Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Kapitel 11: XI - Der Nebenjob [edited] -------------------------------------- Dienstag, 19.Mai 2015 Die Schulglocke beendete den Unterricht an diesem Tag und alle Schüler verließen so schnell wie möglich die Räume. Erleichtert stand Mirâ auf und streckte sich erst einmal richtig. Der Geschichtsunterricht war wieder einmal sehr einschläfernd gewesen. Es erstaunte sie immer wieder selbst, wie sie es schaffte überhaupt wach zu bleiben - Abgesehen von dem einen Mal am Anfang des Schuljahres, wo sie aber die Nacht vorher nicht geschlafen hatte. Ein Blick zu ihrer linken verriet ihr, dass Hiroshi nicht solch ein Durchhaltevermögen besaß. Dieser schnarchte immer noch besonnen vor sich hin und murmelte irgendetwas von wegen „nicht essen“ oder so. Die junge Frau konnte sich daraufhin ein kurzes Kichern nicht verkneifen, doch schrak auf, als ein Heft auf Hiroshis Kopf klatschte. Erschrocken sprang dieser auf, blieb dabei an seinem Stuhl hängen und fiel Rücklinks nach hinten. „Guten Morgen Schlafmütze.“, grinste ihn Akane an. Leicht verschlafen stand Hiroshi wieder auf und stellte seinen Stuhl an seinen Tisch, während er genüsslich gähnte: „Ist schon Schluss?“ „Schon eine ganze Weile, ja.“, meinte Mirâ lachend. Noch einmal gähnte ihr Kumpel verschlafen: „Danke fürs Wecken. Das nächste Mal aber bitte etwas sanfter.“ Erstaunt sah Akane ihn an. Sie hatte mit einer Standpauke gerechnet, aber nicht mit einem Dank. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte sie schließlich. Erstaunt sah Hiroshi sie an: „Ja sicher. Ich bin nur total fertig von gestern. Ihr nicht?“ Mirâ fühlte sich schon noch etwas schlapp, allerdings nicht so extrem, dass sie jeden Moment einschlafen konnte. Deshalb schüttelte sie auf Hiroshis Frage hin auch nur den Kopf, ebenso wie Akane. Diese allerdings war immer recht schnell wieder auf dem Damm. Als Mirâ das letzte Mal zur Regenerierung eine Woche gebraucht hatte, ging es ihrer Freundin bereits nach zwei Tagen wieder besser. Wahrscheinlich war sie es aber auch gewohnt sich viel zu bewegen. Zu mindestens war Mirâ aufgefallen, das Akane selten wirklich still sitzen konnte und sich immer irgendwie bewegte. Ein wenig beneidete sie die Braunhaarige auch dafür. Hiroshis Murren ließ sie wieder aufblicken: „Oh man. Was habt ihr genommen, das ihr so fit seid? Ich glaub ich geh nach Hause und schlafe. Bis morgen.“ Somit schnappte er sich seine Tasche und verschwand aus dem Klassenraum, während die beiden Mädchen ihm nachsahen. Er sah aber wirklich müde aus. Hauptsache er schlief nicht in der U-Bahn oder beim Gehen ein. Sie hörte Akane plötzlich neben sich kichern und sah sie fragend an. „Ich musste gerade daran denken, was wohl passieren würde, wenn er plötzlich in der Bahn einschlafen würde.“, aus dem Kichern wurde ein Lachen. Auch Mirâ stimmte unwillkürlich mit ein. Das war nicht der Tatsache geschuldet, dass sie sich dies bildlich vorstellte, sondern daran, dass sie etwas Ähnliches gedacht hatte wie Akane. Es war ein schönes Gefühl, welches Mirâ vorher noch nie hatte. Da sie früher kaum Freunde hatte, hatte sie demnach auch nie den selben Gedanken wie einer ihrer Freundinnen. Ein weiteres Gefühl breitete sich in Ihr aus. Ein warmes wohliges Gefühl, doch Mirâ dachte vorerst es käme von ihrem Lachen. Nachdem sich beide Mädchen wieder beruhigt hatten, wollten sie sich auf den Weg nach Hause machen, als ein weiteres Mädchen mit kurzem braunem Haar den Raum betrat. „Chiyo-Senpai. Könntest du uns kurz im Club aushelfen?