Not all those who wander are lost von Aphelios ================================================================================ Kapitel 3: MorgenStern ---------------------- Looking up from underneath fractured moonlight light on the sea reflections still look the same to me as before I went under And it's peaceful in the deep cathedral where you can not breathe no need to pray, no need to speak now I am under And it's breaking over me a thousand miles down to the sea bed Never let me go – Florence and the Machine ~*~*~* ~*~* 3. MorgenStern Schweigend stand die groß gewachsene Frau auf der Terrasse. Vor ihr eröffnete sich das große Gefälle des Himmels. Das Wasser stürzte in die Tiefe, hinab in das zweite feurige Reich ihres jüngeren Bruders. Kein Wesen hasste sie für diesen Augenblick mehr, als ihn. Ein schweres Seufzen erschütterte ihren Körper und mit einem Mal fühlte er sich nicht mehr so frei an. Nicht endlos und logisch. Es war viel mehr ein Gefängnis. Abwesend starrte sie auf ihre Hände. So schlank und stromlinienförmig, wie eine Welle im Ozean. Kurz verschwand das Bild und plötzlich hatte sie viel kleinere Hände. Ihr Körper war kleiner zarter und ihre ganze Kleidung war so schmutzig und menschlich. Vor ihr selbst war ein Dämon, er kniete vor ihr, aber es war nicht sie, die er fürchtete. Dann verschwand alles wieder und sie starrte hinab in den Rubinbezirk. Am Rand, kurz bevor das Wasser hinab stürzte, standen die vier großen Statuen. Noch vor kurzer Zeit waren es fünf gewesen, doch nun war sie allein. Vollständig. Nicht einmal die Wärme ihres jüngsten Bruders konnte sie noch erreichen oder gar berühren – als würde sie in einer Zelle sitzen, eingesperrt in ihrem eigenen Kopf ohne Ausweg. Unter ihren Füßen waren die blauen Wasseradern, welche uralte henoische Symbole auf den Boden malten, doch darunter floss die ganze Gewalt des Wassers, gespeist aus ihrer eigenen Kraft. Kurz flackerte das Bild und dann war alles so alt, so verlassen. Das Wasser selbst war versiegt und als sie hinab sah zu den restlichen Bereichen, da war sowohl der Topaz- als auch der Smaragdbezirk vollkommen leer. Ihr eigener wirkte so kraftlos und einsam. Als würde etwas fehlen. Ein Flackern der Umgebung kündigte den Umschwung an – alles war wieder normal. War es real oder nur eine Vision? Es war so verwirrend und zitternd hielt sie eine Hand vor den Mund um ein Schluchzen zu unterdrücken. Die Federn vibrierten leicht und gaben ein raschelndes Geräusch von sich, als sie sich endgültig umdrehte und mit so viel Leid konfrontiert wurde. Verlassen war ihr der Himmel friedvoller vorgekommen. In der Mitte des Platzes stand ein großer Brunnen, doch er hatte keine Ränder um das Wasser aufzufangen, stattdessen sickerte alles in die henoischen Symbole. Dabei trat man keineswegs ins Wasser wenn man darauf trat, sondern eine reine Essenz von Energie hielt jeden davon ab. Ihre Kraft. Der Brunnen selbst zeigte sie, eine stolze Marmorstatue mit ausgebreiteten Flügeln, dem Stab ihrer Essenz, so wie in der anderen Hand ein Kranz voller Lilien, die in den Haaren ihren Ursprung hatten, ehe sie wie ein Wasserfall nach unten wuchsen, zu einem Strauß in der linken Hand und letztendlich wie fallenden Blütenblätter den Boden des Brunnens umrandeten. So ausdruckslos diese Statue war, so zeigte sie mehr Gefühl als Gabriel jetzt besaß. Ihr Herz war leer. Darin war nicht einmal mehr wirklich Platz für Wut. Ja, sie hasste Michael dafür, aber sie konnte dennoch nichts tun, als wäre sie noch immer gelähmt. Er hatte nicht nur ihrer zweiten Hälfte die Flügel ausgerissen, sondern auch ihr Herz und jetzt wusste sie nicht mehr wie sie atmen sollte. Wie ging es weiter? Was für einen Sinn hatte es? Verängstigt und verwirrt blickten sie die Augen ihrer eigenen Cherubim an. Alle waren sie so verloren wie sie selbst. Beraubt ihres engsten Vertrauten, der zweiten Seite der