Your True Face von GOTTHEIT ================================================================================ Kapitel 1: Angel ---------------- Drei Tage – : –     Asphalt. Wie stehst du eigentlich zu Asphalt, Ryōta? Das wollte ich dich schon immer mal fragen, weißt du? Vermutlich würdest du mir so etwas Freches antworten wie „Für gewöhnlich stehe ich darauf und nicht dazu.“, aber leider ist dein Mund mit einem schmutzigen Lappen geknebelt und deine Augenlider geschlossen. Du bist bewusstlos mein Lieber, wie schade. Dabei würde ich allzu gerne wissen, ob du dir mit dem, was du gesagt hättest auch wirklich sicher wärst. Denn ich kann mir dich in Bezug auf Asphalt sehr gut vorstellen: Wie du da liegst, mit der Wange dagegen gedrückt, die von hartem Gestein schon ganz aufgeschürft ist. Blutig gerieben. Mit eingeätztem Straßenstaub. Ob so etwas gut verheilt, Ryōta? Ich zweifele daran.     – : – Drei Tage lang habe ich ihn beobachtet. Drei Tage lang, ihm aufgelauert.   Der Grund?   Vielleicht Rache, vielleicht Hass. Vielleicht aber auch, weil ich ihn auf eine verzerrte Art und Weise so sehr begehre, dass ich ihn zerstören will. – : –     Ich genieße deinen Anblick, während ich in meinem abgenutzten Sessel sitze. Der raue Stoff fühlt sich sandig unter meinen Fingerkuppen an. Ein bereits vertrautes Brandloch lässt sich Stück für Stück weiter aufreißen, als ich die Fingernägel hineinbohre, aus drängender Ungeduld, kratzender Begierde.   Du bist so schön, Kise Ryōta. Fast zu schön, um dich zu verunstalten. Aber du wirst mir keine Wahl lassen. Genauso wie du mir jetzt keine Wahl lässt jede Sekunde deines Anblickes bis in den finstersten Winkel meiner zerfressenen Seele auszukosten. Wie du dort drüben auf dem Boden sitzt, dein Körper so schlaff und bewegungslos, als wärst du tot. Mit über dem Kopf gefesselten Handgelenken, dem aufgerissenen Hemd, das zwischen schwarzer, staubübersäter Seide deines Jacketts hervorlugt, deine milchig weiße Brust freigebend. Keinen Makel trägt deine ebenmäßige Haut, keinen Kratzer. Nicht den Hauch einer Beschädigung. Und das, obwohl ich dich grob herschleifen musste. Deine Körpergröße macht dich bemerkenswert schwer zu tragen, wenn du bewusstlos bist, Ryōta. Wie ironisch, wenn ich daran denke, dass du mit verflucht erhabener Leichtigkeit jeden Menschen in deinen Bann ziehen kannst.   Handschellen, die ihren Herstellungsglanz schon in irgendeinem Weltkrieg verloren haben mussten, ketten deine Handgelenke unnachgiebig fest und sicher an das rostige Metallrohr hinter deinem Rücken, knapp über dem goldenen Haar, das vollkommen verwüstet aussieht. Und dennoch fällt es wie fließender Honig über dein filigranes Gesicht, das jeden vor Neid sterben lassen könnte.   Du bist so schön, Ryōta.   Aber heute wird deine Schönheit zu deiner Schwäche, zu deinem Verhängnis. Ich werde sie gewiss dazu machen. Ganz gleich, wie sehr du flehen wirst, wie sehr es dich verschlingt. Deine süße, sanfte Stimme wird betteln, weinen, zittern vor quälendem Schmerz und Leid. Doch das wird nur meiner Befriedigung dienen, fern jeder Gnade und jeden Skrupels. Oh ja.     – : – Am Anfang wollte ich ihn mir in dieser dreckigen, abgestandenen Gasse, in der ich sein Verfolgung aufgenommen habe, bloß nehmen. Ich wollte ihn nehmen – hart, wie es sich gehört, denn er hat es nicht anders verdient. Ich wollte ihn gegen das schmutzige, stinkende Pflasterstein drücken, niedergerungen, an den Haaren gepackt. Mit dem Gesicht voraus und seinem hübschen Hintern zu mir gestreckt. Er sollte den Schmerz nicht ertragen können, während ich mich an ihm vergehen würde. Betäubt und bewegungsunfähig gemacht von beißender Chemie in seiner Lunge, die es ihm nur schwerer machen würde, alles zu vergessen.   Ich wollte ihn ficken.   Aber ich weiß nun, dass das allein mir nicht gereicht hätte. Nein. – : –     Ich schließe die Augen, während ein ekstatisches Grinsen von meinen Lippen Besitz ergreift. Die Hand gleitet in eine der Hosentaschen, sich beinah sacht vorantastend, um eine zerknitterte Zigarettenpackung ans dämmrige Licht zu bringen. Nur eine einzige Lampe glüht flackernd an unserer Seite und die aufzischende Flamme des Feuerzeugs bringt die Schatten der Gegenstände zum unruhigen Tanzen. Ich blase den Rauch mit immer noch geschlossenen Augen langsam zwischen den Lippen hervor. Das graue Gift ist so weich wie Flaum, als es mein Gesicht liebkost und weiter gen Himmel steigt. So weich wie du, dein Gemüt, Ryōta. Ich hasse dich dafür, dass du dennoch dazu fähig warst Menschenleben zu nehmen, ohne auch nur den Funken deiner Geschmeidigkeit zu verlieren. Ohne grob zu sein. Stets weich und nachgiebig, als würde man keine Waffe bei dir erwarten können. Niemand, der dich zum ersten Mal sehen würde, könnte sich erträumen, dass du genau hierher gehörst. In dieses dreckige Milieu der abgewetzten Drogendealer, der irren Blutrauschhunde und pestverseuchten Huren; der schmierigen Zuhälter und nach Verwesung stinkender, über Leichen steigender Oberhäupter. Nie hatten dich die abartigen Ranken des Abschaums erreichen können, als stündest du über Alldiesem. Voller Hingabe und doch so distanziert wie eh und je mit einem sachten, hellen Blick. Du warst schon immer der Sanftere von uns beiden, mein Lieber. Immer schön darauf bedacht, deine Hände nicht schmutzig zu machen. Immer geistig abgeschottet zu alldem, was wir gemeinsam verbrachen. So sanft und gleichzeitig klingenscharf in allem, was du geleistet hast, dass es beinah beängstigend war.   