Zum Inhalt der Seite

The last sealed Second

Diarium Fortunae
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kümmert mich nicht

Luans Fuß war nur noch knapp einen halben Zentimeter von der Taschenuhr entfernt, als er abrupt mitten in der Bewegung stoppte und für einige Sekunden regungslos in dieser Position verharrte, wie eine leblose Puppe. Schließlich zog er das Bein wieder zurück, ohne sein Vorhaben, Bernadettes Herz zu zerstören, beendet zu haben.

Er senkte langsam den Kopf. Das Lächeln schwand nicht aus seinem Gesicht, bekam nur zusätzlich eine zutiefst amüsierte Note. Sacht tippte er mit dem Zeigefinger seiner linken Hand gegen das Ziffernblatt seiner eigenen Uhr, deren Sprungdeckel noch geöffnet war. Ein undefinierbarer, tiefer Laut verließ seine Kehle.

„War nur“, hauchte er, „ein kleiner Scherz.“

In seiner Stimme lag eine spürbar boshafte Natur, hatte ansonsten aber nichts von ihrer vorherigen, typischen Klangart verloren. Gemächlich beugte er sich runter und hob die Uhr von Bernadette auf, die erleichtert aufatmete. Zwar mochte sie nichts gesehen haben, doch durch die Wärme seiner Hand konnte sie gewiss spüren, dass ihr wertvollster Besitz zumindest nicht mehr auf dem Boden herumlag.

„Was hattest du vor?“, fragte sie vorsichtig. „Was hast du gemacht?“

Sein Lächeln wandelte sich zu einem Grinsen. „Och, nichts. Ich habe mir nur einen kleinen Spaß mit den zerbrechlichen Gefühlen eines Menschen gemacht.“

Offenbar schien sie zu wissen, was passiert war und wer sich gerade hier mit ihr unterhielt, denn es stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Ernst vermischte sich mit Verleugnung, diese Kombination passte überhaupt nicht zu ihr, selbst er sah das. Aus irgendeinem Grund wollte sie einfach nicht wahrhaben oder gar akzeptieren, was hier geschah, deshalb ging sie auf Nummer sicher, indem sie ihn direkt darauf ansprach.

„Luan? Bist du es?“

War er es? In ihren Augen mit Sicherheit nicht, er dagegen machte daraus keinen allzu großen Unterschied. Derjenige, den sie Luan nannte, war von Hitze verschlungen und schlafen geschickt worden. Die schwarze Kruste auf seiner Haut – dieses Gefängnis – war kühl geworden. Eiseskälte hatte das brennende Gefühl vertrieben und die knisternden Flammen zum Schweigen gebracht, durch die er nach draußen gelangen konnte.

„Oh, Luan ist im Moment nicht zu erreichen. Tut mir schrecklich leid~“, antwortete er, in einem gespielt mitleidigen Ton und schloss grob den Deckel der Taschenuhr, die um seinen Hals hing. Hinter dem Gürtel unter seinem Mantel löste sich die Handfeuerwaffe in einem grellen Blitzlicht auf. „Du kannst mich aber ruhig weiter so nennen. Im Prinzip, wenn man es ganz genau nimmt, kommt es doch sowieso auf dasselbe hinaus.“

„Das tut es nicht“, widersprach Bernadette gleich. „Du bist nicht Luan.“

„Mh-hm~ Interessant“, ging er darauf ein. Einige federnde Schritte brachten ihn wieder näher zu ihr, bis er an ihrer Seite stand und sich mit dem Oberkörper über sie beugen konnte. „Dann sag du mir doch, wer oder was ich bin. Du weißt es ganz genau, stimmt’s?“

Sie machte sich nicht mal die Mühe, dem zu widersprechen. „Stimmt.“

„Also?“

„Ich werde es nicht aussprechen.“

„Oh je.“ Diese Aussage brachte ihn zum Schmunzeln. „Typisch, Menschen waren schon immer wahre Meister darin, alles auszublenden, was sie als schlecht und bösartig erachten.“

„Ich bin kein Mensch“, korrigierte sie ihn und starrte ziellos nach oben, direkt in sein Gesicht, wo für ihre Augen nichts als Schwärze zu sehen war. „Nicht mehr.“

„Ach, richtig. Ich vergaß.“ Seine Augen formten sich zu Schlitzen und seine Miene wurde kalt. „Ihr seid ja wandelnde Tote, die sich nur dank ihrer Träume noch bewegen können und durch den sogenannten Atemfluss frischgehalten werden. Schon blöd, dass ein Mensch erst sterben muss, bevor er zum Traumbrecher werden kann, was?“

Damit traf man bei Traumbrechern immer einen wunden Punkt, auch Bernadette wandte den Kopf bedrückt zur Seite, nur aus einem anderen Grund, als er zuerst dachte. „Rede nicht darüber. Luan könnte deswegen leiden.“

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Kümmert mich nicht. Der Junge hat so viele Komplexe, auf die kann man gar nicht alle Rücksicht nehmen, selbst wenn ich wollte.“

„Es sollte dich aber kümmern“, meinte sie und ihre Stimme war in diesem Augenblick derartig tadelnd, dass es die Atmosphäre in Hochspannung versetzte.