Medaille, verdammt dazu, nur noch zur Hälfte zu existieren. Eine Wunde die niemals verheilen würde. Man konnte sie nur akzeptieren – diese Bürde. Traurig sah sie zur Seite und erblickte Haven. Ihr eigener Stellvertreter stand am Rand der Terrasse, so wie sie, doch sein Blick lag noch auf der Weißen Stadt. Gabriel konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie wusste er weinte. Sein Herz war gebrochen und nichts und niemand könnte es je wieder heilen. Nur zu gerne hätte sie tröstende Worte gesprochen, doch es gab keinen Trost, weder für sie, noch für irgendeinen ihrer Schar. Kein Wort der Welt würde das Gefühl verändern. Was änderte schon ein Satz, wenn man wusste, die liebste Person der Welt war verdammt? Der Wind verfing sich in ihren blütenweißen Federn, deren Spitzen golden gesprenkelt waren. So gerne war sie früher geflogen, hatte mit ihm getanzt, ehe sie lachend wieder ihrer Aufgabe nachgegangen waren. Alle aus ihrer beider Scharen waren in der Luft umher getanzt, hatten die Stadt mit Lachen erfüllt. Dieser Moment der Zweisamkeit in der Luft hatte nur ihnen gehört. In dem Moment als Luzifer seine Flügel verloren hatte, war er durch die Weiße Stadt gesackt, als wäre sie eine Illusion, ein Traum aus dem er erwacht war. Schmerzvolle Schreie hatten durch die Luft gehallt, als das Lachen zu Entsetzen wurde. Die einst glühenden Lichtbringer waren erloschen und wie schwarze Staubwolken hinab gestürzt. Mochten ihre Cherubim nur auf den Boden des Himmels gefallen sein, doch wie ihre Geschwister waren sie liegen geblieben. Mit einem Schlag, waren zwei Scharen gestürzt. Die Heiler des Himmels waren herbei geeilt, aber ihren Schmerz vermochte niemand zu heilen. Die Zeit heilt alle Wunden, doch das setzt voraus, dass die Quelle des Kummers, endlich ist. Gabriel war nicht fähig gewesen, ihre Getreuen zu beobachten. Zu betäubt war sie und starrte auf den Punkt an dem eben noch ihr Bruder gestanden war. Schmerz. Zum ersten Mal in ihrer Existenz war sie damit konfrontiert worden. Er war so gewaltig, dass er alles mit sich gerissen hatte, sie alle. Erst später hatte sie erfahren, dass Iriath bei Haven gestanden war. Besorgt über den plötzlichen Disput zwischen Michael und Luzifer. Sie stritten sich mal wieder und sie hatte einen Witz über das ewige hin und her gemacht. Ein kurzes Lachen bei dem sie ihn amüsiert angesehen hatte, das sich noch im selben Moment in ein angsterfülltes Gesicht verwandelte. Ihr Schrei vermischte sich mit tausenden, mit dem von Gabriel, mit der Wut von Luzifer und dann war sie einfach durch die Hände von Haven gefallen. Er hatte sie festhalten wollen, aber er fand keinen Halt, sie rutschte einfach durch seine Finger. Die Seraphim selbst war gerade erst zu dem Geschehen gekommen und wollte sich, wie schon so oft zwischen die beiden stellen, aber es war zu spät. Einfach zu spät. Diese Erkenntnis war so simpel, aber sie sickerte nicht durch. Luzifer hatte sich wütend abgewandt und auf seinem Gesichtsausdruck hatte sie lesen können, dass Michael wie so oft einfach zu stürmisch war und nicht verstand, worum es dem Lichtbringer ging. Besorgt, aber erleichtert, dass der Streit wohl vorbei war, lief sie ihm entgegen, Luzifer. Sie hatte ihn fragen wollen was los war, ihn umarmen und selbstverständlich anlügen wollen: Alles ist gut. Darüber amüsierte er sich immer, denn das war natürlich nicht so, dass wussten sie beide, aber wenn sie zusammen waren, die Einheit, sowie Gott sie erschaffen hatte, dann spielte nichts eine Rolle. Gabriel konnte sich nicht einmal mehr an die Bewegung ihres Bruders erinnern, der Schock stand Luzifer ins Gesicht geschrieben. Nicht wissend was er tun sollte griff er Instinktiv nach ihrer Hand, streckte sie aus und sie tat es ihm gleich – wie ein Spiegel. Für einen Augenblick streiften sich ihre Fingerspitzen, dann war er weg und sie kniete auf dem Boden. Starrte