Erst jetzt merke ich, wie meine linke Hand schon längst dabei ist, den Griff des im Holztisch steckenden Messers zu umspielen. Der Lack des ehemals so edel verzierten Griffs ist schon lange abgeblättert. Der Glanz ist abgetragen, schweiß– und blutdurchtränkt. Genau mein Kaliber. Besudelt mit so viel Schuld und Verdorbenheit. Wie vergänglich Schönheit doch ist, denke ich mir bewusst als ich den nächsten, tiefen Lungenzug mache, um den kahlen Raum anschließend mit noch mehr Rauch zu vernebeln. Mit einem eisig zischenden Geräusch befreie ich die Spitze des Metalls aus seinem hölzernen Gefängnis, als ich mich vom Sessel erhebe. Lautlos. Leise, ssch… Ich will dich doch nicht vorzeitig aus deinem bald ewigen Schlaf erwecken, Ryōta.     – : – Schänden, ja, das wollte ich. Ich wollte sein Ego zermalmen. Wollte, dass er nie wieder strahlen kann. Ihn beflecken und Narben auf ihm hinterlassen. Auf seiner Seele und seinem Antlitz. Doch ich wusste, dass es mich nur selbst zerfressen würde. Dass ich selbst davon nur noch weiter in dieses Irrsinn gefülltes Loch stürzen würde. Dabei konnte und durfte ich es nicht belassen. Zu wenig Genugtuung. Zu sanft.   Um sein Weiterleben akzeptieren zu können, wäre ich zu hart. Hart im Nehmen, hart im Geben und Hart bei dem Gedanken daran, ihn leiden zu lassen. Und dennoch nicht hart genug, um mit dieser Last weiterleben zu können, ihn weiterleben zu lassen, wohl wissend, dass er in dieser Welt weiterbestand mit hohen Chancen, nicht gebrochen worden zu sein.   Brechen, zerstören, ja, das wollte ich. Doch letzten Endes siegte dennoch der Wille nach Endgültigkeit, die mich schon seit jeher auszeichnet.   Ich werde ihn töten müssen. – : –     Ich weiß, dass ich verrückt bin. Kaputt. Wahnsinnig.   Bist du es auch, Ryōta? Bist du es? Denn nur Wahnsinnige beherrschen es doch, sich so einfach mit Schuld und Sünden zu schmücken, die man in der Hölle der Unterwelt auf sich lädt. Du musst es einfach sein, denn obwohl dein unschuldiges Antlitz das Gegenteil beteuert, bist du genau wie ich – irgendwo ein kranker Psychopath. Vielleicht auf deine eigene Weise, aber nur so kann man in unserer Welt überleben. Der Sieg liegt beim Stärkeren und wer nicht aufpasst, wird gefressen. Gefressen, so wie du heute. Verschlungen.   Nur noch drei Schritte trennen uns voneinander. Den glühenden Zigarettenstummel zerreibe ich an der Ziegelwand, als ich vor dir stehe. Die nächste Glut gebührt gewiss deiner Haut. Wie ich diesen Gedanken liebe. Er reizt mich, mir noch eine anzuzünden, Ryōta, doch dafür muss ich dich erst liebevoll aufwecken. Ohne dein Bewusstsein wäre es zu langweilig, irgendwas an dir zu verbrennen. Meine Hand trägt das Messer zu deinem Gesicht, sodass die rostige Klinge sich fließend an deine blasse Haut entlang des dreckigen Lappens schmiegt, mit dem dein Mund verschlossen ist. Ich ziehe den fleckigen Stoff mit dem Messer langsam hinunter, stets darauf bedacht, noch keine Schnittspur zu hinterlassen. Unter deinem spitzen Kinn bleibt die Klinge schließlich für ein paar Sekunden ruhen, ehe sie Schlangenlinien über deinen sehnigen Hals weiterzeichnet. Eine zart bläulich schimmernde Ader pocht vollkommen ruhig unter dem scharfen Eisen, leitet deinen Lebenssaft träge durch den Körper. Ich will das Blut sehen, will es schmecken. Ich will, dass der Rauch der nächsten Zigarette diesen verführerisch tiefroten Duft in sich aufnimmt, doch ehe ich ins Fleisch schneiden kann, erkenne ich, wie deine Augenlider erzittern. Deine blassen Lippen zucken schwach, gleiten in einer fließenden Bewegung auseinander und ich sehe, wie du den raucherschwerten, stickigen Sauerstoff sachte in die Lunge ziehst. Pünktlich, Ryōta. Als würdest du wissen, dass ich es nahezu nicht aushalten konnte, deinen süßen Tod im Schlaf hervorzurufen. Ich war schon immer ungeduldig, gierig, und unersättlich. Du kennst mich nur allzu gut.   Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, in der du meine Augen mit deinem benebelten Blick suchst und findest. Dein Körper ist noch so schwach, doch selbst in diesem Moment behältst du deine stoische Würde, deine edle Haltung. Du hast nie verlernt, wie es geht. Nicht einmal, als du deine kindischen Seiten herausgelassen hattest, um so zu tun, als wärst du unschuldig, naiv und brav. Du kannst lachen, rumblödeln, tollpatschig sein, doch nie machst du es unbewusst oder ungeplant. So etwas kann man in dieser Branche nämlich nicht zulassen. Dennoch sind Leute schon oft genug darauf reingefallen, obwohl sie hätten wissen müssen, dass du nicht das warst, für das du dich im ersten Augenblick ausgegeben hattest. Reihenweise fielen sie deshalb herein auf deine trügerische Unschuld, denn du wirkst lieb und nett, bist höflich und zuvorkommend, tust so, als würdest du dich um das Wohlergehen jedes Einzelnen sorgen. Nur ist es zu spät, wenn man vom Schicksal eines besseren belehrt wird. Wie bei einem Gift, das man schon geschluckt hat und das seine Wirkung bereits hinterlistig entfaltet, ehe man gemerkt hat, dass es einen töten wird. Ich habe das alles beinah hautnah miterlebt, genauso wie du miterlebt hast, wie unaufhaltsam ich sein kann; wie zielstrebig und direkt ich zerstöre, enteigne und dass mich die brutale Art ausmacht. Ganz im Gegensatz zu dir. Wir beide sind gleicherlei tödlich. Beide wissen wir eine Menschenseele unwiderruflich zu brechen. Wir sind wie Zwillinge und doch so verschieden, wie Tag und Nacht.     