BCT - Auf der anderen Seite von Dornentanz ================================================================================ Kapitel 1: Ewiger Alptraum -------------------------- Mini-Vorwort: Diese Geschichte spielt zeitgleich ab der zweiten Staffel der Serie, nur eben erzählt aus einer anderen Perspektive. Als Vorlage habe ich aber die ungeschnittene, japanische Fassung der Serie verwendeet, daher könnte euch das ein oder andere etwas anders vorkommen, die meisten Szenen sind natürlich selbst erdacht, weil wir nicht wissen, was die Charaktere in dieser Zeit tun. ----------------------------------------------------------------------------------------------- Folge: zwischen Folge 55 (Dem Jäger in der Falle) und 56 (Yugi gegen Rare Hunter (1)) Wenn wir zu lange alleine sind, füllen wir die Leere mit Phantomen. Guy de Mautpassant, Der Horla Ryou rannte. Seine Lungen schienen von Flammen verzehrt zu werden, seine Waden schmerzten, als wollten die Sehnen reißen. Wieder und wieder trafen ihn scharfe, schmale Äste im Gesicht und hinterließen blutige Kratzer darauf, aber er versuchte nicht einmal, sich mit seinen Armen zu schützen. Um ihn herum schien sich der Wald in jede Richtung auszudehnen wie ein Ozean. Sein Blick tastete jeden Flecken Erde ab, jedes Laubblatt, das auf dem Boden lag. Oben in der Burg kämpfte Yugi noch immer gegen Pegasus, aber der Ausgang dieses Duells konnte ihm kaum egaler sein. Das schwarze Loch in seinem Inneren schien ihn aufzufressen. Das Atmen wurde zu qualvoll, er musste anhalten, lehnte gegen einen Baumstamm und wartete, bis sein Herz sich nicht mehr anfühlte, als würde es jeden Augenblick zerplatzen. Warum nur hatte Honda den Ring einfach blindlings in den Wald geschleudert, ohne ihn auch nur zu fragen? Er hatte kein Recht dazu gehabt! Ryous Faust sauste gegen hartes Holz. Wie sollte er ihn je wiederfinden? Seine Augen füllten sich mit Tränen, und er versuchte sich einzureden, dass es am Schmerz in seinen Fingerknöcheln lag. Nur ein paar Meter von ihm entfernt lag eine kleine Lichtung. Verkohltes Gras kennzeichnete die Stelle, an der ein Lagerfeuer gebrannt haben musste. Kraftlos lief Ryou einen Schritt darauf zu. Er kannte den Ort. Hier hatte er mit Yugi, Anzu, Jonouchi und Honda gesessen. Hier hatte er Yugi zu einem Duell überredet, dass sie beide so schnell nicht vergessen würden; bei dem kleinen Baumstumpf, nur wenige Meter weiter – an dem Etwas golden glänzte. Sein Herz machte einen Satz. Halb blind taumelte er darauf zu. Hätte er besser aufgepasst, hätte er den massigen Schatten gesehen, der zwischen den Bäumen auftauchte, und ihm den Milleniumsring vor der Nase wegschnappte. Ryou sah, wie sich sein eigenes, ängstliches Gesicht in den Gläser einer Sonnenbrille widerspiegelte. Seine Stimme zitterte. „Bist du nicht – Bandit Keith?“ „Stimmt auffallend, Kleiner. Und schau nur, was ich Schönes gefunden habe.“ Haare und Kleidung des Amerikaners waren nass und er verströmte einen unverkennbaren Algengeruch, als wäre er gerade erst aus dem Meer gekrochen. Seine Finger glitten über den Milleniumsring, und Ryou kämpfte mit sich, um nicht vor Ekel und Wut das Gesicht zu verziehen. „Der glitzert so schön. Hat bestimmt irgendein dummes, kleines Mädchen hier verloren.“ Keith grinste. Natürlich wusste er, dass der Ring Ryou gehörte, er hatte ihn schon mehr als einmal damit gesehen. „Scheint aus massivem Gold zu sein. Ist bestimmt ne Stange Geld wert. Dann hat sich der Weg auf diese Scheißinsel ja doch noch gelohnt.“ Ryou versuchte, Ruhe zu bewahren. „Das ist meiner.“ „Ist das so? Wer es findet, kann's behalten, oder?