Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 118: Ein trügerisches Unterfangen (Ass im Ärmel) -------------------------------------------------------- Priss´ Pokéball vibriert ungeduldig in meiner Handfläche, während ich an Darks Zimmertür klopfe und mich bemühe, die Augen offen zu halten. Der lange Flug und natürlich die sechs Wochen Training am Silberberg stecken mir noch in den Knochen und ich würde nichts lieber tun, als mich sofort in mein Bett fallen zu lassen, aber eine Einladung vom Boss persönlich schlägt man nicht so einfach aus. Vielleicht ist es auch die Tatsache, dass Gold mit von der Partie sein wird. Und wenn schon. Niemand kann mir mein Motiv nachweisen. Auf den auffordernden Ruf von innen trete ich ein und entdecke problemlos Dark, der mit Hundemon an seiner Seite auf einem neu angeschafften Sessel sitzt und sich mit Gold unterhält. Bei dem erneuten Anblick der Legende macht mein Herz einen riesigen Satz. Ich werde mich nie daran gewöhnen, in einem Raum mit ihm zu sein. „Abby, setz dich“, begrüßt Dark mich in gewohnt neutralem Ton, aber Hundemons Hecheln verrät seine unterdrückte Aufregung. Apropos Hundemon. Grinsend aktiviere ich den Pokéball in meiner Hand. Priss materialisiert sich in einem Schauer aus roten Funken. Bei ihrem Anblick spitzt Hundemon die Ohren. Es ist das erste Mal, dass er sie seit ihrer Entwicklung gesehen hat. Vorsichtig erhebt der Höllenhund sich und wird im nächsten Moment von Priss in Beschlag genommen, die auf ihn zuläuft, sich an seine Brust schmiegt und neckend über seine Kehle leckt. Gold lacht laut los und ich tausche einen verschwörerischen Blick mit Dark, als die beiden Pokémon es sich in einer Ecke des Zimmers bequem machen und zusammen einrollen. Wenig elegant lasse ich mich auf den letzten freien Stuhl sinken und unterdrücke ein Gähnen. „Da bin ich“, begrüße ich die beiden. „Priss hatte Angst, dass er sich nicht mehr mag, weil sie ein Wasserpokémon ist“, füge ich hinzu, als Dark seinen Blick nicht von den beiden Pokémon abwendet. „Sie ist jetzt wehrhafter, das gefällt ihm“, entgegnet Dark und richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf uns. „Wie ich sehe, war dein Training sehr erfolgreich.“ „Kann man so sagen“, stimme ich zu. „Ich will nicht drängen, aber ich bin echt müde. Was gibt es noch zu besprechen?“ „Wir haben während deiner Abwesenheit ein Auge auf deine Familie geworfen, wie du vorgeschlagen hast“, sagt Dark. „Sobald ihr abreist, werden wir deine Eltern und deinen Bruder hierhin evakuieren, um Erpressung von Team Rocket vorzubeugen. Wenn der Anschlag beginnt, haben wir keine Zeit für spontane Rettungsaktionen.“ Ich nicke ihm dankbar zu. Nachdem Mel mich in meinem eigenen Zimmer überrascht hat, gehe ich lieber auf Nummer sicher, aber wie erwartet kann ich mich voll auf Dark verlassen. „Wie sieht es mit unserem Gegenplan aus?“ „Ryan arbeitet daran.“ Frustriert fahre ich mir durch die Haare. „Immer noch? Wir haben nur noch fünf Tage. Wenn er bis dahin nicht fertig ist, werden wir Team Rocket niemals ausrotten können!“ „Wir haben keine Wahl“, sagt Dark. „Wenn Ryan es schafft, sich rechtzeitig in ihr System einzuhacken, werden Gold und ich versuchen, das Hauptquartier zu stürmen und Atlas auszuschalten. Lance auch. Ich bezweifle, dass er Eiland Fünf verlassen wird, um zu kämpfen.