Prophecy von ChocolateChip (Frühlingswichteln 2014) ================================================================================ Kapitel 1: First Dream ---------------------- First Dream   In wenigen Tagen war sehr viel passiert, er konnte es gar nicht glauben. Von einem Moment auf den anderen hatte sich sein ganzes Leben geändert. Er war völlig durcheinander, hatte nichts machen können, und weil die wichtigste Person ihm genommen worden war, saß er nun hier, nutzlos und allein. Gilbert hatte sich frische Kleidung angezogen und sich in sein Bett verkrochen, nachdem Xerxes Break ihn wieder zurückgebracht hatte. Der vierzehnjährige Junge wusste nicht, wo ihm der Kopf stand, und die Wunde in seiner Brust schmerzte sehr. Als er Hals über Kopf weggelaufen war, war seine Wunde wieder aufgerissen und man hatte den Arzt erneut rufen müssen. Er war einfach so durcheinander gewesen, dass er nicht genau wusste, was er tat. Es war ihm auch egal. Er hatte trotz Schmerzen die Beine angezogen und seine Arme um sie geschlungen. Mit dem Weinen hatte er schon lange aufgehört, denn das würde seinen Meister und besten Freund auch nicht wieder zurückbringen. Oz Bezarius wurde von seinem eigenen Vater in den Abyss gestoßen und er würde mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr wiederkommen. Ob es wirklich einen Weg gab, so wie dieser Clown ihm versichert hatte, wagte er zu bezweifeln. Wer einmal im Abyss gefangen war, konnte ihm nicht mehr entfliehen. Immer wieder drängte sich die Frage in seinen Kopf, wie alles nur dermaßen schief gehen konnte. Es kam ihm vor, als sei es erst gestern gewesen, als Oz ihm sein Gewand mit der Bitte überreichte, an seiner Coming of Age-Zeremonie teilzunehmen. Im nächsten Moment musste er hilflos zusehen, wie sein Körper, von einer fremden Macht gelenkt, versuchte, Oz zu erstechen. Dass dieser dann auch noch von seinem eigenen Vater in den Abyss gestoßen wurde, ließ ihm sauer aufstoßen. Er würde Oz nie verraten, wer an allem Schuld war, das hatte er sich geschworen. Der junge Bezarius hatte durch seinen Vater schon so viel Schmerz ertragen müssen, dass dieser ihn auf jenem Wege loswerden wollte, brauchte er nicht zu wissen. Niemals. Gilbert konnte sowieso nicht verstehen, wie ein Vater seinen eigenen Sohn so sehr hassen konnte, denn gegenüber Ada zeigte er ein ganz anderes Gesicht. Seine Tochter wurde von ihm geliebt. Auch wenn Onkel Oscar Oz mit all seiner Liebe überschüttete - so wie ihn auch -, die Liebe eines Vaters konnte er nicht ersetzen und Gil sah tagtäglich, wie einsam sein Meister sich fühlte. Doch Gilbert hatte sich entschlossen. Er würde das Haus Bezarius verlassen und sich von den Nightrays adoptieren lassen. Scheinbar, das hatte er gehört, gab es dort einen Blutsverwandten von ihm. Es war den Nightrays zu Ohren gekommen, dass die Bezarius' genau wie sie einen heimatlosen Jungen aufgenommen hatten. Ihm stockte der Atem, als er von der Beschreibung des schwarzhaarigen Jungen hörte. Vincent Nightray hatte in Gilbert seinen verlorenen älteren Bruder wiedergefunden und die Nightrays hatten das Angebot vorgelegt, Gilbert bei sich aufzunehmen, damit die Brüder wieder vereint wären. Gilbert schwirrte immer noch der Kopf. Er konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, einen Bruder gehabt zu haben; jedoch konnte er sich an die Zeit, bevor er den Bezarius' diente, auch nicht erinnern, also war es doch durchaus möglich, dass er Geschwister hatte. Beide Jungen hatten außerdem merkwürdige Wunden aufgewiesen, die sich keiner erklären konnte, und Vincent sollte angeblich ein goldenes Auge haben, so wie Gilbert beide hatte. Da dies sehr selten war, war es ein weiterer Beweis der Verwandtschaft. Also würde Gilbert aufbrechen, nachdem seine Wunden verheilt waren. Die Müdigkeit drohte, ihn zu übermannen, also legte sich der Junge hin, um zu schlafen, doch ein Klopfen an der Tür holte ihn in die Realität zurück. Er murmelte ein ‚Herein‘, jedoch bezweifelte er, gehört worden zu sein. Die Tür öffnete sich dennoch mit einem Knarzen und ließ etwas Licht aus dem Flur herein. Gilbert hatte die ganze Zeit in Dunkelheit dagesessen und wollte auch jetzt noch kein Licht. Sein Besucher schien zu verstehen und schloss die Tür wieder hinter sich, ohne Licht mit sich ins Zimmer zu bringen. „Habe ich dich geweckt, Gilbert?“, fragte eine Mädchenstimme sanft. Gilbert erkannte sie sofort als die von Sharon Rainsworth. Er hörte, wie ihr Kleid raschelte, als sie näher ins Zimmer kam und bei seinem Bett stehen blieb. Gilbert hatte sich vorsichtig zu ihr gedreht und versuchte, in der Dunkelheit ihre Silhouette auszumachen. „Nein, ich habe nicht geschlafen“, meinte der Junge, nachdem er sicher war, dass man ihm die Schmerzen nicht anhörte. Man hatte ihn schon genug ausgeschimpft, als er mitten im Regen davongelaufen war. Es war ein Wunder, dass er sich keine Erkältung zugezogen hatte. Er versuchte, sich wieder aufzurichten, um Sharon ein wenig den Respekt zollen zu können, den sie verdiente, doch sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn wieder in die Kissen. „Bleib ruhig liegen. Sonst geht deine Wunde nur wieder auf und wir müssen wieder mit dir schimpfen. Ich werde sowieso nicht lange bleiben. Ich wollte nur nach dir sehen“, erklärte das Mädchen und nahm auf einem Stuhl neben dem Bett Platz. Gilbert konnte ausmachen, dass sie ihn anlächelte. Er konnte spüren, wie sich seine Wangen erhitzten, und war dankbar für die Dunkelheit. Er hasste es ungemein, immer so schnell verlegen zu werden, aber er konnte es einfach nicht ändern. „Ich habe von Xerxes gehört, was passiert ist. Ich kann sehr gut verstehen, wieso du auf einmal weg wolltest. Es ist sehr viel in sehr kurzer Zeit passiert. Und dann erfährst du auch noch, dass du einen Bruder hast und dass du bei ihm, also der Familie Nightray, leben sollst. Es ist bestimmt alles sehr verwirrend für dich“, meinte Sharon sanft. Und Gilbert hatte wirklich das Gefühl, dass sie ihn verstand. „Stimmt. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, einen Bruder gehabt zu haben“, erklärte Gilbert und seufzte. Er hatte Sharon und Xerxes bereits erklärt, dass er sich an nichts vor seinem Leben bei den Bezarius erinnern konnte. „Du bist bestimmt sehr verwirrt. Wie geht es dir eigentlich?