“ Keith lachte. Wahrscheinlich war ihm der Spaß, Ryou zu quälen, mehr wert als er für den Ring bekommen würde. Wieder füllten Tränen Ryous Augen. Flehend sah er zu Keith empor, der ihn um mehr als einen Kopf überragte. „Der Ring ist ein Erinnerungsstück. Mein Vater hat ihn mir geschenkt.“ „Wenn er dir so viel wert wäre, hättest du besser auf ihn aufgepasst.“ Ryou bemühte sich, die Tränen zurückzuhalten. „Ich kaufe ihn dir ab!“ Wieder lachte Keith. „Klingt sehr gut! Was sagst du zu 3 Millionen Yen? Ein fairer Preis, oder?“ Das schwarze Loch in Ryous Seele schien immer größer zu werden. „So viel habe ich jetzt nicht“, flüsterte er tonlos. „Tja, Pech!“ Keith wollte den Ring unter seine Weste verschwinden lassen. „Warte!“ Ryou ballte die Hände zu Fäusten. Er wusste, dass es falsch war. Das es eine andere Lösung geben musste. Aber er war zu schwach, um sie zu finden. „Bitte – darf ich ihn noch einmal anfassen? Du musst ihn nicht einmal aus der Hand geben.“ Keiths Augen blieben hinter den Gläsern der Sonnenbrille verborgen. Eine gefühlte Unendlichkeit lang erwiderte er nichts. „Aber sicher. Soll ja keiner sagen können, ich wäre nicht großzügig.“ Ryous Hand schnellte nach vorne, und umfasste das Metall, dass unter seinen Fingern so heiß glühte, als wollte sich der Ring aus reiner Lust am Quälen in seine Haut brennen. Hass, Schmerz, Wut, Angst, Verzweiflung; all das traf Ryous Körper wie ein Faustschlag, und er krümmte sich leicht unter diesem Ansturm. Wie ein Puzzle setzte sich das Bild zusammen, dass die Leere in seinem Inneren füllte, ein dunkles Flüstern, das die Einsamkeit durchbrach. Er seufzte erleichtert. Dann schien ihn etwas an den Haaren zurückzureißen, aus seinem Körper hinaus, hinter die Glasscheibe, die sein Bewusstsein von der Außenwelt trennte. Er war nur noch der Beobachter dessen, was geschah. Schwarzer Nebel zog zwischen den Bäumen auf. Bandit Keiths Mund klappte erstaunt auf. „Das war ein Fehler“, höhnte Bakuras Stimme. Das schrille, hohe Piepen des Weckers riss Ryou aus dem Schlaf. Neben ihm, auf dem Kopfkissen, lag der Ring. Ryou starrte ihn an, als läge dort eine zweite Person, und nicht ein uraltes Schmuckstück. Warum nur hatte er das verfluchte Ding damals nicht einfach auf der Insel gelassen? Warum hatte er ihn nicht Keith überlassen können? Er schaltete den Wecker aus und stand auf. In der Wohnung hatte sich Stille zwischen den geschmackvollen Designermöbeln breitgemacht. Das Radio und der Fernseher waren stumm, von den Nachbarn kein Ton zu hören. Nur der übergroße, verchromte Kühlschrank summte leise. Ryou machte sich nicht die Mühe, aus seinem Kleiderschrank Klamotten für den Tag herauszusuchen. Es würde ihn eh niemand zu Gesicht bekommen, also konnte er ebenso gut das weite T-Shirt und die Boxershorts anbehalten, die er im Schlaf getragen hatte. Er trat an die Fensterfront im Wohnzimmer, und blickte 34 Stockwerke tief auf Domino City hinab. Der Himmel strahlte in leuchtendem Blau über den Menschen, die dort unten zielstrebig von A nach B eilten. Mit dem Fahrstuhl wäre er in einer Minute unter ihnen, und nicht mehr allein in einer viel zu großen und viel zu unpersönlichen Wohnung. Oh, Ryou. Nicht das schon wieder. Du vergisst, dass du der Einzige von ihnen bist, der niemals einsam ist. Ich werde immer da sein. Ryou schloss die Augen; er glaubte, dass ironische Grinsen auf Bakuras Gesicht förmlich vor sich zu sehen. Dessen Worte schwebten haarscharf an der Grenze zwischen Trost und Drohung; immerhin konnte Ryou sich aussuchen, was von beidem er im Augenblick hören wollte. Er entschloss sich für die pessimistischere Variante, und ging trotzig zur Stereoanlage herüber, um das Radio einzuschalten. Dabei weißt du doch, dass