Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Kapitel 86: LXXXVI – Unerwartete Situationen -------------------------------------------- Samstag, 05.September 2015 Graue Wolken zogen über Kagaminomachi und brachten den ersten leichten, aber noch recht angenehmen Herbstwind in die Stadt. Leicht fröstelnd zog Mirâ ihre Strickjacke noch etwas zu und schaute dann noch einmal auf ihr Smartphone, um sicherzugehen, dass sie auch am richtigen Ort war. Sie befand sich inmitten eines Wohngebietes, welches Hauptsächlich aus Apartmenthäusern bestand. Vor einem dieser Häuser stand sie nun und überlegte, ob das wirklich der Ort war, den sie suchte. Laut ihrem Smartphone war sie richtig, trotzdem war sie sich nicht ganz sicher. Vor zwei Tagen war sie zwar schon einmal hier gewesen, doch da war es spät am Abend und sie hatte andere Probleme, als auf ihre Umgebung zu achten. Trotzdem trat sie nun langsam an die Haustür des Hauses heran, um sich die Klingelschilder anzusehen. Und tatsächlich, an einer der Klingeln stand der Name, den sie gesucht hatte. Kurz zögerte sie, doch betätigte dann den kleinen Knopf, der sich neben dem Namen „Yoshiko“ befand. Dann passierte erst einmal einen Moment nichts. Doch plötzlich ertönte ein Klicken in der Gegensprechanlage und eine weibliche Stimme erklang am anderen Ende: „Ja bitte?“ Mirâ war für einen Moment so perplex, dass sie beinahe vergas zu antworten, fing sich jedoch schnell wieder: „Äh… ja guten Tag. Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Ich würde gerne zu Megumi-chan und nach ihr sehen.“ Wieder war kurz Stille, bevor einen Moment darauf der Summer der Tür erklang: „Komm bitte rein.“ „Vielen Dank“, mit einem Ruck öffnete die Violetthaarige die Tür, welche sich mit einem Klicken entriegelte und trat in das Treppenhaus. Einige Minuten später, in denen sie die Wohnung noch suchen musste, stand sie gemeinsam mit einer zierlichen älteren Dame, die sich als Megumis Mutter herausstellte, vor deren Zimmertür. „Megumi, hier ist Besuch für dich“, klopfte die Frau an und öffnete dann die braune Tür, um einen Blick hineinzuwerfen und dann aber fast darin zu verschwinden, „Was machst du da? Du sollst dich doch ausruhen!“ „Aber mir kam gerade eine Idee für ein Bild. Das muss ich gleich zeichnen“, verteidigte sich die Jüngere, was der Frau ein Seufzen entlockte. Noch einmal erinnerte sie die Brünette daran, dass sie Besuch hatte und bat dann die Violetthaarige herein, bevor sie selber das Zimmer verließ und ankündigte den beiden noch Tee zu bringen. Mit einem leisen Klicken schloss sich hinter Mirâ die Tür, woraufhin sie etwas verloren zwischen verteilten Blättern stand und sich vorsichtig umsah. Eigentlich war es ein sehr hübsch eingerichtetes Zimmer, welches in zarten Rosa- und Weißtönen gehalten war. Zu ihrer Rechten war ein überaus niedlicher kleiner Schminktisch, dessen Spiegel schön verziert war. Daneben war ein niedriger Fernsehtisch, auf dem ein kleiner Flachbildfernseher stand. Darüber hing ein schmales Regal, in dem einige kleine Pokale und Auszeichnungen standen. Zu ihrer Rechten befanden sich ein großer Eckkleiderschrank, der von zwei Regalen voller Mangas eingerahmt war. Daneben schloss ein Bett an, dessen rosa Decke beiseitegeschoben war. Neben dem Kopfende beziehungsweise ihr gegenüber stand ein großer Schreibtisch. Auf diesem war ein großes Regal angebracht in dem auf der einen Seite Schreibutensilien und auf der anderen Seite unzählige Farbstifte lagen. Vor dem Schreibtisch saß ein kleines Mädchen, den Kopf tief zur Schreibtischplatte gesunken und schien an etwas zu