Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Kapitel 78: LXXVIII – Entspannter Abend --------------------------------------- Mittwoch, 02.September 2015 Seufzend erreichte Mirâ die letzte Stufe der Treppe, welche zum Tempel führte, und drehte sich noch einmal um, um einen letzten Blick auf diesen zu werfen. Ihr Plan ging ja wohl voll in die Hose. Zwar hatte sie von vornherein nicht damit gerechnet, dass Masaru sie begleiten würde, immerhin war er im Tempel immer beschäftigt, aber sie hatte auf etwas mehr Zeit mit ihrem Schwarm gehofft. Dass sie wieder einmal dabei gestört wurde ärgerte sie ein wenig. Trotzdem bildete sich auf ihren Lippen ein Lächeln, als sie an die Begegnung mit Chisato denken musste. Zwar hatte sie deren Verhalten am Ende doch ziemlich aus der Bahn geworfen, jedoch fand sie ihre Reaktion trotzdem irgendwie süß und auch etwas nachvollziehbar, immerhin wusste sie, wie sich die Grünhaarige fühlte. Trotzdem wusste sie, dass diese nun wohl ihre Konkurrentin sein würde, wenn es um die Gefühle von Masaru ging. Ein erneutes Kichern huschte über ihre Lippen ihr, als sie diese Situation an eine typisch kitschige Szene aus einem Shoujo-Manga erinnerte, in welcher sich zwei Mädchen um einen Kerl stritten. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich vom Tempel ab, um zu ihrem Fahrrad zu gehen, welches immer noch angeschlossen an der Laterne lehnte. Doch noch ehe sie dieses erreichte kramte sie ihr Smartphone aus der Tasche, um einen Blick darauf zu werfen. Die Persona App zeigte an, dass es etwas Neues gab und auch ihr Chatprogramm hatte einen kleinen Haken oben in der rechten Ecke, welcher ihr anzeigte, dass sie mehrere Nachrichten hatte. Neben ihrem Zweirad blieb die junge Frau stehen und öffnete als erstes die Persona App, worauf ihr gleich angezeigt wurde, dass sich etwas bei ihren Social Links getan hatte. Wie zu erwarten war Masarus Link um eine Stufe gestiegen. Doch als sie zurück zum Menü mit den Links ging fiel ihr auf, dass sich eine weitere Arcana aufgedeckt hatte, welche zusätzlich mit einem kleinen Ausrufezeichen versehen war. Sie tippte auf die Karte, die sich öffnete und ein Bild mit einer schwarzen Silhouette zeigte. Eine Augenbraue angehoben hielt Mirâ ihr Smartphone noch etwas näher ans Gesicht, und glaubte dann in der Silhouette die Umrisse einer Frau erkennen zu können, welche einen hohen Hut und ein Gewand mit weitem Kragen trug. Ganz so sicher war sie sich jedoch nicht. Am Hut der Figur war ein Mond zu sehen, der sich mit seiner gelben Farbe doch recht stark von dem Rest des Bildes abhob, das eher in dunkelrot und schwarz gehalten war. Sie senkte ihre Hand wieder und brachte sie einen normalen Abstand zwischen ihre Augen und dem Gerät, während sie die Seite nach unten scrollte, sodass sie den Namen der Karte erkannte: "Die Hohepriesterin". Sofort war ihr klar, mit wem sie diesen Link geschlossen hatte und richtete ihren Blick noch einmal hinauf zum Tempel, bevor sie seufzte und die Persona-App wieder schloss. Das konnte ja heiter werden, wenn Chisato sie als Rivalin sah. In ihren Gedanken versunken öffnete sie ihr Chatprogramm und dann die Nachricht ihrer Mutter, welche ganz oben stand. Wie immer hielt sich die Ältere kurz und bündig, sodass die Nachricht nur beinhaltete, dass sie an diesem Abend erst sehr spät nachhause kommen würde und Mirâ nicht auf sie warten müsste. Solche Nachrichten waren für die Oberschülerin keine Überraschung mehr. Es kam häufiger vor, dass