Strawlemon and Citrusberry von lullulalla (Bittersüß und Süßsauer, bitte!) ================================================================================ Kapitel 1: Der erste Eindruck ----------------------------- Es ist Frühling! Endlich! Wie lange habe ich auf diesen Tag gewartet! Heute komme ich endlich auf die Oberschule! Guten Tag allerseits! Mein Name ist Melody Konashi – kurz Mimi. Ich befinde mich im Moment auf den Schulhof meiner neuen Schule! Ich bin 15 Jahre alt und bin ab sofort Oberschülerin! Mit Mühe habe ich die Aufnahmeprüfung meiner gewünschten Schule geschafft. Es war echt anstrengend. Denn… um ehrlich zu sein, bin ich nicht wirklich die Schlauste…argh. Ich wohne in einer Einzimmerwohnung ganz in der Nähe von hier. Tja, ihr fragt euch bestimmt, warum ich alleine wohne. Meine Eltern sind bei einem Flugzeugunfall ums Leben gekommen, als ich vier Jahre alt war. Bis zu meinem 14.Lebensjahr habe ich bei meiner Großmutter gelebt (andere Verwandten habe ich leider nicht), die sich wirklich lieb um mich gekümmert hat. Doch leider ist sie schon sehr schwach, weshalb sie mehr Hilfe benötigt. Kurz vor meinem 15.Geburtstag haben wir deshalb beschlossen, dass sie zu guten Bekannten umzieht, damit sie sich um sie kümmern können. Doch diese wohnen leider außerhalb der Stadt. Deshalb, hier und jetzt in aller Frische, bin ich eine alleinwohnende Person, die es auf die gewünschte Oberschule geschafft hat! Ich fühle mich ja schon so erwachsen! Hohoho! Ich schaue mich mit strahlenden Augen um. Unmengen von Bäumen stehen in voller Blüte um den Schulplatz. Wunderschön. Erst letztens war ich im Stadtpark, wo der Hanami, Blütenschau, stattgefunden hat. Es war einfach nur richtig superschön gewesen. Ich möchte wieder hin… Also jedenfalls, sind hier auf dem Schulhof viele Bäume und…wow… wie viele Schüler sich schon versammelt haben! Ich hoffe bloß, ich verstehe mich mit meiner neuen Klasse… und die Lehrer sind hoffentlich auch nicht zu streng. Mein alter Klassenlehrer war wirklich furchtbar. Die meiste Zeit seines Unterrichts hat er nur geschrien, wie nutzlos wir Schüler doch sind und dass wir immer dumm bleiben würden, egal ob mit oder ohne Abschluss. Pöh! „Mimiiii!“ „Hm?“ Ich drehe mich um und erblicke meine Mittelschul- und beste Freundin. „Aiko-chan!!“, rufe ich laut und laufe auf sie zu. „Woah! Du siehst richtig niedlich in der Schuluniform aus, Aiko-chan!“, sage ich und bewundere wieder einmal ihre Schönheit. „Ach, halt doch die Klappe! Ich hoffe bloß, dass mich wenigstens hier niemand belästigt, wie die Haufen Blödiane auf der Mittelschule!“, sagt sie und schüttelt missbilligend den Kopf. Ich muss kichern. Sie ist schon ziemlich seltsam. Jede andere wäre glücklich, wenn sie wenigstens einen Verehrer hat. Aber unsere Aiko-chan ignoriert alle. Mit „alle“ meine ich nicht nur die Jungs aus der Mittelschule. Nein, auch Jungs aus anderen Schulen haben versucht ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Manche sind ihr sogar heimlich gefolgt, weshalb ich immer mit ihr nach Hause laufen musste. Wenn ich sie allerdings nach Hause gebracht habe und selber nach Hause gehen wollte (alleine), waren die Stalker weg. Ich habe wohl nicht den Charme, wie Aiko-chan.. „Mimi, was hast du denn?“ Aiko-chan schaut mich plötzlich fragend an. „Warum seufzt du denn so?“ „Ehh, nein, nichts. Alles okay… I-ich habe nur…“, stottere ich und werde knallrot. Plötzlich dongelt es. „Alle Neuankömmlinge gehen bitte in ihre eingeteilten Klassenräume. In 10 Minuten beginnt der Unterricht!“, plärrt eine Frauenstimme durch den Schulhof. „Wir sollten los…“, sagt Aiko-chan und schaut mich immer noch etwas besorgt an. „Eh, ja gut. Hm… in welche Klasse komme ich denn eigentlich? Argh, mist, das habe ich ja noch gar nicht nachgeschaut. Verflixt und zugenäht.“, murmele ich leise und haue mir selber auf den Kopf. Aiko-chan seufzt und streicht ihre Haare nach hinten. „Na komm, Mimi. Wir sind in einer Klasse, du Dummkopf.“ „Echt? Suuper! Dann muss ich dir nur folgen! Hihi!“ „Du wirst dich nie ändern, stimmt’s?“ „Hast du was gesagt?“ „Ach, komm endlich.“ „Ja-ha!“, strahle ich und wir gehen los. In der richtigen Klasse angekommen, suchen wir uns einen Platz. Da die meisten Schüler schon vor uns angekommen sind und sich Plätze ausgesucht haben, gibt es leider keine Plätze mehr, wo Aiko-chan und ich uns nebeneinander hinsetzen können. Am Ende sitzt sie in der ersten Reihe und ich einige Reihen dahinter. Neben mir sitzt ein kleiner Junge, der nur stur gerade ausblickt. Oh man, ist er wirklich schon 15 Jahre alt?? Er sieht aus wie 12! Plötzlich geht die Klassentür auf und hereinspaziert kommt eine Frau im mittleren Alter und mit einem großen Grinsen. Am Lehrerpult grinst sie uns erst mal zu bevor sie ihren Mund aufmacht. „Hallo allerseits!“ „Guten Morgen.“, ruft die Klasse im Chor. „Nun gut. Mein Name ist…“ Sie nimmt ein Stück Kreide und schreibt ihren Namen auf die große, grüne Tafel. „…Hoshino Aya. Ich unterrichte Sport, Hauswirtschaft und Geschichte und bin ab heute eure neue Klassenlehrerin, verstanden?“ „Ja, Hoshino-senseiii!