The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 11: Ich hatte keine Ahnung (Teil 1) ------------------------------------------- Die kalte Luft hatte sofort eine positive Auswirkung auf Luan und sorgte wieder für etwas mehr Klarheit in seinem Kopf. Trotzdem rannte er einfach blind weiter, direkt auf die Straße zu, aber kurz davor prallte er mit seinem Körper plötzlich gegen ein Hindernis. In seiner panischen Flucht aus dem Buchladen schien er gar nicht wahrgenommen zu haben, dass ihm etwas oder jemand im Weg stand. „Hoppla!“, kam es überrascht von einem Mann, gegen den er soeben gestoßen war. Der hielt diesem Zusammenprall mühelos stand und konnte Luan sogar noch rechtzeitig an den Schultern festhalten, als er rückwärts nach hinten zu fallen drohte. „Hey, wieso hast du es so eilig? Du verletzt dich noch.“ „Ferris?“, erwiderte Luan ebenso überrascht und blickte zu dem Mann auf. Keinen Zweifel, es war tatsächlich Ferris, an der Stimme hatte er ihn gleich erkannt. Warum war er hier? Naola wollte sich doch mit ihm unterhalten oder war dieses Gespräch etwa schon längst über die Bühne gegangen? Gut möglich, genug Zeit war inzwischen ja schon vergangen und offenbar wollte Ferris nun zu ihm stoßen, also hatte er sich eigenständig hierher begeben. Irgendwie erfüllte es Luan mit Erleichterung, seinen Arbeitskollegen zu sehen, was schon lange nicht mehr vorgekommen war. Erst blieb er aber von dem Anblick verwirrt, denn Ferris trug die Haare offen und nicht mehr zu einem kleinen Zopf zusammengebunden. An sich war das nichts besonderes, nur hatte er ihn ewig nicht mehr so rumlaufen sehen, wenn überhaupt. Eigentlich konnte er sich nicht daran erinnern, ihn jemals mit offenen Haaren gesehen zu haben, deshalb war es auch so ungewohnt. Neben dieser äußerlichen Veränderung gab es noch mehr, was an Ferris nicht so recht stimmte. Noch immer hielt er ihn an den Schultern fest, obwohl es nicht mehr nötig wäre und er durchaus alleine stehen konnte. Eindringlich blickte sein braunes Augenpaar ihn an und entweder bildete Luan sich das nur ein oder es war auf einmal heller als sonst, ging von der Farbe her leicht ins rötliche über. Seine Verwirrung wurde größer, konnte sich jedoch nicht gegen die Angst durchsetzen, die noch in ihm steckte und sein Herz weiterhin schneller schlagen ließ als gewöhnlich. Abgesehen von diesen Dingen war Ferris wie immer, so schien es jedenfalls. Etwas an ihm fühlte sich seltsam fremd an, doch dem konnte Luan anfangs kaum Beachtung schenken. Er war im Moment generell zu durcheinander und innerlich aufgewühlt, wodurch nicht auszuschließen war, dass ihm gerade die Einbildung nur einen Streich spielen wollte. Diese Vermutung wurde aber auch schon durch den folgenden Satz zerstört, den Ferris nachdenklich vor sich hin murmelte. „Nanu? Wer hat denn die Atemhypnose bei dir gebrochen?“ Unter Traumbrechern wurde alles, was mit Gefühlen und Energie im Zusammenhang stand, also die Seele mit all ihren Bestandteilen, als Atem bezeichnet. Daher wusste Luan auch etwas mit dem Begriff anzufangen, nur fragte er sich wie Ferris auf einmal darauf kommen konnte. Dank diesem Einwurf bekam er aber immerhin eine Ahnung, was Bernadette gerade mit ihm gemacht haben könnte, auch wenn es nicht möglich sein durfte. Dazu würden ihr nämlich die nötigen Fähigkeiten fehlen, zumindest dachte er das, bis heute. Eine Atemhypnose konnte nur durch Traumbrecher mit der entsprechenden Prägung durchgeführt werden. So wie Alpträume mit ihren Fähigkeiten in die vier Kategorien Schöpfer, Koloss, Schall und Atem eingeteilt wurden, galt das auch für die Prägung bei den Traumbrechern, durch die sie