“, fragte Sharon dann. Gilbert wollte zu einer automatischen Antwort anlegen, als ihm auffiel, dass das bis jetzt keiner gefragt hatte. Nur sehr wenige Leute waren bis jetzt bei ihm gewesen und alle hatten sie nur wissen wollen, wie er sich entscheiden würde. Wollte er bei den Bezarius bleiben oder doch zu den Nightrays gehen? Alle hatten sie zu einer Antwort gedrängt, aber bis jetzt hatte keiner offen gefragt, wie es ihm ging. Dies trieb ihm die Tränen in die Augen, doch er riss sich zusammen und schluckte den dicken Kloß im Hals herunter. „Mir… Mir geht’s…“ Da stockte Gilbert. Er wusste selbst nicht so recht, wie es ihm ging. In seinem Kopf herrschte ein Durcheinander und ein Gedanken jagte den anderen. Er drehte sich beschämt weg, doch Sharon hatte nach seiner Hand gegriffen. „Ist schon gut. Du brauchst nicht zu antworten. Nicht jetzt. Ich werde wieder gehen und du kannst noch ein wenig schlafen, immerhin ist es schon spät. Ich werde morgen noch einmal nach dir sehen, also mach dir keine Gedanken.“ Fast hätte Gilbert ihr nicht geglaubt, dass sie so alt wie er selbst war, fast noch ein Kind. Doch in seiner Müdigkeit nahm er es hin. Sharon war ein Mädchen und die waren für gewöhnlich reifer als die Jungen. Gilbert unterdrückte ein herzhaftes Gähnen, da er in Gegenwart einer Dame nicht unhöflich sein wollte, doch ganz konnte er es nicht verstecken. Sharon machte sich jedoch nichts daraus und hielt sich die Hand damenhaft, doch kichernd, vor den Mund, während sie dies tat. Es war ein schönes Kichern, dachte Gilbert, als ihm die Augen zufielen. Das Rascheln von Stoffen ließ ihn die Augen erneut kurz öffnen und er erkannte, dass Sharon sich erhoben hatte, um zu gehen. „Gute Nacht, Gilbert“, flüsterte Sharon, um den Jungen, falls er eingeschlafen war nicht zu wecken. „Gute Nacht“, murmelte Gilbert verschlafen zurück und schloss erneut die Augen. Er konnte sie nicht lange genug offen behalten, bis Sharon das Zimmer verlassen hatte. Im Halbschlaf hörte er noch, wie sie zu jemand anderem murmelte ‚Bitte pass auf ihn auf‘, ehe sie das Zimmer verließ und die Tür wieder mit einem leisen Klick geschlossen wurde.   Es war stockdunkel. Er konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen und doch rannte er einfach los. Er hatte das Gefühl, einfach nur rennen zu müssen, vor etwas fliehen, von dem er nicht einmal wusste, was es war, doch seine Beine bewegten sich wie von selbst weiter durch diese undurchdringliche Dunkelheit, die kein Ende zu nehmen schien. Erst als er kaum noch Luft bekam, blieb er stehen und japste nach Sauerstoff. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sich sein Puls wieder beruhigt und er atmete wieder ruhiger. Er wagte noch einmal den Blick um sich herum, doch immer noch war alles schwarz. Panik versuchte, nach seinem Herzen zu greifen doch er versuchte, sie niederzukämpfen. Er durfte nicht in Panik verfallen, wenn er von hier weg wollte, wo auch immer das war. Erneut setzte er an, zu laufen, doch als er wieder nach vorne sah -  war das wirklich vorne? -,  sah er auf einmal ein Licht. Vorhin war es noch nicht da gewesen, da war er sich sicher. Sein Kopf sagte ihm, er solle es ignorieren, doch sein Gefühl trieb ihn dazu, darauf zuzugehen. Und seine Gefühle obsiegten. Vorsichtig ging er auf das Licht zu, das sehr schnell näher zu kommen schien. Er konnte die Augen noch schließen, ehe es ihn eingeholt hatte und gänzlich umhüllte. Dennoch blendete es ihn und er brauchte einige Momente, um seine Augen zu öffnen, ohne dass es schmerzte. Da schien das Licht sich wie von selbst zu dimmen und wurde etwas angenehmer. Woher es kam, konnte er nicht sagen. Es war einfach da. Doch der Anblick, der ihn erwartete, war es nicht. Aus der Dunkelheit rings um ihn herum waren dicke Ketten gespannt und hielten ein riesiges, vogelähnliches Monster gefangen. Vage erinnerte es an eine Krähe, doch da konnte er sich nicht sicher sein. Es hatte ihn noch nicht bemerkt, da es mit etwas ganz anderem beschäftigt zu sein schien. Er folgte dem Blick des Ungetüms und entdeckte eine Person. Sie war ganz in schwarz gekleidet und war wie das Monster mit Ketten gefesselt worden. Er trat näher heran, doch keiner schien ihn zu bemerken, denn der Blick des Monsters war immer noch auf die Person vor sich gerichtet. Da erkannte er einen Mann, der ihm irgendwie vertraut war und doch zugleich auch fremd. Er wollte gerade den Mund öffnen und fragen, wo er sich denn befand, da wurde ihm das Wort abgeschnitten. ‚Endlich bist du hier. Ich habe lange auf dich gewartet.‘ Die dunkle Stimme dröhnte mitten in seinem Kopf und er wusste, dass die riesige Kreatur gesprochen hatte. Ging es um ihn oder um den Mann vor sich? ‚So lange habe ich gewartet und erst jetzt wagst du es, hier vor mir zu erscheinen?‘ Er wollte der Kreatur antworten, weil der Mann passiv blieb, doch kein Wort verließ seine Kehle. Er fasste sich an den Hals und versuchte er noch einmal, doch nichts. Frustriert blickte er zu dem Vogelmonster, doch es blickte immer noch den schwarz gekleideten Mann an. ‚Über hundert Jahre habe ich auf dich gewartet. Viele waren hier, doch sie waren nicht du. Nur du bist es, den ich akzeptieren werde.‘ Er beobachtete das Spektakel weiterhin vor sich. Der Mann regte immer noch keinen Finger. Ob er bereits tot war? Er wollte schon auf ihn zustürmen und ihn vor dem Monster befreien, als dessen gigantisches Auge sich genau auf ihn richtete und ihn auf der Stelle festfrieren ließ. Angst packte ihn und ließ sein Herz in seiner Brust schmerzhaft hämmern. Er wagte es nicht, Luft zu holen, und wartete darauf, was passieren würde. ‚Raven!‘   Abrupt wachte Gilbert auf und keuchte so, als wäre er stundenlang gelaufen. Mit vor Schreck geweiteten Augen blickte er sich hektisch um. Er befand sich immer noch im Schlafzimmer, in dem er eingeschlafen war. Es war zwar noch dunkel, aber diese Dunkelheit war nicht mehr so erdrückend wie die in seinem Traum. Erleichtert atmete er aus. Sein rasender Herzschlag beruhigte sich auch langsam wieder und er legte sich wieder hin. Ein Traum. Es war nur ein alberner Albtraum gewesen. Seine Gedanken hatten ihn bestimmt bis in seine Träume verfolgt, denn Raven war der Chain, den die Nightrays beherbergten. Xerxes Break hatte ihm von diesem speziellen Chain erzählt, ihn darum gebeten seiner habhaft zu werden und ihm zu helfen, die Nightrays im Auge zu behalten. Bevor er zu Bett gegangen war, wusste Gilbert nicht, ob er diesem merkwürdigen Mann trauen konnte, doch er hatte das Gefühl, als hätte dieser Traum ihm etwas sagen wollen. Grübelnd blickte er an die Decke und überlegte, wie ernst er diesen Traum nehmen sollte. Solch einen Traum hatte er noch nie gehabt, doch für alles gab es ein erstes Mal, oder? Dann auch für solch merkwürdigen Träume, nicht wahr? Dieser Break hatte ihm auch erzählt, dass Raven der einzige Weg wäre, Oz wieder zurückzuholen. Ob es wirklich stimmte, wusste er nicht, aber eines wusste er gewiss: Er wollte Oz wieder aus dem Abyss befreien, koste es, was es wolle. In dieser Nacht traf der Junge eine Entscheidung. Entschlossen blickte er noch einmal zur Decke, drehte sich dann vorsichtig um und schlief wieder ein. Diesmal ließen ihm die Träume seinen Frieden.   