“, fragte sie verlegen. Erstaunt sah Akane sie an: „Wir haben doch vor den Prüfungen kein Training.“ „Ja ich weiß, aber wir wollten alles für das Training nach den Prüfungen herrichten. Aber es gab ein paar Probleme.“, meinte das Mädchen leicht beschämt. Anscheinend war sie an der Ursache des Problems nicht ganz unschuldig. Mirâ hörte Akane leicht genervt seufzten und sah zu ihr hinüber: „Also gut, ich komme. Mirâ du kannst schon mal vor gehen. Wer weiß wie lange das hier wieder dauert. Ich schreib dir dann. Bis später.“ Damit war sie zusammen mit der jüngeren Schülerin aus dem Raum verschwunden. Mirâ blieb alleine zurück und seufzte kurz, ehe sie sich auf den Heimweg begab. Sie fragte sich, was die Erstklässler angerichtet hatten, wenn sie Akanes Hilfe brauchten. Ob sie Akane später fragen sollte? Sie überlegte noch ein bisschen hin und her, als sie das Schulgelände verließ, ehe sie ihr Smartphone aus der Tasche kramte und ihrer Freundin eine Nachricht schrieb, was denn passiert sei. Als sie die Nachrichten-App schloss, fiel ihr das Ausrufezeichen auf der Persona-App auf. Also öffnete sie das Programm und wurde darauf hingewiesen, dass sich etwas in ihren Social Links getan hatte. Bei genaueren Betrachten sah Mirâ auch genau wo. Über der Arcana von Akane war ebenfalls das kleine Ausrufezeichen zu sehen. Mit einem Tippen auf die Karte öffnete sich die Seite, doch auf den ersten Blick konnte Mirâ keine Veränderung wahrnehmen. Doch plötzlich fiel ihr auf, dass sich der Balken leicht gefüllt hatte. Vor einer Woche war ihr das selbe Phänomen bei der Arcana von Dai aufgefallen. Doch was hatte dieser Balken eigentlich zu bedeuten? Sie hatte sich schon überlegt Igor und Margaret zu fragen, doch die beiden würden ihr nie im Leben eine konkrete Antwort geben. Das ärgerte Mirâ sehr. Außerdem wusste sie immer noch nicht, wie sie selbstständig in den Velvet Room gelangte, wo Igor ihr doch den Schlüssel dazu gegeben hatte. Sie seufzte, schloss die App und schaltete ihr Display aus, damit sie wieder richtig auf den Weg achten konnte. Als sie nun wieder auf den Weg sah, war es allerdings bereits zu spät. Plötzlich stieß sie gegen einen muskulösen Oberkörper und fiel Rücklinks auf ihren Hintern. „Hey, kannst du nicht aufpassen?“, fragte sie eine düstere Stimme. Mirâ blickte auf und erschrak. Vor ihr standen drei sehr kräftige Kerle in schwarzen Mänteln und mit dunklen Sonnenbrillen. Trotz der dunklen Gläser konnte Mirâ genau sehen, dass die Drei sie böse anschauten. Viel zu ängstlich um überhaupt zu antworten saß sie einfach da auf dem Boden und konnte sich nicht rühren. Diese Typen machten ihr wirklich Angst. Und am meisten hatte sie Angst davor, was sie wohl mit ihr machen würden. Sie sahen aus wie Mafiosi und das beunruhigte sie. Der Typ, gegen den sie gerannt war kam auf sie zu und kam ihr bedrohlich nah. Seine Ohren waren mit Ohrringen behangen und sowohl an seiner Nase, als auch an seinen Augenbrauen befanden sich mehrere Piercings. Von seinem Hals, bis zum Anfang seines Gesichtes zog sich ein großes Tatoo, welches ein wenig an die Form eines Drachens erinnerte. Das verstärkte ihre Angst, dass diese drei zur Yakuza gehören könnten. „Hey wir reden mit dir. Du hast meinen Mantel versaut, du dummes Gör. Das wirst du mir bezahlen.