Strawlemon and Citrusberry von lullulalla (Bittersüß und Süßsauer, bitte!) ================================================================================ Kapitel 2: Unsympathisch ------------------------ Mimi Zu Hause angekommen, lege ich meine sieben Sachen neben meinen Schreibtisch. Ich schaue auf die Uhr. Fast sieben Uhr. Uff. Abendessen muss ich auch noch. Schon am ersten Schultag haben wir Unmengen von Hausaufgaben bekommen. Naja, zum Glück muss ich keine Strafaufgabe machen. Wenigstens eine kleine Erleichterung. Ich seufze mit einem Lächeln im Gesicht. Dann allerdings runzele ich die Stirn. Am Ende bin ich zu dem Schluss gekommen, dass er einfach keine Lust hatte, eine Strafarbeit einer Schülerin zu korrigieren. Zwar habe ich am Anfang noch gedacht: Wow, er ist echt nett! Obwohl ich ihn so lächerlich gemacht habe, hat er mir verziehen! Was für ein toller Lehrer er doch ist! Doch jetzt habe ich versucht logisch zu denken, so wie Aiko-chan es mir immer und immer wieder geraten hat, doch mal vernünftig zu denken und zu sein. Na, was sagst du nun, Aiko-chan? Habe ich das nicht super toll analysiert? Hm, mir fällt ein, ich muss sie sowieso noch einmal anrufen. Schließlich hat sie vorhin noch gesagt, als alle nach Hause gegangen sind und ich zum Lehrerzimmer gehen musste, dass ich sie nochmal anrufen soll, damit sie weiß, dass es mir gut geht und Kano-sensei mir keinen Kopf kürzer gemacht hat. Also gut. Ich greife nach meinem Oldtimer-Handy (So nenne ich es, weil es ein super altes, fettes Ding ist mit dieser Antenne oben drauf. Ich glaube jedenfalls, dass es eine Antenne ist.), was ich von meiner Großmutter bekommen habe. Sie hat mir vor meinem Umzug noch mit erhobenen Finger gesagt: „Mimi, ruf jede Woche mindestens einmal an, damit ich weiß, dass es dir gut geht, verstanden? Schließlich mache ich mir immer Sorgen um dich, sogar, wenn ich bei dir bin, Schatz.“ „Ja, O-baa-chan.“, habe ich dann gesagt und gelächelt. Ich suche die Nummer von Aiko-chan heraus und wähle die grüne Anruftaste. „…..Himura Aiko hier. Mimi, bist du das? Alles okay bei dir?“, kommt es gedämpft von der anderen Seite. Ich lächele. Immer besorgt, unsere Aiko-chan. „Aiko-chan! Ja, alles okay. Hast du schon gegessen?“ Sie seufzt. „Du redest immer nur vom Essen.“, sagt sie und schnalzt mit der Zunge. Ich lache und frage dann: „Ist ja gut. Ich sollte mich doch bei dir melden. Es ist alles super gelaufen mit Kano-sensei. Er hat mich nicht aufgefressen, keine Sorge. Ich hab nicht einmal eine Strafaufgabe bekommen!“ „Wow, echt?? Das ist ja super nett von ihm!“, ruft sie erstaunt. Schief lächelnd sage ich dumpf: „Naja, ob das damit zu tun hat, weiß nur der liebe Gott.“ „Wie meinst du das?“, fragt sie verblüfft. Ich seufze. „Ich habe nur nachgedacht, so wie du es mir gesagt hast. Schließlich sagst du doch ständig, dass ich viel zu übermütig bin und verrückte Dinge tue, bevor ich darüber nachdenke.“ „Das stimmt ja auch! Du bist die impulsivste Person, die mir je untergekommen ist, Mimi.“, schimpft sie und ich verdrehe die Augen. „Jaja, willst du nun meine Theorie hören oder nicht?“ „Ist ja gut. Schieß los.