Kapitel 2: Second Dream ----------------------- Second Dream   Jahre waren vergangen, seit Gilbert den Bezarius-Haushalt verlassen hatte, um zu den Nightrays zu ziehen und von ihnen adoptiert zu werden. Seit Jahren trug er nun den Namen Nightray und hatte sich erstaunlicherweise auch bei ihnen eingewöhnt. Neben Vincent, seinem leiblichen Bruder, hatte er noch andere Adoptivgeschwister, mit denen er sich mehr oder weniger arrangiert hatte. Als er damals das erste Mal auf Vincent getroffen war, hatte es ihm schier die Sprache verschlagen. Der blonde Junge hatte zwei verschiedenfarbige Augen, das eine rot und das andere so golden wie die Seinen. Er hatte sich wieder an seinen Namen erinnert und daran, überhaupt einen jüngeren Bruder zu haben. Vincent hatte eine merkwürdige Aura ausgestrahlt, die Gilbert sich nicht erklären konnte. Er hatte versucht, sich an mehr als nur den Namen seines Bruders zu erinnern, doch die Kopfschmerzen, die darauf folgten, schienen ihm den Schädel fast zu zersplittern, also hatte er es aufgegeben. Die Bilder in seinem Kopf waren so wirr gewesen, dass er sie nicht zuordnen konnte. Vincent hatte ihm versichert, dass alles nun gut sei, da sie nun wieder zusammen waren, also glaubte er ihm einfach. Auch er hatte gewollt, dass nun alles wieder gut wäre. Später noch am gleichen Tag hatte er Vincent nach Raven gefragt und der Jüngere hatte ihm den Weg zum Verlies, denn ein solches musste es sein, gewiesen. Die beiden hatten sich die vielen Treppen hinuntergeschlichen und Gilbert hatte es sogar gewagt, das Tor zu Raven zu berühren und zu ihm zu treten. Der Anblick des gewaltigen Chains hatte ihm die Sprache verschlagen. Es war alles genau wie in seinem Traum. Das Monster glich diesem bis auf‘s Haar. Was da passiert war, konnte er keinem erklären. Irgendwie hatte ihn das Gefühl beschlichen, endlich angekommen zu sein, und doch spürte er auch, dass es noch nicht soweit war; wofür wusste er nicht. Als Raven seine gewaltigen Flügel ausgebreitet hatte, hatte Vincent ihn wieder zu sich und aus dem Verlies gezogen. Der blonde Junge hatte ihm erklärt, dass er nicht von der Dunkelheit verschlungen werden sollte, die Raven umgab. Gilbert hatte es an dem Tag dabei belassen, aber sein Ziel stand fest. Er würde einen Vertrag mit Raven abschließen. Er würde tagtäglich dafür trainieren, um seiner würdig zu werden, auch wenn die wahren Nightrays ein Vorrecht auf diesen Chain hatten. Er würde es sein, der den Vogel bändigen würde. Und tatsächlich, nach Jahren bei den Nightrays, in denen er der Familie Bezarius aus dem Weg gegangen war, hatte er es geschafft. Raven gehörte nun ihm und somit auch dessen Name. Gilbert Nightray wurde zu Raven. Endlich hatte er einen Weg gefunden, um Oz befreien zu können. An diesen Tag würde er sich ein Leben lang erinnern. Nach fast zehn Jahren ging er wieder den Weg in das Verlies hinunter. Die Nachkommen der Nightrays hatten alle versagt und wurden von Raven abgelehnt, so lag es nun an ihm, es zu versuchen. Ohne zu zögern, schritt er zu dem Chain, der überrascht gewesen zu sein schien, ihn wiederzusehen. Ketten umschlangen den jungen Mann, doch er ließ sich nicht davon einschüchtern. Sie schnitten ihm ins Fleisch, sodass er blutete. Raven schleckte das Blut ab und erklärte ihm, dass es immer noch gleich schmeckte, was ihn ein wenig verwirrte. Gilbert hatte aber ein Ziel zu erfüllen und dachte nicht groß darüber nach. Es gehörte zum Zeremoniell, dass der Chain das Blut kostete, um so den Vertrag einzugehen. Gilbert hatte sich an den Ketten festgekrallt und den gewaltigen Chain angeschrieen, er würde sein Leben für diesen Vertrag geben, er solle ihn nur endlich formen. Wohl sichtlich beeindruckt, willigte Raven ein und erklärte dem jungen Mann vor sich, dass er sich an seinen linken Arm binden würde. Raven gab daraufhin auch sein Blut, das Gilbert in einem Medaillon auffing, das er von der Organisation Pandora bekommen hatte. Somit war der Vertrag geschlossen und rechtsgültig. Seitdem waren zwei Monate vergangen und Gilbert fühlte sich wie ausgelaugt. Er war der Organisation Pandora beigetreten und hatte bereits die eine oder andere Mission für sie erledigt. Dass er das Schießen mit einer Pistole perfektioniert hatte, half ihm dabei gewaltig. Seinen Chain versuchte er so selten wie möglich einzusetzen, da es ihm immer noch alle Kraft raubte, doch in seiner letzten Mission war ihm keine Wahl geblieben. Er brach danach völlig erschöpft zusammengebrochen und bekam einige Tage der Ruhe zugestanden. Einen solch mächtigen Chain konnte man schließlich nicht so schnell beherrschen oder so gut, dass es einen nicht mehr auslaugte. Also hatte sich Gilbert in seine kleine Wohnung zurückgezogen, die er sich zugelegt hatte, nachdem er bei den Nightrays ausgezogen war. Sie waren nicht gerade glücklich über die Tatsache gewesen, dass ausgerechnet er Raven bändigen konnte, also hatte er schon fast das Weite gesucht. Außerdem wollte er seine Ruhe haben. In seiner kleinen, beschaulichen Wohnung gab es keinen Vincent, der Stofftiere zerschnitt und die Füllung auf dem ganzen Boden verteilte. Was genau mit seinem Bruder nicht stimmte, konnte er nicht sagen, doch es erleichterte ihn, nicht mehr in seiner Nähe zu sein. Er hatte Respekt vor dem Jüngeren, besonders vor dessen Schießkünsten, aber dennoch jagte er ihm gleichzeitig eine Heidenangst ein.   