ich immer lauter sein werde als das dämliche Radio. „Halt die Klappe“, murmelte Ryou. Barfuß tappte er an den Schätzen seines Vaters vorbei, einem goldenen Armreif, der auf einem kleinen Podest lag, und der glücklicherweise keinen rachsüchtigen Geist in sich trug, und einer Reihe Fotos von Veranstaltungen, bei denen ihm Auszeichnungen überreicht worden waren. Auf einem schüttelte er Pegasus Crawford die Hand, auf dem anderen war er mit Arthur Hopkins zu sehen. Ryou lenkte seine Schritte in die Küche, kippte sich Cornflakes und Milch in eine Schüssel, und schlang sie hastig herunter, bevor sie pappig werden konnten. Die überdrehte Stimme eines Popsternchens quakte aus den Lautsprechern. Was machen wir heute? „Gar nichts. Ich lerne“, antwortete Ryou zwischen zwei Bissen. Es sind Sommerferien. Ich weiß, es macht dir Spaß mich zu langweilen. Aber mir fallen da ein paar sinnvollere Dinge ein. Lass uns rausgehen. Das Battle City Turnier fängt heute an. Ryou ließ den Löffel sinken. „Wenn du alle sieben hast... Dann wirst du gehen, oder? Dann lässt du mich allein.“ Seine Hände krallten sich um die Tischplatte, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Bakura stöhnte genervt. Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich bin genauso froh wie du, wenn ich dich los bin. Ich habe schon versucht, mir einen anderen Körper zu besorgen, weißt du noch? Ich hätte damals sogar Mokuba genommen, obwohl er noch ein halbes Kind ist, nur um von dir wegzukommen. Seine Stimme nahm einen bedrohlichen Unterton an. Wenn ich alle sieben Milleniumsgegenstände habe, werde ich aus deinem Kopf verschwinden, und wenn du mir nicht wieder in die Quere kommst, sondern mitarbeitest wie vereinbart, dann wird es schneller gehen. Ryou ballte seine leere Hand zu einer Faust. „Wie vereinbart...“, sagte er bitter. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir vereinbart hatten, dass du versuchst, meine Freunde zu töten.“ Der Gedanke, wie er selbst im Königreich der Duellanten Bakura geholfen hatte, ein Schattenspiel gegen den Geist des Milleniumspuzzles zu beginnen, verfolgte ihn beinahe täglich. Wie er seine Freunde verraten hatte, ihnen etwas vorgespielt hatte, ohne zu wissen, dass, hätte Bakuras Plan funktioniert, sie alle dabei gestorben wären. Nur weil er, Ryou, sich gegen ihn gewendet hatte, hatte Yugis anderes Ich sie retten können. Bakura lachte hämisch in Ryous Kopf. Freunde! Ja, tolle Freunde hast du! Wann hat dich das letzte mal Anzu angerufen? Wann hast du Jonouchi zuletzt gesehen? Deine sogenannten Freunde interessieren sich nicht für dich. Sie dulden dich nur aus Höflichkeit, wenn du gerade da bist. Ein Zaungast, der dem Pharao zujubeln darf. Ich bin der einzige Freund, den du hast! Ryou schob die Schüssel von sich. Ihm war der Appetit vergangen. Jetzt mach schon diesen verdammten Lärm aus! Ryou schüttelte den Kopf, und spürte Bakuras Verstimmung als wäre es seine eigene. Eine trotzige Zufriedenheit kam dazu, und am Ende konnte er kaum mehr sagen, welches Gefühl ihm gehörte, und welches dem anderen. „Sperrt die Lauscher auf!“ trällerte die Radiomoderatorin. „Wer heute zur Arbeit muss, sollte auf Bus oder U-Bahn ausweichen. Wegen des Battle City Turniers der Kaiba Cooperation sind ab heute die Straßen der ganzen Innenstadt gesperrt. Und auch die Fußgänger sollten sich vor freifliegenden Drachen und um sich schlagenden Trollen in Acht nehmen.“ Sie lachte gekünstelt. „Allen Teilnehmern wünschen wir natürlich viel Spaß und Erfolg!