The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 4: Du kannst mir vertrauen ---------------------------------- Es gab insgesamt sechs bekannte, verschiedene Gattungen von Alpträumen und jeder von ihnen besaß einen eigenen Charakter. Diese sechs Typen wurden von Traumbrechern jeweils nochmal in vier weitere Kategorien – Schöpfer, Koloss, Schall und Atem – eingeteilt, durch die man die individuellen Fähigkeiten festlegte. Sogar bei den Träumen an sich gab es eine Aufteilung in mehrere Arten, in Zahlen ausgedrückt fünf. Die Art des Traumes war stets ein äußerst wichtiger Punkt beim Analysieren des Feindes. Je nachdem welcher Gattung ein Alptraum angehörte, konnte dieser nämlich auch nur eine ganz bestimmte Art von Traum befallen. Ein einfacher Nachtmahr – der zweitniedrigste Typ in der Rangfolge – verkörperte quasi einen gewöhnlichen und ungefährlichen Alptraum, wie ihn jeder Mensch auf der Welt in seinem Leben öfters durchmachte, aber danach ohne bleibende Schäden wieder aufwachte. So ein, vom Typ her schwacher, Alptraum könnte zum Beispiel niemals in einen Klartraum eindringen und Luan war davon überzeugt, dass genau diese Art Traum der Ursprung dieser bizarren Welt war, in der sie sich nun befanden. In einem Klartraum oder auch Luzider Traum war sich der Schlafende des Träumens bewusst und konnte nach eigenem Willen alles beeinflussen. Nicht viele Menschen waren dazu in der Lage bewusst zu träumen, doch es gab einige wenige Naturtalente, andere konnten es sich auch mit viel Geduld antrainieren. Traumbrecher hingegen waren alle dazu fähig, einen Klartraum zu erschaffen, dazu brauchten sie nur ihre Taschenuhr und ihre damit verbundene Traumzeit zu aktivieren. Klarträume konnten zwar eine aufregende Sache sein, aber auch sehr gefährlich werden, weil sie Reinmahre anlockten. Normalerweise konnten Alpträume nicht über einen Traum hinaus handeln, ausgenommen sie ließen ihre Opfer schlafwandeln und das funktionierte nur, solange sie die ausgewählte Person von der Seite des Schlafes aus steuerten. Dagegen konnte ein Reinmahr aber mit Hilfe eines Klartraums seine Existenz samt Handlungen in die Realität verlagern und sich dort immer mehr ausweiten, wo er dann erheblichen Schaden anrichtete. Sowohl an der Welt selbst als auch an der Menschheit. Dank der übernatürlichen Sichtebene eines Traumbrechers, die man sofort bei Berührung der Taschenuhr erlangte, war es für sie oft problemlos möglich Alpträume zu erkennen. Mit bloßem Auge ließen sie sich unmöglich ausmachen, da sie größtenteils aus stark konzentrierten, negativen Gefühlen bestanden und somit keinen materiellen Körper besaßen. Auch hier bildeten Reinmahre eine besondere Ausnahme, deshalb war Luan außer der Stille nichts Ungewöhnliches aufgefallen, als er die Straße und den Wald überflogen hatte. Weil ein Reinmahr sich durch einen Klartraum Zutritt in die Realität verschaffen konnte, war es schwer so einen rechtzeitig zu bemerken. Vorher tappten in der Regel die meisten in die Falle und verirrten sich direkt in seine verzerrte Welt, die er zuvor erschreckend gut an die Umgebung in der Wirklichkeit anpasste, so als wäre er gar nicht da. Selbst mit ihrer sensiblen Sicht konnten Traumbrecher sie nicht vorher ausmachen, aus einem Grund, wegen dem die Priorität zur Vernichtung von Reinmahren außerordentlich hoch war. Abgesehen davon, dass sie in die Realität eindrangen und dort Chaos anrichteten sowie ahnungslose Menschen in ihre Welt einsperrten, war ein Reinmahr als Alptraum bereits sehr weit entwickelt und