Gerade lag er auf seinem Bett, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt, und starrte die Decke an. Er hatte ein Fenster geöffnet und eine sanfte Brise blies seine Vorhänge hin und her. Der alltägliche Lärm auf den Straßen beruhigte ihn eher als ihn zu nerven. Solange es draußen noch so heiter und normal zuging, passierte auch nichts Schreckliches. Nun wollte er eigentlich schlafen, aber sobald er die Augen schloss, kamen ihm diese Bilder wieder in den Sinn. Seine letzte Mission war schrecklich schief gegangen. Er wollte nicht daran denken und setzte sich auf, ehe er schnurstracks in die Küche ging. Er nahm alles zur Hand, was er für einen Schokoladenkuchen brauchte, und wollte gerade mit dem Backen anfangen, als er Geräusche aus seinem Zimmer vernahm. War jemand so dreist gewesen und von seinem Fenster aus eingestiegen? Einbrecher etwa? Aber wer war so dumm, einzusteigen, wenn der Bewohner noch zu Hause war und ihn jeden Moment erwischen konnte? Und wie hatte dieser Jemand es geschafft, die Wand hochzuklettern? Gilberts Wohnung lag nicht gerade im Erdgeschoss. Gil wollte nach seiner Pistole greifen, doch seine Hand fuhr ins Leere. Fluchend erinnerte er sich daran, dass sie mit seinem schwarzen Mantel im Schlafzimmer lag. Hoffentlich fand der Einbrecher sie nicht, sonst würde er dumm dastehen. Wegen so einer Lappalie wollte er Raven jedenfalls nicht rufen. Der würde ihm die Hölle heiß machen. So schnappte sich der Schwarzhaarige kurzerhand die Bratpfanne und blickte gespannt zu der hölzernen Tür, die in sein Schlafzimmer führte. Mit leisen und fast lautlosen Schritten schlich er vor und nahm den Knauf in die Hand. Er holte noch einmal tief Luft und wollte die Tür öffnen, als ihm der Einbrecher zuvorkam und ihm das Holz der Tür einfach gegen den Kopf knallte. Fluchend taumelte Gilbert einen Schritt zurück, jedoch hob er die Bratpfanne und wollte zuschlagen, als etwas seine Hand traf. Scheppernd fiel die Pfanne zu Boden fiel. Er rieb sich die schmerzende Hand und blickte auf. Als er erkannte, wer vor ihm stand, entgleisten ihm alle Gesichtszüge. „Was machst du denn hier?!“, brüllte er seinen ungewollten Besucher an. Mit einem breiten und auch etwas unheimlichen Grinsen stand Xerxes Break vor ihm und winkte ihm zu. Seine Puppe, die immer auf seiner Schulter saß, schien fast seinen Blick zu imitieren und jagte Gil einen eiskalten Schauer über den Rücken. Aber zugeben würde er dies nie. „Ich wollte dich nur mal besuchen“, meinte Break und kramte in seinem Mantel nach etwas. Wie gedacht holte er sein Bonbondöschen hervor, wühlte darin nach einer Süßigkeit und wickelte diese aus. Mit einem Happs war sie auch schon in seinem Mund verschwunden. „So, so. Mich besuchen.“ Gilbert traute dem Silberhaarigen nicht über den Weg und wusste, dass da noch mehr war. Nur abwarten, was es wohl war. „Genau!“, antwortete Break fröhlich und stolzierte mit sich zufrieden zu Gils Sofa, um sich dort niederzulassen. Gil wagte einen Blick in sein Schlafzimmer, aber es war noch immer alles so, wie er es zurückgelassen hatte. Hastig ging er hinein und schloss das Fenster. Kein Grund, noch mehr Verrückte einzuladen. Als der Schwarzhaarige wieder ins Wohnzimmer ging, lag weiteres Bonbonpapier auf seinem Kaffeetisch. Er fragte sich immer wieder, wie der Ältere so schnell diese Süßigkeiten verschlingen konnte. Und wieso er nicht vor Karies auf dem Boden lag und vor Schmerz heulte. „Und was ist der Anlass für deinen Besuch?“, hakte Gil nach und ging in seine kleine Küche, um Kaffee zu kochen. Seine Manieren wollten es so, dass er für jeden Gast etwas zubereitete, egal wie willkommen er war. „Anlass? Wieso Anlass? Man braucht doch keinen Anlass, um einen guten Freund zu besuchen! Außerdem war ich eh gerade in der Nähe und dachte mir: ‚Wieso schaust du nicht bei Raven vorbei?‘ Und voilà, hier bin ich!“, grinste Break vergnügt. Ihm gefiel seine eigene Geschichte selbst sehr gut, aber Gilbert sah ihn nur an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. „Aber sag mal, Raven…“, meinte Break dann in neugierigen Tonfall, „sind das etwa Zutaten für einen Schokoladenkuchen? Also, wenn du backen willst, lass dich nicht von mir stören.“ Für Gilbert hieß das übersetzt: ‚Na los! Nun back mir den Kuchen!‘ Da es für den Schwarzhaarigen eine gute Ausrede war, nicht ständig bei dem ungewollten Gast zu sein, ließ er es sich nicht zweimal sagen und verschwand schnurstracks in der Küche. Eine Weile werkelte er herum, ohne einen Ton von dem Silberhaarigen zu hören, was ihn doch ein wenig unruhig werden ließ. Hoffentlich stellte er nichts an und aß nur seelenruhig seine Süßigkeiten. Die Ruhe wurde ihm dann doch zu viel und als der Kuchenteig im Ofen verschwunden war, begab er sich wieder zu seinem Gast. Er wollte ihn gerade fragen, was der wirkliche Grund seines Besuches war, als er ihm zuvorkam und so ins Wort fiel. „Break-„ „Du siehst müde aus. Hast du die letzten Tage geschlafen?“, fragte er ihn mit einem ungewohnt ernsten Ausdruck im Gesicht. Etwas überrascht weiteten sich Gilberts goldene Augen, ehe er den Kopf senkte und so Breaks Blick auswich. Damit war die Frage des Silberhaarigen beantwortet. Break seufzte. „Du darfst dich nicht so fertig machen. Du hattest keine andere Wahl. Sie war kein Mensch mehr.“ Verbittert sah Gil auf und blickte Break traurig an. Die Erinnerungen an die misslungene Mission kamen wieder hoch. Er sah das blutüberströmte Gesicht der jungen Frau, die vom Chain in den Abyss gezogen werden sollte. Er wollte nicht, dass ihr das zustieß. Er hatte die Frau kennengelernt; sie wollte ihren langjährigen Verlobten heiraten und eine Familie gründen, doch ihre Vergangenheit hatte sie nicht losgelassen, weswegen sie die Hilfe eines Chains in Anspruch nahm. Als Gilbert das erkannte, kam für sie jede Hilfe zu spät. Wenn er es früher entdeckt hätte, hätte er sie noch retten können. Jedenfalls redete er sich dies immer wieder ein. Doch er hatte gegen sie – nein, den Chain - kämpfen müssen und seine Schießkunst hatte nicht ausgereicht, also hatte er Raven zu Hilfe rufen müssen. In dem Augenblick war es entweder das Monster oder er, und da er noch etwas Wichtiges vorhatte, hatte er den Chain und somit die Frau vernichtet. Break war es gewesen, der ihn voller Blut und sonstigen Substanzen gefunden hatte. Was danach passiert war, wusste er nicht mehr. Er konnte sich nur noch daran erinnern, wie er in seiner Wohnung in seinem Bett aufgewacht war. „Ich hätte sie retten können“, murmelte Gilbert und sah wieder weg. Erneut seufzte Break. „Nein, hättest du nicht. Sie hatte einen illegalen Vertrag geschlossen und jeder, der einen verbotenen Vertrag mit einem Chain schließt, endet im Abyss. Oder stirbt. Du hättest rein gar nichts tun können, außer sie vorher zu erschießen und ihr das Leid vom Abyss