Vergeltung von Nochnoi (Version II) ================================================================================ Kapitel 30: Das Juwel --------------------- „Das also ist es?“ Eves Stimme war die erste, die die Stille durchbrach, nachdem Larva ihre Geschichte beendet hatte. Alle Anwesenden waren sofort in Schweigen verfallen und hatten das Wesen mit den Gesichtszügen von Vanessa Smith unentwegt angestarrt. „Soll das heißen …“, fuhr sie zögerlich fort, „das einzige, was Seth töten kann, … ist As’kyp?“ Zunächst war sie verblüfft gewesen, obwohl es genaugenommen durchaus Sinn ergab. Seth hatte sich As’kyps Fähigkeiten bemächtigt und hielt ihn irgendwo an einem unbekannten Ort gefangen. Der Totenwächter – oder auch Anash’gura, wie Seth ihn genannt hatte – war offenbar momentan nicht in der Lage, sich irgendwie zu befreien. Ihre Kräfte waren miteinander verbunden und im Augenblick war Seth der dominierende Part in dieser seltsamen Beziehung. Aber wie war es dann erst, wenn As’kyp wieder Macht erlang? Konnte er sich dann an Seths Fähigkeiten bedienen und den Magier seiner Stärke berauben, bis dieser nichts weiter war als ein normaler Mensch oder sogar völlig zugrundeging? „Hat er es getan?“, fand Richard auch schließlich seine Sprache wieder. „Hat Seth – oder von mir aus auch Calvio – schon damals diese Macht genutzt, um gegen Asrim und Sharif vorzugehen?“ Eve betrachtete Larva interessiert. Zumindest hatte Calvio Te-Kem durchaus versprochen, ihm beizustehen, doch sie kannte genug von dieser alten Geschichte, um sich im klaren zu sein, dass es kein gutes Ende genommen hatte. Zumindest konnte sie sich nicht entsinnen, dass ein Ritter in strahlender Rüstung aufgetaucht wäre und die Vampire vertrieben hätte. „Te-Kem hat damals nicht bedacht und im Grunde auch gar nicht gewusst, dass Shadyn aus einer anderen Zeit gestammt hat als er selbst“, erklärte Larva. „Für Te-Kem war ein Versprechen bindend, für Shadyn war es bloß eine Frage der Auslegung. Er hatte nie ein Problem damit, den Menschen die Worte im Mund zu verdrehen.“ „Er hat gelogen“, fasste Eve zusammen. „Er hat die Wahrheit gebeugt“, erwiderte Larva. „Das hat er schon immer gerne getan.“ Und mit diesen Worten zwinkerte sie Alec zu, der daraufhin leicht zusammenzuckte und seine Zähne fletschte, als die Bewegung eine neue Welle des Schmerzes durch seinen Körper schickte. „Shadyn wollte das Wissen, das Te-Kem besaß, unbedingt für sich haben“, fuhr Larva fort. „Ihm war jedes Mittel Recht, um sein Ziel zu erreichen. Allerdings war Te-Kem gewiss nicht dumm und hätte sich niemals mit einer glatten Lüge einfach abspeisen lassen. Es steckte ein Körnchen Wahrheit in Shadyns Worten.“ „Und dennoch lebt Asrim heute noch und Te-Kem ist damals gestorben“, stellte Eve nüchtern fest. Sie warf einen Blick zu Alec, dessen Miene hart und unleserlich geworden war. Er wünschte sich wahrscheinlich gerade nur, dass alle um ihn aufhörten, in alten Wunden herumzustochern, und ihn schlichtweg in Ruhe ließen. „Ich würde ja einfach vorschlagen, dass du unseren süßen Alec fragst, was damals in Rashitar geschehen ist, aber ehrlich gesagt kennt er selbst auch nur einen Bruchteil der Wahrheit, selbst wenn er sich dessen nicht bewusst ist.“ Larva lächelte schief. „Vielleicht hast du Glück und Shadyn oder Asrim werden es dir verraten. Niemand sonst kennt die komplette Geschichte.“ Alec wirkte für einen Moment, als hätte sie ihn ins Gesicht geschlagen, ehe er sich wieder um eine gefasste Miene bemühte. Eve erinnerte sich derweil, dass auch Seth etwas ähnliches ihm gegenüber angedeutet hatte. Ihm gefiel es vermutlich wenig, von solchen Wesen über seine eigene Vergangenheit belehrt zu werden. „Und so faszinierend das Ganze auch ist, sollten wir vielleicht wieder auf As’kyp zu sprechen kommen“, entgegnete Oscar harsch. „Wir können gerne weiterdiskutieren, wenn Seths innere Organe vor meinen Füßen liegen.