ihre Mutter einen Termin außerhalb hatte und erst spät wiederkam, weil sich ihr Termin verspätete oder sie nicht zu Potte kamen. Manchmal übernachtete sie dann auch in einem Hotel in der Nähe, wenn es für den Heimweg bereits zu spät war. Am Anfang fand die Violetthaarige das wirklich nervig, doch mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt und genoss die Zeit alleine zu Hause sogar. Ihr kam eine Idee, als sie daran dachte, dass sie an diesem Abend ganz alleine war und nahm sich vor Akane und Kuraiko zu schreiben, sobald sie die anderen Nachrichten gelesen hatte. Also beendete sie den Chat von ihrer Mutter und öffnete den Gruppenchat, in welchem mehrere Nachrichten angekommen waren. Die Eröffnung machte Masaru mit seiner Bitte die Mission heute zu verschieben, da er seinen Eltern bei der Zeremonie helfen musste. Die Antworten hatten nur wenige Minuten daraufgefolgt. Akane »Ja klar, kein Problem. :-)« Hiroshi-kun »Ich habe auch nichts dagegen, bin eh noch platt von gestern...« Yasuo-senpai »Bin auch dafür...« Kuraiko »Ja meinetwegen. Kommt ja nicht oft vor, dass du was vergisst.« Es schien eindeutig, dass keiner so wirklich Lust hatte an diesem Abend die Spiegelwelt zu betreten, auch wenn sie wussten, dass die Rettung von Megumi oberste Priorität besaß. Andererseits wäre es auch nicht gut, wenn sie alle noch zu fertig waren und deshalb ihre Kräfte nicht vollends nutzen konnten. Deshalb war die kurze Pause vielleicht gar nicht so schlecht. Mirâ brachte dies jedoch in eine kleine Zwickmühle, denn sie hatten sich ja mit Mika verabredet und diese würde nun auf sie warten. Inständig hoffte die Oberschülerin, dass sie das kleine Mädchen an diesem Tag noch einmal an ihrem Spiegel antreffen würde, um sie über ihre Entscheidung zu informieren. Es wäre wirklich einfacher, wenn sie auch anderweitig mit der Kleinen in Kontakt treten könnte, allerdings hatte sie keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Noch einen Moment blieb sie an diesem Gedanken hängen, doch schüttelte dann den Kopf. Es brachte nichts sich jetzt den Kopf zu zerbrechen. Ihr würde schon irgendetwas einfallen und für den Moment konnte sie sowieso nichts anderes machen, als hoffen noch einmal mit Mika reden zu können. So schrieb sie noch schnell eine kurze Antwort in den Chat, selbst wenn Masaru ihre Antwort bereits kannte, sowie eine Nachricht an Akane und Kuraiko und steckte ihr Handy dann wieder in ihre Tasche, bevor sie ihr Fahrrad abschloss und sich dann weiter auf den Weg in die Innenstadt machte. Zwei Stunden später radelte die junge Frau, mit jeweils einer vollgepackten Tasche an jeder Seite ihres Lenkers, zurück nachhause. Sie grinste, während sie an den kleinen Gegenstand dachte, den sie während ihres Stadtbummels durch Zufall gefunden und nun in ihrer Handtasche hatte. Sie würde ihn bei ihrem nächsten Besuch in der anderen Welt Mika überreichen und hoffte, dass er ihr helfen würde mit dieser auch außerhalb ihrer vier Wände zu kommunizieren. Wenn sie ehrlich war glaubte sie nicht daran, dass ihr Plan aufgehen würde. Sie fand die Idee selber irgendwie zu verrückt. Trotzdem wollte sie es ausprobieren. "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt...", dachte sie sich und bog in eine ruhige Straße ein, in welcher sie kaum Häuser vorfand. Die wenigen Gebäude, die sie sah waren von Bäumen umgeben und so ziemlich gut versteckt. Aber was sie erkannte war, dass es sich dabei um alte traditionelle Häuser handelte, welche auf