“, plärren wir laut. Sie grinst zufrieden und nickt. Auch auf mein Gesicht ist immer noch ein Grinsen zu sehen. Ich freue mich wie ein Honigkuchenpferd mit Erdbeere oben drauf!! Ich bin ja soo aufgeregt!! Neue Freunde, neue Lehrer und das wichtigsten – erste Beziehungen!!! Das wird der Knüller!! Ich weiß es einfach!! Nichts kann schief gehen!! „Ich habe mir eure Aufnahmetests angesehen. Hm, der Schnitt war ziemlich gut. Ich muss schon sagen. Unsere Klasse hat ganze 2,0 erreicht.“, sagt Hoshino-sensei. Was habe ich gesagt? Nichts kann schief gehen! Ich sehe es schon kommen!! Wir alle werden uns super verstehen und werden die beste, klügste, tollste Klasse auf der ganzen, weiten Welt sein und dann werden alle Lehrer ehrfürchtig sagen: „Das hier ist unsere Lieblingsklasse! Die anderen Klassen sollten sich wirklich mal ein Beispiel an sie nehmen! Muahahaha!!“ „… Allerdings gibt es einen Schüler hier, der unbedingt Nachhilfe bekommen sollte. Wegen der Person liegt der Schnitt „nur“ bei 2,0.“ … Ich erstarre. Nein, bitte nicht. „Na? Wie wär’s? In Englisch und auf jeden Fall in Japanisch sollte sie unbedingt Hilfe bekommen. Findest du nicht auch… Mimi-san?“ Sie schenkt mir ein unschuldig-freundliches Grinsen. Habe ich eine andere Wahl als zu nicken?? Na super. Natürlich, ich habe es ja gesagt, ich bin nicht die Schlauste. Aber wie kann eine Lehrerin so etwas nur öffentlich sagen?? Das ist doch verboten!! Ich versteh es nicht!?! Das ist doch Diskriminierung! Ja genau!! Ich weiß zwar nicht genau, was das Wort heißt, aber egal! Pah! „Senseiii, ich werde mich bemühen… ganz bestimmt.“, murmele ich aber geschlagen und senke den Kopf. Ich höre stummes Gekicher hinter mir. Sie nickt. „Ich weiß, Mimi-san.“ Und wieder dieses Grinsen. „So, damit ist die HR-Stunde beendet! Ihr werdet gleich euren Lehrer für Mathematik, Englisch und Japanisch kennenlernen. Bleibt also bitte hier im Klassenraum. Bis morgen!“ Und schwuppdiwupp geht sie aus dem Klassenzimmer. „Pah, das war ja mal so was von gemein. Stellt sie mich vor der ganzen Klasse einfach an den Pringer…“, ärgere ich mich und lege meinen Kopf grummelnd auf die Tischplatte. „Es heißt Pranger.“, höre ich die Stimme von Aiko-chan neben mir, die gerade von ihrem Platz zu mir gekommen ist. „Ist ja gut, mensch! Ich sehe schon, es wird sich rein gar nichts verändern. Alles wird genauso sein, wie auf der Mittelschule…“ Ich mache einen Schmollmund. Aiko-chan lacht und boxt mir freundschaftlich auf die Schulter: „Was hast du erwartet? Die Oberschule wird genauso sein wie die Mittelschule, nur dass das Lernen noch anstrengender wird als vorher!“ „Möööh“, mache ich und hole aus der Schultasche mein Bento heraus. „Hey, das ist jetzt nicht dein voller Ernst! Du willst doch nicht etwa schon essen? Die große Pause ist doch erst nach der Englischstunde! Wenn du kleckerst wird dich der Lehrer krrrrrg machen!“, schimpft sie und macht eine Ich-mach-dir-einen-Kopf-kürzer-Geste. „Mir egal, ich hab Hunger! Heute Morgen konnte ich nicht frühstücken, weil ich verschlafen habe. Mein Bauch grummelt schon die ganze Zeit.“ Ich nehme mir meine Stäbchen und greife nach einem Stück Gemüse und wedele es ihr vors Gesicht. „Siehst du? Es wird schon nichts passieren! Hahaha… ha.“ „Da hast du den Salat.“ Verdammter Mist. Das Stück Gemüse hat sich auf meinen Schulrock gemütlich gemacht. Na super. „Leute!! Der Lehrer kommt!! Oh man, sieht der krass streng aus!“, ruft ein Schüler, der an der Klassentür steht. Ein Mädchen neben ihm schlägt ihn auf den Arm. „Was redest du da! Ich finde, er sieht superklasse heiß aus! Und so jung! Wie alt er wohl sein mag??“, ruft sie, während alle Schüler sich auf ihre Plätze hinsetzen. „Na dann, viel Spaß, Mimi- chan .“, grinst Aiko-chan, deutet auf meinen Rock und geht schnell auf ihren Platz zurück. Dann… öffnet sich die Tür. Ich wusste damals nicht, dass dieser Moment, dieser Augenblick, als die Tür aufging, mein Leben verändern würde. Ich wünschte, ich würde den Moment noch einmal erleben. Der Moment, als er die Tür aufmachte und herein kam. Vor uns steht nun der Lehrer. Und… ich muss dem Mädchen wirklich Recht geben. Er sieht echt super gut aus. Groß, wie ein Kirchturm, schwarz gekleidet, als wäre er eben auf einer Beerdigung gewesen, und ebenfalls schwarzen Haare. Aber, was mich am meisten faszinierte, waren seine Augen. Seine tiefblauen Augen, versteckt hinter dem Vorhang seiner schwarzen Haare. Ich habe noch nie jemanden mit so blauen Augen gesehen. Aber… da ist noch etwas anderes. Seine Augen sind wie Eis. Undurchdringlich, unnahbar. Er schaut nicht feindselig aus, aber trotzdem ist da etwas, als würde er irgendetwas verbergen. Was mag es wohl sein? Ich lege den Kopf etwas schief und betrachte immer noch sein Gesicht, während ich überlege. Naja, vielleicht wurde er ja verlassen und hat Liebeskummer? Ach quatsch. Er sieht nicht so aus, als wäre er der Typ, der von jemand eine geknallt bekommt. Nein, es wäre wohl eher anders herum. Plötzlich höre ich eine Stimme hinter mir. Ein Mädchen mit kurzen Locken beugt sich zu mir herüber und flüstert leise mit einer Hand vorm Mund: „Findest du nicht auch, dass er so aussieht, als würde er uns gleich einfrieren lassen?