die Stelle an, an der er eben noch gestanden hatte. Weder ihre Schreie, noch ihre Tränen hatte sie bemerkt, denn das glühende Schwert von Michael hatte mehr als nur seine Flügel abgetrennt. Es war kein Engelsdolch gewesen, nein, das Rubinschwert, die Essenz von Michael hatte das getan. Die glühend heiße Klinge hatte ihre Verbindung zu ihrem Zwilling getrennt und auch Gabriel verletzt, tiefer, so viel tiefer … Da war Raphael an ihrer Seite, der versuchte sie … ja was? Heilen? Man hatte etwas getrennt, das niemals hätte getrennt werden dürfen. Obwohl es fehlte, konnte sie Luzifers Wut fühlen. Wie er empor steigen wollte, zurück, aber in dem Moment stürzten sie aus dem Himmel. Michael um Luzifer endgültig zu strafen und Uriel, der gezwungen war die Weiße Stadt gegen alles zu schützen. So zogen Jahrhunderte ins Land, während die Menschen versuchten auf der Erde Fuß zu fassen. Doch wie die Gabrieliten taten sie sich schwer überhaupt etwas zu tun. Sie waren von Eden getrennt, dem einzigen Heim, das sie kannten, so wie sie von ihrem einzigen Licht getrennt war, das sie kannte. Noch immer glühte der Stab des Erzengels an seinem Platz im Himmel. Hoch oben auf der Spitze, dort wo Luzifers Platz gewesen war, strahlte er seine Macht ab. Zeigte ihnen alle den Weg und sandte sein kräftiges Licht hinaus in das Universum, auf die Erde und sogar hinab in die Hölle. Der Zorn ihres Bruders hatte Kreaturen erschaffen, die weitaus dunkler waren, als alles was sie bisher gesehen hatte. Ihr Vater war verschwunden und die Königreiche befanden sich im Krieg. Die Menschen waren nur ein Spielzeugball und mussten sich sowohl gegen die Heerscharen des Himmels als auch der Hölle wehren. Bis sie aufgetaucht waren. Die Nephilim. Die Boten des Feurigen Rates. Es herrschte ein Waffenstillstand und in den Rubinschmieden konnte sie es hören, es fühlen. Das Schicksal wurde geschmiedet, Siegel und Schwert. Desinteressiert wandte sich Gabriel endgültig ab. Was ging sie schon die Zukunft an? Ihr war es nicht einmal mehr möglich, klar zu sehen. Nach der Prophezeiung der Apokalypse war ihr Werk getan. Denn ohne ihn gab es nichts. Obwohl sie Flügel besaß, fühlte sie sich selbst bleiern, so als könnte sie es nie wieder tun – fliegen. Als sie den Platz halb überquert hatte tauchte Raphael auf, sein sorgenschwerer Blick lag auf ihr und sie konnte ihm nicht standhalten. Er war der Einzige um den sie sich noch sorgte. Seine Engel versuchten Frieden zu stiften, die Menschen zu beschützen. „Bitte. Gabriel.“, flüsterte ihr kleiner Bruder verzweifelt. Entzwei gerissen und so hilflos, wie alle anderen aus ihrer Schar. Ihn trieb keine feurige Wut an, kein Pflichtgefühl die Stadt zu beschützen. Er war ein Kind, das sich eine intakte Familie wünschte. Eisern und ohne eine Reaktion ging sie an ihm vorbei. Auch wenn sie ihn nicht ansah, so konnte sie doch sehen, wie er seinen Kopf hängen ließ. War das fair? Nein, aber weder ihr, noch ihm gegenüber war es das. Wie schon so oft entschwand sie in ihrem unterirdischen Reich. Ein Sanktuarium. Abgeschottet von allem. Dem Himmel sich selbst überlassen. Wie ein Stein sank sie in die tiefen des Sees ihrer eigenen Kraft. Am Grund lag ihr eigener Stab, ihre Essenz und ruhte dort. Noch immer strahlte dieser eine ruhige Macht aus, die etwas Tröstendes hatte, denn die Verbindung beider Stäbe war nicht getrennt worden. Irgendwo war sie immer mit ihm verbunden. Gabriel schloss die Augen und wurde eins mit ihm. Zeit und Visionen wurden eins mit ihr, bis die Person, die sie einst war, einfach davon geschwemmt wurde. Olo Eopia. Viele Welten, viele Zeiten. Niemand wagte sie zu suchen. Niemand wollte es riskieren ihrer geballten Macht ausgesetzt zu sein. Also blieb sie dort. Jahrhunderte. Jahrtausende. Verschollen im Strom der Unendlichkeit, bis alle Stränge gekappt wurden und sie nur eines sah. Luzifer. Er kniete neben ihrem zerschmetterten