“ „Er hat Recht“, meinte Richard nickend. „Also, na ja … nicht das mit den inneren Organen, das ist wirklich ekelhaft … aber As’kyp …!“ Eve vermochte nicht zu widersprechen. Es gab zwar unzählige Punkte, die sie gerade brennend interessierten – die Legende der Brucha oder auch die Ereignisse einst in Rashitar –, doch dafür hatten sie später immer noch genügend Zeit. Seth hätte jeden Moment wieder hier auftauchen und ihre einzige wirkliche Chance im Keim ersticken können, sollten sie noch weiter herumtrödeln. „Theoretisch betrachtet wissen wir, wie wir Seth ausschalten können“, sagte sie. „Aber dennoch gibt es entscheidende Probleme. Zunächst einmal haben wir keinen Ahnung, wo sich As’kyp überhaupt aufhält. Und selbst wenn wir ihn finden und befreien, wird er dann wirklich in der Lage sein, Seth auszuschalten? Er ist doch sicherlich durch die lange Gefangenschaft ziemlich geschwächt.“ „Dennoch ist es alles, was wir haben“, entgegnete Richard seufzend. „Darum sollten wir das Beste daraus machen.“ „Du gefällst mir, Junge“, meinte Larva amüsiert. „Ich freue mich schon darauf, wenn du stirbst und ich dich im Jenseits besuchen kann.“ Während Richard angesichts dieser Worte etwas blasser um die Nase wurde, klatschte Larva aufmunternd in die Hände. „Und er hat Recht, meine kleinen Freunde. As’kyp zu finden, ist die beste Chance, die ihr habt.“ Eve schnaubte. „Du hast doch selbst gesagt, dass du nicht weißt, wo As’kyp ist.“ „Ich weiß, wo er ist“, erwiderte das Geisterwesen leicht pikiert. „Aber ich habe keine Ahnung, wie ihr dorthin gelangen könnt. Den Weg, den ich nehme, könnt ihr jämmerlichen Kreaturen nicht benutzen. Aber einen anderen kenne ich nicht.“ Eve wusste nicht genau, ob sie enttäuscht oder angesichts von Larvas Wortwahl beleidigt sein sollte. Richard war wieder in Gedanken versunken, Seamus grinste wie ein Kind, das es kaum begreifen konnte, bei solch einem Erlebnis, das vielleicht irgendwann einmal in einem Geschichtsbuch stehen würde, dabei zu sein und Oscar überlegte offenbar gerade, ob es nicht vielleicht doch einen Weg gab, Larva umzubringen oder sie zumindest unerträgliche Qualen leiden zu lassen.  „Und was jetzt?“, fragte Eve seufzend nach. „Soll es wirklich so enden? Wir kennen die Lösung, können aber trotzdem nichts tun?“ „Ich kann euch nicht helfen.“ Auf Larvas Lippen bildete sich plötzlich ein Lächeln. „Aber ich kenne jemanden, der dazu imstande ist. As’kyp ist an einem Ort gefangen, den keine Seele ohne weiteres erreichen kann. Aber einst, vor langer Zeit, zeigte Seth jemanden den Eingang zu diesem Ort. Einer alten Geliebten.“ Eve runzelte die Stirn und auch die anderen sahen recht verwirrt aus. Sie wechselten einige verwunderte Blicke, ehe die Jägerin schließlich fragte: „Und … wem?“ Larva trat einige Schritte zurück. Ihre Gestalt löste sich bereits zusehend auf und würde in wenigen Augenblicken verschwunden sein. „Fragt das Juwel. Sie kennt den Weg.“ „Sie …?“, hakte irritiert nach, vermochte aber nur noch zuzuschauen, wie sich Larvas Gestalt auflöste und die Gruppe ohne eine zufriedenstellende Antwort zurückließ. „Verdammt!“ Eve knirschte mit den Zähnen und sah kurz hinüber zu Richard, der ebenso frustriert wirkte wie sie. Als sie ihren Blick jedoch weiter schweifen ließ, bemerkte sie, dass sie beide offenbar die einzigen waren, die keine Ahnung davon hatten, was Larva gemeint haben könnte. Seamus wirkte ehrlich überrascht, Oscar beinahe schon schockiert und Alec erweckte den Anschein, als würde er sich in der nächsten Sekunde übergeben. „Also …“, begann Eve zögerlich, nachdem mehrere Augenblicke in absoluten Stillschweigen vergingen, „ich nehme an, ihr wisst Bescheid, wer mit Juwel gemeint ist? Hätte vielleicht jemand die Güte, uns aufzuklären?