“ Ich drehe mich etwas zu ihr um und nicke mit einem verschwörerischen Lächeln. Ja, das stimmt wirklich. Sein ganzes Ich strahlt etwas aus, das uns sagen will: Haltet euch bloß von mir fern. Der neue Lehrer geht mit langsamen Schritten nach vorne zum Pult und stellt seine schwarze Tasche auf den Tisch. Dann öffnet er sie langsam und holt seine Sachen raus. Das alles tut er sehr langsam und sorgfältig. Während das geschieht, versuche ich nun eilig mit einem Taschentuch den Gemüsefleck auf meinem Rock wegzuwischen. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Wenn er das sieht, bin ich geliefert! Nach endlosem Schrubben, sieht man „nur“ noch einen dunklen Fleck, woran man allerdings sofort erkennt, dass dieses Mädchen versucht hat, Gemüse zu essen und dabei kläglich gescheitert ist, das Stück Gemüse sorgfältig mit den Stäbchen in den Mund zu nehmen. „Hast du zufällig mal ein Taschentuch?“, frage ich leise meinen Sitznachbarn, da mir die Taschentücher ausgegangen sind. Der versucht mich zu ignorieren und schluckt heftig. Was ist denn mit dem los! Ich habe doch nur höflich gefragt, ob er mir ein Taschentuch leihen kann! Ist das denn so schlimm? „Na klar, hier, bitte schön. Warum brauchst du das denn?“, ertönt eine Stimme neben mir. „Oh, vielen Dank. Ich brauch’s nur, weil-…“ Ich drehe mich um und erblicke, bei meinem Pech natürlich, den Lehrer. Stille. Immer noch Stille. „Rede doch weiter.“, sagt er und schaut emotionslos zu mir runter. „Nein, i-ist schon okay. Ich brauch’s doch nicht. Aber… aber, vielen D-Dank…“, stottereich, werde wieder mal knallrot und versuche schnell meinen Fleck zu verstecken. Hoffentlich hat er ihn nicht gesehen! Bitte nicht! Lieber Gott, hilf mir! „Benötigst du wirklich kein Taschentuch?“ „Nee, doch nicht…“ „Ich würd’s ja nehmen.“ „Nee, brauch ich doch nicht… tut mir leid…“ Schluck. „Aber dann kannst du doch deinen Rock nicht säubern.“ „Nee, ich-…“ Was hat Aiko-chan vorhin nochmal gesagt? Ach ja, Da haben wir den Salat. Wie passend diese Worte in diesem Moment doch sind. Hinter mir fängt ein Mädchen an zu kichern. Und plötzlich höre ich hier und da ein leises Kichern und manchmal die Worte: „Oh oh, die ist gleich dran.“ Und ihre Antwort ist richtig! Sie haben die eine Million-Frage richtig beanwortet! „Hast du den Stundenplan gelesen, Fräulein? Da steht ausdrücklich, dass die Pause nach der Englischstunde anfängt. Oder konntest du deinen Hunger nicht mehr aushalten?“ Er schlägt mich bei jedem Wort mit dem Klassenbuch leicht auf den Kopf. Ich zucke zusammen und murmele leise: „Tut mir ja leid. Aber… ich hatte eben Hunger…“ „Name?“ „Hä?“, frage ich irritiert. „Beantwortet man so die Frage eines Sensei?“ Er hebt eine Augenbraue und senkt seine Mundwinkel. „…Konashi… Mimi.“ Er zückt einen Kugelschreiber und schreibt etwas ins Klassenbuch. „Komm später ins Lehrerzimmer. Dort kannst du dir deine Strafaufgabe abholen.“ „Bitte waas??“ Wie kann der Kerl es nur wagen??? Ich meine, es ist doch nur ein Stück Gemüse, mensch. Ein kleines, unschuldiges Stück Gemüse!! Wegen so etwas, macht der einen Aufstand? Nur deswegen bekomme ich am allerersten Schultag schon eine Strafaufgabe?? Das ist total ungerecht!!! Ich schniefe. „Sensei! Ich finde, sie übertreiben ein wenig!“ Ich hebe den Kopf und sehe einen Jungen, der gerade aufsteht. „Sie hatte halt ein wenig Hunger! Außerdem kann man den Fleck doch wieder rauswaschen.“ Ja! Zeig’s ihm! Fighting!! Ich lächele ihn dankbar an. „Setz dich hin, wenn du keine Strafaufgabe bekommen willst.“ „Okay, tut mir leid.“ Er setzt sich sofort hin. Ich blinzele und bin vom Donner gerührt. Was soll das denn!? Wollte er mir nicht beistehen? Wieso gibt er schon klein!! Dieser Feigling! Dieser…ARGH! Ich raufe mir innerlich die Haare. Der (mir jetzt schon verhasste) Lehrer geht wieder nach vorne und nimmt eine Kreide in die Hand. Dann schreibt er seinen Namen auf die Tafel. „Mein Name ist Kano Ryo. Ich bin ab heute euer Lehrer für Englisch, Japanisch und Mathematik. Da wir jetzt Englisch haben, bitte ich euch, die Seite 6 in euren Englischbüchern aufzuschlagen.“ Und ohne Umschweife beginnt er mit dem Unterricht. Nachher werde ich ins Lehrerzimmer gehen und mir die Strafaufgabe abholen, die ja eigentlich ganz unnötig ist. Zu Hause werde ich kurz etwas essen und die Strafaufgabe machen müssen. Da sie sicher mehrere Seiten füllen wird und ich deshalb bis spät abends damit beschäftigt sein werde, bekomme ich mit Sicherheit nur wenig Schlaf. Voilà, mein heutiger Tag. Hurra. „Mimi-san. Answer my question, please.“ Ich zucke zusammen. Ich werde ihn erschlagen. Diesen Lehrer. „I…ehh… I don’t know… eh… Ich habe leider nicht aufgepasst, Kano-sensei.“, murmele ich leise, aber angespannt. Wenn er mich noch mehr zur Weißglut treibt, bringe ich ihn um. „I cannot understand you. Please answer my question… in english ! “ Kano-sensei kommt auf mich zu. Seine Augen…argh… Will er mich einfrieren?! Lass mich doch einfach in Ruhe, verdammt nochmal!! Ich senke meinen Kopf, damit ich seine Visage nicht sehen muss. Meine Wutskala liegt bei 99,9%. Neben mir höre ich das laute Schlucken meines Sitznachbarn. Pass bloß auf, dass du dich nicht verschluckst, kommt es mir in den Sinn. Die Temperatur im Klassenraum scheint mehrere Grade runtergegangen zu sein. Es herrscht Eiszeit. „Answer me.“ Höre ich da Spott in seiner Stimme?? „Right now.