“ Bezahlen? Wie denn? Sie war doch nur eine Schülerin. In diesem Moment verfluchte Mirâ sich dafür, auf ihr Handy geschaut zu haben und nicht auf die Leute vor sich. Immer mehr zitterte sie am ganzen Körper und Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie sollte sie hier weg kommen? Mit Shadows kam sie klar, aber doch nicht mit diesen Typen. Sie konnte hier ja auch keine Persona rufen. Plötzlich wurde sie am Kragen gepackt, doch kurz bevor der Typ sie zu sich ziehen konnte, mischte sich jemand ein. „Hey. Seit wann geht man denn so mit einer Dame um?“, im selben Moment griff eine schlanke Männerhand zwischen Mirâ und den Typen und veranlasste ihn so, sie los zu lassen. Sie fiel wieder zurück auf ihren Hintern und erblickte einen schlanken jungen Mann mit braunen, blond gesträhnten Haaren, welcher neben ihr hockte und den Typen vor sich böse anschaute. „Was willst du denn, du Schwuchtel?“, fragte nun ein anderer der drei bedrohlich. „Tze, Tze, Tze. Von euch ist wohl keine Toleranz zu erwachten, was? Jetzt verschwindet hier. Die Kleine ist eine unserer Mitarbeiterinnen und wenn ihr nicht gleich verschwunden seid, dann rufe ich die Polizei.“, sagte der junge Mann ernst, woraufhin die drei Typen kurz zurück zuckten und dann den Rückzug antraten. Als die drei außer Sichtweite waren drehte sich der junge Mann zu Mirâ um und lächelte sie freundlich an: „Alles in Ordnung?“ Zaghaft nickte Mirâ, woraufhin ihr Gegenüber ihr wieder auf die Beine half: „Danke für Ihre Hilfe. Aber bekommen Sie jetzt nicht Ärger?“ „Ärger?“, irritiert sah er Mirâ an, „Von den drei Typen?“ Plötzlich fing er herzhaft an zu Lachen. Ein wenig hatte Mirâ sogar saß Gefühl, er würde wie eine Frau lachen. Aber das konnte doch nicht sein oder? Doch als er sich bewegte konnte sich Mirâ schon denken, wieso ihn die Typen Schwuchtel genannt hatten. Wobei sie dies doch als schlimmes Schimpfwort empfand. „Mach dir darüber mal keine Gedanken, Schätzchen.“, er zwinkerte Mirâ freundlich zu, „Das sind dumme Jungs, die keine wirklichen Hobbys haben. Die treiben sich ständig hier rum und tun so, als gehörten sie zur Yakuza. Die wollen sich hier nur aufspielen.“ Irritiert blickte Mirâ ihren Gegenüber an. Hatte er sie gerade wirklich Schätzchen genannt? Eine Wildfremde? Der Mann schien ihr Unbehagen zu bemerken und anscheinend fiel ihm nun auch auf, dass er sie Schätzchen genannt hatte. „Oh entschuldige. Das ist so meine Art mit Gästen zu reden. Nimm mir das nicht übel.“, entschuldigte er sich, „Takama Shuichi.“ „Ähm... Shingetsu Mirâ.“, stellte sie sich zaghaft vor, „Du hast für mich gelogen und gesagt ich sei eine Mitarbeiterin.“ „Ja.“, erneut zwinkerte Shuichi und zeigte auf das Gebäude neben sich, „Wir sind eine Karaoke-Bar.“ Die junge Frau sah auf das Gebäude neben sich, an welchem über dem Eingang riesig groß „Shādo“ und darunter etwas kleiner "Karaoke-Bar" stand. Dieses Gebäude war ihr auf dem Heimweg schon oft aufgefallen. Es stand ganz in der Nähe der U-Bahnstation, aber sie war noch nie drin gewesen. In den letzten Wochen hatten sie auch wirklich andere Probleme. Plötzlich hielt ihr Shuichi eine Visitenkarte vor die Nase: „Hier. Du gehst doch in die Oberstufe. Wir suchen derzeit wirklich Mitarbeiter. Falls du Interesse hast, kannst du dich ja bei mir melden.