Boys Don't Cry von Umi (Sailor Bennoda vs. Tentakelmonster) ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Stirnrunzelnd verfolgte Chester die Spur, die das Monster im Sand hinterlassen hatte.   Er war nicht der einzige, der das tat. Hier und da lungerten außer ihm noch kleine Grüppchen von Schaulustigen herum, von denen gerade mal der geringste Teil zu denen gehörte, die dabei gewesen waren, als das Untier, das in ihren Beschreibungen immer unheimlichere Formen annahm, sich aus der Tiefe erhoben hatte. Die meisten waren durch verwackelte Instagram-Posts, Tweets oder Facebook-Updates ihrer Freunde an den Strand gelockt worden.   Im Vorbeigehen schnappte Chester Größenangaben auf, die von 2 Meter bis hin zu 5 Meter reichten, und während der eine das Vieh als „durchscheinend, mit violettem Schimmer“ in Erinnerung hatte, war es bei dem anderen „blau-grau mit langen Zähnen“. Wieder ein anderer schwor bei seiner toten Oma, es wäre ein brauner Meeressaurier gewesen, mit langem Hals „so wie das Monster von Loch Ness“.   Zu seinem Leidwesen erinnerte Chester sich allerdings auch nicht viel besser an die Gestalt des Monsters, dazu war er zu beschäftigt gewesen, mit Mike Schritt zu halten. Er hatte nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen, dass da irgendetwas aus dem Wasser aufzusteigen schien, was da nicht hingehörte, und sich ansonsten voll und ganz auf Mikes Einschätzung der Situation verlassen. … Tentakel. Doch, ja, zumindest daran glaubte er sich zu erinnern. Das Vieh hatte, wie sein Vorgänger im Einkaufszentrum, Tentakel besessen. War ansonsten aber schmaler gewesen. Mehr bekam er jedoch wirklich nicht mehr zusammen, weder Farbe noch Körperhöhe, noch ob das Ding Zähne oder einen langen Hals besessen hatte.   Er hatte keinen Schimmer.   War trotzdem auf der Jagd nach ihm.   Alleine.   Weil Mike sich nicht verantwortlich dafür fühlte, irgendetwas zu unternehmen.   Nicht, dass Chester nicht irgendwo einsah, dass der andere nicht ganz unrecht hatte. Sie waren in der Realität, nicht in irgendeinem Comic, und an sich war es sicher nicht gerade das Dümmste, beim Auftauchen von Monstern lieber das Weite zu suchen und die Sache Leuten zu überlassen, die über mehr Ressourcen als man selbst verfügte... so Geheimdienste, die professionell herausfinden konnten, was überhaupt los war, und das Militär, das dafür ausgebildet war, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, beziehungsweise diverse Feinde einfach platt zu machen, allein schon aufgrund seines umfangreichen Waffenarsenals... Aber andererseits... Nun, andererseits verstand er einfach nicht, wieso Mike nicht in der Lage war, die Vorkommnisse der letzten Zeit als Ganzes zu sehen. Sie bekamen diese anderen Körper, Monster tauchten auf, sie erhielten die Fähigkeit, diese zu bekämpfen. So die chronologische Abfolge, die, wenn man alle Ereignisse einzeln betrachtete, nicht viel Sinn ergab. Aber wenn man es eher so sah: Monster würden auftauchen, jemand musste sie bekämpfen, die Wahl fiel auf sie beide, und irgendwie waren dafür eben diese Frauenkörper notwendig (vielleicht zur besseren Tarnung vor den „Zivilisten“? oder weil das Schicksal sie doch nicht so sehr hasste, sie in ihren eigentlichen Körpern in diese Minikleidchen und Highheels zu stecken? oder beides??)... nun, dann machte die Angelegenheit doch schon bedeutend mehr Sinn, oder nicht?   