Not all those who wander are lost von Aphelios ================================================================================ Kapitel 6: Let us burn ---------------------- You live your life. You go day by day like nothing can go wrong Those colors are made, they're changing the game You learn to play it hard And I know you wish for more, and I know you try. And I hope you realize, you know the time is right The whole world is watching when you rise The whole world is beating free right now Your whole life is flashing for your eyes It's all in this moment that changes all What are you waiting for? What are you fighting for? 'Cause time's always slipping away. Whole world is watching – Within Temptation ~*~*~*~*~*~*~* 6. Let us burn Schmerz durchzuckte ihren Körper. Es war vertraut irgendwie ungewohnt. Ein Keuchen wollte ihr schon entweichen, doch sie presste schnell eine Hand auf ihren Mund. Als der erste Schub vorbei war, stand sie eilig auf, so leise wie möglich, und ging ein paar Schritte, ehe sie sich vom Boden abstieß und ihre breiten Schwingen öffnete. Binnen Sekunden war sie mehrere hundert Meter weit von ihrem Lagerplatz entfernt. Gerade noch so hatte sie halbwegs landen können, ehe sich ihre Finger zusammen zogen und sich so fest verkrampften das die Knöchel weiß heraus standen. Sie wirkten seltsam verkrümmt, doch Jeanne hatte keine Zeit sich darum zu sorgen. Das brennende Gefühl jagte ihre Arme hoch, die einknickten, gefolgt von ihrem restlichen Körper. Als hätte man sie auf die kleinstmögliche Fläche zusammen gefaltet. Alle Muskeln zogen sich an und hielten die Position. Am Ende war es ihr nicht einmal möglich zu schreien oder ihre Lippen zu bewegen. Stattdessen hüllte eine warme Präsenz ihren Verstand ein und Sekunden später wurde sie vom Strudel der Zeit erfasst. Visionen jagten an ihr vorbei, doch sie passte nicht auf. Es war wie eine Werbesendung. Man hörte Worte, aber verstand sie nicht, weil man sich nicht dafür interessierte. Aber auch weil Iriath die Hand darüber hatte. Sie zog die Zukunft an und das willentlich, sodass Jeanne nicht hinein gezwungen wurde. Als sie die Augen wieder aufschlug fühlte sie sich erschöpft. Etwas, das ihr schon viel zu bekannt war. Schon jetzt wusste sie, dass es nur wenige Minuten anhalten würde, dann war alles wie vorher. Das machte es so einfach, diese Situation zu ignorieren, aber eigentlich sollte sie das nicht tun. Für sie war die Zeit nicht mehr relativ, sondern eine Konstante. Jeden Moment erlebte sie so bewusst, wie kein anderer Mensch. Jeanne war nicht wirklich müde, auch nicht kraftlos, nein, sie strotzte nur so vor Energie. Es war ihr Geist der langsam müde wurde. Gemächlich stand sie wieder auf und klopfte sich den Staub von der Jeans und ihrem Top. Etwas anderes konnte sie mit den Schwingen auch nicht mehr tragen und es störte sie auch nicht mehr. Kälte war nur noch eine Erinnerung. Sie fröstelte nicht einmal mehr oder bekam eine Gänsehaut bei einer kühlen Brise. Selbst wenn sie ihre Hand ins Feuer hielt, dann geschah rein gar nichts. Sie verbrannte nicht – es war nicht einmal warm! Natürlich spürte sie die Wärme der Sonne, aber nicht einmal der Stern könnte sie verbrennen. Iriaths Gnade brannte so viel heißer. Der Wind frischte etwas auf und sie öffnete ihre Flügel, weit genug damit ihre weiß-gold gesprenkelten Federn raschelten, aber nicht um zu fliegen. Die Heilige stand auf einer Anhöhe und hatte so die ganze Umgebung im Blick. Nur ein Schritt vor ihr lag der Abgrund von mehreren Metern, doch mit Flügeln am Rücken verlor man jede Angst vor dem Abgrund. Selbst ohne sie würde sie der