“ Dankend nahm Mirâ die Karte entgegen und betrachtete sie einen Moment. Ein Nebenjob konnte sicher nicht schaden. Geld konnte man immer gebrauchen, aber vorher musste sie trotzdem mit ihrer Mutter darüber sprechen. Deshalb bedankte sie sich erst einmal freundlich: „Vielen Dank. Auch noch einmal für die Hilfe. Ich werde mit meiner Mutter darüber sprechen und mir das überlegen. Dann melde ich mich noch mal.“ „Gut. Dann pass auf dem Heimweg auf dich auf und komm gut heim.“, noch einmal zwinkerte ihr der junge Mann zu, welcher eindeutig vom anderen Ufer war, bis er wieder zurück in der Bar verschwand. Mirâ sah ihm kurz nach und dann noch einmal auf die Visitenkarte, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte. Dieses Mal mit wachsamen Augen nach vorn gerichtet, damit sie nicht wieder irgendwelche Leute umrannte. Auch hielt sie nach den Typen Ausschau, weil sie Angst hatte, sie könnten sie noch einmal angehen. Doch auch sie ließen sich nicht noch einmal blicken, sodass Mirâ sicher zu Hause ankam. „Einen Nebenjob?“, fragte Mika mit schief gelegtem Kopf. Sie saß auf dem Fußboden vor Mirâs Spiegel in der Spiegelwelt und blickte über diesen zu ihrer Freundin in der realen Welt hinüber. Diese saß an ihrem Schreibtisch, allerdings mit dem Blick in die Richtung ihres Spiegels gedreht, sodass sich die beiden Mädchen unterhalten konnten. Mirâ nickte: „Ja. Das ist eine gute Möglichkeit, um nebenbei ein wenig Geld zu verdienen. Und meine Oberschule erlaubt auch Nebenjobs, solange die Leistungen nicht darunter leiden.“ „Hu?“, kam es langgezogen von dem kleinen Mädchen, „Das klingt wirklich gut. Dann solltest du das Angebot annehmen.“ „Ja, das denke ich auch. Da gibt es nur ein Problem.“, meinte ihr Gegenüber. Wieder legte Mika den Kopf schief: „Was denn?“ Das violett haarige Mädchen seufzte: „Meine Mutter. Sie mag es überhaupt nicht, wenn ich spät abends noch alleine unterwegs bin. Selbst wenn es ganz in der Nähe ist.“ Mika schien ratlos: „Wieso das denn? Du bist doch in der Oberstufe. Und wie machst du das, wenn ihr hier her kommt?“ Ihre Freundin lächelte leicht: „Dann erzähl ich ihr, dass ich mit Akane ins Kino gehe oder ähnliches. So lange ich nicht allein bin, ist sie nicht so extrem streng.“ „Und weshalb ist sie so?“, Mika konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass eine Mutter so streng sein konnte. Andererseits konnte sie sich nicht mehr an ihre Eltern erinnern. Sie wusste nicht einmal, ob sie überhaupt welche hatte. Schon vor einiger Zeit hatte sie sich überlegt, was wohl wäre, wenn sie erfuhr, dass sie gar kein Mensch, sondern auch bloß ein Shadow war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie überhaupt in diese Welt gekommen war, geschweige denn, was überhaupt war, bevor sie aufwachte. Doch oft verdrängte sie diesen Gedanken. Vor allem dann, wenn sie mit ihren neuen Freunden zusammen war. Nun zuckte Mirâ mit den Schultern: „Ich glaube es liegt an einem Ereignis aus meiner Kindheit. Da muss mal irgendwas passiert sein, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich im Krankenhaus lag, aber ich weiß nicht weshalb. Das ist aber schon etwas her. Das muss vor sieben Jahren oder so gewesen sein, ich glaube Junko war damals noch nicht geboren.“ Mika sah ihre Freundin mit großen Augen an. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie, doch sie konnte es nicht wirklich einordnen. Plötzlich spürte sie einen starken Schmerz im Kopf und zuckte zusammen, während sie eine Hand aus Reflex an ihren Kopf legte. Einige Bilder von Gebäuden kamen ihr in den Sinn, doch sie waren zu unscharf und viel zu schnell weg, als dass sie diese erkennen konnte. „Ist alles in Ordnung, Mika?