“ Ich mache eine demonstrative Pause, als ich dann loslege: „Kano-sensei hat die ganze Zeit nur doof geguckt und gelächelt, als ich ihn angefleht habe, mir zu verzeihen. Entweder ist er ein Sadist, der es genossen hat, mich leiden zu sehen und mich dann gehen zu lassen, oder irgendetwas anderes hat ihn dazu getrieben, mir keine Strafaufgabe zu geben. Am Ende bin ich zu dem Schluss gekommen, dass er einfach keine Lust hat, diese Aufgabe zu korrigieren. Ich meine, welcher Lehrer hat schon Lust noch mehr zu arbeiten als ohnehin schon? Jedenfalls habe ich ihm dann gesagt, dass er doch nicht so ein doofer Lehrer ist, wie ich erst gedacht habe. Der erste Eindruck täuscht halt. Allerdings habe ich ja gerade gesagt, dass er doch irgendwie doof ist. Also fand ich ihn wohl am Anfang ziemlich doof, dann nicht mehr doof, und jetzt ist er irgendwie nur noch ein bisschen doof…“ Ich runzele die Stirn über meinen Wortwirbel. „Aiko-chan, was habe ich da bitte gelabert?“ Ich höre ein stummes Lachen aus dem Handy. „Ach Mimi. Mimi, Mimi, Mimi. Du bist einfach so verrückt und gestört, dass ich einfach nur lachen kann. Welche Schülerin sagt einem Lehrer ins Gesicht, dass man ihn doof findet? Hahaha, das kannst auch wirklich nur du, Mimi. So offen und verrückt, wie du bist.“ Sie kriegt sich kaum ein vor Lachen. Ich bleibe stumm und überlege, was sie gesagt hat. Habe ich mich etwa noch lächerlicher gemacht, als ohnehin schon? Wird Kano-sensei jetzt denken, dass ich total bekloppt bin und ich besser in die Irrenanstalt gehöre? Aiko-chan ist fertig mit lachen, als sie dann keuchend vor Bauchschmerzen sagt: „Aua, ahaha. Man, Mimi. Du machst mich fertig. Aber… mir fällt auf. Das ist das erste Mal, dass du über eine männliche Person so viel redest. Hast du dich etwa verguckt?“, sagt sie verschwörerisch. Ich bekomme ganz große Augen, als ich Luft schnappe. „Aiko-chan! Was redest du denn da für ein Schwachsinn!! Ich-, ich erzähl dir doch die ganze Zeit, wie doof ich Kano-sensei finde! Wie kannst du nur so etwas sagen! Wie-…“, ich bringe die Worte kaum aus meinem Mund. Sie lacht wieder. „Das war doch nur ein Scherz, Mimi! Mensch, alles in Ordnung. Ich habe dich nur verarscht!“ Ich senke den Kopf und atme tief aus. „So etwas ist nicht lustig! Er ist ein Lehrer! Meine erste Liebe soll kein doofer Lehrer sein!“ „Niemand weiß, wo die Liebe hinfällt.“, sagt sie nur und ich kann mir vorstellen, wie sie gerade grinst. „Meine Liebe fällt garantiert nicht in einen Tümpel voller Englischbücher!“, versichere ich ihr und hebe stolz meine Nase in die Höhe. „In was für einen Typen würdest du dich denn gerne verlieben, wenn du es dir aussuchen könntest?“, wollte sie wissen. Ich richte mich sofort auf, und beginne meine Wunschliste herunter zu rattern: „Er soll lieb sein, total fürsorglich, wie ein Gentleman. Er soll nur mich ansehen, lustig sein und clever! Am besten jemanden aus dem Baseball-Klub! Ich konnte vorhin einen Blick auf sie werfen, als wir draußen gefrühstückt haben! Oh mein Gott, sahen die gut aus! Unglaublich! Es soll einer sein, der mich total süß anlächelt und… whahh!!!“, ich flippe gleich aus!! „Das ist aber eine lange Liste.“, sagt Aiko-chan. Ich lächele beschämt. „Er soll einfach perfekt sein!“, murmele ich lächelnd und werde rot. „Dann hoffe ich mal, dass deine erste Liebe perfekt wird.“, sagt sie freundlich. Das ist total süß von Aiko-chan. „Danke, Aiko-chan! Deshalb hab ich dich so lieb! Wegen deinen lieben Worten!“ Sie lacht leise. „Kein Problem, Mimi. Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin.“ Natürlich weiß ich das! Aiko-chan ist die Beste! „Sag mal Aiko-chan, was ist denn mit dir? Wie sieht denn deine Liebeswunschliste aus?