großen Grundstücken standen und große Höfe besaßen. Die Gegend wirkte sehr idyllisch und Mirâ genoss die Ruhe, welche sie begleitete. Plötzlich jedoch ließen sie Geräusche aufhorchen, die ihr bekannt vorkamen. Sofort stoppte sie ihr Rad und lauschte noch einmal in die Stille. Und tatsächlich hatte sie sich nicht getäuscht. Einen Moment später erklangen diese Geräusche nämlich erneut. Erst ein Schnappen, dann ein Zischen und zuletzt ein dumpfes Ploppen. Sie kannte diese Töne nur zu gut und lauschte in die Umgebung, bis sie die Richtung ausmachen konnte, aus welcher diese kamen. Den Blick genau dorthin gerichtet, stieg sie langsam von ihrem Gefährt und schob dieses auf einen kleinen Weg, der zwischen einigen Bäumen hindurchführte. Kurz darauf erreichte sie ein großes ummauertes Gebäude, dessen Eingangstor verschlossen war. Unbeirrt dessen folgte sie dem Weg um die Mauer herum und erkannte dann ein Gebäude, welches etwas abseitsstand. Überrascht weiteten sich ihre Augen, denn sie kannte die Form dieses Gebäudes nur zu gut. Und nicht nur dass, denn in ihr regte sich etwas Vertrautes. Als hätte sie genau dieses Gebäude schon einmal gesehen, allerdings war sie sich sicher, dass dies nicht der Fall sein konnte. Die junge Frau näherte sich dem länglichen Haus und stellte ihr Fahrrad an einen der Bäume, als sie nah genug dran war. Anstatt das Gebäude jedoch zu betreten ging sie auch um dieses herum und erkannte, was sie erwartet hatte: Ein längliches umzäuntes Feld, an dessen Ende eine Art überdachte Wand war. Eine einzelne schwarz-weiße Zielscheibe war an der, wie sie wusste, aus Erde bestehenden Wand befestigt und mehrere Pfeile steckten bereits darin. Sie drehte ihren Blick und wandte sich dem langen Gebäude zu, um das sie zuvor herumgegangen war. Dieses stellte sich als offene Halle heraus. In der Mitte dieser kniete eine ältere Frau in einem schwarzen Hakama und einem weißen Gi, dem kurzärmeligen Oberteil, welches man typischerweise zum traditionellen Hosenrock trug. Über ihrer Brust war ein schwarzer Muneate gespannt, ein Brustschutz, den häufig nur die Frauen in diesem Sport trugen. In ihrer Hand hielt sie einen großen Bogen und mehrere Pfeile. Anmutig erhob sich die Frau und drehte ihren Körper leicht nach links, bevor sie mehrmals kleine Schritte vor und zurück machte und dann stehen blieb. Dabei hatte sie immer den Blick auf die Scheibe am anderen Ende des Feldes gerichtet. Sie legte mit der Rechten einen Pfeil an und hob dann so den Bogen mit beiden Händen über ihren Kopf. Dann spannte sie den Bogen, während sie ihre Arme auf der richtigen Höhe positionierte. Am Zittern ihres rechten Armes erkannte man, wie viel Kraft es kostete den Bogen so zu halten. Doch plötzlich erstarb das Zittern und die Frau wirkte wie erstarrt. Dann erklang das Schnappen und kurz darauf auch das typische Ploppen. "Tsurune...", murmelte Mirâ geistesabwesend. Ihr Blick war dabei weiterhin auf die Frau gerichtet, die nun einen Schritt zurücktrat, sich wieder nach rechts drehte und hinkniete. Der Pfeil, welcher in der Mitte der Zielscheibe steckte, interessierte die Violetthaarige gar nicht. Sie war so gefangen von dem Bild, das sich ihr wenige Sekunden zuvor geboten hatte. Eine solche Anmut beim Kyudo hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Sie wusste wie schwierig es war eine schöne Form beim Kyudo zu haben und dabei auch noch das Ziel treffsicher zu erwischen. Eigentlich war es sogar fast unmöglich. Es gab nur wenige, die das