eine gewisse Individualität erlangten. Nur jene mit einer Schall-Prägung konnten eine sogenannte Atemhypnose durchführen, aber Bernadettes Fähigkeiten lagen im Bereich der Schöpfer. Wie sollte sie also dazu in der Lage sein? Außerdem müsste Luan demnach ja irgendwann mal von jemandem mit einer Atemhypnose belegt worden sein, wovon er nichts wusste. Alle Details kannte er nicht, aber so etwas wurde meistens bei einem Traumbrecher durchgeführt, um dessen Gefühle zu kontrollieren, sollte der Probleme damit haben. Manche waren nicht dazu in der Lage ihre Angst im Angesicht eines Alptraumes vollkommen zu unterdrücken, in solchen Fällen half ihnen diese Methode dabei aus. Er selbst hatte so etwas nie nötig gehabt oder doch? Selbst wenn hätte er vorher dafür sein Einverständnis abgeben müssen, ein solches war bei ihm nie erfragt worden. Moment, bedeutete das etwa, seine Gefühle waren wirklich durch eine Atemhypnose manipuliert worden? Das würde erklären, wieso er wieder Angst empfinden konnte, doch das war zu absurd. Daran hatte er aus eigener Kraft gearbeitet, also wollte er das nicht glauben. Und woher sollte dann ausgerechnet Ferris davon wissen? Dem entging nicht, wie intensiv diese Information in Luans Kopf verarbeitet wurde, die er ihm gegebene hatte und anscheinend war ihm das nicht so recht. Folglich versuchte er davon abzulenken und hielt ihn dabei nach wie vor fest. „Bist du mit allem fertig geworden, was du hier tun wolltest?“ Halb abwesend realisierte Luan, dass der Blickkontakt zwischen ihnen noch anhielt und es langsam unangenehm wurde, aber er konnte auch nicht wegsehen. Das Gefühl der Angst war noch da und deshalb wollte er die Augen nicht von seinen abwenden, weil Ferris ihm ein bisschen Sicherheit gab, so merkwürdig der sich auch benehmen mochte. „Nicht ganz“, antwortete er leise. „Nicht ganz?“, wiederholte Ferris und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Hast du dieses Buch etwa nicht gefunden?“ Luans Augen weiteten sich. Das Buch. Er hatte es immer noch nicht sichergestellt und war stattdessen einfach abgehauen. Zu der Angst gesellten sich nun einige andere Gefühl hinzu, ließen seine Brust schwer werden. Ihm wurde wieder so warm, dabei war es nach wie vor kühle Herbstluft, die seine Lungen füllte. In seinem Inneren herrschte Unruhe und ein Teil der Emotionen blieb hinter den anderen zurück, als würden sie in einer Art Netz hängenbleiben, in dem nun ein Loch klaffte. Der andere Teil wandelte sich in Hitze um, seine Sicht begann allmählich zu flimmern und er rieb sich keuchend die Augen. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht, was er auch Ferris mitzuteilen versuchte. „Ich wollte mich ja darum kümmern, aber irgendwie läuft momentan nichts mehr so, wie es sollte.“ Statt auf seine Worte einzugehen, machte Ferris für sich selbst eine Erkenntnis, auf die er wohl gekommen war, während er Luan beobachtet hatte. „Oh je, da war wohl kein Profi am Werk, was? Ist dir heiß?“ „Was?“, reagierte Luan irritiert und sah ihn wieder an, konnte ihn aber nur verschwommen erkennen. Sämtliche Klarheit, die ihm die frische Luft eingebracht hatte, wurde durch diese Hitzewelle und einen Gefühlsstau getrübt. Luan konnte kaum noch richtig denken, ihm drohten die Sinne vollkommen abhanden zu kommen. Reinste Verwirrung herrschte in seinem Kopf und zu allem Überfluss benahm Ferris sich auch noch so seltsam, das bewies er durch seine nächste Aktion nochmal zusätzlich. Ferris löste seine Hände von Luans Schultern und legte nun einen Arm um diese, kam dichter an ihn heran. Neben ihm beugte er sich so weit zu ihm runter, dass er ihm ins Ohr flüstern konnte. „Würdest du dich gefälligst noch etwas zusammenreißen?