“, frage ich sie neugierig. Die Antwort kommt sofort. „Ich brauch so was nicht. Einen Freund kann ich überhaupt nicht gebrauchen. Für den hätte ich auch gar keine Zeit.“ Ich runzele die Stirn und mache einen Schmollmund. Das ist doch nicht ihr Ernst, oder? „Aber denk doch mal nach! Ein Freund! Ein Freund , Aiko-chan! Mit ihm kannst du alles zusammen machen! Händchen halten, in einen Vergnügungspark gehen, Liebesbriefe schreiben-…“ Sie unterbricht mich: „Liebesbriefe schreiben?? Das ist ja mal so was von altmodisch und eklig! Bah! Nein, danke! Darauf kann ich wirklich verzichten!“, sie lacht wieder los. Ich versuche sie umzustimmen: „Aber du verstehst nicht! Du bist immerhin schon 15! Erste Liebe! Erster Kuss! Und besonders du bist doch so beliebt bei den Jungs!“, sage ich leidenschaftlich, immer noch versucht, sie umzustimmen. „So was brauch ich nicht, Mimi. Du, ich muss jetzt auflegen, schau mal auf die Uhr! Ich wette, du musst noch Hausaufgaben machen! Vergiss später nicht, den Wecker zu stellen! Du hast schließlich heute verschlafen! Ich rufe dich morgen lieber zur Sicherheit an, damit du nicht wieder verpennst! Verstanden?“, rügt sie mich. Ich versuche noch etwas zu sagen, als sie dann schon sagt: „Bis morgen!“ Und weg ist sie. „Bis morgen.“, murmele ich. Mission gescheitert. Ich lasse mich auf das Bett plumpsen und starre auf die Decke, missmutig und faul mich zu bewegen. Hausaufgaben… Ich stöhne. Oh nein. Der erste, katastrophale Schultag ist vorbei, und meine Motivation ist dahin. Na gut. Der heutige Tag zählt nicht! Genau. Heute war nur… eine Schnupperstunde! Ja! So ist es! Der erste Schultag beginnt eigentlich morgen! Gut, Mimi, du stehst jetzt auf, gehst unter die Dusche und machst dann gefälligst deine Schnupper-Hausaufgaben für morgen! Dann stellst du den Wecker und gehst ins Bett! Meine innere Stimme weist mich zurecht. Auf geht’s! „Wow, du hast ja echt nicht verschlafen.“, meint Aiko-chan erstaunt, als ich mich auf mein Stuhl hinplumpsen lasse. „Hn…“, mache ich nur und lege meinen Kopf auf den Tisch. Ich bin total müde. Nachdem ich fast zwei Stunden für die Schnupper -Hausaufgaben gebraucht hatte, habe ich festgestellt, dass mein Wecker seinen Geist aufgegeben hatte. Weil mein Oldtimer-Handy keine Multifunktion mit einem Weckruf hat, habe ich es auf laut gestellt und direkt an meinem Ohr gelegt, damit ich den Anruf von Aiko-chan auch wirklich höre. Zum Glück hat Aiko-chan früh genug angerufen, sodass ich nicht verschlafen konnte. Sie ist wirklich die beste Freundin, die man sich wünschen kann! „Mal schauen, was für Fächer wir heute haben…“, sagt sie und schaut auf das Klassenbrett an der Wand. „Wir haben heute Hauswirtschaft, Naturwissenschaften, Sport und Japanisch! Alles im Doppelpack.“, sagt sie und stöhnt genervt. Meine Motivation ist unter null. Ich setze mich auf und lege mein Kinn in meine Hände, während ich durch den Klassenraum schaue. Die meisten Schüler haben sich in Grüppchen zusammengesetzt und unterhalten sich. Bisher konnte ich noch keinen richtigen Blick auf meine neuen Klassenkameraden werfen. Ich schaue zu, wie ein Mädchen einen Jungen auf den Kopf haut, als er versucht hat, ihre Hausaufgaben wegzunehmen. Ich lächele verschmitzt. Plötzlich wird mein Blick von etwas anderem angezogen. Ich schaue nach rechts und sehe, dass ein Junge, mit kurzen braunen Haaren mich anschaut. Ich blinzele