arbeiten und die Ältere gar nicht zu bemerken. Um sie herum herrschte ein reines Chaos aus herumliegenden Blättern, die mit teilweise fertigen Bildern oder Skizzen bemalt waren. Aus einer Box, auf welche ein Smartphone gesteckt war, spielte leise Musik, die die junge Frau jedoch nicht zuordnen konnte, da es nichts was, was regelmäßig im Radio lief. Jedoch hatte sie das Gefühl die aktuell laufende Melodie schon einmal irgendwo gehört zu haben. Mirâ musste lächeln, als sie das gesamte Bild betrachtete. Irgendwie wollte sie die Kleine nicht aus ihrem Tun reißen, jedoch gab es einen Grund wieso sie hier war. Deshalb räusperte sie sich leise, woraufhin die Brünette plötzlich zusammenzuckte und sich langsam umdrehte. Erschrocken wäre sie beinahe von ihrem Stuhl gefallen, als sie bemerkte, wer dort stand. „S-senpai! W-was machst du denn hier?“, fragte Megumi total aufgeregt und stolperte regelrecht von ihrem Stuhl. Hektisch hob sie schnell einige der Papiere auf, die auf dem Boden verteilt lagen und legte sie auf den Schreibtisch, auf dem, wie die Ältere nun feststellte, ebenfalls ein heilloses Chaos herrschte. Lächelnd beobachtete sie die Jüngere, die versuchte so schnell wie möglich etwas Ordnung zu schaffen. „Du brauchst nicht extra für mich alles wegräumen, Megumi-chan“, sagte sie anschließend, „Aber es ist schön zu sehen, dass es dir anscheinend schon wieder besser geht.“ Überrascht stoppte die Jüngere in ihrem Tun und sah die junge Frau mit großen grünen Augen an, bevor sie die letzten Blätter auf ihre Arbeitsplatte legte und nickte. Sie ging zu ihrem Bett und schlug die Decke zurück, sodass Platz zum Sitzen da war und bot diesen der Violetthaarigen an. Dankend nahm Mirâ das Angebot an und setzte sich auf das ihr dargebotene Bett, während sich Megumi wieder auf ihren Stuhl setzte: „Wie kommst du sonst zurecht?“ „Ehrlich gesagt verstehe ich immer noch nicht, was da eigentlich passiert war“, sagte sie anschließend und schaute dabei auf ihre rechte Hand, „Aber plötzlich hat mich diese warme Macht umschlungen. Es war, als würde diese Macht etwas in mir Ausfüllen, was mir lange Zeit gefehlt hat.“ „Ja so ging es mir auch“, nickte Mirâ, „Und den anderen mit Sicherheit auch.“ „Persona…“, murmelte Megumi kurz geistesabwesend, bevor sie wieder aufschaute und ihr Gegenüber ansah, „Ich wollte mich noch bei euch bedanken. Auch dafür, dass ihr mich noch nach Hause begleitet habt. Meine Eltern waren wirklich froh, als ich wieder da war. Sie waren nur verdammt sauer…“ „Was hast du ihnen eigentlich erzählt?“, fragte die junge Frau. Die Brünette sah kurz auf ihre Zimmertür, um sicherzugehen, dass ihre Mutter nicht jeden Moment hineingestürmt kam und rückte dann etwas näher an Mirâ heran: „Naja… das was passiert ist. Jedenfalls soweit, dass ich von irgendwelchen Idioten im Kunstraum eingeschlossen wurde und nicht rauskam, weils keinem aufgefallen ist. Deshalb waren sie auch so sauer… Wie konnte das in so einer Schule nur passieren?“ Sie lächelte und erwiderte damit das vollkommen überraschte Gesicht der Älteren, die nicht so recht glauben konnte, dass Megumi es geschafft hatte ihren Eltern eine solche Lüge aufzutischen. Wobei es ja nur teilweise eine Lüge war. Aber wie sollte sie auch erklären, dass sie kein Lehrer finden konnte, weil sie in einer anderen Welt verschwunden war? Das würde ihr ja niemand abkaufen. Trotzdem war es schon überraschend, dass ihre Eltern das ganze nicht hinterfragten. Immerhin wurde mit Sicherheit auch in der Schule nach ihr gesucht, demnach auch im Kunstraum. Andererseits war sie auch froh darüber, denn so kamen keine lästigen Fragen hinterher. „Hatten deine Eltern die Polizei eingeschaltet?