Vielleicht hätte Chester seinem besten Freund seine Sichtweise doch besser erklären sollen, anstatt davon auszugehen, der andere würde da schon selbst drauf kommen, aber Mike hatte diese schreckliche Angewohnheit, sich bei Sachen, die er dämlich fand und deshalb einfach nicht verstehen wollte, einfach blöd zu stellen und, je mehr man auf ihn einredete, nur noch sturer und bockiger zu werden. Es hatte Chester einige Jahre gekostet, dahinter zu kommen, wie man ihm solche Sachen am besten vermitteln konnte, ohne dass er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte: Man musste abwarten, bis er mit der „Das ist doch bescheuert“ Nummer durch war und von selbst an den Punkt kam, wo er neugieriger wurde. Und ihn auf keinen Fall auf seine Bockigkeit zuvor ansprechen! Dann war er offen allem Neuen gegenüber – wie sonst auch. Nur hätte Chester nie gedacht, dass Mike mal derart lange brauchen würde, um über seinen Schatten zu springen... Aber alles rationale Verständnis änderte nichts daran, dass er eben doch irgendwo enttäuscht war, dass er scheinbar ganz allein mit dem Gefühl da stand, aufgrund der Kräfte, die ihnen ja nun offensichtlich anvertraut worden waren, eine gewisse Verantwortung gegenüber der soweit zwar ahnungslosen, aber dadurch nicht weniger in Gefahr befindlichen Bevölkerung zu haben. Mikes Reaktion nach zu urteilen war der andere sogar meilenweit davon entfernt, auch nur versuchen zu können, nachzuvollziehen, wieso er sich verantwortlich fühlte. Und dabei tickten sie, bei allen Unterschieden, bei so vielen Sachen wahnsinnig ähnlich... Chester war sich so sicher gewesen, dass auch diese Sache dazugehören würde... Aber gut. Er konnte mit dieser Enttäuschung leben. Und irgendwann würde er sicher auch verkraftet haben, dass Mike ihn nicht nur nicht verstand, sondern nicht einmal ernst nahm. Irgendwann. Vermutlich. Er knabberte einen kleinen Hautfetzen von seiner Unterlippe ab und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Mike hatte es bestimmt nicht so gemeint... Chester erreichte die Treppenstufen, die zur Promenade hinauf führten, und damit das Ende der Spur. Super. Dieses Vieh war also scheinbar geschickter, was Treppen anging, als sein Vorgänger im Einkaufszentrum. Entweder das, oder es hatte sich beim Anblick der Treppe vor Verzweiflung, weil es nicht wusste, wie es weiterkommen sollte, in Luft aufgelöst. Er fuhr sich ratlos durch das kurze Haar und blickte sich um. Inzwischen hatte er die Schaulustigen hinter sich gelassen. In einiger Entfernung machte er eine bekannte Gestalt in Begleitung eines Rottweilers und ein paar kleiner Mädchen aus. Stimmte ja, das war der Strand an dem Dave normalerweise seine Runde drehte... sie hatten bei der Auswahl ihres Picknickplatzes überhaupt nicht daran gedacht, dass sie ihren Freunden ja erst mal (noch?) aus den Weg zu gehen versuchten. Dabei war Chester sich ziemlich sicher, dass gerade Dave zu denen gehörte, die sie vielleicht sogar ohne ein Wort ihrerseits erkennen würden. Und wenn nicht er, dann seine Hündin Bella. Nun ja, immerhin tauchte er erst jetzt hier auf. Nach ihrem Picknick. Und vor allem nach dem Monster. Ein kurzes Seufzen, dann machte Chester sich daran, die Stufen hinaufzusteigen. Die Pflasterung der Promenade machte es so ziemlich unmöglich, zu erahnen, in welche Richtung das Vieh, das diesmal wohl keine ätzende Säure oder oder so ausdünstete, wohl weitergezogen war. Ob er sich durchfragen sollte? Immerhin war so ein Ding nicht gerade unauffällig. Aber wenn es jemandem aufgefallen wäre, hätte der das sicher irgendwo gepostet und dann wären auch ein paar von den Schaulustigen hier und sie würden sich nicht alle am Strand zusammenrotten... Wie zum Henker konnte ein Tentakelvieh einfach ungesehen verschwinden? Er schloss die Augen, atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus, und versuchte sich vorzustellen, er wäre selbst ein gruseliges, tentakeliges Ungeheuer. Wo würde er hingehen... … hm... was machten Tentakelviecher aus dem Meer wohl so, wenn sie an Land kamen... Nahrung suchen? Unterschlupf? Zur geheimen Kommandozentrale ihres Erschaffers (der dann ja wohl der Oberbösewicht sein musste... oh Gott, hoffentlich gab es keinen Oberbösewicht!) oder zum Versteck irgendeines mächtigen, mysteriösen Artefakts pilgern? Artgenossen für die Paarung ausfindig machen? Er öffnete die Augen wieder und seufzte. So kam er nicht weiter. Gut, dann eine andere Strategie: Er folgte einfach den Wegen, die