oder des Chains zu ersparen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“ Break lehnte sich auf dem Sofa zurück und ließ den jüngeren Mann nicht aus den Augen. Gilbert hatte noch sehr viel zu lernen, ehe er Raven gut genug beherrschte, um Oz befreien zu können, doch wenn er sich nach jeder Mission so verschanzte, würde das nie etwas werden. Break machte ihm das auf’s Neue klar, doch Gilbert konnte und wollte es nicht mehr hören. Um sich kurz abzulenken, griff er nach seinen Zigaretten und schritt zum Fenster im Wohnzimmer. Er öffnete es und zündete sich einen Glimmstängel an. Seit geraumer Zeit hatte er sich das Rauchen angewöhnt, doch wollte er wieder damit aufhören. Gelungen war ihm das bis jetzt immer noch nicht. So gab er es schließlich auf, denn wie jetzt beruhigte es ihn, wenn er den Rauch in die Lungen zog und langsam wieder auspustete. Er wusste, dass Break damit Recht hatte, aber er wollte es dennoch nicht wahrhaben. Eine Weile schwiegen sie. Break wollte dem Schwarzhaarigen wohl die Zeit geben, um seine Gedanken zu sammeln, nach gefühlten Stunden durchbrach er jedoch die Stille und klang wieder recht vergnügt dabei. „Irgendwie riecht es verbrannt…“ Gil blickte zu ihm, als ihm wieder einfiel, dass ein Kuchen im Ofen wartete, den er völlig vergessen hatte. „Der Kuchen!“ Panisch schnippte er die Zigarette weg und rannte in die Küche. Schnell zog er sich die Ofenhandschuhe über, öffnete den Ofen und holte den Kuchen heraus. Zum Glück war er nicht so verbrannt, wie er gerochen hatte. Mit der richtigen Glasur konnte er bestimmt noch hervorragend schmecken. Erleichtert stellte er ihn zum Abkühlen ans Fenster, streifte sich die Handschuhe ab und ging zurück ins Wohnzimmer. „Es war noch nicht…..“, setzte er an, ehe er bemerkte, dass Break die Gunst der Stunde genutzt und sich vom Acker gemacht hatte. Der Vorhang ihm Wohnzimmer wehte durch eine Brise bis ins Zimmer. Er hatte vergessen, das Fenster zu schließen, und der Silberhaarige war bestimmt daraus entschlüpft. „Auch egal“, murmelte Gil vor sich hin und räumte den kleinen Kaffeetisch wieder ab. Break hatte den Kaffee kaum angerührt und sonst nur Bonbonpapier darauf verteilt. Jedoch fiel ihm etwas anderes ins Auge, ein kleines Päckchen mit einer Karte daran. Neugierig nahm Gil es hoch und las die Karte. Die Handschrift erkannte er sofort als die von Sharon. Mach dir vor dem Schlafengehen diesen Tee. Damit dürfte es keine Probleme mehr geben! S. Lächelnd über die Fürsorge dieses Mädchens bedankte sich Gil innerlich bei ihr. Als er in die Küche ging, nahm er den Tee mit sich.   Als es spät und auch dunkel draußen wurde, machte sich Gil bettfertig. Zuerst hatte er sich geweigert, doch dann hatte er doch eine Tasse mit dem wohlriechenden Tee neben dem Bett stehen, als er sich seine Schlafsachen anzog. Er hoffte, dass ihm das heiße Getränk wirklich helfen würde. Gott wusste, dass er dringend Schlaf brauchte, ohne Albträume. Nachdem der Tee fertig war, nahm er vorsichtig einen Schluck davon. Er hatte sich auf sein Bett gesetzt und wollte nur noch schlafen. Der Tee schmeckte recht gut, auch wenn Gil nicht sagen konnte, aus was er bestand. Da musste er bei nächster Gelegenheit Sharon danach fragen. Bevor der Tee kalt wurde, hatte er ihn auch schon ausgetrunken und die Tasse wieder auf seinen Nachttisch gestellt. Er verkroch sich unter die Decke, nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Fenster auch geschlossen war. Er brauchte wirklich keine Überraschung mitten in der Nacht. In seine Decke gekuschelt schloss er die müden Augen und es dauerte nicht lange, bis er einschlief.   Dunkelheit. Sie kam ihm bekannt vor, doch wusste er nicht, woher. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihm breit und vorsichtig schritt er voran. Er wusste zwar nicht, wohin er ging und wo er am Ende herauskam, aber irgendwann würde er es erfahren. Das hatte er jedenfalls im Gefühl. Immer wieder blickte er sich um, da er meinte, beobachtet zu werden, doch nichts war zu erkennen. Er konnte nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen. Wieder war da dieses Gefühl eines Déjà-vus. Doch etwas verunsichert lief er los. Er wollte fort, auch wenn er nicht wusste, wohin. Etwas berührte seine Wange und er blieb abrupt stehen. Da er nichts sehen konnte, tastete er um sich herum, doch nichts schien in greifbarer Nähe zu sein. Er ging einen Schritt vor und suchte weiter, doch wieder griff er nur Luft. Frust machte sich in ihm breit. Er wollte weiterlaufen, als wieder etwas seine Wange streifte. Dieses Mal fühlte es sich wie eine Hand an und ließ ihn in Panik ausbrechen. Ohne groß nachzudenken, lief er vor dem Unbekannten davon. Doch er hatte das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Wieder tastete er um sich, doch als er zur Seite blickte, erkannte er ein Licht. Sein erster Impuls war, vor dem Licht zu fliehen, da es nichts Gutes mit sich brachte, doch er riss sich zusammen. All seinen Mut zusammennehmend schritt er voran. Zuerst brannte es in seinen an die Dunkelheit gewähnten Augen und er musste sich die Tränen wegwischen, doch schnell hatte er sich auch an das dämmrige Licht gewöhnt, das wie ein Feuer flackerte. Die Quelle konnte er jedoch nirgends ausmachen. Als er weiter danach suchte, flogen Spielkarten um ihn herum, und er wandte den Blick wieder nach vorne, wo ein Mann stand und ihn finster anlächelte. Seine Augen waren mit einem Tuch verbunden, seine Haare unter einer großen Mütze versteckt. Die Kleidung bestand aus einem sehr weiten Hemd und einer ebenso weiten Hose, komplett in schwarz-weiß kariert und abgerundet durch gänzlich schwarze Schuhe. Der Mann erinnerte vom Aussehen her an einen Pierrot, den er einmal auf der Straße gesehen hatte, und genau wie dieser Pierrot jonglierte der Mann mit bunten Bällen und schien weiterhin in Gils Richtung zu blicken. ‚Komm ruhig näher, mein Freund. Ich werde dir nichts tun. Noch nicht.‘ Die Lippen des Mannes waren immer noch in ein finsteres Lächeln verzogen und hatten sich nicht bewegt, doch er wusste, dass dieser Mann zu ihm gesprochen hatte. Ohne zu wissen, was seine Beine da taten, ging er auf den Fremden zu. Er wollte etwas sagen, doch er brachte kein Wort heraus. ‚So ist es brav. Du wurdest gut von deinem Meister erzogen.