At The End Of The Day... von abgemeldet ================================================================================ Das Telefon klingelte. Ayumi erhob sich schweigend vom Tisch und ging hinüber zu der kleinen Kommode, auf der der altmodische, schwarze Apparat stand. Sie nahm ab. "Ja? Oh, sie sind es..." Himekos Blick folgte den Bewegungen ihrer älteren Schwester. Sie war immer wieder erstaunt, wie schön sie doch war: Lange, schwarze Haare fielen ihr gestuft bis etwas über die Schultern und umrahmten das schmale, hübsche Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen, der kleinen Nase und den schwarzen, tiefgründigen Augen darin... Ihr Blick wanderte den schlanken Körper hinunter. Kaum vorstellbar, dass diese Frau so einen Beruf ausübte... Und dennoch... "Ja, ich verstehe... ja..." Die Jüngere versuchte angestrengt, die Worte der Person am anderen Ende der Leitung zu verstehen, doch sie waren zu leise. "Ja... wie war der Name? ... Sie sind sicher?... Ja, ja, verstehe..." Ayumis Gesicht wurde plötzlich bleich und es schien, als würde sie leicht zittern, doch behielt sie die Fassung und der Klang ihrer Stimme änderte sich nicht. "Und die Bezahlung? ... Was? Sie sind sicher? So eine... Ja, natürlich, verstehe. Ja... Wann? Heute Abend?... In Ordnung.... Nein, ich werde sie nicht enttäuschen. Auf Wiedersehen." Sie ließ den Hörer sinken und blieb eine Weile schweigend und blass stehen. Schwer atmend legte sie schließlich auf und wankte wieder in Richtung des Tisches. Kraftlos setzte sie sich und verbarg das Gesicht in den Händen. Himeko schaute sie kurz fragend an, und fragte nach kurzem Schweigen: "Nee-chan? Was hast du?" Ayumi schüttelte leicht den Kopf. "Ich hasse diesen Beruf..." Himeko beobachtete, wie sich eine Träne einen Weg zwischen den schlanken Fingern mit den langen Nägeln bahnte und auf die schwere, hölzerne Tischplatte tropfte. "...Nee-chan?" Himekos Stimme klang brüchig und so, als würde sie selbst gleich weinen - sie hasste es, wenn es ihrer Schwester schlecht ging, und genauso war es auch umgekehrt. Die beiden Schwestern hatten seit dem Mord an ihren Eltern nichts und niemanden mehr. Damit die erst 14jährige Himeko weiterhin die Schule besuchen konnte, hatte ihre 6 Jahre ältere Schwester einen fatalen Beruf angenommen - sie war eine Killerin der Yakuza. Im Gegenzug für ihre guten Dienste - und das waren sie wirklich - noch nie war eines ihrer Opfer mit dem Leben davongekommen - finanzierte die kriminelle Organisation die Wohnung der beiden Mädchen und versorgte sie mit genug Geld für ein luxuriöses Leben. "Das war der Auftraggeber...", brachte Ayumi zittrig hervor. Die Schwestern kannten den Namen dieses Mannes nicht, genausowenig wie sie ihn jemals gesehen hatten. Sie kannten lediglich seine Stimme vom Telefon. Überhaupt kannten sie nur einen ihrer Arbeitgeber richtig: Takeshi Shinomori, der sich der beiden Mädchen nach dem Tod ihrer Eltern angenommen hatte, sie versorgt und ausgebildet, eine Schule für Himeko gefunden und eine Wohnung, in der sie leben konnten erworben hatte. Er war wie ein Vater zu ihnen gewesen, und aus Dankbarkeit hatten die beiden schnell vergessen können, dass er für den Tod ihrer Eltern verantwortlich gewesen war. Er hatte damals den Befehl gegeben... Himeko nickte