“ Das war eindeutig eine Drohung, die Ferris soeben ausgesprochen hatte, aber Luan glaubte nicht, dass sie an ihn gerichtet war. An wen dann? Eine derart eisige Stimmlage erlebte er zum ersten Mal von Ferris, es jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Solch eine Tonlage kannte er bisher nur von Vane, umso mehr gefiel es ihm nicht. Ehe er sich aber dazu in irgendeiner Weise äußern konnte, zog sich die Hitze so blitzschnell zurück, dass ihm kurzzeitig schwindelig wurde und Ferris ihm Halt geben musste. Zurück blieben nur noch die wirren Emotionen, doch diese eine Last war von ihm genommen worden, wie durch Zauberei. „Besser?“, wollte Ferris wissen und drückte ihn noch mehr an sich, als wollte er ihn trösten. Erstaunt sah Luan ihn an und konnte ihn wieder glasklar erkennen, er hatte also seine normale Sicht zurück. „Ja. Besser.“ Das Gefühlschaos war wesentlich besser zu ertragen, wenn man vor lauter Hitze nicht den Verstand zu verlieren drohte. Dennoch fühlte sich seine Brust schwer wie Blei an und in seinem Inneren spielte alles verrückt. Wenigstens hatte er jetzt einigermaßen Platz im Kopf, um sich zu fragen, was mit Ferris los war. Seit er mit ihm zusammengestoßen war hatte er Fragen gestellt, deren Ursprung Luan nicht nachvollziehen konnte und wissen wollte, wie er auf sie gekommen war. „Wie hast du?“, begann er und stockte, um nochmal anders anzufangen. „Ich meine, woher wusstest du, dass-“ „-du vor lauter Hitze zergehst?“, beendete Ferris seinen Satz und musste schmunzeln. „Wer mitten in einem kalten Herbst wie diesen so sehr schwitzt wie du, dem muss heiß sein, oder?“ Zögernd strich Luan sich mit einer Hand über die eigene Stirn und stellte fest, dass er wirklich schwitzte. Kein Wunder, der Grad der Hitze war nicht niedrig gewesen. „Und wie hast es angestellt, dass es aufhört?“ „Was?“ „Die Hitze.“ „Ich soll etwas gemacht haben, damit sie verschwindet?“, erwiderte Ferris und sah ihn besorgt an. „Du bist gerade ziemlich durcheinander, kann das sein?“ Jetzt wurde Luan unsicher. Ja, er war durcheinander. Lag es wirklich daran? Überfordert senkte er den Kopf und bettete ihn in seinen Händen, Kopfschmerzen bahnten sich an. So hatte er sich noch nie gefühlt, er wollte einfach nur dass die Ruhe wiederkehrte und dieser Sturm an Emotionen zurückging, besonders das Herzrasen machte ihn verrückt. Wie konnte er das abschalten? Sollte er doch zurückgehen und Bernadette zur Rede stellen? „Hör zu, ich mach dir einen Vorschlag“, fuhr Ferris fort. „Lass uns zurück zum Hotel fahren, damit du dich für heute ausruhen kannst. Das Buch kannst du auch noch morgen holen, auf einen Tag mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an, findest du nicht?“ Richtig war das nicht. Natürlich wusste Luan, dass er das Buch holen musste und auch Bernadette nicht einfach so ignorieren durfte, aber dieser Vorschlag klang so gut. In diesem Augenblick bevorzugte er es, seine Pflichten hinten anzustellen und erst zu seiner Ruhe zurückzufinden. Dieses Chaos in seinem Inneren loszuwerden, egal ob dahinter nun eine Atemhypnose stecken mochte oder nicht. Deshalb wehrte er sich auch nicht, als Ferris ihn bereits mit sich Richtung Auto schob, mit dem er hergekommen sein musste. Also hatte Naola ihr Versprechen gehalten, sonst wäre Ferris nicht wieder im Besitz seines Wagens. Auch daran stach Luan etwas ins Auge, was seine ohnehin große Verwirrung weiter anfachte: Es war komplett schwarz lackiert. Zuletzt war es doch noch knallrot gewesen, genau wie die Decke im Kofferraum, oder? Kaum hatte Ferris den Wagen aufgeschlossen, führte er Luan