“, fragte Mirâ besorgt. Der Schmerz ließ langsam wieder nach und die Bilder verschwanden wieder. Sie schüttelte leicht den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Was war das eben? Als sie wieder aufblickte, sah sie in die besorgten roten Augen von Mirâ, welche an den Spiegel heran getreten war. Man merkte ihr an, dass sie sich große Sorgen machte und am liebsten zu Mika herüber gekommen wäre, um ihr zu helfen. Die Kleine schüttelte leicht den Kopf und lächelte: „Es geht wieder. Mir war nur etwas schwindelig.“ „Vielleicht solltest du dich hinlegen. Du siehst blass aus.“, meinte Mirâ besorgt. „Du hast recht, denke ich.“, vorsichtig stand Mika wieder auf, „Dann gute Nacht.“ Nachdem ihr ihre Freundin ebenfalls eine gute Nacht gewünscht hatte, begab sich das kleine Mädchen zu dem Futon in der Ecke. Müde fiel sie auf die Matte vor sich. Plötzlich fühlte sie sich extrem erschöpft. Was war nur passiert? Doch um einen weiteren Gedanken zu fassen war sie viel zu Müde und kurz darauf war sie bereits eingeschlafen. Mittwoch, 20.Mai 2015 Gemeinsam mit ihren beiden Freunden saß Mirâ in der Pause auf dem Dach der Schule und aß ihr Lunchpaket. Auch mit ihnen hatte sie über den Vorfall am Vortag und dem Angebot zu dem Nebenjob geredet. „Diese Karaoke-Bar ist in der Nähe vom Bahnhof oder?“, fragte Akane, woraufhin ihre Freundin nickte, „Die ist wirklich gut und der Typ, der dort arbeitet, sehr nett. Ein guter Job, würde ich sagen.“ „Du kennst diese Bar?“, kam die Frage von Mirâ. Akane nickte und erklärte, dass sie dort schon öfters mit ihren Cousinen und Cousins war, welche total verrückt nach Karaoke waren. Dann seufzte sie: „Ich würde auch gern einen Nebenjob annehmen.“ „Aber?“, fragte Hiroshi. „Meine Eltern brauchen meine Hilfe in der Praxis. Deshalb ist es zeitlich für mich nicht möglich einen Nebenjob anzunehmen.“, erklärte die Braunhaarige, „Aber du hast doch nachmittags Zeit, oder Mirâ? Was lässt dich zögern?“ Die angesprochene seufzte und erklärte ihren Freunden, genau wie Mika am Abend zuvor, dass ihre Mutter sich sicher quer stellen würde. Die beiden Klassenkameraden sahen Mirâ ebenso ratlos an wie Mika, doch diese hatte in diesem Moment keine Lust, noch einmal zu erzählen, weshalb ihre Mutter so war. Sie würde ja selber gerne wissen, was damals passiert war, doch immer, wenn sie versuchte sich zu erinnern oder kurz davor war ihre Mutter darüber auszufragen, bekam sie ein merkwürdiges Gefühl. Als wollte ihr Körper sagen, dass es besser sei sich nicht zu erinnern. Meistens hatte sie auch kurz darauf wieder vergessen, dass sie fragen wollte. Warum eigentlich? Nun wo sie darüber nachdachte, fand sie das selber sehr merkwürdig. Kurz darauf spürte sie auch schon wieder das Gefühl aufkeimen. Es war zwar kein Schmerz oder ähnliches, aber es war sehr unangenehm. „Mirâ? Hey! Hörst du mir zu?“, fragte Akane, was die Angesprochene nach einer Weile aufblicken ließ. „Wie bitte? Entschuldige Akane, ich hab nicht zugehört.“, entschuldigte sich die junge Frau. Ihre Freundin seufzte: „Das hab ich bemerkt. Kein Problem. Du kannst deiner Mutter doch sagen, dass es für dich ein guter Schritt zur Selbstständigkeit ist. Immerhin musst du sie dann nicht mehr um Geld bitten. Oder?