“ Jetzt steht er direkt vor mir. Ich kann seine Füße sehen. Jetzt platzt mir aber wirklich der Kragen!! Dieser bescheuerte Wichtigtuer!! Ich schlage die Hände auf den Tisch und stehe mit funkelnden Augen auf. „NO! I can’t! NONONO! Yu! Spiek gud inglisch! Yes! Me! NOO!! Spiek bäd! Bääd! Sorry! Sorry!” HA! Dem hab ich es aber gezeigt! „Bitte verzeihen Sie mir doch! Ich… ich war nicht mehr ich selbst! Es tut mir wahnsinnig leid!“ Die Schule ist vorbei und es ist später Nachmittag. Die meisten Schüler sind schon nach Hause gegangen. Naja, fast alle. Ich nicht. Kano-sensei sitzt vor mir im Lehrerzimmer und trinkt eine Tasse Kaffee. Wohlgemerkt, einen Eiskaffee, da in seiner Gegenwart alles zu Eis gefriert. „Es tut mir wirklich leid! Ich werde die Strafaufgaben sorgfältig machen und es morgen vor Schulbeginn abgeben!“ Ich senke beschämt den Kopf. „Du hast ja sowieso keine andere Wahl.“, sagt er und schlürft nochmal an seiner Tasse. „Ja, ich weiß. Aber, bitte verzeihen Sie mir!“ Ich falte meine Hände zusammen und schaue ihn bittend an. Was ist mir denn auch bitte vorhin in den Sinn gekommen, so eine bescheuerte Aktion durchzuführen? Noch nie in meinem bisherigen Leben ist mir der Kragen so sehr geplatzt wie heute. Nicht einmal bei meinem verhassten Mittelschullehrer, der uns doch ständig nur angeschrien und beschimpft hat. Heute habe ich mich wirklich selbst übertroffen. Unglaublich, Mimi. Was ist denn bloß los mit dir? Gehen die Hormone mit dir durch?? Meine innere Stimme schimpft mich aus und gibt mir eine Kopfnuss. Sie hat ja Recht. „Warum sollte ich dir denn verzeihen?“, fragt er und zum ersten Mal sehe ich einen Hauch eines Lächelns. Ich blinzele. Ja, warum eigentlich? Schließlich habe ich ihn und mich lächerlich gemacht vor der ganzen Klasse. „Naja, weil…also. Heute ist doch mein allererster Schultag. Da kann doch schon mal so etwas passieren!“ Ich ziehe meine Mundwinkel zwangsartig höher. So etwas muss doch sicherlich schon mal passiert sein, dass ein verrückter Schüler beim Lehrer seine Nerven verloren hat, direkt am ersten Schultag. „So eine Situation war mir bisher neu.“, er legt seine Tasse auf den Tisch und schaut mich belustigt an. Ich schlucke. Okay, noch ein Versuch. „Ich bin eigentlich auch nicht so… wie heute! In Wirklichkeit bin ich eine ganz, ganz, liebe Person, die allen gerne hilft und folgt.“, flehe ich. „Ja klar.“ „Wirklich!“ Er schaut mich immer noch belustigt an. Dann schließt er die Augen und lächelt wieder leicht. „Ist gut. Geh nach Hause.“ Überrascht schaue ich ihn blinzelnd an. Was? „Aber.. ich dachte…“ „Verrückt wie du bist, lasse ich dich gehen. Oder, willst du so sehr eine Strafaufgabe?“, spottet er. Geschockt schüttele ich heftig den Kopf. „Nein, nein! Ich bin schon still! Mucksmäuschenstill! Und…bin schon weg! Auf Wiedersehen!“ Und so schnell ich kann, renne ich aus dem Lehrerzimmer. Warum hat er das getan? Hatte er Mitleid? Nein, ich glaube nicht. Aber dann warum bloß? Ach, das kann mir doch egal sein! Ich bin frei! Keine Strafaufgabe! Yay!! Plötzlich bleibe ich stehen. Ich beiße mir auf die Lippen und schlucke. Okay, das musst du unbedingt noch tun, Mimi. So etwas nicht zu tun, gehört sich nicht. Entschlossen drehe ich mich um und mache kehrt zum Lehrerzimmer. „Herein.“, ertönt es, als ich klopfe. Ich schiebe die Tür auf und schaue ihn an. Er sitzt immer noch an seinem Schreibtisch. Allerdings hat er eine Lesebrille auf, während er Unterlagen liest. Er schaut mich an und hebt die Augenbrauen. „Was ist denn noch?“, fragt er. Ich reiße mich zusammen und halte den Griff meiner Schultasche fester, als ich dann sage: „Ich… habe vergessen, mich bei ihnen zu bedanken.“ Ich werde rot. Mein Gott, reiß dich zusammen. „Ist schon gut. Nichts zu danken.“, sagt er gelassen. Sein Blick wandert zu meinem Gemüsefleck auf meinem Rock. „Bis morgen sollte der Fleck aber weg sein, wenn du nicht auch von anderen Lehrern Ärger bekommen willst.“, erinnerte er mich und deutet auf meinen Rock. Prompt werde ich wieder rot und verdecke schnell mit meiner Schultasche den Fleck. Er lächelt leicht und blickt wieder auf seine Unterlagen. Aber da ich immer noch nicht gehe, schaut er wieder auf. „Ist noch was?“, fragt er etwas irritiert. Ich schaue beim Reden auf meine Füße. „Im Unterricht habe ich gedacht, dass sie ein ganz schlimmer, doofer und gemeiner Lehrer sind. Dass sie genauso sind wie mein alter Mittelschullehrer, der alle immer nur runtergemacht hat.“ Ich schlucke. Na los! Du schaffst es, Mimi! Er schnaubt. „Na, danke für das Kompliment. Das ist ja großzügig von-…“ „Damit wollte ich sagen!“, unterbreche ich ihn. „Ich wollte damit sagen, dass ich… nicht mehr so denke. Ich wollte… mich dafür entschuldigen.“ Verstohlen und knallrot vor Scham traue ich mich nicht aufzublicken. Ich beiße mir auf die Lippen und murmele schnell: „Das war’s auch schon. Tschüss!“, bevor ich die Tür zuschiebe und wegrenne. Bloß schnell nach Hause. Beim Rennen fasse ich mir an beide Wangen, die heiß geworden waren. Manno man, war das peinlich. Aber ich bin froh. Ich bin froh, dass ich das noch sagen konnte. Das war echt nett von ihm, sagt auch meine innere Stimme zu mir. „Naja, wer weiß, warum er mir die Aufgabe nicht gegeben hat?