Sturz nicht mehr töten. Dafür brauchte es schon Silber oder einen Engelsdolch, beides waren Raritäten geworden. Die Hölle war entfesselt worden und mit ihr hatte sich das Antlitz der Erde verändert. Das hier war mal ein Vorort von Rom gewesen, doch mit der Verschiebung der Erdmassen, den veränderten Klimaverhältnissen und den Dämonen als neue Mitbewohner im dritten Königreich erinnerte nichts mehr an die Stadt. Faktisch lag alles in Schutt und Asche. Es gab nur noch Ruinen und die Menschen, die noch lebten, trauten sich kaum aus ihren Verstecken. Diejenigen, die noch nicht tot waren, würden es bald sein. Hunger, Verletzungen, Krankheit waren das kleinste Übel, aber ebenso tödlich wie Dämonen. Ihr Blick wanderte durch das künstliche Tal vor ihr, dort wo ihre Augen versagten, setzten gezielte Visionen ein. Sie überlagerten sich einfach, ohne dass sie in Konflikt kamen. Alles war so einfach und ergab Sinn, wo es eigentlich keinen gab. Zwei kleinere Dämonen durchsuchten ein Haus nach etwas Essbarem oder nach Menschen. Jeanne versuchte nicht zu viel über sie nachzudenken, sondern starrte nur auf die blanke Hauswand. Außer dem Erdgeschoss stand nichts mehr. Sie konnte das Ungeziefer nicht sehen, aber sie fühlte es. Iriath fühlte es. Luzifers rechte Hand war so präsent, wie eine Person, die neben ihr stand, doch sie schwieg. Die Heilige musste keine Gedanken lesen oder Iriath an-stupsen. Sie beide wussten, die Dämonen mussten sterben, damit sie dem Halbengel und dem Menschen nichts antaten, die sie eigentlich begleitete. Das dort waren keine Gegner. Noch vor einigen Wochen wären sie das gewesen, bevor Luzifer aufgestiegen war, bevor Iriath die Möglichkeit erhalten hatte, ihm zu folgen. Doch sie war an Jeanne gebunden bis sie stark genug war. Jetzt, wo sie praktisch immer einer Meinung waren und in aktiver Symbiose lebten, hatte sie kaum mehr ein Problem damit, wäre da nicht diese eine Kleinigkeit. Mit einem eleganten Sprung stieß sie sich ab und spannte ihre Flügel auf. Es würde ihr sicherlich gut tun, etwas Macht zu verbrauchen, schon jetzt fühlte sie sich, als würde sie von innen heraus gegrillt werden. Sekunden später schoss sie im Sturzflug auf das Gebäude zu, brach durch die Decke des Erdgeschosses und setzte einen Ring aus Licht frei. Die Dämonen verbrannten noch ehe sie schreien konnten. Glühende Aschefunken flogen durch die Luft während der Staub sich langsam wieder legte. Ihr Kopf sagte, dass sämtliche Knochen gebrochen sein müssten, dass ihre Füße vom Aufprall schmerzen sollten, aber da war rein gar nichts. Absolut kein Gefühl für so etwas zu haben war unheimlich. Als hätte man einen leeren Körper der einem nicht gehörte. Es war nicht sofort geschehen, sondern hatte sich nur allmählich gezeigt – die Unverwundbarkeit. Wie eine Krankheit hatte sie sich angeschlichen und jedes Gespür geraubt. Es machte Sinn, warum Engel manchmal so kalt erschienen. Wie sollte man Mitleid empfinden, wenn man Schmerz gar nicht kannte? „Jeanne“, seufzte Iriath traurig und versuchte die Heilige aus dem Gedankenkreislauf zu holen. „Ja schon gut.