“, fiel der Violetthaarigen plötzlich ein. Fragend sah Megumi sie an und nickte dann: „Ja, aber nachdem ich wieder da war haben sie die Vermisstmeldung wieder zurückgenommen. Gestern kam ein Kommissar zu mir und wollte wissen, was passiert war. Ich habe ihm das Gleiche wie meinen Eltern erzählt, woraufhin er ging.“ Sie legte den Finger an ihr Kinn und schaute zur Decke, als überlegte sie etwas: „Er schien, als sei er über etwas enttäuscht… ich glaube er sagte zu seinem Kollegen auch, dass es anscheinend nichts mit irgendeinem Fall zu tun hatte.“ Überrascht sah Mirâ die Kleine an. Wenn es sich dabei um den Kommissar handelte, der sie mittlerweile auf dem Kieker hatte, dann könnte diese Wendung ihnen sogar geholfen haben. Wenn er Megumi nicht als Opfer der Serie sieht, dann würde er es auch nicht merkwürdig finden, wenn sie plötzlich zu ihrer Gruppe gehörte. Wobei die Jüngere ja von vornherein eine Ausnahme war, immerhin war sie mit ihr schon befreundet, bevor sie in die Spiegelwelt gekommen war. Vielleicht konnten sie so endlich aus dem Visier dieses Kommissars rutschen. Jedenfalls wäre das von Vorteil, denn irgendwann würde er ihnen auf die Schliche kommen. Wobei sie sich nicht vorstellen konnte, dass ihnen überhaupt irgendjemand glauben würde, dass es eine Welt hinter dem Spiegel gab. Das klang viel zu verrückt, als dass es wahr sein konnte. Trotzdem hatte sie bei diesem Suou ein ganz komisches Gefühl. Nicht nur, dass sie bei ihm ständig diesen blauen Schmetterling sah. Auch sonst umgab ihn eine merkwürdige Aura, die sie nicht zuordnen konnte. „Senpai?“, holte sie die Stimme der Jüngeren wieder aus ihren Gedanken, weshalb sie irritiert zu dieser Blickte, „Weshalb bist du eigentlich hier?“ Nun fiel auch der Oberschülerin wieder ein, wieso sie eigentlich hergekommen war. Mirâ überlegte kurz, wo sie anfangen sollte, doch erklärte der Jüngeren dann, den Grund für ihr Erscheinen. Sie wollte sie bitten ihnen zu helfen durch den zweiten Teil des Dungeons zu kommen, welcher sich zu einem Labyrinth geformt hatte und sie jedes Mal hinausschmiss, sobald sie einen falschen Weg einschlugen. Zwar wusste sie, dass es gefährlich war, doch glaubte sie, dass nur Megumi sie dort hindurchführen konnte und deshalb trat sie mit ihrer Bitte an sie heran. Dass sie dafür persönlich erschien hatte eigentlich einen ganz simplen Grund: Am Abend, als sie der Jüngeren schreiben wollte fiel ihr auf, dass sie deren Handynummer gar nicht hatte. Deshalb hatte sie in der Historie ihres Navis nach der Adresse der Jüngeren gesucht und sich zu ihr auf den Weg gemacht. Die Brünette hörte Mirâ ruhig zu und nickte dann verstehend, als diese geendet hatte. „So ist das“, fing sie an, während sich ein nachdenklicher Ausdruck auf ihr Gesicht legte, welcher der Älteren nicht verborgen blieb. „Ich kann verstehen, wenn du nicht möchtest, immerhin ist es gefährlich. Es wäre auch nur das eine Mal“, sagte diese anschließend mit zusammengelegten Händen, „Bitte!“ Irritiert schreckte Megumi auf und hob verteidigend die Hände: „Nein, das verstehst du falsch. Ich möchte euch wirklich gerne helfen. Allerdings brauche ich noch ein paar Tage, um wieder auf die Beine zu kommen.“ Fragend sah Mirâ sie an, woraufhin sie sich leicht an der Wange kratzte: „Also… ich habe schon etwas Angst, a-aber es ist so. Ich merke immer noch, wie mich das Ganze echt böse schlaucht. Es stimmt, dass ich schon wieder am Schreibtisch sitze, aber ich merke trotzdem wie schwer sich mein Körper anfühlt. Aber das heißt nicht, dass ich euch nicht helfen möchte. Sobald ich wieder auf den Beinen bin, komme ich mit euch. Und ich weiß schon Bescheid, dass wir nur eine bestimmte Zeitspanne haben. Oder? Keine Sorge, bis dahin bin ich wieder fit.