Wenn Hass vergisst zu hassen von Plixel ================================================================================ Kapitel 9: Magie und Blut ------------------------- Ich fühlte mich ausgeruht. Als hätte ich tief geschlafen und das drei Tage lang. Trotzdem wollte dieses dumpfe Gefühl in meinem Schädel nicht weichen. Es war kein Schmerz, aber auch nicht besonders angenehm. Es fühlte sich an wie…ja, wie Wissen. Wie Wissen, das mich bedrückt und einschränkt. Je mehr ich mich auf die Information, die mir dieses drängende Stückchen Intelligenz offenbar zu kommen lassen wollte, konzentrierte, desto mehr wandelte es sich in Schmerz um. Also ließ ich es nach einer Weile bleiben und konzentrierte mich nun auf andere, im Moment wichtigere Dinge. Warum war es denn plötzlich so schwer meine Augen zu öffnen? Ich war doch schließlich hellwach! Erst jetzt bemerkte ich das leichte pieksen auf meiner Wange. Ich versuchte, meinen Kopf zu schütteln und damit die Hand weg zuschlagen. Zwar klappte dieses Vorhaben nicht ganz, aber dafür schien meine Gesichtsmuskulatur wieder auf zuwachen. Ich zog meine Augenbrauen zusammen, verzog meinen Mund und brachte gerade noch ein leises Murren zu Stande. Das pieksende Etwas fand das anscheinend sehr lustig, schließ ich aus dem erheiternden Kichern, das ich nun zu hören bekam. „K…Ki…a…?“ Mehr schaffte ich nun wirklich nicht. Das Gefühl der hindurch strömenden Luft in meinem Hals war zwar wieder da, doch ein ausgetrocknetes Kratzen, welches mir das Reden fast unmöglich machte, vermischte sich damit. Nur Sekunden später wurde mein Kopf von kleinen, kühlen Händen angehoben. Kaltes Glas streifte meine Lippen und in freudiger Erwartung auf das lindernde Nass, hob ich meinen Kopf aus eigener Kraft noch ein Stückchen höher. Nach zwei weiteren Gläsern setzte ich mich auf. Der dumpfe Schmerz schien sich zu verziehen und meine Augen konnte ich nun auch öffnen. Eigentlich hatte ich den Anblick des vom morgendlichen Sonnenlicht erhellten Zimmers, das ich und Kira bei Forn bezogen hatten, erwartet. Aber hier sah es ja aus wie in einem billigen Magier-Geschäft für billige Magier-Tricks! Die Decke konnte man kaum noch erkennen, stattdessen hingen einem dutzende von Traumfängern und komische Glasaugen mit Runen-Medallien ins Gesicht. Auch der Rest des Zimmers sah nicht besser aus: Mein Bettbezug schien aus alten Zauberpergamenten zusammengenäht zu sein, voller Pentagramme und mehr gruseligen Augen. Als sich mein Blick in den einer ganz bestimmten Person bohrte, war mir, als bliebe mir die Luft weg. Die ganzen Glücksbringer drehten sich auf einmal, ohne jeden ersichtlichen Grund. Ich folgte ihnen mit den Augen, was sich als fataler Fehler herausstellte: Ich übergab mich. Mitten auf das Laken. Na ja, wenigstens starrten mich diese Augen nicht mehr an. Ich verlor mich immer mehr in einem dumpfen Nichts, als mir plötzlich ein Bild vor die Augen sprang. Nur für ein paar Sekunden. Dafür sehr intensiv. Und rot. Ich jappste und sog wieder Luft in meine Lungen. Hechelnd blickte ich erneut zu dieser Person. Kira. Lächelnd klopfte er mir auf den Rücken, denn ich hatte angefangen zu husten. Als ich endlich aufhörte, meinte er: „Na, geht’s wieder?“ Ich schnaubte, nickte aber schließlich. „…Ähm“, fing Kira wieder zögernd an zu sprechen, „Erinnerst du dich an das, was passiert ist?“ Ja, ja das tat ich. „…Ja. Warum?“ Nun verzog er das Gesicht. „Warum? Weil ich auch gerne wüsste, warum du schreiend und zuckend auf dem Boden lagst!“ Was? Auf dem Boden? „Aber…Sind…Sind wir nicht tot?