leicht, verstand aber nicht so ganz. Normalerweise reagierte ihre Schwester völlig gelassen, wenn sie den Namen eines Opfers erfuhr... "Wer ist es, Nee-chan?" Ayumi hob den Blick und blickte ihrer Schwester in die ebenfalls schwarzen Augen. Dann schüttelte sie leicht den Kopf. "Das darf nicht wahr sein... Ich kann das nicht glauben..." Himeko strich ihr eine Träne von der Wange. Ihre Augen waren voller Mitleid, auch wenn sie noch nicht verstand, was passieren würde. "Nee-chan..." Ayumi schluckte schwer und wischte sich mit dem Ärmel ihrer schwarzen Bluse die Tränen aus dem Gesicht. "Der Auftrag lautet: Töte Takeshi Shinomori und seine Familie." Die Augen der Jüngeren weiteten sich. Nein, das konnte nicht sein... der Auftraggeber konnte doch nicht anordnen, seinen Vorgesetzten zu töten! "Die Begrüdnung war: Shinomori ist ein Verräter und hat die Organisation betrogen. Er soll bestraft und gleichzeitig zum Schweigen gebracht werden." Himeko schüttelte den Kopf. "Warum lassen sie ausgerechnet DICH das tun? Sie wissen doch, wie wir zu ihm stehen..." Ihr traten Tränen in die Augen. "Shinomori-sama... Warum?" Ayumi strich ihr über den dunkelbraunen, kinnlangen Haarschopf. "Gerade deshalb muss ich es tun - er würde neimals erwarten, dass ich deshalb komme..." Sie ließ den Kopf sinken und legte ihm auf die Unterarme, welche sie auf der Tischplatte verschränkt hatte. "Ich will das nicht tun, Hime-chan... Ich will nicht...", brachte sie heiser hervor. Es war das erste Mal, dass sie sich gegen einen Auftrag sträubte... "Dann... dann tu es einfach nicht!", rief Himeko und ergriff ihre Hand. "Lass ihn einfach am Leben und sage, du hättest ihn nicht erwischt!" Ihre Stimme klang verzweifelt, denn sie wusste selbst nur zu genau, dass das unmöglich war. Wie sie es erwartet hatte, schüttelte ihre Schwester auch bereits den Kopf. "Wenn ich das tue, töten sie dich... Und das will ich noch weniger..." Ayumi seufzte und hob den Kopf wieder. Sie trocknete ihre letzten Tränen und rang sich ein schwaches Lächeln ab, um die Jüngere aufzumuntern. "Ich schaff das schon, Hime-chan... Abgesehen davon hat er mir etwas versprochen..." Himeko wurde hellhörig. Versprochen? Welches Versprechen könnte diese tat aufwiegen? Keines... Keines auf der Welt... Das Telefon klingelte erneut. Die Ältere raffte sich auf und nahm erneut ab. "Ja? Ah, gut... Und es geht klar? Ja... Einen Moment bitte..." Sie schaut zu ihrer jüngeren Schwester. "Hime-chan? Bist du so lieb und besorgst mir einen Stadtplan? Da müsste eienr in meinem Schreibtisch sein..." Himeko nickte leicht und stand auf, um den Raum zu verlassen und ins Arbeitszimmer ihrer Schwester zu gehen. Die letzten Worte, die sie vom Telefonat noch hörte, waren: "Da bin ich wieder. Also, ich habe Folgendes zu sagen..." Es dauerte einige Minuten, bis sie den Plan gefunden hatte, denn er befand sich in der untersten Schreibtischschublade, in die sie natürlich als Letztes sah. Doch auch als sie fündig geworden ist, blieb sie noch kurz im Zimmer stehen. Sie war hier drin selten, und staunte immer wieder... Die Wände waren mit den verschiedensten Waffen geschmückt, von Schwertern über Gewehre bis hin zur Automatik und hatten irgendwie etwas Beunruhigendes. Auf dem Schreibtisch lag eine Magnum, Ayumis Lieblingswaffe, und ein