Brightest Light von Flordelis (Miracle) ================================================================================ Prolog: Prolog - Ich verzichte dankend. --------------------------------------- Im Dunkeln arbeitete er am Liebsten. Außer ihm befand sich dann niemand mehr auf den Straßen, jedenfalls nicht mehr auf jenen, auf denen er unterwegs war. Zu seinem Glück bevorzugten jene, die er verfolgte, diese Zeit ebenfalls. Mit den Händen in seinem schwarzen Mantel vergraben und der um seine Schulter hängende Sporttasche machte er noch dazu keinerlei misstrauenserweckenden Eindruck auf Personen, die zufällig vorbeikamen, wenn er durch das Industrieviertel strich. Cherrygrove, das einst als friedliches kleines Städtchen begonnen haben mochte, schlief inzwischen niemals, wie er auch in dieser Nacht wieder einmal feststellte, als er an zahlreichen Menschen vorbeikam, die ihm nur einen kurzen Blick widmeten und ihn sonst nicht weiter beachteten. Vermutlich genügte es ihnen, das schwarze Haar zu sehen, das über sein linkes Auge fiel, um zu denken, dass es sich bei ihm um den Anhänger einer Jugendkultur handelte, worauf man stets beschloss, ihn lieber zu ignorieren, was ihm durchaus gelegen kam. Sein Weg führte ihn quer durch das Viertel, bis er in eine kaum beleuchtete Seitenstraße kam. Trotz der großen Mülltonnen gab es erstaunlich viel Abfall, der einfach nur auf dem Boden lag und niemals von irgendwem ordnungsgemäß entsorgt worden war. Aber das kümmerte ihn nicht, sein Ziel befand sich vielmehr hinter einer dieser Tonnen. Es lauerte dort, wartete auf jemanden, der arglos vorbeilaufen wollte – aber in dieser Nacht geriet er an die falsche Person. Direkt vor seinem Ziel angekommen, hielt er inne, ohne ihm den Blick zuzuwenden. Die dunkel gekleidete Gestalt saß auf dem Boden, so dass sie nicht ohne Weiteres zu erkennen war. Sie hob nicht den Kopf, so dass man nicht unter ihre Kapuze sehen konnte, stellte dafür aber eine Frage: „Willst du was kaufen?“ Noch immer sah der Verfolger nicht hinab, auch nicht, als er mit einer Gegenfrage antwortete: „Was verkaufst du denn?“ „Alles, was du willst.“ Schlagartig wandelte sich die Atmosphäre, es war als wäre sie elektrisch geladen und würde jeden Moment explodieren können. „Sobald ich mit dir fertig bin!“ Nun hob er wirklich den Kopf, worauf sein Gesicht sichtbar wurde. Keinerlei Menschlichkeit war in diesem zu erkennen, es schien vollständig aus Dunkelheit zu bestehen, durch die sich lediglich rot glühende Adern zogen, durch die normale Konturen eines Gesichts angedeutet wurden, die Augen waren zwei orange leuchtende Kohlen, die einem tief in die Seele zu blicken versuchten. Nur dass er diesmal gar nicht so weit kam, denn er sah direkt in die Mündung des Revolvers, den der Verfolger ihm vorhielt. „Ich verzichte dankend.“ Mit diesen Worten betätigte er den Abzug. Es erfolgte kein Knall, wie man ihn vielleicht erwartet hätte, dafür gab es einen hellen Lichtblitz, dann gab das Wesen einen kaum hörbaren Schrei von sich, ehe es zur Seite kippte und sich nicht mehr rührte. Triumphierend steckte der Verfolger den Revolver wieder in die Sporttasche, in der die unterschiedlichsten Waffen klapperten. Er wollte gerade zu einer anderen greifen, als eine durchdringende Vibration in seiner Hosentasche ihn davon abhielt. Für einen kurzen Moment zögerte er, blickte unschlüssig auf das leblose Wesen hinab, dem er eigentlich sicherheitshalber noch einen letzten Stoß versetzen sollte, aber der Gedanke, dass es nur eine Person gab, die ihm nachts eine Nachricht schrieb, ließ ihn schließlich doch zum Handy greifen. Nur um ganz sicher zu gehen, stellte er dabei aber einen Fuß auf den Rücken des Wesens, damit er jegliche Bewegung sofort bemerken und entsprechend reagieren könnte. Kaum hatte er das graue Handy aus seiner Tasche gefischt, klappte er es bereits auf – und tatsächlich begrüßte sein Display ihn mit den Worten 1 neue Nachricht von Richard erhalten. Allein das ließ ihn bereits lächeln und schon gar nicht mehr an das Wesen unter seinem Fuß denken. Er öffnete die Nachricht, um herauszufinden, was die Person ihm wohl mitteilen wollte. Hey, Kieran. Bin gerade erst mit den Hausaufgaben fertig geworden. Frag mich echt, was die Lehrer eigentlich denken. =_= Na ja, sehen uns morgen, schlaf gut. ;) Es war eine derart nichtige Nachricht, aber dennoch brachte sie Kieran leise zum Lachen, einfach nur weil Richard an ihn gedacht und sich die Zeit genommen hatte, ihm ein paar Worte zu schicken. Während er sich nun an die Antwort machte, spürte er, wie das Wesen sich unter seinem Fuß auflöste, so dass der Widerstand gänzlich schwand, bis sein Schuh wieder auf dem Boden aufkam. Aber er störte sich nicht daran und bemerkte es auch erst wirklich, als er die Nachricht schließlich beendet und auf Senden gedrückt hatte: Ich fand es recht moderat. Für Chemie zu lernen war schlimmer. ;> Bis morgen, schlaf gut. Kapitel I - Ich denke schon. ---------------------------- Nur widerwillig öffnete Kieran die Augen, als er spürte, wie jemand ihm auf den Kopf tippte. Er hob träge den Blick und blinzelte seinen Gegenüber an. „Was ist los?“, nuschelte er. „Du verschläfst noch die ganze Pause“, kam die prompte Antwort. Sein Gesprächspartner neigte den Kopf, als er das sagte, eine Strähne seines braunen Haares fiel dabei auf die andere Seite, wobei Kieran wieder einmal auffiel, dass seine Augen genau dieselbe Farbe hatten – und gleichzeitig bemerkte er wieder einmal, dass er ihn zu oft beobachtete. „Tut mir leid, Richard.“ Er rieb sich mit den Handknöcheln die Augen, als würde es ihm damit gelingen, wacher zu werden. Um dem anderen nicht zu zeigen, wie müde er eigentlich war, blickte er auf seinen Tisch hinunter, auf dem sein Netbook lag, auf dem er wiederum eben eingeschlafen war. Dabei stellte er zum wiederholten Male fest, dass sich dieses gar nicht als Kopfkissen eignete. Vielleicht sollte er sich doch mal ein echtes mitbringen. Richard hob ratlos eine Augenbraue. „Warum entschuldigst du dich bei mir? Ich wollte dich nur darauf hinweisen, dass die Pause bald vorbei ist.“ Ein kurzer Blick zu den anderen Tischen sagte ihm allerdings, dass es noch einige Zeit dauern konnte, denn sie waren zum größten Teil noch unbesetzt. Normalerweise füllte sich, etwa fünf Minuten vor Beginn der nächsten Unterrichtseinheit, das Klassenzimmer wieder mit allen anwesenden Schülern. Im Moment war das nicht der Fall, lediglich in der letzten Reihe saßen drei Personen, die sich leise miteinander unterhielten. Dann erst sah er nach vorne, wo die Anzeige der digitalen Tafel verkündete, dass es noch eine Viertelstunde bis zu Beginn des Unterrichts war. Richard verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Tisch, der in der Reihe vor Kierans stand. „Vielleicht sollte mich das nichts angehen, aber ich mache mir schon meine Gedanken, wenn du in der Pause immer einschläfst.“ Nach Kierans Meinung sollte es ihn durchaus etwas angehen, deswegen freute es ihn, dass Richard das anmerkte. Aber wie üblich zeigte er das nicht. „Mach dir keine Sorgen, ich komme nachts nur nicht wirklich zum Schlafen.“ „Wegen deinem Vater?“ Es gab viele Gründe, weswegen er nachts nicht zum Schlafen kam, an manchen war sicherlich sein Vater beteiligt, an anderen Richard selbst ... aber so gut wie keinen davon konnte er verraten. „Ja, wegen meinem Vater“, antwortete er schließlich, als er bereits befürchtete, Richard würde gleich das Interesse an diesem Gespräch verlieren. „Ich musste ihm mit einigen Dingen helfen.“ „Ich beneide dich nicht. Das einzige, was mein Vater von mir will, ist, dass ich lerne. Am besten in jeder freien Minute.“ Er zuckte mit den Schultern. „Mich stört es nicht“, erwiderte Kieran murmelnd. Das, was er nachts immerhin tat, geschah auch darum, weil er um die Konsequenzen für Richard fürchtete, falls er diese Sache einfach ignorierte. Irgendjemand musste sich dem annehmen und außer ihm blieb gerade niemand mehr. „Und dann schreibe ich dir zu den unmöglichsten Zeiten auch noch Nachrichten“, fuhr Richard in einem entschuldigenden Tonfall fort. „Ich hoffe, ich habe dich damit nicht gestört.“ Kieran schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich habe nichts Wichtiges getan, als die Nachricht kam.“ Sein Gegenüber atmete erleichtert auf, was ihm Hoffnung gab dafür, dass seine Überlegungen vielleicht nicht immer gänzlich neben der Spur verliefen. Doch ehe er den Gedanken vertiefen konnte, öffnete sich die Tür und ließ die drei Personen herein, die Kieran in diesem Moment am wenigsten sehen wollte. Nicht, weil er sie nicht mochte – sie waren sogar seine Freunde – sondern weil sie Richards Aufmerksamkeit von ihm ablenkten. Dieser wandte sich den Ankömmlingen auch sofort zu, speziell dem Schwarzhaarigen, dessen blaue Augen im Moment sehr besorgt wirkten. „Ich dachte, du wärst auf der Sitzung der Klassensprecher, Joshua. Wart ihr so früh fertig?“ Der Angesprochene wirkte plötzlich eher wütend als besorgt. „Fertig? Von wegen!“ Doch bevor er etwas sagen konnte, übernahm die Person neben ihm lachend das Wort: „Sie haben sich gestritten und mussten die Sitzung wegen unüberbrückbarer Differenzen vorzeitig beenden.“ Er lachte weiterhin, wobei sein braunes Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war, fast schon hypnotisierend mitwippte. „Das ist nicht lustig, Faren!“, protestierte Joshua sofort. „Das könnte wirklich zu ernsthaften Konsequenzen in der Schule führen!“ Seine Worte halfen nicht, um Faren vom Lachen abzubringen, doch der Schlag, den er dafür gegen seine Schulter erntete, erzielte seine Wirkung. Empört hielt er sich die schmerzende Körperstelle und blickte zu dem einzigen Mädchen in der Runde, das sich gerade die Brille zurechtrückte, hinter der ihre braunen Augen ihn unschuldig ansahen. „Au, Bell! Ich spüre meine Schulter bald schon nicht mehr, wenn du so weitermachst.“ Die Angesprochene – deren Name eigentlich Bellinda lautete – neigte ein wenig den Kopf. „Manchmal muss man ein wenig nachhelfen, wenn die Platte hängenbleibt.“ „Du bist so retro“, erwiderte Faren und hatte seine Schulter dabei schon wieder vergessen. Während Kieran die kleine Gruppe betrachtete, wurde ihm noch ein Grund deutlich, wegen dem er nur ungern mit all seinen Freunden gleichzeitig zusammen war: Einzeln waren sie alle sehr sympathische und nette Personen, aber gemeinsam wurden sie einfach so ... laut. Manchmal, wie an diesem Tag, war es für ihn kaum zu ertragen. Und Richard erging es ab und an ebenso, zufälligerweise auch heute: „Wisst ihr, als ich damals sagte 'He, ich gehe nochmal zur Schule, um mir einen besseren Abschluss zu verschaffen', war das keine Aufforderung an euch, mir zu folgen.“ Faren griff sich an die Brust, als hätte ihn das eben wirklich getroffen, doch seine theatralische Mimik strafte dem Lügen. „Aber Richard, was solltest du denn ohne uns tun? Wir waren seit der Grundschule immer zusammen, warum sollten wir das ändern?“ „Ja“, stimmte Bellinda überraschenderweise zu. „Es heißt doch, never change a winning team!“ Richard kannte diese Diskussion zur Genüge aus den letzten Monaten, weswegen er es sich ganz offenbar sparte, zu erwidern, dass er nicht wüsste, wann sie wohl jemals etwas gewonnen hätten – zumindest konnte Kieran deutlich erkennen, dass sein bester Freund das eigentlich hatte sagen wollen. Es waren lediglich einige kaum wahrnehmbare Zuckungen seiner Mundwinkel, die jedem anderen wohl nichts verraten hätten, ihm aber eben schon. Ich beobachte ihn wirklich zu häufig. „Wie auch immer.“ Joshua unterbrach seine Gedanken sofort wieder. „Wegen der Differenzen haben wir – also die Personen, die sich einig waren – beschlossen, heute Abend eine Netzkonferenz einzuberufen, um darüber zu diskutieren, wie wir die anderen überzeugen können.“ Kieran fragte sich, wieso er ihnen das erzählte, Richard tippte wieder mit den Fingern auf seinem Arm. „Das heißt, ich kann heute Abend nicht mit Bellinda ins Kino gehen, wie eigentlich geplant war. Will irgendjemand von euch meine Karte?“ „Oh, wenn du nicht gehst, gehe ich auch nicht“, meldete sie sich. „Will also irgendwer auch meine Karte?“ Sie sah zu Faren hinüber, der allerdings sofort abwinkte. „Ich hab schon was vor. Mein Date mit Yuina steht an und sie steht nicht so auf Kino.“ Wie jemand wie er jemals an eine Verabredung mit dieser Medizinstudentin gekommen war, würde für Kieran wohl ewig ein Rätsel bleiben. Aber nun war doch etwas anderes wesentlich wichtiger: Wenn die beiden Karten immer noch übrig blieben ... „Ihr könnt sie mir geben“, sagte Richard sofort. „Ich habe nichts vor und nach gestern ist mir auch erstmal nicht mehr nach Lernen.“ „Gut, dann ist das abgemacht.“ Joshua lächelte zufrieden. Für Faren war die Sache damit aber noch nicht vorbei: „Oh, wen willst du mitnehmen? Hast du dir endlich eine Freundin gesucht, von der wir nichts wissen?“ Mit einem Seufzen griff Richard sich an die Stirn. „Nein, habe ich nicht.“ So wie Kieran ihn kannte, gab es nicht mehr viele Alternativen, die er für eine Begleitung hatte. Seine Schwester vielleicht noch, aber sie war jünger als er und würde deswegen wohl kaum in Frage kommen, besonders weil er abends gehen musste. Deswegen hoffte Kieran innerlich, dass er gleich gefragt werden würde. Er wollte sich nicht von sich aus anbieten, das wäre ihm zu direkt und könnte Richard vielleicht auf eine Idee bringen, die er nicht haben sollte. Schon allein weil es nicht zu ihm passte, derart aufdringlich zu sein. Zu seiner Freude sah sein Freund ihn plötzlich direkt an. „Kieran, hast du heute Zeit?“ Er war versucht, einfach Klar zu rufen, aber seine Vernunft und vor allem sein Gesicht unterstützten ihn, indem es vollkommen ausdruckslos blieb. „Ich denke schon.“ „Willst du dann mitgehen?“ Er wusste nicht einmal, welchen Film sie sich ansehen wollten, aber das kümmerte ihn auch nicht, sofern er dabei die Möglichkeit bekam, Zeit mit Richard zu verbringen, ohne die anderen. „Klar, warum nicht?“ „Wenn wir das jetzt erledigt haben“, begann Faren in seinem typischen Tonfall, der verriet, dass er etwas wollte, „kann mir einer von euch die Hausaufgaben geben? Ich hatte keine Zeit mehr, sie zu machen.“ Als die Schule endlich vorbei war, saß Kieran mit dem Rest seines Freundeskreises wie üblich in der Bahn auf dem Heimweg. Da Joshua, Bellinda und Faren in einer anderen Gegend wohnten, verabschiedeten sie sich recht früh von ihnen und so blieben nur Kieran und Richard, die in den äußeren Bezirken von Cherrygrove lebten und deswegen weiterfahren mussten. Wie üblich schwiegen sie beide und sahen dafür aus dem Fenster, wo die Häuserlandschaft an ihnen vorbeiflog. Kieran kannte inzwischen jedes Gebäude, nicht zuletzt dadurch, dass er nachts oft dazwischen umherlief und diese Wesen verfolgte, die sich dort verbargen, um Menschen zu schaden. Aber im Moment erschien ihm das eher wie ein ferner Traum, besonders als Richard plötzlich wieder etwas sagte: „Wie geht es deinem Vater inzwischen?“ „Besser. Er erholt sich überraschend schnell, wie die Ärzte sagen. Vor einem Jahr dachten sie noch, er würde nie wieder gehen können.“ „Ich finde es immer noch unfassbar, dass ein solcher Unfall in unserer Stadt passiert ist.“ Kieran kommentierte das nicht, aber er dachte unwillkürlich daran, dass jeder eine Gasexplosion für die Verletzung seines Vaters verantwortlich machte, dabei war es eines dieser Wesen gewesen – aber da niemand davon wusste, sagte er das auch nicht. Er hatte kein Verbot von irgendwem auferlegt bekommen, er wollte nur nicht, dass andere, die ihm etwas bedeuteten, nicht mehr ohne Furcht vor den Schatten durch das Leben gehen konnten. Besonders Richard sollte nie erfahren, was er nachts normalerweise tat. „Ach, das war nur ein sehr unglücklicher Unfall, der bestimmt nicht mehr vorkommt“, versicherte Kieran ihm daher sofort. „Und mach dir keine Sorgen um meinen Vater, der wird sicherlich bald wieder vollständig auf den Beinen sein.“ „Ich mache mir keinen Sorgen um ihn.“ Richard verschränkte die Arme vor der Brust, sah aber immer noch aus dem Fenster. „Ich mache mir Sorgen um dich. Du hast neben der Schule auch noch deinen Vater, um den du dich kümmern musst. Ich bin immer wieder überrascht, wie du das schaffst. Also, nicht dass ich dir das nicht zutrauen würde, aber ich könnte das eben nicht.“ „Mir macht das nichts aus.“ Immerhin lenkte das Kierans Gedanken auch auf andere Themen als nur auf Richard, an den er eigentlich nicht immer denken wollte, weil ihm nach einer Weile lediglich die Auswegslosigkeit seiner Gefühle klar wurde. Die Bahn wurde wieder ein wenig langsamer, als sie in den nächsten Bahnhof einfuhr, weswegen Richard aufstand. „Wir sehen uns dann heute Abend, ja?“ Kieran nickte ihm zu. „Bis heute Abend.“ Zum Abschied hob sein Freund noch einmal kurz die Hand, dann verließ dieser den Zug, so dass er allein auf seinem Platz zurückblieb. Er ließ sich ein wenig tiefer sinken und legte dann den Kopf in den Nacken. Heute Abend ... dann werde ich mich bei der Patrouille wirklich beeilen müssen. Kapitel II - Ich bin nicht wie du! ---------------------------------- Die Treppen zu seiner Wohnung brachte Kieran hinter sich, indem er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Im Gegensatz zu den Häusern, in denen seine Freunde lebten, war seines alt und dreckig und es roch im Treppenhaus stets nach Feuchtigkeit und Schimmel. Einige der Stufen waren bereits abgesplittert, aber bislang hatte sich der Vermieter noch nicht darum gekümmert. Hinter den einzelnen Türen konnte er lautes Schreien hören, die Kinderwägen auf dem Gang verrieten ihm, dass es Kinder waren, die ihren Eltern gerade empört klarzumachen versuchten, dass sie etwas unbedingt haben mussten. Dennoch lebte er gern hier, da er viele Erinnerungen mit diesem Ort verband. An einer Stelle der Treppe war das hölzerne Geländer angesägt und jedes Mal, wenn er daran vorbei kam, erinnerte er sich wieder daran, wie er als Kind gemeinsam mit seinem Cousin damit beschäftigt gewesen war, dort zu sägen. Er war sich nicht mehr im Klaren darüber, warum sie das getan hatten, aber durchaus, dass es sehr wichtig gewesen war, zumindest in ihren Köpfen. An den dafür geernteten Ärger erinnerte er sich aber auch noch sehr gut. Wenn er so darüber nachdachte, sollte er seinem Cousin vielleicht mal wieder eine Nachricht schicken. Aber diese Überlegung rückte in den Hintergrund, als er endlich vor seiner Tür angekommen war und aufschloss. Zumindest in seiner Wohnung war es sauber und roch auch angenehm, dafür sorgte schon sein Vater, der sein Möglichstes versuchte, in seinem derzeitigen Zustand, deswegen war nach der Treppe auch immer eine gewisse Vorfreude mit seiner Heimkehr verbunden. An diesem Tag roch es fruchtig nach Tomaten, was hieß, dass Cathan, sein Vater, gerade am Kochen war. Kieran legte den Rucksack ab, streifte seine Schuhe ab, stellte sie sorgsam in eine Reihe mit den anderen und lief dann an Garderobe und Türen in andere Zimmer den Gang hinab, um die Küche am Ende zu betreten. Es war nur ein kleiner Raum, mit einer Kochzeile und einer Spüle auf der einen Seite und einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen auf der anderen, aber es genügte für sie beide. Cathan stand, wie erwartet, mit beschlagener Brille, am Herd und rührte gerade in einem Topf, aus dem der Tomatengeruch kam. Sein schwarzes Haar war noch feucht, was Kieran verriet, dass er sich wieder einmal ganz allein um seine Hygiene gekümmert hatte. Einerseits freute es Kieran, das verriet immerhin, dass sein Vater auf dem Weg der Besserung war, andererseits machte er sich Sorgen, dass ihm dabei etwas passieren könnte. Seine Krücken standen, zu Kierans weiterer Besorgnis, eine Armlänge von ihm entfernt, gegen die Spüle gelernt, was ihn auch sofort dazu veranlasste, etwas zu sagen: „Papa, du sollst doch nicht so lange ohne deine Krücken stehen ...“ Inzwischen war es nicht mehr ersichtlich, dass seine Beine vor kurzem noch vollkommen unbrauchbar gewesen waren und die Ärzte sogar einen Umzug in eine behindertengerechte Wohnung vorgeschlagen hatten, aber dennoch gab es die Anweisung, nicht zu lange zu stehen. „Dir auch ein schönes Hallo“, erwiderte Cathan schmunzelnd. „Und ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst dir keine Sorgen machen, ich komme schon zurecht.“ Bis vor kurzem hatte Kieran nicht gewusst, was er darauf erwidern sollte, aber inzwischen war ihm die Schwachstelle seines Vaters bekannt: „Ich mache mir nur Sorgen, dass du nicht wieder gesund wirst und weiter Dämonen jagen kannst. Du weißt, dass ich eigentlich andere Sachen zu tun haben.“ Er appellierte nur ungern an das schlechte Gewissen seines Vaters, aber es funktionierte einfach hervorragend, wie er auch sofort an dessen schuldbewusstem Gesicht sah. Im nächsten Moment griff Cathan bereits nach seinen Krücken und humpelte damit zum Tisch, wo er sich auf einem der Stühle niederließ. Mit einer einladenden Handbewegung forderte er seinen Sohn auf, sich weiter um das Essen zu kümmern, was dieser auch sofort tat. „Und wie war dein Tag bisher?“, fragte Cathan, nachdem Kieran eine Weile schweigend in der Soße gerührt hatte. „Ganz normal, wie immer eben. Aber ich wollte heute Abend ins Kino gehen. Ist das okay?“ Sein Vater stieß ein schweres, schuldbewusstes Seufzen aus. „Du musst mich nicht fragen, du bist alt genug, um Entscheidungen für dich selbst zu treffen. Und ich nehme an, dass du es schaffst, deine Patrouille und den Kinobesuch unter einen Hut zu bekommen, so vernünftig bist du.“ Kieran gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Um Erlaubnis zu bitten war auch nur seine Art, ihn davon in Kenntnis zu setzen. „Manchmal denke ich, du bist zu vernünftig“, sagte Cathan nach einem kurzen Moment des nachdenklichen Schweigens. „Wie meinst du das?“ „Du gehst zur Schule, kümmerst dich um mich und musst nebenbei auch noch gegen Dämonen kämpfen, weil ich das gerade nicht kann. Das ist sehr viel Verantwortung für jemanden in deinem Alter. Eigentlich für jemanden in jedem Alter.“ „Mir macht das nichts aus.“ Doch Cathan ignorierte seinen Einwand. „Du solltest eigentlich rausgehen und Spaß haben, dich mit Freunden treffen und dir eine Freundin suchen-“ „Ich treffe mich doch mit Freunden. Und nachher gehe ich ins Kino.“ „Du weißt genau, wovon ich spreche, Kieran.“ Er schwieg daraufhin. Natürlich wusste er, wovon sein Vater sprach, aber er besaß auch so gut wie keinerlei Interesse daran, zu viel Zeit mit seinen Freunden zu verbringen – abgesehen von Richard – oder sich gar eine Freundin zu suchen, schon allein wegen Richard. Heute funktioniert das Ablenken von ihm wohl nicht. „Du musst doch mehr wollen. Als ich in deinem Alter war-“ Kieran legte den Löffel, mit dem er gerührt hatte, ein wenig zu energisch auf der Spüle ab und unterbrach Cathan damit mitten in seinem Satz. Er drehte sich nicht zu seinem Vater um, als er widersprach: „Ich bin nicht wie du! Versteh das endlich!“ Vielleicht war er ein wenig zu laut geworden, aber wenn Cathan ihm einfach nicht zuhören wollte, blieb ihm kaum eine andere Wahl. Allerdings war er immer noch vernünftig, weswegen er nicht einfach die Flucht ergriff, sondern blieb. Wer sollte sich sonst darum kümmern, dass sein Vater nicht einfach wieder aufstand? „Tut mir leid“, sagte Cathan schließlich. „Ich wollte nicht ...“ „Das Essen ist gleich fertig.