“, meldet sich plötzlich mein Verstand. Ich bleibe stehen und runzele die Stirn. „Entweder dachte er wirklich, dass er bei einer verrückten und gestörten Schülerin Nachsicht haben muss, oder er hatte einfach keine Lust in seiner Freizeit noch eine Strafaufgabe zu korrigieren.“, pflichtet mein Verstand mir bei. Hm, das ist natürlich richtig. „Oder-…“, meine innere Stimme lächelt verschmitzt. „Oder er ist einfach ein netter Lehrer, der dir den ersten Schultag nicht versauen wollte!“ „Was auch immer. Gestört ist jedenfalls mit hundertprozentiger Sicherheit, dass ich mit zwei Stimmen in meinem Kopf ein Gespräch führe.“, sage ich laut und gehe in der späten Nachmittagssonne nach Hause. Kapitel 2: Unsympathisch ------------------------ Mimi Zu Hause angekommen, lege ich meine sieben Sachen neben meinen Schreibtisch. Ich schaue auf die Uhr. Fast sieben Uhr. Uff. Abendessen muss ich auch noch. Schon am ersten Schultag haben wir Unmengen von Hausaufgaben bekommen. Naja, zum Glück muss ich keine Strafaufgabe machen. Wenigstens eine kleine Erleichterung. Ich seufze mit einem Lächeln im Gesicht. Dann allerdings runzele ich die Stirn. Am Ende bin ich zu dem Schluss gekommen, dass er einfach keine Lust hatte, eine Strafarbeit einer Schülerin zu korrigieren. Zwar habe ich am Anfang noch gedacht: Wow, er ist echt nett! Obwohl ich ihn so lächerlich gemacht habe, hat er mir verziehen! Was für ein toller Lehrer er doch ist! Doch jetzt habe ich versucht logisch zu denken, so wie Aiko-chan es mir immer und immer wieder geraten hat, doch mal vernünftig zu denken und zu sein. Na, was sagst du nun, Aiko-chan? Habe ich das nicht super toll analysiert? Hm, mir fällt ein, ich muss sie sowieso noch einmal anrufen. Schließlich hat sie vorhin noch gesagt, als alle nach Hause gegangen sind und ich zum Lehrerzimmer gehen musste, dass ich sie nochmal anrufen soll, damit sie weiß, dass es mir gut geht und Kano-sensei mir keinen Kopf kürzer gemacht hat. Also gut. Ich greife nach meinem Oldtimer-Handy (So nenne ich es, weil es ein super altes, fettes Ding ist mit dieser Antenne oben drauf. Ich glaube jedenfalls, dass es eine Antenne ist.), was ich von meiner Großmutter bekommen habe. Sie hat mir vor meinem Umzug noch mit erhobenen Finger gesagt: „Mimi, ruf jede Woche mindestens einmal an, damit ich weiß, dass es dir gut geht, verstanden? Schließlich mache ich mir immer Sorgen um dich, sogar, wenn ich bei dir bin, Schatz.“ „Ja, O-baa-chan.“, habe ich dann gesagt und gelächelt. Ich suche die Nummer von Aiko-chan heraus und wähle die grüne Anruftaste. „…..Himura Aiko hier. Mimi, bist du das? Alles okay bei dir?“, kommt es gedämpft von der anderen Seite. Ich lächele. Immer besorgt, unsere Aiko-chan. „Aiko-chan! Ja, alles okay. Hast du schon gegessen?“ Sie seufzt. „Du redest immer nur vom Essen.“, sagt sie und schnalzt mit der Zunge. Ich lache und frage dann: „Ist ja gut. Ich sollte mich doch bei dir melden. Es ist alles super gelaufen mit Kano-sensei. Er hat mich nicht aufgefressen, keine Sorge. Ich hab nicht einmal eine Strafaufgabe bekommen!“ „Wow, echt?? Das ist ja super nett von ihm!“, ruft sie erstaunt. Schief lächelnd sage ich dumpf: „Naja, ob das damit zu tun hat, weiß nur der liebe Gott.“ „Wie meinst du das?“, fragt sie verblüfft. Ich seufze. „Ich habe nur nachgedacht, so wie du es mir gesagt hast. Schließlich sagst du doch ständig, dass ich viel zu übermütig bin und verrückte Dinge tue, bevor ich darüber nachdenke.“ „Das stimmt ja auch! Du bist die impulsivste Person, die mir je untergekommen ist, Mimi.“, schimpft sie und ich verdrehe die Augen. „Jaja, willst du nun meine Theorie hören oder nicht?“ „Ist ja gut. Schieß los.“ Ich mache eine demonstrative Pause, als ich dann loslege: „Kano-sensei hat die ganze Zeit nur doof geguckt und gelächelt, als ich ihn angefleht habe, mir zu verzeihen. Entweder ist er ein Sadist, der es genossen hat, mich leiden zu sehen und mich dann gehen zu lassen, oder irgendetwas anderes hat ihn dazu getrieben, mir keine Strafaufgabe zu geben. Am Ende bin ich zu dem Schluss gekommen, dass er einfach keine Lust hat, diese Aufgabe zu korrigieren. Ich meine, welcher Lehrer hat schon Lust noch mehr zu arbeiten als ohnehin schon? Jedenfalls habe ich ihm dann gesagt, dass er doch nicht so ein doofer Lehrer ist, wie ich erst gedacht habe. Der erste Eindruck täuscht halt. Allerdings habe ich ja gerade gesagt, dass er doch irgendwie doof ist. Also fand ich ihn wohl am Anfang ziemlich doof, dann nicht mehr doof, und jetzt ist er irgendwie nur noch ein bisschen doof…“ Ich runzele die Stirn über meinen Wortwirbel. „Aiko-chan, was habe ich da bitte gelabert?“ Ich höre ein stummes Lachen aus dem Handy. „Ach Mimi. Mimi, Mimi, Mimi. Du bist einfach so verrückt und gestört, dass ich einfach nur lachen kann. Welche Schülerin sagt einem Lehrer ins Gesicht, dass man ihn doof findet? Hahaha, das kannst auch wirklich nur du, Mimi. So offen und verrückt, wie du bist.“ Sie kriegt sich kaum ein vor Lachen. Ich bleibe stumm und überlege, was sie gesagt hat. Habe ich mich etwa noch lächerlicher gemacht, als ohnehin schon? Wird Kano-sensei jetzt denken, dass ich total bekloppt bin und ich besser in die Irrenanstalt gehöre? Aiko-chan ist fertig mit lachen, als sie dann keuchend vor Bauchschmerzen sagt: „Aua, ahaha. Man, Mimi. Du machst mich fertig. Aber… mir fällt auf. Das ist das erste Mal, dass du über eine männliche Person so viel redest. Hast du dich etwa verguckt?