Ich sehe, wie bei dir das Realisieren deiner Lage einsetzt und genieße es in vollen Zügen. Schlaftrunken siehst du dich so rasch es geht um, kehrst aber mit dem Blick zu dem Meinen zurück. Guten Morgen Prinzessin. „Gut geschlafen?“, frage ich mit leiser, süffisanter Stimme, ehe ich mir langsam über die trockene Unterlippe lecke. Du weigerst dich im ersten Moment, mir zu antworten und schließt wieder die Augen. Ich weiß genau, wie du dich fühlst, Ryōta. Das sachte Zusammenzucken deiner Augenbrauen verrät es. Du bist genervt von der bösen Überraschung, die auf dich gewartet hat und gleichzeitig analysierst du deine Lage, aus der es kein Entkommen gibt. „Danke der Nachfrage, ja“, meldet sich deine von den Gasen des Betäubungsmittels noch aufgeraute Stimme. Meine Mundwinkel zucken zu einem Grinsen, weil du in jeder Situation frech sein kannst. „Ich nehme an, es gibt einen Grund, warum ich hier bin“, hauchst du leise, „nicht wahr, Shōgo?“ „Hmm, lass mich überlegen.“ Meine Worte hören sich nach einem Gurren an und ich verfolge hingebungsvoll die Spitze der Messerklinge, die ich von deinem Hals herab zu der Kule zwischen deinen schön geschwungenen Schlüsselbeinen ziehe, mit meinem gierigen Blick. „Vielleicht Rache, vielleicht Hass“, murmele ich dir entgegen. „Vielleicht aber auch die Tatsache, dass ich wieder meinen alten Platz an Akashis Seite zurückhaben will, nachdem ich dich umgelegt habe.“ Du lachst leise auf und es klingt wie eine zarte Sommerbrise. Doch deine folgenden Worte sind eisig kalt. „Kränkt es dich so sehr, dass ich dich ersetzt habe, ja?“ Die Messerspitze stoppt nach einem verspielten Schwung am Ansatz deiner Brust und vollzieht einen abrupten Ruck, geschmeidig durch die obersten Schichten deiner samtenen Haut schneidend. Bluttropfen quellen langsam hervor. So wundervoll rot. Nur ungern löse ich meinen Blick davon, doch du zwingst mich, dir in die Augen zu sehen, in denen ich den feurigen Funken erkennen kann. Das Handwerk der Provokation hast du gut gemeistert, Ryōta. „Ein wenig, ja“, gebe ich zu. „Du verstehst es eben gut, Leute zu ärgern. Bist du zufrieden?“ Nun wirken deine Augen amüsiert. „Uuuh, du hast mich wohl durchschaut, Shōgo!“ Schon seit einer geraumen Zeit habe ich dich durchschaut. Deine maskierte Art. Dein wahres Wesen. Glaub ja nicht, dass du für mich mysteriös geblieben bist. Ich kenne dich, deine heimtückische Hinterlist. Meine Erwiderung fällt weg, weil ich deinen Augen verfallen bin. Ich würde sie dir am liebsten nehmen. „Und nun? Was gedenkst du, mit mir anzustellen, hm?“, fragst du mit süffisantem Ton in der Stimme. „Schließlich wäre es dir zu langweilig, mich einfach nur sterben zu lassen und außerdem hättest du dir sonst nicht die Mühe gemacht, mich hierher zu schleppen.“ Du bist zu sorgenfrei für meinen Geschmack. Die Klinge wandert wieder deine Haut entlang, löst weitere Bluttropfen aus, die sich sogleich in dein weißes Hemd fressen. Zu meiner Zufriedenheit höre ich dich die Luft scharf zwischen den Zähnen einziehen und deine Augen verengen sich zuckend. „Mhh, dies und das – ich habe keine besonderen Pläne, außer dir etliche Schmerzen zuzufügen. Und vielleicht verstümmle ich einfach nur dein hübsches Gesicht, um dich am Ende am Leben zu lassen“, hauche ich leise, als ich dich von oben herab ansehe. Diese Vorstellung scheint dir nicht zu gefallen, was ich mit befriedigendem Behagen nachvollziehen kann. Denn genau das ist es, was ich in dir auslösen wollte. Genau das. Und doch bleibst du standhaft. Mit stechendem, honigbraunem Blick.   Verflucht seist du, Kise. Deine Augen werden mich nicht davon abbringen, dir weh zu tun. Dir sehr weh zu tun. Dich zu brechen. Also sieh mich bloß weiterhin so an – selbstbewusst, strahlend, unnachgiebig, egal wie schlimm die Lage ist, in der du steckst. Denn das ist es, was mich anheizt, immer weiter vorantreibt. Ich lächle so finster, dass ich meine Zähne an den angespannten Lippen spüren kann.   „Wie langweilig“, zischst du, ehe du dir auf die Unterlippe beißt. Du bist Schmerzen nicht unbedingt gewohnt, habe ich mir sagen lassen. Deine Geschäfte beschränken sich eher darauf, die Hände in Unschuld zu waschen. Dreckige, hässliche Schuld, die sich bloß als Unschuld tarnt. Nie hast du dich früher in Prügeleien gestürzt. Nie wurdest du missbraucht. Wenn du getötet hast, dann nur als du die Oberhand schon längst hattest. Für den Rest war ich zuständig. Gemetzel. „Dabei dachte ich, ich wäre hier, weil du etwas anderes von mir willst.“ Das Funkeln in deinen Augen ist tückisch, verräterisch. Nun zeigst du endlich dein wahres Gesicht. „Wie in guten alten Zeiten, hm?“, erwidere ich belustigt darauf. „Wie in guten alten Zeiten“, bestätigst du. Ruckartig zerschneide ich den seidenen Stoff deines Hemdes und genieße dein Zusammenfahren. Es ist nicht so, als könntest du keine Angst empfinden. Ich fühle es. „Du vermisst ihn, hm? – Meinen Schwanz. Deine Affären bringen’s wohl nicht besonders.“ Verführerisch zucken deine attraktiven Lippen in ein zittriges Schmunzeln. Jede minimalste Bewegung kann ich wahrnehmen und diese Körpersprache macht mich heiß. Sie lässt mich wissen, dass du es unangenehm findest, so behandelt zu werden. Dass es dir sehr wohl etwas ausmacht, Kise. Gib es zu – so standhaft bist du gar nicht, wie du immer tust.     – : – Perfekt.   