“ Entgeistert sah er mich an. Aber wie konnte das denn sein? Ich hatte ihn und Gitai doch…Und dann war ich doch selbst…! Aber warum schien er denn so überrascht? War das hier nicht das Leben nach dem Tod? „Was redest du denn da! Du hattest höchstens einen Zusammenbruch, dir ist nichts passiert! Und uns, außer dem riesigen Schock, auch nicht!“ Gerade wollte ich meinen Unglauben zum Ausdruck bringen, als ich Gitai durch die Tür kommen sah. Und plötzlich wirkte sie gar nicht mehr so jung. Sie sah aus, als hätte sie jahrelang eine schwere Bürde auf sich getragen, die nun langsam zu ihrem Verhängnis wurde. „Kira“, sagte sie dann mit bestimmter Stimme. Nun sah sie ihn an, ihr Blick wurde weicher, wärmer, sie lächelte sogar. „Geh’ du doch bitte zu Fron und erklär’ ihm was geschehen ist. Er kennt mich.“ Jetzt nickte Kira entschlossen und rannte auch schon los. Ich blickte ihm hinterher, fragte mich, was um alles in der Welt nun wirklich geschehen war, als Gitais scharfe Stimme meine Gedankengänge durchschnitt. „Was hast du dir dabei gedacht?“ Ich erzitterte bei dieser Frage. Meinte sie das Buch? Ich hatte es doch nicht einmal absichtlich angefasst! „Was meinst du denn?“ Statt sie sofort anzuschreien, schluckte ich meinen Ärger herunter und stellte diese Gegenfrage. Sie schnaubte. „Na was wohl? Hatte ich euch nicht ausdrücklich gesagt, nicht anzufassen?“ Obwohl sie ihre Stimme nicht hob, fühlte ich mich ein wenig eingeschüchtert. „Angefasst hab ich ja auch nichts!“, „Sag’ mal, bist du ernsthaft so dumm oder tust du nur so?!“ Offenbar hatte ich sie leicht verärgert, dem Aufschlagen ihrer Hand auf dem Tischchen nach zu urteilen. „Und das Regal ist auch einfach so herunter geplumpst! Wie hast du das überhaupt hin bekommen?! Es war in die Wand eingebaut, verdammt noch mal!“ …Was? Ich wollte ihr antworten, wollte ihr sagen, was passiert war, aber gerade bildete sich ein großer Kloß in meinem Hals. Ihr vor Wut verzerrtes Gesicht entspannte sich wieder, als sie sah, wie ich mit den Tränen zu kämpfen hatte. Doch weniger sorgenvoll wurde es dadurch nicht. Mit nun sanfterer Stimme meinte Gitai: „Also gut, erzähl’, was passiert ist.“ Und das tat ich. Ich stockte oft während ich sprach, besonders als ich an der Stelle angelangt war, an der ich sie und Kira tot vorfand. Gitai wurde immer nachdenklicher, je mehr ich erzählte. Bis jetzt hatte ich ihr verschwiegen, wer sie und Kira ermordet hatte. Ich war mir ja nicht einmal selbst sicher, denn offenbar war es eine Art Traum gewesen. Vielleicht hatte ich es einfach nur falsch gedeutet? Den Gedanken, dass es überhaupt nichts zu bedeuten hatte, lehnte ich von vornherein ab. „…Und dann ging ich zu der Tür. Ich wollte einfach nur noch raus, verstehst du? Jedenfalls, als ich dann an der Tür ankam…hing ein Spiegel davor. Ich sah automatisch hinein und…und…“ Ich brach ab. Die Erinnerung war noch zu lebendig. „Nur Mut. Sprich weiter“ Gitai hatte sich inzwischen vor mich auf das Bett gesetzt. Im Schneidersitz lauschte sie mir gespannt, aber immer noch ernst. Ich atmete tief durch. „Da war ein Handabdruck. Aus Blut. Auf meiner Schulter. Und hinter mir stand…nein!“ Nein. Nicht hinter mir. Hinter ihr! Ich schrie. Hinter ihr lachte ich. Das Schütteln an meinen Schultern holte mich nicht aus meiner Starre. „Wer? Wer war hinter dir?!“ Immer wieder, immer wieder wiederholte sie diese Frage. Und als ich eben dies bemerkte, verschwand das Ich hinter Gitai. Mit aufgerissenen, noch nicht ganz in dieser Welt angekommenen Augen starrte ich in ihre Seelenspiegel. Das geflüsterte „Ich“ stoppte das Schütteln und ihre Fragerei. Ich spürte, wie sie nach einer Weile die Arme um mich legte. Ihren entsetzten Gesichtsausdruck jedoch, den erahnte ich erst Jahre später. . . . . .