für ihn danach aussahen, als würde man ihnen entlang den wenigsten Menschen begegnen. Niemand hatte es als Monster erkannt, also vielleicht hatte es ja einfach schlicht und ergreifend niemand gesehen. Mehr Anhaltspunkte hatte er zur Zeit ja nicht. Die Hände immer noch in den Hosentaschen vergraben schlenderte er erst etwas die Straße entlang, überquerte sie nach einer Weile, folgte dem Straßenverlauf noch etwas weiter und kletterte dann über einen schmalen, steilen Pfad in das angrenzende Wäldchen. Er kam nicht umhin, sich gedanklich zu loben, inzwischen so gut auf hohen Hacken voran zu kommen, auch wenn seine Füße inzwischen bei jedem einzelnen Schritt schmerzten. Vielleicht sollte er, egal wie sexy er sich auf hohen Absätzen fand, doch wieder zu bequemeren Schuhen übergehen, zumal die kleinen Äste und Steine seine schicken Stiefel ohnehin so sehr zerkratzten, dass er sie später kaum noch anziehen können würde. Zumal die Dinger seinem ohnehin schon eher empfindlichen Rücken nicht gerade gut taten. … Gut, vielleicht war er wirklich nicht ganz so gut darin, Dinge im Voraus ordentlich zu durchdenken. Das Wäldchen begann, sich vor ihm ein wenig zu lichten. Soweit sah alles ruhig aus. Gras... Bäume... ein paar Blümchen und Insekten, die sie umschwirrten... Lianen, die sanft im Wind hin und her schaukelten... Chester blinzelte ein paar Mal und sah erneut hin. Lianen... ? Wohl eher an fast handgelenkdicke Glasnudeln erinnernde Fangarme von irgendetwas, das eigentlich in kalifornischen Gefilden nichts zu suchen hatte. Zumindest nicht oberhalb der Meeresoberfläche. Wenn überhaupt. Nein, ehrlich, was war das für ein Ding? Für einen kurzen Moment war er versucht, die Fangarme zu berühren, bis er die Insekten entdeckte, die an ihnen klebten und von denen einige bereits in einen halbflüssigen Zustand übergegangen zu sein schienen. Also doch Säuretentakel... beziehungsweise Magensäuretentakel... Er trat ein paar Schritte zurück und holte sein iPhone aus der Tasche, während sein Blick den Glastentakeln nach oben folgte. Von dem eigentlichen Körper des komischen Dings konnte er jedoch nicht viel erkennen; es hockte irgendwo im Baumgipfel. Wie auch immer es da hinaufgekommen sein mochte. Und wieso. Zumindest was die Monster selbst anging, musste er Mike zweifelsohne zustimmen: Sie ergaben einfach keinen Sinn. Er wandte den Blick ab und richtete ihn auf sein iPhone, um die Glitzer-Zauber-App aufzurufen. Im nächsten Moment war einer der Tentakel auch schon vorgeschnellt, hatte sich um seine Taille geschlungen und zog ihn nach oben. Sein Handy landete im weichen Gras, während er bloß einen erschrockenen Aufschrei von sich geben konnte. Heute war definitiv nicht sein Tag. Chesters Blick wanderte zu dem Fangarm, in den er geraten war, und stellte fest, dass er zumindest insofern Glück hatte, was die Art des ätzenden Materials, das den Tentakel überzog, anging. Bei der Super-Säure/-Lauge des letzten Viechs wär er vermutlich schon tot. … Tot.   Ihm wurde unwillkürlich schlecht, als dann auch bei ihm so wirklich ankam, was Mike wohl schon seit dem letzten Monsterangriff verinnerlicht hatte und was er selbst bisher meist lieber verdrängt hatte: Sich mit irgendwelchen Monstern anzulegen bedeutete Lebensgefahr. Er begann, zappelnd und auf den Fangarm einzuschlagend (woraufhin seine Fäuste erst kribbelten und schließlich brannten, während die Verdauungssäfte des Monsters inzwischen auch so langsam durch sein Shirt hindurchgesuppt waren und nun in Kontakt mit seiner Haut kamen) zu versuchen, sich aus dessen Griff zu befreien und, weil er sich sonst nicht anders zu helfen wusste, um Hilfe zu schreien. Zwei weitere Fangarme schlangen sich um seine Handgelenke. Noch mal zwei um seine Beine. Das durfte einfach nicht wahr sein... Das ging einfach nicht! Von seiner Familie mochte er sich liebevoll verabschiedet haben, aber mit Mike war er im Streit auseinander gegangen! Der Jüngere