“ Gold nickt nachdenklich. „Mit etwas Glück wird Rocky nachkommen, sobald wir weiter vorgedrungen sind. Diesmal werden wir Atlas aus dem Verkehr ziehen, egal wie.“ Sein Blick nimmt grimmige Züge an, die ich sonst nicht von ihm kenne. Dann wiederum ist es nicht verwunderlich. Gold hat bereits als Kind gegen Team Rocket und Atlas kämpfen müssen. Sicher macht es ihn rasend, dass seine damaligen Bemühungen nicht ausgereicht haben, um seine Heimat vor weiteren Anschlägen der Verbrecherorganisation zu beschützen. Dark sucht den Augenkontakt zu mir. Ich versuche, seine ernste Miene durch ein verschmitztes Lächeln aufzulockern. „Du weißt schon, dass du genau das tun wirst, was du mir von Anfang an ausreden wolltest, oder?“, frage ich. „Alleine das Hauptquartier stürmen und all das…“ „Ich werde schließlich nicht alleine sein“, erwidert Dark mit einem schmalen Lächeln, das sich jedoch sofort wieder verflüchtigt. „Hör zu, Abby. Wenn alles nach Plan läuft, wirst du die gesamte Organisation übernehmen müssen. Du bist der beste Kandidat für den Anführerposten, sollte ich nicht zurückkehren.“ Ich lache auf, verstumme jedoch, als er nicht einstimmt. „Was?“, frage ich. „Das meinst du doch nicht ernst. Warum solltest du nicht wiederkommen?“ „Es wird nicht leicht“, sagt Dark leise. „Wir werden uns alle bemühen müssen, aber das Hauptquartier anzugreifen, ist unser riskantestes Manöver. Ich weiß nicht, was passieren wird.“ „Unsinn“, flüstere ich. Ich weiß natürlich, dass Team Rocket gefährlich ist, schließlich habe ich Melissa und den anderen Übereifrigen stetig von dem Risiko gepredigt, bis es allen aus den Ohren kam. Aber Dark habe ich immer für unantastbar gehalten. Über jeden Zweifel erhaben. Ihn Schwäche zeigen zu sehen, liegt mir plötzlich wie ein Block Eis im Magen. „Keine Sorge“, unterbricht Gold meine düsteren Gedankengänge. „Ich werde dafür sorgen, dass wir keine zu großen Risiken eingehen. Dark kennt sich in dem Hauptquartier aus und ich bin in meiner Laufbahn schon in mehr Rocket-Standorte eingedrungen, als mir lieb ist. Im Notfall belagern wir sie, bis Rocky mit der gesamten Liga vor ihrer Tür steht.“ Ich atme tief durch. Er will mich beruhigen. Es fällt mir plötzlich sehr schwer, seine positiven Gedanken zu teilen. „Wird schon schief gehen“, sage ich trotzdem und erhebe mich. „Wir werden uns wohl vorerst nicht mehr wiedersehen. Man hört sich.“ Ich tippe an das kleine Head-Set in meinem Ohr. „Und viel Glück.“ „Dir auch morgen“, sagt Dark und grinst nun doch flüchtig. „Du wirst es brauchen.“ Ich habe Darks Zimmer kaum verlassen, da legt Gold eine Hand auf meine Schulter und hält mich so davon ab, ohne ein weiteres Wort in mein Bett zu kriechen. „Eine Sache noch“, sagt er leise. „Wenn ich mit Dark auf den Eilanden bin, seid ihr mit Noah auf euch allein gestellt. Wenn es nicht mehr anders geht…“ Er zögert, spricht dann aber weiter. Seine Worte waschen über mich. Halb glaube ich, meinen Mund aufklappen zu spüren. Unser letztes Ass. Es war all die Zeit genau vor unserer Nase.   „Kann ich wirklich nicht mit?", fragt Amy zum gefühlt zehnten Mal am nächsten Morgen. Ich schüttele den Kopf und stopfe die frisch gekauften schwarzen Klamotten und einen kleinen Vorrat Masken in meinen Rucksack. „Tut mir Leid, Amy", sage ich. „Die meisten deiner Pokémon sind zu groß und außerdem ist dein Team ziemlich offensiv. Wir brauchen aber Statusattacken." „Sei nicht traurig", murmelt Melissa von ihrem Platz auf dem Sofa aus, wo sie ihre eigene Maske auswählt. „Du bist nutzlos, so wie immer. Sollte dir inzwischen leicht fallen." „Warum hältst du nicht einfach deine Klappe, Melissa?", frage ich bissig und schaue zu ihr. „Spricht man so mit derjenigen, die eins ihrer Pokémon zur Verfügung stellt?", erwidert sie ungerührt und zieht eine Flurmelmaske aus dem Schließfach, die sie probeweise anzieht. „Urgh. Wie ertragt ihr es, diese geschmacklosen Teile zu tragen?" „Sagt diejenige mit der hässlichen Holzkette", entgegne ich genervt. „Das ist eine Gebetskette", sagt Melissa schlicht. „Wenn du wie ich von Dummheit verfolgt wärst, würdest du auch eine tragen. Zum Glück ist es ziemlich schwer, deine Intelligenz zu unterbieten, daher bleibt dir dieses Accessoire erspart." „Sehr witzig…", murre ich und befestige den S-Com an meinem Gürtel, bevor ich das Head-Set anziehe. „Hallo?", frage ich vorsichtshalber, nachdem ich den Stummknopf deaktiviert habe. „Hört mich jemand?" „Klar und deutlich", erschallt Nathans Stimme. „Viel zu deutlich für meine Bedürfnisse. Bitte schalte dich wieder stumm, Abbygail." Ich rolle die Augen. Ryan, wer sonst. Trotzdem folge ich seinen Anweisungen. Ich bin nicht gerade scharf darauf, Ryans Stimme durchgängig in meinem Ohr zu haben. Das wird heute Abend ohnehin unvermeidbar sein. „Aber dann habe ich überhaupt nichts zu tun!", protestiert Amy. „Nicht mal Ronya ist hier. Was soll ich denn machen?" „Du könntest schlafen gehen", schlage ich vor und deute auf die Uhr an der Wand. „Es ist schon zehn Uhr. Selbst für dich ist das ziemlich extrem." Sie verzieht das Gesicht, kann ein Gähnen aber nicht unterdrücken. „Du hast ja Recht. Viel Glück, Abby." Mit hängendem Kopf trottet sie davon und läuft fast in Noah hinein, der in dem Moment in den Gemeinschaftsraum tritt. „Seid ihr bereit?“, fragt er und knetet dabei nervös seine Finger. „Die Taschen sind gepackt“, sage ich und schultere den Rucksack. „Wenn du dein Team zusammengestellt hast, haben wir noch ein letztes Strategietreffen mit Ryan. Wo ist eigentlich Gen?" Bei ihrem Namen muss er lachen. „Sie erholt sich noch von ihrem Kater, nehme ich an." Ihrem… Kater? „Ist nicht ihr Ernst", stöhne ich und laufe Amy hinterher, die voran torkelt und mich zu ihrem Zimmer führt, das sie sich mit der Favoritin teilt. Als ich hineinstürme, entdecke ich Gen inmitten eines Deckenhaufens, der sich um all ihre Glieder gewickelt hat. "Aufwachen!", rufe ich. Genevieve zuckt zusammen, rollt sich stöhnend auf die andere Seite − und fällt vom Bett. "Ouch!", flucht sie und entknotet sich mühsam. Ihr Haar steht in alle Richtungen ab. Amy geht neben ihr in die Knie und tätschelt ihren Kopf. "Arme Genny", sagt sie, steht auf und lässt sich ins zweite Bett des Raumes fallen. Ich schüttele fassungslos den Kopf. "Gen, wir treffen uns in zehn Minuten in Ryans Computerhöhle. Sei pünktlich." "Geez, mach jetzt keinen auf Raph…" Ich bleibe lange genug, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich aufsteht, wende mich aber schließlich ab und