Seit ich ihn getroffen habe, war das meine Meinung über ihn. Nicht nur äußerlich und ungeachtet kleiner Fehler, die jedem unterlaufen können. Ungeachtet etlicher Schwächen, die er im Laufe seiner Laufbahn als Yakuza, gezeigt hatte. Denn das, was schon immer gezählt hatte, war sein persönliches, unerschöpfliches Potential. Er schlich sich wie ein Aal in unsere Geschäfte ein. Passte sich nahtlos an. Und seit jeher hat mich das an ihm gestört. Er spielte mit seinen Reizen, spielte mit den Menschen in seiner Umgebung. Und auch ich blieb nicht davon verschont. Unnötig zu sagen, dass er es war, der mich verführt hatte und nicht umgekehrt. Denn obwohl seine Blicke nur schwer zu deuten sind, weiß man sofort, was er beabsichtigt. Wann er dich will und wann er kurz davor ist, ein Geschäft abzuwickeln. Man muss bloß in seiner Nähe sein, um ihn zu kennen und sich gleichzeitig zu fragen, was wahr ist, von dem, was er spielt. Doch oft hat man nicht mehr die Zeit zum Deuten oder zu reagieren, angesichts der Tatsache, dass seine Meinung sich innerhalb von Sekunden ändern kann. Im ersten Moment noch naiv und sanft, im Nächsten verlangend. Und dann abrupt eiskalt. Man sieht es und doch weiß man nicht, was davon nur gespielt ist und was er einen nur sehen lassen will, um zu täuschen. Nur eines Blickes bedurfte es, mich damals um den Finger zu wickeln. Mich in den Bann zu ziehen. Nur eines Blickes und zwei in mein Ohr geflüsterter Worte. Wie eine Line sauberen Kokain, die dich prompt in einen anderen Zustand versetzt.   Unberechenbar perfekt. – : –     „Vielleicht bin ich ja ein bisschen gnädig, wenn du mir wieder heiß zuflüsterst, dass ich dich ficken soll“, zische ich stichelnd. Du hast mir immer noch nicht geantwortet, Kise. Ich will es hören. Von deinen Lippen, die in einem scharfen Atemzug auseinandergleiten, als das kalte Eisen des Messers beginnt, deine Brustwarze zu umspielen. Ich will dich sagen hören, wie heiß dich unsere zahlreichen One–Night–Stands damals gemacht haben. Fleh‘ mich an, es dich abermals spüren zu lassen, obwohl du wissen solltest, dass du es nicht bekommst. Ein knappes, leises Stöhnen entflieht deinem Mund, als du die Augen schließt und den Kopf in den Nacken legst. Macht es dich an, Ryōta? Oder ist es bloß deine Art damit umzugehen – mit dem Schmerz und der Gefahr verletzt zu werden? Egal, was es ist – es verschafft mir eine unvorstellbare Genugtuung. Ich belächele es, wie du die Augenbrauen zusammenziehst und kann mich nicht länger davon abhalten meine freie Hand in dein Haar gleiten zu lassen. Hart greife ich nach deinen seidenen Strähnen an der Stirn, um mir dein Gesicht noch mehr zu präsentieren. Das dumpfe Geräusch, mit dem dein Hinterkopf auf das Metallrohr hinter dir aufkommt, fasziniert mich. „Was denn, hat es dir die Sprache verschlagen, hm? Fürchtest du dich?“, bohre ich mit finsterem Grinsen nach. „Kommt ganz darauf an, wie sehr du ein ‚ja‘ hören willst“, hauchst du mir mit verengten Augen entgegen, mit denen du mich wieder feurig ansiehst. Dein Schmunzeln ist vergangen und hat einem Leidenschaft–verzerrten Gesichtsausdruck Platz gemacht. Genau das, was ich bei dir bewirken wollte. Genau das.   Gänsehaut überkommt mich, während ich tief in deinen entflammten Blick sehe. Ich werde dich brechen, Prinzessin. Jeden einzelnen Knochen in dir.   „Sag’s“, befehle ich, mit dem Messer drohend deine scharfe Kieferlinie nachfahrend. Du wehrst dich, hältst mir fest und überzeugt stand. „Sag es!“ Was wäre dieses riskante Spiel, ohne jeglichen Widerstand von deiner Seite? Du gibst ein kaum hörbares, wimmerndes Stöhnen von dir, als ich mit der Spitze der Klinge dein Kinn zu mir emporstrecke. Es ist geil, dich dabei zu beobachten, wie du mit letzter Gegenwehr auf deine Unterlippe beißt, ehe du mir doch noch gehorchst. „Ja“, bringst du heiser hervor. Du bist nicht in der Position, mir weiter zu widerstehen, denn du weißt ganz genau, dass dein Leben auf dem Spiel steht. „Ja, ich fürchte mich.“ Die Art, wie du das sagst, dringt bis in mein Knochenmark vor. Jedes einzelne Wort hat undefinierbare Absichten, weswegen ich mir nicht sicher bin, ob das nicht bloß Schauspielerei ist, was du mir bietest. Aber selbst wenn es das ist – es zeigt trotz allem seine Wirkung in meinem Kopf.   Wenn du eine Droge wärst, würden dich nicht die Leute konsumieren, sondern du sie, verfluchter Mistkerl. Denn dein Rausch schlägt bereits zu, ehe man von dir gekostet hat. Unwiderruflicher, befehlerischer Rausch, dem man gezwungen ist, Folge zu leisten, sich zu unterwerfen. Du hast mich schneller in deinen Fängen, als ich es bewusst wahrnehmen konnte. Schon vergiftest du lasziv meinen Verstand. Benebelst, besetzt ihn.   Gib ihn mir zurück!   „Mein Mund ist ganz einsam“, flüsterst du mir sehnsüchtig zu, doch ich bin in diesem Moment nicht imstande, zu reagieren. Gib mir meinen Verstand zurück, Ryōta! „Sicher gönnst du mir noch diesen einen letzten Wunsch, hm, Shōgo?“ Ich starre dich bloß an. Gefangen in deinem arglistigen Lockruf. Wenn du es noch einmal wagst, meinen Namen mit dieser süßlichen Stimme zu umspielen, reiße ich deine Zunge in Stücke. Das schwöre ich. Aber leider weißt du genau jede Grenze einzuhalten und sie nie zu überschreiten. Ich beiße die Zähne aufeinander, um mich wieder zu fassen. „Du wärst ganz schön dumm, zu glauben, dass du mich durch einen Blowjob gefügig machen kannst“, zische ich abgeneigt. „Vergiss nicht, Ryōta.