‘ Das Bild eines schwarzhaarigen Mannes mit kalten Augen drängte sich ihm in den Sinn. Schmerzerfüllt kniff er die Augen zusammen und krallte sich in seine Haare. Er wollte diese Kopfschmerzen nicht. Dieses Bild nicht. Er wollte vergessen, doch er wusste nicht, warum. ‚Ja. Versperre deine Erinnerungen. Noch ist es nicht soweit, mein Freund.‘ Die fremde Stimme hallte in seinem Kopf und erlöste ihn von dem Schmerz und den aufkommenden Erinnerungen. Keuchend war er auf die Knie gesunken und hatte den Kopf gesenkt, doch nun hob er ihn wieder, um zu dem Mann zu blicken. Dieser hatte mit dem Jonglieren aufgehört und war in die Hocke gegangen, um auf der gleichen Höhe wie er zu sein, das Grinsen war jedoch geblieben. Wieder einmal wollte er sprechen, doch wieder einmal drang kein Ton durch seine Lippen. Der Mann mit der Augenbinde schüttelte nur den Kopf. Also hatte es keinen Wert, es noch einmal zu versuchen. Egal, wo er sich gerade befand, man wollte nicht, dass er redete, sondern nur, dass er zuhörte. ‚Deine Zeit wird kommen, in der du gebraucht wirst. Über hundert Jahre hat es gedauert, aber Raven ist nun gänzlich dein. Aber gleichzeitig auch nicht.‘ Der Mann lächelte weiterhin und half ihm wieder auf die Beine. Er hielt eine seiner Hände fest und legte ihm etwas hinein, dann schloss er sie zur Faust, damit er noch nicht sehen konnte, was er da bekam. ‚Ich bin blind. Du kannst sehen. Denke an dein Versprechen und sei wachsam. Behalte alles im Blick. Nichts ist, wie es scheint. Clowns können die traurigsten Geschöpfe sein und Schurken entpuppen sich als gute Menschen. Fürchte die, die uns am nächsten stehen, denn vielleicht warten sie nur darauf, dass man ihnen den Rücken zukehrt. Dann schlagen sie  zu.‘ Die Worte verwirrten ihn. An ein Versprechen erinnerte er sich, aber er hatte es keinem blinden Mann gegeben, sondern jemandem, der nur noch ein Auge besaß. Hatte der Pierrot dieses Versprechen gemeint? Er wusste es nicht. Das finstere Lächeln wurde nun sanfter. ‚Denke an meine Worte. Sei wachsam. Dann wirst du verstehen.‘ Der Pierrot ging einige Schritte zurück und verbeugte sich vor ihm. Als er sich wieder aufrichtete, brach ein neuer Sturm aus Spielkarten los und ließ ihn die Augen schließen. Im nächsten Moment war der Mann verschwunden und von Weitem hörte er den Ruf eines Raben. Er erinnerte sich daran, dass der Mann mit der Augenbinde ihm etwas gegeben hatte, also öffnete er seine Faust und fand ein in buntes Papier gewickeltes Bonbon.   Abrupt öffnete Gilbert seine Augen und richtete sich auf. Was für ein merkwürdiger Traum. Er war zwar eine Verbesserung zu den Albträumen, die ihn in den letzten Tagen sonst plagten, aber dennoch verwirrte er ihn. Wovon hatte dieser Pierrot gesprochen? Seufzend ließ Gilbert sich wieder in die Kissen fallen. Dieser Traum hatte ihn erschöpft. Er war immer noch müde. Um sich zu vergewissern, wie spät es war, drehte er seinen Kopf zum Fenster und blickte hinaus. Der Mond stand noch sehr hoch, also war es noch mitten in der Nacht. Nochmals seufzend machte sich Gilbert wieder bereit, zu schlafen. Es hatte doch eh keinen Zweck, über diesen merkwürdigen Traum nachzudenken. Es dauerte nicht lange, bis er in einen traumlosen Schlaf fiel. Die Albträume an die misslungene Pandora-Mission waren verschwunden. Kapitel 3: Third Dream ---------------------- Third Dream   Die Kutschfahrt dauerte bereits zwei Stunden und ihm tat trotz Polsterung der Rücken weh. Immer wieder versuchte Gilbert, sich anders hinzusetzen, aber es wurde nicht bequemer. Das ständige Ruckeln half auch nicht dabei. Xerxes Break saß mit Sharon Rainsworth ihm gegenüber und beide schienen sehr belustigt zu sein.  Wenn den beiden irgendetwas schmerzte, dann ließen sie es sich jedenfalls nicht ansehen. Grummelnd versuchte Gilbert, ruhig sitzen zu bleiben und den Beiden keinen Grund mehr zum Lachen zu geben. Schließlich würde die Fahrt noch eine Weile andauern. Es war nämlich endlich soweit. Sie waren aufgebrochen, um Oz Bezarius aus den Fängen des Abyss zu befreien, und dazu mussten sie nur das Anwesen aufsuchen, wo alles seinen Anfang genommen hatte. Es war der Ort, an dem auch Oz‘ Coming-of-Age-Zeremonie hatte stattfinden sollen. Dort wurde er dann aber vom eigenen Vater in den Abyss gestoßen. Gilbert war bereit. Er hatte nicht mehr lange gebraucht, um über das Unglück seiner ersten Einzelmission hinwegzukommen, da noch viele solche Missionen gefolgt waren. Er war einfach abgestumpft und ließ die Schicksale der Opfer nicht mehr an sich heran. Außerdem versuchte er stets, Missionen im Team zu erledigen, auch wenn er dafür mit Break oder seinen Bruder Vincent zusammenarbeiten musste. „Wenn du willst, können wir eine Pause machen“, durchbrach Sharon die Stille, „Ich könnte selbst etwas frische Luft gebrauchen und würde mir auch gerne die Beine etwas vertreten.“ „Wegen mir müsst Ihr Euch nicht die Mühe machen, Lady Sharon“, meinte Gilbert. Er konnte die Pause zwar gut gebrauchen, aber er wollte die wertvolle Zeit nicht vertrödeln und Oz warten lassen. Ganze zehn Jahre waren vergangen, als er in den Abyss gestoßen worden war, und er wollte sicherlich selbst wieder da raus. „Also ich will auch frische Luft haben.“ Break mischte sich nun ins Gespräch ein, ließ sich aber nicht beim Lutscherknabbern stören. Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, rief er dem Kutscher zu, stehen zu bleiben. Dieser folgte prompt dem Befehlt der Herrschaften und hielt die Pferde an, die wiehernd zum Stillstand kamen. Der Kutscher stieg von Kutschbock und öffnete seinen Gästen die Tür. Break stieg als Erster aus und reichte der einzigen Frau in der Gruppe die Hand, um ihr herauszuhelfen. Gil verließ als Letzter die Kutsche. Das Wetter war herrlich und die sanfte Brise tat auf dem Gesicht gut. Er streckte sich einmal ausgiebig, bis die Knochen knackten, dann sonderte er sich von den beiden anderen ab und vertrat sich alleine die Beine. Innerlich verfluchte er Break dafür, dass sie angehalten hatten. Er wollte seinem Herrn so schnell wie möglich helfen und das konnte er nicht, solange sie hier irgendwo in der Pampa steckten. Er nutzte zwar die Gelegenheit, um eine zu rauchen, aber am liebsten würde er sich weiterhin in der Kutsche quälen. Gilbert seufzte einmal tief. Er musste sich jetzt damit abfinden, dass er ausgebremst worden war, und beobachtete deswegen ein Weilchen einen Hasen am Straßenrand, der dort wohl etwas zu fressen gefunden hatte.  Als er weghoppelte, weil ein Geräusch aus den Büschen ihn verschreckt hatte, ging die Reise auch schon weiter.   