*.*.*. Immer noch saß ich in Gitais Bett, lauschte dem Gespräch mit Forn. Ich verstand zwar kein Wort, konnte aber deutlich deren Stimmen vernehmen. Wahrscheinlich erklärte sie ihm nun etwas, dass sie mir später und in Ruhe beibringen wollte. Nach einer Weile hörte ich, wie sich große, schwere Schritte und kleine, Unruhige vom Waggon entfernten. Anscheinend hatte ich mit meiner Vermutung Recht. Ein Seufzen ertönte und kurz darauf betrat Gitai das Zimmer. Sie lehnte sich an den Türrahmen und sah mich erschöpft an. Ich schluckte, was sie dazu veranlasste sich in derselben Position wie vorhin, vor mir nieder zu lassen. „Ich erkläre dir nun das, mit dem Buch. Falls du Fragen hast, schluck’ sie runter oder merk’ sie dir bis zum Schluss, denn ich möchte nicht unterbrochen werden.“ , erklärte sie mir wie eine strenge Lehrerin. Ich nickte und versuchte nicht allzu verunsichert zu wirken. Ein letztes Seufzen ihrerseits und Gitai fing an: „Das Buch, das da auf dich drauf gefallen ist, war natürlich kein normales. Es war eines der mächtigsten Bücher, die ich kenne und besitze. Du glaubst sicher nicht an Magie, und das ist wahrscheinlich auch besser so. Die meisten Magier sind nämlich Heuchler und Betrüger, wie du sicher schon bemerkt hast. Aber manche unter uns haben Gaben, die man als Magie bezeichnen könnte. Dabei handelt es sich eigentlich nur um das Beherrschen. Das Beherrschen einer bestimmten Sprache. Manche sagen, es sei die Sprache der ersten Naturgeister, mit der sie alle Dinge benannten. Andere sagen, und der Meinung bin ich auch, es wäre die Sprache Nais. Die Sprache, die sie ihren Kindern, und nur ihnen, lehrte, damit sie den Dingen, über die nur sie alleine herrschen und entscheiden durften, Befehle erteilen konnten. Und diese Sprache ist nun irgendwie zu uns Menschen durchgesickert, nachdem Drachen und Phönixe diese Gabe erhielten. Wie gesagt, nur sehr wenige Menschen erhalten diese Gabe, und falls du jetzt denkst, man könnte diese Sprache, wie jede andere auch, erlernen, dann täuschst du dich. Sie fasst sich nämlich nicht in Worte, sie ist pure Willenskraft. Jedenfalls wurde auch ich mit dieser Gabe geboren. Natürlich bekommt man dabei nicht das gesamte Vokabular mit, sonst wäre diese Welt durch die Hand machthungriger Magier schon lange unter gegangen. Nein, jeder Magier bekommt einen spezifischen Wortschatz. So können wir nur in bestimmten Bereichen „Magie“ anwenden. Das macht uns noch lange nicht zu einem Gott, aber das erklär’ ich dir vielleicht ein anderes Mal. Also, Götter haben ebenfalls nur ein bestimmtes Maß an Wörtern zur Verfügung, außer Nai, die Mutter aller Götter. Und so werden wir Magier dem Gott als „Geweihter“ zugeteilt, dessen Vokabular mit dem eigenen übereinstimmt. Ich, zum Beispiel, bin die Geweihte der Göttin Kizuna. Sie ist ein unterrängiger Gott und ist so etwas, wie eine Hellseherin. Sie kann der Zeit befehlen, ihr Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit zu zeigen. Während sie dies aber mit ihrer bloßen Magie, also ihrer Willenskraft, schafft, brauche ich dafür „Verstärker“. Das ist auch der Grund, warum es hier so merkwürdig aussieht. Aber dies alles sind keines Falls billige Anhänger. Jedes Einzelne hilft mir die Ausrufe der Zeit besser wahrzunehmen, jedes Einzelne habe ich selber angefertigt. So ist auch dieses Buch ein Verstärker, einer der mächtigsten, die ich geschaffen