beherrschten. Ein vertrautes Gefühl überkam sie und sie erinnerte sich wieder daran, wieso sie damals als Kind überhaupt mit dem Bogenschießen angefangen hatte. Ihr Vater hatte damals in einem Verein diesen Sport ausgeübt und sie hatte ihn mehrmals zu Turnieren begleitet. Dabei hatte sie bei einer Veranstaltung eine Kyudoka gesehen, welche genau solch eine Anmut ausstrahlte, wie die Frau in diesem Dojo. Nachdem sie das gesehen hatte, war sie Feuer und Flamme gewesen und ihr Entschluss diesen Sport ausüben zu wollen stand fest. Plötzlich schwankte Mirâ. Dem warmen vertrauten Gefühl, folgte ein stechender Schmerz in ihren Schläfen, welcher sie dazu zwang in die Knie zu gehen: "Urgh!" "Ist alles in Ordnung?", fragte eine weibliche Stimme und ließ die Violetthaarige aufschrecken. Vollkommen überrumpelt fiel sie vor Schreck auf ihren Hintern und starrte die ältere Dame an, die ihr gegenüber hinter dem niedrigen Zaun stand. Augenblicklich waren auch ihre Kopfschmerzen verschwunden, doch wirklich Zeit sich darüber zu wundern hatte die Oberschülerin nicht. "Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken", sprach die Dame erneut, "Es wirkte aber so, als würde es dir nicht gut gehen." "Ähm... N-nein, m-mir geht es gut. Ich hatte nur etwas Kopfschmerzen, aber die sind schon wieder vorbei", stotterte Mirâ zusammen, um irgendwie wieder ihre Sprache zu finden. Die Fremde lächelte freundlich: "Ich habe gesehen, wie du mich beobachtet hast. Interessierst du dich für Kyudo?" Die Oberschülerin erhob sich langsam wieder und klopfte sich den Staub von den Sachen, bevor sie antwortete: "Ja. Um ehrlich zu sein besuche ich in der Schule einen Kyudo-Klub." "Oh, dann besuchst du sicher die Jūgôya. Habe ich recht?", auf den verwunderten Blick der Jüngeren sprach die Frau weiter, "Das ist die einzige Schule hier in der Stadt, die diesen Sport anbietet. Mein Enkelsohn war während seiner Oberschulzeit auch in diesem Klub. Er hatte sich extra für die Jūgôya entschieden, weil sie den Sport anbietet. Mittlerweile ist er Student an der Universität. Ach was erzähle ich da... Das wird dich sicher nicht interessieren." Mirâ lächelte, da ihr die alte Dame sehr sympathisch war: "Nein schon gut. Ich wusste gar nicht, dass die Jūgôya die einzige Schule ist, die Kyudo anbietet. Wissen Sie, ich bin dieses Jahr erst hierhergezogen." "So? Dabei hätte ich schwören können...", begann die Ältere, doch schüttelte dann den Kopf, "Ach nein, vergiss es. Das kann nicht sein." Als die Oberschülerin jedoch den Kopf schieflegte, sprach die alte Dame weiter und erklärte, dass Mirâ sie an ein Mädchen von früher erinnerte. Genau wie bei ihr damals hatten Mirâs Augen gestrahlt, als sie zugesehen hatte. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass die junge Frau dem Mädchen sehr ähnelte, auch äußerlich. "Aber wahrscheinlich spielt mir meine Fantasie einen Streich. In meinem Alter verwechselt man schon mal einige Dinge.", lachte sie anschließend, "Darf ich dich denn fragen, wie du heißt?" "Ähm... J-ja sicher. Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Es freut mich.", stellte sich die Jugendliche mit einer leichten Verbeugung vor, woraufhin ihr Gegenüber noch einmal so wirkte, als wäre ihr etwas vertraut. Doch sie schüttelte dann wieder den Kopf und lächelte freundlich: "Mein Name ist Moe Kawasami. Es freut mich auch. Nun sag Shingetsu-chan, du meintest du würdest Kyudo machen. Hättest du denn Lust mir dein Können mal zu zeigen?" Völlig überrumpelt schrak die Schülerin auf und überlegte, wie sie freundlich ablehnen konnte, ohne dass sich die alte Frau vor den Kopf gestoßen fühlte. Eigentlich wollte sie niemandem zeigen wie sie Kyudo machte, außer ihren Mitschülern im Klub, vor allem aber keiner Meisterin. Mirâ war sich nämlich mehr als sicher, dass vor ihr eine Meisterin im Kyudo stand. Sie selbst führte diesen Sport schon seit einiger Zeit nicht mehr ohne Hintergedanken aus oder weil sie einfach Lust dazu hatte. Natürlich nutzte die das Training, um vor allem in der Spiegelwelt gewappnet zu sein. Aus diesem Grund war ihre Form einfach nur grottig. Das wusste sie, zumal ihr Trainer sie oft genug darauf hinwies, dass sie daran arbeiten musste. Kyudo musste man mit vollem Herzen ausführen und nicht so halbherzig wie sie. Kawasami-san würde sofort merken, dass sie nicht mit ganzer Seele dabei war und das wollte sie nicht. Aus einem ihr unerfindlichen Grund wollte sie die alte Dame nicht enttäuschen. Aber sie gegen den Kopf stoßen wollte sie auch nicht, also brauchte sie eine Ausrede, um so schnell wie möglich zu verschwinden. In ihrem Augenwinkel erkannte sie ihr Fahrrad, welches etwas entfernt an einem Baum lehnte. Dann lächelte sie und hob die Hände: "T-Tut mir leid, a-aber ich muss erstmal weiter. Ich habe noch Einkäufe..." Kawasami hob kurz überrascht eine Augenbraue an, doch grinste dann: "Ich verstehe. Dann ein anderes Mal. Du kannst gerne jederzeit vorbeikommen, wenn du magst. Unser Dojo steht jedem offen. Seit mein Mann und ich keinen Unterricht mehr geben, ist unser Haus sehr verwaist. Ich freue mich deshalb über Besuch." "Ähm gerne. D-dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.", höflich verbeugte sich die Oberschülerin und versuchte dann halbwegs normal, aber doch zügig zu ihrem Fahrrad zu gelangen. Erst als sie dieses erreicht und damit ein Stück von dem Grundstück weggeradelt war, atmete Sie erleichtert auf. Noch einmal warf sie einen kurzen Blick auf das Grundstück, auf welchem sie das alte Kyudo Dojo gefunden hatte. Innerlich entschuldigte sie sich für ihr unmögliches Verhalten und machte sich dann endlich auf den Heimweg. Doch ihre Gedanken hingen noch eine Weile an dem Ort, den sie so fluchtartig verlassen hatte. Auch am frühen Abend, als Mirâ durch die Wohnung lief und einige Vorbereitungen traf, hingen ihre Gedanken noch immer bei Kawasami. Sie wusste nicht warum, aber die alte Frau kam ihr bekannt vor. So vertraut. Doch eigentlich konnte das nicht sein und sie überlegte, ob sie sie nur mit jemandem verwechselte. Aber kannte sie eine alte Kyudomeisterin persönlich? Sie war sich nicht sicher, zumal einige ihrer Erinnerungen sowieso verschwommen waren, seit sie als Kind mal im Krankenhaus aufgewacht war. Was genau damals passierte und wie sie dorthin gekommen war, wusste sie auch nicht mehr. Und ihre Eltern konnten es ihr irgendwie auch nicht wirklich beantworten. Bisher hatten sie diese fehlenden Erinnerungen allerdings nicht gestört. Sie hatte sie einfach nicht gebraucht, doch nun hatte sie nach und nach das Gefühl, dass etwas Wichtiges in ihnen verborgen lag. Ob sie sich jemals wieder daran erinnerte? Gedankenversunken merkte die junge Frau nicht einmal, wie sie stumm vor dem Esstisch stand und diesen anstarrte, anstatt das Geschirr in ihrer Hand einzudecken. Erst ein schrilles Klingeln an der Tür ließ sie aufschrecken und dabei beinahe den Inhalt ihrer Hände fallen. Gerade noch so konnte sie ein großes Chaos verhindern und