“ Ryou stand auf, und ging nun doch, entgegen seines Vorsatzes, zum Kleiderschrank und wollte nach seinem Lieblingspullover greifen. Das ist nicht dein Ernst, Schwachkopf! Draußen sind 25 Grad, und das Ding kratzt. Außerdem sehen wir damit aus wie Streber. Bakura lenkte Ryous Aufmerksamkeit auf ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt, und ein leichtes Hemd. Und wehe, du knöpfst das zu! Ohne Wiedergedanken zog Ryou an, was Bakura wollte, griff nach dem Duel Monsters Deck, das dieser zusammengestellt hatte, und steckte es in seine Hosentasche. Wo war eigentlich sein eigenes Deck? Wann hatte er überhaupt das letzte Mal gespielt? Eigentlich spielte es keine Rolle; nachdem er als leibhaftige Wandel-des-Herzens-Karte auf dem Spielfeld gestanden hatte und bereit gewesen war, sein Leben zu opfern, um Bakuras Tat ungeschehen zu machen, war ihm die Lust daran gründlich vergangen. Der Blick in den Spiegel versetzte ihm einen Stich. Immer musste er daran denken, wie es aussah, wenn Bakura dasselbe tat. Die Finsternis, die von ihm ausging, die Augen voller Hass. So wollte Ryou nicht aussehen. Noch schlimmer war, dass niemand in seiner Umgebung die Veränderung zu bemerken schien, die für ihn so schmerzhaft offensichtlich war. Gewissenhaft bemühte er sich darum, seine weißen Haare in Ordnung zu bringen und versteckte den Milleniumsring unter seinem T-Shirt. Dafür, dass du nichts von mir sehen oder hören willst, denkst du ziemlich viel über mich nach. Gelächter füllte Ryous Gedanken, dann zog Bakura sich in entferntere Tiefen zurück. Nur noch leise war seine Präsenz zu spüren, wie ein stechender Blick, den man im Nacken fühlte. Ryou schlüpfte in seine Schuhe und griff nach dem Wohnungsschlüssel, der neben der Tür hing. Sein Blick fiel auf sein Handy. Eine Nachricht auf der Mailbox. Einen Augenblick lang funkte unerhörte Hoffnung in ihm auf, dass es einer seiner Freunde war und Bakura Unrecht hatte. Immerhin hatte er, nun ja, eher Bakura, Yugi dabei geholfen, Bandit Keith loszuwerden und sein Milleniumspuzzle zusammenzusetzen, einigermaßen... Wenn man es genau betrachtete... Jedenfalls war er anwesend gewesen, und die Chance bestand, dass Yugi sich an ihn erinnerte. Er wählte seine Mailbox an und konnte nur mühsam ein enttäuschtes Aufstöhnen unterdrücken, als er die abgehakte Stimme seines Vaters hörte. Du Idiot. Hast du ernsthaft geglaubt, der große Yugi Muto würde sich herablassen, dich anzurufen? „Ryou, ich wollte dir nur sagen, dass es in Karnak noch etwas länger dauert. Die Behörden machen mal wieder Ärger, und es verzögert sich alles, aber keine Sorge, nur ein paar Wochen. Schreib mir eine Email, solltest du noch Geld brauchen, und drück mir die Daumen, dass ich dieses mal mehr finde als ein paar kaputte Tonkrüge...“ Ryou drückte ihn weg, und steckte sein Handy in die noch freie Hosentasche. Was hatte er erwartet? Was hatte er je von seinem Vater bekommen, außer den verfluchten Ring? Das schönste Geschenk aller Zeiten. Wir sind doch Freunde, oder, Ryou-chan?, höhnte Bakura in seinem Kopf. Ryou öffnete die Wohnungstür, und versuchte, ihn zu ignorieren. ---------------------------------------------------------------------------------------------- Folgen, auf die Bezug genommen wird: Folge 12 – Kraftprobe mit Rotauge (Am Ende stößt Ryou zur Gruppe dazu; er ist es auch, der das Duell vorschlägt) Folge 13 – Bakuras Trick (Das erste Schattenduell zwischen Bakura und dem Pharao) Folge 35-39 – Das Milleniumsduell (Bakura macht sich auf die Suche nach Mokubas leeren Körper, um Ryou zu verlassen; Honda wirft den Ring in den Wald) Folge 51 – Ein geheimnisvoller Duellant (Bakura hilft Yugi im Kampf gegen den von Marik besessenen Keith, um von einem Teil des Milleniumspuzzles Besitz ergreifen zu können) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)