Während der Reise blickte Gilbert aus dem Fenster der Kutsche. Seinem Rücken ging es nicht besser, aber diesmal konnte er es vor den anderen beiden verstecken. Sharon war an Breaks Schulter eingeschlafen und dieser blickte ebenfalls gedankenverloren aus dem Fenster. Beide sprachen kein Wort. So ging das eine ganze Weile. „Bist du bereit, Oz zu befreien?“, fragte Break dann und Gilbert zuckte erschrocken zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass jemand in naher Zukunft reden würde. Kurz musste er über seine Antwort nachdenken. „Ja, das bin ich. Egal, was ich dafür tun muss, ich werde Oz zurückholen!“, antwortete der Schwarzhaarige dann entschlossen. Break lächelte ihn mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an. Gilbert war es mittlerweile gewohnt, also sagte er erst einmal nichts dazu. „Was der kleine Oz wohl sagen wird, wenn er dich jetzt so sieht? So ganz erwachsen und finster. Und das Rauchen erst. Er wird bestimmt darüber erleichtert sein, dass du nicht durch den Schwerthieb gestorben bist.“ Der Silberhaarige kicherte einmal kurz und blickte Gilbert dann tief in die goldenen Augen, so als wüsste er, was jetzt kommen würde. „Wenn er raus ist, sagt ihm nicht, wer ich bin.“ Mehr verlangte Gilbert nicht. Break ging auch nicht weiter darauf ein. Gilbert schämte sich insgeheim für das, was vor zehn Jahren passiert war. Er hatte sich von einem Chain der Baskervilles kontrollieren lassen und versucht, Oz zu töten. Dann hatte er sich vor Oz‘ Schwert gestellt und dafür gesorgt, dass sein eigener Vater ihn in den Abyss herabgestoßen hatte. Bis heute hatte er niemandem erzählt, wen er dort im Licht des Blitzes erkannt hatte. Es ging niemanden etwas an. Die lange Kutschfahrt fing an, an seinen Nerven zu zehren, und müde wurde er auch. Ehe er sich versah, fielen ihm auch die Augen zu und sein Kinn ruhte auf seiner Brust. Wenn er wieder aufwachte, würde er bestimmt Genickschmerzen zusätzlich zu den Rückenschmerzen haben, aber das war ihm in dem Moment völlig egal.   Anders als sonst war es diesmal von Anfang an hell, doch konnte man nicht erkennen, woher das Licht kam. Es schien, als würden die unzähligen bunten Objekte um ihn herum von innen heraus leuchten. Wenn man die vielen wild durcheinander gewürfelten Möbel betrachtete, konnte man fast ein Wohnzimmer erkennen, jedoch klebte ein Sofa an der Decke und ein Tisch schwebte im Raum frei herum. Unzählige Spielzeuge waren ebenfalls verteilt und waren in allen Größen zu finden. Einige Teddybären sahen richtig kuschelig aus, aber vor einigen der Puppen wäre er am liebsten davongelaufen. Jedenfalls wusste er, dass er auf der Hut sein musste. Wer wusste schon, wo er sich hier befand und wieso? Er sah sich noch etwas um, ehe er beschloss, dass es nicht war, wo er sein musste. Seine Instinkte leiteten ihn nach vorne, also folgte er ihnen. So irrte er eine Weile umher und es kam ihm vor, als würde seine Umgebung sich überhaupt nicht verändern. Seit einer geraumen Weile wurde er verfolgt. Er konnte die Blicke im Nacken spüren, doch jedes Mal, wenn er sich umdrehte, war nichts zu sehen. Er musste wachsam bleiben. Nach weiteren  Schritten änderte sich die Umgebung drastisch. Von dem bunten Durcheinander war nichts mehr zu sehen, nun gab es nur noch Weiß. Irgendwie verunsicherte ihn das noch mehr als das andere, jedoch konnte er nicht mehr zurück. Er hatte es versucht. „Was ist hier los?“, fragte er und erschrak dann selbst. Das letzte Mal hatte er nicht reden können. Ob das etwas zu bedeuten hatte? Eine Antwort erhielt er jedoch nicht. Da tauchte mitten im Raum ein einzelner Stuhl auf. Es verwirrte ihn. Sollte er sich etwa hinsetzen und warten, bis etwas passierte? Als hätte er das Kommando gegeben, legte sich eine unsichtbare Hand auf seinen Rücken und drückte ihn zu dem gewöhnlichen Holzstuhl, bis er sich schließlich hinsetzen musste. Verwirrt blickte er hinter sich und sah nur schwarz. Eine schwarze Gestalt in den Schemen eines Mannes mit nur einem Arm schien dort auf ihn zu warten. Der Schatten rührte sich nicht mehr von der Stelle, so als würde er ihm Gesellschaft leisten wollen. Im Hintergrund spielte eine Melodie, die ihn an eine Spieluhr erinnerte. Das Lied hatte etwas Trauriges an sich, doch er achtete nicht weiter darauf. „Soll ich hier warten?“, fragte er die Gestalt. Sie nickte. „Worauf denn?“ Diesmal ein Kopfschütteln. Wahrscheinlich konnte der Schatten es selbst nicht sagen oder er durfte es nicht. Also musste er sich in Geduld üben. Ihm wurde mit der Zeit langweilig und mit dem Schatten konnte man nicht reden und sich so die Zeit vertreiben. Als er genervt aufseufzte, sauste etwas nur um Haaresbreite an seinem Kopf vorbei und ließ ihn vom Stuhl auffahren. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Vor ihm standen zwei Hasen, einer schwarz wie die Nacht und der andere so hell wie das Licht, und beide hielten sie eine blutrote Sense in der Hand. Wie zwei Kontrahenten standen sich gegenüber und warteten darauf, dass der jeweils andere etwas tat. Keiner wollte als Erster angreifen. Gilbert wusste nicht, was er davon halten sollte. Er sah sich nach dem Schatten um, doch der war nicht mehr neben ihm, er war zu den Hasen getreten und stand in deren Mitte. Es war wohl nicht sein Wunsch, dass sie sich bekämpften. ‚Geh mir aus dem Weg, du wertloses Geschöpf!‘ Die Stimme hallte tief in seinem Kopf. Er versuchte, auszumachen, wer gesprochen hatte, jedoch konnte er keine Lippenbewegungen erkennen. Der helle Hase hatte während der Worte allerdings gestikuliert. Er hatte wohl mit dem Schatten gesprochen. ‚Geh weg!‘ Der andere Hase brüllte nun auch, doch der Schatten bewegte sich nicht. Den Hasen wurde es zu bunt und sie griffen den Schatten an. Gilbert glaubte schon, dass er das Ende des Schattens sähe, als die beiden Sensen auf ihn zurauschten, aber schwarze Federn verdeckten auf einmal die Sicht. Er musste die Augen zukneifen, um keine Feder ins Auge zu bekommen, da mit ihnen ein starker Wind aufgekommen war. Als dieser sich wieder legte, öffnete er die Augen wieder und sah vor sich Raven. Er hatte den Schatten beschützt? Dicke Ketten waren weiterhin um den Chain gewickelt und eine weitere verband ihn nun mit dem Schatten. Die Kette hatte den Ärmel des Geschöpfs dort umschlungen, wo der Arm fehlte. ‚Noch nicht!