“, sagt sie verschwörerisch. Ich bekomme ganz große Augen, als ich Luft schnappe. „Aiko-chan! Was redest du denn da für ein Schwachsinn!! Ich-, ich erzähl dir doch die ganze Zeit, wie doof ich Kano-sensei finde! Wie kannst du nur so etwas sagen! Wie-…“, ich bringe die Worte kaum aus meinem Mund. Sie lacht wieder. „Das war doch nur ein Scherz, Mimi! Mensch, alles in Ordnung. Ich habe dich nur verarscht!“ Ich senke den Kopf und atme tief aus. „So etwas ist nicht lustig! Er ist ein Lehrer! Meine erste Liebe soll kein doofer Lehrer sein!“ „Niemand weiß, wo die Liebe hinfällt.“, sagt sie nur und ich kann mir vorstellen, wie sie gerade grinst. „Meine Liebe fällt garantiert nicht in einen Tümpel voller Englischbücher!“, versichere ich ihr und hebe stolz meine Nase in die Höhe. „In was für einen Typen würdest du dich denn gerne verlieben, wenn du es dir aussuchen könntest?“, wollte sie wissen. Ich richte mich sofort auf, und beginne meine Wunschliste herunter zu rattern: „Er soll lieb sein, total fürsorglich, wie ein Gentleman. Er soll nur mich ansehen, lustig sein und clever! Am besten jemanden aus dem Baseball-Klub! Ich konnte vorhin einen Blick auf sie werfen, als wir draußen gefrühstückt haben! Oh mein Gott, sahen die gut aus! Unglaublich! Es soll einer sein, der mich total süß anlächelt und… whahh!!!“, ich flippe gleich aus!! „Das ist aber eine lange Liste.“, sagt Aiko-chan. Ich lächele beschämt. „Er soll einfach perfekt sein!“, murmele ich lächelnd und werde rot. „Dann hoffe ich mal, dass deine erste Liebe perfekt wird.“, sagt sie freundlich. Das ist total süß von Aiko-chan. „Danke, Aiko-chan! Deshalb hab ich dich so lieb! Wegen deinen lieben Worten!“ Sie lacht leise. „Kein Problem, Mimi. Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin.“ Natürlich weiß ich das! Aiko-chan ist die Beste! „Sag mal Aiko-chan, was ist denn mit dir? Wie sieht denn deine Liebeswunschliste aus?“, frage ich sie neugierig. Die Antwort kommt sofort. „Ich brauch so was nicht. Einen Freund kann ich überhaupt nicht gebrauchen. Für den hätte ich auch gar keine Zeit.“ Ich runzele die Stirn und mache einen Schmollmund. Das ist doch nicht ihr Ernst, oder? „Aber denk doch mal nach! Ein Freund! Ein Freund , Aiko-chan! Mit ihm kannst du alles zusammen machen! Händchen halten, in einen Vergnügungspark gehen, Liebesbriefe schreiben-…“ Sie unterbricht mich: „Liebesbriefe schreiben?? Das ist ja mal so was von altmodisch und eklig! Bah! Nein, danke! Darauf kann ich wirklich verzichten!“, sie lacht wieder los. Ich versuche sie umzustimmen: „Aber du verstehst nicht! Du bist immerhin schon 15! Erste Liebe! Erster Kuss! Und besonders du bist doch so beliebt bei den Jungs!“, sage ich leidenschaftlich, immer noch versucht, sie umzustimmen. „So was brauch ich nicht, Mimi. Du, ich muss jetzt auflegen, schau mal auf die Uhr! Ich wette, du musst noch Hausaufgaben machen! Vergiss später nicht, den Wecker zu stellen! Du hast schließlich heute verschlafen! Ich rufe dich morgen lieber zur Sicherheit an, damit du nicht wieder verpennst! Verstanden?“, rügt sie mich. Ich versuche noch etwas zu sagen, als sie dann schon sagt: „Bis morgen!“ Und weg ist sie. „Bis morgen.“, murmele ich. Mission gescheitert. Ich lasse mich auf das Bett plumpsen und starre auf die Decke, missmutig und faul mich zu bewegen. Hausaufgaben… Ich stöhne. Oh nein. Der erste, katastrophale Schultag ist vorbei, und meine Motivation ist dahin. Na gut. Der heutige Tag zählt nicht! Genau. Heute war nur… eine Schnupperstunde! Ja! So ist es! Der erste Schultag beginnt eigentlich morgen! Gut, Mimi, du stehst jetzt auf, gehst unter die Dusche und machst dann gefälligst deine Schnupper-Hausaufgaben für morgen! Dann stellst du den Wecker und gehst ins Bett! Meine innere Stimme weist mich zurecht. Auf geht’s! „Wow, du hast ja echt nicht verschlafen.“, meint Aiko-chan erstaunt, als ich mich auf mein Stuhl hinplumpsen lasse. „Hn…“, mache ich nur und lege meinen Kopf auf den Tisch. Ich bin total müde. Nachdem ich fast zwei Stunden für die Schnupper -Hausaufgaben gebraucht hatte, habe ich festgestellt, dass mein Wecker seinen Geist aufgegeben hatte. Weil mein Oldtimer-Handy keine Multifunktion mit einem Weckruf hat, habe ich es auf laut gestellt und direkt an meinem Ohr gelegt, damit ich den Anruf von Aiko-chan auch wirklich höre. Zum Glück hat Aiko-chan früh genug angerufen, sodass ich nicht verschlafen konnte. Sie ist wirklich die beste Freundin, die man sich wünschen kann! „Mal schauen, was für Fächer wir heute haben…“, sagt sie und schaut auf das Klassenbrett an der Wand. „Wir haben heute Hauswirtschaft, Naturwissenschaften, Sport und Japanisch! Alles im Doppelpack.