“ „Ähm ja… bis zum Neumond. Das wäre der…“, die Violetthaarige kramte ihr Handy aus der Tasche und öffnete ihren Mondkalender, welchen sie extra installiert hatte, „13. September… dann öffnet sich der Bossraum.“ „Das ist in circa eineinhalb Wochen“, überlegte Megumi und nickte dann, „Keine Sorge. Bis dahin bin ich wieder fit. Die Schule geht ja auch bald wieder los, da muss ich eh wieder auf den Beinen sein.“ Die violetthaarige Oberschülerin nickte und lächelte, froh darüber, dass sie die Unterstützung der Kleinen hatten. Ein warmes Gefühl breitete sich in Mirâs Brust aus und sie spürte, wie das Telefon in ihrer Hand kurz vibrierte. Bevor sie jedoch nachschauen konnte, hörten beide Mädchen ein leises Klopfen an der Tür. Kurz darauf trat die Mutter der Brünetten wieder ins Zimmer. In ihrer Hand hielt sie ein Tablett mit drei Tassen. Irritiert über die Anzahl der Gefäße, wollte die Jüngere bereits fragen, wieso, doch da trat bereits eine weitere, etwas kräftigere Person mit schwarzen welligen Haaren hinter ihre Mutter, die sie mit einem freundlichen „Yo“ begrüßte und dann überrascht zu Mirâ sah. Es war bereits Mittag, als sie Megumi gemeinsam mit Matsurika wieder verließ und mit dieser durch die Straßen von Tsukimi-kû lief. Zu Dritt hatten sie einen schönen und lustigen Vormittag verbracht, wobei Mirâ erfahren hatte, dass die beiden jüngeren Schülerinnen zusammen an einem Projekt arbeiteten. Gemeinsam schrieben sie eine Geschichte, bei der sich Matsurika um das Storyboard und die allgemeine Story kümmerte, während sich Megumi mit dem Charakterdesign und den einzelnen Illustrationen beschäftigte. Etwas überfordert von den ganzen Fachbegriffen, die sie um sich warfen, hatte Mirâ den beiden zugehört und war ein wenig neidisch über so viel Talent. Alleine der Gedanke sich überhaupt an so etwas zu versuchen schreckte sie schon ab. Sie konnte weder zeichnen, noch hatte sie eine Ahnung, wo sie überhaupt mit einer Geschichte hätte anfangen sollen. Zumal sie gar nicht wüsste, worüber sie überhaupt schreiben sollte. Umso mehr bewunderte und beneidete sie zugleich Menschen, die so viel Fantasie hatten und sich dafür auch die Zeit nahmen. „Ich bin so früh, dass Megu wieder da ist. Und dass es ihr gut geht“, holte sie plötzlich Matsurikas Stimme aus den Gedanken. Leicht irritiert sah sie zu der Schwarzhaarigen und brauchte einen Moment, um zu registrieren was diese überhaupt gesagt hatte, bevor sie ein Lächeln aufsetzte und nickte. „Manchmal frage ich mich, was in den Menschen vorgeht, die sowas Gemeines machen…“, sagte die Schwarzhaarige mit gesenktem Blick und machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach, „Weißt du… Ich weiß, dass ich mich in den letzten Monaten nicht wirklich so verhalten habe, aber Megu ist meine wichtigste Freundin.“ Mit großen Augen sah Mirâ ihr Gegenüber an. Es kam doch etwas überraschend, dass diese plötzlich mit dem Thema anfing, weshalb die Violetthaarige gar nicht so recht wusste was sie überhaupt dazu sagen sollte. Allerdings war das ohnehin nicht nötig, da die Jüngere einen Moment später bereits weiterredete: „Du musst wissen, dass ich in der Mittelstufe keine Freunde hatte. Ich habe mich in meine eigene Welt verzogen und Geschichten geschrieben, was mich noch mehr zu einer Außenseiterin machte. Ich wurde ausgelacht, geärgert und als unsozial betitelt. Es