‘ Ravens Stimme hallte in seinem Kopf wider. Die beiden Hasen hatten sich Raven zugewandt und schienen ihn wütend anzufunkeln, doch sie griffen den riesigen Vogel nicht an. ‚Bald wird eure Zeit kommen und man wird euch verstehen. Man wird dann wissen, was vor über hundert Jahren passiert war.‘ Was vor über hundert Jahren passiert war? Er wusste nur von einer bedeutenden Begebenheit, die sich vor über hundert Jahren zugetragen hatte, und das war die Tragödie von Sablier. Ob der gigantische Chain davon sprach? Die beiden Hasen legten ihre Sensen nieder und stimmten so dem Chain zu. Die Ketten lösten sich nun auch von dem leeren Ärmel des Schattens und befreiten diesen somit. Der Schatten löste sich darauf in Nichts auf. Auch die Hasen verschwanden von der Bildfläche. „Was…?“, fragte er und blickte zu Raven. Der Chain ließ ihn auch nicht aus den Augen. Erleichtert hatte er festgestellt, dass seine Stimme immer noch da war. ‚Die Zeit ist noch nicht ganz reif, um alles zu erfahren. Du wirst wissen, was los ist, wenn es eintrifft. Dann wirst du deine Entscheidungen treffen müssen.‘ Er wollte noch etwas sagen, doch Raven verschwand in einem Regen aus Federn und er befand sich ganz allein an diesem merkwürdigen Ort.   Durch einen besonders harten Ruck der Kutsche wachte Gilbert abrupt wieder auf. Zuerst wusste er nicht, wo er sich genau befand und blickte deswegen hektisch hin und her, doch dann erkannte er die Kutsche, in der sie reisten, und auch Break und Sharon, die ihn besorgt ansahen. „Hattest du einen Albtraum?“, fragte Sharon sogleich. Sie selbst war noch nicht sehr lange wach. „Ich… Ich weiß es nicht“, gestand der Nightray und ließ seine Verwirrung auf seinem Gesicht zeigen. Besorgt blickte Sharon den schwarzhaarigen Mann vor sich an. Gil registrierte dies nur nebenbei, da er wieder aus dem Fenster blickte. „Eques hat mir erzählt, dass du schon einmal völlig verwirrt aus einem Albtraum aufgewacht bist. Damals, als Oz in den Abyss gestoßen wurde“, erinnerte sie sich und Gilbert horchte auf. Er hatte als Kind schon einmal so einen Traum gehabt? Daran konnte er sich gar nicht mehr erinnern. Aber jetzt, da Sharon es erwähnte, glaubte er, Fetzen greifen zu können. Er wusste sogar noch schemenhaft, was er geträumt hatte, und auch, dass Sharon ihn damals besucht und beim Gehen jemanden gebeten hatte, auf ihn aufzupassen. Dann hatte sie wohl damals mit ihrem Chain gesprochen. „Ich kann mich nicht daran erinnern“, log er dann. Er wusste nicht, wieso, aber er wollte den Inhalt seiner Träume für sich behalten, denn irgendwie waren sie verrückt. Würde er den Beiden vor sich von kämpfenden Hasen erzählen, hielten sie ihn bestimmt für nicht ganz dicht, und das wollte er nicht. „Was hast du denn geträumt?“, mischte sich Break in das Gespräch ein und beobachtete Gilbert sehr genau. Dieser wich seinem Blick aus und richtete seinen auf die Landschaft, die an ihnen vorbeirauschte. „Weiß ich nicht mehr…“, murmelte er und gab dem Silberhaarigen so zu verstehen, dass er nicht darüber reden wollte. Auf weitere Fragen reagierte der Schwarzhaarige nicht mehr. Er war in seine Gedanken vertieft. Wenn er an seinen ersten Traum als Kind zurückdachte, fiel ihm ein, dass er von Raven geträumt hatte, bevor er ihn überhaupt gesehen hatte. Aber woher hatte er so genau gewusst, wie der Chain aussah? Denn in seinem Traum war es kein ungefähres Bild von ihm gewesen, sondern das genaue Ebenbild. Was hatte dies nur zu bedeuten? Fing er etwa an, hellseherische Fähigkeiten zu entwickeln? Das war doch völliger Blödsinn! Gilbert war ganz normal und konnte nicht in die Zukunft sehen. Aber wer wusste schon, was er vor seinem Gedächtnisverlust gesehen und erlebt hatte? Vielleicht hatte er da Raven einmal gesehen - in echt oder auf einem Gemälde? Genau. Das klang schon wahrscheinlicher. Aber was war mit den beiden anderen Träumen? Versuchte Raven, ihm etwas zu sagen, und tauchte in seinem Unterbewusstsein auf? Er musste sich wohl oder übel einmal mit seinem Chain unterhalten. Ergeben seufzte Gilbert auf. Es hatte keinen Sinn, über etwas nachzudenken, zu dem er eh keine Antworten finden würde, jedenfalls nicht alleine, und er wollte nicht darüber reden. So wichtig waren diese Träume auch nicht.   Die restliche Kutschfahrt wurde im Stillen zurückgelegt. Nur Breaks Knuspern, wenn er ein Bonbon zerkaute, war zu hören. Irgendwann kamen sie dann auch bei dem verfallenen Anwesen an. Onkel Oscar wollte wohl nicht mehr danach sehen, da es auch für ihn schlechte Erinnerungen beherbergte. Sein Neffe war immerhin hier in den Abyss gestoßen worden, also war es schon nachzuvollziehen, wieso er nicht mehr hier gewesen war in den vergangenen zehn Jahren. Die Kutsche kam quietschend zum Stehen. Der Kutscher eilte schnell zur Tür, um sie zu öffnen, und Break stieg wieder als Erster aus. Er half Sharon, die ihr Kleid mit einer Hand raffen musste, um nicht darüber zu stolpern. Gilbert war wieder einmal der Letzte, der ausstieg. Er sah sich um und musste das beklemmende Gefühl aus seinen Erinnerungen an diesen Ort unterdrücken. Doch bald wäre es nicht mehr so schlimm. Bald wäre Oz wieder an seiner Seite. Mit einer frisch angezündeten Zigarette ging er los, um sich genauer umzusehen. Seit damals hatte sich eigentlich nicht viel verändert, nur die Natur hatte sich breitgemacht. An den Mauern des Anwesens hangelten sich unzählige Kletterpflanzen hoch und nutzen die Risse, um sich festzuhalten. Als er sich von den anderen Beiden entfernen wollte, rief Sharon ihn auch schon zu sich. Sie hatten längst entschieden, wo die Zeremonie stattfinden sollte, und wollten sich nun mit Gilbert dorthin begeben. Der Nightray rauchte seine Zigarette zu Ende und folgte dann. Andere Mitglieder von Pandora waren bereits auf dem Weg und Sharon wollte alles hinter sich bringen, bevor sie eintrafen. In Gil machte sich eine Aufgeregtheit breit, die ihn fast überwältigte. Nur Minuten trennten ihn von seinem Vorhaben. Bald hatte er seinen Herrn - seinen Freund - wieder an der Seite. Er umklammerte unbewusst seinen schwarzen Hut und zog ihn sich tief ins Gesicht. Mit Break und Sharon betrat er den Raum, in dem das Zeremoniell vollzogen werden sollte. Nun würde sich wieder alles ändern. Diesen Umschwung hatte er sich so lange gewünscht.   Warte, Oz. Gleich hole ich dich aus dieser Hölle heraus!   Dies waren Gilbert Nightrays letzte Gedanken, als der Boden im Zimmer sich erhellte und den Anbeginn einer Hölle auf Erden signalisierte.   Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)