“ Ich spucke dir deinen Namen nahezu ins Gesicht. „Vergiss nicht, in welcher Lage du bist – angekettet, irgendwo im Nirgendwo. Glaubst du wirklich, dass du mir den Schwanz abbeißen kannst und hier anschließend auch nur eine Woche lang überlebst, während ich verblute?“ Der kleine Schlüssel zu deinen Handschellen liegt, um genau zu sein, drüben auf dem Tisch, fern deiner Reichweite. Du bist auf mich angewiesen. Verrecken würdest du, ob nun mit mir oder ohne mich. Verhungern, Verdursten. Niemand kennt diesen Ort hier. Niemand würde vorbeikommen und dich hier finden. Niemand. „Für wie stillos hältst du mich?“, höre ich dich leise fragen. Die Antwort auf diese abartige Dreistigkeit ist simpel – Laut schallt die feste Ohrfeige im Raum und lässt deinen Kopf zur Seite schnellen. „Für stillos genug, zu hoffen, dass du deinem Schicksal entkommen kannst“, füge ich unnötigerweise hinzu, während ich mit meinem Blick deine aufgeplatzte Lippe auffresse. Es war nichts anderes von meiner Hand zu erwarten, als dass meine Ohrfeige hart genug sein würde, um deinen schmutzigen Mund zu beschädigen. Deine Zunge gleitet tastend zum malträtierten Mundwinkel und ich spüre, wie das Blut in meinen Adern beginnt zu kochen; wie all die Worte, all die Gedanken, die ich hervorbringe, langsam beginnen ihre Bedeutung zu verlieren. Du hast mich. Ruckartig greife ich nach deinem Kinn, bohre die Fingernägel in deine Haut, als ich es schwungvoll zu mir drehe. Du wehrst dich kein Stück, lässt es über dich ergehen, doch der Glanz in deinen verengten Augen ist nicht verschwunden. Immer noch glimmert dein Blick stoisch und selbstbewusst. Hypnotisierend. Was du wohl gerade in meinem Gesicht siehst? Was kannst du darin lesen? Kannst du erkennen, dass sich bereits jede Faser meines Körpers danach sehnt, von deinem Mund gekostet zu werden? Unzählige Ewigkeiten des sturen Kampfes mit mir selbst vergehen, ehe ich mir bewusst bin, dass es keinen Sinn ergibt, dir zu widerstehen. Dass ich keine Chance habe. Dass es viel zu spät ist, dir standhalten zu können.   „Na dann, Ryōt. Walte deines Amtes.“   Ich gebe dem Reiz, dem Bedürfnis meines Körpers nach. Das Messer landet unweit deines Gesichtes in die bröckelnde Ziegelwand gerammt und ich zögere nicht länger, meinen Ledergürtel aufzumachen, mein Augenmerk stets auf deinen Mund gelenkt, der nicht einmal durch die Wunde entstellt werden kann, die ich dir zugefügt habe. Ich hasse es, wie gierig du dir auf die Unterlippe beißt, ehe du schmunzelnd den Blick zu meinem Schritt wandern lässt. Es hat was Triumphierendes an sich, gefällt mir nicht. Ich richte mich ganz auf, die Beine links und rechts an deinem Körper, eine Hand an der rieselnden, dreckigen Wand abgestützt, gleite mit der Hand wieder zu deinem Haar in das ich mich kralle, als du deinen Mund gegen den Stoff meiner Jeans drückst. Ich bin schon längst erregt. Wie immer hat allein dein Verhalten dazu beigetragen, meinen Körper von selbst reagieren zu lassen, ohne dass ich es wollte. Ich drücke dir meine Mitte entgegen, spüre die Hitze deines Atems gegen meine bedeckte Härte strömen. Die Feuchte deines Mundes dringt unweigerlich durch die störenden Stofflagen. Heiß. Deine Zähne nagen an dem Reißverschluss meiner Hose, öffnen ihn Schritt für Schritt. Quälend langsam. Du ergötzt dich selbstbewusst an meiner Erregung, nicht wahr, Mistkerl? Kurz werfe ich meinen Kopf in den Nacken und dränge dich mit meiner Hüfte nach Berührung verlangend zurück. Fordernd. Du gibst nicht nach. Also bleibt mir nur, deine Haare fester zu packen.  Sie wollen mir entgleiten, wie sonnengetrockneter Sand, doch ich lasse nicht los. Stück für Stück entblößt du mich, lachst dumpf gegen meine erhitzte Haut. Auf eine dreckige Art edel. Deine Lippen sind feucht, hungrig, küssen sich entlang des Schaftes und ich knurre mahnend deinen Namen, den Blick wieder abwärts richtend. Sanft beißt du in das Hautgewebe an meinem Bauch knapp über der nach Mehr lechzenden Härte, ehe du deine Lippen um mich legst, gleich darauf wieder davon lassend. Hör auf, mich zu reizen. Du küsst, saugst verspielt. Lässt deine Augen fragend zu mir nach oben wandern mit diesem verfluchten, glühenden Schlafzimmerblick, der jeden Funken des übriggebliebenen Verstandes in mir auslöschen will. „Na los…“, zische ich gedehnt. Ich werde dich umbringen, das schwöre ich. Gleich. Hingebungsvoll und nach schierer Unendlichkeit nimmst du mich auf und entlockst meinen Lippen einen schmutzigen Fluch. Hiernach. Mehr, ich will so viel mehr. Heiße Feuchte umgibt mich, reizt mich gekonnt, verschlingt alles. Ich will die Augen schließen, stöhnen, aber diesen Gefallen werde ich dir nicht tun. Gleich, nachdem du fertig bist. Alles verschwimmt. Meine Wahrnehmung ist nur noch getrübt. Hitze pulsiert überwältigend durch meinen Körper. Deine Hitze. Die Hitze, die du in mir auslöst, Ryōta. Meine Hand in deinem Haar dirigiert befehlerisch deinen Kopf.   Ich will mehr von dir. So viel mehr. Ich will dich ganz.       