Leib, um ihn Dämonen die sich geopfert hatten um sie zu beschützen. Sie. Seine Schwester. Sein Gesicht war gezeichnet von Schmerz und unendlicher Angst. Das war die Zukunft. Gabriel wusste es und im nächsten Augenblick schlug sie ihre saphirblauen Augen auf. Binnen Sekunden löste sie sich aus ihrer Essenz und tauchte wieder auf. Es war bei weitem noch nicht vorbei und nur scheinbar war ihre Verbindung getrennt worden. Ihr Bruder existierte noch, dort unten in den eisigen Ketten der Hölle gab es nicht nur ein Monster, sondern auch Luzifer und ihn wollte sie suchen. Für ihn wollte sie sterben. Wenn es ihn wieder daran erinnerte, worum es ging, wenn …. wenn er dadurch wieder sah was sie waren. Eine Familie. Und Michael. Sie seufzte und legte ihren Kopf leicht schief. Auch sein Schicksal hatte sie gesehen. Luzifers Rache würde hinfällig sein, unnötig. Gabriel landete sachte auf der steinernen Platte ihres Sanktuariums, welche ein paar Zentimeter unter Wasser lag. In ihrer Hand hielt sie ihren eigenen Seraphimdolch. Die Zukunft war Variable und sie könnte dabei sterben, vielleicht würde sie es auch. Aber Luzifer hatte bewiesen, dass er noch ein Herz besaß, dass die Hölle ihn nicht zerstört hatte. Tausend Tode war, das wert. Tausend Tode war es Wert, wenn sie ihn damit auf einen Weg schubste, der ihn an mehr erinnerte als an den Höllenfürsten. Gemeinsam mit Alessa. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen als sie das Mädchen sah. Der Dolch löste sich auf und ein paar Flügelschläge später verließ sie ihr versunkenes Reich und tauchte zum ersten Mal wieder in ihrem eigenen Bezirk auf. Nur kurz schwebte sie über ihrer eigenen Statue und starrte hinab auf die anderen Bezirke. Ihre weiße Kleidung wallte um ihren Körper wie ein schneller Flusslauf. So fließend und viel zu lang, aber nicht für jemanden der keine Füße brauchte über die er womöglich stolpern konnte. Die goldenen Locken wehten ihr ins Gesicht, während sie sich umdrehte und nach oben flog – bis zur Spitze des Perlmuttturmes. Selbstsicher und ohne jede Regung landete sie direkt neben Luzifers Essenz. Der Stab strahlte eine unheimliche Kraft ab, speiste die henoischen Symbole auf der Plattform mit reinem Licht und zeigte allen Engeln den Heimweg. Sie hatten ihn aus den Himmel gestoßen – Michael hatte es. Warum also sollte er noch das Licht genießen, das eigentlich nur ihr gehörte? Mit Jahrtausende alter Wut packte sie den Stab. Jeden anderen hätte er verschmäht, doch sie begrüßte er wie ein alter Freund. Dennoch wäre es ihm lieber gewesen, Luzifer hätte ihn berührt. „Sie haben das Licht verstoßen, also sollen sie es nie wieder erblicken.“ Mit einem Ruck zog sie den Stab heraus. Noch immer sandte die Stadt einen hellen Glanz aus, doch der mystische Schein war verschwunden. Das Licht des Perlmuttturms erloschen. Nur kurz musterte sie den goldenen Stab, dessen Ende ein rautenförmiger Diamant war. Unten fand sich ein Saphir, wesentlich kleiner, aber in der gleichen Form. Das war ihr Symbol. Sie hatte den gleichen, nur umgekehrt. Ihre Bitte wurde erhört und der Stab begann zu glühen, bis sich helle Fäden aus ihm strömten und in ihren eigenen Körper wanderten. Hier war er sicher, bis zu ihrem Ende, bis sie sich wieder trennten. Niemals würde sie Luzifers Seite verlassen und er ihre nicht. Angezogen von der plötzlichen Veränderung landeten ihre Brüder an ihrer Seite. Sie alle hatten sich verändert. Michael war noch immer stolz, aber eine gefährliche Ruhe begleitete ihn. Uriel war von drückender Dunkelheit umgeben, während Raphael müde aussah. Unendlich erschöpft von zu vielen Kämpfen. Verankert durch Luzifer in dieser Zeit sah sie alle drei an und verschloss all ihr Wissen, so tief in sich selbst, bis sie selbst vergaß wer sie war und wer sie werden müsste. „Ich bin der Herr der Weißen Stadt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)