“ Während die Vampire nicht so aussahen, als wären sie dazu imstande, überhaupt intensiver darüber nachzudenken, räusperte sich Seamus: „Nun ja, es gibt jemand, der schon seit Ewigkeiten so genannt wird. Ich glaube, die erste Erwähnung stammt aus einem römischen Bericht kurz nach dem Einfall der Hunnen, aber vermutlich reicht das Ganze noch weiter zurück.“ Er hielt kurz inne und warf einen Blick zu den Sa’onti. „Asrims Juwel, so kennt man sie vielerorts.“ Eve spürte, wie ihr unwillkürlich ein Schauer über den Rücken lief. „Und wer ist sie?“ Es war schließlich Oscar, der durch zusammengebissene Zähne antwortete: „Yasmine!“   *  *  *  *  * „Asrim, was ist hier eigentlich los?“ Yasmines Stimme erklang aus dem hinteren Bereich des dunklen Zimmers. Asrim drehte sich um und entdeckte sie, wie sie ihn, gegen den Türrahmen gelehnt, eindringlich musterte. Ihr hübsches Gesicht war eine einzige Maske des Vorwurfs. „Es ist einiges in Bewegung“, sagte Asrim nur und wusste sogleich, dass sich Yasmine mit dieser kargen Antwort nicht zufriedengeben würde. Und tatsächlich schnaubte sie verächtlich. „Halte mich bloß nicht zum Narren, alter Mann!“ Sie stieß sich vom Türrahmen ab und kam langsam auf ihn zu. „Erst schickst du mich auf eine gottverdammte Schnitzeljagd mitten in Deutschland wegen irgendeiner wertlosen Antiquität und dann darf ich mich hier ins regennasse England quälen! In diese wunderschöne Bruchbude wohlgemerkt! Und die einzige, die ich bisher gesehen habe, ist Necroma mitsamt ihrer verrückten Geschichten über Geheimnisse, fremde Welten und verflossene Liebhaber.“ Sie knirschte lautstark mit den Zähnen. „Wo, zum Teufel, sind die anderen? Hat es irgendeinen bestimmten Grund, warum du mich bisher von ihnen ferngehalten hast?“ Asrim versuchte, ihrem Blick standzuhalten, merkte aber sogleich, dass es ihm nicht gelingen würde. „Sie denken alle, du wärst noch in Deutschland.“ Yasmine runzelte ihre Stirn. „Und wieso?“ Weil du vielleicht in größerer Gefahr als alle anderen schwebst und du sie mit dir reißen könntest, dachte er bei sich. Stattdessen sagte er jedoch: „Es ist kompliziert.“ Yasmine stöhnte daraufhin nur frustriert auf. „Du bist manchmal wirklich unerträglich, Bastard!“ Seine Mundwinkel zuckten kurz, als er daran dachte, wie weit Yasmine bisher gekommen war. Er erinnerte sich noch deutlich an ihre erste Begegnung, einst in dieser kleinen Stadt im nördlichen Arabien. Damals war sie eine zurückhaltende und in sich gekehrte Frau gewesen, die immer versucht hatte, nicht weiter aufzufallen. Stets war sie mit gesenktem Kopf durch die Welt gegangen und hatte nur dann gesprochen, wenn man sie dazu aufgefordert hatte. In eine Welt geboren, die von Männer beherrscht worden war, hatte sie dies von klein auf gelernt. Aber Asrim hatte sofort ihr Potenzial erkannt. Er hatte gleich gesehen, dass hinter der Frau, die sich unter dem Schleier verborgen hatte, jemand steckte, der liebend gern aus sich selbst herausgekommen wäre. Der gerne mal geschrien, getobt und gebrüllt hätte, nur um sich lebendig zu fühlen. Schon früh war sie mit einem wohlhabenden, wesentlich älteren Mann verheiratet worden. Immer war sie bestrebt gewesen, es ihrem Gatten Recht zu machen und ihm eine gute Ehefrau zu sein. Doch er war abweisend und kühl gewesen, ein Mann ohne Herz und Gewissen. Als sich dann auch noch herausgestellt hatte, dass Yasmine aufgrund einer schweren Krankheit in ihrer Jugend niemals hätte Kinder gebären können, war es für ihn zu viel gewesen. Im festen Glauben, dass seine junge Gemahlin eine Sünderin wäre und deswegen von den Göttern verflucht worden sei, hatte er seinen ganzen Frust an ihr ausgelassen. Mitunter ein Grund, wieso