Ich weiß nicht, wann ich dich befreit, wann ich mich dem verschlingenden Feuer in mir ergeben habe. Ich weiß nicht, wann du mir zugehaucht hast, dass ich dich ficken soll. Ich bin es mir nicht einmal bewusst, wann wir auf der abgelegenen, unbezogenen Matratze gelandet sind. Eng umschlungen. Verwoben. Vereint. Ich nehme dich mir so hart, so ungezähmt ich kann. Strafend. Grob. Nur, dass ich nichts dagegen tun kann, dass es dir gefällt. Dein Stöhnen erfüllt den kahlen raum. Du genießt es, krallst dich in das morsche Polster, während deine Brust durch meine Stöße gegen die Matratze reibt. Schweißdurchzogen. Immer noch ist meine Hand in deinem Haar, diesmal deinen Kopf am Nacken fest ins Bett pressend, während ich dich von hinten nehme. Ich will, dass du leidest, mich anflehst sanft zu sein, doch alles, was mir dein Körper vermittelt ist willige, entwaffnende Ergebenheit. Meine Fingernägel bohren sich in deine errötete Haut, die nicht einmal ganz von all der Kleidung befreit ist, die du trägst. Irgendwo klirrt ruhelos der Riemen eines Gürtels und im nächsten, ewig andauernden Atemzug bist du über mir, deine Hände gegen meine Brust pressend, nackt, das Kreuz durchdrückend. Mit goldenen Haarsträhnen, die an deinen Schläfen haften. Dein hemmungsloses Stöhnen bringt mich um den Verstand.   Du bist so verflucht schön, wie ein verdammter Engel. So schön verdorben.   Die Matratze knarzt devot, verschiebt sich unter deinen rhythmischen Bewegungen. Ich spüre deine Nägel an meiner Brust. Dein Feuer schließt sich um mich, versengt mich besitzergreifend. Frisst mich auf. Verschlingt mich rücksichtslos. Ich ringe nach abgestandener Luft, winde mich. Greife nach deiner Hüfte, verzerre, verziehe deine glatte, feucht gewordene Haut. Du entgleitest mir. So einfach.   Bleib, Ryōta! Bleib mit mir in diesem hässlichen Akt meiner Schwäche gefangen! Meiner Schwäche für dich.   Beinah unbewusst richte ich mich auf, schlinge die Arme um deinen lasziven Körper, kratze blutige Furchen in deinen sehnigen Rücken, verbeiße mich in deinen gestreckten Hals. Nichts stört dich daran. Ruhelos bewegst du dich weiterhin auf und ab und ich kann nur noch meine Augen zusammenkneifen, als mich der explosive Höhepunkt überkommt. Gnadenlos. Wüst.   Ich hasse dich so sehr, Ryōta!     Ich weiß nicht einmal, ob du auch kommst. Nicht einmal, ob du dir nimmst, was du dir grausam erobert hast. Und in all der Erschöpfung, die du mir beschert hast, weiß ich nicht einmal, ob das alles nur dein Schauspiel ist, das du mir untergejubelt hast. Ich will es auch nicht wissen.   Doch eines weiß ich nun all zu genau: Diese Partie hast du gewonnen.   Gewonnen hast du, denn ich spüre nach heiseren Atemzügen der Unachtsamkeit, dass meine Handgelenke gefangen sind. Gefesselt ans rostige Bettgestell mit krächzendem Leder, das sich fest um meine Arme schließt. Das Leder meines eigenen Gürtels. Mir sind die Hände gebunden, ganz deiner Handschrift nach – hinter meinem Rücken. Rau lache ich auf, denn obwohl unsere Körper einander noch so nah sind und ich dich immer noch ausfülle, hast du längst die Oberhand über mich. Ich kann nicht anders, als all das auszulachen. Dich. Mich. Die Umstände. Bei jedem schnellen Atemzug reibt deine Brust an der meinen. Wir sind uns nah und doch spüre ich die klaffende Distanz, die du bewusst bewahrst, trotz deiner Arme, die sich um meinen Nacken schlingen. Die Berührung fühlt sich kalt an. So kalt, dass ich die Augen geschlossen lassen will. Für immer. Ich will es nicht wahrhaben. Es ist nicht wahr. Doch es ist Zeit, wieder aufzuwachen. Ich spüre deine Finger sacht durch mein Haar am Hinterkopf kämmen, spüre, wie du im nächsten Moment hart die nassen Strähnen ergreifst, um meinen Kopf harsch nach hinten zu ziehen. Dein heißer Atem streift flüchtig meine Wange und als ich die Augen einen Spalt breit öffne, nur ein klitzekleines Bisschen, sehe ich deine Mundwinkel nach oben zucken. Mit Erleichterung, Siegessicherheit. Wie hast du es nur geschafft, mich in diese aussichtslose, ausgelieferte Lage zu versetzen? Wann hast du die Kontrolle über mich ergriffen? Wann und warum habe ich das nicht bewusst mitbekommen? Vermutlich hattest du mich in dein manipulatives Spinnnetz schon von Beginn an gelockt. Jede Überzeugung, die ich in mir verspürt habe, jeden sicheren, selbstgefälligen Gedanken hast du einfach so umgekehrt, unschädlich gemacht. Mit bloßem Blick. Mit deinem verfluchten Dasein. Dein verruchtes Schmunzeln fährt lasziv über meinen spröde gewordenen Mund. Hauchsanft, als würdest du mich damit quälen wollen, nicht viel mehr von der Geschmeidigkeit deiner Lippen an mich zu verschwänden.   Ich hasse dich, Mistkerl. Ich hasse dich dafür. Dafür, dass du so unwiderstehlich bist, egal wie sehr ich dich hasse.   Ich kneife die Augen zusammen. Zorn? Leidenschaft? Frustration? Was auch immer es ist – es lässt mich tief aufknurren und dich leise gegen meinen Mundwinkel auflachen. „Du bist so schwach, Shōgo“, flüsterst du mir mit amüsiertem Unterton zu, als wäre es ein Geheimnis; verbleibst für die nächsten Sekunden auf mir, ehe du dich im nächsten Atemzug mit der Handfläche von meiner Brust abstößt, um dich zu erheben. Sag mir etwas, das ich noch nicht weiß. Ich zucke wegen der Überempfindlichkeit an meinem Schritt zusammen, die du erfolgreich hervorgerufen hast. Du lässt dir Zeit damit, dich anzuziehen. Gleitest, als du festen Fußes auf dem Boden stehst, mit den Fingern die Innenseite deines Oberschenkels nach, um die Feuchtigkeit, die sich aus dir bahnt, geschmeidig aufzulesen, wischst sie an einem Tuch ab, das du in deiner Hosentasche findest, als du die Kleidungsstücke nach und nach vom Boden aufhebst. Erst dann beginnst du dich wieder zu verhüllen. Langsam, fast schon genießerisch.   „Weißt du noch, wie du einmal jemanden zitiert hast, Shōgo?