konnte ohne das Zutun eines Traumbrechers materielle Form annehmen. Lange war es ihnen in der Regel nicht möglich, körperlich zu existieren, aber in den Phasen waren sie auf der Sichtebene, die sich nur auf immaterielle Störungen konzentrierte, natürlich nicht zu sehen. Luan ärgerte sich, dass er so leicht nachgegeben und Mara nicht doch beim Auto gelassen hatte. Ausgerechnet an einen Reinmahr mussten sie geraten, von allen die einzige Gattung, die neben Schlafenden auch den wachen Menschen gefährlich werden konnte. Viel Zeit sich zu ärgern hatte er jetzt aber nicht, wenn er sie beide schnellstmöglich hier rausholen wollte. Besonders wegen Mara sollte er dieses Problem versuchen schnell zu lösen. Das weiße Leuchtfeuer zersplitterte in tausend Teile und gab seine Pistole frei. Während diese schwebend in der Luft verweilte, ließ er die Taschenuhr aus seiner Handfläche rutschen, bis ihm die lange Kette zwischen die Finger glitt, an der sie befestigt war. Rasch warf er sie sich um den Hals und gleich danach schnappte er sich dann auch seine Waffe, deren Lauf er zuerst auf die Hände richtete, die sich an Maras Füße geklammert hatten. Zielsicher feuerte er zwei Schüsse ab, jeglicher Lärm blieb jedoch aus und wurde gänzlich von der Stille verschluckt. Sofort ließen die knöcherig dünnen Finger los und die Hände verkrampften sich unmenschlich, nachdem sie jeweils von einer Kugel aus der Pistole getroffen worden waren. Blitzschnell verschwanden sie in den Boden zurück, wo sie sich wieder zwischen den anderen eingliederten. Schwankend kippte Mara nach vorne, direkt gegen Luan, während der schon dabei war auch sich selbst von diesen speziellen Fesseln zu befreien, wofür er nochmal zwei Schüsse benötigte. Anschließend verstärkte er den Griff um Maras Handgelenk und zog sie mit sich, als er losrannte. Wenn sie nicht nochmal von einer der Hände gepackt werden wollten, aus denen scheinbar der komplette Untergrund hier bestand, mussten sie zunächst in Bewegung bleiben. Sie rannten von der Straße runter, direkt in den Wald hinein. Überall flogen auf magische Weise diese blutroten Tropfen aus den Baumkronen herum, die an ihnen abperlten, sobald sie damit in Berührung kamen, aber ohne irgendwelche farblichen oder nassen Spuren auf ihnen zu hinterlassen. Ein bisschen war es so, als würden sie durch lauter Perlenvorhänge laufen. Mara konnte bei seinem Tempo kaum mithalten, folglich geriet sie mehrmals ins Stolpern und kam nur vorwärts, weil er sie die ganze Zeit hinter sich her zerrte. Ein bestimmtes Ziel hatte Luan nicht, er versuchte unterwegs auf besondere Dekorationen oder einfach nur optische Unstimmigkeiten zu achten, die nicht in das Gesamtbild dieser Welt hineinpassten. Deshalb huschten seine Augen aufmerksam hin und her, unterdessen lief er immer weiter und weiter. Er musste erst den Kern, also das Herzstück, finden, durch das sich dieses Gemälde des Schöpfers zusammensetzte und es zerstören, bis dahin war jeder Kampf gegen einen Alptraum aus der künstlerischen Gattung mehr als sinnlos. Solange er nicht wusste, von wo aus genau sich der Schöpfer-Reinmahr ausgebreitet hatte, würde der alle Wunden an seiner Welt, egal wie groß oder klein, innerhalb weniger Sekunden heilen und sein Werk somit makellos wiederherstellen. Gerade deshalb hielt es den Feind nicht davon ab, einem Traumbrecher offen die Arbeit schwer zu machen. Vor allem wenn dieser auch noch einen Menschen bei sich hatte, der keinerlei Kenntnisse über Alpträume und ihre Schwächen besaß, wie es bei Luan der Fall