“ „Das schon, aber ob ihr das reicht? Ich glaube sie gibt mir lieber selber Geld, als mich abends draußen zu wissen.“, meinte Mirâ leicht geknickt. Wenn es um so etwas ging, war ihre Mutter wirklich streng. Es kostete sie jedes Mal sehr viel Geduld und Zeit, wenn sie sich vornahmen in die Spiegelwelt zu gehen, um ihre Mutter zu überreden, das Haus verlassen zu können. „Aber du bist doch dort nicht allein.“, warf Hiroshi ein, „Sag ihr, dass du dort unter Aufsicht stehst. Außerdem ist es ein Job drinnen.“ „Und der Weg nach Hause?“, fragte Mirâ, „Urgh... Meine Mutter ist echt schwer zu knacken. Die wird mir das nie erlauben.“ Plötzlich bekam sie eine leichte Kopfnuss von Seiten Akane: „Hey. Seit wann gibst du so schnell auf? In der Spiegelwelt wolltest du weiter gehen, obwohl du gar nicht mehr in der Lage warst zu kämpfen und hier gibst du gleich auf, ohne es probiert zu haben? Das passt nicht ganz zusammen.“ Fragend sah Mirâ ihre Freundin an. Da hatte sie Recht, aber in der Spiegelwelt ging es um ein Menschenleben und hier ging es nur um einen Job. Das konnte man doch wohl kaum vergleichen. Oder? „Da gebe ich Akane wirklich Recht.“, hörte sie von Hiroshi. Auch ihn sah sie verwirrt an, doch dieser lächelte sie nur liebevoll an: „Gib nicht so schnell auf. Versuch es doch erst einmal. Wenn du genau so hartnäckig bist, wie in der Welt dort drüben, dann wird deine Mutter sicher einknicken.“ Schelmisch zwinkerte er ihr zu, woraufhin Mirâ leicht rot anlief. Schnell wand sie den Blick ab. Was war das gerade? Als Hiroshi sie so ansah, hatte ihr Herz plötzlich einen leichten Sprung gemacht. Aber wieso? Er war ihr Kumpel. Nicht mehr und nicht weniger. Gedanklich schüttelte sie den Kopf, um diesen wieder frei zu bekommen. Für so etwas hatte sie nun keine Zeit. Sie nickte ihren Freunden lächelnd zu: „Danke ihr beiden. Ich werde heute Nachmittag versuchen sie zu überreden.“ Ihre Freunde lächelten erleichtert und nickten ihr noch einmal aufmunternd zu. Während sich Mirâ eine Garnele aus ihrer Luchbox fischte, schielte sie kurz aus dem Augenwinkel zu Hiroshi hinüber, welcher bereits mit Akane eine andere Diskussion angefangen hatte. Anscheinend hatte er ihr Verhalten nicht bemerkt. Erleichtert atmete sie leise auf. Ein Glück. Sie wollte keine Missverständnisse zwischen sich und ihren Kumpel bringen. Es war alles gut so wie es war. Nachdem die Schulglocke das Ende des Unterrichts eingeleitet hatte, verließen alle Schüler schon fast fluchtartig das Gebäude. Da durch die Prüfungen in der nächsten Woche keine Clubs stattfanden, blieb niemand länger als nötig. Auch Mirâ, Akane und Hiroshi begaben sich auf den Weg zum Ausgang, während sie darüber diskutierten, ob es gut war nun noch gemeinsam irgendwo hin zu gehen oder doch lieber nach Hause zu gehen und zu lernen. „Ich bin ja der Meinung, dass wir lernen sollten.“, kam es von Akane, welcher man allerdings ansah, dass sie lieber etwas mit ihren Freunden unternehmen wollte. „So etwas von dir zu hören ist schon irgendwie komisch.“, meinte Hiroshi. Die braunhaarige junge Frau verzog das Gesicht: „Das brauchst du mir nicht sagen. Es macht mir ja selber Angst. Aber ich versteh diese ganzen Rechnungen in Mathe nicht. Ich muss das bis nächste Woche irgendwie in meinen Kopf bekommen.“ Hiroshi seufzte: „Wie oft willst du dir das noch erklären lassen?“ „Ach halt den Mund. Mathe war noch nie mein Fach gewesen.