„Ah~“, reagierte er erfreut, verlor jedoch nicht den kalten Ausdruck in seinem Gesicht. „Jetzt kommen wir der Sache schon näher.“

„Welcher Sache?“

„Na, dem Grund dafür, warum ich hier bin.“

Schwungvoll lehnte er sich zurück, in eine aufrechte Position, ließ ihre Taschenuhr ein Stück aus seiner Hand gleiten, bis er die Kette zu fassen bekam und fing an sie an dieser durch die Luft zu wirbeln, in Kreisen, wie eine Windmühle. Darauf reagierte Bernadette mit einem schwerfälligen Stöhnen und kniff die Augen zusammen. Sicher wurde ihr durch diese Spielerei mit der Uhr gerade schlecht.

Summend drehte er sich auf einem Bein um und ging ein paar Schritte durch das Refugium, das leider noch ziemlich unspektakulär aussah, furchtbar kläglich. Wenigstens konnte er die tiefen Abgründe der Schwärze genießen, von der sie umgeben waren. Immer weiter und weiter schleuderte er die Taschenuhr herum, während er einen Schritt nach dem anderen tat, als würde er einen kleinen Spaziergang unternehmen.

„Ich bin in Luan gefangen und er hat nicht den leisesten Schimmer davon“, begann er und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, dabei kroch die Feindseligkeit in ihm hoch, wenn er nur daran dachte. „So gut wie keiner von euch Traumbrechern weiß, dass ihr die ganze Zeit in euch selbst einen Alptraum herumschleppt. Darum könnt ihr ja auch nicht auf eurer Jagd von Alpträumen befallen werden. Wie auch, wenn schon einer in euch haust?“

„Ich will es nicht hören“, unterbrach Bernadette ihn und versuchte noch einmal wie vorhin sich aufzurichten, doch sie war ohne ihr Herz zu kraftlos dafür. Sie war dazu gezwungen auf dem Rücken liegenzubleiben.

„Du weißt es, willst aber nicht darüber reden? Glaubst du, durch Schweigen diese Tatsache aus der Welt schaffen zu können?“ Solch ein absurdes Verhalten stimmte ihn nicht sonderlich erfreut, seine Miene wurde noch kälter. „Pech für dich, dass ich das anders sehe. Ich bin jetzt hier und wir werden reden.“

Anscheinend hatte er mit seiner letzten Aussage etwas angesprochen, was sie besonders reizte, denn sie wurde plötzlich wütend. „Du solltest eigentlich überhaupt nicht hier sein! Vane hatte mir damals zugesichert, dass er dafür sorgt, Luan im Hauptquartier festzuhalten!“

„Korrekt“, bestätigte er. Mitten im Dreh ließ er die Kette los, so dass ihre Uhr nach oben flog und er sie in der Luft mit einer Hand wieder auffangen konnte. „Hat der Doktor dir etwa nicht berichtet, dass Luan schon seit langer Zeit zurück im Jagdgeschäft ist?“

„Was?!“, erwiderte sie ungläubig.

„Das heißt wohl nein.“ Zu sehen, wie die Enttäuschung in Bernadette zu sprießen anfing, weckte Schadenfreude in ihm. „Wie tragisch, wo du und der Doc euch so sehr darum bemüht habt, dafür zu sorgen, dass Luan nicht mehr zu intensiven Gefühlsausbrüchen fähig ist, nur um mein Wachstum zu verhindern. Ich kann dich trösten, das hat wunderbar geklappt. Ich lag zeitweise quasi im Koma.“

„Und das hätte so bleiben sollen“, versetzte sie ihm einen imaginären Schlag, allein durch diese Worte.

Ihre Uhr knackte verdächtig, als er sie, aus einem Impuls heraus, so fest mit der Hand umklammerte, dass diese vor Anstrengung zu zittern begann. Zeitgleich entfuhr Bernadette ein Schmerzensschrei, der ihn mit einem wohltuenden Schauer erfüllte.