und schaue schnell weg. Habe ich mich vielleicht verguckt? Ich linse noch einmal zurück und bemerke, wie auch er verschämt den Kopf wegdreht. Ich schlucke und werde prompt rot. Galt der Blick wirklich mir? Hat er mich gerade angeschaut? Ich merke, wie mein Herz anfängt schneller zu pochen und setze mich mit geraden, angespannten Rücken hin. Ich traue mich nicht, ihn noch einmal anzugucken. Feige, wie ich bin, schaue ich Aiko-chan zu, wie sie sorgfältig den Stundenplan in ihr kleines Notizheft abschreibt. Vielleicht… vielleicht hat er ja gar nicht mich angeschaut. Vielleicht hat er Aiko-chan gemeint. Ja, das klingt logischer. Ich atme tief ein und aus und versuche mich zu entspannen. Natürlich. Jeder würde Aiko-chan nehmen wollen, wenn er sich für uns beiden entscheiden müsste. Sie ist viel hübscher und klüger als ich. Mit ihren langen, goldenen Haaren sieht sie aus wie ein Engel. Sogar ich bewundere sie. Ich muss selber über mich lachen. Schlag es dir aus dem Kopf, Mimi. Die Liebe kommt nicht so schnell, wie du denkst. Ich seufze. Plötzlich spricht mich Aiko-chan an: „Ich finde, in letzter Zeit bist du nur am Seufzen. Was ist denn los? Hat es dich etwa erwischt?“ Sie grinst mich verschmitzt an. Ich werde rot und denke wieder an die Herzklopfen, die ich bis eben noch hatte. „Ach quatsch, Aiko-chan. Ich bin einfach nur müde. Wir hatten einfach zu viele Hausaufgaben auf…“, versuche ich mich schnell auszureden. Sie wollte noch etwas sagen, als die Klassentür auf einmal aufgeht, und unsere Klassenlehrerin Hoshino-sensei herein marschiert. Und so beginnt mein zweiter – pardon – erster, richtiger Schultag an der Oberschule. „Ich kauf mir mal eben ein Brötchen, okay?“, rufe ich Aiko-chan zu, während ich aus der Klasse rausrenne. Eben hat uns die Schulglocke die große Pause mitgeteilt und ich habe einen Bärenhunger! Da ich mir diesmal kein Bento (mit Gemüse) mitgebracht habe, wollte ich mir etwas aus der Mini-Bäckerei in der Mensa holen. Auf dem Flur sind die meisten Schüler auf den Weg nach draußen. Ich verlangsame meine Schritte und schaue in die Richtung der Schüler in den höheren Klassen an. Wow, wie erwachsen sie schon aussehen. Die meisten stehen zusammen und unterhalten sich, während vereinzelte Personen auf den Treppen sitzen und eifrig in ihren Heften schreiben. Ohne nach vorne zu blicken, gehe ich weiter, während ich die älteren Schüler immer noch bewundere. „Autsch!“, rufe ich laut und falle prompt auf meinen Hintern hin. Aua, Mist. Ich hebe meinen Kopf und – oh Schock - blicke direkt in das Gesicht von Kano-sensei. „Nein! Nicht ausgerechnet er!“, kommt es mir in den Sinn und erstarre. Unfähig mich zu bewegen, starre ich nur in sein Gesicht, während er mit einem genervten Gesichtsausdruck auf mich hinunterschaut. Er beugt sich zu mir runter, packt meinen Arm und zieht mich hoch auf die Beine. Ich schlucke. Na toll, Mimi, das hast du wieder mal super hinbekommen! Meine innere Stimme schimpft mich aus und stemmt ihre Hände in die Hüften. „Beim Laufen sollte man nach vorne schauen, junge Dame.“, sagt er ruhig und spöttisch. Junge Dame? Aus welchem Jahrhundert ist das denn?? Ich beiße mir auf die Lippen. „Tut mir leid. Ich war abgelenkt.“, erwidere ich, ebenfalls versucht mit ruhiger und freundlicher Stimme zu antworten. „Jaa, das ist mir aufgefallen.“, meint er und lächelt wieder dieses Manno-man-bist-du-doof-Lächeln. „Ja, sorry! Ich werd ab jetzt aufpassen!