auch schon auf die Seite des Beifahrers, wo er die Tür öffnete und ihn in den Sitz drückte. Er half ihm sogar noch dabei seinen Gurt anzulegen, bevor er sich auf die Fahrerseite begab und dort selbst einstieg. Kurz darauf fuhr das Auto auch schon los und Luan wagte es in den Seitenspiegel auf seiner Seite zu sehen, weil er einen letzten Blick auf den Buchladen werfen wollte. Nicht mal eine Sekunde später stieß er einen erschrockenen Laut aus. Schwarz. Im Spiegel war nichts zu sehen, außer Schwärze. Überall, nicht nur im Seitenspiegel, wie Luan dann feststellen musste. Vorne. Hinten. Komplett schwarz. Das Auto war vollständig von einem tiefen Schwarz umgeben, nichts anderes war mehr zu sehen. Nicht mal Straßenlaternen, also konnte es sich um keine natürliche Dunkelheit handeln, zumal es auch noch nicht Nacht gewesen war. Ein Alptraum war auch nicht in der Nähe, sonst hätte Luans Ablagerung längst reagiert. Es sei denn, es handelte sich um einen Reinmahr, aber zwei so nah beieinander wäre ungewöhnlich. Luan wollte Ferris dazu auffordern sofort anzuhalten, aber ihm stieg ein Rauch in die Nase, durch den er anfangen musste zu husten. Bald hatte sich ein grauer Schleier im gesamten Innenraum des Wagens ausgebreitet und der Hustenreiz wollte gar nicht mehr aufhören. Schützend legte Luan einen Arm vor Mund und Nase, in der Hoffnung dadurch weniger von diesem Rauch einzuatmen, was nur mäßig half. Sein Blick schnellte zu Ferris rüber und offenbarte, dass er den Hustenanfall ihm zu verdanken hatte. Genüsslich zog Ferris an einer Zigarette. Verstört starrte Luan ihn an und konnte seinen Augen kaum trauen. Vor langer Zeit hatte Ferris ihm zuliebe das Rauchen aufgegeben, weil er genau wusste wie empfindlich er darauf reagierte und es nicht leiden konnte. Wann hatte er sich diese Zigarette angezündet? Schlimmer war jedoch, dass er seine Hände nicht am Steuer hatte, sondern eine zum Rauchen nutzte und die andere als Kissen hinter den Kopf gelegt hatte. Gemütlich saß er zurückgelehnt in seinem Sitz und sah geradeaus nach draußen in die Schwärze, als gäbe es dort eine Menge zu sehen. Normalerweise hätte Luan längst nach seiner Taschenuhr gegriffen, nur hinderte ihn das nervöse Zittern seines Körpers daran, das ihn heimsuchte. Auch seine Sprache schien er verloren zu haben, deswegen konnte er Ferris einfach nur weiter entsetzt anstarren. In ihm drehte sich alles und er wusste nicht, was er tun sollte. Was überhaupt hier los war. Tränen sammelten sich in seinen Augen und er war sich nicht mal sicher, ob es nur an dem Rauch lag, der ein unangenehmes Brennen verursachte. „Meine Güte“, gab Ferris schließlich amüsiert von sich, nur nicht auf die fröhliche Art, wie es sonst bei ihm der Fall war. Diesmal schien er sich über ihn lustig zu machen. „Ich hatte ganz vergessen was für ein armseliger Anblick du sein kannst, ohne diese Atemhypnose. Muss schlimm für dich sein, huh? Mach dir nichts draus, sie waren eben lange weggeschlossen, daher reagierst du jetzt auch so empfindlich auf alles. Das vergeht bald.“ Von dem was Ferris sagte verstand Luan kein Wort und wurde von Ratlosigkeit überfallen. Hustend hakte er nach. „Was meinst du?“ „Na, den Emotionsschub, den du gerade durchmachst.“ Ohne den Blick auf ihn zu richten, sprach er weiter und seine Mimik blieb amüsiert. „Ich weiß ja nicht, was Bernadette sich dabei gedacht hat, aber leicht macht sie es dir damit nicht.“ „Woher weißt du das?“ Nervös drückte Luan sich mit dem Rücken tiefer in den Sitz hinein und nahm den Arm wieder runter, da es kaum etwas brachte. „Woher weißt du, dass ich Bernadette getroffen habe? Ich habe es noch niemandem erzählt.