Drei Mal schnalzte er leise mit der Zunge und wies sie anschließend zurecht. „Werd nicht frech. Sonst könnte ich auf ganz, ganz schlimme Gedanken kommen, die dir nicht gefallen werden.“

„Schon gut“, keuchte Bernadette schwerfällig. „Also, was willst du? Warum bist du hier?“

Dass sie sich endlich kooperativ zeigte, brachte ein freudiges Lächeln in sein Gesicht zurück, das mehr als aufgesetzt und falsch war. „Ich war gerade dabei, es zu erklären, bis du mich unterbrochen hast.“

Den Druck auf die Taschenuhr verringerte er ein wenig, behielt aber ein gewisses Maß an Anspannung in der Hand bei. Nachdem er einige weitere Schritte durch das Refugium gegangen war, lehnte er sich schließlich mit dem Rücken an einer Wand an, die von einem Menschen sicher als unsichtbar bezeichnet werden würde. Von dort beobachtete er Bernadette genau und fuhr mit seiner Erklärung fort, doch er setzte an der Stelle an, wo er auf Luans Gefühlswesen zu sprechen gekommen war.

„Ihr mögt euch viel Mühe gegeben haben, aber einen Verrat vergisst man niemals. Egal, welches Wesen, ein Herz, das Verrat erfahren hat, wird sich immer daran erinnern.“ Kurz schloss er die Augen und schüttelte den Kopf, weil ihm ein Ereignis aus einer weit entfernten Vergangenheit in den Sinn kam. Einer Vergangenheit, in der Traumbrecher noch nicht existierten. Gekonnt schüttelte er sie schnell ab. „Manche Gefühle lassen sich nicht so einfach unterdrücken oder gar ausschalten, Vane musste das erst kürzlich feststellen, als er mich untersucht hat. Es erstaunt mich, dass er Luan nicht gleich wieder dieses Beruhigungsmittel verabreicht hat.“

„Vane hat nichts unternommen? Obwohl er gemerkt hat, dass du wieder aktiv geworden bist?“, hinterfragte Bernadette, die ihm keinen Glauben schenken wollte und sehr betroffen war.

Lachend fuhr er sich mit der freien Hand durch die Haare. „Sag bloß, das geht dir schon zu Herzen? Du solltest dir lieber selber Vorwürfe machen, dass ich dank dir endlich mal nach langem wieder rausgekommen bin.“

„Dank mir?“

„Jaha~.“ Nun ließ die Anspannung in seiner Hand vollständig nach, da er ihre Taschenuhr vorsichtig gegen die von Luan drückte. „Der Kleine ist wirklich ziemlich enttäuscht und verletzt wegen dem, was du ihm damals angetan hast. Es war klar, dass diese Narbe eine heftige Reaktion seiner Gefühle hervorrufen würde und das haben wir uns zu Nutze gemacht, mit Erfolg.“

Bernadette sagte nichts dazu, sondern schwieg. Die Übertragung von Luans Gefühlen für sie sorgte dafür, dass ihr Tränen in die Augen schossen und diesen Anblick genoss er sehr. Nachdenklich zog sie dann ihre Augenbrauen zusammen, etwas schien ihr auf den Lippen zu liegen, aber sie blieb still. Vermutlich wollte sie nur nicht mehr mit ihm reden, als es nötig war. Hauptsache sie gewann ihre Sprache zurück, wenn es zu dem Teil kam, wegen dem er hier war.

„Kommen wir langsam zum Thema“, fuhr er fort und löste den Kontakt der beiden Taschenuhren zueinander wieder. „Ich hätte mich längst von Luan lösen und meinen eigenen Körper bekommen müssen. Eigentlich waren wir sogar schon mal voneinander gelöst, bis seine Traumzeit einfror. Ausgerechnet die letzte Sekunde, ein großes Mysterium. Damals hat mich etwas mit Gewalt wieder an ihn gebunden, als es passierte und nun hänge ich in diesem Gefängnis fest.“

Es folgte eine kurze Pause seinerseits, bis er einen theatralischen Seufzer von sich gab. „Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass ich Luan eben auf andere Weise brechen muss, auch wenn ihr mir das nicht leicht macht. Du und der werte Herr Doktor Belfond.“

„Es ist notwendig, dich zu stoppen“, warf sie ernst ein und fügte dem rasch noch etwas hinzu. „Um Luan zu retten.“

„Wirklich? Ist das so, ja?“, hinterfragte er, wenig überzeugt. „Wenn dem so ist, wieso meintest du dann vorhin zu mir, dass es mich kümmern sollte, wie Luan fühlt?“

Abermals zeigte sie, wie gut sie schweigen konnte, wenn sie wollte. Ab hier würde es schwer werden, die gewünschte Information aus ihr herauszubekommen, doch das war ihm auch vorher schon klar gewesen. Also stieß er sich von der unsichtbar erscheinenden Wand ab und ließ ihre Uhr wieder zu Boden fallen, trat jedoch nicht drauf, sondern ließ sie dort zurück, als er nochmal zu ihr rüberging.