“ Die Flammen die in ihrem Inneren loderten lenkten sie eh ab. Menschen verbrannten durch die Gnade der Engel, ein Schicksal, das sie auch teilen würde, sobald die Cherubim stark genug war. Fast hätte sie geweint. Der Tod selbst machte ihr keine Angst, doch sie hatte Marcels Seele freigekauft und ihre eigene dabei der Hölle gegeben. Der Pakt von damals war noch immer gültig und nicht einmal Iriaths Licht konnte das Mal aus ihrer Seele brennen, dabei glühte der helle Ring ihrer Heiligkeit in ihren Augen stärker als je zuvor. Sie würde in der Hölle landen, so sicher wie die Welt unter-gegangen war. Ein paar Tränen stahlen sich über ihre Wangen als sie hoch sah zu dem strahlenden Licht der Erzengel. Seit Wochen schwebten Luzifer und Gabriel regungslos in der Luft. Sie zogen die gequälten Seelen der Menschen an, die der Apokalypse zum Opfer gefallen waren. Warum wusste niemand und was sie damit beabsichtigten, nur dass es so war. Jetzt wo sich Luzifers Schar langsam wieder erholte tauchten auch überall Reaper auf. Ihre Geistergestalt knackte auf und es erhoben sich strahlende Engel in den Himmel. Laut Iriaths Visionen waren sie noch verwirrt, wie frisch geschlüpfte Küken, und wurden von ihren Zwillingen behütet, so-lange sie keine Führung hatten. Sie musste in die weiße Stadt, denn sie war Luzifers Stellvertreter und ihrer Schar verpflichtet. Doch sie fühlte sich auch Jeanne verpflichtet. Früher einmal hatten sie alle Seelen ins Paradies gebracht, hatten Eden behütet und den Menschen das Licht geschenkt. Ohne Reaper fiel ihnen die Aufgabe wieder zu. Welch Ironie, das sie sich aus dem Schatten erhob und Jeanne selbst hinein stürzte. Ohne sie wäre der Himmel nur ein Traum geblieben. Erschöpft von ihrer eigenen Zukunft stieg Jeanne über die Trümmer des Hauses und bahnte sich einen Weg zurück zum Lager. Die Reste der Zivilisation knirschten unter ihren Füßen, bei jedem Schritt, bis sie sich schließlich vom Boden abstieß und den restlichen Weg zurück-flog. Etwas versteckt hinter den Ruinen eines Klosters befand sich ihr provisorisches Zuhause. Seit einigen Tagen waren sie hier und durchsuchten die Häuser nach Nahrung, nicht das sie überhaupt noch etwas davon benötigte. Gekonnt landete sie neben der Feuerstelle und zog sofort Judas’ Blick auf sich. Nach Michael musste sie nicht fragen, der hatte vermutlich noch einen Rausch von seinem neuen besten Freund – dem Alkohol. Und sie hatte gedacht, Luzifer wäre kaputt gewesen, das war kein Vergleich zu dem Bündel. Mit gerunzelter Stirn sah sie zu dem Erzengel, an den nichts mehr erinnerte. Er brauchte Schlaf, Essen und Wärme. Fast schon war er ein Mensch geworden, weil er einen schrecklichen Fehler begangen hatte und hier waren sie nun. Ein Verräter, ein halber Seraphim, ein halber Cherubim und eine dunkle Heilige. „Ich frage mich immer wieder warum du hier bist“, begann Jeanne und sah zu Judas, der nur schwach lächelte und mit den Schultern zuckte. „Es gibt wohl keine größere Tragödie als diese hier.“ Er deutete auf den schlafenden Michael und kaute nebenbei auf etwas Dosengemüse. Der Höflichkeit halber hielt er sie auch kurz Jeanne hin, doch sie lehnte mit einer Geste ab. Die stille Frage lag in der Luft wo sie gewesen war, doch auch hier kannte Judas die Antwort. Sie hielt ihnen die Dämonen vom Leib. Zwei Jahrtausende hatte er wegen Jesus in der Hölle verbracht und hier saß er nun, erneut mit Jesus, der nie jemand anderes gewesen war als Michael selbst. War es Dummheit oder grenzenlose Loyalität? Schon aus Gewohnheit nahm die Heilige die restlichen Flaschen des gefundenen Alkohols an sich und warf diese viele, viele Meter weit weg, wo sie dann am Boden zerschellten. Dieses Teufelszeug löste keine Probleme, aber wahrlich, der Erzengel vergaß seine eigenen dabei. Dank ihrer Engelsstärke flogen sie auch einige hundert Meter weit. „Judas“, begann sie schließlich und sah der letzten Flasche Hinterher. Er würde zuhören, das wusste sie. „Ich werde bald sterben.“ Eine Tatsache und sie musste ihn irgendwann damit konfrontieren. Das Lächeln auf seinen Lippen, denn Jeanne hatte Michael ordentlich eins ausgewischt in dem sie seinen Alkoholvorrat zerstörte – mal wieder – erstarb augenblicklich. „Wie meinst du das?