war. Noch machte er sich keine großen Gedanken darum, dass Mara ihm ernsthafte Schwierigkeiten bereiten könnte, doch das sollte er schon bald feststellen. Vor ihnen schossen auf einmal mehrere Arme wie Pfeile aus dem Boden in die Höhe und verknoteten sich geschwind zu einer dicken, massiven Holzwand, durch die ihnen der Weg abgeschnitten wurde. Deswegen ließ Luan sich aber nicht dazu zwingen stehenzubleiben, sondern machte auf der Stelle kehrt und wollte zurückgehen, aber dort baute sich bereits eine weitere Wand aus Menschenhänden zusammen. Auch die anderen beiden Seiten waren längst versperrt, somit saßen sie fest. Kaum waren sie stehengeblieben, wurde Mara auch schon als erstes und einziges von den Händen unter ihnen gepackt. Erneut wollte sie panisch aufschreien, nur kam nach wie vor kein Ton aus ihrer Kehle, auch wenn sie danach nochmal den Mund aufriss, um ihre Angst irgendwie mitzuteilen. Verzweifelt versuchte sie sich loszureißen, aber es sorgte nur dafür, dass sie noch panischer wurde, als das nicht funktionierte. Luan hatte nicht mal Zeit auch nur ansatzweise eine Reaktion zu zeigen, denn es sausten weitere Hände nach oben, von denen ihm eine seine Waffe gezielt aus der Hand riss und der Rest ihn ebenfalls mit den Füßen an den Boden fesselte. Sie sind viel zu schnell, fasste Luan gedanklich zusammen. Und ihre Griffe sind plötzlich auch stärker geworden. Automatisch richtete sich sein Blick auf Mara, der die Angst buchstäblich ins Gesicht geschrieben stand und erst jetzt erkannte er das Problem. Bisher war es eben noch nie vorgekommen, dass er mit einem Menschen im Schlepptau in die Welt eines Schöpfer-Reinmahrs geraten war. Seine Nachlässigkeit könnte sie nun ernsthaft gefährden. Was er jetzt tun musste, passte ihm ganz und gar nicht, aber er hatte keine andere Option zur Auswahl, weil er momentan nicht sprechen konnte. Also zog er Maras Hand, die er noch immer festhielt, näher zu seiner Brust, wo die Taschenuhr am Ende der Kette um seinen Hals hing. Behutsam drückte er ihre Handfläche gegen das frei zugängliche Ziffernblatt, den Sprungdeckel hatte er bisher nämlich noch nicht wieder geschlossen. Mara, sprach er in Gedanken zu ihr. Hörst du mich? Nur schwer konnte sie ihre Aufmerksamkeit von den Händen lösen, von denen sie festgehalten wurde, aber seine Stimme ließ sie doch überrascht zu ihm aufschauen. Sie wollte ihm antworten, indem sie wie gewohnt ihre Lippen bewegte, nur kam, wie zuvor, kein Laut aus ihr heraus. Ihre Verwirrung würde größer und größer, reichte aber leider bei weitem nicht aus, um ihre Angst zu vertreiben. Nein, nicht sprechen. Teile deine Gedanken mit mir, dann kann ich dich auch hören, erklärte er. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz, als die Hände anfingen fester zuzupacken, was auch Luan bemerkte. Außerdem glaubte er wahrzunehmen, wie sich die Wände um sie herum schleichend in Bewegung setzten und näher kamen, was ihn hoffen ließ, dass es ihr nicht auch auffallen würde. Sonst könnte ihre Panik sicherlich zu groß werden und kein Gespräch mehr zulassen. Inzwischen war Mara bewusst geworden, wogegen er ihre Hand gerade drückte und das ließ sie nervös schlucken. Fast wäre Luan tatsächlich unruhig geworden, weil sie es nicht mal zu versuchen schien, mit Hilfe ihrer Gedanken zu ihm zu sprechen, doch dann hörte er, wie ihre Stimme direkt in seinem Kopf ertönte. Hallo, begann sie zaghaft. Klar und gleichmäßig drang das Wort zu ihm durch, verlor sich in einem Echo und erstickte wieder. Hallo? Ungefähr so? Ja, genau