habe. Natürlich hat es Unmengen an Jahren benötigt, das alles hier herzustellen, aber wir Magier haben da so unsere kleinen Tricks in Sachen Alterung. Nun zu dem Buch: Es schützt mich. Es schützt mich vor Mördern, deren Morde schon Jahre hinter ihnen liegen und es schützt mich vor Mördern, deren nächstes Ziel ich sein könnte. Vor gegenwärtigen Mördern schützt es mich nicht, schließlich ist es ein Buch und keine Leibgarde. Du fragst dich jetzt sicher, wie es mich denn schützten kann, hm? Nun, es lockt die Mörder mit seiner Präsens heran und lässt sie nicht mehr gehen. Sobald sich die Person umdreht oder anderweitig fliehen will, erscheint es vor ihm. Natürlich nicht in Wirklichkeit, es bildet eine Kuppel um den Mörder, und auf dessen Oberfläche erscheint die Illusion des Buches. So treibt es den Gefangenen in den Wahnsinn, bis dieser blindlings davonläuft. Dabei gibt es zwei mögliche Ereignisse, die folgen können. Erstens: Ich komme und entledige mich des Angreifers. Zweitens: Der Mörder berührt das Buch und blickt dabei in seine eigene Zukunft. Diese wird bei der Berührung im Buch festgehalten, sodass ich sie später abrufen kann. Während dem Eindringling dieser Einblick gewährt wird, wird er in Trance versetzt. Tja, früher oder später komme ich und entledige mich des Angreifers, hehe!“ Mit einem Grinsen saß sie vor mir. Ich war fassungslos. „Aber…Aber das heißt ja, dass ich dich umbringen wollte!“ Das Grinsen verschwand. „Ja, aber da du dies offenbar nicht vorhast, muss ich wissen, warum du es getan hättest.“ …getan hättest? Also werde ich es nicht tun? Erleichtert, wie noch nie zuvor, sank ich zurück in die Kissen. Doch Gitais mahnende Stimme ließ mich wieder aufhorchen. „Freu’ dich nicht zu früh! Es stimmt, vorerst wirst du niemanden umbringen, doch das könntest du später immer noch tun. Deshalb muss ich den Grund für dein ungewolltes Vorhaben herausfinden, er könnte dich zu späteren Dummheiten verleiten“ Ich schluckte. Ich war gerade einmal elf und hatte gemordet. Und nun drohte mir ein Rückfall? „Und wie möchtest du den Grund herausfinden?“, fragte ich mit schlimmer Vorahnung. „Ich werde mir deine Erinnerung an die Zukunft im Buch ansehen müssen. Mit meiner Gabe werde ich in deiner Vergangenheit herumstöbern.“ Verdammt! So würde sie das, mit meinem Heimatdorf erfahren…Moment. Aber wusste sie es nicht jetzt schon, wenn sie meine Vergangenheit sehen konnte? „Wieso kannst du das den nicht mit meinen…meinen realen Erinnerungen, hier und jetzt machen?“ Ihre Antwort darauf schockierte mich: „Das habe ich schon.“ Ich sah sie entsetzt an. Doch sie schaute nur nachdenklich an die Decke und sprach weiter: „Ich habe deine Kindheit mitverfolgt, sie war sehr traurig. Aber so etwas habe ich bei Straßenkindern in anderen Dörfern auch schon beobachtet. Und glaub mir, die wollten mich deswegen nicht umbringen! Jedenfalls ist mir nichts an deiner Kindheit aufgefallen.“ Aber wie konnte das- „Halt, warte! Doch!“ Hellwach sah sie mich an, als wäre ihr etwas Wichtiges wieder in den Sinn gekommen. „Wie du und Kira zusammen hierher gekommen seid, habe ich gesehen. Auch wie deine Mutter zu Besuch kam und dich in den Arm genommen hat. Aber dazwischen: Eine große Lücke!“ Meine Mutter. Umarmung? Von meiner Mutter? Wut stauchte sich an. Meine Gesichtszüge entgleisten mir. Ein Knurren war zu vernehmen. Es steigerte sich in ein Lachen. Die Frau vor mir schien zu begreifen, schien nun die verdrängten Ereignisse in meinen Erinnerungen sehen zu können. Zu spät. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)