“, „Menschen verbrennen durch die direkte Berührung mit der Gnade von Engeln. Bisher war Iriath nicht stark genug, doch bald …“ Sie drehte sich zu ihm und lächelte ihn traurig an. „Ich hab nur so lange überlebt weil sie sich zurück-gehalten hat und weil meine Heiligkeit mich beschützt hat, doch das ist wie Wasser, das in ein Becken tropft. Irgendwann läuft es über und nichts hält es auf.“ Judas sog scharf die Luft ein, als Verräter konnte er sehr wohl sehen, dass die Frau vor ihm verdammt war, wusste er selbst was das hieß. Er hätte sie getröstet, wenn er gekonnt hätte, aber es gab keine Worte, welche die Hölle erträglicher machten. Also schluckte er schwer und fragte etwas anderes: „Wann?“ Jeanne hätte es gerne verdrängt, aber das ging nun nicht mehr. „Stunden.“ Noch bevor der nächste Tag anbrach, wäre Judas alleine mit Michael. Iriath würde sich in den Himmel erheben, während Jeanne verbrannte, starb und in die Hölle einging. Sie würde Raphael nie wieder sehen, Marcel und wenn Judas sich gut anstellte, dann ihn auch nie wieder. Sie war der beste Beweis, dass es für Menschen kein Schicksal gab und nie geben würde. „Wieso hast du dann den Alkohol weg geworfen? Wir hätten noch anstoßen können?“, fragte er und deutete in die unendliche Weite dieser ruinierten Welt. „Weil ich mich nicht betrinken kann. So viel Alkohol gibt es nicht.“ Jeanne verzog das Gesicht, denn sie hätte sich gerne Mut angetrunken. „Ich hätte mich auch gerne betrunken“, seufzte Iriath theatralisch und entlockte der Heiligen ein leises Lachen. Sie musste Judas schon lange nicht mehr erklären, dass sie sehr offensichtlich auf ihren inneren Cherubim reagierte. „Hat … Iriath keine Idee? Ich meine, sie hat doch Visionen und das hier ist ein sturzbetrunkener, ehemaliger Seraphim. Er müsste doch auch … etwas wissen?“, „Michael? Das ist nicht dein Ernst. Der ist doch die Hälfte der Zeit im Schnapskoma.“ Das war noch nicht einmal gelogen. Mit einem Schlag wurde Jeannes Verstand in die Ecke geschoben und Iriath übernahm die Kontrolle. Das war schon ewig nicht mehr geschehen, doch sie beschwerte sich nicht mehr wie ein kleines Kind, sondern wartete ab. Die Cherub tat für gewöhnlich nichts ohne Grund. „Das ist es Judas!“, verkündigte Iriath freudig und sprach mit einer doppelt belegten Stimme. So wusste man sofort mit wem man es zu tun hatte. Fragend zog er eine Augenbraue nach oben und wartete auf eine nähere Erklärung. „Wir müssen Michael wecken!“ Sie ging zu dem Wassereimer, den sie zum Säubern von Besteck und Bechern nutzten. Nur weil die Welt untergegangen war musste man noch lange nicht auf Hygiene verzichten. Ganz offensichtlich würde sie den Erzengel auf die unsanfte Tour wecken, doch bevor sie den Eimer über seinem Kopf ausleeren konnte, stellte sich ihr der Sterbliche in den Weg. „Darf ich?“, fragte er höflich und streckte die Hände nach dem Eimer aus. „Ähm …“, kurz zögerte Iriath, zuckte dann aber mit den Schultern und reichte ihm das Gefäß. Letztendlich war er wegen Jesus in der Hölle gelandet – einem Erzengel. Verständlich, dass er sich das das nicht entgehen lassen wollte. Keine Minute später schreckte der Erzengel prustend hoch und stand vor ihnen. Das eiskalte Wasser verdampfte bereits, durch das letzte bisschen Gnade, dass er noch besaß, aber er spürte definitiv die Kälte. Er wollte etwas sagen, doch die Cherubim kam ihm zuvor. „Ich brauche dein Schwert!“ Michael öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch er schwieg und sah sie irritiert an. Wie sein Schwert? „Das Schwert“, wiederholte sie und er zeigte darauf und zuckte mit den Schultern. „Nimm es und lass mich schlafen!