würde sich das nie verzeihen, ihn gehen gelassen zu haben, wenn er jetzt hier einfach so krepierte! Fuck! Fuck fuck fuck fuck FUCK! Chester versucht, noch lauter zu schreien und sich noch stärker zu wehren. Wenn er nur genügend Schwung holte und so stark ins Schaukeln geriet, dass das Vieh herunter fiel, dann... dann... dann ergab sich vielleicht irgendwas! Er versuchte, sein Gewicht entsprechend zu verlagern und kam nach einer Weile tatsächlich etwas ins Schaukeln, allerdings verlieh dem Vieh wohl die Tatsache, dass es ihn an so vielen Stellen gleichzeitig festhielt, eine gewisse Stabilität – der Schatten seines Körpers im Baumwipfel rührte sich jedenfalls nicht, auch als Chester mit seinem Fuß für einen kurzen Moment den Baumstamm berührte.   Der Schmerz an seinen Handgelenken und seiner Taille nahm ihm inzwischen den Atem zum Schreien. Mehr als ein kraftloses Rufen brachte er nicht mehr zustande. Vor Frust stiegen ihm Tränen in die Augen. Das war doch bekloppt. So starb man einfach nicht! Er verschnaufte kurz. Kaum war er komplett zur Ruhe gekommen, merkte er auch schon, wie das Vieh ihn langsam zu sich nach oben zu ziehen beginn. Er zappelte wieder – es hielt still. Er bewegte sich nicht – es zog ihn zu sich heran. Großartig. Entweder zappelte er weiter, bis er sich völlig verausgabt hatte und wurde dann nach oben gezogen und (vermutlich) endgültig bei lebendigem Leibe verdaut, oder er gab die Zappelei gleich auf und wurde ein paar Minuten eher der Snack dieses Dings. Er kniff die Augen zusammen und versuchte es noch einmal mit möglichst lauten „Hilfe!“, bekam jedoch nur ein halblautes, verzweifeltes „Mike...“ hervor, dessen er sich erst im Nachhinein bewusst wurde. Ohne Erfolg.   So sah dann also die Realität aus. Er war auf sich gestellt und somit am Arsch. In jedem Film oder Comic wäre spätestens bei seinem letzten Rufen jemand zur Hilfe gekommen. Mike wäre zur Hilfe gekommen. Weil er ihn doch nicht alleine gegen irgendwelche Monster antreten lassen konnte, eben weil er sich bereits bewusst war, wie gefährlich, genau genommen tödlich das war, selbst wenn Chester das noch nicht hatte wahrhaben wollen. Mike wäre gekommen und hätte ihn gerettet und ihn kurz für seine Dummheit gerügt und dann in seine Arme geschlossen weil er froh war, ihn gerade rechtzeitig gefunden zu haben, und alles wäre erst mal wieder gut. Nur dass von Mike weit und breit keine Spur zu sehen war. Er hatte ihn tatsächlich alleine gehen lassen und saß vermutlich immer noch zuhause und schmollte und dachte gar nicht daran, 'nachzugeben' und doch noch nachzukommen... wenn er ihn überhaupt ernst genug genommen hatte, um zu glauben, dass er echt so blöd sein konnte, alleine einem wer-weiß-wie-gefährlichen Tentakelmonster nachzujagen, wo ihn doch das letzte bereits fast erwischt hätte, wenn er ihm allein begegnet wäre...   Chester schniefte kurz und versuchte die Tränen, die er ja nun nicht wegwischen konnte, weg zu blinzeln, auch wenn die Schmerzen an seinen Handgelenken und seiner Taille – durch seine Lederstiefel waren die Verdauungssäfte dann noch nicht gedrungen – ihm das beinahe unmöglich machten, während er langsam immer weiter nach oben in den Baumwipfel gezogen wurde. Er war so ein scheiß Idiot... ein so gut wie toter scheiß Idiot... … der plötzlich das Gefühl hatte, abzurutschen. Erst baumelten seine Beine in der Luft, dann sackte sein Oberkörper nach unten und schließlich (nach einem erneuten kurzen Aufleuchten; mehr konnte er mit seiner verschwommenen Sicht nicht erkennen) befand er sich endgültig im freien Fall und landete im nächsten Moment auch schon auf dem Boden. Eilig wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, allerdings kamen sofort neue nach, als er Mike vor sich erkannte. Er tastete nach seinem iPhone, griff es, und nahm dann erst einmal, auf immer noch etwas wackeligen Beinen, schnellstmöglich Abstand von dem Baum, in dessen Krone er fast sein Ende gefunden hätte. Mike (dem gerade wieder bewusst geworden zu sein schien, in was für einem Aufzug er hier herumrannte) versuchte halbherzig, den kurzen schwarzen Rock etwas länger zu ziehen und musterte den Älteren besorgt. „Bist du okay?