Yasmine damals ihren Schleier stets tief in ihr Gesicht gezogen hatte. Die blauen Flecken waren wahrlich nicht ansehnlich gewesen. Asrim hatte keine großen Probleme gehabt, Yasmine auf seine Seite zu ziehen. Allein die Aussicht darauf, ihrem elenden Leben zu entkommen, hatte sie in Verzückung versetzt. Als sie schließlich in einen Vampir verwandelt worden war, war ihr verhasster Gatte selbstredend ihr erstes Opfer gewesen. Inzwischen erinnerte nichts mehr an stille und zurückhaltende Frau von einst. Mit der Zeit hatte sie gelernt, sich zu behaupten und über sich selbst hinauszuwachsen. Auf Befehle von Männern reagierte sie inzwischen ziemlich allergisch, selbst Asrim wagte es nicht mehr, sie ohne ein ‚Bitte‘ und ein freundliches Lächeln zu irgendetwas aufzufordern. Gleichzeitig aber war sie die Seele der Sieben. Während Annis reizbar und aggressiv und Necroma verrückt und ausgesprochen kompliziert war, bildete Yasmine einen Ruhepol. Sie war stets vernünftig und besonnen und ähnlich wie Sharif nicht dazu bereit, alles planlos zu überstürzen. „Okay, ich weiß, du bist ein mysteriöser Mann und hütest deine süßen Geheimnisse wie einen Schatz, aber wir sind deine Familie, zum Teufel noch eins!“, zischte sie. „Also erzähl mir irgendwas! Wenigstens ein kleines Stück der Wahrheit!“ Asrim zögerte, wollte sich wieder in Ausflüchten flüchten, aber merkte sogleich, dass er Yasmine noch nie etwas hatte abschlagen können. Sie war sein Schwachpunkt, die vielleicht einzige Person auf diesem Planeten, der er einfach nichts zu verwehren vermochte, sosehr er dies womöglich auch wollte. „Ich wünschte, du wärst noch in Deutschland“, gab er somit schließlich zu. „Bei den Göttern im Olymp, ich wünschte, ihr alle wärt noch in Deutschland! Ich kann es einfach nicht ertragen, dass ich die Situation so völlig falsch eingeschätzt habe. Ich hätte alleine kommen sollen, ich hätte das auf eigene Faust regeln sollen, doch stattdessen habe ich euch alle aus einer irrationalen Laune heraus hierhergeschleppt und damit womöglich euer Todesurteil unterschrieben.“ Yasmine erschien einen Moment angesichts seiner Worte ehrlich erstaunt, bevor sie erwiderte: „Uns wird schon nicht geschehen …“ Asrim schnaubte. „Erzähl das mal Alec.“ Daraufhin blinzelte sie verdutzt. „Warte, was?“ „Er lebt noch … gerade so“, versicherte er ihr rasch. Sie starrte Asrim mit großen Augen an und schien tatsächlich zu erwägen, ihn am Kragen zu packen und alle Antworten aus ihm herauszuschütteln. „Also, was genau ist passiert? Ist Alec in Ordnung?“ Asrim verzog sein Gesicht. „Na ja, auf gewisse Weise ... nicht wirklich. Aber er lebt noch“, fügte er rasch hinzu, als sich Yasmines Augen zu Schlitzen verengten. „Und was ist passiert? War es dieser Feuerteufel? Oder hat Oscar Alec letztendlich die Kehle aufgerissen, wie ich das schon seit Jahrhunderten prophezeit habe?“ Asrim holte einmal tief Luft. Er selbst wusste auch nicht genau, wie es vonstattengegangen war, er hatte bloß Wut und Schmerz und ein hohes Maß an Emotionen gespürt. Shadyn schaffte es mit jeder Stunde mehr, seine Sinne zu vernebeln. So auch in diesem Moment. Asrim wusste, dass irgendetwas dort draußen vorging – und er hatte das ungute Gefühl, dass es mit Sharif und Necroma zu tun hatte, die die Zwillinge vom Flughafen abholen sollten –, aber er vermochte es einfach nicht zu greifen. Er hatte keine Ahnung, was genau geschah, und er konnte nicht einmal die Richtung ermitteln. Und er fühlte sich einfach bloß hilflos und unwissend. „Also?“, wartete Yasmine immer noch ungeduldig auf eine Antwort. „Hättest du vielleicht mal die Güte, mir zu erklären, was zur Hölle in dieser Stadt los ist?“ Asrim senkte seinen Blick. „Du würdest es mir eh nicht glauben.