“ „Du stinkst nach Alkohol und Penner.“, seufzte Iriath. Judas lachte leise auf und stellte den Eimer wieder zur Seite, während sie das Schwert an sich nahm. Es war nicht nur irgendein himmlisches Schwert, sondern das von Michael. Seine Essenz. Nicht einmal sein Fall hatte das geändert oder die Macht die darin wohnte. Er konnte nur nicht mehr vollständig darauf zurückgreifen. Eine kurze Dampfwolke stieg von dem Engel auf und von seinem provisorischen Bett, so als hätte man das Ganze gebügelt. Er war trocken, zumindest seine Kleidung. „Was willst du damit?“, fragte Judas schließlich und musterte das Schwert etwas eindringlicher. Die Klinge war aus poliertem, himmlischem Silber. Kein Engelsdolch, doch die reine Macht des Schwertes konnte Engel auslöschen. Keine Erzengel, so viel stand fest. Aber ein Cherub würde zerstört werden, ebenso wie ein Dämonen oder ein Pakt. Heft und Paradestange waren golden, mit filigranen Verzierungen. Die Verbindung zwischen Heft und Klinge war ein großer, länglicher und rautenförmiger Rubin. Darin brannte das Feuer des Himmels, das nur bereit war alles Böse auszumerzen. „Michael ist dafür bekannt, das Böse zu besiegen. Die wahre Kraft dieses Schwertes gehört ihm und wenn wir es benutzen, dann kann es nur das Böse zerstören – alles. Das heißt du könntest niemals etwas töten oder zerstören das durch und durch gut ist. Jeanne selbst ist unberührt. Sie hat sich geopfert für die Menschen, die ihr wichtig sind, und hat stets für das Gute gekämpft. Ich will den Pakt damit zerstören. Luzifers dunkles Mal soll ausgelöscht werden, dann wird Jeanne in den Himmel kommen und mir selbst kann das Schwert auch nichts antun. Ich bin kein dunkler Schatten mehr, sondern ein Cherubim, der bereit ist, seinen Platz wieder einzunehmen.“ Verstehend nickte Judas und versuchte zu verinnerlichen, was man ihm gerade gesagt hatte. So ganz verstand er nicht, was genau das hieß, außer dass Jeanne in den Himmel kam. Iriath umfasste das Heft und wiegte das Schwert in ihrer Hand. Es hatte das perfekte Gewicht, auch für Judas, den ihm hielt sie es hin. Respektvoll wich er zurück. „Bitte. Befreie uns.“ Er wollte etwas sagen, doch ihm versagte die Stimme und er schüttelte den Kopf. Das konnte sie nicht verlangen! Fast schon verzweifelt fuhr er sich durch das Gesicht. „Nein, nein ich kann dich nicht töten, Jeanne d’Arc!“ Verzweifelt sah er zu Michael, doch der schlief wieder und er war kein Deut besser. „Ich habe schon einen Freund auf dem Gewissen und es fühlte sich nicht so an wie die Vergebung aller Sünden, sondern genau so wie es war – der Tod eines Freundes. Das tue ich nicht noch einmal, das kannst du nicht verlangen!“ Mitfühlend sah Iriath ihn an und legte ihm eine Hand auf die Schulter, sodass er nicht weiter zurück weichen konnte oder weglaufen. „Einen Dolch könnte ich selbst führen, doch das ist ein Schwert. Ich bitte dich. Jeanne wird sterben und unter großen Schmerzen. Ihr Körper wird von innen heraus verbrennen. Der Tod kann nicht aufgehalten werden.“, „Ich verrate sie!“ Judas war außer sich und sie verstand es. „Du erlöst sie! Du rettest sie! Dafür landet man nicht in der Hölle. Michael hat dir ein Schicksal aufgezwungen, das dir die Hölle eingebracht hat, aber das hier ist keine Verdammnis, weder für dich, noch für mich. Würdest du das Schwert aus böser Absicht heraus führen wollen, dann würdest du verbrennen. Aber du bist kein Dämon.