“ Trotz allem war Kieran nicht vernünftig genug, das alles auszudiskutieren. Eigentlich wäre es ihm lieber, wenn sein Vater das Thema endlich sein lassen würde ... aber vielleicht sollte er dafür auch endlich damit aufhören, an sein schlechtes Gewissen zu appellieren. Da Cathan wieder ins Schweigen verfiel, wanderten Kierans Gedanken erneut zu Richard und dazu, wie der gemeinsame Abend wohl verlaufen würde, wobei einige der Dinge, die er sich vorstellte, auch für immer in seiner Gedankenwelt bleiben sollte, wie er glaubte. Kurz nach dem schweigsamen Essen hatte Kieran sich erst in sein Zimmer zurückgezogen, um seine, glücklicherweise wenigen, Hausaufgaben zu erledigen und direkt im Anschluss die Wohnung wieder zu verlassen. Dabei hatte er Cathan verständlicherweise nicht mehr gesehen und dieser gab auch keinen Ton mehr von sich. Lediglich der laufende Fernseher hatte Kieran verraten, dass er noch wach war. Er machte sich bereits ein wenig Gedanken darum, dass er seinen Vater derart vor den Kopf gestoßen hatte, immerhin machte dieser sich nur Sorgen um ihn. Beim Frühstück würde er sich erst einmal entschuldigen müssen, zumindest nahm er sich das vor. Als er in der Bahn saß, die ihn zum Industrieviertel bringen sollte, holte er sein Handy hervor. Um diese Zeit befanden sich außer ihm nur wenige Personen im Abteil, die es ebenfalls in diesen Sektor verschlug, weswegen er sich nun darum kümmern konnte, herauszufinden, wo sich das Wesen befand, das er diesmal vernichten sollte. Woher genau die Informationen kamen, wusste er nicht, aber es kümmerte ihn auch nicht weiter, die Hauptsache war, dass er sie erhielt, aber das war nur auch mit einem Nebeneffekt verbunden: Kaum griff er auf den Server zu, begann das Display seines Handys stärker zu leuchten als sonst und es wirkte sogar als würden magische Funken davon sprühen. Wie es zu diesem Effekt kam, wusste er ebenfalls nicht, aber das war auch so eine Sache, die er einfach hinnahm. Manchmal glaubte er, dass es zu viele Dinge gab, die er nicht weiter hinterfragte, aber das war auch nicht seine Sache, wie er meinte. Er machte diesen Job immerhin nur vorübergehend, bis es seinem Vater wieder besser ging. Das Display zeigte ihm eine Karte der Stadt, auf der sich verschiedene bernsteinfarbene leuchtende Punkte bewegten, für die er sich aber allesamt nicht interessierte. Laut der Erklärung seines Vaters handelte es sich hierbei um Menschen, aber warum nicht alle angezeigt wurden, verstand auch Cathan nicht und offensichtlich hatte er ebenfalls nie gefragt. Viel wichtiger waren aber die roten Punkte, die glücklicherweise seltener vorkamen und Dämonen symbolisierten. Wie in den übrigen Nächten befand sich auch in dieser ein Dämon im Industrieviertel, um dort im Schutz der Dunkelheit und Einsamkeit einen verspätet heimkehrenden Menschen zu fangen und dann aufzufressen. Zumindest war es das, was die meisten Dämonen taten. Es gab auch einige, wesentlich weniger auffällige, die sich an bestimmte Menschen hingen und ihnen kontinuierlich die Lebensenergie absaugten. Einem solchen Exemplar war er bislang aber nur einmal begegnet. „Nächster Halt: Industriegebiet.“ Gut, ich habe also anderthalb Stunden, bis ich am Kino sein muss. Das sollte ich schaffen. Er trennte die Verbindung zum Server und steckte sein Handy wieder ein. Der Industriebahnhof war ihm inzwischen derart vertraut, dass er sich selbst im Tiefschlaf noch durch diesen bewegen könnte. Ohne Umschweife begab er sich zu den Spinden und holte dort aus einem von ihnen seinen schwarzen Mantel und die Sporttasche heraus. Es war geschickter, sie an diesem Bahnhof zu lagern, wenn dafür schon die Möglichkeit existierte und machte es allzu neugierigen Personen außerdem schwerer, ihn aufzuspüren. Ein entscheidender Vorteil, wie er fand. Erst nachdem er sichergestellt hatte, dass er alles bei sich trug, machte er sich auf den Weg, um den Dämon aufzuspüren. Er widerstand der Versuchung, zu rennen oder auch nur zu joggen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, auch wenn er nicht wirklich Zeit oder Geduld dafür hatte. Seine Gedanken waren immer noch bei seinem bevorstehenden Treffen mit Richard zu dem er sich auf keinen Fall verspäten durfte. Jemand hatte ihm zwar einmal gesagt, dass er nicht wegen einem Ausrutscher sofort in der Gunst seines Freundes fallen würde – aber er wollte es auch lieber nicht darauf ankommen lassen. Derart in Gedanken versunken, fand er sich schließlich in einer einer menschenverlassenen Gegend des Viertels wieder, als die Stimme einer Frau, die einen Hilfeschrei aussandte, ihn aus seinen Überlegungen riss. Der Dämon musste bereits ein Opfer gefunden haben! Ihm blieb keine Zeit mehr, lange darüber nachzudenken, was er tun sollte. Kurzentschlossen begab er sich, diesmal wirklich rennend, in die Richtung des Schreis, um der Person in Not zu helfen. Doch als er die entsprechende Gasse erreichte, herrschte plötzlich eine geradezu gespenstische Stille. Außer ihm befand sich nur noch eine weitere Person hier – und es war mit Sicherheit keine, die Hilfe benötigte. Die Frau, die mit verschränkten Armen vor ihm stand, trug einen Kapuzenpullover, aber die Kapuze war unten, so dass er die Katzenohren auf ihrem Kopf deutlich sehen konnte. Abgesehen von diesen und den grünen Augen mit den zu Schlitzen geformten Pupillen, wäre Kieran nie davon ausgegangen, dass es sich bei ihr um keinen Menschen handelte. „Also ist es wahr“, stellte sie fest, als sie ihn sah. „Man erzählt sich, dass ein junger Jäger hier seine Runden dreht und prompt ist er auch schon da.“ „Gratuliere, du hast mich gefunden. Und was willst du jetzt von mir?“ Was er wollte, war auf jeden Fall eindeutig, er griff bereits nach dem Reißverschluss seiner Tasche, um nicht zu viel Zeit zu verlieren, aber vielleicht hatten die Dämonen jetzt doch beschlossen, zu verhandeln. Zwar war ihm immer gesagt worden, das würde niemals geschehen, aber das bedeutete ja nicht, dass es dabei bleiben musste. Er würde das sogar begrüßen, würde das doch immerhin einige seiner Probleme auf einmal erledigen – doch leider tat man ihm diesen Gefallen auch an diesem Tag nicht. Plötzlich breitete sie die Arme aus, scharfe, stabil aussehende Krallen wuchsen aus ihren Fingern, während sie das Gesicht zu einem Grinsen verzog. „Dann lass mich dir zeigen, was ich mit denen anstelle, die meine Brüder und Schwestern töten!“ Kapitel III - Ich mache so etwas dauernd. ----------------------------------------- Kieran kam fünf Minuten später als geplant beim Kino an. Seine linke Wange brannte ein wenig, er war müde, das grelle Licht der Filmschaukästen tat ihm in den Augen weh und eigentlich wäre er am liebsten einfach nur zu Hause in sein Bett gefallen, aber der Gedanke, einen Abend mit Richard zu verbringen, gab ihm genug Kraft, weiterhin aufrecht zu stehen und sich bei seinem Freund für die Verspätung zu entschuldigen. „Es waren nur ein paar Minuten“, wehrte dieser allerdings sofort ab. „Du musst dir da keine Gedanken machen. Aber ...“ Mit vor Besorgnis gerunzelter Stirn betrachtete er Kierans Gesicht. „Was ist mit dir passiert?“ Erst nach dieser Frage griff er sich an die brennende Wange und spürte dabei tatsächlich klebriges Blut unter seinem Finger, wenngleich nicht sonderlich viel. „Ah, das war eine Katze.“ Das war immerhin nicht ganz gelogen, diese Dämonin hatte ja wirklich katzenspezifische Eigenheiten aufgewiesen. „Aber du hasst Katzen“, gab Richard zu bedenken. „Das Gefühl beruht wohl auf Gegenseitigkeit.“ Dabei stimmte es gar nicht. Er hasste Katzen nicht, er empfand nur einiges an Respekt vor ihnen, wie auch vor jedem anderen Tier, das es auf dieser Welt geben konnte. „Außerdem siehst du ziemlich blass aus“, fuhr Richard fort. „Wenn du dir den Film lieber mit jemand anderem ansehen willst, musst du mir das nur sagen.“ Zumindest kam ihm das Verhalten seines Freundes nun so vor, als wolle dieser der Verabredung ausweichen, aber er wirkte deutlich erschrocken, als Kieran das anmerkte. „Nein, natürlich nicht. Ich mache mir nur Sorgen, dass du dich vielleicht so sehr verpflichtet fühlst, dass du lieber auf Schlaf, statt auf den Film verzichtest.“ Kieran winkte rasch ab. „Das würde ich nie. Du weißt doch, ich bin vernünftig.“ Er fürchtete, Richard würde ihm nun erwidern, dass er zu vernünftig sei, aber stattdessen lächelte er ein wenig. „Ja, ich weiß. Jedenfalls, ich habe die Karten bereits geholt – und die Brillen.“ Mit diesen Worten hob er seine rechte Hand, auf die Kieran bislang nicht geachtet hatte, und in der sich tatsächlich zwei Karten und die typischen Brillen befanden. Sie dienten dazu, zusätzliche Informationen zum Film abzurufen, während man sich diesen noch ansah. Wie genau das funktionierte, da es keinerlei Eingabemöglichkeiten gab und alles lediglich über Gedanken gesteuert wurde, verstand er zwar nicht, aber es interessierte ihn auch nicht wirklich. Zumeist bestanden die Informationen ohnehin nur daraus, wie bestimmte Dinge während der Dreharbeiten verlaufen waren und das kümmerte ihn nicht. Er nahm Richard die Brille ab, während er gemeinsam mit ihm über den hellroten Teppichboden zum Kinosaal lief und setzte sie sich dann sofort auf, als er endlich auf seinem Platz saß. Das dunkelrote Polster des Sitzes fühlte sich so bequem an, dass er am Liebsten sofort eingeschlafen wäre. „Sie steht dir.“ Richards Urteil ließ ihn sofort wieder wacher werden. „Ähm, danke.“ Der Abend versprach, lang zu werden und das mit einer romantischen Komödie, wie Bellinda und Joshua sie so sehr mochten. Aber immerhin bedeutete das auch, dass er nicht zu sehr über den Film nachdenken musste und er sich wesentlich mehr auf wichtigere Sachen konzentrieren konnte – wie etwa der Frage, wie er sich am nächsten Morgen bei seinem Vater entschuldigen sollte. Sich in Richards Nähe zu sehr auf diesen zu konzentrieren, empfand er als gefährlich, weswegen er sich mit anderen Dingen ablenken und es gleichzeitig genießen musste. Wie auch immer er das hinbekommen sollte. Als der Film nach etwas mehr als einer Stunde beendet war und sie den Kinosaal wieder verließen, war Kieran um einige Dinge schlauer. Erstens: Er war nicht gut darin, sich auf etwas anderes als Richard zu konzentrieren, wenn er direkt neben ihm saß, um einen Film anzusehen. Zweitens: Richard schaffte es tatsächlich, über eine Stunde lang ein- und denselben Gesichtsausdruck beizubehalten und sich auch sonst nicht zu bewegen und auch keinerlei Informationen über die Brille abzurufen. Drittens: Romantische Komödien waren in seiner Situation so ziemlich die schlechteste Unterhaltung, die es geben könnte. In Filmen wirkten die Konflikte immer so, als wären sie furchtbar schnell aus der Welt zu schaffen, es benötigte nur eine Person, die kurzfristig den Mut fand, etwas zu unternehmen, ohne Rücksicht auf eine Zukunft, die es ja ohnehin nicht gab. Wenn der Film aus war, endete das Leben der Charaktere, es gab keinerlei weitere Tage, Wochen, Monate, Jahre, die den Beteiligten möglicherweise vor Augen führten, wie falsch und undurchdacht ihre Entscheidung damals gewesen war. Im wahren Leben war es deswegen wesentlich schwerer. Man musste allerlei Variablen bedenken, die verschieden möglichen Ausgänge einer Entscheidung abwägen und dann noch darüber nachdenken, wie wohl das Umfeld reagieren mochte. Das Leben verlief nicht wie ein Drehbuch, man konnte sich also nicht auf ein Happy End verlassen und musste befürchten, Freunde mit seinen unbedachten Geständnissen zu verlieren. Deswegen bevorzugte Kieran lieber die Kämpfe mit Dämonen. Man hatte gar nicht genug Zeit zum Nachdenken, man konnte nur binne Bruchteile von Sekunden eine Entscheidung treffen und entsprechend dieser handeln, ohne einen zweiten Versuch. Und wenn es schiefging, nun, dann musste man sich in der Regel ohnehin keine Gedanken mehr darum machen. Wenn Cathan wüsste, wie er dachte, würde er sich mit Sicherheit noch mehr Sorgen machen. Als er die Brille in den dafür vorgesehenen Behälter außerhalb des Saals fallen ließ, bemerkte er, dass Richard ihn anscheinend angesprochen hatte, denn er blickte ihn auffordernd an. „Hm? Hast du etwas gesagt?“ „Ich habe dich gefragt, ob du müde bist“, antwortete Richard. „Du hast den ganzen Film über abwesend gewirkt und jetzt genauso.“ Kieran verfluchte sich innerlich, dass er zugelassen hatte, dass sein Freund tatsächlich so etwas bemerkte – denn das bedeutete immerhin, dass er möglicherweise auch ganz andere Dinge bemerkte und sein Schweigen darüber war nicht gerade dazu geeignet, in ihm Zuversicht zu wecken – und nickte dann. „Ja, ziemlich. Ich glaube, ich sollte nur noch am Wochenende ins Kino gehen.“ „Das habe ich auch überlegt“, sagte Richard lächelnd. „Wenn wir das mal wiederholen, dann nur an einem Samstag.“ Das war dann wiederum eine Aussage, die ihn hoffen ließ. Richard würde also höchstwahrscheinlich noch einmal mit ihm ins Kino gehen, er hoffte, dass es nicht zu lange bis dahin dauern würde. Vielleicht wäre Cathan dann auch ein wenig zufriedener. „Damit komme ich klar“, stimmte er zu. „Aber wir sollten uns dann einem anderen Genre widmen.“ Richard nickte lachend, was allein Grund genug war, dass Kierans Herz ein wenig schneller schlug. „Das wird dann hoffentlich auch eines, das bessere Informationen zum Dreh liefert. Ich meine, was interessiert es mich, wie lange es gedauert hat, die Katze in der letzten Szene dazu zu bringen, das zu tun, was die Filmemacher wollten?“ Woher er wusste, dass es diese Informationen gab, konnte Kieran nur ahnen, da er die Brille immerhin nicht benutzt hatte, aber statt darüber zu sprechen, nickte er einfach nur noch einmal. Plötzlich wandelte sich Richards sorglose Miene zu einer, die sich offenbar nicht entscheiden konnte, ob sie besorgt oder verwirrt sein sollte. „Kieran, warst du vorhin nicht noch verletzt?“ Er hatte den ganzen Film über nicht daran gedacht, schon allein weil es nicht mehr schmerzte, aber als er wieder an seine Wange griff und feststellte, dass der Kratzer verschwunden war, fiel ihm siedendheiß wieder ein, dass die Regenerationskräfte seines Körpers wesentlich schneller und effektiver arbeiteten als die normaler Menschen. Normalerweise begegnete er nach seiner Patrouille niemandem, den er kannte, da war es egal, wie sehr er verletzt wurde, aber an diesem Abend ... „A-ach, das ist doch nur ein kleiner Kratzer“, sagte er rasch. „Wahrscheinlich siehst du ihn nicht mehr, weil er nicht mehr blutet.“ Für einen Moment schien es ihm, als würde Richard die Hand heben wollen, um sich selbst davon zu überzeugen, aber dann überlegte er es sich offenbar anders und wich sogar einen Schritt zurück. „Wenn du das sagst.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr und neigte dann den Kopf. „Wir sollten langsam nach Hause gehen. Es ist schon spät und wir müssen morgen wieder in die Schule.“ Eigentlich wollte er sich nicht von Richard trennen, aber das konnte er ihm unmöglich sagen, deswegen nickte er. „Gute Idee. Ich schlafe ohnehin fast im Stehen ein.“ „Schaffst du es dann nach Hause? Du kannst auch bei uns schlafen.“ Richard wohnte nicht weit vom Kino entfernt, wofür er stets von Faren beneidet wurde, aber Kieran konnte das unmöglich annehmen, schon allein wegen seinem Vater. „Ich kriege das schon hin, keine Sorge.“ Also verabschiedeten sie sich voneinander. Während Richard in Richtung des Wohngebiets lief, machte Kieran sich auf den Weg zur Bahnstation. Da er die Fahrzeiten nicht so genau im Kopf hatte, holte er sein Handy heraus, um zu erfahren, ob er sich beeilen müsste. Aber kaum hatte er es aufgeklappt, verband es sich automatisch mit dem Server, was nie ein sonderlich gutes Zeichen war. Noch während er innerlich seufzte, zeigte ihm die Karte bereits einen Dämon in unmittelbarer Nähe an. Er überlegte, ob er das Risiko eingehen könnte, ihn einfach zu ignorieren oder ob er vielleicht doch einen Umweg machen sollte. Im letzteren Fall käme er früher ins Bett, aber vielleicht würden Menschen darunter leiden müssen. Andererseits hatte ihn die Begegnung mit der Dämonin zuvor nachdenklich gemacht. Sie hatte seine bisherigen Opfer als Brüder und Schwestern bezeichnet, also herrschte auch zwischen den Dämonen eine gewisse Familienstruktur. Wenn er also einen Dämon tötete, nahm er einem gleichzeitig ein geliebtes Wesen. Oder ... Vielleicht hat sie auch nur versucht, mich damit einzuwickeln und es ist alles gelogen. Laut Cathan gab es Dämonen, die so etwas taten und er musste nun entscheiden, ob er auf seinen Vater oder auf das feindliche Wesen hören wollte. Diese Überlegungen wurden allerdings sofort von dem deutlich hörbaren Schrei nach Hilfe hinweggefegt. Die Chancen standen gut, dass es sich wieder um eine Falle handelte, aber er konnte das nicht einfach auf Verdacht ignorieren. Ohne weiter zu zögern rannte er sofort los, auch ungeachtet der Tatsache, dass er seine Waffentasche nicht mit sich trug. Diese ruhte wieder in seinem Spind am Bahnhof des Industrieviertels, aber er war auch für solche Notfälle ausgebildet. Die Straße führte am Fluss entlang und war um diese Zeit nicht besucht, deswegen brannten die Straßenlaterne auch schon seit einer halben Stunde nicht mehr, wie er wusste. Der Dämon musste das ausgenutzt haben, aber für ihn selbst war das nun auch ein Vorteil. Von der Straße fiel die Wiese sacht ab, ehe das Ufer dann wieder vollkommen waagerecht verlief. Und genau dort, nur wenige Meter entfernt, konnte er den Dämon sehen. Seine Gestalt war die eines normalen Mannes, der gerade eine Frau auf den Boden drückte. Sie wehrte sich und stieß dabei einen verzweifelten Schrei aus, einen solchen wie ihn Kieran hergeführt hatte. Dies war eine Situation, wie er sie liebte, es gab keinen Grund, nachzudenken, sondern nur zu handeln – und das tat er, indem er sich mit voller Wucht gegen den Angreifer warf. Dieser ließ von der Frau ab, rollte über den Boden und richtete sich mit einem Fauchen dann sofort wieder auf. Kieran kämpfte noch um sein Gleichgewicht, fing sich aber wieder, als er das Gesicht seines Feindes sehen konnte. Auch dieses sah aus wie das eines gewöhnlichen Menschen, wenn man von all den Narben und Nähten absah, die sich quer darüber zogen, sowie den glühenden gelben Augen. Aber so menschlich es auch aussah, so wenig verhielt es sich wie ein solcher. Es sprach nicht, sondern fauchte ihn nur an, ehe es sich nun selbst auf Kieran stürzte. Zu seinem Glück war dieser Dämon einer der schwerfälligen Sorte, weswegen er problemlos ausweichen konnte. Aber sein Angreifer ließ sich nicht beeindrucken und schwang einfach den Arm, um ihn dennoch umzuwerfen. Dem entging Kieran mit einem Sprung, der ihn direkt vor die nächste Blitz-Entscheidung führte. Jetzt oder nie! Er zog ein Taschenmesser hervor, das er stets mit sich trug und klappte es in einer fließenden Bewegung auf. Gleichzeitig landete er auf dem ausgestreckten Arm des Angreifers und rammte ihm, als Fortsetzung der vorigen Regung, mit aller Gewalt das Messer in den Hals. Im selben Moment fiel der feindliche Arm, so dass der Boden unter Kieran wegbrach und er hinabstürzte, wobei er das Messer mitriss und einen tiefen Schnitt hinterließ. Statt sich aufzurichten, konzentrierte er sich darauf, aus der Reichweite des Dämons zu robben, aber dieser kümmerte sich gar nicht mehr um ihn. Das Wesen presste sich eine Hand auf den verletzten Hals und stieß einen lauten, unmenschlichen Schrei aus, der durch Kierans ganzen Körper ging. Dann fuhr es herum und war mit raschen Sprüngen bereits aus seinem Sichtfeld verschwunden. Schwer atmend sah er ihm dennoch hinterher, als fürchtete er, der Dämon könne ganz überraschend doch wieder zurückkehren und ihm das Genick brechen. Das geschah natürlich nicht, dafür lenkte ein leises Keuchen seine Aufmerksamkeit wieder auf die angegriffene Frau von zuvor. Sie lag noch halb auf dem Boden, stützte ihren Oberkörper mit den Armen ab und starrte Kieran aus geweiteten, grünen Augen an. Er war auf Notfälle getrimmt – aber nicht auf die Nachbehandlung von Opfern. Bislang war es sogar nur einmal vorgekommen, dass er beobachtet worden war und sich danach mit der entsprechenden Person hatte auseinandersetzen müssen, normalerweise waren anwesende Menschen während seiner Rettungsaktion bewusstlos. Aber nun war er zum zweiten Mal gesehen worden. Sprachlos konnte er sie einfach nur ansehen, während sie sich weiter aufrichtete und sich dann auch das lange schwarze Haar richtete, als wolle sie annehmbar aussehen, ehe sie schließlich etwas sagte: „Vielen Dank ... Sie haben mir das Leben gerettet.“ Ihre Stimme zitterte noch immer, aber sie lächelte. Sie war gerade knapp einem gewaltsamen Tod entronnen und hatte beobachtet, wie ein Unbekannter ihrem Angreifer in Tötungsabsicht ein Messer in den Hals rammte, sie hatte keine Garantie, dass er ihr nichts Schlimmeres antun wollte – und doch lächelte sie. Kieran konnte es nicht verstehen. Sein Schweigen verunsicherte sie wohl, da sie ein wenig zurückwich, aber noch war sie nicht überzeugt, dass eine Flucht eine gute Idee war. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Haben Sie sich verletzt?“ Um sie nicht weiter zu beunruhigen – wenn sie mit dieser Geschichte zur Polizei ging, könnte das immerhin einige Probleme für Kieran geben – richtete er sich ebenfalls hastig auf und nickte. „Alles in Ordnung. Wie sieht es bei Ihnen aus?“ „Mir ist nichts geschehen.“ Ihre Stimme zitterte nicht mehr, offenbar war sie nun überzeugt, dass sie in Sicherheit war, aber ihr Lächeln war erloschen. „Das war sehr tapfer von Ihnen.“ „Nicht wirklich, ich mache so etwas dauernd.“ Sie legte eine Hand auf ihr Herz. „Wirklich? Was ... was war das denn dann?“ Natürlich war sie verwirrt, genau wie jene Person, die er damals gerettet hatte. Aber eigentlich stand ihm nicht der Sinn danach, ihr große Erklärungen zu präsentieren, jedenfalls nicht in dieser Nacht. „Ich habe eigentlich keine Zeit, das alles aufzurollen, ich-“ „Dann treffen wir uns morgen.“ Sie unterbrach ihn ein wenig zu enthusiastisch, wie er fand. „Bei Tageslicht lässt sich vielleicht auch viel besser über solche Dinge sprechen als in der Dunkelheit.“ Das war eine so vortreffliche und gleichzeitig seltsame Idee, dass er sie erst einmal nur verwundert und auch misstrauisch ansehen konnte. Jeder andere, davon war er überzeugt, würde sofort wissen wollen, was geschehen war, ungeachtet der Tageszeit. Bei der Person damals war er einfach in ein Fast-Food-Restaurant gezogen worden. Aber was blieb ihm anderes übrig, als der anderen Person hier zu vertrauen? Er konnte ihr unmöglich einfach alles Wissen aufzwingen. Außerdem bestand die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand diesen Schrei zuvor gehört hatte und es hier bald vor Polizei wimmeln würde – und dann war da immer noch sein Bett, nach dem er sich so sehr sehnte wie nie zuvor. „Das ist sicher das Beste. Aber bis dahin dürfen Sie der Polizei hiervon nichts erzählen. Geben Sie mir erst die Möglichkeit, das alles selbst zu erklären.“ Waren dies die richtigen Worte? Ober weckte er damit nur unnötig mehr Misstrauen? Glücklicherweise nickte sie. „In Ordnung. Aber wenn Sie nicht kommen, werde ich sofort zur Polizei gehen.“ Welch eine Erpressung. Ganz und gar nicht wie die Person damals. „Gut, vielleicht sollten wir uns dann erstmal vorstellen. Ich bin Kieran Lane.“ Er hielt ihr die Hand hin und stellte erstaunt fest, dass sie herzlich zu lächeln begonnen hatte. „Es freut mich sehr.“ Sie gab ihm die Hand. „Mein Name ist Aydeen Driscoll.“ Kapitel IV - Woher weißt du, dass ich nicht der Böse bin? --------------------------------------------------------- Normalerweise trank Kieran keinen Kaffee, der Geschmack war ihm meist zuwider. Aber als er an diesem Morgen in der Bahn zur Schule saß machte er eine Ausnahme. Am Bahnhof hatte er sich an einem Kiosk einen Kaffee zum Mitnehmen in einem braunen Pappbecher gekauft und nippte nun daran, während er versuchte, nicht mehr einzuschlafen. Wäre Cathan nicht gewesen, hätte er verschlafen, weswegen er nun eine Bahn später als sonst fuhr. Normalerweise fuhr er früher, weil auch Richard das tat und außerdem waren dann weniger Schüler unterwegs. Im Moment fühlte er sich wie von einem wütenden Bienenschwarm umzingelt von dem es kein Entkommen gab, dabei konnte er das an diesem Morgen eigentlich gar nicht gebrauchen. In der Nacht zuvor hatte er Aydeen schweigend noch bis in eine etwas belebtere Gegend begleitet, ehe er endlich nach Hause gefahren und auf dem Weg dorthin sogar extra gestanden war, trotz des fast leeren Waggons, um nicht aus Versehen einzuschlafen. Etwas an ihr kam ihm seltsam vor, aber er konnte nicht genau sagen, was es war. Möglicherweise war dies auch nur das Ergebnis seiner Übermüdung gewesen, das müsste er herausfinden, wenn er sich mit ihr traf, auch wenn ihm eigentlich nicht der Sinn danach stand. Nach der Schule heimzugehen und bis zum nächsten Morgen zu schlafen, wäre wesentlich angenehmer – aber leider nur ein Wunschtraum. „Nein, wie ungewöhnlich~“, hörte er plötzlich eine vergnügte und ihm durchaus bekannte Stimme. „Guten Morgen, Kieran.“ Als er den Kopf wandte, entdeckte er eine junge Frau, die ihn lächelnd ansah. Er war so müde, dass er Probleme hatte, sie trotz der bekannten Stimme einzuordnen und deswegen nach weiteren Erkennungsmerkmalen suchte. Ihr langes blondes Haar war hochgesteckt, was er nicht mit dem Bild in seinem Inneren vereinbaren konnte, aber ihre rot-braunen Augen betätigten schließlich den entsprechenden Schalter, der ihn sie erkennen ließ: „Guten Morgen, Allegra.“ Ohne auf weitere Worte von ihm zu warten, setzte sie sich auf den freien Platz neben ihm. „Was machst du denn in dieser Bahn? Ist das Kaffee in deiner Hand?“ Mit der freien Hand rieb er sich die Schläfe, hinter der ein leichtes Pochen eingesetzt hatte. „Sprich nicht so viel am Morgen, ich bin todmüde.“ Erst als er das sagte, wurde ihr Blick schlagartig ernst. „Waren wieder viele Dämonen unterwegs?