“, murmelte Akane beleidigt, während sie ihre Schuhe wechselte. Schweigend hörte Mirâ der Diskussion der beiden Streithähne zu. Ruhig wechselte sie ihre Schuhe und stellte ihre Hausschuhe in das dafür vorgesehene Fach. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, was sie aufschrecken und sich ruckartig umdrehen ließ. Nun fiel ihr Blick auf Dai, welcher eine entschuldigend und leicht abwehrende Haltung eingenommen hatte. „Entschuldige Shingetsu. Ich wollte dich nicht erschrecken.“, entschuldigte sich der ältere Schüler. Erleichtert atmete die jüngere der Beiden auf und lächelte freundlich: „Kein Problem, Senpai. Was gibt es? Ist irgendetwas mit dem Club?“ Dai schüttelte den Kopf: „Nein. Etwas anderes. Masaru ist wieder aufgetaucht. Nachdem du mich letzte Woche aufgeheitert hast, dachte ich, dass ich dir das sagen sollte.“ Die junge Frau brauchte etwas, um darauf richtig zu reagieren. Natürlich wusste sie, dass Masaru wieder sicher zu Hause war, aber das konnte sie ihrem Senpai schlecht sagen. Er würde nur unangenehme Fragen stellen. Stattdessen setzte sie ein begeistertes Gesicht auf: „Wirklich? Ist mit ihm alles in Ordnung? Hat er gesagt wo er war?“ Der braunhaarige Schüler lachte kurz aufgrund von Mirâs vielen Fragen, doch wurde dann wieder etwas ernster: „Seine Mutter sagte sie haben ihn erschöpft im Hof des Tempels gefunden. Gestern Abend ging es ihm aber wieder etwas besser, aber seine Eltern behalten ihn diese Woche trotzdem noch zu Hause. Allerdings, sagt Masaru, kann er sich nicht mehr daran erinnern, was passiert war oder wo er war. Das finde ich sehr seltsam.“ „Das wird sicher am Schock liegen.“, versuchte Mirâ die Situation etwas unter Kontrolle zu bekommen. Natürlich musste Masaru sagen er wüsste nicht wo er gewesen war. Er konnte ja schlecht sagen, dass er in einer Spiegelwelt gefangen war. Andererseits war auch nicht klar, ob er sich daran erinnerte, wie er dahin gekommen war. Sobald Masaru wieder in der Schule war, würde sie wohl mit ihm darüber sprechen müssen. Wenn sich der ältere Schüler daran erinnern konnte, wie er in diese Welt gelangt war, dann half ihnen das vielleicht etwas näher an die Wahrheit zu gelangen. Doch nun gab es wichtigeres und sie wand sich weiter an Dai: „Die Hauptsache ist doch, dass es Shin-Senpai wieder besser geht und das er wieder aufgetaucht ist. Oder?“ „Da hast du Recht.“, meinte Dai nach einer kurzen Weile, ehe er sich abwand, „Naja ich muss dann los. Viel Erfolg bei den Prüfungen nächste Woche. Wir sehen uns zum Training.“ „Dir auch viel Erfolg.“, sagte Mirâ noch, ehe ihr Senpai die Eingangshalle verließ. Sie sah ihm kurz nach, ehe sie hinter sich ein Seufzen vernahm. Ein Blick leicht hinter sich verriet ihr, dass dieser von Hiroshi stammte. „Das war knapp.“, meinte Hiroshi, „Ich dachte schon Shin hätte irgendwas erzählt.“ „Was hätte er denn sagen sollen? Denkst du jemand hätte ihm geglaubt?“, fragte Akane, als sie an Mirâ und Hiroshi vorbei zum Ausgang ging. Auch diese Beiden setzten sich in Bewegung und folgten ihrer Freundin nach draußen, während Hiroshi antwortete: „Da magst du Recht haben, aber trotzdem.“ „Wir sollten mit Shin-Senpai reden, wenn er wieder in der Schule ist. Vielleicht kann er sich noch an etwas erinnern.“, meinte Mirâ. „Gute Idee.“, sagte Akane, „Aber das können wir sicher erst nach den Prüfungen. Urgh... Jetzt muss ich wieder an die Prüfung denken. Ich hab keine Lust drauf.“ Mirâ lachte: „Da musst du leider durch. Aber du schaffst das schon.