“, sage ich, weniger freundlich. Meine Schlussfolgerung gestern war richtig! Er ist ein arroganter, wichtigtuerischer Idiot! Er zieht die Augenbrauen hoch. „Du bist doch nicht etwa auf irgendeiner Art und Weise sauer auf mich ?“, sagt er mit gespielter Ungläubigkeit. Wie bitte?? Ich balle meine Hände zu Fäusten. Er fährt fort: „Dabei war ich so freundlich zu dir, gestern und auch heute. Anscheinend bist du jemand, der alleine nichts… auf die Reihe bekommt, na? Was denkst du?“ Er lächelt. Ich glühe. Verkackter, idiotischer…Idiot!!! Ich lächele auch, genauso freundlich wie er und sage: „Ach, Kano-sensei. Ich denke nicht, dass ein Lehrer so etwas zu einer Schülerin aus dem ersten Schuljahrgang sagen sollte. Haben sie denn nichts in ihrer Studienzeit gelernt?“ Ich spüre, wie meine Stirnader anfängt wütend zu pochen. Leises Raunen geht durch den Flur. Ich zucke zusammen und linse zu den anderen herüber. Einige Schüler haben unsere Unterhaltung mitbekommen und flüstern sich eifrig etwas zu, während sie mit den Fingern auf mich zeigen. Ich presse meine Lippen fester zusammen. Was denn? Nur weil er ein Lehrer ist, heißt es noch lange nicht, dass er sich alles erlauben darf! Ich schließe kurz meine Augen und blicke dann wieder in das Gesicht von Kano-sensei. Er sieht aus, als würde er sich das Lachen verkneifen. „Natürlich. Du hast vollkommen Recht. Ich hatte allerdings gehofft, dass ich ein „Danke“ von dir bekomme, anstatt dass du mich zurechtweist. Gestern jedenfalls warst du noch so höflich. Ach, und nicht zu vergessen, dass du mir so offen und ehrlich gesagt hast, wie toll du mich doch findest.“ Kann mich bitte jemand umbringen? „Das habe ich ganz sicher nicht gesagt! Außerdem habe ich meine Meinung wieder geändert! Ich finde sie immer noch doof!“ Erschrocken halte ich die Hände vor meinen Mund. Vorsichtig blicke ich ihn an. In seinem Gesichtsausdruck erkenne ich Überraschung. Plötzlich fängt er wirklich an zu lachen. Ich schaue ihn mit großen Augen an. Er lacht? Der Mr. Ich-bin-ein-Eisblock-also-kommt-mir-bloß-nicht-zu-nahe-wenn-ihr-nicht-eingefroren-werden-wollt lacht ???? Zugegeben, ich kenne ihn nicht mal ansatzweise, aber er hat auf mich bisher nicht den Eindruck gemacht, als würde er ein großer Scherzkeks sein. Dann fällt mir auf einmal wieder ein, dass ich mich immer noch nicht bei ihm bedankt habe. Ich grummele innerlich und höre die Worte meiner Großmutter in meinem Kopf, die mich schon seit klein auf gelehrt hat: „Egal, ob Feind oder Freund! Wenn du Hilfe bekommen hast, bedanke dich!“ Ja, Großmutter. Ich weiß, aber… können wir hier keine Ausnahme machen?? Wieder schließe ich kurz die Augen. Okay, machen wir’s kurz und schmerzlos und vergessen dann die Sache. Wegen Kano-arroganten-sensei habe ich meine halbe Pause schon vergeudet. „Sie haben natürlich Recht, Kano-sensei. Ich danke Ihnen für die Hilfe für eben und auch für gestern! Sie sind ein wirklich unglaublich toller Lehrer!“, sage ich gezwungen und verbeuge mich kurz. Dann drehe ich mich entschlossen um und stolziere davon, ohne mich nochmal umzublicken. Dieser Lehrer treibt mich in den Wahnsinn!!!! Kano-Sensei Es ist dunkel draußen. Ich schaue auf die Digitaluhr, die neben meinem Laptop steht. Es ist 3:42 Uhr. Ich lehne mich zurück und reibe mir kurz übers Gesicht. Wie schnell die Zeit vergangen ist. Ich fange an, meine Unterrichtssachen für den morgigen Tag einzupacken und stehe dann auf. „Wo sind wieder meine Zigaretten?