so. Sehr gut, lobte Luan sie. Ich weiß, du bist verwirrt, aber du musst mir jetzt ganz genau zuhören. Das ist wichtig, sonst wird es für uns beide hier kein gutes Ende nehmen. Hast du das verstanden? Mara war vollkommen überfordert. Ihre Emotionen drohten ihren Verstand zu überschwemmen und sie gänzlich einknicken zu lassen, sogar Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn gebildet. Wieder und wieder sackte ihr Blick nach unten zu den Händen hinab, also drückte Luan ihre Hand noch etwas mehr gegen seine Taschenuhr. Du musst dich beruhigen, redete er ihr gut zu. Deine Angst lässt ihn stärker werden, als er in Wahrheit ist. Plötzlich starrte sie ihn angespannt an. Ihn? Den Alptraum, antwortete er knapp und fuhr fort. Tut mir leid, erklären kann ich dir das erst später. Erinnerst du dich, was ich vorhin über die Dunkelheit zu dir gesagt habe? Schweigend nickte sie, etwas ruhiger als vorher. Das reichte aber weiterhin noch nicht aus, um sie von ihrer Angst zu befreien, also redete er weiter. Mit diesem Alptraum verhält es sich genauso. Je mehr Angst du hast, desto mehr Macht gibst du ihm. Verstehst du? Also beruhige dich, auch wenn es dir schwerfällt. Nichts von dem, was du hier siehst, kann dir etwas anhaben, solange du keine Gefühle wie Angst zulässt. Zu ihrem Glück schien Mara sich wirklich zu beruhigen und schenkte ihm Glauben. Was genau dafür gesorgt hatte, dass sie ihm vertraute, wusste er nicht, aber er war froh darüber. Lange hielt diese Freude nur leider nicht an, denn im nächsten Augenblick weiteten sich erschrocken ihre Augen. Diese Wände, schrie sie innerlich. Sie kommen näher! In der Tat waren die Wände bedrohlich nahe gekommen und bewegten sich unaufhaltsam auf sie zu. Demnach hatte er es doch nicht geschafft Mara ausreichend zu beruhigen, hier war wohl etwas mehr Mühe notwendig. Er schloss die Augen, wodurch sich wie von selbst sein Körper entspannte und mit Ruhe setzte er das Gespräch mit Mara in ihren Gedanken fort. Ignoriere die Wände für eine Sekunde und ich verrate dir etwas über meine Uhr. Wie geplant hatte er sofort ihre Aufmerksamkeit. Was? Wieso ausgerechnet jetzt?! Mein Herz ist mit ihr verbunden, begann er und beachtete ihre letzte Frage gar nicht. Wenn du dich konzentrierst, wirst du es durch sie schlagen hören können. Das soll wohl ein schlechter Scherz sein?! Kurz nach dieser Aussage herrschte für einen Moment lang Stille und als Luan seine Augen wieder öffnete, sah er, dass Mara ihre geschlossen hatte. Mittlerweile berührte die erste Wand ihn schon am Rücken, was in ihm jedoch keinerlei Unruhe verursachte. Der ruhige und gleichmäßige Herzschlag von ihm zeigte früh seine Wirkung, denn der Druck in den Griffen der Hände ließ endlich nach, was ein gutes Zeichen war. Schließlich öffnete auch Mara ihre Augen wieder, jede Form der Anspannung war aus ihrem Gesicht verschwunden. Es stimmt, ich konnte es wirklich hören. Ich sagte dir schon, dass ich keinen Grund habe zu lügen, ging er auf ihre Worte ein. Du kannst mir vertrauen. Also: Beruhige dich und hab keine Angst, dann wird dir nichts passieren. Nervös atmete sie tief ein und aus, nickte aber dann verstehend. Sie hielt den Blickkontakt zu Luan, vermutlich um besser ausblenden zu können, was ihr an diesem Ort unheimlich war. Ihre Körperhaltung wurde immer entspannter und ihr Geist zunehmend ruhig, bis die Wände in Stillstand gerieten. Daraufhin lösten die zahlreichen Händen ihre Formation auf und sanken wieder träge in den Boden hinab. Die Wände waren verschwunden. Damit sie