gehe zusammen mit Noah und Melissa nach oben. Ryan ist bereits damit beschäftigt, Grundrisse, Arbeitsschichten und Zeitpläne herunterzuladen. Als er uns bemerkt, winkt er uns zu sich. "Wie gestern besprochen werden Dark und Gold planmäßig auf Patrouille gehen", sagt er. "Nachdem ihr wieder draußen seid, fliegen Melissa und Nathan direkt nach Johto. Raphael wartet am Bahnhof auf den Rest von euch. Soweit verständlich?" "Wir haben das schon dreimal durchgekaut", sage ich. "Ich glaube, wir haben es kapiert." Ryan schnaubt. "Bei euch kann man nie sicher sein. Ah, Genevieve, wie schön, dass du auch Zeit gefunden hast, dieser Besprechung beizuwohnen. Ich hoffe, du bereust deinen kleinen Exzess gestern Nacht nicht allzu sehr." "Wenn ich schon mal in Prismania City bin, dann gehe ich auch hier in ´ner Bar trinken", erwidert Gen und reibt sich die Stirn. "Hab nur vielleicht ´n bisschen übertrieben." "Eine weise Erkenntnis", stellt Ryan trocken fest. "Wenn also alle Wahnsinnigen versammelt sind, können wir ja beginnen. Oh, und bevor ich es vergesse…" Er wühlt in einem Haufen Dokumente und fischt einen einzelnen Pokéball heraus, den er mir in die Hand drückt. "Mein Starter. Ich glaube nicht, dass ihr ohne ihn weit kommt."   Das Gefängnis liegt nordwestlich von Saffronia City, abseits der meisten Städte auf unbewaldetem Gelände. Der Flug dorthin erweist sich als der einfachste Teil: Melissa fliegt Altaria mit gewohnt kühler Eleganz, Hunter erfreut sich an dem warmen Klima, das am Silberberg quasi nicht vorhanden war und Noah fliegt auf seinem Fasasnob, dessen tiefgraues Gefieder mich an Sturmwolken erinnert. Nathan, der ebenfalls mit von der Partie ist, treibt uns mit Washakwils Rückenwind voran. Wir müssen ein gutes Stück von dem Gefängnis entfernt landen, denn es gibt Wachtürme und das Gelände um die hohen Mauern und das Luftgitter ist bar jeder Versteckmöglichkeit. Ein einstündiger Marsch durch den sich langsam lichtenden Wald dämpft unsere Stimmung zusehends und außer Ryans spitzen Kommentaren drücken wir uns um Konversation. Erst, als wir den Waldesrand erreichen, kommt die Aufregung zurück. Inzwischen ist es dunkel geworden. Wie Ryan uns bereits zehn Mal versichert hat, wird Zach nach dem Einschluss um 18:00 Uhr mit absoluter Sicherheit in seiner Zelle sein, deren Position er uns anhand der gestohlenen Grundrisse solange eingebläut hat, bis jeder von uns blind dorthin finden würde. Am Waldrand, gerade außerhalb der Sichtweite der Wachposten, halten wir inne. "Gen, hast du den Gürtel?", frage ich ein letztes Mal nach. "Wenn der Austausch nicht klappt, haben wir ein echtes Problem." "Chill, Abby. Ich hab alles dabei." Genevieve schielt zu mir und grinst mich frech an. "Was, hast du jetzt plötzlich Muffensausen?" "Ich will nur, dass wir alle heil da wieder rauskommen." "Wahrscheinlich stellt sie deine Zurechnungsfähigkeit in Frage, nachdem du dich einen Tag vor dem Gefängnisausbruch mit Alkohol zugeschüttet hast", ertönt Ryans höhnende Stimme. "Ich für meinen Teil stimme ihr zu." "Geez, Spaßverderber…" "Ruhe jetzt", flüstere ich. "Ruft eure Pokémon, wir gehen rein." "Genau das wollte ich hören." Melissa greift nach ihrem Pokéball und ruft ein Roserade, dessen Blütenhände einen betörenden Geruch verbreiten. "Roserade, ich