“ Er wollte etwas sagen, ihr erklären, dass er das nicht tun konnte, aber das wäre nicht fair. Jeanne hatte ihn niemals spüren lassen, wer er war und das obwohl sie es vom ersten Moment an gewusst hatte. Ebenso wie er ihre Heiligkeit gesehen hatte, verdeckt von Iriath. Sie hatten viel Zeit miteinander verbracht, zusammen gekämpft, gelacht und Michael aufgesammelt um mit ihm gemeinsam nach Gott zu suchen. „Du lässt mich allein mit ihm!“ Seine Gegenwehr war zusammen gebrochen und doch weigerte er sich ihren Tod zu akzeptieren. „Bitte“, es war Jeannes Stimme die flehte, nicht mehr die der Cherubim. „Durchstoße den Pakt. Bitte“, flüsterte sie verzweifelt. Nur Verdammte konnten so um etwas flehen. Sie drückte ihm das Schwert in die Hand, bis er sich nach ein paar Minuten ergab und es nahm. Ihre Kraft andere zu beeinflussen hatte auf ihn keine Wirkung, dafür aber die Freundschaft zu ihr. Geschlagen, wie nach einem schweren Kampf ließ er die Schultern hängen und sah zu, wie Jeanne ein paar Schritte zurückging. Sie deutete auf ihr Herz. Hier war es. Hier hatte Luzifer es eingebrannt. Es tut mir Leid, formten ihre Lippen stumm und sie hätte noch gerne mehr gesagt. Dass er Michael nicht den Kopf abreißen sollte, dafür dass er seelenruhig schlief, während er sie töten musste. Wieso übernahm das nicht der Seraphim? Er hatte ihre beiden Leben verpfuscht! Die Wut darüber würde sich noch entladen, so viel war sicher, doch jetzt tat er das, worum sie ihn gebeten hatte. Lieber jetzt, bevor er noch einmal darüber nachdachte und sich weigerte. Das Schwert war leicht als er es hob und an ihrer Brust ansetzte. Judas machte einen Schritt zurück, denn er glaubte nicht, dass er einfach so Knochen durchtrennen konnte, doch das Schwert glitt ganz ohne Widerstand durch ihren Leib. „Verzeih mir“, hauchte er leise. Fast schon wäre er durch den Schwung gestolpert, doch er fing sich gerade noch, kurz bevor ihn die Lichtexplosion nach hinten schleuderte. Unsanft landete er auf dem harten Boden und hielt sich schützend eine Hand vor die Augen. Mit einem Mal war Michael auch an seiner Seite und hatte sich schützend vor ihn gestellt, denn das Licht war so heiß das er glaubte zu verbrennen. Ein heller Schein rahmte Michael ein, der ihm gerade das Leben rettete. Nur Sekunden später war das Licht verschwunden und Jeanne stand mit geschlossenen Augen an Ort und Stelle. Das Rubinschwert war wie von Zauberhand verschwunden und er musste blinzeln um es in Michaels Hand zu erkennen. Die goldenen Locken der Heiligen schwebten, ebenso wie ihre Gestalt, denn mit einem Mal gab es für sie keine Schwerkraft mehr und doch neigte sie sich im selben Moment leicht nach hinten. Die Flügel, die sie eben noch gehabt hatte waren verschwunden. Iriath war verschwunden. Ihre Haut hatte einen goldenen Schimmer und es sah fast schon so aus als würde sie durchsichtig werden. Darunter tobte ein weißes Feuer. Judas musste nicht fragen, er wusste, dass es Michael gehörte. Es verzehrte den dunklen Pakt mit Luzifer, zerstörte ihn, bis nichts mehr übrig blieb als Licht, das reine Licht des Himmels. Vollkommen regungslos sah der Erzengel wie Zeit und Gravitation wieder einsetzten. Jeanne fiel nach hinten und da war diese Frau. Sie schien die Heilige zu fangen, doch ihre Hände glitten einfach durch den Körper hindurch. Als sie Konturen annahm und schließlich einen vollständigen Körper, stand vor ihnen eine Frau in einem dunkelvioletten Kleid und mit den gleichen Flügeln wie Jeanne sie gehabt hatte. In ihren Armen lag eine Seele, eine sehr alte, heilige Seele. Kein dunkler Makel war an ihr zu erkennen, stattdessen züngelten die weißen Flammen des Himmels auf ihr. Michaels Kraft war nicht verschwunden und Judas beschlich das Gefühl, dass das wohl nie mehr passieren würden. Iriath verneigte sich leicht vor Michael, der einfach nur zustimmend nickte und dann auch vor ihm, einem Verräter. „Wenn Eure Zeit gekommen ist, dann werde ich euch begleiten.