sich nicht trotzdem ewig weiter anstarrten, wies Luan sie lieber darauf hin. Siehst du? Dir ist nichts passiert. Mühelos riss er sich von der Hand los, von der ihm vorhin seine Waffe weggeschlagen worden war. Schlaff und kraftlos fiel sie zu Boden, dort zog sie sich zu den anderen zurück. Zu sehen, wie wehrlos sie waren, ließ Mara erleichtert aufatmen. Noch einmal sollte Luan es aber nicht wagen, ihre Fesseln durch körperliche Einwirkungen seinerseits abzuschütteln. Sacht schob er ihre Hand von seiner Taschenuhr, doch er hielt sie weiterhin fest. Seine Pistole lag einige Meter weit entfernt und er brauchte sie zurück, sonst konnte er sie beide nicht von den restlichen Störenfrieden an ihren Füßen befreien. Mit seiner freien Hand schloss er kurz den Deckel seiner Uhr, woraufhin sich die Handfeuerwaffe in einem grellen Blitzlicht auflöste. Als er den Sprungdeckel wieder öffnete, erschien seine Waffe auf übliche Weise direkt vor ihm aus dem Inneren der Taschenuhr. Ein paar Schüsse später waren sie die Hände auch schon los und bevor er die Suche nach dem Kern dieser Welt fortsetzte, wandte er sich mit folgender Erklärung nochmal an Mara: Sie werden uns zwar nichts antun können, solange wir sie nicht mit Angst füttern, aber das wird sie nicht daran hindern nach uns zu greifen. Damit wollen sie uns aufhalten. Bleiben wir in Bewegung, dann können sie sich gar nicht erst festhalten und uns behindern. Schlag oder tritt sie auf keinen Fall, sollten sie nach dir schnappen, dadurch zeigst du Aggression und das ist eine negative Gefühlsstimmung, durch die sie genauso wie Angst Stärke erlangen. Irritiert blickte sie zu seiner Uhr und schien sich zu fragen, warum sie ihn noch in ihrem Kopf sprechen hören konnte. Allem Anschein nach hatte sie für sich die Vermutung aufgestellt, dass sie sich nur durch diesen Gegenstand miteinander unterhalten konnten, womit sie auch richtig lag. Vorerst reichte allein die Berührung ihrer Hände völlig aus, um die Verbindung aufrecht zu erhalten. Drück einfach zu, falls dich etwas festhält, fuhr er unbeirrt fort. Ich schieße dich dann sofort frei. Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. Und was genau soll besser daran sein, sie mit einer Waffe zu erschießen? Auch das erkläre ich dir später, okay? Okay, verstanden, bestätigte sie. Überraschenderweise verzichtete sie darauf ihm weitere Fragen zu stellen, was er nicht erwartet hätte. Eigentlich war es nur gut für ihn, dass er jetzt nicht erst noch zig Fragen beantworten musste, um alles zu erklären. Vielleicht wollte sie einfach so schnell wie möglich hier raus und verschob es lieber auf später ihn auszufragen. Wie auch immer, das konnte ihm nur recht sein. Nachdem nun die wichtigsten Kleinigkeiten geklärt waren, konnte er endlich mit ihr weitergehen und sich wie gehabt um den Alptraum kümmern. Hoffentlich ohne weitere Zwischenfälle wie diesen eben. *** Luan galt unter seinesgleichen als einer der schwächsten Traumbrecher überhaupt. Ohne Traumzeit war man in seinem Beruf größtenteils ziemlich aufgeschmissen und da er seine nicht mehr nutzen konnte, weil sie eingefroren war, hatte ihm das Anfangs eine Menge Probleme bereitet. Dieser Umstand hatte auch dafür gesorgt, dass er von allen am längsten den Beruf als Traumbrecher ausübte. Ansehen brachte ihm das aber nicht unbedingt ein, zumindest nicht bei jedem. Für seine Arbeitgeber war er jedoch gerade durch seine stattliche Arbeitserfahrung nützlich, denn niemand anderes hatte so viel Wissen über seine Feinde ansammeln können wie