“ Nicht nur das, wie hatte Ferris den Weg zum Buchladen überhaupt finden können, ohne Mara oder Luan? Darüber musste er sich gar nicht erst den Kopf zerbrechen, weil Ferris sich offen zeigte und zugab, dass er ihn erwischt hatte. „Huch~. Wie dumm, da habe ich mich wohl jetzt verraten“, tat Ferris so, als wäre er überführt worden und nahm einen weiteren Zug von der Zigarette. Den Rauch pustete er stückchenweise mit einigen Abständen zueinander aus, bevor er den Kopf in seine Richtung drehte und grinste. „Ich habe ihr schon vor etwa zwei Tagen einen Besuch abgestattet und halte mich seitdem in der Gegend hier auf. Leider war sie nicht besonders erfreut darüber, mich zu sehen.“ Vor zwei Tagen? Das konnte überhaupt nicht sein, da waren sie schon zusammen unterwegs gewesen. Hierbei konnte es sich nicht um den wahren Ferris handeln, nur mit wem oder was hatte es Luan hier dann zu tun? Und wo war er? Fühlte sich an, als würde das Auto noch fahren, dabei hatte Ferris nicht mehr die Hände am Steuer. Panik erfasste ihn, in der er mit der Hand in seine Manteltasche greifen und endlich seine Taschenuhr zum Einsatz bringen wollte, doch er kam nicht dazu. Mitten in der Bewegung fing Ferris ihn ab, indem er ihn mit der freien Hand an seinem Unterarm packte und sich näher zu ihm beugte, was ihm möglich war, da er sich nicht angeschnallt hatte. Dadurch machte er sich erst recht verdächtig, nur half Luan diese Einsicht nicht weiter, solange er nicht an seine Uhr rankam und sich nicht wehren konnte. „Das solltest du nicht tun, mein Freund“, warnte er ihn in einem Flüsterton und drückte so fest zu, dass Luan vor Schmerz mit den Zähnen knirschte. „Ich bin hier, um dir ein faires Spiel vorzuschlagen und das hast du nur meinem Wirt zu verdanken, weil er dich so sehr mag. Also mach besser keine Dummheiten oder ich könnte mich kurzfristig umentscheiden.“ Der Griff um seinen Unterarm lockerte sich ein wenig, so dass der Schmerz nachließ und plötzlich huschte ein sanftes Lächeln über Ferris‘ Lippen. „Außerdem mag ich keine Taschenuhren. Sie sorgen immer nur für Streit, das ist sooo furchtbar.“ Schwer atmete Luan ein und aus, musste hart schlucken. „Wer bist du?“ „Das ist der falsche Ansatz.“ Das Lächeln hielt an, verlor auch nicht seine positive Ausstrahlung. Angesichts dieser Situation kam es trotzdem unheimlich rüber. „Deine Frage müsste eher lauten: Was bin ich?“ Jetzt war also endgültig klar, dass es sich hierbei nicht um den richtigen Ferris handelte. Ein Alptraum kam eigentlich auch nicht in Frage, dafür war diese Gestalt zu menschlich in ihrem Verhalten. Vielleicht ein Dämon? Dann hätte Luan ein gewaltiges Problem am Hals, aber auch da sorgten einige Punkte für Zweifel. Gegen eine dämonische Form wäre er auch vollkommen hilflos, also wollte er diese Möglichkeit nicht in Betracht ziehen. Für Dämonen waren andere Jäger zuständig, schon allein weil Traumbrecher nicht die nötigen Fähigkeiten gegen diese Feinde vorweisen konnten und Luan selbst in seinem Fachgebiet schon ziemlich eingeschränkt war. Eine neue Rauchwolke wehte ihm entgegen, genau ins Gesicht und löste wieder einen Hustenreiz bei ihm aus. Offenbar wollte Ferris ihn damit aus seiner Gedankenwelt zurückholen, in die er abgedriftet sein musste. „Du bist ganz schön unhöflich, Luan. In einem Gespräch sollte man aufmerksam bleiben und nicht in geistige Abwesenheit geraten.“ Der Husten hielt an und hinterließ erste Spuren im Hals, die das Schlucken unangenehm werden ließen. Es war lächerlich darauf zu hoffen, dass dieser Typ ihm diese Bitte erfüllen würde, aber Luan ließ es auf einen Versuch ankommen. „Könntest du die Zigarette ausmachen?