war wirklich nicht angenehm und ich bin nicht gerne zur Schule gegangen. Dann habe ich aber durch Zufall Megu kennengelernt. Sie hatte das gleiche Hobby wie ich, dachte sich auch Geschichten aus und konnte so wunderschön zeichnen. Sie hat mich nicht als merkwürdig angesehen und wir haben uns auf Anhieb super verstanden. Wir konnten über unsere Storys reden und haben uns Tipps gegeben. Seither sind wir befreundet. Und als sie plötzlich verschwunden war, da habe ich das Schlimmste befürchtet. Ich dachte schon, ich würde Megumi für immer verlieren.“ Die Ältere hörte geduldig zu und kam nicht umher zu lächeln. Es stimmte zwar, dass sich Matsurika einige Zeit alles andere als freundschaftlich der Kleinen gegenüber verhalten hatte, doch konnte man nicht verkennen, wie wichtig diese ihr war. Es war auch nicht zu übersehen, als die Schwarzhaarige sie angerufen hatte, weil Megumi verschwunden war. Nur eine echte Freundin würde sich solche Sorgen machen und Hilfe holen. „Ihr habt wirklich eine tolle Freundschaft. Achtet darauf, dass sie niemals zerbricht“, lächelte die junge Frau, „Ich bin mir sicher, dass du Megumi genauso wichtig bist, wie sie dir. Jedenfalls war sie ziemlich sauer auf mich, als du eine ganze Weile nur bei uns abgehangen hast.“ Überrascht sah Matsurika sie mit ihren fast schwarzen Augen an und wandte dann den Blick ab, als sie bemerkte, wie sie rot anlief. Doch dann nickte sie und blieb plötzlich an einer Kreuzung stehen. Mirâ tat es ihr nach und sah sie kurz fragend an, während die Jünger mit dem Finger in eine Richtung zeigte und meinte, dass sie nun dort entlang müsse. Mit einem Lächeln nickte die ältere Schülerin und verabschiedete sich von der Schwarzhaarigen. Diese wandte sich jedoch nicht ab, sondern blieb noch einen Moment so stehen und verbeugte sich plötzlich vor der Älteren. „Vielen Dank, dass ihr Megumi gerettet habt, Senpai! Ich weiß nicht wie ihr das angestellt habt und ich werde auch nicht nachfragen, aber ich danke euch von ganzem Herzen!“, damit drehte sich die junge Frau um und lief mit schnellen Schritten davon. Irritiert sah Mirâ ihr nach, doch lächelte dann und wandte sich nun ebenfalls ihrem Heimweg zu, während sie das Vibrieren in ihrer Tasche für den Moment ignorierte. „Guten Abend“, grüßte Mirâ freundlich, als sie die Karaoke-Bar betrat. Im Laufe des Vormittags hatte ihr Shuichi eine Nachricht geschickt und sie gefragt, ob sie eine Schicht übernehmen könnte, weil eine Kollegin ausgefallen war. Weil für sie selbst an diesem Nachmittag eh nichts mehr anfiel, war es für sie kein Problem zuzusagen. Und nun stand sie im Empfangszimmer des Shadôs und blickte überrascht auf die beiden Männer, welche am Tresen standen. Der eine schlank und groß mit braunen, blond gesträhnten, nackenlangen Haaren und der andere etwas untersetzt mit einem kleinen Bauch, der das Jackett leicht spannen ließ. Beide sahen sie mit großen Augen an, während sie sich vorsichtig verbeugte. „Also Shuichi. Überleg es dir nochmal. Du musst ihn ja nicht zwingen, aber es wäre schon schön, wenn ihr mal vorbeikommen würdet. Deine Mutter würde sich auch freuen.“, wandte sich der Ältere wieder an den jungen Mann und klopfte nochmal kurz auf den Tresen, „Dann übertreib es heute Abend nicht zu sehr und pass mir gut auf die Mädels auf.“ „Keine Sorge, Tô-san. Ich pass schon auf. Und ich rede mit ihm. Mehr kann ich dir aktuell nicht versprechen“, sagte Shuichi, während sein Vater sich von ihm abwandte. Mit einer leichten Verbeugung ging er an der Oberschülerin vorbei und verließ daraufhin mit einem Winken das Lokal. Auch Mirâ hatte sich noch einmal verbeugt, als der alte Mann an ihr vorbeiging und sah ihm dann irritiert hinterher. Ein Seufzen ließ sie aufschrecken und wieder zurück zu Shuichi blicken, der seinen Kopf auf seiner Hand abstützte. „Was ist denn los? Ist etwas passiert?