er. Irgendwie hatte er es deshalb bisher immer geschafft, jeden Alptraum zu vernichten, allein dank seiner Kenntnisse. Auch dieses Mal konnte er sich voll und ganz auf sie verlassen. Außer den Händen war nichts anderes dazu in der Lage sich zu bewegen oder in irgendeiner Weise zu handeln, was bedeutete, dass in ihnen die wichtigste, symbolische Bedeutung dieses Alptraums verborgen lag. Demnach schützten sie bestimmt auch das Herzstück, nach dem Luan suchte. Aufmerksam hatte er also eine Zeit lang den Boden abgesucht und eine Spur entdeckt, der er folgen konnte. Mitten durch diesen Wirrwarr von Händen zogen sich durchgehend vier Arme, die sich wie eine Spirale umeinander verflochten hatten und in eine Richtung führten, an deren Ende die Hände eine blumenförmige Schale bildeten, in denen ein Erdhaufen ruhte. Den hatte Luan vorsichtig durchsucht und ein altes, zerknülltes Bild gefunden, das von einem Kind gemalt worden sein musste. Was darauf zu sehen war konnte Luan durch den Dreck der Erde nicht mehr richtig erkennen, aber er erkundete auch nur ungern den genauen Sinn hinter dem, was Alpträume aus den inneren Tiefen ihrer Opfer widerspiegelten. Privatsphäre galt, seiner Meinung nach, besonders für das, was sich in den Träumen einer Person abspielte. Wichtiger war es den Reinmahr zu zwingen sein Gesicht zu zeigen und dann zu vernichten. Mara hatte er bereits sehr bestimmt darum gebeten sich gleich schnell eine gute Deckung zu suchen, sobald sich diese Welt auflösen und nicht nur die Realität freigeben würde, sondern auch den Reinmahr. Diese Bitte hatte sie wieder angenommen, ohne Fragen zu stellen, was für ihn den Weg frei machte den entscheidenden Schuss zu setzen. Er ließ das verschmutzte Blatt Papier aus seiner Hand zu Boden segeln und durchlöcherte es mit einem Schuss direkt in der Mitte, anschließend wurde der gesamte Wald aus dem Nichts heraus von einem blauweißem Feuer erfasst. Statt dass alles zu Asche verbrannte, bildeten sich tausende, feine Risse in den Oberflächen der Umgebung, sogar in der Luft. Plötzlich brach das Bild dieser Welt dann geräuschlos in sich zusammen. Massenhaft fielen glanzlose Splitter herab und zerfielen zu Sand, als sie den Boden berührten. Hinter dem zerbrochenen Spiegelbild der Welt des Schöpfers war die Wirklichkeit zum Vorschein gekommen, so wie sie sein sollte: Ein gewöhnlicher, dichter Wald, eingehüllt von der natürlichen Dunkelheit der Nacht. Einzig der schneeweiße Sand, der überall verstreut lag, wirkte fehl am Platze. „Jetzt“, wies Luan Mara an, sich zu verstecken. „Beeil dich.“ Zuerst war sie etwas verwundert, dass sie ihn normal sprechen hören könnte, ließ sich davon aber nicht lange aus dem Konzept bringen. „Ja, verstanden.“ Wie abgemacht lief Mara los, um sich einen Platz zu suchen, an dem sie sich verstecken konnte. Einmal stolperte sie dabei und fiel zu Boden, da sie nun in der nächtlichen Schwärze nicht mehr gut genug sehen konnte. Das stellte für Luan natürlich kein Problem dar, weil er seine Taschenuhr noch um den Hals trug und so dank der hellblauen Sichtebene jedes Detail genau erkennen konnte. So entging ihm auch nicht der winzige Samen, der an der Stelle zu seinen Füßen lag, an dem er zuvor den Kern, das Bild, zerstört hatte. „Was?!“, platzte es ratlos aus ihm heraus. „Was hat das zu bedeuten?