unsicherheit wuchs in Luan heran. Sicherlich spielte er hier gerade an, dass er kein Mitleid haben wollte und das war etwas, was Luan gut verstehen konnte. Mitleid konnte man am allerwenigsten gebrauchen, wenn einen etwas herunterzog, also musste er aufpassen und seine nächsten Worte gut überdenken. Nur fühlte er sich dieser Herausforderung recht schnell nicht gewachsen und beschloss, einige Schritte zu überspringen. Er nahm sein Vorhaben, ihn direkt darauf anzusprechen, nochmal in Angriff und wurde diesmal nicht unterbrochen, bevor er es aussprechen konnte.

„Erzähl mir von deiner Vergangenheit“, bat er ihn.

Gedanklich legte Luan sich bereits die Gründe zusammen, nach denen Ferris bestimmt gleich verlangen würde. Für diesen musste es bedenklich sein, dass er nach all den Jahren jetzt erst auf die Idee kam mehr über seine Vergangenheit wissen zu wollen und Luan könnte es ihm nicht mal verübeln, wenn er es verneinen würde, ihm etwas von sich zu erzählen.

Während Ferris ihn stets wie einen Freund behandelte, dachte Luan hingegen oft nur als Arbeitskollege über ihn. Dabei bedeutete er ihm etwas, sonst würde er nicht wissen wollen, wieso seine Vergangenheit mit so viel Schmerz und Angst verbunden war, wie er am eigenen Leibe spüren musste.

Statt einer Ablehnung, folgte aber etwas anderes. „Bist du dir sicher, dass du die hören willst?“

Irritiert sah Luan ihn an und wurde von ihm mit einem Blick heimgesucht, der ohne Worte ausdrückte, dass er hinterher ein komplett anderes Bild von Ferris haben und es bitter bereuen könnte, sobald er die Wahrheit hinter allem kannte. Unterstrichen wurde das von einem depressiven Schlund, der sich mehr als deutlich in seinen Augen geöffnet hatte und ihn hart schlucken ließ. Weiterhin kam ein Zurück jedoch nicht in Frage, ab jetzt wäre es nur noch feige. Wenn Ferris eigentlich ein Mensch war, der so sehr litt, wollte er verstehen warum. Auch warum er es dann nie gemerkt hatte.

„Ja, bin ich“, versicherte er ihm und drückte sich von der Matratze ab, um sich wieder nach vorne lehnen zu können, wo er sich mit den Armen auf seinen Beinen abstützte. „Ich hätte nicht gefragt, wenn ich mir unsicher wäre.“

„Weiß ich das? Du bist ein guter Lügner“, zweifelte Ferris und änderte ebenfalls seine Position, nahm seine Hände wieder nach vorne, um sie in seinem Schoß zu betten. „Du willst es nicht wegen mir wissen.“

Der letzte Satz war gar nicht an ihn gerichtet, vielmehr sprach er ihn zu sich selbst. Eine innere Stimme wollte ihm weismachen, dass Ferris glaubte, Luan würde sich nur für seine Vergangenheit interessieren, weil eine Geißel aufgetaucht war, aber das war absurd. Noch wusste Ferris nicht mal, dass Luan einer begegnet war, die ihn als ihren Wirt bezeichnete und ob sie die Wahrheit gesagt hatte stand auch noch in Frage.

Wegen der Geißel, schoss es ihm durch den Kopf. Stimmt, auch deswegen wäre es nicht schlecht, über alles Bescheid zu wissen, was Ferris angeht. Ein Feind ist dieser Typ allemal.