“ Chester schniefte kurz, schluckte schwer, bemühte sich um ein Lächeln und nickte. „Nichts gebrochen und alles noch weitestgehend dran.“ Mike erwiderte das Nicken bloß, auch wenn sein Blick kurz an den geschundenen Handgelenken seines Freundes hängen blieb, und wandte sich dann wieder dem Monster zu, dass es so gar nicht zu begrüßen schien, dass ihm seine Mahlzeit entwendet worden war, dem Zucken seiner Tentakel, deren von Mike gekappten Enden sich zu regenerieren schienen, nach zu urteilen. „Meinst du, du triffst es? Mit deinen, uh, Pfeilen, mein ich, so wie beim letzten Mal...?“ „Ich kann es versuchen.“ Chester griff nach seinem iPhone (wobei er den verpassten Anruf des Jüngeren, der ihm angezeigt wurde, mit einem kleinen Lächeln wahrnahm) und aktivierte die Transformations-App.   Kaum, dass er sich fertig verwandelt hatte – ahnungslos, dass Mike es sich nicht hatte nehmen lassen, seine Aufmerksamkeit kurz von dem Monster abzuwenden um zu überprüfen, ob er sich das nur einbildete, oder ob man während der ganzen Nummer tatsächlich kurz nackt war... und eilig den Blick wieder abwandte, als er feststellte, dass sein Eindruck ihn alles andere als getäuscht hatte – beschwor er auch schon Pfeil und Bogen, was ihm diesmal bereits leichter von der Hand zu gehen schien als noch das letzte Mal. Die Tentakel seines Ziels nicht aus den Augen lassend bezog er Stellung auf einem abgesägten Baumstumpf, zielte... und schoss daneben. Er beschwor einen weiteren Pfeil, zielte wieder. Aus den Augenwinkeln nahm er eine ihm nur allzu vertraute Bewegung war – wie lang waren die Tentakel dieses Viechs denn? – und wollte ihr gerade ausweichen, als ein kurzes blaues Leuchten ihn kurz leicht blendete und die Fangarme auch schon, erneut von ihrem Ursprung gekappt, zuckend zu Boden vielen. Er warf Mike ein kleines Lächeln zu, zielte wieder, schoss, erneut daneben, beschwor einen dritten Pfeil, zielte schoss...   ...und traf. Das Ding fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden und zerstob dort, noch bevor sie seine ganze Gestalt richtig ausmachen konnten, in eine Wolke aus glitzerndem Staub, der langsam auf einem Haufen durchsichtigem Glibber (einer Qualle vielleicht? es war beim besten Willen nicht zu erkennen) nieder ging. Aus diesem schob sich kurz darauf ein winziges weißes Ei, zerbrach, gab ein paar dunkle Rauchfäden von sich, und löste sich auf. Chesters Bogen und sein knappes Kampfoutfit taten es ihm gleich. Der Ältere, nun wieder in seiner normalen Kleidung, gab ein Seufzen von sich und ließ sich einfach auf seinen Hintern sinken, den Blick auf seine Handgelenke gerichtet, die immer noch tiefrot geschwollen waren und mit einem dünnen glänzenden Film überzogen waren, von dem er einfach mal zu hoffen versuchte, dass es nicht seine zersetzte Haut war. Mike zögerte kurz, dann näherte er sich ihm, ließ sich neben ihn auf dem Waldboden auf die Knie sinken und ließ zaghaft seinen Zeigefinger über die unversehrte Haut neben der Wunde streifen, und flüsterte leise: „Das sieht nicht gut aus...“ Sein Blick wanderte zum Bauch des anderen. „Das Shirt solltest du ausziehen. Ist verklebt von dem, uhm, Zeug von diesem Vieh. Nicht, dass es noch schlimmer wird.“ Chester nickte bloß und zog sich den ohnehin ruinierten Stoff über den Kopf. Mike schluckte schwer und verengte die Augen etwas. Das sah wirklich überhaupt nicht gut aus... Der andere bemühte sich, trotz der Schmerzen, um ein Grinsen. „Das ist nur halb so übel, wie's aussieht. Pusten, Pflaster drauf, dann wird das wieder...“ Mike erwiderte das Grinsen, wenn auch etwas schief, da alles andere überzeugt, und beugte sich etwas vor, um tatsächlich zu pusten, selbst wenn er damit nichts anderes ausrichten konnte, als die Stimmung etwas zu lockern. Was ja nun auch etwas war. Wenn auch nicht viel.   