paar schwarzer Lederhandschuhe, ohne die keine der Waffen jemals berührt worden war. Man konnte ja nie wissen... Desweiteren standen einige gerahmte Bilder auf dem Tisch - eiens der ganzen Familie in den glücklichen Tagen, als die Eltern der beiden noch gelebt hatten, eines, das die beiden Mädchen zusammen mit Shinomori-sama zeigte, und eines der beiden allein. Himeko seufzte leise. Es war banal, wie idyllisch sie doch lebten. Banal... Sie schüttelte leicht den Kopf und ging dann zu ihrer Schwester zurück, die bereits wieder am Tisch saß und einen Kugelscheiber in der Hand hielt. "Hier ist der Plan, Nee-chan!" Ayumi lächelte leicht und nahm das Papier. Während sie es auf dem Tisch ausbreitete sagte sie: "Danke." Dann begann sie, einzelne Punkte mit dem Kuli einzukreisen und Verbindungslinien zu zeichnen. Dabei murmelte sie leise vor sich hin, doch davon verstand Himeko nichts - genausowenig wie von irgendetwas Anderem, was mit dem Beruf ihrer Schwester zu tun hatte. Ayumi hatte ihr immer alle Informationen vorenthalten. "Gut... das dürfte reichen...", sagte die Ältere. "Hime-chan? Hast du schon deine Hausaufgaben gemacht?" Himeko schüttelte den Kopf. "Noch nicht... das wollte ich später machen, wenn du weg bist." Ayumi nickte. "In Ordnung. Aber tu das auch, ja? Ich will ja, dass deine Noten gut sind..." Die Jüngere war irgendwie überrascht - ihre Schwester hatte so einen melancholischen, traurigen Ausdruck in den Augen. Sie wurde ernst und fragte vorsichtig: "Nee-chan? Was... was hast du vor?" Ayumi blickte aus dem Fenster. Sie konnte den ernsten Ausdruck dieser Augen nicht ertragen... Nicht jetzt. Nicht, nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte... Draußen wurde es langsam dunkel. es war fast Zeit, zu gehen - war es denn wirklich schon so spät? Sie erhob sich. "Ich ziehe mich schonmal um..." Himeko blickte ihr traurig hinterher. Sie ahnte etwas - immerhin kannte sie ihre Schwester gut genug... Etwa eine halbe Stunde später machte Ayumi sich daran, ihre Schuhe anzuziehen - sie trug für die Arbeit Springerstiefel, was sie sonst nie machen würde - aber im Job war sie eine andere Person... Als sie mit dem Schnüren fertig war, stand sie auf und umarmte ihre Schwester, die schon sie ganze Zeit schweigend neben ihr gestanden hatte. "Machs gut, Hime-chan... Und denk dran, deine Hausaufgaben zu machen..." Himeko stiegen die Tränen in die Augen. Sie erwiderte die Umarmung und nickte leicht. "Ja, mache ich... Versprochen... Ich werde auch in Zukunft gute Noten schreiben..." Ayumi strich ihr noch einmal sanft über den Rücken, seufzte dann und löste sich von ihr. Sie legte die schwarzen handschue an, verstaute ihre Waffe in der dafür vorgesehenen Halteung und drehte sich dann um. "Ich liebe dich, Hime-chan..." Die Jüngere brachte heiser hervor: "Ich dich auch... Und das werde ich auch immer..." Da fiel die Tür auch schon ins Schloss - und sie war weg. Himeko stand noch eine Weile regungslos im Flur. Sie fühlte sich auf einmal unglaublich allein. Alles kam ihr so dunkel und leer vor... Sie seufzte. Es war gar nicht nötig, ins Arbeitszimmer zu gehen. Sie wusste, was sie dort finden würde - einen Abschiedsbrief. Und sie wusste, dass sie Ayumi nie wieder sehen würde... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)