“, fragte die junge Frau, während sie auf den Tresen zuging und dem jungen Mann gegenüber stehenblieb. Der Student sah noch einmal zur nun geschlossenen Tür und seufzte erneut: „Ach nichts weltbewegendes… du hast sicher mitbekommen, dass das mein Vater war. Er und meine Mutter möchten meinen Freund kennenlernen und…“ „Du hast einen Freund?“, fiel die Violetthaarige dem Älteren ins Wort, woraufhin dieser sie etwas überrascht ansah, „Doch nicht etwa Kyo?“ Kurz war Stille, bevor der Braunhaarige plötzlich in schallendes Gelächter ausbrach. Vollkommen perplex sah die Oberschülerin ihren Kollegen an, der sich mittlerweile schon die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass Shuichi jemanden an seiner Seite hatte. Es war nicht so, dass sie es ihm nicht gönnte oder sie der Meinung war, dass er niemanden finden würde. Allerdings hätte sie es ihm einfach nicht zugetraut. Er stand fast jeden Abend hier in der Bar und flirtete gerne mal mit den männlichen Gästen, dass es ihr irgendwie nie in den Sinn kam. Shuichi hatte sich mittlerweile wieder beruhigt und brachte nur ab und an mal noch einen kleinen Lacher heraus, während er zu ihr sprach: „Nein, nicht Kyo. Sei froh, dass er das nicht gehört hat. Ich glaube er wäre explodiert. Aber ist es denn so abwegig, dass ein so gutaussehender junger Mann wie ich, einen Partner hat?“ „N-Nein, das wollte ich damit nicht sagen. E-Es kam mir nur nie in den Sinn“, peinlich berührt senkte die Violetthaarige den Kopf, auf welchem sie allerdings plötzlich eine Hand spürte. Shuichi hatte ihr diese auf den Kopf gelegt und lächelte sie freundlich an: „Schon okay. Ich hab ja auch nie was gesagt. Aber zurück zum Thema… meine Eltern wollen ihn gerne kennenlernen. Allerdings ist mein Freund ziemlich schüchtern und zurückhaltend. Bisher hat er sich noch nicht getraut, dass wir uns gegenseitig unseren Eltern vorstellen. Er hat damit schonmal schlechte Erfahrungen gemacht…“ „Oh“, bekam die junge Frau nur heraus. Der Student nickte: „Ja. Ich freue mich, dass meine Eltern da so offen an die Sache rangehen, aber ich verstehe auch meinen Freund. Nicht jeder ist so tolerant…“ „Was irgendwie Schwachsinn ist… also dass die Menschen so intolerant sind“, sagte Mirâ ernst, „Du solltest mit deinem Freund darüber sprechen und ihm versichern, dass er bei deinen Eltern nichts zu befürchten hat.“ Überrascht sah Shuichi sie an und lachte dann noch einmal vorsichtig, bevor er nickte und der jungen Frau zustimmte. Er würde nach der Schicht mit seinem Partner über die Sache sprechen und dann würde er ja sehen, was herauskam. Zwingen wollte er ihn nicht, aber freuen würde es ihn natürlich sehr. Mirâ schenkte dem Älteren ein Lächeln und wünschte viel Erfolg, bevor sie sich zu den Räumlichkeiten für die Angestellten wandte und sich umziehen ging. Dabei spürte sie eine angenehme Wärme in ihrem Inneren aufsteigen. Als sie ungefähr zehn Minuten später wieder herauskam, wurde sie gleich von ihrem Kollegen zu sich gerufen, da es Kundschaft gab. Sie sollte sich um die kleine Gruppe von vier Personen kümmern. Nickend griff Mirâ nach ihrem Tablet und ging dann ins Foyer hinüber, wo ihre Gäste auf sie warten sollten. Doch kaum war sie um die Ecke getreten, blieb sie wie angewurzelt stehen. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz sofort wieder kehrt gemacht und hätte Shuichi darum geben andere Gäste zu übernehmen. Doch in dem Moment wandte bereits einer der zwei jungen Männer der Gruppe, dessen violett-blaue Haare ihm locker auf die Schulter fielen, seinen Blick in ihre Richtung. Überrascht sah er sie an, bevor er breit anfing zu grinsen. „Na so was. Das ist ja eine Überraschung, dich hier zu treffen, Shingetsu“, sagte er plötzlich. Der blonde junge Mann neben ihm zuckte mit einem Mal erschrocken zusammen und drehte sich ebenfalls langsam in ihre Richtung, bevor er erschrocken zurückwich: „Mi-Mirâ…“ „Das ist ja ein Zufall“, kam eine junge Frau auf sie zu, deren dunkelbraune schulterlange Haare von einem weißen Haarband davon abgehalten wurden ihr ins Gesicht zu fallen. Sie grinste und kam neben Mirâ zum Stehen, bevor sie erschrocken zusammenzuckte, als sie einen Kniff an ihrer Hand spürte. Mit bösem Blick sah die Violetthaarige ihre beste Freundin an und nuschelte ihr im bedrohlichen Ton zu: „Von wegen Zufall... Du hast genau gewusst, dass ich heute eine Schicht schiebe. Was soll das?“ Ein ertapptes Lachen entkam der Brünetten, während sie den Blick von ihrer Freundin abwandte und meinte, dass sie nicht wisse, was sie meinte. Leicht genervt ließ Mirâ von der jungen Frau ab, die sich erst einmal die schmerzende Stelle rieb. „Was ist los, Hiro? Kennt ihr euch?“, lenkte eine Frage die Aufmerksamkeit der Oberschülerin auf eine junge Frau, die sie auf ihr Alter schätzte. Ihre hellbraunen leicht gewellten Haare hatte sie an der rechten Seite zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden und dabei einen Teil ihres Ponys mitgenommen. Die restlichen Haare fielen ihr locker auf die Schultern. Sie trug eine zartrosa Bluse, deren Ärmel sie bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. Darüber trug sie eine schwarze Korsage mit rotem Muster darauf, an welcher auf der rechten Seite ein schwarzes Tuch befestigt war, dass ihr bis knapp unter die Knie reichte. An ihrem linken Oberarm trug sie eine schwarze Armbinde, während um ihr rechtes Handgelenk ein rotes Band lag. Dazu trug sie graue Hotpants, weiße Overknees und schwarze Stiefletten. Um ihren Hals trug sie einmal ein schwarzes anliegendes Band, an dem eine zweite Halskette mit einem roten Herzanhänger befestigt war. Auf den ersten Blick hätte Mirâ behauptet, dass sie sich wohl sehr gut mit ihrer Freundin Kuraiko verstehen würde. Jedenfalls fand sie, dass sie einen recht ähnlichen Modestil hatten. Doch dann fiel ihr plötzlich auf, wie vertraut die junge Frau mit ihrem Kumpel redete und dass es sich bei ihr wieder um ein für sie unbekanntes Mädchen handelte. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals und sie schluckte schwer. Wieder stieg in ihr dieses unangenehme Gefühl auf, welches sie bereits mehrere Male zuvor hatte, sobald sie Hiroshi mit einem anderen Mädchen sah. Wieso geschah das nur mit ihr? Wieso störte es sie so sehr, wenn ihr Kumpel sich mit anderen Mädchen traf? Wenn er mit Akane abhing machte ihr das doch auch nichts aus. Lag es daran, dass sie Sandkastenfreunde waren? Doch wieso interessierte sie das überhaupt? „Mirâ-chan? Ist alles in Ordnung?