“ „Mal sehen. Wenn du jetzt aufpasst und mir zuhörst, dann bin ich eventuell so nett“, ging Ferris auf diese Bitte ein und ließ seinen Arm los, um sich wieder anständig in seinen Sitz zurücklehnen zu können. „Sei also schön brav und bleib einfach ruhig sitzen, verstanden?“ Widerwillig stimmte Luan dem mit einem Nicken zu, was seinen Gesprächspartner überaus zufrieden stimmte und ihn dazu brachte weiterzusprechen, ohne ihn vorher mit einer Pause auf die Folter zu spannen. „Geißel dürfte dir ja ein Begriff sein, nicht wahr?“ Natürlich wusste Luan, was eine Geißel war: Die mächtigste und finale Form aller Alpträume, allerdings galten sie bloß als Legende, da geschichtlich keine Begegnungen oder gar Kämpfe mit dieser Art festgehalten worden waren. Viele hochrangige Alpträume wurden zu Dämonen, wenn es den Traumbrechern nicht gelang sie rechtzeitig zu vernichten, ausgenommen war die Geißel. Den Grund dafür hatte man noch nicht herausgefunden, schließlich war nicht mal sicher, ob es diese Form in Wirklichkeit gab, auch wenn die Erzählungen über sie ja irgendwoher stammen mussten. „Tja, du darfst dich glücklich schätzen“, sprach Ferris weiter und sah ihn gespannt an. „Du hast gerade das Vergnügen mit einer. Ich bin eine Geißel.“ Statt Hitze schoss nun Kälte durch Luans Körper. Wie versteinert saß er da und blickte angeblich in die Augen einer Geißel, die anfingen rot zu glühen. In ihnen verbarg sich ein tiefer Abgrund aus Hass, der nach den letzten Worten freigelegt worden war. Abscheu hatte das Lächeln förmlich in Stücke gerissen und sich den Thron in der Mimik seines Herren zurückerobert. Innerhalb von Sekunden vollzog Ferris, diese selbsternannte Geißel, in seiner Ausstrahlung eine so extreme Wandlung, dass Luan nicht mal mehr wagte zu blinzeln. So viel Bosheit hatte er selten bei einem Alptraum erlebt und er fragte sich, wie es diesem Exemplar bisher gelungen war sie so gut zu verstecken. Das schwere Gefühl in seiner Brust wurde fast unerträglich und doch schaffte Luan es irgendwie, dass seine Stimme nicht in diesem Wirbel der Emotionen verloren ging. „Eine Geißel?“ „Ganz recht“, bestätigte er, der Klang seiner Stimme war nun deutlich tiefer als vorher. „Ich bin der Grund dafür, warum ihr hierher in diese Stadt geschickt wurdet.“ In dem Punkt lag das Hauptquartier also goldrichtig, dass es sich diesmal um einen großen und vor allem gefährlichen Einsatz handelte. Ob dieser Ferris hier die Wahrheit sagte, stand zwar noch nicht fest, aber bei der Bosheit, die er ausstrahlte, musste er zweifelsohne ein Feind sein. Mühevoll versuchte Luan den Sturm zu ignorieren, der in ihm wütete und ihn zu lähmen versuchte, denn er wollte erneut versuchen an seine Taschenuhr ranzukommen. Trotz dem steifen Gefühl in seinen Gliedern huschte seine Hand bereits unter den Mantel, weiter kam er aber auch nicht. Sein Gurt hatte sich plötzlich in mehrere weitere Bänder aufgeteilt und die schlangen sich kreuzförmig um ihn herum, um ihn komplett an den Sitz festzubinden, ohne jegliches Zutun von Ferris. Vermutlich waren sie nur durch seinen Willen gelenkt worden, eine andere Erklärung fiel ihm spontan nicht ein. Sie zogen sich so fest zu, dass er nur noch mäßig Luft bekam und anfing zu keuchen. „Ich hatte dir doch gesagt, dass ich diese Taschenuhren nicht ausstehen kann. Hörst du nicht zu?“, kommentierte Ferris dieses Verhalten und nahm einen weiteren Zug von der Zigarette, ehe er fortfuhr. „Du kannst dich entspannen, noch habe ich nicht vor, gegen dich zu kämpfen. Ich will nur mit dir reden.“ Durch den Rauch und die Gurte bekam Luan kaum noch Luft, konnte nur noch mit leiser, kratziger Stimme etwas darauf sagen. „Und wieso?