Damit, dass sein Atem die Schwellung am Bauch des anderen etwas zurückgehen ließ, hatte jedenfalls keiner von ihnen gerechnet, aber genau das passierte. Mike runzelte irritiert die Stirn, warf einen kurzen Blick zu Chester, der jedoch auch nicht zu wissen schien, was er von der Sache halten sollte, und griff dann vorsichtig nach der Hand des Älteren, um deren Gelenk ebenfalls vorsichtig anzupusten. Und ein leises „Das ist echt nur noch bekloppt“ zu murmeln, bevor er sich dann aber auch schon Chesters anderes Handgelenk vornahm. Dann kurz etwas um ihn herumrutschte und noch einmal seinen Rücken anpustete, bevor er sich mit einem leicht beschämten „Jetzt reicht's aber“ wieder zurückverwandelte und als erstes sein kariertes Hemd, unter dem er ja ohnehin noch zwei weitere Shirts trug, auszog und es Chester reichte, damit der sich etwas drüber ziehen konnte und er seinen durch den BH mehr als nur wohlgeformten Busen nicht mehr so direkt vor sich sehen musste. Chester nahm ihm das Oberteil dankend ab und schlüpfte auch gleich hinein. Ohne den Blick von seinen Fingern, die mit dem Zuknöpfen des Hemdes beschäftigt waren, abzuwenden, murmelte er schließlich leise: „Du bist doch gekommen.“ „... Hm.“ Chester biss sich leicht auf die Unterlippe. „Warum?“ Mike zuckte mit den Schultern. „Ich hatt's im Gefühl, dass das sonst mies ausgehen könnte.“ Der andere nickte bloß und murmelte ein leises, kaum hörbares „Wär's wohl auch“. Als Mike ihn daraufhin in seine Arme schloss und sanft an sich zog, ließ er sich ohne zu zögern gegen ihn sinken und schlang seinerseits ebenfalls die Arme um ihn. Die Gestalt, die mit einem kleinen Notebook auf dem Schoß in einer der Baumkronen saß und sie bei ihrer Umarmung beobachtete, bemerkte keiner von ihnen beiden.     *     'Du... was?' Chester seufzte leise und warf einen kurzen Seitenblick auf Mike, der zwar fleißig so tat, als wäre er mit irgendwelchen Tonspuren auf seinem Computerbildschirm beschäftigt, den er aber viel zu gut kannte, um ihm abzunehmen, dass er nicht zumindest mit halbem Ohr zuhörte. „Ich sagte, ich denke, es wäre das Beste, für die nächste Zeit hier in L.A. zu bleiben.“ 'Wie lange?' „Keine Ahnung.“ '…' Er versuchte ein Lächeln. „Sorry. Ehrlich. Es, uh, gibt halt viel zu tun und...“ Er verdrehte die Augen und beschloss, zumindest halbwegs ehrlich zu sein. „Ich weiß nicht, wie ich's dir am besten erklären soll, ohne dass du dir Sorgen machst. Weil, musst du nicht. Dir Sorgen machen, mein ich. Neben dieser Sache mit den Frauenkörpern passieren hier drüben noch ein paar andere komische Sachen, und mit denen kann ich Mike nicht alleine lassen. Das wäre gefährlich.“ 'Gefährlich?!' Gut, er gab zu, die Beteuerung, dass es keinen Grund zur Sorge gab und das Wort gefährlich waren vielleicht nicht so gut dazu geeignet, im selben Atemzug genannt zu werden. Er bemühte sich um eine möglichst sanfte Stimme. „Du musst mir da vertrauen, Talinda. Das klingt jetzt wie in 'nem mittelmäßigen Agententhriller, aber ich weiß nicht, wie sicher das momentan wäre, heim zu kommen. Hier passiert 'ne Menge komischer Scheiß, der vielleicht mit dieser Frauenkörper-Sache zu tun hat und... keine Ahnung, wenn wir den zu erledigen schaffen, kriegen wir vielleicht auch unsere alten Körper wieder.“ Mike gab seine 'Deckung' auf und drehte sich mit seinem Schreibtischsessel zu dem Älteren um, um ihn mit großen Augen anzusehen. Chester warf ihm ein entschuldigendes Grinsen zu und konzentrierte sich dann wieder auf sein Telefonat. „Zumindest wäre das möglich. Und der Möglichkeit sollten wir auf den Grund gehen. Und das geht nur zu zweit, alles andere wäre nicht wirklich sicher. Wie gesagt, du musst mir da vertrauen.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Schließlich ein resigniertes Seufzen. 