“ Sowohl den Erzengel, als auch Judas. Sie glaubte fest daran, dass auch Michael wieder einen Weg finden würde, um sich von seinen Sünden zu befreien, so-wie Luzifer und sie selbst auch. Doch für den Moment konnte sie die beiden nicht begleiten, dafür hatte sie zu viel zu tun und sie konnte Haven fühlen. Seine Nähe. Er wartete auf sie und ihre Rückkehr. So viele taten das. Dann waren sie verschwunden und zurück blieb ein unverletzter, aber lebloser Körper der Heiligen. Iriath fühlte wie die Zwillingserzengel sie anzogen oder eher gesagt Jeannes Seele, doch sie konnte sich losreißen und sie an ihren Bestimmungsort bringen, den Himmel. Für gewöhnlich war nur ein bestimmter Teil für die Seelen vorher-gesehen, das Paradies, aber durch ihre gemeinsame Zeit wusste die Cherubim, dass Jeanne die meiste Zeit hier verbracht hatte, mit der Erlaubnis eines Erzengels. In der weißen Stadt herrschte ein reges Treiben, das für einen Augenblick erstarb, als sie über die Dächer der Engelshäuser schwebte. Haven tauchte neben ihr auf, als stiller Begleiter und als Begrüßung. Noch immer lag die Seele regungslos in ihren Armen, doch auch sie nahm an diesem Ort wie eine feste Gestalt an. Die Kleidung war weiß. Sicherlich würde sich Jeanne darüber beschweren und Iriath musste allein bei der Vorstellung der Beschwerde leise Lachen. Ein weißes Kleid. Fast so schlimm wie die ewige Verdammnis. Ihr Ziel waren die Gärten von Raphael. Michael hatte ihm die Verantwortung der weißen Stadt übertragen und sie konnte bis hierher fühlen, dass er unglaublich erschöpft war. So fand sie ihn auch vor. Er saß am Rand einer Terrasse und sah hinab zu den Hallen der Heilung. Ein schwerer Geruch von Kräutern und Pflanzen lag auf diesem Ort, doch allen voran war dieser leichte Zitrusgeruch und sie wusste auch warum sich der Erzengel darin einhüllte. „Raphael, Herr.“, begrüßte sie ihn höflich. Allein ihre Stimme ließ ihn zusammen zucken. Wusste er doch, was dies für Jeanne hieß. Er hob seinen Kopf nicht, sondern sackte noch weiter in sich zusammen. „Ihre Seele ist erschöpft und geschwächt.“ Aber nicht einmal Engel konnten sie brechen. Ohne auf eine Erlaubnis zu warten kniete sie sich neben ihn und drückte ihm förmlich Jeannes Seele in die Hand. Entsetzt weiteten sich seine Augen und er sah ungläubig auf. „Michaels Essenz vernichtet das Böse und da nichts eine Seele zerstören kann, hat es den Pakt zerstört und Jeanne gerettet.“ Eilig schloss Raphael seine Arme um die Heilige und zog sie fest an sich. „Danke“, flüsterte er, während er befreit wurde, von so viel Angst, Trauer und Verzweiflung. Noch immer lag ein schwerer Weg vor ihm, doch er war leichter geworden, jetzt wo sie bei ihm war und damit auch für immer sicher vor all den Übeln dieses Universums. „Dankt nicht mir, dankt Michael.“ Der Hauch des Feurigen lag noch auf ihr, das konnte sogar Raphael spüren, doch er sagte nichts und nickte nur. Haven wollte etwas sagen, doch Iriath legte ihm einen Finger auf die Lippen. Er sollte schweigen. Jetzt und hier gab es nichts mehr zu sagen. Stattdessen nahm sie seine Hand und schwang sich mit ihm hoch in die Luft. „Du hast gelogen!“, warf er schließlich ein, als sie weit genug von Raphael weg waren. Als ihr Zwilling hatte er es natürlich sofort gewusst. Es gab keine Geheimnisse, zwischen Boten und Lichtbringer. „Ich habe Hoffnung gesät und etwas Licht ins Dunkel gebracht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)