“ Ein langgezogener Seufzer war zu hören, doch mehr sagte Akane nicht dazu. Sie wollte einfach nur, dass die Woche der Prüfungen schnell herum ging. Erleichtert betrat Mirâ am Abend ihr Zimmer. Sie hatte gerade eine sehr lange Diskussion mit ihrer Mutter wegen des Nebenjobs. Anfangs hatte ihre Mutter wie zu erwarten protestiert und Mirâ brauchte einige sehr gute Argumente, welche sie ihr entgegen bringen musste. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit knickte ihre Mutter doch ein und erlaubte es, aber mit der Abmachung erst nach den Prüfungen damit anzufangen und nicht vor den Prüfungen zu jobben. Freudig hatte sich Mirâ bei dieser bedankt und war dann in Ihr Zimmer verschwunden. Nun ließ sie sich erleichtert auf ihren Stuhl fallen und blickte zu ihrem Spiegel: „Mika bist du da?“ Keine Antwort. Auch nachdem Mirâ noch einmal gerufen hatte, war das kleine Mädchen nicht aufgetaucht. Vorsichtig trat Mirâ an ihren Spiegel heran und wollte einen Blick hinein werfen, doch außer ihrem Spiegelbild sah sie nichts. Wo war sie denn? „Vielleicht ist sie irgendwo unterwegs.“, ging der jungen Frau durch den Kopf, während sie sich wieder an ihren Schreibtisch setzte. Es war sicher gut noch einmal in ihre Hefte zu gucken, damit sie für die Prüfungen vorbereitet war. Nachdem sie ihren Freunden eine Erfolgsmeldung gesendet hatte, schlug sie ihre Hefte und Bücher auf und überflog noch einmal alle Themen. Währenddessen lief Mika durch die Spiegelwelt. Seit dem Gespräch mit Mirâ am vorherigen Abend, als sie diese Schmerzen hatte, ging es ihr nicht wirklich gut. Ihr war schwindelig und ständig bekam sie Kopfschmerzen, auf welche irgendwelche Bilder folgten. Doch so sehr sie es auch versuchte, sie konnte diese Bilder nirgends einordnen. Leicht benommen taumelte sie durch die leeren Straßen dieser merkwürdigen Stadt, als wieder ein stechender Schmerz durch ihren Kopf zog. „Ah!“, mit vor Schmerzen zusammengekniffenen Augen und sich den Kopf halten ging das kleine Mädchen auf die Knie. Was war nur mit ihr los? Woher kamen plötzlich diese Schmerzen und wieso kamen sie jetzt auf einmal? Langsam ließ das Stechen in ihrem Kopf nach. Vorsichtig öffnete sie die Augen und erschrak. Wieder zogen diese Bilder an ihr vorbei, doch dieses Mal waren sie extrem klar. Plötzlich hellte alles um sie herum auf. Erschrocken musste sie einen Moment später feststellen, dass es helllichter Tag war. Irritiert blickte sie sich um. Sie stand immer noch in der Stadt, doch etwas war anders. Die Gebäude, welche normalerweise von Spiegelglas umgeben waren, sahen völlig normal aus. Auch die Bäume um sie herum waren mit grünem Laub bedeckt, anstatt mit den kleinen Glassplittern. Ein lauwarmer Wind umgab sie und ließ ihr dunkelblaues Haar hin und her schwingen. „Was ist hier los? Ist das die reale Welt?“, ging ihr durch den Kopf. Erschrocken und schockiert zugleich sah sie sich in alle Richtungen um, doch kaum hatte sie sich umgeschaut verschwamm das Bild um sie herum wieder. Kurz darauf saß sie wieder in der dunklen Straße mit den von Spiegeln umhüllten Gebäuden. Der Wind um sie herum war ebenso verschwunden. Mit großen erstaunten Augen sah sie auf die Straße vor sich. Was war das eben gewesen? Verwirrt saß Mika auf dem Boden, welcher nicht einmal irgendeine Art von Wärme abgab, und konnte sich nicht rühren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)