'Hab ich denn eine andere Wahl?' Chester strahlte zufrieden und er und seine Frau gingen dazu über, sich über andere Themen zu unterhalten und hier und da ein wenig verspielte Flirterei in diese einfließen zu lassen, während Mike sich kopfschüttelnd wieder seinem Computer zuwandte. Anna hatte sich ebenfalls nicht allzu begeistert gezeigt, als sie sie gefragt hatten, ob es okay war, wenn Chester für eine Weile bei ihnen wohnen könnte. Weniger, weil sie den besten Freund ihres Mannes nicht mochte – im Gegenteil, sie und Chester hatten sich eigentlich immer blendend verstanden und selbst in seinen schlimmsten Zeiten hatte er sich stets bemüht, ihr gegenüber fair zu bleiben (wie sehr es irgendwann mit ihm bergab ging, hatte sie eigentlich nur über Mike erfahren, wann immer der mit seiner alles-in-sich-hineinfressen-Taktik dann doch mal nicht mehr weiter kam) – sondern eher, weil sie ihr den genauen Grund dafür nicht nennen konnten. Aber was sollten sie denn auch machen? Ehrlich sein und riskieren, dass ihre Familien vor Sorge wahnsinnig wurden oder sich am Ende selbst noch in Gefahr brachten? Mike seufzte leise, lehnte sich nach hinten und legte seine Füße auf ein freies Stück Schreibtisch. Chester hatte also seinen Willen gekriegt. Sie waren jetzt eine Art Superhelden-Duo. Nicht, dass er eine andere Wahl hätte, als da mitzuspielen; wenn er sich weigerte, rannte der Ältere eben alleine los, und wohin das führte, hatten sie ja erst vor ein paar Stunden gesehen. Mike wurde ein wenig übel, wenn er sich vor Augen führte, wie knapp die Sache ausgegangen war. Nein, Alleingänge waren in Zukunft definitiv nicht noch mal drin. So viel stand fest. Auch wenn er nach wie vor nicht einsah, wieso es nun ausgerechnet ihrer beider Aufgabe sein musste, sich – in hautenge Kleidchen gehüllt und mit Glitzerkräften ausgestattet – mit diesen Monstern auseinander zu setzen, aber bevor er Chester (den auch die Erkenntnis, dass die Lebensgefahr, die von diesen Viechern ausging, echt war, nicht von seinem Verantwortungsgefühl heilen konnte) alleine losrennen ließ, spielte er eben mit. Und wenn es wirklich nur war, um auf den anderen aufzupassen. Insofern war also alles beim Alten. Früher war er ihm ja auch oft (zumindest auf Tour) auf seine Partys gefolgt, um ein Auge darauf zu haben, dass er sich nicht zu sehr abschoss und ihn dann, wenn er zu betrunken war, sich zu wehren, aber halt eben noch nicht an dem Punkt, wo er die Kontrolle über seine Blase und seinen Darmausgang verlor, von der Bar zu entfernen und ins Bett zu bringen. Und früher war er in diesen Nächten auch eher selten davongekommen, ohne nicht selbst zumindest einen kleinen Schwips davon zu tragen (eventuell kam es auch ein oder zwei Mal vor, dass er seine eigentliche „Mission“ aus den Augen verlor und sie beide am Ende von einem ihrer Bandkollegen abgeholt werden mussten, da sie den Rückweg allein nicht mehr fanden... und ganz vielleicht schlich sich bei der Erinnerung an diese Nächte manchmal ein kleines Lächeln auf seine Lippen, auch wenn er sich bewusst war, dass das irgendwo nicht okay war, immerhin war Chesters Alkoholkonsum damals eher weniger ein Zeichen von guter Laune und Partybereitschaft gewesen, sondern eher von ernsthaften Problemen, aber was sollte er denn machen? Es waren nun mal schöne Nächte gewesen; sie waren jung und spontan und dumm gewesen und hatten ihren Spaß gehabt.) Kurzum: Sie waren also wieder an dem Punkt, an dem Mike Chester einfach ins Verderben hinterher trabte und das Schlimmste zu verhindern versuchte. Wie gehabt. Nichts Neues.   Chester legte mit einem „Ich liebe dich“ auf und streckte sich kurz. Mike nahm die Füße vom Tisch, drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl zu dem anderen um und musterte diesen neugierig. „Was sollte das?“ „Huh? Was sollte was?“ „Die Nummer von wegen wenn wir das, weswegen du hier in L.A. bleibst, erledigen, dass wir dadurch vielleicht unsere alten Körper wieder bekommen?“ Chester zuckte leicht mit den Schultern und grinste. „Weiß nicht. Nur so 'ne Idee. Ich mein, das fällt zeitlich alles so zusammen, mit den Monstern und der spontanen Geschlechtsumwandlung und dem Glitzer-Zauber-Zeug. Es würde Sinn machen, meinst du nicht? Also, dass, wenn wir die Monster alle erledigt haben, dieser Zauberkram ja nicht mehr notwendig ist und eben auch alles andere wieder normal wird.“ Mike konnte einfach bloß starren. Und musste, zu seinem Leidwesen, zugeben, dass es in der Formulierung tatsächlich irgendwo Sinn ergab. So in sich geschlossen und mal außen vor gelassen, wie behämmert Monster und Zauberkräfte und spontane Geschlechtsumwandlungen an sich eigentlich waren. Er seufzte und ließ sich wieder gegen die Lehne seines Schreibtischsessels sinken. „Schön wär's jedenfalls.“ Chester lächelte zufrieden. „Ich glaub jedenfalls fest dran.“   Und wieder konnte Mike bloß den Kopf schütteln und hing irgendwo zwischen Bewunderung und Resignation fest.   *   Valerie ignorierte das zunehmende Murmeln und das Scharren der Füße ihrer Kommilitonen und setzte ihren Vortrag fort. Die Vorlesung dauerte noch fünf Minuten und ihre Präsentation war zeitlich perfekt abgestimmt. So lange würden ihre Zuhörer sich einfach noch gedulden müssen.  Es erfüllte sie mit einer tiefen Zufriedenheit, dass die Professorin sie darum gebeten hatte, sie zu vertreten, und keinen ihrer Kollegen, auch wenn es sie nur bedingt überraschte. Sie war nun mal Jahrgangsbeste und hatte Prof. Dr. Wallace schließlich auch bei der Studie, die sie ihren Kommilitonen gerade vorstellte, assistiert (was in Wissenschaftler-Sprache in etwa so viel hieß, wie dass sie den Großteil der Arbeit gemacht hatte, während von der Studienleiterin, deren Name bei Veröffentlichung der Studie auf der ganzen Nummer prangen würde, eigentlich nur die Idee für den Untersuchungsaufbau stammte und sie am Ende Valeries Laborprotokolle in einen zeitschriftengeeigneten Fließtext übersetzte). So gesehen war sie also fast schon prädestinierter dafür, den ganzen Spaß im Detail vorzustellen, als es Wallace gewesen wäre. Valerie gefiel es an der UCLA. Dort, wo sie vorher studiert hatte, war der Konkurrenzdruck viel höher und sie nur eine Begabte unter vielen gewesen. Sehr vielen, die allesamt einen der nur fünf Plätze im engsten Team des Professors anstrebten. Am Ende landete sie auf Platz 6. Platz 96 wäre ihr lieber gewesen, so dass sie sich nie fragen musste, ob sie es vielleicht doch hätte schaffen können, wenn sie sich nur mehr angestrengt hätte, auch wenn sie sich eigentlich bewusst war, dass sie alles gegeben hatte, was sie konnte...   Nicht, dass es noch einen Unterschied machte, jetzt wo sie hier war. Einen Weg zurück gab es zudem ohnehin nicht mehr.   Und hier war sie der Boss. Oder würde es zumindest über kurz oder lang werden. Sie beendete ihre Präsentation wenige Sekunden bevor der Minutenzeiger der Wanduhr mit einem leisen Klicken auf der nächsten Ziffer landete. Während ihre Kommilitonen sich erhoben und unter Gemurmel und Getratsche den Weg nach draußen antraten, ordnete sie in aller Ruhe ihre Notizen, entkabelte ihren Laptop und machte sich auf den Weg in Professor Wallace's Büro, um dort ihre Sachen zu verstauen und, wo sie schon mal da war, auch gleich die Fische zu füttern. Ein kleines Schmunzeln huschte über ihre Lippen als sie dabei die kleine Blasenschnecke erblickte, sie sich an der Aquariumswand festgesaugt hatte und diese von Algen befreite. „Hey... du hast aber schöne lange Fühler... Hast du Lust auf einen kleinen Landausflug? Ich kann auch dafür sorgen, dass niemand versehentlich auf dich drauf tritt. Vielleicht kannst du dafür für mich sehr wohl ein paar Leute platt machen. Wär das ein Angebot?“ Die Schnecke arbeitete sich einen weiteren halben Millimeter in Richtung Wasseroberfläche vor. Valerie deutete das einfach mal als Ja. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)