“ Sie senkte nicht einmal ihre Stimme, als wäre es ihr vollkommen gleichgültig, wer gerade zuhörte, aber zu seinem Erstaunen wurde auch niemand auf sie aufmerksam. Allen anderen schien es wirklich vollkommen egal zu sein, dass Allegra mal eben ein so fantastisches Thema angesprochen hatte. „Nein, ich war im Kino.“ „Ooooh~.“ Sie lächelte ihn schelmisch an. „Mit Richard?“ Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und schüttelte sich bei dem Geschmack, immerhin schien es aber zu wirken. „Genau.“ „Details, Details~.“ Ihr jetziges Verhalten stand im vollkommenen Gegensatz zu jenem, das sie bei ihrem ersten Treffen demonstriert hatte. Damals war sie blass gewesen, verängstigt und gleichzeitig verbittert, seit Jahren verfolgt von einem Dämon, der ihr enorm zusetzte. Es war der erste seiner Art gewesen, den Kieran getötet hatte und dabei war er von Allegra beobachtet worden. Seitdem war er mit ihr befreundet und sie unterstützte ihn, indem er sämtliche Probleme bei ihr abladen konnte. Dummerweise führte das aber auch dazu, dass sie übermäßig neugierig war. „Du nervst“, erwiderte er daher knapp. „Außerdem gibt es nichts zu erzählen. Wir haben uns nur einen Film zusammen angesehen und dann sind wir nach Hause gegangen. Und auf dem Heimweg habe ich noch einen Dämon vertrieben.“ Erneut wurde sie schlagartig ernst, aber er ließ ihr noch keine Gelegenheit, etwas zu sagen, da er direkt fortfuhr: „Dabei wurde ich wieder gesehen.“ Plötzlich wirkte sie sichtlich verletzt, als hätte er sie soeben beleidigt, aber er wusste, dass es nur darum ging, dass sie nun ihrer besonderen Position bei ihm beraubt worden war und ihr das nicht gefiel. „Und?“, fragte sie. „Hast du der Person schon alles erzählt?“ „Nein ... ich war zu müde. Aber ich werde sie nachher sehen und es ihr dann zu erklären versuchen.“ Auch wenn ihm das noch immer wie eine schlechte Idee erschien. Vielleicht würde sie gar nicht erscheinen und sich doch lieber an die Polizei wenden, die ihn dann direkt am Treffpunkt abfangen würde. Es käme zu Befragungen, vielleicht würde er sogar eines Verbrechens beschuldigt werden, dann gäbe es jede Menge Ärger für ihn und Cathan und dann ... Andererseits gab es keinerlei Beweis. Selbst wenn der Dämon noch lebte, würde er bestimmt nicht zur Polizei gehen, eine Leiche gäbe es auch nicht. Es stünde also sein Wort gegen das von Aydeen. ... Er machte sich wieder einmal viel zu viele Gedanken. Allegra nickte, dann löste sie den Blick von ihm und betrachtete einen der anderen Fahrgäste. Er nahm derweil noch einen Schluck seines Kaffees und schüttelte sich erneut. „Sag mal, ist diese gerettete Person eine Frau?“ „Mh-hm.“ „Und hat sie langes, schwarzes Haar?“ Irritiert sah er Allegra an, die noch immer an ihm vorbeiblickte. „Woher weißt du das?“ „Oh, ich frage nur, weil es eher ungewöhnlich ist, dass eine Frau dich anstarrt und ich hatte gehofft, es gilt mir.“ Sie schmunzelte und nickte in ihre Blickrichtung hinüber. Er sah ebenfalls hinüber und spürte sofort, wie jegliche Farbe aus seinem Gesicht wich, als er Aydeen erkannte, die gegen eine der Haltestangen lehnte und ihn anlächelte. Leise fluchend stand er auf und trat zu ihr, doch ehe er etwas sagen konnte, wünschte sie ihm fröhlich einen guten Morgen. „G-guten Morgen“, erwiderte er nuschelnd. „Was tust du hier?“ Unwillkürlich duzte er sie bereits, da sie ihm bei Tageslicht wesentlich jünger vorkam und sie störte sich nicht daran. „Ich fahre immer mit dieser Bahn“, antwortete sie mit geneigtem Kopf, sichtlich verwirrt über diese Frage. Am Liebsten hätte er sich dafür auf die Zunge gebissen, dass er gleich annahm, dass sie ihn nur wegen ihm hier war, ihn vielleicht sogar stalkte. „Oh ...“ „Wo fahren Sie hin?“ Sie siezte ihn noch immer derart respektvoll, was sich in seinen Ohren einfach falsch anhörte. „Unwichtig“, erwiderte er rasch, worauf sie strahlend lächelte. „Dann könnten wir doch sofort darüber reden.“ Ihr enthusiastischer Vorschlag ließ ihn ein wenig zurückweichen. Das Glitzern in ihren Augen kannte er durchaus von Bellinda. So sah sie immer aus, wenn sie über eines ihrer Idole sprach, zu denen so einige Personen gehörten. Aber warum sollte Aydeen ihn so ansehen? „Musst du nicht irgendwohin?“, fragte er, um ihren Enthusiasmus zu dämpfen. „Ich bin ohnehin viel zu früh dran“, erwiderte sie allerdings. „Also?“ Während der Zug in den nächsten Bahnhof einfuhr, überlegte er, ob es sich lohnen würde, für dieses Gespräch auf die Schule zu verzichten. Er müsste damit auch auf Richard verzichten – aber dann hätte er diese Sache hinter sich und könnte danach wieder zum Schlafen nach Hause gehen. Das gab schließlich den Ausschlag, dass er Aydeens Hand ergriff und sie hinter sich her zur Tür zog, wobei er Allegras überraschtes Rufen ignorierte. Doch kaum stand er auf dem Bahnsteig, klingelte sein Handy bereits. Ohne Aydeen loszulassen, warf er den noch halbvollen Kaffeebecher in einen Mülleimer, holte dann das Telefon heraus und nahm den Anruf an. „Was soll das denn?“, fragte Allegra am Ende der Leitung. „Was tust du?“ „Reden“, erwiderte er kurzangebunden, während er sich und Aydeen durch die wartenden Menschen auf dem Bahnsteig schlängelte. „Und was ist mit der Schule?“ „Sag Richard, dass ich krank bin, wenn du ihn siehst.“ Allegra ging in dieselbe Schule wie er, da sie ihm einfach dorthin gefolgt war, aber sie hatte eine andere Sprache gewählt, was sie in die Parallelklasse geführt hatte; dennoch kannte sie Richard natürlich und sprach auch hin und wieder mit ihm. Damit gab sie sich dann auch endlich zufrieden und nach einer kurzen Verabschiedung legte er wieder auf und steckte das Handy zurück in seine Tasche. Erst nachdem er den Bahnsteig mit all seinen Menschen hinter sich gelassen hatte, ließ er Aydeens Hand wieder los. Die junge Frau lachte leise. „Ich dachte nicht, dass Sie gleich so impulsiv handeln würden.“ „Ich auch nicht.“ „Aber wo gehen wir jetzt hin?“ Er wusste nicht einmal, wo genau sie eigentlich waren, dafür war er viel zu sehr in seine Gedanken versunken gewesen. „Wir finden schon etwas.“ Tatsächlich gab es unweit des Bahnhofs ein kleines Café, in dem sie Platz nahmen und etwas zu trinken bestellten. Erst als die Bedienung wieder fort war, beugte Aydeen sich vor. „Also, was war das letzte Nacht?“ „Darf ich dir zuerst eine Gegenfrage stellen?“ „Natürlich.“ „Woher weißt du so genau, dass das gestern nicht einfach nur ein normaler Mann war, den ich tödlich verwundet habe? Woher weißt du, dass ich nicht der Böse bin?“ Für einen Moment sah sie ihn nur schweigend an, ihr Lächeln war erloschen und hatte einem neutralen Gesichtsausdruck Platz gemacht. Er erwartete, dass sie jeden Moment aufstehen und gehen würde, sobald sie erkannte, worauf er hinauswollte. Aber sie überraschte ihn mit ihrer einfachen Erwiderung: „Zwei. Das waren zwei Gegenfragen.“ Nachdem sie das gesagt hatte, lächelte sie wieder. „Das ist ein wenig gegen die Regeln.“ „Was denn für Regeln?“ „Aber zu Ihrer Frage: Ich weiß genau, dass Sie nicht der Böse sind. Dieser Mann gestern war kein Mensch ... aber ich könnte Ihnen auch nicht sagen, was er sonst war.“ Also war sie trotz der Panik aufmerksam genug gewesen, so etwas zu bemerken. Allegras Angreifer war wesentlich unmenschlicher gewesen und doch war sie erst überzeugt gewesen, als er sich vor ihren Augen aufgelöst hatte. Vielleicht war bei ihr aber auch der Glaube, dass sie einfach verrückt war, viel zu tief verwurzelt gewesen, um etwas anderes zu akzeptieren – nämlich, dass sie nicht unter Wahnvorstellungen litt, sondern Dämonen wirklich existierten. „Könntest du vielleicht aufhören, mich zu siezen? Ich glaube, ich bin nicht wirklich älter als du.“ „Ich bin 19“, erwiderte sie unaufgefordert. „Und ich 21, also bitte ich dich, mich nicht mehr zu siezen.“ Sie atmete schwer auf, als forderte er ein großes Opfer von ihr, nickte dann aber dennoch. „Okay, wenn du das so willst.“ Die Bedienung brachte ihnen die Getränke und entfernte sich dann rasch wieder, so dass Kieran endlich dazu kam, mit seiner Erklärung zu beginnen. Es war keine sonderlich weitreichende, denn er wusste bei weitem nicht so viel wie Cathan über Dämonen, so konnte er ihr lediglich erklären, dass es diese Wesen gab, sie in der Stadt waren und sich von Menschen ernährten. „Also wollte dieser Kerl mich essen?“ „Normalerweise zapfen sie nur Energie ab, aber er war derart aggressiv, dass er dich wohl wirklich zerfetzt und teilweise gefressen hätte, ja.“ Sie lachte leise, was ihn die Stirn runzeln ließ. „Oh, tut mir leid. Ich finde es nur sehr erleichternd, dass er mich lediglich essen wollte.“ Es dauerte nicht lange, bis er darauf kam, warum das so war. Eine Frau, die nachts auf einer einsamen Straße von einem Mann überfallen und niedergerungen wurde, das musste sie einfach auf einen bestimmten Gedanken bringen. Aber Kieran glaubte nicht, dass irgendein Dämon derart tickte und der von letzter Nacht schon gar nicht. Doch statt das alles auszusprechen, nahm er einen Schluck aus seinem Glas. Der Eistee schmeckte um einiges besser als der Kaffee vorhin und erfüllte fast denselben Zweck. Aydeen dagegen rührte ihr Glas gar nicht an, sondern hielt den Blick weiter auf ihn gerichtet, was ihm langsam ein wenig unangenehm wurde. Er fragte sich, ob Richard sich wohl ebenfalls so fühlte, wenn Kieran ihn so anstarrte und überlegte, damit aufzuhören, auch wenn es ihm schwerfallen würde. „Weißt du, als du mir zur Hilfe kamst, habe ich kein einziges Mal geglaubt, dass du der Böse bist“, sagte sie schließlich. „Auch als du dein Messer gezogen und ihn einfach so verletzt hast, wusste ich, dass du mir nichts tun würdest und du der Held bist.“ Er stutzte. „Der Held?“ „Es mag ein wenig dumm oder naiv klingen, aber ich habe mir irgendwie immer einen Helden gewünscht, besonders letzte Nacht. Ich dachte nur nie, dass mir wirklich einmal einer zur Hilfe kommen würde.“ Bislang hatte er sich nie als Held gesehen, viel eher als dunkler Ritter, der andere in den Ruin trieb, wenn sie zu viel über ihn wussten. Aber dass Aydeen ihn als solchen sah, erklärte natürlich ihren bewundernden Blick und ihr Verlangen, ihn so schnell wie möglich wiederzusehen. Er wollte etwas sagen, aber als er den Mund öffnete, stellte er fest, dass er gar nicht wusste, was eigentlich, weswegen nur ein wenig eloquentes „Äh ...“ folgte. Um das Lachen zu verbergen nahm Aydeen nun doch einen Schluck aus ihrem Glas. „Es ist schon okay“, sagte sie schließlich. „Du musst nichts dazu sagen, ich habe dich damit immerhin quasi überfallen.“ „Quasi ist gut“, murmelte er. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und seufzte dann. „Ich fürchte, ich muss los. Aber, mhm ...“ Zum ersten Mal, seit er sie kannte, wirkte sie plötzlich verlegen, was er sich nicht erklären konnte, bis sie ihr Handy hervorholte. „Ich würde gern weiterhin mit dir in Kontakt bleiben. Dürfte ich vielleicht deine Nummer haben?“ Normalerweise hätte er nun behauptet, gar kein Handy zu besitzen, aber sie hatte ihn bereits damit gesehen und er war nicht gut darin, Leute vor den Kopf zu stoßen, weswegen er ihr bereitwillig seine Nummer mitteilte und ihre ebenfalls einspeicherte. Sie bedankte sich lächelnd dafür, legte das Geld für ihr Getränk auf den Tisch und stand dann auf. „Bis bald, Kieran“, sagte sie und ließ ihn allein. Er sah ihr noch eine Weile durch die Glasfront des Cafés hinterher, in seinem Inneren hallte noch immer die Aussage nach, dass er ein Held sei und das berührte etwas, von dem er noch nicht wusste, was es zu bedeuten hatte. Möglicherweise sollte er sich wirklich noch einmal mit ihr treffen, nur um herauszufinden, was das eigentlich bedeuten sollte. Doch wie so oft ließ das Schicksal ihn den Gedanken nicht weiterverfolgen, denn plötzlich klingelte sein Handy und verkündete ihm, dass er eine Nachricht von Richard bekommen hatte. He, Kieran. Allegra hat gesagt, dass du krank bist. Ich hoffe, das hat nichts mit gestern zu tun. ;< Ich bring dir nachher die Hausaufgaben vorbei, erhol dich solange gut. Kapitel V - Was soll denn vorgefallen sein? ------------------------------------------- Unter anderen Umständen vermied Kieran es, irgendjemanden, besonders Richard, zu sich kommen zu lassen. Er empfand seine Umgebung als passend für ihn, aber nicht für seine Freunde. Aber wenn er mit der Ausrede, krank zu sein, weiter fortfahren wollte, konnte er Richard unmöglich vorschlagen, sich woanders zu treffen und es ganz ablehnen wollte er auch nicht. So konnte er nicht verhindern, dass sein bester Freund einige Stunden später auf dem drehbaren Bürostuhl in Kierans Zimmer saß und sich dabei interessiert umsah. Der Bewohner selbst, legte derweil die Arbeitsblätter fein säuberlich auf einen Stapel auf seinem Schreibtisch. „Weißt du, mir fällt gerade auf, dass ich das erste Mal hier bin.“ Richard vollführte eine vollständige Drehung mit dem Stuhl. „Sonst kommst du immer zu mir.“ „Na ja, hier ist es auch nicht sonderlich spannend.“ Er besaß keinen Fernseher und sogar sein Netbook verwendete er rein für die Schule, weswegen sich keinerlei Spiele darauf befanden. Er besaß Bücher, echte Bücher sogar, statt der digitalen oder der Chip-Alternative, die viele aufgrund der Anspruchslosigkeit und Leichtigkeit bevorzugten; außerdem konnte man in diesen Alternativen auf zusätzliche Inhalte zugreifen, die der Autor eingebaut hatte. Ihm schien, als wäre alles in dieser Zeit darauf ausgelegt, mehr Informationen einzublenden. Eigentlich fand Kieran das gut, aber manchmal überkam ihn das Gefühl, dass es einfach viel zu viel von allem war. Jedenfalls waren Bücher aber auch nichts sonderlich Interessantes, sein Besucher hatte sie sogar nur kurz gemustert, weil er es vermutlich nicht hatte glauben können, dass Kieran solche besaß. „Ein spannendes Zimmer hätte auch nicht zu dir gepasst“, erwiderte Richard. Noch immer ließ er den Stuhl unruhig hin und her wirbeln, was Kieran eines ganz offensichtlich verriet: „Warum bist du so nervös?“ Sofort hielt sein Freund wieder inne und blickte ihn ernst an. Zu sehr, wie er fand, weswegen er bereits bereute, Richard überhaupt gefragt zu haben. Die zusammengezogenen Brauen hatten bei ihm nur selten etwas Gutes zu bedeuten. „Kieran, was hast du gestern eigentlich gemacht, nachdem wir das Kino verlassen haben?“ „Das weißt du doch. Ich bin nach Hause gegangen.“ Dass es die falsche Antwort gewesen war, wusste er sofort, denn Richards Blick verfinsterte sich weiter. Er brach sofort innerlich in Panik aus, fragte sich, was der andere alles wusste und woher und wie er sich herausreden sollte, wenn er die Dämonen erwähnte. Doch das tat Richard gar nicht: „Faren sagte, dass er dich mit einer Frau am Flussufer entlanglaufen gesehen hat.“ Kieran widerstand der Versuchung, sich auf die Lippen zu beißen, um sich nicht weiter in Schwierigkeiten zu bringen und konzentrierte sich stattdessen darauf, was er aus der Aussage ziehen konnte. Faren war also nach seiner Verabredung mit Yuina in derselben Gegend gewesen und hatte ihn und Aydeen gesehen. Aber Kieran konnte sich nicht erinnern, ihn ebenfalls gesehen zu haben und angesprochen worden war er natürlich auch nicht. Das konnte er nutzen – auch wenn ihm nicht so ganz klar war, weswegen er Aydeen vor Richard verheimlichen wollte. „Er muss sich geirrt haben. Ich war am Flussufer, aber allein.“ Und auch das war die falsche Antwort. Zur Erwiderung holte Richard sein Handy hervor, das wesentlich moderner als das von Kieran war, tippte mehrmals auf das Display und hielt ihm dann den Bildschirm hin. „Wie erklärst du dann das?“ Tatsächlich war er gemeinsam mit Aydeen zu sehen, überraschend gestochen scharf, obwohl herangezoomt worden war. Er war ihr zwar nicht zugewandt, aber sie starrte ihn geradezu an, während sie gleichauf nebeneinander herliefen. Warum war ihm dieses Starren in der Nacht zuvor noch nicht aufgefallen? „Wenn du schon andere Pläne für den Abend hattest“, fuhr Richard fort, „wäre es nicht so schlimm gewesen, mir das mitzuteilen.“ „Du verstehst das völlig falsch. Ich habe diese Frau unterwegs getroffen und weil es dunkel und sonst niemand in der Gegend war, hat sie mich begleitet. Ich weiß nicht mal, wer sie ist.“ Nein! Warum habe ich das jetzt gesagt? Warum sagte er Richard nicht einfach, dass er Aydeen in der letzten Nacht kennen gelernt und sich mit ihr angefreundet hatte, weil man diese dunkle Gegend gemeinsam bewältigt hatte? Was hinderte ihn nur daran? Äußerlich war ihm seine Panik nicht anzumerken, während er auf Richards Reaktion wartete und sich auch fragte, weswegen sein Freund so wütend reagierte. Aber bei genauerem Nachdenken konnte er das durchaus verstehen; wenn Kieran sich immerhin nachts mit Frauen traf und deswegen nicht zum Schlafen kam, wären Richards Sorgen allesamt überflüssig, denn dann war er immerhin selbst Schuld an seiner Müdigkeit. Aber da schien noch etwas anderes zu sein, das Kieran allerdings nicht einordnen konnte. Plötzlich entspannte Richard sich allerdings wieder. Seine Stirn glättete sich, er senkte sofort den Blick und steckte das Handy in die Tasche zurück. „Tut mir leid, dass ich dir all diese seltsamen Fragen stelle. Ich war nur wütend, weil ich wirklich dachte, du wolltest eigentlich gar nicht mit mir ins Kino. Oder du würdest nachts Dinge tun, von denen du mir nichts erzählst.“ Der letzte Satz sprach Kierans schlechtes Gewissen auf vielen Ebenen an, aber er versetzte diesem einen imaginären Tritt, damit es schwieg und schüttelte den Kopf. „Das würde ich nie tun.“ Ihm blieb nur zu hoffen, dass sein Freund niemals erfuhr, was er alles nachts tat, sonst wäre er fraglos in arger Erklärungsnot. Schließlich erhob Richard sich von dem Stuhl. „Ich sollte langsam wieder gehen, meine Eltern warten sicher schon. Sie denken, ich bringe dir nur kurz deine Arbeitsblätter vorbei. Kommst du morgen wieder in die Schule?“ Kieran nickte. „Natürlich, du siehst ja, ich bin nicht so krank.“ Richard lächelte erleichtert. „Ja. Dann ...“ Er hielt noch einmal inne und starrte Kieran durchdringend an. Ehe dieser es sich versah, hatte Richard bereits eine Hand auf seine Wange gelegt. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte, stand deswegen wie festgewurzelt einfach nur da und starrte seinen Gegenüber geradezu erschrocken an. Richard schien das allerdings nicht zu registrieren und sah ihn weiterhin durchdringend an. In einem Anfall von Tagträumerei stellte Kieran sich vor, wie Richard ihn im nächsten Moment einfach zu sich ziehen und in einen Kuss verwickeln würde. Er war hin- und hergerissen zwischen, sich das einfach wünschen oder hoffen, dass es nicht geschah, weil er nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte und er ihn mit der falschen Reaktion nicht verschrecken wollte. Der Auslöser seiner Verwirrung achtete allerdings weiterhin gar nicht auf seinen Blick, sondern ließ die Hand plötzlich wieder sinken. „Ich hatte recht.“ „Huh?“, fragte Kieran vollkommen aufgelöst, als er aus seinem Traum geweckt wurde. „Was ...?“ „Der Kratzer ist verschwunden.“ Also das war der Grund für diese Berührung gewesen. Dieses Thema musste ihn wirklich lange beschäftigt haben – und es enttäuschte Kieran auch ein wenig. Seine Wange brannte noch regelrecht, obwohl die Hand nicht mehr darauf lag, und verhieß ihm, wie einfach und angenehm es wäre, jetzt seinem Verlangen nachzukommen. Richards forschender Blick gab ihm allerdings ein nicht sonderlich angenehmes Gefühl. Doch bevor sein Gegenüber noch etwas sagen konnte, klopfte es plötzlich an der Tür, die im nächsten Moment auch bereits geöffnet wurde. Cathan entschuldigte sich lächelnd für die Störung. „Ich wollte nur wissen, ob du hier essen möchtest, Richard.“ Der Angesprochene wich sofort zurück und wandte sich Cathan zu. „Guten Abend, Mr. Lane. Danke für die Einladung, aber ich muss wieder nach Hause. Meine Mutter wartet bestimmt auch schon mit dem Essen.“ Zum Abschied hob Richard nur kurz die Hand und war dann bereits aus dem Zimmer und kurz darauf aus der Wohnung verschwunden. Kieran wartete, bis die Wohnungstür zufiel, dann seufzte er leise, was Cathans Aufmerksamkeit sofort auf ihn lenkte. „Was ist denn passiert?“ „Nichts weiter. Hast du etwa gekocht? Du sollst doch nicht so viel stehen.“ „Wenn du jetzt mit mir diskutieren willst, werden wir noch mehr stehen“, erwiderte Cathan. „Also komm in die Küche, ja?“ Tatsächlich folgte Kieran dieser Aufforderung und begab sich zum Essen in die Küche, wo sein Vater einen Auflauf zubereitet hatte, der nun auf seinen Verzehr wartete. „Also ...“, begann Cathan nach einer Weile, in der sie schweigend gegessen hatten, „was ist passiert?“ Kieran hob den Blick nicht von seinem Teller, „Was meinst du?“ „Richard wirkte gerade ziemlich verlegen – und du ebenfalls. Ist irgendwas vorgefallen?“ „Nein. Was soll denn vorgefallen sein?“ „Das frage ich ja.“ Er hasste es, wenn sein Vater auf diese Art und Weise eine Unterhaltung zu führen versuchte und nicht beachtete, dass Kieran eigentlich gar nicht reden wollte. Und schon gar nicht über ein solches Thema, weswegen er einen anderen Anlauf wagte: „Als du in meinem Alter warst, wolltest du bestimmt nicht mit deinen Eltern über Dinge reden, die dich verlegen machen.“ Damit gab er nun zwar zu, dass er wirklich verlegen gewesen war, aber nicht, weswegen. Der Grund konnte durchaus variabel sein, wie Kieran fand, also hatte er sich oder seine Gefühle nicht verraten und Cathan dennoch bestätigt, was diesen freuen sollte. Und tatsächlich schmunzelte sein Vater zufrieden. „Schon verstanden. Übrigens musst du heute Nacht nicht patrouillieren und kannst dich deinen Hausaufgaben und der Erholung widmen.“ Dummerweise hatte Cathan mitbekommen, dass Kieran krank war, als dieser nach dem Treffen mit Aydeen wieder nach Hause gekommen war, um zu schlafen. Natürlich machte sein Vater sich Sorgen um ihn, obwohl Kieran genau das eigentlich immer vermeiden wollte. „Was ist, wenn ein Dämon jemanden angreift?“ „Mach dir keine Gedanken. Ich habe ein paar Anrufe getätigt und ein alter Bekannter, der mir noch etwas schuldete, hat einen seiner Schüler geschickt, damit du dich ausruhen kannst.“ Sehr zufrieden mit sich selbst, neigte Cathan den Kopf von der einen auf die andere Seite. „Aber das wird keine Gewohnheit, so oft habe ich ihm das Leben nicht gerettet.“ Kieran fand es immer wieder erstaunlich, wie viel sein Vater bereits erlebt und was er in dieser Zeit alles getan hatte – und zumindest einmal kam es ihm wohl auch gelegen. Auch wenn ihn dennoch das Gefühl überkam, dass es nicht richtig war. „Ist das wirklich okay?“, hakte er deswegen nach. Cathan nickte. „Natürlich. Auch du solltest dich ab und an ausruhen, besonders wenn du mit der Schule beschäftigt bist.“ „Wie seltsam.“ Kierans Stimme wurde frostig. „Als ich dir sagte, dass ich mit der Schule anfangen werde, hast du mir vorgeworfen, meine Zeit zu verschwenden und dass ich mich lieber auf die Dämonenjagd konzentrieren sollte, so wie die Schüler deiner Konkurrenten.“ Das Gesicht seines Vaters wurde augenblicklich ernst, er zog die Brauen zusammen. „Und du weißt genau, warum. Dein Abschlusszeugnis war geradezu überragend, du hättest sicher jeden Job bekommen, den du wolltest und der sich mit den Patrouillen besser vertragen hätte. Dieser Schulbesuch ist also Zeitverschwendung! Du machst das nur, weil Richard es tut! Du hast keine eigenen Ambitionen, Ziele oder Wünsche in deinem Leben! Kein Jäger bleibt nur Jäger, jeder von uns hat eine Arbeit, die sich mit unserer Berufung verträgt, denn sonst schafft man es nicht lange. Und ich sehe an dir, dass es wirklich so ist. Aber du jagst nicht einmal, weil du es als deine Berufung empfindest, sondern weil es dir dein Pflichtgefühl vorschreibt, was genauso schlimm ist!“ Kieran blickte ihn nur schweigend an und fühlte sich wieder in die Zeit zurückversetzt, als sie darüber diskutierten, dass er nicht jagen gehen, sondern lieber eine weitere Schule besuchen wollte. Schon damals war er aufgrund des Gefühlsausbruchs seines Vaters wortlos gewesen. Dabei hätte Kieran so viel darauf erwidern können. Dass er durchaus Wünsche hegte, dass er Ambitionen besaß, die er nur noch nicht in richtige Bahnen lenken konnte und dass er ein Ziel vor Augen hatte, für das er nun aber kämpfen musste, deswegen das Pflichtgefühl. Aber diesmal wusste er, was folgen würde, weswegen er wieder nichts sagen konnte – und tatsächlich enttäuschte Cathan ihn nicht: „Ich wünschte langsam, ich hätte dich nie darum gebeten, dich mit Richard anzufreunden.“ Wieder einmal suchte er jegliche Schuld bei Richard und war offenbar immer noch überzeugt, dass Kieran ohne den Einfluss seines Freundes tatsächlich zu einem vollwertigen Jäger geworden wäre. Aber er konnte seinem Vater auch nicht sagen, was sich in ihm geändert hatte, denn das würde ihm noch mehr Sorgen und ein schlechtes Gewissen bereiten und noch dazu würde es dafür sorgen, dass er ihm verbot, weiter zu jagen und das konnte Kieran nicht hinnehmen. Und er konnte Cathan auch nicht sagen, dass es Richard war, wegen dem er seine Meinung geändert und mit dem Jagen begonnen hatte. Er wollte und konnte seinem Vater das alles nicht erklären und er wollte sich auch nicht mit ihm streiten, nachdem der Tag an und für sich gut gelaufen war. Weil er so aber auch nicht einfach hier sitzen bleiben wollte, stand er schweigend auf und verließ die Küche, dabei ignorierte er Cathans Ruf, dass er nicht immer würde wegrennen können, sobald es ernst wurde und schloss seine Zimmertür hinter sich. Um gar nicht darüber nachzudenken, was gerade geschehen war, setzte er sich sofort an die Hausaufgaben und vertiefte sich darin. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu der Diskussion zuvor und er überlegte schon, zu Cathan zurückzugehen, um das Thema doch weiter zu besprechen und ihm alles zu sagen, was er dachte, egal was sein Vater dazu denken würde. Kurz bevor er am Ende angekommen war, hörte er, wie der Fernseher im anderen Zimmer angemacht wurde, also würde Cathan sich zumindest nicht mit ihm aussprechen wollen, was Kieran jegliche Ambitionen nahm, aufzustehen und mit dem anderen zu sprechen. Doch gerade, als er mit den Aufgaben fertig wurde und sich nach einer neuen Ablenkung sehnte, klingelte sein Handy wieder, mit einer neuen Nachricht von Richard: Sorry, ich muss vorhin echt seltsam geklungen haben. Mach dir keine Gedanken mehr darum, ja? Wir sehen uns morgen. Durch die Abwesenheit sämtlicher Smileys konnte Kieran sofort sagen, dass es ein wirklich ernstes Thema für Richard war und er mit Sicherheit gerne darüber reden würde. Dennoch antwortete er ihm nicht auf die Nachricht. Cathans Worte hatten ihn doch ein wenig zum Nachdenken angeregt, besonders was das Thema der Wünsche betraf, aber er glaubte nicht, dass er das allein angehen könnte. Dafür brauchte er Hilfe – und er wusste auch, von wem er diese am ehesten bekam. Also beschloss er, eine neue Nachricht an eine andere Person zu schicken und hoffte, dass diese ihn nicht einfach im Stich lassen würde. Kapitel VI - Aber wir kennen uns kaum. -------------------------------------- Entgegen seiner sonstigen Art, mied Kieran es am nächsten Tag, mit Richard zu sprechen und nach einigen vergeblichen Versuchen, gab dieser es auch auf und nahm lieber an den Gesprächen von Joshua, Faren und Bellinda teil. Auf dem Heimweg setzte Richard sich nicht einmal zu ihm in der Bahn, was ihm durchaus gelegen kam, da er ohnehin an einer früheren Station als sonst ausstieg und er keine unangenehmen Fragen dazu beantworten wollte. Er legte den Weg zu dem Café zurück, in dem er am Tag zuvor mit Aydeen gewesen war, wo er sie sogar am selben Tisch sitzen sah, zwei Gläser standen bereits darauf, also hatte sie für ihn bestellt. Sie lächelte glücklich, als er eintrat und sich ihr gegenübersetzte. „Ich dachte nicht, dass du mich so bald wiedersehen wollen würdest“, sagte sie. „Gestern sahst du sehr verunsichert aus, als ich mich verabschiedet habe.“ „Ehrlich gesagt habe ich dich hergebeten, weil ich ein Problem habe und du die einzige Person bist, mit der ich darüber sprechen kann.“ Theoretisch könnte er das auch mit Allegra, aber sie war zu parteiisch in diesem Bereich, er benötigte jemanden, der Richard nicht kannte und da gab es nur noch Aydeen. Außerdem würde das vielleicht helfen, ihn aus dem Heldenstatus zu heben, damit sie aufhören würde, ihn mit diesem bewundernden Blick anzusehen, der ihm unangenehm war. Er befürchtete allerdings, dass Aydeen das nicht ganz so gut finden und einfach gehen würde. Doch glücklicherweise schien sie entschlossen, ihm helfen zu wollen. „Worum geht es denn?“ „Ich fürchte, ich muss ein wenig ausholen. Hast du die Zeit?“ Sie nickte, während sie einen Schluck aus ihrem Glas nahm. Daraufhin begann er direkt mit seiner Erzählung: „Als Kind hatte ich nie Freunde und ich hatte auch kein großes Interesse daran, welche zu bekommen. Also war ich im Kindergarten allein, in der Grundschule ... und dann kam die Mittelstufe. Dort kam es zu einem Zwischenfall, in den jemand verwickelt wurde, der einem meiner Mitschüler, namens Richard, nahegestanden hatte.“ „Was ist geschehen?“ Kieran richtete den Blick auf sein eigenes Glas, das Eis bewegte sich darin ein wenig. „Das ist im Moment nicht so wichtig.“ Er hoffte, sie würde nicht weiter darauf eingehen und es stattdessen akzeptieren. Sie tat ihm den Gefallen und nickte, was er als Aufforderung nahm, weiterzusprechen: „Mein Vater forderte von mir, mich mit Richard anzufreunden, um zu verhindern, dass er aufgrund von Depressionen zu einem Opfer von Dämonen oder seiner eigenen Taten werden würde.“ Inzwischen war Kieran überzeugt, dass Cathan eigentlich vielmehr das Wohl seines Sohnes als das von Richard am Herz gelegen war und er ihm einfach nur Freunde hatte verschaffen wollen, aber das würde nichts mehr an seinem Plan ändern. Aydeens Lippen formten lautlos ein Wort, das er nicht verstehen konnte, dann legte sie eine Hand auf ihr Herz. „Das klingt ja furchtbar.“ Er nahm an, dass sie genau wie er Richards Traurigkeit meinte, aber sie ließ ihn den Gedanken sofort verwerfen: „Er konnte doch nicht von dir verlangen, dich einfach mit jemandem anzufreunden. Mochtest du Richard denn überhaupt?“ „Er war mir egal, genau wie alle anderen Menschen, deswegen habe ich es einfach versucht und es hat auch funktioniert, weil wir sofort einen Draht zueinander hatten.“ Sie waren beide eher schweigsam und ein wenig zurückhaltend gewesen, genau wie heute noch, deswegen waren sie inzwischen beste Freunde, wie er Aydeen sofort mitteilte. „Dann hat es ja gut geendet“, stellte sie lächelnd fest. „Nicht ganz. Wegen meiner Sympathie zu Richard, verlor ich den mir anerzogenen Wunsch zu kämpfen. Ich wollte ein normales Leben haben, anstatt wie mein Vater ein Jäger zu werden, wie es eigentlich vorgesehen gewesen war.“ Noch immer erinnerte er sich an seinen handfesten Streit mit Cathan, als er diesem das kurz vor seinem Schulabschluss mitgeteilt hatte. Dabei war Richard nicht erwähnt worden, Kieran hatte ihm nur gesagt, dass er nicht auf die Jagd gehen wollte, ohne jegliche Begründung und ungeachtet der Frage, was er eigentlich stattdessen tun sollte. Cathan musste missfallen sein, dass da keinerlei festes Ziel vor seinen Augen gewesen war und er für eine derartige leere Sache mal eben die Familientradition über Bord werfen wollte. Dass Kieran dann sogar beschlossen hatte, Richard auf den zweiten Bildungsweg zu folgen, musste der Auslöser dafür gewesen sein, dass Cathan bereute, seinen Sohn jemals um diese Freundschaftssache gebeten zu haben. „Aber jetzt bist du ja doch ein Jäger. Was gab dafür den Ausschlag?“ „Mein Vater wurde bei einer Explosion, während eines Kampfes, so schwer verletzt, dass er nicht mehr kämpfen konnte. Also übernahm ich seine Vertretung, weil sonst niemand dieses Gebiet bewachen könnte und ich nicht zulassen konnte, dass Richard oder eine Person, die ihm etwas bedeutet, etwas geschieht.“ Er erwartete, dass sie langsam auf das Problem wartete, über das er sprechen wollte, aber sie zeigte das nicht und blickte ihn weiterhin mit einem geduldigen Lächeln an. Das gab ihm schließlich auch die Zuversicht, das anzusprechen, was er sonst niemandem sagte: „Und ich liebe es! Ich wollte niemals wirklich Dämonen bekämpfen, aber ich bin begeistert davon!“ Und das war etwas, das Cathan sicher Sorgen bereiten würde. Kieran wusste, dass Jäger ihre Berufung eigentlich nur als lästige Pflicht wahrnehmen, die sie nur deswegen erfüllten, weil es sonst grausame Konsequenzen für die Welt darstellte. Dass es ihm derart gut gefiel, lebende Wesen zu töten, bereitete ihm in so manch wachem Moment schon selbst Gedanken. Es war also schon längst mehr als nur Pflichtbewusstsein, was ihn jagen ließ, aber er fürchtete, dass es irgendwann auffallen würde, wenn er nicht irgendetwas an einem anderen Punkt änderte. „Dummerweise steht es meinem normalen Leben im Weg und sorgt für mehr Ärger mit meinem Vater und das ist der Grund, weswegen ich deine Hilfe brauche.“ Sie nickte sofort und demonstrierte damit ihre Aufmerksamkeit. „Ich muss mir ein normal aussehendes Leben aufbauen.“ Es schien als hätte sie mit dieser Aussage bereits gerechnet, weswegen sie verstehend den Kopf neigte. „Und wie soll ich dir dabei helfen?“ Eigentlich wollte er sein bisheriges Leben nicht beenden. Er wollte sich nicht von Richard trennen, nicht einmal emotional, egal wie vergeblich all sein Hoffen sein mochte und wie sehr es manchmal schmerzte, nicht einfach den eigenen Wünschen folgen zu können. Deswegen war er auf den Gedanken gekommen, Aydeen darum zu bitten, ihm zu helfen, von Richard loszukommen, auch wenn er nicht so direkt wusste, wie das funktionieren sollte. Doch als er ihr das erklärte, schüttelte sie, zu seinem Bedauern mit dem Kopf. „So einfach funktioniert das nicht, Kieran. Du kannst nicht einfach Gefühle ein- und ausschalten. Außerdem scheint dieser Richard dir viel zu bedeuten, dann geht das sowieso nicht.“ „Aber ... was soll ich denn sonst tun?“ In Kurzform erzählte er ihr von seinen fast schon täglichen Diskussionen und Streitereien mit seinem Vater, die er zu beenden gedachte, indem er sein Leben wie es bisher war, umstellte. Die Schule abbrechen, sich eine Ausbildung suchen und – was nicht sehr nett war – Aydeen zumindest für eine Zeit als Alibi-Freundin zu gebrauchen. Der letzte Punkt schien sie nicht weiter zu stören, was ihn sehr überraschte, doch dennoch schüttelte sie noch einmal mit dem Kopf. „Kieran, kann es sein, dass du dir mit Vorliebe den kürzesten Weg aus deinen Problemen hinaus suchst?“ Er stutzte. „Was?“ Wieder nahm sie einen Schluck aus ihrem Glas, was ihn daran erinnerte, dass er fast noch gar nichts getrunken hatte und das Eis inzwischen fast gänzlich geschmolzen war. Um das auszugleichen, nahm er einen großen Schluck, während er auf ihre Antwort wartete. „Dein Vorhaben ist nur die einfachste Variante, deinen Diskussionen mit deinem Vater zu entgehen – und Richard zu entkommen, auch wenn ich nicht so genau weiß, warum du das eigentlich willst.“ Das wollte er ihr immerhin nicht erklären, das war eine Sache, die nur ihn und Richard etwas anging. Allegra hatte es erraten, weil sie seinen Umgang mit seinem Freund kannte und offenbar war es dann leicht zu sehen. Aber Aydeen hatte sie beide noch nie gesehen. „Deswegen finde ich, dass du etwas anderes machen solltest.“ „Aber was?“ „Beweise deinem Vater doch lieber, dass du das schaffst, was er von dir fordert. Mach die Schule weiter, besorge dir danach eine Ausbildung, führe ein normales Leben mit Freunden ... das mit der Alibi-Freundin funktioniert doch auch auf diese Art.“ Nicht solange er Richard jeden Tag sehen würde. Egal, wie hoffnungslos es war, in diesem Fall würde er niemals aufhören, zu überlegen, was es brauchen würde, ihn von seinen Gefühlen in Kenntnis zu setzen, ohne dabei einen Freund zu verlieren. Aber vielleicht sollte er es einfach mal darauf ankommen lassen, denn wenn Richard dann von sich aus den Kontakt abbrach, käme doch auch alles auf dasselbe heraus. „Du bist wohl besser im Kämpfen als im Pläne schmieden, oder?“ Er hob die Schultern und nickte gleichzeitig. „Beim Kämpfen hast du weniger Zeit, Entscheidungen abzuwägen. Ich glaube, wenn ich anfange, zu viel nachzudenken, läuft einfach alles schief.“ „Ja, ich glaube, du denkst zu viel an die negativen Sachen, vermutlich wegen deiner Vergangenheit und der Dämonensache. Dann noch der Druck von deinem Vater ... was sagt deine Mutter eigentlich dazu?“ Kierans Körper spannte sich sofort an, als die Rede darauf kam. Hastig nahm er noch einen Schluck, um seine Antwort hinauszuzögern. Der kalte Eistee beruhigte sein brodelndes Inneres sofort wieder und als er das Glas absetzte, konnte er noch einmal mit den Schultern zucken. „Gar nichts. Meine Mutter hat uns verlassen, als ich noch ein kleines Kind war.“ „Oh.“ Aydeen blickte ihn betroffen an, doch er kümmerte sich nicht darum und winkte ab. „Du hast recht“, wechselte er wieder das Thema. „Ich habe nicht gut genug darüber nachgedacht. Tut mir leid, dass ich dich damit belästigt habe.“ Er griff in seine Tasche, um seine Börse herauszuholen und zu zahlen, doch da spürte er plötzlich etwas wie einen elektrischen Impuls, der durch seine andere Hand fuhr. Als er auf die Tischplatte sah, wo er diese abgelegt hatte, bemerkte er, dass Aydeen ihre eigene Hand auf seine gelegt hatte. Ein warmes, unheimlich angenehmes Gefühl ging von ihr aus und versetzte sein Inneres wieder in Aufregung. Es war nicht so intensiv wie bei Richards Berührung, am Abend zuvor, aber es war derart wohltuend, dass er sich wünschte, dass es niemals enden, dass sie nie mehr loslassen würde. „Du hast mich nicht belästigt“, sagte sie sanft. „Ich bin froh, wenn ich dir helfen kann, immerhin hast du mir das Leben gerettet.“ „Ah ... schon okay, das ist ja meine Pflicht. Ich habe das wirklich gern getan.“ „Weißt du, ich hätte wirklich nichts dagegen, deine Freundin zu sein – ob Alibi oder nicht.“ Sie war derart direkt, dass Kieran kaum damit umgehen konnte, vor allem da Richard zumindest für den Moment auch aus seinen Gedanken verschwunden war. Seine Vernunft ließ sich dafür nicht so leicht ausschalten. „Aber wir kennen uns kaum.“ Sie hob lächelnd die Schultern. „Viele Paare kommen zusammen, ehe sie sich richtig kennen. Es ist ja nicht zwingend etwas Verbindliches, man kann sich auch jederzeit wieder trennen.“ Eigentlich hätte er in dieser Situation an Richard und all seine Gefühle für ihn denken müssen und etwas tief in seinem Inneren sagte ihm, dass er das später auch tun und sich Vorwürfe machen würde, aber für den Moment war er vollkommen vom Winde verweht. „Dann ... in Ordnung.“ Aydeen lächelte glücklich. Er hätte nicht gedacht, dass es so einfach war, in eine Beziehung zu geraten, aber nun war es wohl so geschehen und zumindest im Moment bereute er es noch nicht. Aydeen war jünger als er, kam ihm aber auch wesentlich erfahrener im sozialen und zwischenmenschlichen Bereich vor, er könnte also nur profitieren – und wenn er mehr von diesem warmen Gefühl erhalten würde, umso besser. „Aber lass uns jetzt über weniger deprimierende Sachen reden, ja?“ „Uhm, sicher“, stimmte er sofort zu und hoffte, dass sie ein solches Thema präsentieren würde, was sie auch sofort tat: „Oh, magst du eigentlich Bücher? Ich weiß, sie sind ziemlich ... altbacken, aber ich liebe sie. Deswegen mache ich eine Ausbildung in einer Buchhandlung.“ Damit begann sie, ihm von ihrer Arbeit zu erzählen, während er ihr interessiert zuhörte und dabei immer wieder einen Schluck aus seinem Glas nahm. Sie nahm ihre Hand dabei nicht von seiner, als wüsste sie, wie er es empfand oder als spürte sie dasselbe. Dabei war alles, was Richard anging oder all die Dinge über die er sich später sicher Gedanken machen würde, weit entfernt. Für den Moment genoss er einfach nur, was er viel zu selten tat, wie er selbst sagen musste. Erst nach fast zwei Stunden hielt Aydeen wieder inne und blickte auf ihre Uhr. „Ich fürchte, ich muss langsam wieder nach Hause.“ „Ich denke, ich auch.“ Auch wenn er eigentlich gar nicht wollte, denn die Zeit war im Moment viel zu schön, wie er fand. „Aber wir sollten uns am Wochenende treffen“, sagte Aydeen. „Ich denke, da haben wir beide mehr Zeit.“ „Also übermorgen?“, schlug er vor. „Da wäre Samstag.“ Sie nickte lächelnd. „Eine wundervolle Idee. Wir sollten zusammen essen gehen.“ Das klang selbst in seinen Ohren deutlich nach einem Date, was ihn ein wenig aufgeregt sein ließ. Dabei war er sich nicht sicher, warum sein Inneres derart aufgewühlt war. War es, weil er sich wirklich auf ein Wiedersehen und ein Date mit ihr freute oder weil er sich damit erhoffte, sich endlich von seiner Hoffnungslosigkeit bezüglich Richard loseisen zu können? Oder weil sein Vater sich dann hoffentlich auch endlich beruhigen würde. Er war sich nicht sicher, aber es war ihm gerade auch vollkommen egal, als er sich von Aydeen verabschiedete und sich dann auf den Heimweg machte. Die Wärme ihrer Hand und die Erinnerung an ihr Lächeln begleiteten ihn den ganzen Weg über. Allerdings war er doch ein wenig perplex, wenn er darüber nachdachte, dass er hergekommen war, um sein Leben komplett zu ändern und sich lediglich eine Alibi-Freundin zu suchen – und er nun unverbindlich in einer echten Beziehung mit Aydeen war. Er neigte den Kopf ein wenig. Wie ... ist das jetzt eigentlich passiert? Wie elektrisiert hielt er urplötzlich inne. Moment! Vielleicht ist Aydeen auch ein Dämon! Vielleicht war diese ganze Sache nur gestellt, weil sie jetzt versuchen, mich über einen Umweg zu besiegen! Warum ist mir dieser Gedanke nicht gleich gekommen? Dass er derart wenig denken konnte in ihrer Gegenwart und dass er sich so zu ihr hingezogen fühlte, musste doch einfach bedeuten, dass sie ihn verzaubert hatte. Beim nächsten Mal müsste er also deutlicher darauf achten, ihr nicht zu verfallen. Auch wenn das seinem Plan dann ebenfalls wieder im Weg stand – warum hatte er es auch so schwer, im Vergleich zu anderen Menschen? Und damit bleibt mein Problem ungelöst. Seufzend setzte er seinen Weg fort und überlegte dabei, wie er seinem Vater begegnen sollte, um sich nicht auch heute wieder mit ihm zu streiten – und wie er einen Dämon in Menschengestalt entlarven sollte. Kapitel VII - Dinge ändern sich. -------------------------------- Vom Unterricht am Freitag bekam Kieran nicht so wirklich etwas mit – jedenfalls nicht am Vormittag. In der Mittagspause saß er wie üblich an seinem Tisch und versuchte, nicht einzuschlafen, was nach der letzten Nacht gar nicht so einfach war. Richard war diesmal nicht anwesend, offenbar hatte er die Zeichen erkannt, dass Kieran nicht mehr mit ihm sprechen wollte und ignorierte ihn jetzt deswegen selbst. Es schmerzte ihn zwar, aber er glaubte, dass es der wirklich richtige Weg war und das einzige, was er tun konnte. Aber allzu viele Gedanken konnte er sich in dieser Pause nicht machen, da er plötzlich von einer Stimme unterbrochen wurde: „He, Kieran.“ Als er den Kopf hob, entdeckte er Faren, der mit verschränkten Armen vor ihm stand und ihn kritisch musterte. Es war selten, ihn derart zu sehen, weswegen Kieran zurückweichen wollte, nur um festzustellen, dass das ein wenig kompliziert war, solange man auf einem Stuhl saß. Faren machte sich derweil nichts daraus und setzte sich stattdessen ungefragt neben ihn. Sein Blick blieb dabei weiterhin vollkommen ernst, seine Stirn war sogar gerunzelt. „Also?“ „Also was?“ Kieran wandte sich ihm zu und hob eine Augenbraue, da er nicht so ganz verstand, was der andere eigentlich von ihm wollte. „Was ist grad los mit dir?“ „Kannst du das näher definieren?“ Faren seufzte übertrieben theatralisch. „Seit wann redest du nicht mehr mit Richard?“ „Gestern“, kam die kurze Antwort, allerdings sehr zur Unzufriedenheit des Fragenden. „Hat das was mit deinen nächtlichen Aktivitäten zu tun?“ Wieder kam es Kieran so vor, als würde sein Inneres geradewegs gefrieren. Wusste Faren etwa wirklich, was er nachts tat? Und würde er es dann den anderen erzählen? Was müsste er tun, um ihn davon abzuhalten? Aber bevor er sich derart in Panik flüchtete, musste er versuchen, herauszufinden, was sein Gegenüber wusste: „Wovon redest du?“ „Oh, komm schon.“ Langsam wirkte Faren wirklich frustriert. „Du triffst dich nachts mit Frauen, ist es da nicht ziemlich eindeutig, was du tust?“ „Für mich offensichtlich nicht – und seit wann sind es Frauen im Plural? Soweit ich weiß, hast du mich nur mit einer gesehen.“ Faren wedelte ein wenig mit den Händen, was verriet, dass er gleich mit etwas kontern würde, das nur für ihn wirklich Sinn machte und das tat er auch sofort: „Ich dachte mir eben, dass es mehr sind. Was ja auch wirklich logisch wäre. Ich meine, ihr habt sicher Geldprobleme seit dem Unfall deines Vaters und da-“ „Worauf willst du hinaus?“, fragte Kieran und unterbrach ihn damit. Er konnte sich bereits denken, was Faren meinte, aber es erschütterte ihn regelrecht, dass es wirklich jemanden gab, der ihm das zutraute. Allerdings hätte er sich denken können, dass gerade Faren so etwas einfiel, anstatt an irgendwas anderes zu denken, das vielleicht nicht ganz so abwegig war. „Na ja, du hättest ruhig sagen können, wenn du jetzt unter die Escort-Personen gehst. Zumindest hoffe ich, dass du nur das tust.“ „Das tue ich nicht!“, erwiderte Kieran nachdrücklich. „Diese Frau, mit der du mich gesehen hast, ist meine Freundin!“ Eigentlich hatte er damit nur Faren zum Schweigen bringen wollen, aber zu seiner Überraschung blieb diesem sogar der Mund offen stehen. Das hatte Kieran noch nie an ihm gesehen, weswegen er nur überrascht blinzeln und darauf warten konnte, dass Faren noch etwas sagte – was auch sofort geschah: „Du bist ... ihr seid ...? Aber ...“ Er sah in Richtung der Tür, als erwartete er sich von dort Unterstützung, aber natürlich kam keine. „Aber was?“ „Ach, gar nichts.“ Hastig wandte Faren ihm wieder seinen Blick zu. „Ich finde es nur seltsam, dass du plötzlich eine Freundin hast. Bislang schienst du ja nicht wirklich Interesse an solchen Dingen zu haben.“ Hatte er eigentlich immer noch nicht wirklich, wenn man von Richard absah, aber das konnte er schlecht gegenüber von Faren zugeben. „Dinge ändern sich.“ Er glaubte immer noch, dass Aydeen eigentlich eine Dämonin war, die er irgendwie ausschalten müsste, aber das änderte nichts daran, dass er sich von Richard loseisen musste, um seinen Vater endlich zufriedenzustellen. Vielleicht stimmte es immerhin auch und er hing viel zu sehr an Richard und alles würde sich bessern, wenn er erst einmal ein bisschen weniger mit ihm zu tun hatte. Zumindest blieb ihm das zu hoffen. Faren sah nach dieser Aussage verwirrt aus, was Kieran nur allzugut an ihm kannte – manchmal wunderte er sich, wie dieser Kerl die Aufnahmeprüfung hatte bestehen können – aber er schien nicht weiter nachhaken zu wollen und stattdessen lieber seine Strategie zu ändern: „Oh, verstehe. Okay, wenn sie deine Freundin ist, weißt du doch sicherlich ihren Namen.“ Statt genervt zu seufzen, rollte Kieran mit den Augen. „Natürlich weiß ich den – aber was nützt dir das? Du kennst sie nicht, ich könnte dir jeden Namen nennen und dir bliebe nur, mir zu vertrauen.“ Er glaubte, nein, hoffte regelrecht, dass Faren das Thema damit endlich fallenlassen würde, aber stattdessen schmunzelte dieser nur siegessicher und verschränkte die Arme wieder vor der Brust. „Oh, ich weiß, wie sie heißt – Bell weiß nämlich, wo die Gute arbeitet.“ Also weißt du es nur, weil Bellinda es weiß, fuhr es Kieran durch den Kopf. Kein Grund, dich so aufzuspielen. Statt dieser Worte sagte er aber etwas anderes: „Das sieht Bellinda ähnlich. Sie kennt vermutlich jeden Mitarbeiter einer Buchhandlung in dieser Stadt, oder?“ „Oho, du weißt also wirklich etwas über sie. Und ihr Name ist?“ „Ich finde das absolut lächerlich“, erwiderte Kieran. „Was hast du denn davon? Warum glaubst du mir nicht einfach, dass sie meine Freundin ist?“ „Das verstehst du einfach nicht.“ Wieder sah Faren zur Tür hinüber, aber noch immer war dort niemand zu sehen. Langsam bekam Kieran den Eindruck, dass hinter der Tür jemand stand, der Faren erst zu dieser ganzer Aktion überredet hatte – auch wenn es sicher nicht schwer gewesen war, ihn dazu zu bringen. Diese Person würde jetzt auf jeden Fall entweder sehr enttäuscht oder sehr erleichtert sein. Dass es ihr egal wäre, daran glaubte Kieran keine Sekunde, aber er wollte auch nicht glauben, dass es sich dabei um Richard handeln könnte. Sicher hatte Faren lediglich eine Wette mit Bellinda abgeschlossen. „Mir ist egal, ob ich es verstehe“, erwiderte Kieran mit fester Stimme. „Ich denke, dass es unnötig ist, solche Dinge mit dir zu besprechen. Also lass mich einfach in Ruhe.“ Seine, wohl ungewohnten, Worte, brachten Faren diesmal dazu, überrascht den Mund zu öffnen, als wollte er eigentlich etwas sagen, wusste aber nicht so recht, was eigentlich, weswegen er stumm blieb. Es tat Kieran tatsächlich leid, ihn so zurechtweisen zu müssen, aber er konnte jetzt nicht mehr zurückweichen. Natürlich konnte er nicht in Richards Freundeskreis bleiben, wenn er mit diesem nichts mehr zu tun hatte, also war es nicht sonderlich verkehrt, einfach auch mit diesen zu brechen. „Fein.“ Tatsächlich stand Faren einfach auf. „Dann nerv ich dich nicht weiter. Hoffentlich hast du viel Spaß mit deiner Freundin.“ Sein letzter Satz klang eher ironisch, nein, fast schon gehässig, was Kieran nicht im Mindesten gewohnt war. Aber bevor er nachhaken konnte, was das nun sollte, war Faren bereits aus dem Klassenzimmer verschwunden. Als er die Tür öffnete, konnte Kieran einen kurzen Blick auf die im Gang wartende Bellinda erhaschen, was ihn nur darin bestätigte, dass es eine Wette zwischen den beiden gegeben hatte, die nun für Faren verloren war. Aber das konnte nicht der einzige Grund für die Gehässigkeit sein. Mit einem leisen Seufzen griff Kieran sich an die Stirn, hinter der es leise zu pochen begonnen hatte. Das erinnerte ihn nur wieder daran, weswegen er sich normalerweise von sozialen Interaktionen fernhielt, immerhin verschafften sie nur Kopfschmerzen und ein äußerst unangenehmes Gefühl im Inneren, wie er in diesem Moment feststellte. Aber jetzt hatte er angefangen, diesen Weg hinabzugehen und er würde zusehen, wo er damit landen würde. Richard kehrte nach der Pause nur in den Unterricht zurück, um seine Tasche zu holen und um dem Lehrer mitzuteilen, dass er krank sei und deswegen nach Hause gehen würde. Dabei bedachte er Kieran kein einziges Mal mit einem Blick, obwohl er in den letzten Tagen immer wieder zu ihm hinübergesehen hatte. In ihm keimte der Verdacht, dass es doch nicht um eine Wette gegangen war, sondern um etwas gänzlich anderes. Aber was das nun mit Richards plötzlicher Krankheit zu tun haben mochte, war ihm noch nicht so ganz klar. Es sollte mich aber auch nicht kümmern. Genau das ist doch mein Ziel. Dennoch kam er nicht umhin, sich weiter Gedanken darum zu machen. Vielleicht war es etwas Schlimmes, das Richard plagte. Eine schwere Krankheit, körperlich oder psychisch oder vielleicht ein Dämonenfluch und es war Kieran bislang nur noch nicht aufgefallen, weil er zu viele Gedanken an andere Dinge verschwendete. Ab sofort sollte er sich aber auch keine Gedanken mehr darum machen. Er musste sich nun auf Aydeen und die von ihr ausgehende Bedrohung konzentrieren und danach sollte er sich, endlich, neue Freunde suchen, nur damit sein Vater zufrieden war. Es mussten ja keine guten Freunde sein, aber zumindest irgendwer, der hin und wieder Zeit mit ihm verbrachte, damit er sich für seinen Vater normaler fühlen konnte. Da er dem Lehrstoff an diesem Tag ohnehin nicht folgen konnte, blickte er aus dem Fenster hinaus und betrachtete den Kirschbaum, der dort im Hof stand. Er befand sich bereits in voller Blüte und einige der rosafarbenen Blütenblätter wehten umher. Noch einige Wochen länger und die ganze Luft wäre davon erfüllt, was mit Sicherheit ein wunderbarer Anblick werden würde. Aber aus irgendeinem Grund wanderten seine Gedanken dabei wieder zu Aydeen und zu der Frage, wie er sie am besten entlarven sollte. Mit seinem Vater könnte er darüber nicht sprechen, immerhin würde dieser das nur wieder als Anlass nehmen, zu glauben, dass Kieran das alles nicht allein hinbekam, was wieder zu einem Streit führen konnte. Er musste selbst eine Lösung finden – und das noch bevor sie sich am nächsten Tag treffen würden. Kapitel VIII - Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll. ------------------------------------------------------------------ Aydeen hatte ihn gebeten, sie in der Buchhandlung abzuholen, in der sie arbeitete. Also stand er vor dem Schaufenster und beobachtete sie, während er so tat, als würde er die Bücher in der Auslage betrachten. Der Laden war klein genug, dass er sie nicht aus den Augen verlor, egal wohin sie sich begab, solange sie im Verkaufsraum selbst blieb. Wie sie erzählt hatte, war es eine kleine, gemütlich aussehende Buchhandlung, in der viel gelacht wurde. Aber er wollte dennoch nicht hineingehen, jedenfalls noch nicht. Zum einen war er viel zu früh dran und zum anderen hatte er immer noch keine Ahnung, wie genau er Aydeen begegnen sollte. Wenn er sie direkt damit konfrontierte, würde sie es einfach abstreiten – oder sie würde verletzt sein, wenn er sich völlig irrte, was er aber nicht glaubte, auch wenn er im Moment nichts entdecken konnte, was darauf hinwies. Wie sie allerdings erraten hatte, war er nicht unbedingt ein großer Denker außerhalb von Kämpfen. Vielleicht arbeitete er nur unter Druck wirklich gut. Wie lange er vor dem Schaufenster gestanden hatte, konnte er nicht sagen, aber Aydeen bemerkte ihn schließlich und winkte ihn herein. Im Inneren herrschte ein angenehmer Duft von Kirschen, der jeden Sommer die Stadt beherrschte und deswegen vertraut war. So wunderte es ihn nicht mehr, dass die Kunden so begeistert schienen. „Du bist pünktlich“, sagte sie erfreut. „Wie gefällt dir der Laden?“ „Er ist hübsch. Es muss schön sein, hier zu arbeiten.“ Wenn auch nicht für ihn selbst, immerhin konnte er sich kaum vorstellen, jemals mit Kunden zu arbeiten – und jeder potentielle Kunde war sicherlich froh, niemals von ihm bedient werden zu müssen. Sie lächelte und sagte ihm dann, dass sie nur schnell ihre Sachen holen müsste, ehe sie nach hinten ging und damit aus seinem Blickfeld verschwand. Während er wartete, betrachtete er die Bücherregale. Es gab keinen Titel, den er nicht zumindest vom Namen her kannte, immerhin war er Stammgast in einer größeren Buchhandlung, aber nichts davon interessierte ihn weiter. Er war für die derzeitige Marktlage nicht geschaffen, schien ihm. Einen Moment später kam Aydeen wieder zurück und so verließen sie gemeinsam den Laden, um ein nahegelegenes Café aufzusuchen. Es war anders als jenes, in dem sie sich die ersten Mal getroffen hatten, wesentlich größer, so dass sie sich in einer abgelegenen Ecke zusammen hinsetzen konnten. Sie waren nun weit genug weg vom Fenster, damit niemand sie von draußen auf den ersten Blick sehen konnte – und eine große Pflanze zwischen ihnen und der Scheibe verhinderte auch, dass sie auf den zweiten Blick sichtbar wurden. Nachdem sie bestellt hatten, stützte Aydeen ihre Ellenbögen auf den Tisch, bettete ihr Kinn auf ihren Handrücken und sah Kieran lächelnd an. „Das ist deine erste richtige Verabredung, oder?“ Er nickte, um das zu bestätigen. Da er nichts weiter sagte, fuhr sie fort: „Dann weißt du bestimmt nicht, was man so auf Verabredungen tut, oder?“ „Nur aus Büchern oder Filmen.“ Auch wenn er sich diese nicht wirklich lange merkte, wenn es nicht sein musste. „Aber ...“ „Das ist schon in Ordnung“, sagte sie. „Ich kenne mich auch nicht unbedingt gut aus, aber ich denke, es wird schon funktionieren. Man redet wohl über einander, um sich gegenseitig besser kennenzulernen.“ Kieran empfand das als seltsames Konzept. Warum war man denn, für gewöhnlich, mit der anderen Person zusammen, wenn man nicht wirklich etwas über sie wusste? In Richard hatte er sich immerhin auch erst verliebt, nachdem er ihn eine Weile gekannt hatte. Und Bellinda und Joshua kamen auch erst zusammen, nachdem sie sich lange gekannt hatten. Diese Sache mit Aydeen zählte er immerhin nicht, sie musste ihn verzaubert haben. „Erzähl mir doch etwas mehr über dich“, forderte sie ihn auf. „Bislang weiß ich nur, dass du Dämonen jagst und oft Ärger mit deinem Vater hast.“ „Prinzipiell weißt du jetzt mehr über mich, als viele andere Personen“, erwiderte er darauf. „Eigentlich gibt es sonst nicht sonderlich viel zu sagen. Du weißt, dass ich zur Schule gehe. Dass ich die Dämonenjagd mag und dass ich bei meinen Vater lebe, weil meine Mutter fort ist.“ „Gab es einen Grund dafür, dass sie gegangen ist?“ Er zuckte mit den Schultern. Das war keine Sache, die er unbedingt ausbreiten wollte, es ging niemanden etwas an, nicht einmal Richard kannte den Grund und das würde auch so bleiben. „Tut mir leid, das ist eine sehr private Sache, nicht wahr?“ Diesmal nickte er. Als die Bedienung mit ihren Bestellungen wiederkam, bedankte er sich murmelnd und nahm sofort das Glas an sich, um davon zu trinken. Aydeen gab derweil Zucker in ihren Tee und rührte dann mit dem Löffel darin. „Was ist mit deinen Eltern?“, erwiderte er schließlich, damit das Thema wieder von ihm fortkam. „Oh, sie sind sehr gute Menschen.“ Daraufhin erzählte sie ihm davon, wie ihre Eltern sie stets in allem unterstützt hatten. Sie waren streng, aber gerecht und Aydeen schätzte das sehr an ihnen. Kieran fühlte sich während dieser Erzählung nicht nur an Richard erinnert, er spürte auch wieder den Neid diesbezüglich. Aber er wusste auch, dass die verfahrene Situation mit seinem Vater auch durch ihn selbst mitverursacht wurde. Es gab also eigentlich keinen Grund, neidisch zu sein. Red keinen Unsinn!, schalt er sich selbst. Sie will mich nur irritieren. Ich darf ihr nicht glauben. Auch wenn es sich bei ihr selbst um keinen richtigen Dämon handelt, ist sie vielleicht von einem besessen. Plötzlich spürte er wieder, wie ihn dieses angenehme, warme Gefühl durchflutete. Aydeen hatte seine Hand genommen und hielt sie lächelnd fest. Es musste ein starker Zauber sein, wenn er sich so sehr von Zärtlichkeit durchströmt fühlte, wie in diesem Moment. „Du hast nicht sonderlich viel Körperkontakt mit anderen Menschen, oder?“ „Nicht so wirklich.“ Meistens vermied er es tunlichst, sich von irgendwem berühren zu lassen oder andere Menschen anzufassen. Es gab keinen richtigen Grund dafür, er war es nur nicht gewohnt und manchmal glaubte er, dass er inzwischen zu alt wäre, um das zu ändern. Aydeen ging nicht weiter darauf ein und beschränkte sich darauf, seine Hand zu halten, während sie weiter über ihre Familie sprach. Anscheinend hatte sie eine Zwillingsschwester, die zum Studium allerdings fortgezogen war. Was genau sie studierte, erwähnte sie jedoch nicht, Kieran vermutete aber, dass es mit Literatur zu tun hatte. Ihr Leben schien ihm wie eine spannende, verheißungsvolle Sache, von der er in diesem Moment unbedingt ein Teil werden wollte. Selbst wenn er wusste, dass dies nur ein Zauber war, gelang es ihm nicht so einfach, diesem zu entgehen. Der Abend kam viel zu rasch, so dass sie wieder aufbrechen mussten. Aydeen ließ seine Hand auch dann noch nicht los, als sie das Café verließen und einige Schritte gegangen waren. Erst als sie um eine Ecke gebogen und damit in eine wesentlich menschenärmere Gegend gekommen waren, beschloss Kieran, dass er es so nicht weitergehen lassen konnte. Er musste diesen Zauber, so sehr er ihn auch genoss, sofort beenden und sie zur Rede stellen. Also blieb er so abrupt stehen, dass Aydeen, nach einem Schritt weiter, ebenfalls stehenbleiben musste. Fragend wandte sie sich ihm zu und zuckte zusammen, als sie seinen düsteren Blick bemerkte. „Stimmt etwas nicht?“ Kieran ließ sie los, wandte seine Augen aber nicht im Mindesten von ihr ab. „Ich weiß, dass du eine Dämonin bist.“ Ihre Stirn legte sich in Falten, als er das sagte. „Wie kommst du denn darauf, dass ich eine Dämonin sei?“ „Wegen deiner Wirkung auf mich“, antwortete er rasch. „Das, was ich im Moment fühle, kann einfach nicht normal sein. Das muss an dem Zauber liegen, den du auf mich gelegt hast. Und nur Dämonen sind in der Lage, solche zu wirken.“ „Zauber? Was für ein Zauber?“ Ihre Ratlosigkeit war wirklich überzeugend gespielt, das musste er ihr lassen. Aber das konnte ihn nicht davon abhalten, davon auszugehen, dass sie eine Dämonin war. „Na, alles was gerade mit mir geschieht, muss ein Zauber sein. Dieses angenehme Gefühl in meinem Inneren, dieser Wunsch bei dir zu sein ... das dient doch nur dazu, dass ich unvorsichtig werde und du mich leichter töten kannst.“ Eigentlich erwartete er nach einer solchen Aussage, dass sie wütend werden würde, weil er ihren Plan durchschaut hatte, aber stattdessen lächelte sie wieder. „Oh Kieran, du bist wirklich sehr naiv, nicht wahr?“ „Was?“ Er stutzte, obwohl er das nicht beabsichtigt hatte. „Du bist lediglich verliebt, Kieran. Das hat nichts mit einem Zauber zu tun.“ Diese Wahrscheinlichkeit schien ihm aber vollkommen ausgeschlossen, weswegen er den Kopf schüttelte. „Ich war schon verliebt und das war ein anderes Gefühl.“ Und genaugenommen hielt es noch an, wann immer er an Richard dachte. Aber Aydeen ließ sich davon nicht beirren. „Liebe muss sich nicht immer gleich anfühlen. Es ist gut möglich, dass es sich bei dir dieses Mal anders anfühlt, als früher.“ War das wirklich der Fall? Er wollte das eigentlich nicht glauben, aber vielleicht stimmte es ja. Sein Handy reagierte in ihrer Nähe jedenfalls nicht, aber kaum kam ihm dieser Gedanke – warum war ihm dieser nicht bereits früher gekommen? – überzeugte ihn dieser andere Teil seines Gehirns davon, dass sie einfach nur eine Möglichkeit kannte, den Server und dessen Wahrnehmung zu umgehen. Sie sah ihn betrübt an, während er darüber nachdachte, dann seufzte sie. „Warum sperrst du dich so sehr dagegen? Das war doch eigentlich genau, was du wolltest, oder? Und dann wäre ich nicht einmal deine Alibi-Freundin.“ „Ich ... ich ...“ Kieran fand keine Worte, um ihr zu erklären, dass er, aufgrund seiner Erziehung und seines bisherigen Lebens einfach nicht mit so etwas umgehen konnte. Außerdem verstand er die Logik dahinter nicht. Wenn er doch schon in Richard verliebt war, wie sollte er sich da auch noch in Aydeen verliebt haben? Er behielt nicht viel von romantischen Komödien oder derartigen Büchern, aber eine Grundregel war immer jene, dass, wenn sich der Protagonist in jemand neues verliebte, die alte Liebe damit vergessen war. Darauf hat immerhin mein Plan basiert! Wenn es gar nicht so funktionierte, wie er sich gewünscht hatte, gab es dann einen Grund, es überhaupt noch weiterzuverfolgen? Aydeen riss ihn aus seinen Gedanken, indem sie ihre Hände auf seine Schultern legten. „Kieran? Stimmt etwas nicht?“ „Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll“, antwortete er und wich dabei ihrem Blick aus. Zur Antwort nahm sie die Hände wieder von seinen Schultern und legte sie stattdessen auf seine Wangen, damit sie ihn sanft dazu bringen konnte, sie wieder anzusehen. Auch bei dieser Berührung fühlte er sich innerlich vollkommen anders, als bei Richards. Es war keinerlei Welle von Hitze, die ihn durchströmte, aber dennoch fühlte sein Gesicht sich plötzlich viel zu heiß an und sie musste das spüren, wie er glaubte. Ob sie das tat, wusste er nicht, aber auf einmal zog sie ihn ein wenig zu sich herunter – und im nächsten Moment lagen ihre Lippen bereits auf seinen. Es war kein Schreck, der dafür sorgte, dass er sich nicht mehr rühren konnte, es war vielmehr dieses unglaublich angenehme Gefühl, das ihn im selben Moment durchströmte. Ehe er selbst wusste, wie ihm geschah, schloss er bereits die Augen, um diesen Kuss zu erwidern, bevor sie die Gelegenheit bekommen würde, ihn wieder zu lösen. Bislang hatte er immer geglaubt, niemals geküsst zu werden oder – wenn überhaupt – seinen ersten Kuss von Richard zu bekommen. Diese Wendung überraschte ihn daher dementsprechend, aber eigentlich ... war das gar nicht so schlimm, fand er. Möglicherweise hatte Aydeen also wirklich recht und er war verliebt und sollte sich damit nun endlich abfinden und das Beste daraus machen – und das bestand definitiv darin, dass er diese Beziehung mit ihr weiterverfolgte. Irgendwann würde er dann durchaus sein Ziel erreichen, davon war er überzeugt. Schließlich löste Aydeen den Kuss dann aber wieder und trat, verlegen lachend, einen Schritt zurück. „Ich hoffe, ich habe dich gerade nicht überrumpelt.“ „Doch, schon. Aber das ist okay.“ Vielleicht musste man ihn ja überrumpeln, wenn man mit ihm auf der sozialen Ebene irgendetwas erreichen wollte, weswegen er sich Richard erst recht aus dem Kopf schlagen sollte. Aber mit Aydeen würde das alles funktionieren, wie er glaubte, wenn sie nun schon so begann. Sie lächelte zufrieden. „Wie schön. Dann wirst du deinen Plan nicht ändern? Und mich auch nicht mehr für eine Dämonin halten? Ich garantiere dir, dass ich keine bin.“ „Ich weiß“, antwortete er, aber eigentlich wäre es ihm im Moment sogar gleichgültig gewesen, wenn es sich bei ihr um einen Feind gehalten hätte. Sie ergriff seine Hand und zwinkerte ihm dann lächelnd zu, worauf er gemeinsam mit ihr wieder loslief. Wohin wusste er zwar nicht genau, aber das störte ihn im Moment auch nicht weiter, solange er bei ihr sein konnte – und er hoffte, dass dieser Zustand anhalten würde. Kapitel IX - Ich dachte, es würde dich stören. ---------------------------------------------- In der Woche, die folgte, kam es Kieran vor, als würde er richtig aufleben. Obwohl er nachts nicht sonderlich viel schlief, war er tagsüber wesentlich wacher, er dachte auch nicht mehr dauernd an Richard und schaffte es zumindest ansatzweise, normal mit ihm umzugehen – auch wenn diesem nicht im Mindesten daran gelegen schien. Seit Kierans Gespräch mit Faren, schien es ihm, als würde etwas an seinem einst besten Freund nagen und dafür sorgen, dass er auf Abstand ging. Er konnte es nicht verstehen, aber er machte sich nicht viele Gedanken darum, da sein Kopf meist mit der Jagd auf Dämonen beschäftigt war – und wenn dem nicht so war, traf er sich mit Aydeen, in deren Gegenwart er ohnehin nicht klar denken konnte. Sein Vater schien auch endlich zufrieden, seitdem er von seiner Freundin wusste. Für Kieran war damit eigentlich alles perfekt und eigentlich müsste sich, seiner Meinung nach nichts mehr daran ändern – aber dieser Zustand hielt nicht lange. Eine Woche nach seiner Verabredung mit Aydeen und mehreren weiterer Treffen mit ihr, die stets eine Mischung aus angenehmem Schweigen und leichter Unterhaltung gewesen waren, geschah es, überraschenderweise, dass Kieran vergaß, sich ein Mittagessen von zu Hause mitzunehmen. Das war, wie er fand, der entscheidende Nachteil, wenn es um Beziehungen ging, man konnte durchaus vergesslich werden, weil man nur noch an die entsprechende andere Person dachte. Oder vielleicht liegt das auch an mir. Da er aber nicht den ganzen Tag ohne etwas zu essen überstehen konnte, beschloss er, in der Mittagspause etwas in der, stets überfüllten, Caféteria zu kaufen und dann im Klassenzimmer zu essen. Wie auch früher verbrachte er seine Pause nicht mit Richard oder den anderen. Damals, um sich nicht aufzudrängen und zumindest ein wenig zu schlafen und nun weil er sich sagte, dass er nicht mehr zu viel Zeit mit ihnen verbringen dürfte. Bei der Caféteria, die im Erdgeschoss durch eine Glastür zu erreichen war, handelte es sich um einen überraschend kleiner Raum, in dem lediglich einige Tische und zwei Theken Platz fanden. In der einen, tiefer gelegten befanden sich frische Zutaten, mit denen man Sandwiches belegen konnte, auf der anderen standen Kaffee- und Kakaoautomaten, für all jene, die unbedingt morgens etwas Derartiges zum Aufwachen benötigten. Kieran hatte nie davon Gebrauch gemacht und die Caféteria deswegen viel öfter nur von außen betrachtet. Der Verkaufskiosk befand sich in einem kleinen Raum direkt an der Caféteria und war vollgestopft mit allerlei Süßigkeiten und einem Kühlschrank mit Getränken. Die Tische waren alle besetzt und auch um die Theke mit den Zutaten standen allerlei Personen herum. All die Gespräche der anwesenden Schüler und Lehrer verschmolzen in seinen Ohren zu einem unangenehmen Summen, dem er rasch wieder entfliehen wollte, weswegen er, direkt nachdem er die Schachtel mit dem Essen in der Hand hielt, aus der Caféteria floh, um wieder nach oben zurückzukehren. Der Geruch der Soße an den Kartoffeln, die in der Schachtel waren, ließ seinen Magen knurren, aber das war rasch vergessen, als er die erste Treppe zur Hälfte hinter sich gebracht hatte und dabei an einem offenen Fenster vorbeikam. Das an sich irritierte ihn nicht im Mindesten, dafür aber das, was durch dieses zu hören war: „Ich denke schon, dass Kieran das ernst meint.“ Als er seinen Namen hörte, hielt er sofort inne. Im ersten Moment glaubte er, dass sich jemand mit ihm in der Eingangshalle, die er von der Treppe aus überblicken konnte, befand, stellte aber nach einem kurzen Blick fest, dass dem nicht der Fall war. „Was macht dich da so sicher?“, hörte er Richards Stimme, die eindeutig von draußen kam. Er wagte nicht, hinauszusehen, da er befürchtete, entdeckt zu werden, aber er konnte vor lauter Neugierde keinen weiteren Schritt machen. „Na jaaaa“, hörte er Faren langgezogen sagen, einer der seltenen Momente, in denen er um Worte verlegen schien, „fragen wir doch einfach Bell?“ Der erschrockene Ausruf, der daraufhin folgte, kam eindeutig von Bellinda, er konnte sich schon fast ihren schockierten Blick in Farens Richtung vorstellen. Aber dennoch raffte sie sich zu einer Antwort auf: „Also, ich war ja schon öfter in diesem Buchladen, in dem diese Aydeen arbeitet, deswegen wusste ich, wie sie mit Nachnamen heißt und habe mir einfach einmal ihr Anibook-Profil angesehen – und da steht auch, dass sie in einer Beziehung ist und ein Foto von Kieran ist auch dort zu sehen.“ Er erinnerte sich nicht daran, dass sie ein Bild von ihm gemacht hatte, empfand das aber nicht als unmöglich. Manchmal, besonders wenn er vor ihren Treffen auf sie wartete, war er doch ein wenig in seinen Gedanken verloren und bekam so etwas dann gar nicht mit. Es störte ihn auch nicht weiter, dass sie ein solches Bild dann einfach hochgeladen hatte, immerhin könnte das seinen Plan auch unterstützen. „Und ich habe mir ihr Twitter-Profil angesehen“, ergänzte Faren, „und da redet sie ebenfalls von ihrem Freund Kieran, mit dem sie ein paar Treffen hatte.“ Ihm war bislang gar nicht bewusst gewesen, auf wie vielen dieser Plattformen Aydeen sich aufhielt – und für einen kurzen Moment fragte er sich, ob die Möglichkeit bestand, dass sie dort verriet, was er nachts tat. Aber keiner von ihnen sprach darüber, also hatte er wohl Glück. „Du musst zugeben, Richard“, übernahm Joshua nun das Wort, „es ist eher unwahrscheinlich, dass er jemanden davon überzeugen kann, in diesem Ausmaß auf ein Spiel einzugehen.“ Kieran konnte nicht verhindern, zu schmunzeln, wenn er daran dachte, dass dies ja ursprünglich sein Plan gewesen war und sie sich nicht abgeneigt gezeigt hatte. Aber er fragte sich auch, weswegen Richard diese Sache so sehr interessierte, dass er seine Freunde danach befragte. „Vielleicht ist es unwahrscheinlich, ja, aber nicht unmöglich.“ „Sieh es ein“, erwiderte Faren, „es ist vorbei.“ Es klang fast nach einer Wette, genau wie er zuvor bereits geglaubt hatte. Aber er wollte eigentlich nicht glauben, dass sogar Richard sich an einer solchen Wette beteiligen würde – und dabei sogar gegen ihn und sein vermeintliches Glück setzte. Doch Bellinda widersprach sofort: „Ich denke das nicht! Du solltest es ihm einfach sagen, Richard.“ Kieran wartete nicht mehr auf die Erwiderung seines Freundes und setzte stattdessen den Weg fort, wobei er mit jedem Schritt, jeder Stufe ein wenig klarer zu denken schien. Wenn es diese Wette wirklich gab und Richard dabei gegen ihn gewesen war, bestätigte ihn das nur noch einmal darin, dass es Zeit wurde, sich von ihm zu lösen, auch wenn er das im Grunde seines Herzens immer noch nicht wollte. Er würde den Umstand nutzen, Richard dazu bringen, die Wette zuzugeben und die Freundschaft dann direkt beenden – kurz und schmerzlos. Dieser Plan stand felsenfest, als er am Klassenzimmer im vierten Stock ankam und er beschloss, ihn direkt an diesem Tag umzusetzen. Nach dem Unterricht saßen Kieran und Richard sich tatsächlich in der Bahn gegenüber und sahen beide aus dem Fenster hinaus. Faren, Joshua und Bellinda waren bereits ausgestiegen und es würde nicht mehr lange dauern, bis Richard ebenfalls an seiner Station angekommen war, also musste er seinen Plan umsetzen. Er wandte seinen Blick vom Fenster ab und sah zu Richard hinüber. Dieser starrte nach wie vor hinaus, aber sein Kiefer wirkte angespannt, als würde er sich mit aller Gewalt davon abhalten müssen, etwas zu sagen. In den letzten Tagen war das häufig vorgekommen, Kieran konnte sich einfach nicht wirklich davon abhalten, ihn anzusehen, wann immer er nicht beobachtet wurde. Nicht nur, weil er Richards immerzu entspanntes Gesicht mochte, ihm gefiel auch der Effekt, den der Anblick auf ihn hatte. In seinem Inneren fühlte er sich in diesem Moment vollkommen ruhig und ausgeglichen. Nicht so aufgewühlt und gleichzeitig geborgen wie bei Aydeen, sondern wirklich ... als hätte er Frieden gefunden. Ein überraschend gegensätzliches Gefühl zu dem, das er empfand, wenn er kämpfte. Aber er musste sich davon nun lösen, um seinen Plan durchzuführen und sich das normale Leben aufzubauen, das sein Vater sehen wollte. „He“, sagte er, um die Aufmerksamkeit des anderen auf sich zu ziehen. Endlich wandte Richard sich ihm wieder zu. „Mhm?“ „Du siehst aus, als würdest du irgendetwas Wichtiges sagen wollen.“ Kieran erwartete, dass der andere nun lächeln und bemerken würde, dass er ihn ziemlich gut kannte. Aber das blieb vollkommen aus, stattdessen deutete er ein Kopfschütteln an. „Nein. Es gibt nichts zu sagen.“ Damit schwieg er wieder, was nur dazu führte, dass Kieran ihn mit zusammengezogenen Brauen ansah. „Sicher? Auch nichts, was irgendwelche ... Wetten betrifft?“ „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“ Nur mit Mühe schaffte Kieran es, nicht frustriert zu seufzen. Da machte er es ihm schon so einfach und er weigerte sich dennoch, etwas zu sagen. Musste er es ihm denn wirklich auf den Silbertablett servieren? Vielleicht mit einem Brief, in dem vorformuliert war, wie er es ihm sagen sollte? „Aber ist ja auch egal“, sagte Richard plötzlich, so dass erneut Hoffnung in Kieran aufflammte, die allerdings sofort enttäuscht wurde: „Du hast mir bislang noch gar nichts von deiner Freundin erzählt.“ „Ich dachte, es würde dich stören.“ Eigentlich hatte Kieran es eher für unangenehm befunden, mit der Person, in die er seit Jahren verliebt war, über seine Freundin zu sprechen. Und im Moment sah Richard wirklich so aus, als würde er nur äußerst ungern über dieses Thema sprechen. Tatsächlich knirschte er ein wenig mit den Zähnen, ehe er antwortete: „Wir sind doch Freunde, warum sollte es mich stören?“ Dass er missgelaunt war, erkannte Kieran, aber den Grund dafür konnte er nicht so recht benennen. Er glaubte allerdings, dass es einfach nur Eifersucht war, da Richard seit Jahren keine Beziehung mehr eingegangen war und er wohl erwartet hatte, dass sie beide jetzt immer Single bleiben würden. Für einen kurzen Atemzug verfinsterte sich sein Gesicht, als er an die letzte Freundin des anderen zurückdachte, aber er kehrte mit seinen Gedanken sofort in die Gegenwart zurück und legte wieder seinen neutralen Gesichtsausdruck auf. „Ich dachte nur.“ Richard nahm seine Tasche und erhob sich von seinem Platz. „Vielleicht solltest du weniger denken, wenn es darauf hinausläuft.“ Dann ging er in Richtung der Türen, aber nicht, ohne Kieran noch einen Blick über die Schulter zuzuwerfen. „Meld dich bei mir, wenn du mit dem Denken aufgehört hast.“ Zwischen diesen Worten war noch wesentlich mehr zu hören, davon war Kieran überzeugt, aber er wusste nicht, worum es sich dabei handelte und eigentlich wollte er auch nicht darüber nachdenken – immerhin war sein Ziel ja, von dem anderen loszukommen und nicht, sich ihm weiter anzunähern. Richard verließ die Bahn, ohne sich zu verabschieden und sah ihn nicht einmal an, als er am Fenster vorbeilief, um den Bahnsteig zu verlassen. Doch statt sich weiter um diese Sache Gedanken zu machen, beschloss Kieran, lieber sein Handy herauszuholen und Aydeen zu schreiben, damit er sich bald wieder mit ihr treffen und das hier vergessen könnte, ehe er in seinen alten Trott zurückfiel. Dabei blendete er sogar aus, dass die friedliche Atmosphäre, die er bei Richard empfand, selbst bei diesem leicht aggressiven Gespräch eben nicht einmal unterbrochen worden war. Kapitel X - Ich fühle mich nicht sonderlich spannend. ----------------------------------------------------- Eine Sache, die er an seiner Beziehung mit Aydeen mochte, war die Tatsache, dass sie es schaffte, ihren Terminplan problemlos mit seinem abzugleichen. So auch in jener Mittwochnacht, in der sie bereits seit anderthalb Wochen ein Paar waren. Kieran verstaute seine Pistole wieder in der Umhängetasche, während er sich in Richtung des Treffpunktes bewegte. Dabei warf er weniger Blicke umher, als früher. Er fühlte sich nicht mehr dauernd verfolgt, nachdem er einen Dämon getötet hatte, glaubte nicht mehr, in jedem Schatten eine Bedrohung wahrnehmen zu können. Wenn er so darüber nachdachte, war das vielleicht auch ein Grund, weswegen sein Vater sich ein normales Leben für ihn wünschte. Nun, jetzt bekommt er das ja. Wie schon die drei Male zuvor trafen Kieran und Aydeen sich in einem kleinen Park. Es gab mehrere davon in Cherrygrove, einen großen und etwa drei kleinere, wenn er sich nicht täuschte, aber da die anderen drei stets von Menschen beherbergt wurden, selbst in der Nacht, trafen sie sich im vierten, der meistens verlassen war – nicht zuletzt deswegen, weil es Gerüchte gab, dass sich in diesem Park der Geist eines Jungen aufhielt, der einst dort in einem Brunnen gestorben war. Kieran glaubte nicht daran, denn so oft er nun schon hier gewesen war, ihm war niemals irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen. Aydeen saß unter einem der zahlreichen Kirschbäume, den Kopf in den Nacken gelegt, um entweder die rosafarbenen Blüten oder den Himmel zu betrachten. Mehrere Schritte von ihr entfernt, blieb Kieran noch einmal stehen, um sie zu betrachten. Im einfallenden Licht der Himmelsgestirne erinnerte ihr Anblick ihn an seine erste Begegnung mit ihm. Er musste unwillkürlich daran denken, dass er in jener Nacht, die noch gar nicht so lange her war, nie geglaubt hätte, dass sie ihm einmal so viel bedeuten könnte. Aber hier und jetzt erschien sie ihm wie ein hilfreicher Rettungsanker, der verhindern würde, dass er versank. Da sie nach wie vor weiter nach oben starrte und ihn gar nicht wahrnahm, hob er ebenfalls den Kopf, um selbst nach oben zu sehen. In diesem Park gab es keinerlei künstliche Beleuchtung, was wohl noch ein Grund für die ausbleibenden Besucher bei Nacht war, so dass tatsächlich unzählige, hell leuchtende Sterne zu sehen waren, so deutlich und so nah, als müsste man nur die Hand ausstrecken, um nach ihnen greifen zu können. Aber gleichzeitig waren sie so zahlreich, dass man den Eindruck bekommen könnte, dass die Hand einfach in einem Meer verschwinden würde, ohne etwas zu ergreifen. „Es ist schön, oder?“ Aydeens Stimme holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück, er senkte den Kopf, um sie anzusehen – aber ihr eigener Blick war immer noch auf die Sterne gerichtet. Ohne jede weitere Aufforderung setzte er sich dann neben sie, sah aber zu Boden. So leise wie möglich stellte er die Tasche auf seiner anderen Seite ab und lehnte sich dann erst erleichtert mit dem Rücken gegen den Baumstamm. „War es eine anstrengende Nacht?“, fragte sie. „Nicht wirklich.“ In knappen Worten erzählte er ihr davon, dass ihm nur niedere Dämonen begegnet waren, die sich relativ einfach besiegen ließen. Größere und gefährlichere Wesen gab es nur selten, er war überzeugt, dass sie sich woanders aufhielten, weil Cherrygrove ihnen nicht ertragsreich erschien oder weil ihnen die Feinde zu stark waren. Wenn er dringend eine Aufmunterung für sein Selbstbewusstsein benötigte, dann holte er das zweite Argument hervor. Aber das brauchte er nur selten. Schließlich senkte Aydeen den Blick wieder, um zur Tasche hinüberzusehen. „Ist es nicht auffällig, wenn du damit herumläufst?“ „Bislang hatte ich noch keinen Ärger.“ Fragende Blicke waren eher selten und es hatte auch noch niemand die Polizei wegen ihm gerufen. Cathan war das auch noch nie geschehen. Meistens ging Kieran davon aus, dass die Leute sich einfach nur aus der Angelegenheit fremder Menschen heraushalten wollten – aber viel wahrscheinlicher war eher, dass keiner ihm etwas Schlimmes zutraute. Und damit konnte er eigentlich gut leben. „Du sagtest einmal, du wolltest eigentlich nicht jagen gehen, warum bist du dann jetzt überhaupt als Jäger unterwegs?“ „Was sollen diese ganzen Fragen?“ Bei den letzten drei Treffen schien es sie nicht im Mindesten zu interessieren, weswegen es ihn ein wenig irritierte, dass sie nun damit anfing. Aber ihre Erklärung fand er überraschend verständlich: „Du redest so gut wie nie über dich. Ich habe darauf gewartet, dass du es noch tun wirst, aber da nichts kam, habe ich beschlossen, dich einfach auszufragen.“ „Na ja, ich fühle mich nicht sonderlich spannend“, erwiderte er. „Für mich bist du es.“ In diesem Moment war er froh, dass sie nicht sehen könnte, wie sein Gesicht sich erhitzte. Damit sie erst gar nicht bemerkte, wie verlegen sie ihn machte, räusperte er sich hastig. „Nun, wenn du es unbedingt wissen willst ... mein Vater hatte eigentlich akzeptiert, dass ich kein Jäger werden will und sogar meine Ausbildung abgebrochen.“ Allerdings erinnerte er sich nur noch ungern an jene Tage und Wochen. Cathan war stets schlecht gelaunt gewesen, aber nicht in der Art, in der er Kieran für alles mögliche zurechtgewiesen hatte, nein, sein Sohn war stets von ihm ignoriert worden. Er hatte es vermieden, mit Kieran im selben Raum zu sein, ihn nicht einmal mit einem Blick bedacht, falls es sich nicht vermeiden ließ, aber vor allem war nie eine Reaktion von Cathan gekommen, wenn er angesprochen worden war. Aydeen griff sich an die Brust, als würde es sie ebenfalls schmerzen, unterbrach ihn aber nicht im Mindesten, was er ihr hoch anrechnete. „Vor fast einem Jahr kämpfte er dann gegen einen Dämon, dessen letzter Angriff darin bestand, sich selbst in die Luft zu sprengen. Mein Vater wurde dabei schwer verletzt, für eine Weile konnte er nicht einmal mehr allein atmen und die Ärzte empfanden es als ein Wunder, dass er überlebt hatte.“ Für Kieran war es allerdings keines. Er war überzeugt, dass die Kräfte, die mit dem Jäger-Dasein einhergingen, seinen Vater vor dem sicheren Tod bewahrt hatten und auch seine Heilung beschleunigten, die von keinem seiner Ärzte verstanden wurde. Dennoch erinnerte er sich nur mit Schrecken an das eiskalte Gefühl der Hilflosigkeit, als er auf der Intensivstation durch die Scheibe geblickt hatte. Manchmal sah er den leblosen Körper seines Vaters, angeschlossen an zahlreiche Maschinen, immer noch in seinen Albträumen, was nur dazu beitrug, dass er schlecht schlief. Es war die schlimmste Erinnerung seines Lebens. Kein anderer Anblick, kein Dämon, hatte das bislang übertreffen können – und eigentlich wollte er auch niemals etwas sehen, das schlimmer war. „Ohne jeden Jäger in Cherrygrove war ich besorgt, dass den Stadtbewohnern oder Richard etwas geschehen könnte, falls ich die Dämonen einfach frei herumlaufen lasse. Also habe ich beschlossen, diese Stelle zu übernehmen.“ Aydeen sah ihn mitleidig an und griff nach seiner Hand. Sofort spürte er diese angenehme Wärme, die er in ihrer Gegenwart so sehr liebte und nach der er inzwischen regelrecht süchtig geworden war. „Man hat dich in deinem Leben wirklich schon in viele Dinge hineingezwungen, oder?“ Er blickte sie an und fragte sich, ob sie diese Beziehung ebenfalls als Teil ihrer Frage sah. Aber in ihrem Blick war davon absolut nichts zu sehen und sie ergänzte die Aussage auch nicht weiter. „Na ja, schon ... aber eigentlich stört es mich nicht weiter.“ Er hatte ihr immerhin bereits gesagt, dass er die Dämonenjagd liebte – so sehr ihn das auch beunruhigte – und dass auch die Freundschaft mit Richard ihn nicht weiter störte. Zumindest war das bislang so gewesen. Aydeen ließ seine Hand nicht los, sondern hakte ihre Finger zwischen seine. Offenbar störte sie das Gespräch plötzlich, denn sie wechselte das Thema – zu einem, das ihm nicht sonderlich gut gefiel: „Darf ich dich etwas Persönliches fragen? Warum liebst du Richard eigentlich?“ „Warum ist das wichtig?“ Er wollte zurückweichen, seine Hand aber auch nicht von ihrer lösen, weswegen er sich darauf beschränkte, seine Stirn zu runzeln, während er sie das fragte. „Als wir uns letzte Woche im Café getroffen haben, sollte ich dir helfen, von ihm loszukommen – aber seitdem hast du mir nichts mehr von ihm erzählt und ich bin einfach neugierig.“ Für einen Moment überlegte er, sie zu fragen, ob sie vielleicht von Richard oder einem seiner Freunde angesprochen worden war und sie deswegen plötzlich so wissbegierig war – aber falls dem nicht so war, wollte er verhindern, dass sie überhaupt davon erfuhr, dass sie im Internet derart beobachtet wurde. Allerdings fiel es ihm schwer, in Worte zu fassen, was er bei Richard empfand, er könnte nicht einmal sagen, wann genau es begonnen hatte. Der innere Frieden von dem er immer erfüllt wurde, wenn sie zusammen waren und die Tatsache, dass sie sich auf derselben Wellenlänge befanden und selbst schweigend miteinander kommunizieren konnten, waren auf jeden Fall Gründe dafür, dass er sich in ihn verliebt hatte. Allein an ihn zu denken löste ein ganzes Farbspektrum in seinem Inneren aus, das ihn mit so viel Glück erfüllte, dass er unwillkürlich lächeln musste. Während er noch immer nach Worten suchte, neigte sie bereits den Kopf. „Schon gut, ich denke, ich habe meine Antwort gefunden.“ Sie klang noch immer so wie zuvor, nichts deutete darauf hin, dass sie dieses Experiment abbrechen wollte – er hoffte sogar, dass es ihren Ehrgeiz geweckt hatte, damit er bald nicht mehr so denken würde und sein Vater glücklich sein könnte. Und damit ich glücklich sein kann. Denn er wusste, dass er niemals mit Richard zusammen sein könnte und er wollte von dieser Hoffnung loskommen. Und er konnte immerhin auch nicht verleugnen, dass er nicht auch etwas für sie empfand. Also warum sollte es nicht funktionieren? Je mehr Tage vergingen, desto mehr glaubte er wirklich daran. „Das ist wirklich eine Herausforderung“, sagte sie schließlich lächelnd. „Aber ich bekomme das ganz sicher hin.“ Ihre Augen schienen im Sternenlicht zu leuchten, für einen flüchtigen Atemzug glaubte er wieder, dass es sich bei ihr um eine Dämonin handelte oder dass sie zumindest von einem solchen besessen war, aber er verwarf den Gedanken sofort als unwichtig. „Glaubst du?“ „Bislang habe ich noch niemanden eine andere Person vergessen lassen“, gab sie zu, „aber du bist doch gern bei mir, oder?“ „Sehr sogar.“ So sehr, dass er dafür freiwillig auf Schlaf verzichtete, weil er ihre Anwesenheit wesentlich erholsamer als jeden noch so tiefen Schlummer empfand und gleichzeitig ging er auch jederzeit wieder das Risiko ein, noch einmal von Faren entdeckt zu werden. Nein, bei genauerem Nachdenken konnte er sich sogar durchaus vorstellen, dass dieser ihn verfolgte, nur um Beweisfotos für irgendetwas machen zu können. Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, warf er einen Blick umher, kniff sogar die Augen zusammen, in der Hoffnung, besser sehen zu können – aber natürlich gelang ihm das in der Dunkelheit nicht. Vielleicht bin ich auch einfach zu paranoid. Aydeen lächelte und schmiegte sich an ihn. „Ich bin froh, dass du das denkst. Ich bin nämlich auch gern bei dir.“ „Nachts?“ Er verstand ja, dass er nachts Zeit hatte, da er nach dem Jagen nur nach Hause gehen würde, aber bei ihr dürfte das anders aussehen. Doch sie zuckte mit den Schultern. „Warum denn nicht? Ich arbeite tagsüber, da bleibt mir nicht viel anderes. Außerdem brauche ich nicht so viel Schlaf.“ Für ihn war das praktisch, auch wenn er eigentlich langsam wirklich nach Hause gehen sollte, um zu schlafen – die Schule nahm immerhin keinerlei Rücksicht auf das, was er nachts tun musste. Obwohl mich interessieren würde, ob das nicht vielleicht doch der Fall wäre. Auch wenn er die Vorstellung, dass er vollkommen ungestraft jeden Tag zwei Stunden später kommen dürfte, da er nachts den Frieden in der Stadt bewahrte, amüsant fand, war es doch besser, dass niemand sonst davon wusste. „Lass uns so noch ein wenig sitzen bleiben“, bat Aydeen leise. Kieran gab ein zustimmendes Geräusch von sich und blickte wieder nach oben. Durch die Äste des Baums hindurch konnte er den Sternenhimmel auf eine ganz andere Weise als noch zuvor betrachten; es sah aus, als würden die Blüten auf dem Sternenozean schwimmen, was er für eine wundersame und schöne Vorstellung hielt. Als auch noch ein Windhauch aufkam, der die Bäume im Park rascheln ließ, spürte er eine sonderbare Form von Gleichmut und Frieden in seinem Inneren, was ihn geradewegs dazu zwang, die Augen zu schließen. Alles scheint gut zu sein... Doch bevor er hier draußen, an diesem ungewöhnlichen Ort, tatsächlich einschlief, verfolgte ihn dennoch der Gedanke, dass alles noch besser wäre, wenn Richard nun ebenfalls da wäre. Kapitel XI - Ich denke, ich weiß, was du sagen wolltest. -------------------------------------------------------- Die restliche Woche achtete Kieran darauf, sich nicht mehr mit Aydeen zu treffen. Da er eingeschlafen war und sie es nicht übers Herz gebracht hatte, ihn zu wecken, war er erst bei Sonnenaufgang heimgekehrt – und war dabei natürlich von seinem Vater erwischt worden. Das zufriedene Grinsen, das Cathans Gesicht seitdem zierte, da er wer-weiß-was dachte, nervte Kieran, deswegen wollte er ihm in dieser Woche keine Gelegenheit mehr dazu geben, das zu denken. Erst am Samstag schaffte er es wieder, mit seinem Vater gemeinsam am Tisch zu sitzen und mit ihm zu essen. Die Spannung war nun nicht mehr derart angespannt wie früher, aber dafür war es Kieran ein wenig unangenehm, bei ihm zu sitzen, wenn er wusste, was dieser dachte. Also aßen sie schweigend ihr Mittagessen, bis Cathan schließlich tatsächlich etwas sagte: „Übrigens musst du heute wieder nicht auf Streife gehen.“ Kieran hob ein wenig verlegen den Blick und schielte zu ihm hinüber. „Hm?“ Cathans Augen waren immer noch auf sein Essen gerichtet, aber er lächelte sanft. „Ich treffe mich heute Abend mit einem Freund, der einen seiner Schüler mit in die Stadt bringt, der wird sich heute Nacht darum kümmern. Du kannst dich dann ja wieder mit deiner Freundin treffen.“ Er lächelte verschlagen bei diesen Worten, immer noch ohne seinen Sohn anzusehen. Kieran presste die Lippen aufeinander, nachdem er sich murmelnd bedankt hatte. Bislang war Cathan überraschend wenig neugierig gewesen, was Aydeen anging. Er kannte ihren Namen und ihre Tätigkeit und auch, wie die beiden sich begegnet waren, aber viel mehr schien ihn nicht zu interessieren – oder er hielt sich gnädigerweise zurück. Er stellte keine weiteren Fragen, verlangte nicht, dass sie einmal vorbeikommen würde und Kieran war froh darum. Er schämte sich für keinen der beiden, er befürchtete nur, dass etwas eintreten könnte, was in Aydeen Ablehnung weckte. Oder dass Cathan unzufrieden sein könnte, was den Plan ad absurdum führen würde. Damit das Thema auch gar nicht erst auf sie kam, stellte er sofort eine andere Frage: „Kannst du denn so lange rausgehen?“ „Keine Sorge.“ Cathan musste dieses Verhalten bereits gewöhnt sein, deswegen konnte er ihn sofort beruhigen. „Das Restaurant, in dem wir uns treffen, ist nicht weit entfernt und er holt mich nicht nur ab, sondern wird mich auch wieder zurückbringen.“ „Du wirst dich aber nicht betrinken, oder?“ Die Vorstellung, wie sein Vater versuchte, unter Alkoholeinfluss mit seinen Krücken zurechtzukommen, war gleichzeitig amüsant als auch besorgniserregend. Deswegen wollte er direkt ausschließen, dass es dazu kam. Cathan lachte leise. „Natürlich nicht.“ „In Ordnung, dann bin ich zufrieden“, sagte Kieran und widmete sich wieder seinem Essen. Dafür spürte er nun aber den Blick seines Vaters auf sich. „Also wirst du dich heute wieder mit Aydeen treffen?“ „Ich weiß es noch nicht. Ich habe viel für die Schule zu tun und eigentlich würde ich gern schlafen.“ Natürlich würde er sich gern mit ihr treffen, aber sicher nicht, wenn sein Vater das regelrecht arrangierte und dann von ihm erwartete, dass er sich mit Aydeen traf. Und nach den folgenden Worten wollte er das noch weniger: „Denk nur immer daran, zu verhüten, wenn du-“ „Ich habe es verstanden“, unterbrach Kieran ihn. „Und ich habe nicht ... ich bin nur eingeschlafen, weil ich todmüde war. Bist du nie eingeschlafen während deiner Rundgänge?“ „Oh, andauernd“, gab Cathan zu. „So habe ich deine Mutter kennen gelernt. Ich bin damals auf einer Parkbank eingeschlafen und-“ „Ich will nichts von ihr hören“, unterbrach Kieran ihn zum zweiten Mal. Sein Vater verstummte tatsächlich und sah ihn an, als wartete er auf eine gewisse Reaktion – nämlich jene, dass er einfach aufstehen und hinausgehen würde, was er aber nicht einmal plante. Da er blieb, wagte Cathan, ihm eine Frage zu stellen: „Meinst du nicht, du warst lange genug sauer auf sie?“ „Absolut nicht.“ Sein Vater argumentierte nicht dagegen, was deutlich dafür sprach, dass er ihn durchaus verstehen konnte, obwohl er eine andere Meinung vertrat. Glücklicherweise wollte er darüber auch nicht weitersprechen. „Gut, was auch immer du heute tun willst, sieh zu, dass du dich entspannst. Du kannst das ab und an wirklich brauchen, wenn du schon im Park einschläfst.“ „Werde ich.“ Kieran blieb seinem Wort treu und entspannte sich am Abend indem er für die anstehende Geschichtsklausur lernte. Da dieses Fach nicht im Mindesten daraus bestand, Formeln auswendig zu lernen oder Vorgänge in der Natur zu verstehen, sondern lediglich geschichtliche Ereignisse und deren Ursache und Wirkung, fand er es wirklich entspannend, dafür zu lernen. Manchmal machte er sich einen Spaß daraus, sich vorzustellen, dass an dem ein oder anderen Konflikt eigentlich ein Dämon verantwortlich war – das half ihm gleichzeitig beim Lernen, auch wenn er manchmal fürchtete, das aus Versehen tatsächlich in die Klausur zu schreiben. Er war gerade bei Napoleons Feldzug gegen Russland angekommen, als es plötzlich an der Tür klingelte. Statt sofort aufzustehen, wanderte sein Blick zur Uhr. Es war gerade kurz vor elf Uhr, was ihn nur noch weiter verwirrte. Es kam selten genug vor, dass sie Besucher bekamen, aber auch noch um diese Uhrzeit? Cathan war noch nicht zurück, aber er besaß einen eigenen Schlüssel, er müsste nicht klingeln. Außer er hat sich tatsächlich betrunken, was ich aber nicht für ihn hoffe. Es klingelte noch mehrmals, während er darüber nachdachte, dass es vielleicht nur ein Irrtum war, dann erhob er sich von seinem Stuhl und ging an die Gegensprechanlage. Er nahm den Hörer und fragte, mit einem leisen Seufzen, wer da wäre – und die Antwort überraschte ihn sehr: „Hier ist Richard. Kann ich rein?“ Wenn er um diese Zeit zu ihm kam, musste das bedeuten, dass etwas Schwerwiegendes geschehen war, also konnte er ihn nicht einfach vor der Tür stehenlassen und ließ ihn herein. Es dauerte überraschend lang, bis Richard die Treppe heraufgekommen war und als er direkt vor ihm stand, konnte Kieran auch genau sehen, woran das lag: Sein Freund schwankte ein wenig, sein Atem roch nach Alkohol, wenn auch nicht sonderlich penetrant. Hätte Kieran raten müssen, wäre sein Tipp gewesen, dass Richard etwas getrunken hatte, wenn auch nicht übermäßig viel. Er bat ihn herein und lenkte ihn dann in sein Zimmer, wo er ihn auf den Stuhl niederdrücken wollte, doch sein Freund schüttelte mit dem Kopf und erklärte, dass er lieber stehen blieb. „Ist etwas geschehen?“, fragte Kieran, da Richard keinerlei Anstalten machte, irgendetwas zu tun. Er stand einfach nur mit vor der Brust verschränkten Armen da und sah sich mit gerunzelter Stirn um, wobei er immerzu Kierans Blick auswich. Doch schließlich stieß er ein Seufzen aus. „Es ist nichts geschehen. Also zumindest nichts, wovon ich wüsste.“ Obwohl er angetrunken war, sprach er noch vollkommen normal. Wahrscheinlich wirkt sich das nur auf seine motorischen Fähigkeiten aus. Es war eine gänzlich neue Sache, die er an ihm feststellen konnte und das erfüllte ihn mit freudiger Aufregung, als hätte er gerade eine besonders großartige Entdeckung gemacht. „Ich bin auch wegen etwas ganz anderem hier.“ Aufmerksam sah Kieran ihn an, aber es schien nicht so, als würde Richard es einfach sagen können, denn er druckste immer noch herum. „Mhm ... ich habe aber eigentlich gar keine Ahnung, wie ich es sagen soll.“ „Ist es denn etwas Schlimmes?“ „Vielleicht. Es könnte einiges zwischen uns verändern – und ich glaube, es ist ohnehin der falsche Zeitpunkt, es dir zu sagen ...“ Sofort erinnerte Kieran sich an das zuvor belauschte Gespräch, in dem Bellinda Richard aufgefordert hatte, ihm etwas zu sagen. Zwar hatte er das in der Bahn verneint, aber wenn er wirklich glaubte, dass es der falsche Zeitpunkt war, konnte er das zumindest nachvollziehen. „Es kann nicht so schlimm sein“, erwiderte Kieran schließlich. „Wir sind doch Freunde, da kannst du mir alles sagen.“ Kaum hatte er das gesagt, presste er die Kiefer aufeinander, da er erwartete, dass Richard ihm vorwerfen würde, dass er das ebenfalls nicht tat, aber das blieb glücklicherweise aus. „Ja, jetzt sind wir noch Freunde“, sagte er stattdessen. „Aber wenn ich dir das gesagt habe, sind wir vielleicht keine mehr. Deswegen habe ich es so lange nicht gesagt, obwohl ich vielleicht auch deswegen nichts gesagt habe, weil ich mir gar nicht so sicher war.“ Seine wenig eloquente Art und die ganzen Wortwiederholungen, mussten ebenfalls ein Zeichen des Alkohols sein, wie Kieran glaubte – oder er war einfach nur furchtbar nervös, was er nicht im Mindesten verstehen konnte. In seinen Augen gab es keinen Grund, aufgeregt zu sein, zumindest nicht für Richard. „Sag es am besten einfach“, schlug er ihm vor. „Ich garantiere dir, dass wir danach immer noch Freunde sein werden.“ Sein Gegenüber blickte ihn prüfend an, kniff dafür sogar misstrauisch die Augen zusammen, was absolut nicht zu ihm passen wollte. Doch schließlich entspannten sich seine Gesichtszüge wieder und der altbekannte, leicht grimmige, Ausdruck kehrte zurück, zusätzlich dazu wich er auch wieder Kierans Blick aus. Er wartete geduldig und hörte schließlich, wie sein Freund seufzte. „Ich glaube, es gibt keine einfache Art, das auszudrücken.“ Was genau will er denn sagen? Diese Frage wurde ihm auch sofort beantwortet, als Richard einen Schritt auf ihn zutrat und dann die Hände auf seine Schultern legte. „Eh?“ Kieran blinzelte ihn verwirrt an, da er immer noch nicht verstand, worauf es hinauslaufen sollte. „Was ...?“ Richard, der ein wenig größer war als er, beugte sich vor und legte seine Lippen auf Kierans. Für den Bruchteil einer Sekunde musste er an seinen Kuss mit Aydeen denken, an jenes wohltuende Empfindung, die ihn in diesem Moment durchflutet hatte – und nun war da Richard, seine Lippen, nach denen er sich so lange gesehnt hatte und alle Gefühle in seinem Inneren schienen geradewegs zu explodieren und ihn mit so viel Glück wie nie zuvor zu erfüllen. Bei Aydeen war das Gefühl wie ein ruhiger Fluss gewesen, bei Richard entsprach es vielmehr einem Wildfeuer, das sein Inneres erfüllte und vollkommen einnahm. Er legte die Arme um Richard und erwiderte den Kuss, wenn auch ein wenig unbeholfen. Das schien den anderen weiter zu ermutigen, denn er nahm die Hände von seinen Schultern, um ihn ebenfalls in die Arme zu schließen. Wie lange dieser Moment anhielt, konnte er nicht sagen, aber er war viel zu schnell vorbei. Irgendwann ließ Richard wieder von ihm ab und sah ihn dann schweigend an, was Kieran genauso erwiderte. In den Augen des anderen glaubte er, ein Feuer zu sehen, das ihm absolut unbekannt war bei seinem besten Freund. Aber nach einem Moment der Stille schien ihm etwas bewusst zu werden, das ihn dazu brachte, Kieran erst einmal loszulassen und einen Schritt zurückzuweichen. Ohne das wärmende Gefühl kam es ihm plötzlich furchtbar kalt vor, aber noch viel mehr fürchtete er sich eigentlich vor dem, was nun kommen könnte. Richard neigte den Kopf ein wenig, während er ihn verwirrt musterte. „Hast du das jetzt nur rein aus dem Affekt heraus erwidert? Ich meine ... dir ist bewusst, was ich ausdrücken wollte, oder?“ „Ich denke, ich weiß, was du sagen wolltest.“ Es überraschte Kieran nicht einmal, wenn er darüber nachdachte. Eigentlich würde das sogar erklären, weswegen Richard sich in der letzten Zeit – seit er mit Aydeen zusammen war – so komisch verhielt. „Und ... was sagst du dazu?“, fragte er nervös. „Ich weiß, dass du in einer Beziehung bist und deswegen ist das eigentlich der total falsche Zeitpunkt, aber ...“ Die Röte kroch Kieran den Nacken hinauf. Er hatte sich diesen Moment so lange erträumt, wenngleich mit weniger Alkoholgeruch, aber da war auch Aydeen, für die er etwas empfand und sein Plan ... Aber allein die Erinnerung an das Feuer in Richards Augen, fachte auch die Flammen in seinem Inneren wieder an. Besonders nach diesem Ereignis könnte er nun nicht mehr so normal mit Richard agieren wie zuvor, aber er wollte sich auch nicht mehr von ihm loslösen, nein, er wollte nun erst recht in seiner Nähe sein. Am besten für immer. Kieran atmete tief durch, ehe er, ein wenig verlegen, antwortete: „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Außer, dass ich mir jetzt denke, dass ich das auch einmal hätte versuchen sollen.“ „Auch einmal?“ Er konnte es nicht direkt sagen, selbst in diesem Moment nicht, also musste er eine passende Umschreibung finden. „Vielleicht wäre ich diese Ungewissheit früher losgeworden, wenn ich dich einmal einfach so geküsst hätte.“ Im ersten Moment sah Richard ihn weiterhin nur ratlos an, dann umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel. „So ist das also. Dann hatte Bellinda tatsächlich recht.“ Kieran konnte sich gut vorstellen, dass diese das alles wirklich gewusst hatte und deswegen immer der Meinung gewesen war, dass Richard es ihm einfach sagen sollte. Nein, genau genommen war er nun überzeugt, dass auch die anderen beiden es gewusst hatten und Richard der einzig Ahnungslose gewesen war. Offenbar war er furchtbar schlecht darin, Geheimnisse zu bewahren. „Aber was ist nun mit Aydeen?“ Diese Frage ließ Kieran schaudern. Er wusste es nicht, wollte im Moment auch gar nicht darüber nachdenken, weil ihn das möglicherweise zu einer Entscheidung drängen würde, die er im Moment noch nicht treffen wollte. Zuerst müsste er darüber nachdenken und dann auch mit ihr selbst darüber sprechen und am besten auch mit seinem Vater und ... Seine Gedanken fokussierten sich wieder auf Richard, der immer noch vor ihm stand und alles andere war wie weggefegt. Er wollte jetzt nicht über all diese unangenehmen Dinge nachdenken, nicht gerade in diesem Moment, in dem sein Traum endlich wahr zu werden schien. Also schob er all das Unangenehme ganz weit fort und beschloss, in diesem Moment einfach seinem Wunsch zu folgen und Richard nun aus eigenem Antrieb zu küssen, was von diesem sofort erwidert wurde. Für den Augenblick gab es nur noch sie beide und alle Probleme würden auch an einem anderen Tag noch auf ihn warten. Oder wie sein Vater es gern ausdrückte: Er konnte das ab und an brauchen. Kapitel XII - Das ist der dümmste Rat, den ich je gehört habe. -------------------------------------------------------------- Selbst am Montag schaffte Kieran es kaum, sich selbst im Spiegel zu betrachten. Richard war kurz nach dem zweiten Kuss eingeschlafen und erst am Morgen danach mit Kopfschmerzen wieder aufgewacht. Aydeen war dabei nicht mehr als Thema aufgekommen, schon allein weil Richard sich hinausgeschlichen hatte, um dem noch immer schlafenden Cathan zu umgehen. Seitdem hatten sie nicht miteinander gesprochen und auch keine Nachrichten ausgetauscht und Montag morgen vermied Kieran es, in derselben Bahn wie Richard zu fahren. Er wollte das eigentlich notwendige Gespräch so lange wie möglich hinauszögern und in der Schule würde es garantiert nicht stattfinden, egal wie sehr sie augenscheinlich allein sein würden. Ruhe fand er dennoch keine, denn er hatte großes Pech und war direkt in Allegra und Albert hineingeraten, die ihm nun beide gegenübersaßen. Sie befand sich genau auf dem Sitz ihr gegenüber, ihr Freund saß neben ihr und war in ein Buch vertieft, aber Kieran wusste aus Erfahrung, dass er dennoch jedes einzelne Wort mitbekam und sich auch gern in Unterhaltungen einmischte, ohne seine Augen von den Seiten zu lösen. Während Allegra mit Kieran befreundet war, handelte es sich bei Albert um einen Freund von Richard. Die beiden waren seit dem Kindergarten befreundet, weswegen es niemanden gewundert hatte, dass Albert Richard auf den zweiten Bildungsweg gefolgt war – dass er allerdings mehr Interesse an einer anderen Sprache besaß und deswegen in ihrer Parallelklasse war, verwunderte durchaus. Je länger Kieran mit Richard befreundet gewesen war, desto mehr war ihm die Bindung zwischen diesem und Albert ein Dorn im Auge geworden. Als Kieran dann schließlich Allegra kennen gelernt hatte, war von ihm sofort die Chance ergriffen worden, sie Albert vorzustellen – und sein Plan war tatsächlich aufgegangen und seitdem verbrachte Richard weniger Zeit mit seinem früheren bestem Freund. Im Moment wünschte er sich allerdings, Allegra allein antreffen zu können, denn so musste er nun beiden von dem erzählen, was am Samstag geschehen war, um Hilfe zu bekommen. Albert reagierte nicht im Mindesten. Selbst das braune Haar, das ihm in die Stirn fiel, störte ihn nicht, seine dunklen Augen wanderten, hinter seinen Brillengläsern, hin und her, während er las. Allegra hatte allerdings genauestens gelauscht und sogar leise gequietscht – was ihn immer noch irritierte – und neigte nun den Kopf. „Wo ist denn jetzt genau das Problem?“ Offenbar war es im Moment doch keine gute Idee, mit ihr zu sprechen. Aber Kieran gab nicht auf und erklärte es daher direkt: „Ich habe Aydeen betrogen! Und wie soll ich Richard jetzt noch sagen, dass das zwischen uns niemals etwas werden wird?“ „Ooooh“, sagte Allegra, als wäre ihr das bei der Erzählung gar nicht aufgefallen. „Richtig, da war ja auch noch Aydeen ... mit der du nur zusammen gekommen bist, um von Richard loszukommen.“ „Das war am Anfang so. Aber inzwischen ...“ Allegra quietschte noch einmal leise, was dazu führte, dass Kieran seine Stirn runzelte. „Jetzt bist du in zwei Personen verliebt? Das ist genau wie in diesem einen Film, du weißt welchen ich meine, Albert, oder? Wir haben ihn neulich erst gesehen.“ Der Angesprochene löste sich immer noch nicht von seinem Buch, als er antwortete: „Ja, haargenau. Es fehlen nur noch Zombies und einige Waffen.“ Seine Stimme war vollkommen tonlos, aber Kieran wusste auch selbst, wie es gemeint war. Allegra schmunzelte darauf amüsiert, ehe sie sich wieder ihrem eigentlichen Gesprächspartner zuwandte: „Aber dieser Film ist vielleicht ein schlechtes Beispiel, weil einer der Nebenbuhler sterben musste.“ Er fragte sich, warum sie überhaupt damit kam, wenn es mit dem Tod einer der drei Personen geendet hatte, aber statt es laut auszusprechen, kehrte er zu seinem Problem zurück: „Jedenfalls weiß ich nicht, was ich jetzt tun soll. Wie soll ich mich zwischen einem der beiden entscheiden?“ Obwohl er überzeugt war, dass Aydeen ihm diese Entscheidung selbst abnehmen würde, wenn sie wüsste, dass es am Samstag zu Küssen und Liebesgeständnissen gekommen war. Deswegen plante er auch, ihr vorerst nichts davon zu erzählen, bevor er eben nicht wusste, wie er vorgehen sollte. „Du bist wirklich in beide verliebt, was?“ Allegra wirkte plötzlich überraschend ernst. „Und du kannst keine Pro- und Contra-Liste aufstellen, oder?“ „Was soll diese Liste denn bringen?“, erwiderte er und fuhr sich dabei durch das Haar, das er an diesem Morgen zu kämmen vergessen hatte. „Sie haben beide gleich viele Pro-Punkte!“ Das brachte Allegra tatsächlich wieder zum Schmunzeln. „Du hast wirklich eine Liste angefertigt, huh?“ „Ich habe gestern den ganzen Tag damit verbracht.“ Sie kicherte begeistert und es war, seltsamerweise, ein Laut, der bei ihr richtig niedlich klang, statt nervig und kindisch wie bei anderen Frauen in ihrem Alter. „Das ist ja so süß~.“ „Das hilft mir gerade nicht. Ich brauche einen Ratschlag, wie ich vorgehen soll.“ Allegra wurde wieder ernst und nickte. „Natürlich, natürlich. Wie mir scheint, hast du im Moment zwei Möglichkeiten: Wenn du den einfachen Weg haben willst, solltest du mit Aydeen zusammen bleiben. Als normales Paar werdet ihr sicher keinen Ärger haben und alle werden euch ganz toll finden, besonders wenn du dich bei ihr so niedlich verhältst, wie im Moment.“ Er spürte, wie seine Ohren heiß wurden, ging aber nicht darauf ein, damit sie ihn nicht weiter aufziehen würde. Sie dankte ihm das, indem sie einfach fortfuhr: „Wenn du mit Richard zusammenkommst, wird es schwerer. Gleichgeschlechtliche Paare sind immer noch nicht überall gern gesehen, dein Vater könnte das vielleicht nur ungern sehen und du und Richard neigt dazu, nicht direkt miteinander zu sprechen. Nur deswegen konnte es ja so lange dauern, bis ihr euch das endlich gegenseitig gestanden habt.“ Aber das war ja nun wirklich nichts, woran man nicht arbeiten könnte, deswegen überging Kieran dieses Argument. Das erste war allerdings durchaus ernstzunehmen. Nicht zwingend wegen ihm, aber vielleicht würde Richard das auch nach kurzer Zeit bereits bereuen, eben weil es so schwer war. Kieran wollte immerhin, dass es ihm gut ging, nicht, dass er litt. Aber Aydeen sollte auch nicht leiden. Und genau genommen hatte er das auch alles schon durchdacht ... der Sonntag war lang gewesen. Er wollte mit einem lauten Seufzen an seinen Kopf greifen, ließ es aber bleiben, um keinem der beiden das Gefühl zu geben, dass er genervt von ihnen war. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, sagte er. „Aber das bringt mich auch nicht zu einer Entscheidung.“ „Warum willst du dich überhaupt entscheiden?“, fragte Albert plötzlich, die Augen immer noch stur auf seinem Buch. „Dafür gibt es keinen Grund.“ Kieran sah zu ihm hinüber, die Stirn gerunzelt. „Soll ich etwa beide betrügen?“ Das vertrug sich nicht im Mindesten mit seiner Lebenseinstellung. Er fand es schon schlimm genug, dass er Richard die Dämonenjagd verschwieg. Das war zwar nicht zwingend Betrug, aber er wusste, dass es genug Menschen gab, die auch Verschweigen als eine Form von Lüge ansahen. Deswegen könnte er das nicht im Mindesten durchziehen. Albert hob den Blick ein wenig, nur ganz leicht, um Kieran über den Rand seiner Brillengläser hinweg tadelnd anzusehen und diesen überkam sofort das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, auch wenn er nicht glaubte, etwas falsch gemacht zu haben. Doch bevor er es wirklich tat, sah Albert zu Allegra hinüber. „Erinnerst du dich an diesen Film mit den Rettungsschwimmern und den Haien?“ Sie überlegte einen kurzen Moment, dann hellte sich ihr Gesicht schlagartig auf. „Oh ja! Mit diesen furchtbar schlechten Animationen.“ Kieran fragte sich, was das mit dem aktuellen Thema zu tun hatte, wagte aber auch nicht, sich bei ihnen einzumischen, da er die Gedankengänge der beiden nicht im Mindesten verstand. „Richtig“, sagte Albert. „Und wie ist die Dreiecksgeschichte ausgegangen?“ Allegra begann zu strahlen. „Ich weiß genau, worauf du hinauswillst.“ „Ich aber nicht“, meldete Kieran sich. Selbst wenn er sich öfter Filme ansehen würde, gehörte dieser, der Beschreibung nach, sicher nicht zu jenen, die er mögen könnte – und er sah sich nie einen Film zu Ende an, wenn dieser ihn nicht interessierte. Albert gab Allegra mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass sie antworten sollte und vertiefte sich dann wieder in sein Buch. Sie wiederum wandte sich Kieran zu: „Den ganzen Film über haben sich zwei Männer um die weibliche Hauptfigur gestritten – und am Ende wollten sie beide eine Entscheidung von ihr. Und sie sagte darauf Erwachsene sollten sich nicht um ihr Spielzeug streiten.“ Sie sah ihn so erwartungsvoll an, als müsste er nun schon lange darauf gekommen sein, was sie ihm sagen wollte. Aber er war nach wie vor ratlos und zeigte ihr das auch offen, indem er eine Augenbraue deutlich hochzog. Allegras Lächeln riss dennoch nicht ab. „Na, es ist doch offensichtlich, was Albert und ich dir sagen wollen. Du solltest den beiden eine Dreiecksbeziehung vorschlagen.“ Kieran wartete darauf, dass sie zu lachen begann und ihm sagte, dass es lediglich ein Scherz gewesen war. Aber leider tat sie das nicht und sah ihn nach wie vor begeistert an. „Das ist der dümmste Rat, den ich je gehört habe“, erwiderte Kieran schließlich, ohne jede Rücksicht auf die Gefühle der beiden zu nehmen. Tatsächlich riss Allegras Lächeln weiterhin nicht ab und auch Albert zeigte nicht im Mindesten, dass es ihn störte, derart kritisiert zu werden. Sie seufzte nur theatralisch. „Oh, komm schon. Das ist eine wunderbare Idee. Albert sagte, wenn ich die richtige Person finde, dann würde er auch einer Dreiecksbeziehung zustimmen. Warum sollte man sich denn entscheiden, wenn man auch alles haben kann?“ „Weil es unfair gegenüber den beiden ist?“, wandte er ein. „Weil nicht jeder so seltsam ist wie ihr beide?“ „Das hat nichts mit seltsam zu tun“, konterte Albert. „Monogame Beziehungen sind eine kulturelle Ansichtssache. Rein menschlich gesehen gibt es keinerlei Gründe dafür, deswegen verlieben sich die meisten Menschen ja auch in mehrere Personen, statt nur in eine.“ Kieran sah ihn wortlos an. Er wollte nicht mit diesem Mann über irgendwelche wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen, da er da nur verlieren könnte, wie er wusste. Aber eigentlich wollte er das auch nicht einfach so akzeptieren. Es konnte doch einfach nicht sein, dass dieser Vorschlag wirklich die Lösung für sein Dilemma darstellte. „Du siehst nicht überzeugt aus“, stellte Allegra fest. „Ich glaube auch nicht, dass sich einer der beiden darauf einlassen würde.“ Und selbst wenn einer der beiden es tat, dann gab es immer noch den anderen, der das möglicherweise nicht wollte – noch dazu war er auch noch nicht sonderlich angetan von diesem Vorschlag, wenn er ehrlich war. Albert hob wieder den Kopf und diesmal klappte er sogar sein Buch zu, was Kieran sofort mit einem unguten Gefühl erfüllte. Sein Blick war so hart und finster, dass sogar Allegra nur überrascht blinzeln konnte. „Seien wir doch ehrlich, Kieran“, sagte er ernst. „Egal für wen du dich entscheidest, einer von beiden wird immer leiden – und du wirst ebenfalls leiden. Findest du das etwa fair?“ Natürlich tat er das nicht, aber ihm fiel auch keine Begründung ein, die ihm helfen könnte, eine Dreiecksbeziehung auch nur in Erwägung zu ziehen. Nachdem er Albert das mitgeteilt hatte, kam dieser sofort mit einer entsprechenden Erwiderung: „Wenn ich ganz offen sein darf, Kieran, empfinde ich dich als viel zu bescheiden.“ „Bitte?“ Bislang hatte noch nie jemand seine Bescheidenheit als Kritik gegen ihn verwendet, weswegen er Albert ratlos ansah. „Du läufst hier nachts durch die Stadt, bekämpfst Dämonen und rettest regelmäßig Menschen, die du gar nicht kennst und die nicht einmal wissen, dass du existierst.“ Im Moment bereute Kieran, Albert eingeweiht zu haben, um zu erklären, woher er Allegra kannte und weswegen sie so viel mit ihm sprach. Wüsste Albert nichts davon, könnte dieser ihn nun immerhin nicht mit einer solchen Masche zu überzeugen versuchen. Er unterbrach ihn nicht und lauschte ihm stattdessen weiter: „Wenn es jemanden in dieser Stadt gibt, der alles Glück der Welt verdient hat, dann du, Kieran. Und wenn du das nur erreichst, indem du die Personen, die du liebst, darum bittest, dass sie dich teilen, dann solltest du das tun. Wenn sie dich wirklich lieben und dir vertrauen, dann werden sie dir zustimmen. Egal wie unkonventionell das ist.“ Da er Alberts Worten nicht so recht glauben konnte, sah er zu Allegra hinüber, die lächelnd nickte. „Er hat recht. Du hast sämtliches Glück verdient, das es gibt – und ich bin sicher, sowohl Richard, als auch Aydeen werden es genauso sehen.“ Kapitel XIII - Kommt überhaupt nicht in Frage! ---------------------------------------------- Selbst nach Alberts Rat, der von Allegra unterstützt worden war, konnte Kieran es nicht über sich bringen, Richard oder gar Aydeen einen solchen Vorschlag zu machen. Mehr noch, er wich beiden sogar aus, so gut er konnte, versuchte, so wenig wie möglich mit Richard zu reden – und falls es nicht anders ging, dann nur in Anwesenheit von anderen Leuten, so dass es nur unverfängliche Gesprächsthemen gab – und er ignorierte Aydeens Nachrichten erst einmal. Wenn er Glück hätte, so sagte er sich, würde sich das Problem dann ganz von allein erledigen, indem einer der beiden von der fehlenden Kommunikation genervt war. Zumindest hieß es in Filmen und Büchern nicht selten, dass man gefälligst täglich mit jenen, in die man verliebt war, zu reden habe. Was eine Sache war, die er ohnehin nie verstanden hatte, aber er wollte auch nicht wirklich lange darüber nachdenken, immerhin war das Thema noch nicht ausgestanden. Am besten konnte er solche Dinge durchdenken, während er auf Streife war, so dass er die nächsten Nächte wieder auf Dämonenjagd ging, ohne sich im Anschluss mit Aydeen zu treffen. So blieb seine Konzentration stets auf dem Thema, das gerade aktuell war – und das war immer noch, wie er sich für einen der beiden entscheiden sollte. Er fand es unmöglich, auch mit Pro- und Contra-Listen, da auf beiden sehr gute Punkte standen, die man bedenken sollte. Außerdem würden beide unglücklich werden, wenn er sie abwies, und er selbst würde ebenfalls leiden, genau wie Albert es gesagt hatte. Wobei letzteres ihm eigentlich nicht sonderlich wichtig war, er war es gewohnt, nicht unbedingt zufrieden zu sein und er bedeutete sich auch nicht unbedingt viel. Also ging es nur noch darum, wen von den beiden er glücklicher sehen wollte. Aber selbst das war keine leichte Entscheidung. Eine abrupte Bewegung lenkte seine Aufmerksamkeit auf das, was sich direkt vor ihm befand. Ein Schatten huschte hinter die nächste Ecke, was ihn dazu antrieb, diesem rasch zu folgen. Während des Laufens griff er in seine Tasche und zog zielsicher, zwischen all den Waffen, seine Pistole hervor. Besonders in den engen Gassen war es unsinnig mit einer Nahkampfwaffe zu kämpfen, obwohl er es in diesen Tagen durchaus vorgezogen hätte – einfach nur um sich von seinen Gedanken abzulenken. Während er, den Finger auf dem Abzug, dem Schatten folgte und dabei immer weiter die Gasse hinablief, spürte er, wie sein Verstand sich schärfte, sich fokussierte und dabei mehr und mehr von den finsteren Gedanken abschweifte. Am Ende der Gasse kam er in einen überraschend sauberen Hinterhof, begrenzt von zwei Häusern und einem hohen Maschendrahtzaun. Einige Mülltonnen standen ebenfalls hier, boten allerdings keinerlei Versteck, das nicht sofort einsehbar wäre. Die Türen hatten außen keine Klinken, also wäre auch niemand in die Gebäude hineingegangen. Wer auch immer hierher geflohen war, müsste also noch hier sein – und einen Atemzug später wusste er auch direkt, wo. Ein lauter Schrei lenkte seine Aufmerksamkeit auf die flachen Dächer über sich. Er sah den Umriss eines großen Dämons, der, überraschend flink, plötzlich vor ihm stand. Ein kurzer Blick auf das vernarbte Gesicht und die stechend gelben Augen, erinnerte ihn daran, dass dies der Dämon war, der auch Aydeen angegriffen hatte – und das Wesen erinnerte sich genauso an ihn. Es stieß ein furchterregendes Brüllen aus und griff dann nach Kieran. Doch dieser wich mit einem Sprung nach hinten aus, zielte mit der Pistole und schoss. Der Dämon wich flink aus, was Kieran die Stirn runzeln ließ. Beim letzten Mal war er schwerfällig und langsam gewesen, da es nun anders war, bedeutete es, dass er in der Zwischenzeit gefressen haben musste. Kieran hoffte nur, dass er und seine abgelenkten Gedanken nicht Schuld daran waren. Allerdings blieb ihm nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Er griff noch einmal in die Tasche hinein, zog ein Schwert heraus und ließ alles andere dann einfach fallen, damit er sich selbst in den Kampf stürzen konnte. Die Klinge begann in einem blauen Licht zu glühen, was ihm auch erlaubte, den Bewegungen seines Feindes besser zu sehen, dieser wich nämlich immer wieder aus und verursachte dabei kaum ein Geräusch. So konnte Kieran ihm aber problemlos folgen. Der Dämon machte keinerlei Anstalten, selbst anzugreifen, was ihn eigentlich hätte misstrauisch werden lassen müssen, aber seine Gedanken drehten sich nur darum, dass er dieses Wesen viel zu lange am Leben gelassen hatte und er seine Arbeit als Jäger endlich wieder ernst nehmen müsste. Einen entschlossenen Stichangriff von Kieran, nutzte der Dämon, um zur Seite auszuweichen und sich hinter seinen Feind zu bringen. Dieser hielt irritiert inne und starrte die Hauswände an. Eine Ecke ... dieses Ding hat mich in eine Ecke getrieben! Es war wesentlich schlauer, als es den Anschein hatte, wie Kieran, viel zu spät, feststellte. Er drehte sich um, sein Blick wanderte zu der Tasche hinüber, in der sich noch wesentlich mehr Waffen befanden, die ihm nun helfen könnten; dummerweise war sie aber zu weit weg und damit konnte er diese Möglichkeit direkt vergessen. Das Schwert half ihm aber auch nicht weiter, wie er inzwischen festgestellt hatte – besonders als der Dämon ihn mit seinen großen Pranken packte und mühelos in die Luft hob. Kieran schaffte es nicht mehr, sich auch nur ein bisschen zu bewegen, abgesehen von seinen Füßen, die ihm allerdings im Moment auch nicht weiterhalfen. Der Dämon musterte ihn eingehend, wofür er offenbar nicht einmal Licht benötigte, dann öffnete er seinen Mund – und brachte diesmal tatsächlich Worte hervor: „Du bist also der Jäger hier.“ Alles in Kierans Innerem gefror augenblicklich. Letztes Mal hatte der Dämon lediglich unmenschliche Laute ausstoßen können, aber diesmal war sogar seine Grammatik verständlich. Dabei war ihre letzte Begegnung nicht einmal so lange her. Es erschreckte ihn, wie schnell diese Wesen lernen konnten – und er wollte gar nicht wissen, was sie dann mit ihrem Wissen taten. Er antwortete nicht darauf, aber der Dämon legte wohl auch keinen Wert darauf, denn er fuhr einfach so fort: „Dann werde ich dich jetzt mit mir nehmen.“ „Wohin?