“ „Zuhören ist wirklich nicht so deine Stärke, aber das liegt sicher an der gelösten Atemhypnose.“ Er wandte sich von ihm ab und schloss die Augen. „Wie gesagt, mein Wirt mag dich. Außerdem wäre ein Sieg ohne Gegenwehr außerordentlich langweilig. Muss ich wohl auch von meinem Wirt haben.“ „Wirt?“, presste Luan hervor. „Was für ein Wirt?“ „Oh Mann, können alle Menschen nur so schwer denken, wenn sie von Emotionen heimgesucht werden?“, reagierte er genervt und schüttelte den Kopf. „Was glaubst du, wieso ich wohl so wie Ferris aussehe, hm?“ Ferris. In Luan klingelten sämtliche Alarmglocken. Ob er in Ordnung war? Naola wollte zu ihm, hoffentlich war ihr nichts zugestoßen. Noch konnte er nicht sicher sein, ob er hier wirklich eine Geißel vor sich hatte und sie sich mal in Ferris eingenistet hatte, besonders weil Traumbrecher doch immun gegen den Befall von Alpträumen sein sollten. Sorge keimte in Luan auf und wirkte sich wie eine Medizin auf seinen Geist aus, konnte den tobenden Sturm in ihm ein wenig unter Kontrolle bringen und die Ruhe zurück aus dem Loch holen, in das sie gefallen war. Er musste etwas unternehmen und nach Ferris sehen. Der echte könnte immer noch im Hotel sein. „Ah, dein Emotionsschub legt sich schon? Ging erstaunlich schnell.“ Der Alptraum, Luan wollte ihn nicht länger als Ferris und auch noch nicht als Geißel bezeichnen, öffnete die Augen wieder und klopfte mit einer Hand sacht gegen die Fensterscheibe neben sich. „Du willst ja wohl nicht schon gehen? Wo ich nur für dich dafür gesorgt habe, dass wir hier eine gemütliche Sitzgelegenheit haben.“ Schweigend warf Luan nach dieser Bemerkung nochmal kurz einen Blick nach draußen. Immer noch alles schwarz. Jetzt, wo sich die Emotionen tatsächlich ein wenig legten und zur Ruhe kamen, wurde ihm auch bewusst worum es sich bei diesem Ort handeln musste: Ein weiteres Refugium, deshalb gab es hier auch nur Schwärze. Offenbar hatte dieser Alptraum sich schon mehrere in der Gegend angelegt, was denkbar schlecht war. In der Realität könnte es ernsthaften Schaden anrichten, sollten sich zu viele Risse in einem Gebiet befinden. Auf jeden Fall deutete es darauf hin, dass der Alptraum neben ihm wahrlich hoch entwickelt sein musste, normalerweise war es schon schwer genug für einen von ihnen auch nur ein einziges Refugium zu erschaffen. Ich muss hier raus, sagte er sich in Gedanken. Ich muss wissen, was mit Ferris passiert ist. Es war ihm egal, was der Alptraum, ob nun Geißel oder nicht, noch mit ihm zu besprechen hatte und warum er ihn nicht einfach aus dem Weg räumte. Sollte Ferris wirklich mal sein Wirt gewesen sein, konnte das alles Mögliche bedeuten. Er musste einfach hier raus! Nur wie? Gegenwärtig war er nicht dazu in der Lage sich zu befreien und selbst wenn er an seine Taschenuhr rankäme, hätte er nur die Energiekugeln zur Verfügung. Bei einem Feind, der mehrere Risse erschaffen konnte, würde sehr viel Energie nötig sein, um ihm halbwegs zu schaden. „Sagte ich nicht, dass du mit deinem Verstand bei mir bleiben sollst?!“, zischte der Alptraum wütend und beugte sich zu ihm, packte ihn grob am Kragen. Bei der Berührung ging all der Hass, den diese Person in dieser Sekunde empfand, auf Luan über. Strömte durch seinen Körper hindurch, hinunter in seinen rechten Unterarm, wo sich dieses Gefühl anstaute, sich zu einem Knoten verdichtete und eine Reaktion hervorrief, die Luan schon lange nicht mehr erlebt hatte: Ein gleißendes, rötliches Licht schoss aus seinem Unterarm hervor. Hüllte sie beide vollständig ein und explodierte nahezu. Sehen war nicht mehr möglich, da Luan von dem Licht