An der Stelle wusste Luan nicht, wie er sich verhalten sollte. Zu groß war die Befürchtung, mit jedem Wort etwas Falsches sagen zu können, also konnte er nur dasitzen und Ferris hoffend ansehen. Irgendwann ließ der dann seine Hand kurz in die Hosentasche verschwinden und zog sie samt seiner Taschenuhr wieder hervor, was ein ausgesprochen gutes Zeichen war. Besonders als er sie nach ihm ausstreckte und die Uhr zugänglich hinhielt, wider seinen Erwartungen. Zügig wollte Luan auch seine eigene hervorholen und bemerkte dabei wie mitgenommen sein Mantel vom Kampf war. Mitten in der Bewegung hielt er inne, als Ferris das Wort erhob: „Was genau willst du denn wissen?“

„Am besten alles“, antwortete er sofort.

„Ich warne dich, das kann lange dauern und wir müssten unsere Arbeit dafür erst mal weit nach hinten schieben.“

„Das macht mir nichts“, versicherte er und holte auch seine Taschenuhr raus, umklammerte sie fest. „Ich habe die ganze Nacht Zeit, bis morgen früh.“

„Wenn der Doc wiederkommt?“

„Genau, dann können wir unser Gespräch über den Alptraum immer noch fortführen.“

Es wäre wichtig, endlich die vergangenen Ereignisse zu besprechen und diese Mission mit Zielen voranzutreiben. Es wäre wichtig, endlich das Buch sicherzustellen und Bernadette dingfest zu machen. Es wäre wichtig, endlich herauszufinden was es mit Mara auf sich hatte. All das hatte Luan nicht vergessen, aber ihm war das hier gerade am wichtigsten und da bei dieser Mission sowieso nichts wie gewohnt lief, dürfte es nicht falsch sein, sie mal etwas nach hinten zu stellen.

„Könnte knapp werden“, meinte Ferris und scherzte keineswegs dabei, dafür war er viel zu ernst. Ein Nicken zu der Uhr in seiner Hand deutete an, dass er ihm die Erlaubnis gab. „Auf deine Verantwortung.“

Bereit streckte Luan auch seine Hand nach ihm aus, führte sie über seine und drückte behutsam die beiden Taschenuhren aneinander. Schlagartig erklang ein Orchester aus tickenden Uhren in seinem Kopf, ging in seinen Geister über und verhallte auch bald schon, ließ ein unsichtbares Band zurück, über das sie nun miteinander verbunden waren, ähnlich wie er es mit Mara in der Welt dieses Schöpfers gewesen war. Sie konnten von nun an ebenfalls nur über ihre Gedanken miteinander sprechen, sogar noch viel mehr.

Verbanden sich zwei Traumbrecher auf diese Weise, strömten automatisch auch die Gefühle des anderen auf einen ein und es erschreckte Luan, dass er seltsamerweise außer einer einsamen, verzweifelten Leere nichts von Ferris vermittelt bekam.

Zeitgleich schlossen sie ihre Augen, um sich besser auf das konzentrieren zu können, was gleich geschehen würde. Ihre Hände schlangen sich fester ineinander und im Inneren dieses daraus entstandenen Raumes ruhten ihre zwei Herzen, aus denen ein einziges geworden war. Ihnen standen sämtliche Tore des jeweils anderen offen: Gefühle. Gedanken. Geheimnisse. Erinnerungen. Alles, was einen als Einzelperson ausmachte und worauf Außenstehende im Regelfall keinen Zugriff hatten. Recht bald stellten sie sich auch körperlich von alleine aufeinander ein und atmeten gemeinsam, im gleichen Takt.

Ferris öffnete den Weg zu seinen Erinnerungen, gab Luan somit den Blick auf seine Vergangenheit frei und es setzten sich erste Bilder zusammen, die er erlebte, als wäre es seine eigene Geschichte. Im Hintergrund hörte er, wie Ferris seine Gedanken zu den ersten Szenen äußerte. Und so begann ihre Reise.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wie lange ich schon diese "Verbindung" zweier Traumbrecher schreiben wollte, wenn sie ihre Taschenuhren aneinander halten. ♥
... Das ist ein echt großer Vertrauensbeweis. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück