Brightest Light von Flordelis (Miracle) ================================================================================ Kapitel X - Ich fühle mich nicht sonderlich spannend. ----------------------------------------------------- Eine Sache, die er an seiner Beziehung mit Aydeen mochte, war die Tatsache, dass sie es schaffte, ihren Terminplan problemlos mit seinem abzugleichen. So auch in jener Mittwochnacht, in der sie bereits seit anderthalb Wochen ein Paar waren. Kieran verstaute seine Pistole wieder in der Umhängetasche, während er sich in Richtung des Treffpunktes bewegte. Dabei warf er weniger Blicke umher, als früher. Er fühlte sich nicht mehr dauernd verfolgt, nachdem er einen Dämon getötet hatte, glaubte nicht mehr, in jedem Schatten eine Bedrohung wahrnehmen zu können. Wenn er so darüber nachdachte, war das vielleicht auch ein Grund, weswegen sein Vater sich ein normales Leben für ihn wünschte. Nun, jetzt bekommt er das ja. Wie schon die drei Male zuvor trafen Kieran und Aydeen sich in einem kleinen Park. Es gab mehrere davon in Cherrygrove, einen großen und etwa drei kleinere, wenn er sich nicht täuschte, aber da die anderen drei stets von Menschen beherbergt wurden, selbst in der Nacht, trafen sie sich im vierten, der meistens verlassen war – nicht zuletzt deswegen, weil es Gerüchte gab, dass sich in diesem Park der Geist eines Jungen aufhielt, der einst dort in einem Brunnen gestorben war. Kieran glaubte nicht daran, denn so oft er nun schon hier gewesen war, ihm war niemals irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen. Aydeen saß unter einem der zahlreichen Kirschbäume, den Kopf in den Nacken gelegt, um entweder die rosafarbenen Blüten oder den Himmel zu betrachten. Mehrere Schritte von ihr entfernt, blieb Kieran noch einmal stehen, um sie zu betrachten. Im einfallenden Licht der Himmelsgestirne erinnerte ihr Anblick ihn an seine erste Begegnung mit ihm. Er musste unwillkürlich daran denken, dass er in jener Nacht, die noch gar nicht so lange her war, nie geglaubt hätte, dass sie ihm einmal so viel bedeuten könnte. Aber hier und jetzt erschien sie ihm wie ein hilfreicher Rettungsanker, der verhindern würde, dass er versank. Da sie nach wie vor weiter nach oben starrte und ihn gar nicht wahrnahm, hob er ebenfalls den Kopf, um selbst nach oben zu sehen. In diesem Park gab es keinerlei künstliche Beleuchtung, was wohl noch ein Grund für die ausbleibenden Besucher bei Nacht war, so dass tatsächlich unzählige, hell leuchtende Sterne zu sehen waren, so deutlich und so nah, als müsste man nur die Hand ausstrecken, um nach ihnen greifen zu können. Aber gleichzeitig waren sie so zahlreich, dass man den Eindruck bekommen könnte, dass die Hand einfach in einem Meer verschwinden würde, ohne etwas zu ergreifen. „Es ist schön, oder?“ Aydeens Stimme holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück, er senkte den Kopf, um sie anzusehen – aber ihr eigener Blick war immer noch auf die Sterne gerichtet. Ohne jede weitere Aufforderung setzte er sich dann neben sie, sah aber zu Boden. So leise wie möglich stellte er die Tasche auf seiner anderen Seite ab und lehnte sich dann erst erleichtert mit dem Rücken gegen den Baumstamm. „War es eine anstrengende Nacht?“, fragte sie. „Nicht wirklich.“ In knappen Worten erzählte er ihr davon, dass ihm nur niedere Dämonen begegnet waren, die sich relativ einfach besiegen ließen. Größere und gefährlichere Wesen gab es nur selten, er war überzeugt, dass sie sich woanders aufhielten, weil Cherrygrove ihnen nicht ertragsreich erschien oder weil ihnen die Feinde zu stark waren. Wenn er dringend eine Aufmunterung für sein Selbstbewusstsein benötigte, dann holte er das zweite Argument hervor. Aber das brauchte er nur selten. Schließlich senkte Aydeen den Blick wieder, um zur Tasche hinüberzusehen. „Ist es nicht auffällig, wenn du damit herumläufst?“ „Bislang hatte ich noch keinen Ärger.“ Fragende Blicke waren eher selten und es hatte auch noch niemand die Polizei wegen ihm gerufen. Cathan war das auch noch nie geschehen. Meistens ging Kieran davon aus, dass die Leute sich einfach nur aus der Angelegenheit fremder Menschen heraushalten wollten – aber viel wahrscheinlicher war eher, dass keiner ihm etwas Schlimmes zutraute. Und damit konnte er eigentlich gut leben. „Du sagtest einmal, du wolltest eigentlich nicht jagen gehen, warum bist du dann jetzt überhaupt als Jäger unterwegs?“ „Was sollen diese ganzen Fragen?“ Bei den letzten drei Treffen schien es sie nicht im Mindesten zu interessieren, weswegen es ihn ein wenig irritierte, dass sie nun damit anfing. Aber ihre Erklärung fand er überraschend verständlich: „Du redest so gut wie nie über dich. Ich habe darauf gewartet, dass du es noch tun wirst, aber da nichts kam, habe ich beschlossen, dich einfach auszufragen.“ „Na ja, ich fühle mich nicht sonderlich spannend“, erwiderte er. „Für mich bist du es.“ In diesem Moment war er froh, dass sie nicht sehen könnte, wie sein Gesicht sich erhitzte. Damit sie erst gar nicht bemerkte, wie verlegen sie ihn machte, räusperte er sich hastig. „Nun, wenn du es unbedingt wissen willst ... mein Vater hatte eigentlich akzeptiert, dass ich kein Jäger werden will und sogar meine Ausbildung abgebrochen.“ Allerdings erinnerte er sich nur noch ungern an jene Tage und Wochen. Cathan war stets schlecht gelaunt gewesen, aber nicht in der Art, in der er Kieran für alles mögliche zurechtgewiesen hatte, nein, sein Sohn war stets von ihm ignoriert worden. Er hatte es vermieden, mit Kieran im selben Raum zu sein, ihn nicht einmal mit einem Blick bedacht, falls es sich nicht vermeiden ließ, aber vor allem war nie eine Reaktion von Cathan gekommen, wenn er angesprochen worden war. Aydeen griff sich an die Brust, als würde es sie ebenfalls schmerzen, unterbrach ihn aber nicht im Mindesten, was er ihr hoch anrechnete. „Vor fast einem Jahr kämpfte er dann gegen einen Dämon, dessen letzter Angriff darin bestand, sich selbst in die Luft zu sprengen. Mein Vater wurde dabei schwer verletzt, für eine Weile konnte er nicht einmal mehr allein atmen und die Ärzte empfanden es als ein Wunder, dass er überlebt hatte.“ Für Kieran war es allerdings keines. Er war überzeugt, dass die Kräfte, die mit dem Jäger-Dasein einhergingen, seinen Vater vor dem sicheren Tod bewahrt hatten und auch seine Heilung beschleunigten, die von keinem seiner Ärzte verstanden wurde. Dennoch erinnerte er sich nur mit Schrecken an das eiskalte Gefühl der Hilflosigkeit, als er auf der Intensivstation durch die Scheibe geblickt hatte. Manchmal sah er den leblosen Körper seines Vaters, angeschlossen an zahlreiche Maschinen, immer noch in seinen Albträumen, was nur dazu beitrug, dass er schlecht schlief. Es war die schlimmste Erinnerung seines Lebens. Kein anderer Anblick, kein Dämon, hatte das bislang übertreffen können – und eigentlich wollte er auch niemals etwas sehen, das schlimmer war. „Ohne jeden Jäger in Cherrygrove war ich besorgt, dass den Stadtbewohnern oder Richard etwas geschehen könnte, falls ich die Dämonen einfach frei herumlaufen lasse. Also habe ich beschlossen, diese Stelle zu übernehmen.“ Aydeen sah ihn mitleidig an und griff nach seiner Hand. Sofort spürte er diese angenehme Wärme, die er in ihrer Gegenwart so sehr liebte und nach der er inzwischen regelrecht süchtig geworden war. „Man hat dich in deinem Leben wirklich schon in viele Dinge hineingezwungen, oder?“ Er blickte sie an und fragte sich, ob sie diese Beziehung ebenfalls als Teil ihrer Frage sah. Aber in ihrem Blick war davon absolut nichts zu sehen und sie ergänzte die Aussage auch nicht weiter. „Na ja, schon ... aber eigentlich stört es mich nicht weiter.“ Er hatte ihr immerhin bereits gesagt, dass er die Dämonenjagd liebte – so sehr ihn das auch beunruhigte – und dass auch die Freundschaft mit Richard ihn nicht weiter störte. Zumindest war das bislang so gewesen. Aydeen ließ seine Hand nicht los, sondern hakte ihre Finger zwischen seine. Offenbar störte sie das Gespräch plötzlich, denn sie wechselte das Thema – zu einem, das ihm nicht sonderlich gut gefiel: „Darf ich dich etwas Persönliches fragen? Warum liebst du Richard eigentlich?“ „Warum ist das wichtig?“ Er wollte zurückweichen, seine Hand aber auch nicht von ihrer lösen, weswegen er sich darauf beschränkte, seine Stirn zu runzeln, während er sie das fragte. „Als wir uns letzte Woche im Café getroffen haben, sollte ich dir helfen, von ihm loszukommen – aber seitdem hast du mir nichts mehr von ihm erzählt und ich bin einfach neugierig.“ Für einen Moment überlegte er, sie zu fragen, ob sie vielleicht von Richard oder einem seiner Freunde angesprochen worden war und sie deswegen plötzlich so wissbegierig war – aber falls dem nicht so war, wollte er verhindern, dass sie überhaupt davon erfuhr, dass sie im Internet derart beobachtet wurde. Allerdings fiel es ihm schwer, in Worte zu fassen, was er bei Richard empfand, er könnte nicht einmal sagen, wann genau es begonnen hatte. Der innere Frieden von dem er immer erfüllt wurde, wenn sie zusammen waren und die Tatsache, dass sie sich auf derselben Wellenlänge befanden und selbst schweigend miteinander kommunizieren konnten, waren auf jeden Fall Gründe dafür, dass er sich in ihn verliebt hatte. Allein an ihn zu denken löste ein ganzes Farbspektrum in seinem Inneren aus, das ihn mit so viel Glück erfüllte, dass er unwillkürlich lächeln musste. Während er noch immer nach Worten suchte, neigte sie bereits den Kopf. „Schon gut, ich denke, ich habe meine Antwort gefunden.“ Sie klang noch immer so wie zuvor, nichts deutete darauf hin, dass sie dieses Experiment abbrechen wollte – er hoffte sogar, dass es ihren Ehrgeiz geweckt hatte, damit er bald nicht mehr so denken würde und sein Vater glücklich sein könnte. Und damit ich glücklich sein kann. Denn er wusste, dass er niemals mit Richard zusammen sein könnte und er wollte von dieser Hoffnung loskommen. Und er konnte immerhin auch nicht verleugnen, dass er nicht auch etwas für sie empfand. Also warum sollte es nicht funktionieren? Je mehr Tage vergingen, desto mehr glaubte er wirklich daran. „Das ist wirklich eine Herausforderung“, sagte sie schließlich lächelnd. „Aber ich bekomme das ganz sicher hin.“ Ihre Augen schienen im Sternenlicht zu leuchten, für einen flüchtigen Atemzug glaubte er wieder, dass es sich bei ihr um eine Dämonin handelte oder dass sie zumindest von einem solchen besessen war, aber er verwarf den Gedanken sofort als unwichtig. „Glaubst du?“ „Bislang habe ich noch niemanden eine andere Person vergessen lassen“, gab sie zu, „aber du bist doch gern bei mir, oder?“ „Sehr sogar.“ So sehr, dass er dafür freiwillig auf Schlaf verzichtete, weil er ihre Anwesenheit wesentlich erholsamer als jeden noch so tiefen Schlummer empfand und gleichzeitig ging er auch jederzeit wieder das Risiko ein, noch einmal von Faren entdeckt zu werden. Nein, bei genauerem Nachdenken konnte er sich sogar durchaus vorstellen, dass dieser ihn verfolgte, nur um Beweisfotos für irgendetwas machen zu können. Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, warf er einen Blick umher, kniff sogar die Augen zusammen, in der Hoffnung, besser sehen zu können – aber natürlich gelang ihm das in der Dunkelheit nicht. Vielleicht bin ich auch einfach zu paranoid. Aydeen lächelte und schmiegte sich an ihn. „Ich bin froh, dass du das denkst. Ich bin nämlich auch gern bei dir.“ „Nachts?“ Er verstand ja, dass er nachts Zeit hatte, da er nach dem Jagen nur nach Hause gehen würde, aber bei ihr dürfte das anders aussehen. Doch sie zuckte mit den Schultern. „Warum denn nicht? Ich arbeite tagsüber, da bleibt mir nicht viel anderes. Außerdem brauche ich nicht so viel Schlaf.“ Für ihn war das praktisch, auch wenn er eigentlich langsam wirklich nach Hause gehen sollte, um zu schlafen – die Schule nahm immerhin keinerlei Rücksicht auf das, was er nachts tun musste. Obwohl mich interessieren würde, ob das nicht vielleicht doch der Fall wäre. Auch wenn er die Vorstellung, dass er vollkommen ungestraft jeden Tag zwei Stunden später kommen dürfte, da er nachts den Frieden in der Stadt bewahrte, amüsant fand, war es doch besser, dass niemand sonst davon wusste. „Lass uns so noch ein wenig sitzen bleiben“, bat Aydeen leise. Kieran gab ein zustimmendes Geräusch von sich und blickte wieder nach oben. Durch die Äste des Baums hindurch konnte er den Sternenhimmel auf eine ganz andere Weise als noch zuvor betrachten; es sah aus, als würden die Blüten auf dem Sternenozean schwimmen, was er für eine wundersame und schöne Vorstellung hielt. Als auch noch ein Windhauch aufkam, der die Bäume im Park rascheln ließ, spürte er eine sonderbare Form von Gleichmut und Frieden in seinem Inneren, was ihn geradewegs dazu zwang, die Augen zu schließen. Alles scheint gut zu sein... Doch bevor er hier draußen, an diesem ungewöhnlichen Ort, tatsächlich einschlief, verfolgte ihn dennoch der Gedanke, dass alles noch besser wäre, wenn Richard nun ebenfalls da wäre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)