“ Wie hätte sie dies auch? Bis heute war sie überzeugt davon, dass der Mann, den sie einst unter dem Namen Seyen kennengelernt hatte, bloß ein gewöhnlicher Magier gewesen war. Sie hatte nicht gewusst, dass er in irgendeiner Verbindung zu Asrim gestanden und es auch sehr genau darauf ausgelegt hatte, diesem nicht über den Weg zu laufen. Asrim zumindest hatte erst viele Jahrhunderte später überhaupt erst erfahren, dass Shadyn Kontakt mit Yasmine gesucht hatte. Und damit ein Versprechen gebrochen hatte, das sie beide sich vor einer halben Ewigkeit gegeben hatten. „Weißt du, diese ganze mysteriöse Aura lässt andere vielleicht denken, du wärst dieser allwissende Über-Gott, aber mich persönlich macht es einfach nur wahnsinnig!“, zischte Yasmine unvermittelt. „Ich liebe dich, aber ich hasse deine Geheimnisse!“ „Yas ...“ „Nein, nein, nein!“, fiel sie ihm ungehalten ins Wort. „Ich will keine Entschuldigungen hören, sondern Antworten! Denkst du nicht, dass ich das verdient habe? Dass wir das alle verdient haben?“ Asrim wich ihrem bohrenden Blick aus. Sie hatte natürlich Recht, auch wenn er sehr schmerzte, dies zuzugeben. Im Grunde hatte er gewusst, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. „Also, dieser Pyromane ...“, kam Yasmine wieder auf das Gesprächsthema zurück. „Wer ist er?“ „Ein alter Freund.“ „Wie alt?“ „Sehr alt.“ Yasmine verdrehte daraufhin ihre Augen. „Und wie habt ihr euch kennengelernt?“ Dies war beileibe keine leichte Frage und Asrim wusste im ersten Augenblick gar nicht, wie er sie beantworten sollte. Er war schon so unglaublich lange her, in einem anderen Leben, das nun wie ein verschwommener Traum erschien. „Wir haben uns das erste Mal in einem dunklen Steinhaus in der Nähe eines kleinen Strandes getroffen“, berichtete er, auch wenn er absichtlich außen vorließ, was sie beide damals an jenen Ort getrieben hatte oder was generell die genauen Umstände gewesen waren. „Ich würde gerne sagen, es ist eine nette und harmlose Begegnung gewesen, aber stattdessen habe ich ihn vorgefunden, wie er vor der Leiche seiner blutüberströmten, jüngeren Schwester stand. Sie war damals neun Jahre alt gewesen.“ Yasmine blinzelte daraufhin verdutzt. Es war mehr als eindeutig, dass sie mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte. „... Okay“, meinte sie schließlich zögernd. „Also hat er ...?“ Asrim schüttelte den Kopf. „Er ist selbst noch ein Kind gewesen und hat mit ansehen müssen, wie seine kleine Schwester ermordet worden ist.“ Yasmine verlagerte ihr Gewicht unruhig von einem Bein aufs andere. „Und wie kam es dazu?“ Asrim seufzte. „Das ist alles sehr kompliziert und im Grunde eigentlich nicht relevant. Ich kann dir nur sagen, dass dieses Ereignis wahrscheinlich den Grundstein gelegt hat, weswegen er äußerst schlecht darauf reagiert, wenn ihm ein geliebter Mensch genommen wird.“ Wirklich sehr schlecht. „Asrim, ich weiß, dass du aus einem bestimmten Grund die Wahrheit vor uns zurückhältst“, meinte Yasmine seufzend. „Aber dir muss ebenso klar sein wie mir, dass du nicht ewig schweigen kannst. Willst du lieber warten, bis einer von uns tot ist?“ Asrim schüttelte sofort den Kopf. Schon allein die Tatsache, dass es Alec und Sharif beinahe das Leben gekostet hätte, war mehr als schrecklich. Er konnte seinem Gewissen nicht noch mehr aufbürden. Und vielleicht mochten seine Kinder ihn am Ende hassen, doch wenigstens würden sie noch leben. Und somit holte er tief Luft und meinte: „Ich werde dir die Geschichte erzählen. Aber sei gewarnt, ich bin ein schrecklicher Hauptprotagonist. Egoistisch, arrogant und verblendet.“ Yasmine musterte ihn argwöhnisch. „Und Seth? Was ist er?“ Asrim senkte seinen Blick. „Ein Mörder. Und ein Opfer.“ Ein Freund. Ein Feind. Und das letzte Überbleibsel von Asrims Vergangenheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)