erwarte deine volle Unterstützung. Nutz die Erfahrung als Training für deine flächendeckenden Statusangriffe." Das Blumenpokémon schielt zu seiner Trainerin empor, die den Blick gnadenlos erwidert. Es neigt den Kopf in stummer Zustimmung und nimmt neben Melissa Aufstellung. Zu beiden Seiten rufen nun Nathan und Noah ihrerseits ihre Pokémon, dicht gefolgt von Genevieve. Nachdem das rote Licht verblasst ist, finde ich mich Gens Hypno Zero gegenüber, das sein Pendel fröhlich um seine Nase wickelt, sowie einem Somnivora, das schlaftrunken in der Luft schwebt und Noahs Groink. Das Manipulatorpokémon pikst seinen Nachbarn und grinst schelmisch, als es verwirrt grummelt. "Sammy, bitte", murmelt Nathan, als sein Somnivora ein lautes Schnarchen von sich gibt und erschrocken von dem Geräusch die Augen aufreißt. "Blamier mich nicht." Noah kichert und tätschelt seinem eigenen Pokémon den Kopf. Es schließt genießerisch die Augen. Ich selbst schnappe mir Gotts und Priss´ Bälle und rufe das ungleiche Paar. Gott legt kurz die Ohren an, als er sich so vielen Menschen gegenüber sieht, aber Nathan und Melissa kennt er bereits vom Silberberg und Gen ist ihm ebenfalls bekannt. Auf meinen kurzen Pfiff hin fährt er das lodernde Feuer in seinem Nacken herunter und wartet auf mein Kommando. Priss leckt ihre Pfoten, völlig unbeeindruckt von Gotts neuer Statur. "Okay Leute", sage ich und wende mich meiner kleinen Spezialeinheit zu. Noahs Anblick lässt mein Herz höher schlagen. Was mache ich hier eigentlich? Die stärksten Trainer der Regionen und Kantos Champion herumkommandieren? Wie bin ich nur in diese Rolle hineingeraten? "Kommt da noch was in Sachen Ansprache oder sollen wir loslegen?", fragt Melissa und ruiniert jeden Gedankengang, den ich gerade hatte. Ich räuspere mich und werfe ihr einen wütenden Blick zu. "Ich erinnere nochmal alle daran, dass wir kein Aufsehen erregen wollen. Wir sorgen dafür, dass uns niemand bemerkt und wenn doch, dann sorgen wir dafür, dass sich niemand mehr an uns erinnert. Dieser Vorfall darf nicht an die große Glocke gehangen werden, sonst ist diese ganze Operation nutzlos. Verstanden?" "Ja, Captain", stöhnt Gen. "Und jetzt Schluss mit den Motivationsreden, ich will ein paar Wärter hypnotisieren!" "Ganz deiner Meinung", flüstert Melissa und macht einen Schritt vor. "Jetzt Mund halten und rein da." Ich seufze und trete zurück. "Ihr kennt den Plan. Los geht´s!" Melissa winkt Roserade zu sich, die im Schatten der Bäume so nah wie möglich an die flachgerodete Fläche schleicht. Sie hebt ihre Hände vor sich wie Pistolen und spreizt die Blüten weit. Der Geruch von zuvor intensiviert sich, bis ich mir eine Hand vor Mund und Nase halten muss. "Mehr", befiehlt Melissa. Roserade knirscht mit ihren spitzen Zähnen und zwingt die anziehenden Gerüche nun auch aus der Blüte auf ihrem Kopf. Ich verfolge den Weg des Lockdufts mit zusammengekniffenen Augen und kann mit etwas Mühe die goldgelben Schlieren in der Luft erkennen. Trotz aller Bemühungen ist die Reichweite jedoch zu gering. Roserades Lockduft erreicht nicht die Wachtürme und erzielt damit keinerlei Wirkung, außer uns andere benommen werden zu lassen. "Hunter", murmele ich. Der Ball an meiner Hüfte aktiviert sich und befreit meinen krächzenden