geblendet wurde, aber er konnte hören, wie etwas durch die Luft sauste. Klang, als würden unzählige Pfeile durch die Gegend schießen und dieses Refugium auseinander reißen. Pechschwarze Splitter fielen nach und nach herab, lösten sich auf, als würden sie von der aggressiven Rotfärbung des Lichtes verschluckt werden. Schließlich zog sich diese Kraft nach nicht mal einer Minute in seinen Unterarm zurück, aus der sie gekommen war und Stille kehrte ein. Bevor Luan etwas erkennen konnte, mussten seine Augen sich zunächst erholen, vor denen noch etliche Lichtpunkte tanzten. Kühle Herbstluft wehte ihm durch die Haare, also musste er sich wieder draußen befinden und dass er die Arme frei bewegen konnte war ebenfalls ein Zeichen dafür. Unter ihm spürte er den kalten Asphalt, also befand er sich auch nicht mehr in dem Sitz von dem Wagen. Was war passiert? Er hatte eine Ahnung, konnte es aber nicht glauben. „Meine Atem-Prägung. Sie funktioniert wieder?“, murmelte er ungläubig und sah nach rechts auf seinen Arm hinab. Dort kreisten sechs lange, hellblau leuchtende Klingen gleichmäßig um seinen Unterarm herum, die ein bisschen an Schwerter erinnerten. Jetzt begaben sie sich gerade in die Ruhephase und legten sich dicht aneinander, so dass sie wie eine leuchtende Armschiene aussahen. Zögernd tippte er mit dem Zeigefinger dagegen und die Klingen zersprangen sofort in viele einzelne, winzig kleine Fragmente, bis nichts mehr von ihnen zu sehen war. Zurück blieb ein leichtes Gewicht, dass er am Arm spüren, aber nicht mehr sehen konnte. Ohne es zu merken musste Luan vor Freude lächeln. Die Atem-Prägung hatte bei ihm nicht mehr funktioniert, seit einst seine Traumzeit einfror, daher war es wie eine glückliche Wiedervereinigung für ihn. War wirklich eine Atemhypnose schuld daran, dass ihm diese Fähigkeit abhanden gekommen war? Falls ja, musste er dringend herausfinden, wer ihm das angetan hatte und vor allem warum. Mit dieser Prägung könnte der Kampf gegen Alpträume wieder um einiges leichter für ihn werden, damit hätten seine Kollegen sogar ernsthafte Konkurrenz. Atem-Prägungen waren sehr selten. Leider hielt die Freude nicht lange an, denn er rief sich selbst in Erinnerung, dass er etwas zu tun hatte. Er stand auf und sah sich um. Von dem Alptraum, der das Aussehen von Ferris angenommen hatte, war weit und breit nichts mehr zu sehen, als wäre er nie da gewesen. Auch das Refugium war verschwunden, es musste durch seine Atem-Prägung zerstört worden sein. Kein Wunder, bei einem solchen Hass, der auf ihn übergangen war und diese Explosion verursacht hatte. Mittlerweile war es noch dunkler geworden, aber noch nicht Mitternacht, sondern später Abend. Direkt vor ihm befand sich das Hotel Tesha. Hatte der Riss, in dem er bis eben noch gewesen war, sich etwa hierher bewegt? Darüber sollte er sich später Gedanken machen, zuallererst wollte er nach Ferris sehen. Entschlossen rannte er los und stürmte in das Gebäude hinein, hoffte inständig darauf, dass sein Freund wohlauf war. Derweil war aus den Schatten heraus ein amüsiertes Lachen zu vernehmen, kaum dass hinter Luan die Eingangstür zugefallen war. „Ich gebe zu, das war mein Fehler. Damit habe ich nicht gerechnet“, ertönte die Stimme der Geißel und sie trat in das Licht einer Straßenlaterne. „Schade, ich bin nicht dazu gekommen dir zu sagen, was ich sagen wollte. Nun, wir haben uns nicht zum letzten Mal gesehen, mein Lieber.“ Ein aufgerauchter Zigarettenstummel fiel zu Boden und er holte einen kleinen, roten Samen aus seiner Hosentasche hervor. „Dann hab mal viel Spaß mit meinen Kindern, Howler.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)