“ Doch bevor das Wesen antworten konnte, konnten sie beide ein Blitzen wahrnehmen, gefolgt von einem Klicken, das Kieran nur zu genau kannte. In der Dunkelheit konnte er allerdings niemanden ausmachen, der sich dafür verantwortlich zeigte – er hoffte nur, dass es sich nicht um Aydeen handelte, warum auch immer sie hier sein sollte. Der Dämon wartete nicht lange und schleuderte Kieran gegen die Wand, der Aufprall presste ihm sämtliche Luft aus den Lungen. Panisch atmete er ein, versuchte, Sauerstoff in seinen Körper zu bekommen und die bunten Flecken vor seinen Augen zu vertreiben. Aber ihm blieb nicht viel Zeit dafür. Der Dämon ging bereits los, in jene Richtung aus der zuvor der Blitz gekommen war und egal wie schnell die andere Person rennen konnte, es wäre sicher nicht genug. Also richtete Kieran sich auf, blinzelte die Flecken so gut wie möglich ab, ignorierte die Schmerzen, die versuchten, ihn zu lähmen und lief los. Um seine geringe Größe, im Vergleich zu seinem Feind, auszugleichen, kletterte Kieran auf einen der Müllcontainer, nahm Anlauf und sprang dann auf den Rücken des Dämons. Dieser versuchte, ihn abzuschütteln, aber Kieran klammerte sich mit dem Arm so gut wie möglich an seinem Hals fest. Egal wie sehr sein Rücken schmerzte, egal wie kraftlos sich sein Arm anfühlte, er durfte nicht loslassen. Wer auch immer für dieses Foto verantwortlich war, dieser Person durfte nichts geschehen und dieser Dämon durfte nicht länger leben. Kieran fasste das Schwert neu – wobei es ihm glücklicherweise nicht aus der Hand fiel – und rammte es dem Dämon direkt durch den Kopf. Er stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus, der alsbald in einen kehligen, kraftlosen Laut überging, während dem er zu Boden stürzte. Kieran zog das Schwert wieder heraus und ging von ihm herunter. Die Wunde verheilte nicht, wie er für einen Moment erwartete, stattdessen begann sie in einem weißen Licht zu leuchten, das sich rasch auf seinen gesamten Körper ausbreitete, bis er sich in farblosen Sand auflöste. Es war nicht das erste Mal, dass Kieran das beobachtete, aber das erste Mal, dass er dabei unzufrieden war. Wohin hatte der Dämon ihn bringen wollen? Und weswegen? Es wäre interessant gewesen, das herauszufinden, aber vorerst würde das nicht mehr funktionieren. Er müsste es bei einem anderen Dämon versuchen. Leise seufzend ging er zu seiner Tasche zurück, um das Schwert wieder einzustecken. Da er überzeugt war, dass der Fotograf längst über alle Berge war, machte er sich keine Gedanken darum und kniete sich stattdessen neben seine Tasche. Auch wenn der Dämon fotografiert worden war, würde das ohnehin nichts bringen. Niemand würde glauben, dass dieses Bild echt oder nicht vielleicht einfach Teil eines Filmsets war und ihn selbst konnte man aufgrund des Winkels und seines massigen Gegners auch nicht sehen, also musste er sich darum keine Sorgen machen. Jedenfalls bis zu dem Moment, in dem er wieder Schritte hinter sich hörte. Er hielt sofort inne, hoffte, dass die Person entweder direkt weiter- oder wieder weggehen oder ihn einfach nicht erkennen würde. Vielleicht war es ja nicht dieselbe Person wie der Fotograf, sondern nur ein zufällig vorbeikommender Passant – aber im nächsten Moment zersprang seine Hoffnung, als er die Stimme der anderen Person hörte: „Kieran?“ „So ist das also.“ Wenig später saßen Kieran und Faren gemeinsam auf der Rückenlehne einer Bank an einer in der Nähe gelegenen Bushaltestelle. Da hier nachts kein Bus fuhr, waren sie vollkommen allein und so war es Kieran möglich gewesen, dem anderen in Kurzform zu erzählen, was er nachts tat, während er an einer Dose Limonade nippte. Faren hatte sich für Bier entschieden, aber so wie er trank, schätzte Kieran, dass die Dose schon vollkommen leer war und er sie nur noch an seine Lippen setzte, weil er damit irgendetwas zu tun hatte. Sein Blick war auf jeden Fall auf eine Straßenlaterne auf der anderen Seite gerichtet. „Ja, so ist das“, sagte Kieran vollkommen emotionslos. Innerlich ärgerte er sich darüber, dass er ausgerechnet von Faren erwischt worden war. Jeder andere wäre ihm lieber gewesen, sogar Joshua und Richard, aber nicht Faren Ich-liebe-es-zu-schwatzen Griffin, der dafür sorgen würde, dass die ganze Stadt noch vor dem Sonnenaufgang sein Geheimnis kannte. „Und ich dachte wirklich, du bist ein Escortler oder würdest noch schlimmere Sachen machen.“ Faren schmunzelte und fuhr ein wenig spöttisch fort, was seinen Worten direkt die Glaubwürdigkeit nahm: „Ich meine, ich kenne mich ja so ziemlich am besten damit aus, in was für finstere Abgründe man rutschen kann.“ Kieran ging nicht weiter auf den letzten Satz ein. „Hast du mich deswegen verfolgt?“ „Es hat eine Weile gedauert, bis ich herausgefunden habe, wo du immer deine Tasche holst, aber ich hab zum Glück meine Kontakte, die mir Auskunft geben konnten, nachdem sie ein Bild von dir gesehen hatten.“ Er wollte gar nicht wissen, was für Leute Faren wohl meinen könnte. „Herzlichen Glückwunsch.“ Für einen Moment schwiegen sie beide wieder, was nicht unüblich war, wenn sie sich allein miteinander unterhalten mussten. Kieran wusste nie so genau, was er eigentlich sagen sollte und Faren schien kein größeres Interesse an ihm zu besitzen. Doch plötzlich schien doch welches in ihm erwacht zu sein, denn er brach mit einer Frage heraus: „So, wer weiß denn eigentlich alles davon?“ „Nur mein Vater, Aydeen, Allegra und Albert.“ Faren grinste. „Dann bin ich jetzt, abgesehen von deinem Vater, der einzige, der es weiß und dessen Namen nicht mit A beginnt.“ „Tolle Leistung“, knurrte Kieran, war dabei aber eigentlich wütend auf sich selbst. „Komm schon.“ Faren klopfte ihm gut gelaunt auf die Schulter. „Wir könnten ja ein Team sein. Ich meine, hab ich dir heute nicht das Leben gerettet oder was? Jeder Superheld braucht doch einen Assistenten.“ Kieran stutzte für einen Moment, als er das Wort Superheld in Verbindung mit sich selbst hörte, schüttelte dann aber rasch den Kopf. „Nein! Vergiss es! Kommt überhaupt nicht in Frage! Das ist kein Spiel! Es ist gefährlich, verstehst du das denn nicht?!“ Faren zuckte ein wenig zurück und hob beruhigend die Hand. „Schon gut. Kein Grund, mich gleich so anzuschreien. Auch wenn mir das ziemlich gefällt.“ „Bitte?“, fragte Kieran mit gerunzelter Stirn. „Du bist immer so emotions- so leidenschaftslos, aber wenn du kämpfst oder über diese Sache redest, bist du ganz anders. Das gefällt mir. Wenn du bei Richard auch so wärst, hätte das viel früher was zwischen euch werden können.“ In einem ersten Impuls wollte er das Gespräch wieder auf die Dämonenjagd lenken, weil ihm das wesentlich besser erschien, aber er verzichtete darauf und ging stattdessen lieber auf dieses Thema ein: „Sag mir mal ehrlich, wie deutlich war es eigentlich?“ Farens Gesicht begann regelrecht zu leuchten, er breitete die Arme aus. „So deutlich, dass Bell und ich schon dachten, ihr beiden spielt uns das nur vor, um euch über uns lustig zu machen! Wir dachten ja nicht, dass ihr wirklich nur zu viel Angst habt, euch gegenseitig eure Gefühle zu gestehen.“ Kieran wollte sich dafür schlagen, als er das hörte. Wenn es ihm nur früher aufgefallen oder er mutiger gewesen wäre, hätte er sich einige Probleme einfach ersparen können. Aber im Grunde war es nun bereits zu spät dafür, die Sache war bereits vorbei und er befand sich mitten im Schlamassel. „Hast du denn eigentlich schon eine Entscheidung getroffen, was du nun tun willst?“, fragte Faren ernst. „Richard meinte, ihr hattet noch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen.“ „Er redet mit dir über so etwas?“ Mit stolzer Inbrunst zeigte Faren mit dem Daumen auf sich. „Natürlich tut er das. Er weiß, dass er immer auf mich zählen kann, wenn er Probleme hat.“ Das war Kieran bislang vollkommen unbekannt gewesen, weswegen er den anderen für einen Moment einfach nur anstarren konnte. Doch dann riss er sich selbst wieder aus dieser Phase heraus und seufzte. „Verstehe. Ich weiß aber nicht, was ich tun soll. Mir liegt an beiden etwas, sowohl an Richard als auch an Aydeen. Ich würde sie beide vermissen und ich will nicht, dass einer von ihnen nur wegen mir leidet.“ „Ich denke nicht, dass du das einfach so sagst, oder?“ Kieran schüttelte mit dem Kopf. In seiner ganzen Jugendzeit war er von Liebe verschont geblieben, selbst seine Gefühle für Richard waren erst relativ spät erwacht und deswegen wunderte es ihn nach wie vor, dass er sich dann auch noch in Aydeen verliebt hatte. Aber es passte auch zu seinem Leben: Dauernd musste alles komplizierter werden, als es sein müsste. „Albert und Allegra haben mir geraten, den beiden eine Beziehung zu dritt vorzuschlagen“, sagte er und wartete darauf, dass Faren genauso empört reagierte, wie er selbst. Aber er blieb wesentlich ruhiger und runzelte lediglich die Stirn. „Seltsamer Vorschlag. Aber nicht dein Ding, was?“ „Ich glaube kaum, dass die anderen beiden damit einverstanden wären.“ „Ist das dein einziges Problem daran?“ Ohne zu wissen, worauf Faren hinauswollte, nickte er einfach und zu seinem Glück ging der andere dann auch nicht weiter darauf ein. Sonst wäre ihm aufgefallen, dass Kieran noch gar nicht großartig über seine Position nachgedacht hatte und deswegen nicht beantworten könnte, ob er einer solchen Beziehung auch zustimmen würde. Als Faren noch einen Schluck nehmen wollte, bemerkte er endlich, dass die Dose leer war und stand seufzend auf. „Na ja, ich glaube, wir sollten langsam heimgehen. Morgen ist immerhin wieder Schule angesagt.“ Kieran erhob sich ebenfalls, sah Faren dann aber noch einmal eindringlich an, als er ihm gegenüberstand – auch wenn er befürchtete, dass sein Blick weniger Wirkung besaß, als er sollte, da er einige Zentimeter kleiner war, als sein Gegenüber. „Und du erzählst niemandem was, klar? Diese Sache muss geheim bleiben!“ Faren schmunzelte amüsiert und hob zwei Finger seiner rechten Hand. „Ich schwöre es hoch und heilig, ich werde niemandem etwas davon verraten, ich werde nicht einmal darüber twittern.“ Da er wusste, wie wichtig ihm dieses Hobby war, musste Kieran unwillkürlich lächeln, als er das sogar extra ausschloss. Aber es erlosch sofort, als Faren wieder eine Frage stellte: „Und ich kann wirklich nicht dein Assistent sein? Wir wären wie Batman und Robin!“ „Nein!“, erwiderte Kieran kurzangebunden, aber voller Nachdruck. Dieser kam auch bei Faren an, der amüsiert lachte. „Du kannst mir nicht verübeln, dass ich es versucht habe, oder? Aber ernsthaft, falls irgendetwas sein sollte, kannst du mit mir darüber reden. Ich habe ein paar Kontakte und kann vielleicht helfen. Und falls nicht, dann kann ich dir zumindest zuhören und dir vielleicht einen Ratschlag geben.“ Das glaubte Kieran zwar nicht, aber es rührte ihn, dass Faren ihm das anbot und dabei sogar ein ehrliches Lächeln zur Schau bot. Gerade von diesem hätte er das nie erwartet, weswegen er sich Mühe geben musste, tonlos zu klingen, als er sich bedankte. Aber Faren schien ihn dennoch vollkommen verstanden zu haben. Er hob einen Daumen und zwinkerte Kieran zu. „He, wozu sind Freunde denn da?“ Kapitel XIV - Könnt ihr mir nicht einfach sagen, was ihr sagen wollt? --------------------------------------------------------------------- Kieran hatte nie viel von Faren gehalten und er war trotz des Versprechens überzeugt gewesen, dass der andere bei der ersten Gelegenheit alles ausplaudern würde. Deswegen war er sehr überrascht, als er am Tag danach in die Schule kam und ihn alle, einschließlich Faren vollkommen normal behandelten. Lediglich Richard schien in seiner Gegenwart ein wenig wortkarger als sonst, was aber vermutlich niemandem außer ihm auffiel. Alles in allem gab es keine großartigen Überraschungen in den nächsten zwei Tagen und auch Aydeen meldete sich erst einmal nicht bei ihm, weswegen er bereits annahm, dass sie die Beziehung zwischen ihnen beiden abgehakt hatte und er nur noch auf eine Nachricht diesbezüglich von ihr warten musste. Deswegen verwunderte es ihn nicht weiter, als er am Donnerstag eine Mail bekam, in der sie ihn darum bat, ihn nach seiner Streife in der Nacht wieder im Park zu treffen. Sie fügte, wenngleich es sich nicht sonderlich überzeugend las, hinzu, dass sie ein Nein nicht gelten lassen würde. Also konnte er nicht ablehnen und stimmte stattdessen zu. Seine Streife verlief wesentlich ruhiger, als sonst. Es schien ihm fast als wären die Dämonen nun auf der Hut, seit er diesen anderen in der Montag Nacht getötet hatte. Ihm konnte das nur recht sein, deswegen hinterfragte er das gar nicht erst weiter, sondern machte sich um zwei Uhr auf den Weg in den Park, um Aydeen dort zu treffen – und ihr endlich zu gestehen, dass er Richard geküsst hatte. Vielleicht könnte sie ihm weiterhelfen, ihn zu einer Entscheidung bringen, egal für wen der beiden. Aber als er sich dem Kirschbaum näherte, unter dem sie sich immer trafen, hielt er inne und starrte auf die Personen, die, gegen den Stamm gelehnt, dasaßen und sich leise miteinander unterhielten, so einträchtig, als bräuchten sie ihn gar nicht mehr in ihrer Mitte. Er verspürte den Wunsch, fortzulaufen, so weit weg wie möglich am besten, damit er sich vor diesem Anblick und dem drohenden Gespräch in Sicherheit bringen könnte. Doch seine Füße strebten in die entgegengesetzte Richtung, weil sein Körper, wie er glaubte, wesentlich vernünftiger war als sein Verstand. Als er näherkam, hielten Richard und Aydeen in ihrer Unterhaltung inne und sahen ihn an; sie lächelte, er blickte so neutral wie eh und je. Kieran wollte einerseits zurücklächeln, andererseits aber lieber nichts tun – und zu seinem Glück wurde ihm diese Entscheidung abgenommen, als Aydeen ihn aufforderte, sich zu ihnen zu setzen. Vollkommen willenlos, wie ihm selbst schien, setzte er sich zwischen die beiden, so wie sie es offenbar wünschten und blickte nervös hin und her. „Also ... was wollt ihr von mir?“ Er war davon überzeugt, dass sie ihm nun verkündeten, keine Beziehung mehr mit ihm haben zu wollen, weil er sich nicht entscheiden konnte und weil er nichts von seinen Küssen mit Richard erzählt hatte. Vielleicht hatten die beiden sogar festgestellt, dass sie äußerst gut miteinander harmonierten und sie deswegen eine Beziehung versuchen wollten, aus der sie Kieran allerdings komplett ausschlossen. Das sollte er von seinen Betrügereien und seiner fehlenden Entscheidungskraft haben! Ein zärtliches Tippen gegen seine Stirn, holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. „Denk nicht so viel nach“, riet Aydeen ihm und senkte die Hand wieder. „Du denkst wieder nur schlimme Sachen.“ Kieran warf einen hilflosen Blick zu Richard, der darüber allerdings nur schmunzeln konnte. „Sie hat recht. Hör dir doch erst einmal an, was wir zu sagen haben.“ Er gab den beiden zu verstehen, dass er zuhören würde und wartete. Sie tauschten einen Blick miteinander, dann begann Richard zu erzählen: „Albert und Faren haben mir erzählt, wie schwer die ganze Situation für dich ist.“ Innerlich verfluchte Kieran die beiden, aber er hörte weiter zu und hoffte, dass es nicht so schlimm war, wie er im Moment dachte. „Das hat mir zu denken gegeben“, fuhr Richard fort, „aber sie meinten auch beide, dass ich einfach mal mit Aydeen darüber reden sollte.“ Sie nickte sofort. „Ich war sehr überrascht, als er gestern vor dem Laden stand, um mit mir über dich zu sprechen. Vor allem war ich aber erschrocken, dass ihr es endlich geschafft habt, euch über eure Gefühle klar zu werden.“ Sie lachte leise. Kieran bereitete sich bereits vor, die Arme um sie zu schlingen, damit sie nicht einfach fortgehen würde, weil sie glaubte, dass er nun mit Richard zufrieden sein könnte. Aber anscheinend musste er das auch nicht, denn sie fuhr fort: „Er sagte mir dann auch, dass du dich verpflichtet fühlst, dich für einen von uns zu entscheiden und du keinen von uns bei der Entscheidung verletzen willst.“ „Aber so ist es doch auch“, bekundete Kieran sofort. „Ich kann mich doch nicht einfach für einen von euch entscheiden und den anderen dann unglücklich sein lassen. Ja, natürlich werdet ihr irgendwann darüber hinwegkommen, aber in der ersten Zeit ...“ Diesmal war es Richard, der ihm gegen die Stirn tippte, wesentlich weniger zärtlich als Aydeen zuvor. „Wir wissen es. Am selben Abend haben wir beide noch mit Albert, Allegra, Faren und Bell gesprochen.“ Kieran versuchte, sich vorzustellen, wie sie alle zusammensaßen, über ihn redeten und dabei eigentlich nur darüber sprachen, was für eine arme Person er war und dass er doch alles Glück der Welt verdient hätte und ... Es war ihm nicht möglich, diesen Gedanken zu beenden, da er gleichzeitig das Bedürfnis verspürte, sich zu übergeben und in Tränen auszubrechen. Beides Dinge, die er nie tat, weswegen er gar nicht erst weiter darüber nachdenken wollte. Fast schon wünschte er sich, irgendjemand hätte verraten, dass er Dämonen jagte, damit man ihn nicht mehr als jemanden betrachtete, den man mit Samthandschuhen anfassen und in Watte packen müsste, selbst wenn er das manchmal wünschte. Aber natürlich war das nicht geschehen. Um zu verhindern, dass einer der beiden in seinem Gesicht lesen konnte, verbarg er dieses in seinen Händen. „Könnt ihr mir nicht einfach sagen, was ihr sagen wollt?“ Lieber war es ihm, sie würden kurz und schmerzlos machen, was sie tun mussten, statt ihn so lange in einer Situation zu lassen, die ihn unwillkürlich an Schrödingers Katze erinnerte und ihm langsam wirklich auf das Gemüt schlug. Er glaubte zu spüren, wie Richard und Aydeen sich wieder einen Blick zuwarfen, dann übernahm erneut sie das Wort: „Albert und Faren gaben uns den Rat, es mit einer Dreiecksbeziehung zu versuchen. Wir waren am Anfang beide nicht sehr angetan davon ...“ „Aber wir haben uns gestern sehr lange und ausführlich darüber unterhalten“, fuhr Richard fort. „Wir sind nicht soweit zu sagen, dass wir mit dem jeweils anderen eine Beziehung führen wollen, aber wir wollen beide mit dir zusammen sein und wir denken, dass du es verdient hast, dich nicht entscheiden zu müssen.“ Zumindest würden sie ihn nicht für den jeweils anderen verlassen, das beruhigte Kieran ein wenig, weswegen er die Hände ein wenig runternahm, um die anderen beiden zumindest über seine Finger hinweg ansehen zu können. „Was?“ „Du hast es so schwer in deinem Leben“, erklärte Richard. „Du kümmerst dich um deinen verletzten Vater, gehst zur Schule und arbeitest nachts anscheinend sogar, ohne es uns zu sagen.“ Kieran fragte sich, wie er plötzlich auf diese Idee kam, konnte sich aber vorstellen, dass Faren das als Notlüge gebraucht hatte, um erklären zu können, wieso sie sich mitten in der Nacht über den Weg gelaufen waren. Zumindest schien sein Freund ihm das nicht nachzutragen. Aydeen gab ein zustimmendes Geräusch von sich. „Richtig. Außerdem hat deine Mutter dich verlassen, als du noch ein kleines Kind warst und du hast seitdem nichts mehr von ihr gehört ...“ Sie griff sich an die Brust und sah tatsächlich verletzt darüber aus. Kieran warf Richard einen finsteren Blick zu, er musste ihr das verraten haben, aber sein Freund wehrte das mit einem Schulterzucken ab. „Du hast ein wirklich schweres Leben hinter dir und keiner von uns will es dir noch schwerer machen“, sagte Aydeen. „Wir sind aber beide auch nicht bereit, auf dich zu verzichten, nur damit du mit einem von uns glücklich werden kannst“, ergänzte Richard. Egal, wie oft sie es weiter erklärten, Kieran weigerte sich einfach, das zu verstehen. Für einen Moment ging er sogar davon aus, dass er das alles nur träumte oder dass ein Dämon ihn in eine Illusion versetzt hatte. Vielleicht war er Montag Nacht auch gar nicht Faren begegnet, weil der Dämon bei der Entführung erfolgreich gewesen und alles danach war nur ein Teil seiner Einbildung, seines Unterbewusstseins, das eigentlich nur glücklich sein wollte. Dieser Gedanke war es schließlich, der ihn endlich an das glauben ließ, was die anderen beiden sagten. „Dann wollt ihr das wirklich? Seid ihr sicher?“ Als beide nickten, ließ er die Hände wieder sinken. „Gut, wenn ihr das unbedingt wirklich wollt, dann werde ich sicher nicht dagegen sein.“ Während Aydeen lachte, konnte er hören, wie Richard ihr „Ich hab es dir doch gesagt“ zuflüsterte. Kieran warf ihm einen fragenden Blick zu, worauf er sogar eine Antwort bekam: „Ich sagte ihr, dass man dich manchmal zu deinem Glück zwingen muss.“ „Ich habe das nie angezweifelt“, ergänzte Aydeen lächelnd. „Nach dem, was du mir erzählt hattest, war mir das auch schon klar.“ „Wenn ihr weiter über mich redet, überlege ich es mir vielleicht noch einmal“, brummte Kieran. Darauf fand er sich plötzlich in einer Umarmung zwischen den beiden wieder, was ihm einen verwirrten Blick entlockte. „Wir werden noch ganz oft über dich reden“, sagte Aydeen. Richard gab ein zustimmendes Geräusch von sich. „Aber nur zu deinem Vorteil, versprochen.“ So ganz konnte Kieran immer noch nicht glauben, was gerade geschehen war. Ein kleiner Teil in seinem Inneren glaubte immer noch, dass er das alles eigentlich nur träumte – aber der größere, vernünftigere Teil, versicherte ihm immer wieder, dass alles wirklich geschah, dass Alberts Rat, den er so lächerlich fand, gerade wirklich zu einem guten Ende geführt hatte. Mit einem leisen, zufriedenen Seufzen, beschloss er, die neue Situation einfach zu genießen solange sie anhielt. Also entspannte er sich in dieser Umarmung und lehnte sich einfach gegen die Arme der beiden. Noch vor einer Woche hatte er sich gewünscht, dass sie alle drei unter diesem Kirschbaum sitzen könnten und nun war es wirklich geschehen. Noch konnte er sein Glück nicht so wirklich fassen, aber er wusste, dass, wenn er wieder aufwachte und sie immer noch da waren, das eine Bestätigung dafür war, dass auch er verdient hatte, glücklich zu sein, egal wie sehr sein bisheriges Leben ihm das Gegenteil beweisen wollte. Also schloss er die Augen und ließ sich in einen tiefen Schlaf sinken, in dem er nun nicht mehr davon träumen musste, glücklich zu sein, da er es in der Realität endlich war. Epilog: Epilog - Ja, das ist ganz sicher mein Happily ever after. ----------------------------------------------------------------- Eine Beziehung zu dritt war gar nicht so einfach, wie Kieran herausfand. Nicht unbedingt, weil es in der Beziehung selbst zu Spannungen kam, sie waren sogar allesamt sehr harmonisch, sondern weil das Umfeld darüber deutlich irritiert war – abgesehen von ihrem Freundeskreis, dem es immerhin schon im Vorfeld bekannt gewesen war. Cathan reagierte darauf lediglich mit hochgezogenen Augenbrauen und kommentierte es nicht weiter, aber Kieran war überzeugt, dass er einfach nur warten wollte, bis die Situation wieder vorbei war, nur um dann „Dachte ich es mir doch“ sagen zu können. Das interessierte Kieran aber nicht weiter, er lebte sein Leben wie gewohnt – und war auch mehr damit beschäftigt, Faren davon zu überzeugen, dass er keinen Assistenten benötigte. „Aber wir könnten wie Edgeworth und Kay Faraday sein!“, ereiferte Faren sich in dieser Nacht mal wieder, während er Kieran eine Dose mit Limonade reichte. „Ich weiß nicht einmal, wer die beiden eigentlich sind. Und es interessiert mich auch nicht.“ Damit schnitt er direkt den Erklärungsversuch des anderen ab und setzte seinen Weg fort. Aber Faren folgte ihm direkt und öffnete seine eigene Dose. „Ich wüsste auch gar nicht, was du tun solltest“, fuhr Kieran fort. „Du kannst nicht kämpfen und ich bin kein guter Lehrer, ich könnte es dir nicht mal beibringen.“ „Ich will auch nicht kämpfen, ich will dich nur unterstützen, indem ich dir Sachen bringe, wie zum Beispiel was zu trinken oder ...“ Faren hielt inne und blickte auf die Dose, aus der Kieran gerade trank, dann schmunzelte er zufrieden. Der andere seufzte leise. „Gratuliere, du bist mein Assistent.“ Faren triumphierte mit einer Pumpbewegung seines rechten Arms, dann sah er Kieran zufrieden an. „Dann ist das jetzt wohl dein Happily ever after, huh?“ Er legte den Kopf in den Nacken und sah an den Himmel. In diesem Teil der Stadt konnte man keine Sterne sehen, aber das brauchte er im Moment auch gar nicht. Auch ohne diese Gestirne wusste er genau, dass alles gut war und er es gerade gar nicht perfekter haben wollen könnte. Also lächelte er äußerst zufrieden, was ein so seltener Anblick war, dass Faren ihn überrascht anstarrte. Es hielt nur den Bruchteil einer Sekunde an, dann klopfte er Kieran auf den Rücken. „Na bitte! Ich sag ja, so gefällst du mir schon besser.“ Bislang hätte er nie angenommen, dass eine derartige Aussage von Faren ihn so glücklich stimmen könnte, aber in diesem Moment war es nur ein weiteres Puzzleteil zu seinem perfekten Ende. Also nickte er zustimmend. „Ja, das ist ganz sicher mein Happily ever after.“ Vergessen waren all die Dämonen, die er jagen musste, dass er die Jagd genoss und auch, dass diese Wesen ihn eigentlich entführen wollten. Alles Negative war in diesem Augenblick, in dieser Sekunde vergessen, weit fort von ihm – und er hoffte, dass es niemals wieder zurückkommen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)