Neben ihr ging er auf die Knie, was sie nervös werden ließ, da sie seine Nähe spüren musste. Sorgen darüber, dass sie sich wehren könnte, waren überflüssig. Nicht nur die Entfernung ihrer Uhr machte sie schwach, auch von dem Kampf mit dem Wesen, das sie letztendlich hergebracht hatte, musste sie sich noch angeschlagen fühlen. Das mochte schon ungefähr zwei Tage her sein, aber in einem Riss erholten sich Traumbrecher allem Anschein nach nicht.

„So, jetzt wird es spannend“, begann er, mit äußerst eindringlicher Stimme. „Ich weiß aus einer zuverlässigen Quelle, dass ihr, du und dieser lästige Vane, genau darüber Bescheid wisst, wieso Luans letzte Sekunde eingefroren ist und ich will es wissen, denn ich hänge da genauso drin. Außerdem würde es mich auch interessieren, wovor ihr uns beide zu retten versucht.“

Weiterhin machte sie keinerlei Anstalten etwas zu sagen und blickte nur stumm geradeaus, durch ihn hindurch. Allmählich verlor er die Geduld, dieses Treffen mit ihr wollte er nicht ohne Antworten beenden. Ungehalten beugte er sich erneut über sie, stützte sich links und rechts neben ihrem Kopf mit den Händen auf dem Boden ab.

„Denkt ihr, ich bin so blind wie Luan?“, zischte er. „Ja, ihr versucht seit Jahren mich zurückzudrängen und zu verhindern, dass ich mich ausweite, aber ich bin ein Alptraum. Wir erkennen es durchaus, ob man uns vernichten oder schützen will. Also sag mir, was da läuft!“

„Es tut mir leid“, erwiderte sie, darum bemüht, kein bestimmtes Gefühl nach außen dringen zu lassen. „Es ist uns verboten, darüber zu sprechen. Eins kann ich dir aber sagen: Wir schützen dich sicher nicht deinetwegen, uns geht es nur um Luan.“

Schreiend ballte er die Hände zu Fäusten und schlug mit beiden einmal kräftig gegen den Boden, was Bernadette nicht mal zum Zucken brachte. Wutentbrannt stand er auf, stampfte durch das Refugium. Ein stark ausgeprägter Zerstörungsdrang wurde wach, dem er nicht nachgehen konnte, weil er keinen Zugriff auf seine Fähigkeiten mehr besaß, seit jener Nacht. Seit Luan um seine verdammte, letzte Sekunde gebracht worden war.

Plötzlich brach er in schallendes Gelächter aus. „Natürlich geht es um Luan, um wen sonst? Weißt du was? Jetzt kümmert mich sein Wohl noch weniger als vorher! Ich pfeif auf dein Wissen, mir ist sowieso gar nicht so wichtig, was mit mir passiert! Ich will nur, dass dieser Kerl, in dem ich festsitze, endlich gebrochen wird!“

Das war gelogen. In Wahrheit war ihm sein eigenes Wohl viel zu wichtig und das war nicht richtig. Alpträume machten sich niemals über etwas oder jemanden sorgen. Nie, ganz besonders nicht um jemanden. Auch nicht um sich selbst. Es war unnatürlich, dass er anders empfand. So sollte er sich nicht verhalten, doch wie konnte er diese Empfindung ausmerzen? Diese Unruhe machte ihn wahnsinnig und er konnte nichts dagegen tun, darum wollte er herausfinden, woran es lag.

Sein Gelächter erstickte jäh, als ihm bewusst wurde, dass er von Bernadette keine Antwort bekommen würde. Nicht, wenn sie die Wahrheit sagte. Davon abgesehen war er ihnen doch total egal, wie hatte er jemals etwas anderes annehmen können? Oder hatte er so denken wollen? Nein, er war ein Alptraum, sein Denken war anders. Sein Denken sollte anders sein. So lief es falsch, er durfte so etwas wie Hoffnung oder Angst nicht kennen.

„Dir ist es also verboten, darüber zu sprechen?“, griff er ihre Aussage von eben auf. „Ich schätze, dann hat es auch keinen Sinn länger zu reden. Schade, es war irgendwie nett.“

Mittlerweile fühlte sich jeder Schritt schwer an und so dauerte es viel zu lange, bis er an der Stelle ankam, wo noch ihre Taschenuhr lag. Völlig schutzlos. Wie zuvor hob er das Bein an und ließ seinen Fuß bedrohlich über diesen Gegenstand schweben. Stellte sich vor, wie dieses Herz gleich unter seiner Sohle zusammenbrechen würde. Fähigkeiten mochte er nicht mehr einsetzen können, für einen starken Tritt, der die Uhr in mehrere Teile zerspringen lassen sollte, dürfte es aber reichen.