das Porzellan auf den Tisch stellen, bevor sie sich auf den Weg zur Haustür machte und diese öffnete. Unverzüglich blickte sie in zwei strahlend grüne Augen, welche von braunen langen Haaren eingerahmt waren. "Yo! Da bin ich", grüßte Akane fröhlich, während sie sich ähnlich wie ein Soldat die Hand an die Stirn hielt und das linke Auge zukniff, "Ich habe auch ein paar Knabbereien dabei." Grinsend hob sie die weiße Tüte an, durch dessen teilweise transparentes Material Mirâ mehrere Leckereien erkennen konnte. Lächelnd trat sie Violetthaarige zur Seite und ließ ihre beste Freundin eintreten. Nachdem ihre Mutter ihr geschrieben hatte, dass sie wahrscheinlich erst sehr spät am Abend nachhause kommen würde, hatte Mirâ ihre beiden Freundinnen Akane und Kuraiko angeschrieben, ob sie Lust hatten zu ihr zu kommen und gegebenfalls dort zu übernachten. Die Braunhaarige hatte sofort begeistert zugestimmt, während Kuraiko ablehnte, da sie am nächsten Morgen in der Bäckerei aushelfen wollte. Auch wenn die Violetthaarige die Absage schade fand, so freute sie sich umso mehr über die Zustimmung von Akane. Nachdem diese ihre Turnschuhe abgestellt und in die Hausschlappen geschlüpft war, die ihre Freundin ihr hingestellt hatte, betraten beide das Wohnzimmer. "Das war ne coole Idee, Mirâ. Aber ist das in Ordnung? Auch von deiner Mutter aus?", fragte Akane nochmal etwas verunsichert nach. "Ja, solange wir kein allzu großes Chaos verursachen, sollte das kein Problem sein", antwortete Mirâ lächelnd. Die Brünette grinste: "Dann ist ja gut. Schön, dass wir unseren Abend mal mit anderen Dingen verbringen, als mit der Shadowjagd." Die Violetthaarige nickte und wollte zustimmen, als ihr plötzlich etwas Wichtiges einfiel. Wie von der Tarantel gestochen stürmte sie plötzlich die Treppen hinauf und ließ ihre beste Freundin irritiert zurück. Sie stürmte in ihr Zimmer, schloss nicht einmal die Tür, sondern stellte sich gleich vor ihren Spiegel und rief nach Mika, in der Hoffnung, dass sie noch da war. Sie hatte vollkommen vergessen der Kleinen mitzuteilen, dass sie diese Nacht nicht zu ihr hinüberkommen würden und nun hatte sie Angst, dass Mika auf sie warten würde. Ihre Vermutung, dass die Blauhaarige bereits losgegangen war erhärtete sich, als aus dem Spiegel keine Reaktion kam. Irritiert stand Akane in der Tür zum Zimmer der jungen Frau und beobachtete diese, wie sie verzweifelt versuchte Mika zu erreichen, jedoch nichts geschah. Frustriert ließ die Oberschülerin den Kopf hängen und ärgerte sich über ihr eigenes Unvermögen. Sie hätte der Kleinen direkt mach ihrer Rückkehr Bescheid sagen sollen, doch nun schien es zu spät. Plötzlich jedoch ertönte eine müde Stimme und ließ die Violetthaarige erschrocken zurückweichen. Einen Moment später erkannte sie das blauhaarige Mädchen in ihrem Spiegel, welches ziemlich fertig aussah. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab und sie rieb sich wie ein kleines Kind die Augen. "Was soll denn der Lärm? Hab ich verschlafen?", fragte sie vollkommen müde und gähnte zur Untermauerung noch einmal genüsslich. Noch einige Sekunden verweilte Mirâ in ihrer aktuellen Position und starrte Mika an, die sich nun durch die Haare fuhr und dabei zu bemerken schien, dass sie ein Eigenleben führten. Leicht genervt versuchte sie die widerspenstige Strähne auf ihren Platz zu drücken, doch ohne Erfolg, woraufhin sie entnervt seufzte und dann wieder zu der Älteren sah. Erleichtert atmete diese auf. Die Blauhaarige war