Chaoten in einem Lichtermeer aus Rot. "Kannst du für ein bisschen Aufwind sorgen?", frage ich. "Roserade braucht Hilfe bei ihrem Lockduft." Hunter legt den Kopf schief und beäugt das Blumenpokémon, dann hoppst er an ihre Seite und schlägt sanft mit den Flügeln. Roserade nimmt ihre Attacke wieder auf und dieses Mal steigen die vernebelnden Düfte bis hinauf in die Wachtürme. "Okay, jetzt ihr", befehle ich. "Gott, ich brauche einen kleinen Waldbrand, ungefähr… dort hinten." Ich deute auf einen Waldabschnitt auf der östlichen Seite des Gefängnisses, gerade weit genug von uns entfernt, um ein wenig Sichtschutz zu bieten. "Übertreib es nicht, dein Flammenwurf hat es inzwischen ziemlich in sich. Wenn das Feuer zu groß wird oder wir sicher drinnen sind, löschst du alles, Priss. Verstanden?" Die beiden nicken und preschen unter dem Schutz der Bäume davon. "Ich habe die Überwachungskameras im Außenbereich mit Stillbildern überlagert", ertönt Ryans markante Stimme. "Ihr solltet ohne Probleme bis zu ihrer Haustür gelangen, sofern die menschlichen Vertreter euch nicht bemerken." "Seid ihr soweit?", frage ich das Hypnoseteam. Genevieve faltet ihre Hände und lässt genüsslich ihre Finger krachen. "Sowas von. Zero und ich werden die Bude rocken." Wir warten, bis die Wachposten eindeutige Symptome von Roserades Lockduft zeigen. Einige bewegen sich schon seit Minuten nicht mehr oder starren verträumt in die Ferne, andere drehen sich verwirrt im Kreis, so als suchten sie nach dem Ursprung des Geruchs. Plötzlich steigt zu unserer Rechten Rauch auf. Ich kann die Flammen nur als helles Flackern ausmachen, aber die Wachmänner schütteln sich aus ihrer Trance, rufen einander Befehle zu und lehnen sich weit über ihre östliche Reling, um den Ursprung des Feuers zu entdecken. Keiner schaut in unsere Richtung. "Jetzt!", zische ich. Nathan und Gen laufen geduckt vor. Die Hypnose der beiden Psychotypen hat keine so große Reichweite wie Roserades Lockduft, aber dank Gotts Ablenkungsmanöver kommen sie nahe genug an das Gefängnis heran, ohne gesehen zu werden und durch die Benommenheit, die sich in den Rängen der Wachen breit gemacht hat, treffen ihre Attacken problemlos. Einer nach dem anderen klappen die Männer in sich zusammen. Als der gesamte äußere Überwachungsring hinter den Mauern weggesackt ist, sprinten Melissa, Noah und ich den anderen beiden hinterher. Hunter rufe ich zurück, bevor sein aufgeregtes Krächzen uns verrät. Die Wachen auf der anderen Seite des Gefängnisses sind schließlich noch hellwach. "Ich habe alle Sicherungen ausgehebelt", kommentiert Ryan, als wir das mit Stacheldraht versehende Tor erreichen, dessen massive Metalltüren unter normalen Umständen das Ende unseres Ausflugs wären. "Rechts ist ein Tastenfeld und der Bestätigungsknopf angebracht. Drückt einfach den Knopf, dann kommt ihr rein." Gen übernimmt die Aufgabe und hämmert auf den grünen Schalter ein. Ich habe nicht an Ryans Hackerfähigkeiten gezweifelt, trotzdem kann ich meinen Augen kaum trauen, als das Tor sich einfach öffnet. Ich werfe einen letzten Blick hinter uns. Noah nickt mir beruhigend zu, während Melissa bereits vorfreudig nach ihrer Gebetskette gegriffen hat. Ich hole ein letztes Mal tief Luft. 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