„Hey“, hörte er sie hinter sich sagen. „Was machst du?“

„Vorhin war es nur ein Scherz“, flüsterte er, so dass sie ihn nicht hören konnte. Sanft strich er mit der Hand über das Herz von Luan, das um seinen Hals hing. „Ich habe aber nicht gesagt, dass ich es nie tun würde. Die beiden können versuchen was sie wollen, wer so viele Komplexe hat, wird früher oder später daran brechen. Ein bisschen helfe ich dem Glück aber gerne nach.“

Für genug Schwung hob er das Bein noch ein Stück mehr an, fixierte die Uhr auf dem Boden mit seinen Augen und war bereit. Wie vorhin schnellte sein Fuß herab, auf das Herz zu. Plötzlich ertönte aus dem Nichts heraus eine Stimme, auf die Luan in ihm reagierte, obwohl er gar nicht anwesend sein konnte, weil er schlief.

„Stopp!“, schrie jemand, eine Frauenstimme.

Sofort hielt er inne und berührte mit der Schuhsohle zwar die Taschenuhr zu seinen Füßen, hatte aber gerade noch rechtzeitig abgebremst. Jeglicher Druck, der den Gegenstand ernsthaft beschädigen könnte, blieb aus. Empört drehte er sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und seine Augen weiteten sich, als er Mara sah, die mit einem so erstaunlich hohen Tempo auf ihn zu rannte, dass es unheimlich war.

Nicht mal einen Wimpernschlag später prallte sie mit ihrem Körper auch schon heftig gegen ihn. So heftig, dass es ihn nicht mehr auf den Beinen hielt und er zu Boden gerissen wurde. Aus Reflex kniff er die Augen zusammen, konnte nur noch hören, wie der Sprungdeckel seiner Taschenuhr aufsprang und ahnte, was passieren würde, wenn er sie wieder öffnete. Deshalb hielt er sie geschlossen, um nicht mitzuerleben, dass er derjenige war, der zurück in die schlafende Position fiel.
 


 

***
 


 

Luan starrte in das Schaufenster, vor dem er stand. Dahinter waren so viele Farben. Helle. Dunkle. Kaum eine Farbe harmonierte mit der anderen und er fragte sich, ob sie jemand absichtlich so verteilt hatte, damit nichts richtig zusammenpasste. Dadurch wirkte das Bild irgendwie sehr fröhlich, als hätten sie immer eine Menge Spaß, gerade weil sie so unterschiedlich waren.

Es war das Schaufenster zu einem Süßigkeitenladen, in das er hinein starrte. Ganz allein, von Stille umgeben, wartete er hier. Vor vielen, vielen Jahren hatte er schon mal hier gestanden, als Kind. Der Anblick war haargenau wie damals, sogar die Anordnung der Süßigkeiten, deren Farbenpracht ihn blendete. War das hier real oder eine Erinnerung? Wie war er überhaupt hergekommen?

„Was machst du da?“, sprach ihn jemand von der Seite an. Eine Frau.

Erschrocken schwenkte er den Blick zur Seite, aber da war niemand. Der Fußgängerweg führte nur in ein weißes Nichts, sah so aus, als hätte jemand das Bild auf einer Leinwand nicht zu Ende gezeichnet. Den gleichen Anblick gab es auf der anderen Seite und er bemerkte, dass er wirklich ganz allein war. Nicht mal Passanten waren zu sehen, auch kein Verkäufer im Süßigkeitenladen oder Kunden.

Nur er war hier. Vor diesem Schaufenster, in dem so viele bunte Farben zu sehen waren. Zögerlich hob er die Hände und legte sie auf das Glas, näherte sich mit dem Gesicht diesem Hindernis, in dem Glauben, dann könnte er sie besser sehen. Die Farben. All diese fröhlichen Farben, zwischen denen es für graue Trostlosigkeit keinen Platz gab.

Hier hatte er sie damals zum ersten Mal getroffen, Estera. Sie war fasziniert davon gewesen, dass er so beeindruckt durch das Schaufenster sah. Als einzige hatte sie sich zu ihm gestellt, von allen anderen Menschen war er ignoriert worden. An einem Kind, das vor einem Süßigkeitenladen stand, war eben nichts Besonderes. Erst recht nicht an einem Kind wie ihm.