also doch noch da und hatte nur geschlafen. "Ein Glück", dachte sie sich und wandte sich dann mit einem sanften Lächeln an die Jüngere: "Entschuldige, wenn ich dich geweckt habe. Es geht um heute Abend. Wir müssen leider die Mission auf morgen verschieben. Masaru-senpai ist etwas dazwischengekommen." Es schien eine Weile du dauern, bis diese Information bei der Kleinen angekommen waren und sie darauf müde antwortete: "Oh. Ja ist okay. Danke, dass du mir Bescheid sagst." "Ich habe mir Gedanken gemacht, weil ich Angst hatte, dass ich dich schon verpasst habe. Zum Glück warst du noch da. Das wir nur hier kommunizieren können ist wirklich dumm. Ich hab aber schon eine Idee, wie es anders gehen könnte.", grinste sie Violetthaarige, woraufhin Mika sie irritiert ansah, "Ich erkläre es dir morgen. Okay?" Die Jüngere nickte und bemerkte nun auch Akane, die ebenfalls vor den Spiegel trat und sie mit großen Augen ansah: "Ihr redet also immer so miteinander? Ist ja spooky. Ich bin fast an einem Herzkasper gestorben, als Mika das eine Mal bei mir aufgetaucht war." "Tut mir leid.", kam die Entschuldigung prompt, welche Akane jedoch nur mit einem Lachen quittierte, "Seid mir nicht böse. Aber wenn wir heute Abend nicht in den Dungeon gehen, würde ich mich noch etwas hinlegen. Ich bin wirklich fertig." Besorgt sah Mirâ zu dem kleinen Mädchen: "Ja sicher. Mach das. Dann schlaf gut, Mika." "Ja, ihr nachher auch. Gute Nacht.", ein Gähnen war noch zu vernehmen, bevor sich der Spiegel wieder wandelte und die beiden Schülerinnen nur ihr eigenes Spiegelbild sahen. "Sie schien wirklich K.O. zu sein.", murmelte Akane. "Ja, Ich hoffe es ist alles in Ordnung.", meinte Mirâ besorgt, doch spürte plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Als sie aufschaute sah sie in die grünen Augen ihrer besten Freundin, welche breit grinste und meinte, dass mit Sicherheit alles gut war. Immerhin hatte sie mehrere anstrengende Tage hinter sich. Dass einen das schlauchte war doch vollkommen normal. Die Violetthaarige seufzte und lächelte immer noch leicht besorgt, nickte aber, weil sie vorerst zu dem gleichen Schluss wie ihre beste Freundin gekommen war. "Yosh! Dann wollen wir mal so richtig auf die Pauke hauen.", sagte Akane plötzlich grinsend und verließ dann Mirâs Zimmer, um ins Wohnzimmer zu gehen, wo das ganze Knabberzeug lag. Lächeln und mit einem kleinen Seufzer sah Mirâ ihr nach und folgte ihr, jedoch nicht ohne noch einmal einen kurzen Blick auf den Spiegel zu werfen, der jedoch immer noch ihr Zimmer reflektierte. Später am Abend hatten es sich die beiden Mädchen auf dem Fußboden im Wohnzimmer bequem gemacht. Das Knabberzeug zwischen sich gelegt, hatten sie einen Film geschaut und sich darüber ausgetauscht, was sie die letzten Tage so erlebt hatten, wenn sie nicht in der Spiegelwelt waren. Diese Situation war für Mirâ erfrischend, da bei ihr noch nie Freunde übernachtet hatten. Die letzten Jahre bevor sie nach Kagaminomachi kam hatte sie ja sowieso vehement jeglichen Kontakt zu ihren Klassenkameraden gemieden und bei den Jahren davor konnte sie sich nicht erinnern, dass sie jemals eine Freundin über Nacht bei sich hatte. Aber es gefiel ihr. In aller Ruhe und nur unter sich mit der besten Freundin zu reden machte Spaß und sie nahm sich vor, dass dies nicht das letzte Mal sein würde. Das synchrone vibrieren beider Smartphones, welche auf dem Boden lagen, ließ sie jedoch aus ihrem ausgelassenen Gespräch schrecken und die kleinen Geräte aufnehmen. Mit flinken Bewegungen waren beide Displays entsperrt und kurz darauf auch der Gruppenchat geöffnet, von welchem das Stören ausging. Es war bisher nur eine einzige neue Nachricht eingegangen, doch diese ließ Akane aufstöhnen, während Mirâ eher irritiert wirkte. Yasuo-senpai »Mir fällt gerade ein... Sagt euch der Name Ryu Arabai etwas? Der Junge, den ich heimgebracht habe, sagte dieser Ryu hätte die Mutprobe gemacht, als der schwarze Schatten erschien...