“, holte sie die Stimme von ihrem älteren Kollegen aus ihren Gedanken. Sie schrak auf, wandte sich kurz um und beruhigte ihren Kollegen, dass alles in Ordnung sei, bevor sie ein gequältes Lächeln aufsetzte und sich wieder der Gruppe zuwandte. „Willkommen im Shado. Bitte folgt mir. Ich zeige euch euren Raum“, versuchte sie so ruhig wie nur irgend möglich herauszubringen und wandte sich dann den einzelnen Karaoke-Räumen zu. Sie warf noch einmal einen kurzen Blick auf ihr Tablet, um die Raumnummer zu prüfen, aber auch, um sich selber abzulenken. Wieso musste das heute nur passieren? Nicht dass es schlimm genug für sie war, dass sie ihre besten Freunde bewirten musste, nein, sie bekam auch noch mit, wie ihr Kumpel mit einem Mädchen herkam. Konnte es denn noch schlimmer kommen? Da hätte sie lieber eine Schicht mit Kyo gemacht. Seufzend öffnete sie die Tür und ließ ihre Freunde in das für sie reservierte Zimmer: „Möchtet ihr etwas trinken? Das erste Getränk geht aufs Haus. Alkoholische Getränke sind allerdings tabu.“ „Ich nehm‘ ne Cola“, sagte Shuya, während er sich eine der beiden bequemen Bänke setzte. „Ich würde eine Apfelschorle nehmen“, bestellte auch Akane und blickte entschuldigend zu ihrer besten Freundin, die nur hoffte, dass die Braunhaarige sich eine gute Ausrede dafür einfallen ließ. Hiroshi warf einen Blick in die Karte in seiner linken Hand: „Ich würde auch eine Cola nehmen.“ Von rechts griff eine Hand über ihn hinweg und nach der Karte: „Was soll das Shina? Sag doch was.“ Entschuldigend blickte die Brünette ihn mit ihren hellblauen Augen an und ließ sich dann samt Karte zurück auf die Bank sinken: „Du warst so vertieft…“ Ein Stich traf Mirâ mitten ins Herz, als sie bemerkte, wie vertraut die beiden Oberschüler miteinander umgingen. Am liebsten wäre sie sofort davongerannt. Wie sollte sie nur diesen Abend überstehen ohne durchzudrehen oder zu heulen? Das war doch unmöglich. „Ich nehme erstmal einen Gerstensaft“, sagte die junge Frau an Hiroshis Seite mit einem Lächeln, „Dein Name ist Mirâ. Oder? Hiro hat mir erzählt, dass ihr befreundet seid. Tut mir leid, dass wir hier einfach so aufgekreuzt sind. Das ist sicher etwas unangenehm. Ich heiße Shina Minatsuki. Auch wenn die Situation etwas… komisch ist. Es freut mich dich kennen zu lernen, Shingetsu-chan.“ Überrascht stoppte die Violetthaarige in ihrem Tun und sah die junge Frau an: „Mi-mich auch, Minatsuki-chan. Ähm… darf ich fragen, woher ihr euch kennt? I-ich meine, du scheinst nicht auf unsere Schule zu gehen und…“ Mit großen Augen sah Shina sie an und grinste dann leicht: „Ach so ja. Ich bin zu Besuch bei Hiro. Eigentlich lebe ich in Aehara.“ „Z-zu Besuch?“, fragte Mirâ leicht geschockt. Hiroshi seufzte und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Er hatte sich die Hand an die Stirn gelegt und kniff die junge Frau dann in den Unterarm, welche schmerzhaft zusammenzuckte: „Hör auf das so komisch zu erzählen, du dumme Ziege. Mirâ, versteh das nicht falsch. Shina ist meine Cousine. Mein Vater hat sie eingeladen uns zu besuchen. Deshalb ist sie hier.“ Mit großen roten Augen sah sie die junge Frau an, welche sie nur lieb und unschuldig anlächelte. Die Violetthaarige merkte, wie ihr Gesicht nach und nach die gleiche Farbe wie ihre Augen annahm, weshalb sie sich nur schnell umdrehte und sagte, dass sie nun die Getränke holen würde, bevor sie fluchtartig den Raum verließ. Mit einem Knall schlug sie die Tür hinter sich zu und drückte das Tablet an ihre Brust. Sie hielt den Blick gesenkt und bekam nicht einmal mit, wie Shuichi einen prüfenden Blick in den Gang warf, weil er die Tür gehört hatte. Als ihr plötzlich bewusstwurde, dass sie gar keinen Grund gehabt hatte, eifersüchtig zu sein, hätte sie sich am liebsten sofort das nächste Mäuseloch gesucht. Sie wäre am liebsten sofort wieder nachhause gegangen. So richtig Lust auf diese Schicht hatte sie nun wirklich nicht mehr. Konnte dieser Abend eigentlich noch schlimmer werden? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)