Abgenutzte, alte Kleidung war schon immer ein Zeichen dafür, dass man aus armen Verhältnissen stammte. In seinem Fall war es auch noch Kleidung mit einem aufgenähten Symbol auf dem Rücken gewesen, bei dem es sich um das Logo für ein Waisenhaus handelte und in dem alle Kinder diese einheitliche Kleidung trugen. Hässliche, graue, trostlose und einheitliche Kleidung. Ein Stempel, damit jeder sofort Bescheid wusste. Betrübt lehnte er sich mit der Stirn gegen die Scheibe und seufzte, wodurch das Glas beschlug.

Jedenfalls hatte er mit Estera zusammen Stunden in das Schaufenster geschaut, für ihn hatte es sich so lange angefühlt und es war, bis dahin, die beste Zeit seines Lebens gewesen. Irgendwann waren sie ins Gespräch gekommen, auf Anhieb hatte es sich vertraut angefühlt. Sogar jetzt konnte er noch hören, wie viel sie gelacht hatten. Wie lange war es wohl schon her? Sein letztes Lachen.

„Luan!“, ertönte abermals eine Stimme, wesentlich lauter als eben.

Er löste sich von der Scheibe und hielt den Atem an, als er statt seinem eigenen Spiegelbild jemand anderes sah. „Estera!“

Keinen Zweifel, sie war es. Langes, blondes Haar. Warmherzige, grüne Augen. Nur ihre Stimme klang anders, als er sie in Erinnerung hatte. Nicht so ruhig und friedlich, nein, etwas jagte ihr höllische Angst ein. Panisch schlug sie gegen das Glas und schrie um Hilfe, flehte ihn förmlich ohne Unterlass an, sie aus diesem Gefängnis zu befreien.

„Estera!“

Kräftig fing auch er an gegen die Scheibe zu schlagen, dachte gar nicht erst darüber nach. Die ersten Risse ließen nicht lange auf sich warten. Rasch vermehrten sie sich, bildeten ein Spinnennetz. Einige Splitter fielen bereits herab. Mehr und mehr folgten, dann gab das Hindernis endlich restlos nach.

Er wollte nach ihr greifen, doch kaum hatte er das Glas gebrochen, war sie verschwunden und ließ nur ein tiefes, schwarzes Loch zurück, in das er hinein fiel.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Flordelis
2014-09-08T14:10:25+00:00 08.09.2014 16:10
So, jetzt bin ich gestärkt und bereit für Creepy-Luan! ♥
Kieran: Mit Herzchen.
Alo: Mit Herzchen. ♥
Kieran: Ich versuche erst gar nicht, deinen Gedanken zu folgen.

> Schließlich zog er das Bein wieder zurück, ohne sein Vorhaben, Bernadettes Herz zu zerstören, beendet zu haben.
Puh~.
Jii: Also-
Kieran: WAH!
Jii: Jetzt erschreck dich nicht immer so, nur weil ich auftauche. =_=
Kieran: x______x
Jii: Jedenfalls, wenn unsere Herzen zerstört werden, haben wir 15 Sekunden Zeit uns das Herz eines anderen Mystischen zu schnappen und dieses einzunehmen.
Alo: ... Echt?
Jii: ... Ja. Glücklicherweise, sonst wäre ich schon tot. Dank dieser blöden Feuernymphe. =______=
Aurora: Ich wurde erwähnt! =D ... Aber ich bin die Sonnennymphe, bitte. u_û

> „War nur“, hauchte er, „ein kleiner Scherz.“
Es sind solche Sätze, bei denen ich zu quietschen beginne und begreife, wie viel du mir über bist. X3
So wahnsinnig toll~.

> Ich habe mir nur einen kleinen Spaß mit den zerbrechlichen Gefühlen eines Menschen gemacht.
Jii: Also ich mag diesen Luan sehr.
Kieran: Ich nicht. Der alte ist mir wesentlich lieber.
Jii: Weil du ein Langweiler und ein Mensch bist.
Kieran: Und?

> Die schwarze Kruste auf seiner Haut
Joel: ಠ_ಠ
Alo: Schau mich nicht so an. Die Szene mit Chris' Tod stand schon lange, bevor ich ich The LsS überhaupt kannte. u_û
Joel: Hmm.

> „Oh, Luan ist im Moment nicht zu erreichen. Tut mir schrecklich leid~“
Alo *als Creepy-Luan*: Bitte ruf später noch einmal an~. Einen schön-schrecklichen Tag noch. =D
Kieran: ...
Jii: Könnte Creepy-Luan meinen Anrufbeantworter für mich besprechen?

> Einige federnde Schritte brachten ihn wieder näher zu ihr, bis er an ihrer Seite stand und sich mit dem Oberkörper über sie neigen konnte.
Warum ist er so toll? ಠ_ಠ
Er hat diese verdammt coolen Posen drauf!