“ Dort, wo der kleine Samen lag, hätte eigentlich der Körper der schlafenden Person liegen sollen, die den Klartraum hatte und von dem Reinmahr besessen worden war. Ungläubig hob Luan dieses rötliche Samenkorn auf, um es zu mustern. Auf den ersten Blick schien daran nichts außergewöhnlich oder gar gefährlich zu wirken, aber das konnte unmöglich sein. Wie sollte ohne Träumer ein Klartraum entstanden sein? Seit dieses Mädchen aufgetaucht ist, geht hier nichts mehr mit rechten Dingen zu. Während er dastand und den rätselhaften Samen begutachtete, hatte der Sand angefangen sich über ihm in der Luft zu einem Haufen zu sammeln, nahm mehr und mehr Form an. Als Luan den Blick von dem Gegenstand in seiner Hand löste, war auch das letzte Sandkorn zu dem Rest gestoßen und der Reinmahr hatte seine wahre Gestalt angenommen. Der Anblick ließ Luan erstarren. „Du bist gar kein Reinmahr?“ Die Frage danach, was es dann für ein Alptraum war blieb ihm im Hals stecken. Im nächsten Augenblick raste der falsche Reinmahr auch schon im Sturzflug auf ihn zu und Luan konnte sich nicht rühren. Ihm fehlten die Informationen, die er brauchte, um Kämpfe gegen solche Feinde auszutragen. Er hatte keine Ahnung womit er es zu tun hatte und wo die Schwachstellen lagen. Ohne Traumzeit konnte er sich auch nicht gescheit verteidigen oder in Ruhe herausfinden, womit er es zu tun hatte. Diese Machtlosigkeit lähmte seinen Körper. Dabei war er davon überzeugt gewesen, längst alles über jeden Alptraum in Erfahrung gebracht zu haben. Mit einer völlig neuen Gattung hatte er bei weitem nicht gerechnet. „Was machst du da?! Pass doch auf!“, rief ihm jemand zu. Die Stimme gehörte nicht zu Mara, aber er kannte sie. Vor ihm baute sich auf einmal ein riesiger, dunkelblauer Lichtschild auf, gegen den der Alptraum mit voller Wucht donnerte und zurückgeschleudert wurde. Jetzt bemerkte Luan auch die Person, die sich schützend vor ihn gestellt hatte. Sein Blick war so stark auf den Feind fixiert gewesen, dass er ihr Erscheinen verpasst haben musste. „Ferris“, kam es erleichtert von ihm. „Klar, wen hast du denn sonst erwartet?“, lachte sein Retter amüsiert und stemmte stolz die Hände in die Hüfte. „Bis jetzt war ich doch immer rechtzeitig da, wenn du in der Klemme gesteckt hast, oder nicht?“ Luans Stimme wurde ernst. „Das ist ein völlig neuer Typ, den ich noch nie gesehen habe.“ Verständnislos zuckte Ferris mit den Schultern. „Na und? Nur, weil du keine Traumzeit mehr zur Verfügung hast, funktionieren ja wohl noch deine Beine. Gib dir nächstes Mal wenigstens Mühe, dich erst mal selbst zu retten. Irgendwann schaffe sogar ich es vielleicht mal nicht rechtzeitig.“ „Reite jetzt bitte nicht wieder dauernd darauf herum“, murmelte Luan genervt. „Was denn? Du könntest dich ja einfach mal bedanken, dass ich dich gerettet habe.“ Am liebsten wäre Luan in ein Loch versunken. Er war sich so sicher gewesen, endlich alleine mit Alpträumen fertig zu werden. Immerhin hatte er schon viele selbstständig erledigt und lange keine Hilfe mehr von einem Partner gebraucht. Wer konnte ahnen, dass ihm nach all der Zeit eine neue Gattung über den Weg laufen und daran erinnern würde, wie hilflos er in Wahrheit war? „Überlegen wir lieber, was wir mit dem Feind machen.“ Der Alptraum, der durch das Schild von Ferris zurückgeworfen worden war, hatte es geschafft sich zu fangen und flog mit einem hohen Tempo zu ihnen zurück. Davon ließ Ferris sich aber kein bisschen beeindrucken. „Was gibt es da zu überlegen? Wir machen es so, wie wir es früher auch immer gemacht haben: Ich spiele mit ihm und du kannst ihn in Ruhe analysieren.“ „Aber übertreib es nicht.“ „Ich?“, sagte Ferris unschuldig. „Ich übertreibe doch niemals.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)