“, sagt sie und stöhnt genervt. Meine Motivation ist unter null. Ich setze mich auf und lege mein Kinn in meine Hände, während ich durch den Klassenraum schaue. Die meisten Schüler haben sich in Grüppchen zusammengesetzt und unterhalten sich. Bisher konnte ich noch keinen richtigen Blick auf meine neuen Klassenkameraden werfen. Ich schaue zu, wie ein Mädchen einen Jungen auf den Kopf haut, als er versucht hat, ihre Hausaufgaben wegzunehmen. Ich lächele verschmitzt. Plötzlich wird mein Blick von etwas anderem angezogen. Ich schaue nach rechts und sehe, dass ein Junge, mit kurzen braunen Haaren mich anschaut. Ich blinzele und schaue schnell weg. Habe ich mich vielleicht verguckt? Ich linse noch einmal zurück und bemerke, wie auch er verschämt den Kopf wegdreht. Ich schlucke und werde prompt rot. Galt der Blick wirklich mir? Hat er mich gerade angeschaut? Ich merke, wie mein Herz anfängt schneller zu pochen und setze mich mit geraden, angespannten Rücken hin. Ich traue mich nicht, ihn noch einmal anzugucken. Feige, wie ich bin, schaue ich Aiko-chan zu, wie sie sorgfältig den Stundenplan in ihr kleines Notizheft abschreibt. Vielleicht… vielleicht hat er ja gar nicht mich angeschaut. Vielleicht hat er Aiko-chan gemeint. Ja, das klingt logischer. Ich atme tief ein und aus und versuche mich zu entspannen. Natürlich. Jeder würde Aiko-chan nehmen wollen, wenn er sich für uns beiden entscheiden müsste. Sie ist viel hübscher und klüger als ich. Mit ihren langen, goldenen Haaren sieht sie aus wie ein Engel. Sogar ich bewundere sie. Ich muss selber über mich lachen. Schlag es dir aus dem Kopf, Mimi. Die Liebe kommt nicht so schnell, wie du denkst. Ich seufze. Plötzlich spricht mich Aiko-chan an: „Ich finde, in letzter Zeit bist du nur am Seufzen. Was ist denn los? Hat es dich etwa erwischt?“ Sie grinst mich verschmitzt an. Ich werde rot und denke wieder an die Herzklopfen, die ich bis eben noch hatte. „Ach quatsch, Aiko-chan. Ich bin einfach nur müde. Wir hatten einfach zu viele Hausaufgaben auf…“, versuche ich mich schnell auszureden. Sie wollte noch etwas sagen, als die Klassentür auf einmal aufgeht, und unsere Klassenlehrerin Hoshino-sensei herein marschiert. Und so beginnt mein zweiter – pardon – erster, richtiger Schultag an der Oberschule. „Ich kauf mir mal eben ein Brötchen, okay?“, rufe ich Aiko-chan zu, während ich aus der Klasse rausrenne. Eben hat uns die Schulglocke die große Pause mitgeteilt und ich habe einen Bärenhunger! Da ich mir diesmal kein Bento (mit Gemüse) mitgebracht habe, wollte ich mir etwas aus der Mini-Bäckerei in der Mensa holen. Auf dem Flur sind die meisten Schüler auf den Weg nach draußen. Ich verlangsame meine Schritte und schaue in die Richtung der Schüler in den höheren Klassen an. Wow, wie erwachsen sie schon aussehen. Die meisten stehen zusammen und unterhalten sich, während vereinzelte Personen auf den Treppen sitzen und eifrig in ihren Heften schreiben. Ohne nach vorne zu blicken, gehe ich weiter, während ich die älteren Schüler immer noch bewundere. „Autsch!“, rufe ich laut und falle prompt auf meinen Hintern hin. Aua, Mist. Ich hebe meinen Kopf und – oh Schock - blicke direkt in das Gesicht von Kano-sensei. „Nein! Nicht ausgerechnet er!“, kommt es mir in den Sinn und erstarre. Unfähig mich zu bewegen, starre ich nur in sein Gesicht, während er mit einem genervten Gesichtsausdruck auf mich hinunterschaut. Er beugt sich zu mir runter, packt meinen Arm und zieht mich hoch auf die Beine. Ich schlucke. Na toll, Mimi, das hast du wieder mal super hinbekommen! Meine innere Stimme schimpft mich aus und stemmt ihre Hände in die Hüften. „Beim Laufen sollte man nach vorne schauen, junge Dame.“, sagt er ruhig und spöttisch. Junge Dame? Aus welchem Jahrhundert ist das denn?? Ich beiße mir auf die Lippen. „Tut mir leid. Ich war abgelenkt.“, erwidere ich, ebenfalls versucht mit ruhiger und freundlicher Stimme zu antworten. „Jaa, das ist mir aufgefallen.“, meint er und lächelt wieder dieses Manno-man-bist-du-doof-Lächeln. „Ja, sorry! Ich werd ab jetzt aufpassen!“, sage ich, weniger freundlich. Meine Schlussfolgerung gestern war richtig! Er ist ein arroganter, wichtigtuerischer Idiot! Er zieht die Augenbrauen hoch. „Du bist doch nicht etwa auf irgendeiner Art und Weise sauer auf mich ?“, sagt er mit gespielter Ungläubigkeit. Wie bitte?? Ich balle meine Hände zu Fäusten. Er fährt fort: „Dabei war ich so freundlich zu dir, gestern und auch heute. Anscheinend bist du jemand, der alleine nichts… auf die Reihe bekommt, na? Was denkst du?“ Er lächelt. Ich glühe. Verkackter, idiotischer…Idiot!!! Ich lächele auch, genauso freundlich wie er und sage: „Ach, Kano-sensei. Ich denke nicht, dass ein Lehrer so etwas zu einer Schülerin aus dem ersten Schuljahrgang sagen sollte. Haben sie denn nichts in ihrer Studienzeit gelernt?“ Ich spüre, wie meine Stirnader anfängt wütend zu pochen. Leises Raunen geht durch den Flur. Ich zucke zusammen und linse zu den anderen herüber. Einige Schüler haben unsere Unterhaltung mitbekommen und flüstern sich eifrig etwas zu, während sie mit den Fingern auf mich zeigen. Ich presse meine Lippen fester zusammen. Was denn? Nur weil er ein Lehrer ist, heißt es noch lange nicht, dass er sich alles erlauben darf! Ich schließe kurz meine Augen und blicke dann wieder in das Gesicht von Kano-sensei. Er sieht aus, als würde er sich das Lachen verkneifen. „Natürlich. Du hast vollkommen Recht. Ich hatte allerdings gehofft, dass ich ein „Danke“ von dir bekomme, anstatt dass du mich zurechtweist. Gestern jedenfalls warst du noch so höflich. Ach, und nicht zu vergessen, dass du mir so offen und ehrlich gesagt hast, wie toll du mich doch findest.