> Typisch, Menschen waren schon immer wahre Meister darin, alles auszublenden, was sie als schlecht und bösartig erachten.
Kieran: Wie kann man ihnen daraus einen Vorwurf machen? Es trifft nicht auf alle zu, aber es gibt nun einmal Menschen, die würden daran zerbrechen, wenn sie mit all der Bosheit und der Schlechtigkeit konfrontiert werden würden, die es gibt. Ich selbst habe manchmal Mühe, es auszuhalten.
Stellaris: Ich liebe die Welt auch mit ihrer Boshaftigkeit. ♥ Menschen sind so wunderbare Geschöpfe, mit all ihren Facetten, auch den negativen.
Jii: ... Von dir hätte ich gerne erst ein MRT und dann möchte ich dein Gehirn aufschneiden.
Stellaris: Nein! D:

> Ihr seid ja wandelnde Tote, die sich nur dank ihrer Träume noch bewegen können und durch den sogenannten Atemfluss frischgehalten werden.
Ich war ja schon gespoilert, aber das war trotzdem so WOOOOOOOOOOAH! °___________°
Und Kieran ist jetzt nicht mehr so eifersüchtig auf Traumbrecher.
Kieran: Es wäre mir zwar lieber, wenn ich nicht mehr altern würde, aber als Lazarus ist man irgendwie doch noch immer ein Mensch.
Jii: Übermensch. Ihr bekommt im Austausch gegen euren Seelenfrieden wahnsinnige Kräfte verliehen, die euch für immer bleiben und die mit jedem erlegten Dämon sogar anwachsen, nicht nur sechs Stunden - ihr dürft nur nicht verzweifeln. =)
Kieran: Und das ... ist ziemlich schwer.

> Schon blöd, dass ein Mensch erst sterben muss, bevor er zum Traumbrecher werden kann, was?
PRECIOUS! TT_____________________TT
*klammert sich an, den in der Szene nicht einmal vorhandenen, Ferris*

> Damit traf man bei Traumbrechern immer einen wunden Punkt
Kieran: Kann ich gut verstehen.

> Der Junge hat so viele Komplexe, auf die kann man gar nicht alle Rücksicht nehmen, selbst wenn ich wollte.
Alo: Creepy-Luan ist so gemein! TT_______TT
Jii: Ich mag ihn.
Kieran: Wie ist eigentlich Creepy-Cathan?
Alo: Der ist nicht gemein, nur ein wenig ... neben der Spur.
Jii: Ein wenig ist gut. Weißt du, was er mit-
Alo: *hält Jii den Mund zu* Shhhhhhhhhhhh!

> „Ah~“, reagierte er erfreut, verlor jedoch nicht den kalten Ausdruck in seinem Gesicht. „Jetzt kommen wir der Sache schon näher.“
Und dann bringt er wieder so etwas Tolles und ich bin wieder voll fasziniert von Creepy-Luan! >_<

> ließ ihre Taschenuhr ein Stück aus seiner Hand gleiten, bis er die Kette zu fassen bekam und fing an sie an dieser durch die Luft zu wirbeln, in Kreisen, wie eine Windmühle
ASDFGHJKL! Er ist böse, aber er ist dabei so cool!
Jii: ... *hält seine eigene Taschenuhr fest* Allein der Gedanke ...

> So gut wie keiner von euch Traumbrechern weiß, dass ihr die ganze Zeit in euch selbst einen Alptraum herumschleppt.
PRECIOUS! TT_________________________________________________________TT
Ja, ich muss dabei immer an ihn denken, weil er mir so leid tut! TT_________TT
...
Jedenfalls finde ich das aber so dermaßen cool. Eine wirklich großartige Idee~.

> Glaubst du, durch Schweigen diese Tatsache aus der Welt schaffen zu können?
Alo: Na ja, es gibt Märchen, in denen das funktioniert.
Kieran: Leider ist The LsS kein Märchen.
Alo: ...
Kieran: Alo?
Alo: Wenn es ein Märchen wäre, wäre Luan dann eigentlich der Prinz, der von seiner Liebsten von einem Fluch erlöst werden muss? Und wer wäre diese Liebste?
Kieran: *facepalm*

> Vane hatte mir damals zugesichert, dass er dafür sorgt, Luan im Hauptquartier festzuhalten!
Jii: Er hat bestimmt sein Bestes getan, aber Luans Kopf ist härter als Granit.

> Mitten im Dreh ließ er die Kette los, so dass ihre Uhr nach oben flog und er sie in der Luft mit einer Hand wieder auffangen konnte.
ASDFGHJKL!!!!!!!!