« Hiroshi-kun »Ist das nicht der Knirps aus dem ersten Jahr? Lernt der eigentlich nichts dazu? 눈_눈« Yasuo-senpai »Ihr kennt ihn also?« Kuraiko »Wieso fällt dir das ausgerechnet JETZT ein? Warum hast du das nicht schon gestern gesagt?« Yasuo-senpai »Vergessen...« Ein Seufzen ließ Mirâ aufschauen und zu Akane blicken. Diese schaute mit einem kleinen Lächeln auf ihr Smartphone und man merkte ihr an, wie sie dachte, dass diese Situation typisch für Yasuo war. Ihre Gedanken waren ihr schon fast in Großbuchstaben auf die Stirn geschrieben. Auch die Violetthaarige musste lächeln und wandte sich wieder ihrem eigenen Telefon zu, in welches sie eine Nachricht eintippte und damit dazwischen ging, bevor Kuraiko noch wirklich auf die Art des Älteren durchdrehte. Sie schrieb, dass sie sich am nächsten Tag darüber unterhalten würden. Dann konnten sie auch abklären, wie sie weiter vorgingen. Auch wenn sie sich selber Sorgen machte, so konnten sie in diesem Moment ja doch nichts ändern. Die junge Frau schaltete das Display wieder aus und legte das Telefon beiseite, bevor sie Akane mit einem allessagenden Blick ansah. Diese bekam es jedoch nicht einmal mit, da sie noch immer auf ihr Smartphone starrte. "Hast du vor es ihm zu sagen?", fragte Mirâ so unvermittelt, dass ihr Gegenüber erschrocken das Gerät aus ihren Händen fallen ließ. "Ähm... Was?", kam nur eine irritierte Gegenfrage. Die Violetthaarige lächelte, zog ihre Knie an sich ran und legte ihren Kopf darauf, ohne den Blick von ihrer besten Freundin zu nehmen: "Ob du vorhast, Yasuo-senpai deine Gefühle zu gestehen?" Die Gesichtsfarbe der Braunhaarigen wechselte von einem zum nächsten Moment in ein tiefes Rot und sie versuchte sich sofort herauszureden, dass Mirâ das vollkommen falsch verstand. Doch für diese verriet sich die Brünette durch ihre Reaktion nur noch mehr, weshalb sie grinste: "Schon okay. Ist doch in Ordnung." "M-meinst du?", Akane senkte den Blick, "Aber das geht doch nicht. Wir sind ein Team." "Was hat das damit zu tun?", kam eine irritierte Frage, "Wer sagt, dass das nicht geht?" Ihre Freundin senkte den Blick und erklärte, dass Pärchenbildung in ihrer Gruppe mit Sicherheit zu Komplikationen führen würde. Und das wollte sie nicht. Dabei war sie sich innerlich natürlich bewusst, dass sie sich damit selber widersprach, immerhin drängte sie auch Hiroshi jedes Mal dazu, Mirâ seine Gefühle zu gestehen. Natürlich sprach sie das der Violetthaarigen gegenüber nicht an, immerhin würde das erstrecht zu Komplikationen führen. Ein Seufzen holte sie aus ihren Gedanken und ließ sie zu ihrer Freundin schauen. Diese hatte sich wieder bequem hingesetzt und lächelte Akane nun lieb an: "Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen. Ich unterstütze dich gern. Also wenn du Senpai deine Gefühle gestehen willst, dann werde ich dir den Rücken stärken." Überrascht und immer noch mit rotem Gesicht sah die junge Frau ihr Gegenüber an und lächelte dann leicht: "Danke Mirâ..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)