“ Kann mich bitte jemand umbringen? „Das habe ich ganz sicher nicht gesagt! Außerdem habe ich meine Meinung wieder geändert! Ich finde sie immer noch doof!“ Erschrocken halte ich die Hände vor meinen Mund. Vorsichtig blicke ich ihn an. In seinem Gesichtsausdruck erkenne ich Überraschung. Plötzlich fängt er wirklich an zu lachen. Ich schaue ihn mit großen Augen an. Er lacht? Der Mr. Ich-bin-ein-Eisblock-also-kommt-mir-bloß-nicht-zu-nahe-wenn-ihr-nicht-eingefroren-werden-wollt lacht ???? Zugegeben, ich kenne ihn nicht mal ansatzweise, aber er hat auf mich bisher nicht den Eindruck gemacht, als würde er ein großer Scherzkeks sein. Dann fällt mir auf einmal wieder ein, dass ich mich immer noch nicht bei ihm bedankt habe. Ich grummele innerlich und höre die Worte meiner Großmutter in meinem Kopf, die mich schon seit klein auf gelehrt hat: „Egal, ob Feind oder Freund! Wenn du Hilfe bekommen hast, bedanke dich!“ Ja, Großmutter. Ich weiß, aber… können wir hier keine Ausnahme machen?? Wieder schließe ich kurz die Augen. Okay, machen wir’s kurz und schmerzlos und vergessen dann die Sache. Wegen Kano-arroganten-sensei habe ich meine halbe Pause schon vergeudet. „Sie haben natürlich Recht, Kano-sensei. Ich danke Ihnen für die Hilfe für eben und auch für gestern! Sie sind ein wirklich unglaublich toller Lehrer!“, sage ich gezwungen und verbeuge mich kurz. Dann drehe ich mich entschlossen um und stolziere davon, ohne mich nochmal umzublicken. Dieser Lehrer treibt mich in den Wahnsinn!!!! Kano-Sensei Es ist dunkel draußen. Ich schaue auf die Digitaluhr, die neben meinem Laptop steht. Es ist 3:42 Uhr. Ich lehne mich zurück und reibe mir kurz übers Gesicht. Wie schnell die Zeit vergangen ist. Ich fange an, meine Unterrichtssachen für den morgigen Tag einzupacken und stehe dann auf. „Wo sind wieder meine Zigaretten?“, murmele ich vor mich hin, während ich meine Lesebrille ablege. Die Zigaretten finde ich in der Küche auf der Theke. Auf dem Weg zur Terrasse, werfe ich einen Blick kurz ins Schlafzimmer. Ich lächele leicht. Sie schläft tief und fest. Hoffentlich hat sie nicht gewartet, bis ich fertig war. Ich öffne die Terrassentür und blicke auf die vielen Häuser unter mir. Vereinzelte Fenster sind noch beleuchtet, die meisten aber sind dunkel. Ich zünde meine Zigarette an und atme tief ein. Das neue Schuljahr hat begonnen und für mich ist nun das erste Jahr als Lehrer vorüber. Ein Jahr bin ich nun schon Lehrer. Ein Jahr ist es her, seit ich hierher gezogen bin. Endlich weg von allem. Endlich alleine. „Naja, fast alleine.“, überlege ich. Meine Freundin und Fast-Verlobte nicht zu vergessen. Seit drei Jahren sind wir jetzt zusammen und vor ein paar Wochen ist sie hier eingezogen. Wie die Zeit vergeht. Ich ziehe nochmal an der Zigarette. Ich komme mir vor wie ein alter, missmutiger Sack. Mir fallen die Worte von der einen Schülerin ein: „Schlimmer, doofer, gemeiner Lehrer! Ich dachte, sie seien genauso wie mein alter Mittelschullehrer, der alle immer nur runtergemacht hat.“ Ich schmunzele. Vielleicht sollte ich meine Unterrichtsmethode ändern. Grübelnd rauche ich die Zigarette zu Ende und zerdrücke sie dann in den Aschenbecher auf dem Terrassentisch. Seltsames Mädchen war das. Noch nie in meinem Leben habe ich so ein seltsames Mädchen gesehen. Aber vielleicht liegt es dann doch nur wegen meiner kurzen Lehrerzeit, ich meine, ein Jahr und ich benehme mich so, als wäre ich ein 50-jähriger Lehrer, der schon alles erlebt hat, bis hin zu noch verrückteren Amokläufern. Plötzlich höre ich Schritte hinter mir. Ich blicke mich um und sehe Mizuki. Sie steht an der Terrassentür und lehnt ihren Kopf dagegen, während sie schläfrig lächelt. Ihre langen, dunklen Haare sind zerzaust vom Schlafen. „Ryo? Bist du fertig mit deiner Arbeit?“, fragt sie leise und reibt sich die Arme. „Es ist noch kühl draußen. Komm rein und leg dich schlafen. Du musst morgen früh aufstehen.“, sagt sie und streckt die Hand nach mir aus. Ich gehe zu ihr und lächele leicht. „Habe ich dich aufgeweckt, Mizuki?“, frage ich leise, während sie die Terrassentür hinter uns schließt. Sie schüttelt lächelnd den Kopf. „Nein, keine Sorge. Ich bin aufgewacht und habe bemerkt, dass du noch nicht im Bett warst. Komm ins Bett. Schließlich hast du morgen viel zu tun.“ Ich schnaube leicht, während ich sie ins Schlafzimmer mitziehe. „Kleine Schüler nerven? Das ist wahrlich eine anstrengende Aufgabe…“ Sie kichert, als sie dann darauf erwidert: „Aber du kannst es nicht lassen.“ Sie setzt sich mit aufs Bett und streichelt mir über die Wange. „Du wolltest schon immer Lehrer werden und hast dich durchgesetzt.“, sagt sie sanft. Ich nicke leicht und umfasse ihre Hand an meiner Wange. „Ich habe mich durchgesetzt. Mit Erfolg.“ Ich breite die Decke aus und Mizuki legt sich hin, während sie meine Hand nicht loslässt. „Leg dich auch hin. Ich bin noch immer ganz müde…“, murmelt sie und gähnt. Ich lache leise und küsse sie auf die Stirn. „Gute Nacht.“, flüstere ich ihr ins Ohr und drücke sanft ihre Hand. Sie lächelt und schließt die Augen. Ich lege mich auf die andere Seite und schließe ebenfalls meine Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)