> Ihr mögt euch viel Mühe gegeben haben, aber einen Verrat vergisst man niemals.
Alle Lazari: *sehen Kieran an*
Kieran: Mann, am Ende rette ich euch doch alle, also seht mich nicht so an. =_= Und es ist ja nicht so, als hätte ich euch nicht doch ab und an unter die Arme gegriffen, wenn es wirklich schlimm stand, oder?
Alle Lazari: *leise murmel*

> Der Kleine ist wirklich ziemlich enttäuscht und verletzt wegen dem, was du ihm damals angetan hast.
Alo: *Luan in den Arm nehm* Oh, mein kleiner Liebling. TT_________TT

Ich muss ja übrigens sagen, dass ich es sehr interessant finde, dass Luans letzte Sekunde eingefroren ist und er somit quasi mit seinem Albtraum weiterhin feststeckt.
Ich hab nie wirklich darüber gesprochen, WARUM Kieran später immer wieder sagt, dass er nicht mehr verzweifeln kann und er sich deswegen auch keine Sorgen mehr macht. Aber das hängt damit zusammen, dass er an einer bestimmten Stelle seiner aktiven Lazarus-Karriere tatsächlich verzweifelt IST und dann gegen seine Anima gekämpft hat und eigentlich hätte er diesen Kampf verlieren und sich in eine Dämonin verwandeln müssen. Er lag sogar schon am Boden.
...
Kieran: Haben wir jetzt genug gespoilert?
Alo: Sie weiß ja immer noch nicht, was dann geschehen ist. :,D
Kieran: Ich will auch gar nicht daran denken. >_<
Jii: Aber das war so interessant! Und es war eine vollkommene Spiegelung von dem, was deinem Vater geschehen ist, was es NOCH interessanter macht!
Kieran: ...
Jii: ... Na dann nicht.
Kieran: Hier geht es übrigens um The LsS und nicht um "Die Guten sterben jung".
Alo: Aber ich entdecke so gern Parallelen zwischen dir und Luan! ♥

> Ich weiß aus einer zuverlässigen Quelle, dass ihr, du und dieser lästige Vane, genau darüber Bescheid wisst, wieso Luans letzte Sekunde eingefroren ist und ich will es wissen, denn ich hänge da genauso drin.
Woher weiß er das nur? °_°
Und warum weiß ich es nicht? :,D
Kieran: Willst du dir nicht ein wenig Spannung bewahren?
Alo: Aber ich bin auch so neugierig~.

> aber ich bin ein Alptraum
Alo *als Creepy-Luan*: Und ich bin cool, so deal with it. (⌐■_■)

> Schreiend ballte er die Hände zu Fäusten und schlug mit beiden einmal kräftig gegen den Boden,
ALTER! *_______*
Ich kann es nicht erklären, aber ich finde diese Stelle so cool und faszinierend!

> Natürlich geht es um Luan, um wen sonst?
Mir geht es um euch beide! Q_______Q

> Es war unnatürlich, dass er anders empfand.
Alo: Awwwwwwwwwwwwwwwww~.
Kieran: Das Gefühl kenne ich. Ich schlage mich in BL dauernd damit herum, weil mir das Töten Freude macht. Das ist unnatürlich!
Jii: Hm-hm.

> So lief es falsch, er durfte sowas wie Hoffnung nicht kennen.
Owwww, Creepy-Darling. :<

Wie ist Mara da nur reingekommen? WIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEEEEEEEE?!

Gott, die Szene danach ist so großartig, das kann man gar nicht in Worte fassen. Ich bin hier am Sitzen und mir Tränen aus den Augen wischen, weil sie so toll ist.
So ein toller Einfall, so großartig geschrieben ... einfach nur der Wahnsinn.

Kieran: Luan ist ein Waisenkind ...
Alo: Das bist du in CV auch.
Kieran: ... Ich bin nicht wirklich eines, ich fühlte mich nie so. Aber Luan ...
Alo: Nicht weinen, Kieran. D:
Kieran: Ich weine nicht. *verstohlen die Augen abwisch*

Estera. ... I want to know moreeeeeeeeeeee~.

Ich war mal wieder sehr fasziniert und angetan von diesem Kapitel. ♥
Und ich freue mich auf das nächste, so wie auf viele andere Dinge, die am Mittwoch kommen werden. ♥
Aaaaaaaaaah~ ♥♥♥

Kieran: Ich geh dann mal.
Alo: Zu Faren? =D
Kieran: ... Das geht dich ncihts an. >_>
Alo: Ich versteh schon. ;D
Kieran: >_<
Antwort von: Platan
19.09.2014 23:42
Uuuuund DANKE auch hierfür. Du hast Creepy-Luans Ego damit sehr gepusht. XD
Antwort folgt bald in einer ENS~


Zurück