“, murmele ich vor mich hin, während ich meine Lesebrille ablege. Die Zigaretten finde ich in der Küche auf der Theke. Auf dem Weg zur Terrasse, werfe ich einen Blick kurz ins Schlafzimmer. Ich lächele leicht. Sie schläft tief und fest. Hoffentlich hat sie nicht gewartet, bis ich fertig war. Ich öffne die Terrassentür und blicke auf die vielen Häuser unter mir. Vereinzelte Fenster sind noch beleuchtet, die meisten aber sind dunkel. Ich zünde meine Zigarette an und atme tief ein. Das neue Schuljahr hat begonnen und für mich ist nun das erste Jahr als Lehrer vorüber. Ein Jahr bin ich nun schon Lehrer. Ein Jahr ist es her, seit ich hierher gezogen bin. Endlich weg von allem. Endlich alleine. „Naja, fast alleine.“, überlege ich. Meine Freundin und Fast-Verlobte nicht zu vergessen. Seit drei Jahren sind wir jetzt zusammen und vor ein paar Wochen ist sie hier eingezogen. Wie die Zeit vergeht. Ich ziehe nochmal an der Zigarette. Ich komme mir vor wie ein alter, missmutiger Sack. Mir fallen die Worte von der einen Schülerin ein: „Schlimmer, doofer, gemeiner Lehrer! Ich dachte, sie seien genauso wie mein alter Mittelschullehrer, der alle immer nur runtergemacht hat.“ Ich schmunzele. Vielleicht sollte ich meine Unterrichtsmethode ändern. Grübelnd rauche ich die Zigarette zu Ende und zerdrücke sie dann in den Aschenbecher auf dem Terrassentisch. Seltsames Mädchen war das. Noch nie in meinem Leben habe ich so ein seltsames Mädchen gesehen. Aber vielleicht liegt es dann doch nur wegen meiner kurzen Lehrerzeit, ich meine, ein Jahr und ich benehme mich so, als wäre ich ein 50-jähriger Lehrer, der schon alles erlebt hat, bis hin zu noch verrückteren Amokläufern. Plötzlich höre ich Schritte hinter mir. Ich blicke mich um und sehe Mizuki. Sie steht an der Terrassentür und lehnt ihren Kopf dagegen, während sie schläfrig lächelt. Ihre langen, dunklen Haare sind zerzaust vom Schlafen. „Ryo? Bist du fertig mit deiner Arbeit?“, fragt sie leise und reibt sich die Arme. „Es ist noch kühl draußen. Komm rein und leg dich schlafen. Du musst morgen früh aufstehen.“, sagt sie und streckt die Hand nach mir aus. Ich gehe zu ihr und lächele leicht. „Habe ich dich aufgeweckt, Mizuki?“, frage ich leise, während sie die Terrassentür hinter uns schließt. Sie schüttelt lächelnd den Kopf. „Nein, keine Sorge. Ich bin aufgewacht und habe bemerkt, dass du noch nicht im Bett warst. Komm ins Bett. Schließlich hast du morgen viel zu tun.“ Ich schnaube leicht, während ich sie ins Schlafzimmer mitziehe. „Kleine Schüler nerven? Das ist wahrlich eine anstrengende Aufgabe…“ Sie kichert, als sie dann darauf erwidert: „Aber du kannst es nicht lassen.“ Sie setzt sich mit aufs Bett und streichelt mir über die Wange. „Du wolltest schon immer Lehrer werden und hast dich durchgesetzt.“, sagt sie sanft. Ich nicke leicht und umfasse ihre Hand an meiner Wange. „Ich habe mich durchgesetzt. Mit Erfolg.“ Ich breite die Decke aus und Mizuki legt sich hin, während sie meine Hand nicht loslässt. „Leg dich auch hin. Ich bin noch immer ganz müde…“, murmelt sie und gähnt. Ich lache leise und küsse sie auf die Stirn. „Gute Nacht.“, flüstere ich ihr ins Ohr und drücke sanft ihre Hand. Sie lächelt und schließt die Augen. Ich lege mich auf die andere Seite und schließe ebenfalls meine Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)