“ Du lächelst süffisant, während du dein zerschnittenes Hemd sorgfältig überstreifst und der blaue Fleck an deiner Wange, dank meiner Ohrfeige, tänzelt spottend. „Du sagtest, dass Schönheit nach drei Tagen genauso langweilig ist wie Tugend.“ Es lässt mich die Zähne aufeinanderbeißen. Was willst du mir damit sagen, Ryōta? Schönheit – damit war damals nicht deine Schönheit gemeint. Nicht die Schönheit, die ich um jeden Preis zerstören will. Ich sagte es nur nebenbei, unbedacht, kurz bevor ich das Gesicht des Unglücklichen verstümmelte. „Damals waren wir noch ein Team, erinnerst du dich?“ Für einen Moment schwelgst du in nostalgischen Erinnerungen, um mich zu quälen, während du den Reißverschluss deiner Hose zuziehst und den Knopf schließt. „Wir rivalisierten, ja. Aber wir gehörten zusammen, denn nur so verbesserten wir uns.“ „Fick dich, Ryōta“, zische ich nur scharf. Dann höre ich wie du hell auflachst und dir anschließend über den kleinen Schorf an deiner Unterlippe leckst. „Aber im Gegensatz zu mir“, fährst du dann unbeirrt fort, „hast du übertrieben. Hast dich zu sehr gehen lassen, Shōgo. Der Grund, warum ich letzten Endes allein ausgereicht habe, um die Arbeit zu verrichten, die eigentlich für uns beide gedacht war.“ Ich winde mich ruckartig, um meinen Fesseln zu entfliehen und dich in Stücke zu reißen. Aber das Leder des Gürtels ist fest und steif. „Zurückhaltung ist eine Tugend, weißt du? Steht oftmals besser da, als Maßlosigkeit. – Wenn du verstehst, was ich meine“, belehrst du mich eitel. „Du solltest eigentlich wissen, dass man in unserem Job nicht übertreiben sollte. Es macht einen nur unvorsichtig, wie du an deiner Lage hoffentlich erkennen kannst. Ergo, ist es vielleicht nicht ganz so langweilig, tugendhaft zu sein, findest du nicht? Es bringt gewisse Vorzüge mit sich.“ Dein Daumen fährt über die gereizte Haut an deiner Brust, wo mein Messer hineingeschnitten hatte und mit verdächtigem Interesse schwebt dein Blick zu der immer noch in der Wand steckenden Waffe. Denkst du etwa darüber nach, es mir heimzuzahlen? Wenn ja, schlitze mir die Kehle auf.   Tu es, Ryōta!   Doch alles, was du tust, ist einen knappen, leisen Lacher gen Klinge zu schicken. Dann richtest du den Blick wieder lächelnd auf mich. Deine Worte, dein Verhalten sind viel schärfer als jedes Messer, das du mir in die Brust rammen könntest, wenn du eines in der Hand hieltest. „Und was die Schönheit angeht …“ Du bist noch nicht fertig damit, mich bei lebendigem Leib zu verbrennen. „Wie kann sie nur langweilig sein, wenn doch jeder mit Leichtigkeit darauf reinfällt?“ Wieder pausierst du poetisch. „Vielleicht solltest du deine Lebenseinstellungen ein wenig überdenken, Haizaki Shōgo. Aber lass dir eins gesagt sein, mein Freund.“ Dein Lächeln verschwindet, als du mit einer exakten Bewegung den Revers deines Jacketts richtest, den du bereits angezogen hast. „Das hier war deine erste und letzte Gelegenheit, mir das Objekt meines Handwerks zu nehmen, denn wenn du es das nächste Mal wagen solltest, wird dein Zitat auf dich zurückprallen.“   Bastard.   Dies sind die letzten Worte, die deine Lippen verlassen, ehe du lässig zu der zerkratzten Metalltür schreitest. Ohne auch nur einen Moment zurückzublicken.   Verfluchter Bastard.       Noch Stunden später sitze ich da, mit dem Hinterkopf gegen die Wand gedrückt, mir ausmalend, wie du souverän den Staub von deinem Anzug klopfst, als du meinen Zufluchtsort verlässt. Wie du draußen im grellen Licht der Freiheit die Straßen auf der Suche nach einer Telefonzelle entlangirrst. Du wirst nicht lange warten müssen, bis dich jemand mit dem Auto abholt. So zerschunden du auch aussiehst – ich sehe dich unbeschwert lächeln. Mit Leichtigkeit verwickelst du den Fahrer in ein unbekümmertes, fröhliches Gespräch über das Wetter, obwohl du genau weißt, dass ich meine Fesseln irgendwann los sein werde.   Du wirst dennoch unbeugsam bleiben. Eigensinnig.   Perfekt.     – : – Er hat mir die Wahl gelassen. Und doch bin ich eine seiner Marionetten. Alles, was mir nämlich am Ende bleibt, ist dieses unstillbare Verlangen. Das Verlangen, ihn zu zerstören. Das Verlangen, das auf ewig nicht befriedigt werden kann, selbst wenn ich es jemals schaffen würde, ihn in all seine Einzelteile zu zerlegen. Es wird von ihm immer etwas übrigbleiben, das lebt und strahlt und mich innerlich zerfrisst. Mir niemals Ruhe lässt und mich am Ende dazu treibt, mir die Kugel zu geben. Denn seine Schönheit ist nicht oberflächlich, nein. Es ist nicht bloß sein Aussehen, sein Lächeln, seine Körperbewegungen. Seine Vollkommenheit ist nicht bloß äußerlich. Sie ist unsterblich bis ins Knochenmark. Eingraviert auf der Fahndungsliste der Polizei.   Für immer. – : –       Halte einem Kind eine Münze vors Gesicht und sage, dass es wählen kann – eine Münze jetzt, oder zehn Münzen, wenn es drei Tage lang warten kann. Benebelt von dem Wunsch das Geld auf der Stelle zu bekommen, wird die Ungeduld des Kindes siegen. Kapitel 2: More Than This ------------------------- Selbst ein Meer aus Träumen hat ein anderes Ufer.     – : – Das erste Mal traf ich Kise Ryōta eines kühlen Freitagnachts in einer schlechtbesuchten Undergroundbar. Meine Schicht hatte vor einer Stunde geendet und das einzige, was ich noch wollte, waren ein – zwei Drinks, bevor ich zu Hause in einen komatösen Schlaf fallen würde. Übergangsweise musste ich einen hässlichen Spätschicht-Job im Kiosk machen, der mich mehr erschöpfte als jede Schwerstarbeit, die ich hätte verrichten können, aber nach einer Kündigung kann man sich eben oft nicht so schnell aussuchen, wie man sich über Wasser hält. Ich hatte gedacht, dass gerade so eine einfache Arbeit ganz mein Ding wäre: Rumsitzen, die neusten Pornohefte lesen, hin und wieder betrunkenen Kunden zu noch mehr Rausch verhelfen. Aber im Endeffekt hatte ich mich geirrt. Ich hatte das Gefühl einfach unterzugehen. Meine Gedanken kreisten nach dem zweiten Drink nur noch um die Sinnlosigkeit meines Daseins und darüber, wie ich sie aus dem Weg räumen würde. Deswegen hatte ich wohl auch nicht sofort mitbekommen, dass der blonde Typ, der mir schräg gegenüber an der Theke saß, ab und an den Blick zu mir schweifen ließ. Es war der Barkeeper, der mich mit einem spendierten Whiskey erst darauf aufmerksam machen musste. Spendiert von dem fremden jungen Mann, der ebenfalls alleine dasaß. Er sah aus, als wäre er einem Bilderbuch für minderjährige K-Pop Fans entsprungen, die bei seinem Anblick reihenweise in Ohnmacht fallen würden: hübsches Gesicht, großgewachsen, gutgebaut, geschmackvoller Kleidungsstil und ein Sinn für Styling – ausnahmslos ein Frauenschwarm. Er prostete mir still zu und leerte seinen Drink, um sich darauf einen neuen zu bestellen. Ich weiß noch, dass ich es als ziemlich unangenehm empfunden habe, von einem fremden Mann etwas ausgegeben zu bekommen, aber noch seltsamer fand ich damals seine durchdringenden Blicke, die kein Ende nehmen wollten. Wäre er eine Frau mit großen Möpsen gewesen – alles kein Problem, aber unglücklicherweise war er unverkennbar ein Kerl. Einer, den ich seinen Blicken nach zu der Spezies Mann zählte, zu der ich nicht gehörte. Die Typen sollten mir mit ihren Homo-Gelüsten bloß wegbleiben, weshalb ich dem Ganzen unmissverständlich ein Ende bereiten wollte, ehe sich der Schönling noch Hoffnungen machen würde. Die Mühe von meinem Platz aufzustehen, zu ihm zu gehen und es ihm persönlich zu verklickern, war es mir wert. „Lass es“, war meine klare Ansage, als ich neben ihm angekommen war, aber er lächelte mich bloß leicht dümmlich und wohl etwas beschwipst an. „Wie gemein – dabei wollte ich nur nett sein“, ließ er scheinheilig verlauten. „Schön für dich, aber ich bin bestens bedient.“ Ich spielte auf die Anzahl meiner Drinks an, doch er drehte mir einfach die Worte im Mund um. „So?“, fragte er mit einem nunmehr selbstbewussten Schmunzeln. „Deswegen bist du auch alleine hier, nehme ich an.“ Seine Stimme klang hell und unbekümmert. Als hätte er nichts zu verlieren. „Okay, pass auf, Kumpel“, zischte ich mit aufsteigender Abneigung, ohne auf sein Spielchen einzusteigen, „such dir für deinen heißen Flirt besser ‘ne Schwuchtel. Weil ich nämlich keine bin.“ Damit begab ich mich wieder zurück zu meinem Platz. Zwar ließ ich es mir nicht nehmen, den spendierten Whiskey auszutrinken, aber für mich war das Thema gegessen. Dachte ich zumindest, denn ich konnte es zugegebenermaßen nicht länger vermeiden, dem Typen keine Beachtung zu schenken. Seine penetrante Auffälligkeit, die nach dem kurzen Gespräch irgendwie gestiegen zu sein schien, machte es mir ungemein schwer, das Ganze einfach zu ignorieren und zu verdrängen. Und das, obwohl er es auch tatsächlich sein ließ, mich mit Blicken zu umschwärmen. Mein eigenes Verhalten verwirrte mich an dem Abend hingegen viel mehr als die Tatsache von einem Kerl angegraben zu werden, denn normalerweise sprang ich auf so was niemals an, um nicht zu sagen, dass ich wohl nicht einmal imstande war, so etwas wahrzunehmen. Das letzten Endes nicht mehr ignorieren zu können, war stechend neu. Ich tickte nicht „so“. Ehrlich nicht. Nicht einmal unter dem Einfluss von Alkohol.   Und trotzdem landeten wir später miteinander im Bett. – : –     Ich stehe geschlagene fünf Minuten vor der Getränkeabteilung, darüber nachdenkend, ob ich mir eine Coke holen soll, oder doch ein kaltes Bier. Mein Kopf will heute nicht so recht funktionieren und die Gedanken schweifen ständig ab, was nicht besonders förderlich für meine Entscheidung ist. Am Ende hole ich mir beides, obwohl ich weiß, dass ich nur eines davon trinken werde. Egal. Morgen ist auch noch ein Tag. Aus unerfindlichen Gründen kann ich es heute Abend einfach nicht vermeiden, Erinnerungen an Kise Ryōta Revue passieren zu lassen. Es müssten bereits Monate vergangen sein, seit ich das letzte Mal von ihm gehört habe, und obwohl ich mich daran gewöhnt habe, kam er mir gerade heute wieder in den Kopf. Die Erinnerungen haben mich ungebetenerweise wieder heimgesucht, ohne dass ich es wie sonst hätte lässig vergessen können.     – : – Es fühlte sich anfangs seltsam an, einen Typen zu küssen, ganz zu schweigen davon, dass es allgemein nicht mein Ding war, bei One-Night-Stands mit irgendwem rumzuknutschen. Diese kitschigen Liebeleien gehörten zum Vorspiel, das mir persönlich am Arsch vorbei ging, aber er forderte es regelrecht heraus. Spätestens als wir vor meiner Haustür standen, und er sich mit dem Rücken dagegen lehnte, wurde meine Multitaskingfähigkeit auf die Probe gestellt, indem ich trotz reger Beschäftigung mit dem fremden Körper versuchte, den Schlüssel in das verdammte Schlüsselloch zu stecken. Ich ging vollkommen gedankenlos darauf ein, Dinge mit einem anderen Mann zu tun, die ich sonst nicht tun würde. Und trotz der unkonventionellen Situation ließ ich es mir keineswegs nehmen, es zu genießen. Aufs Ganze zu gehen. Ich machte keine halben Sachen, wenn ich sie schon in Angriff nahm, auch wenn ich wusste, dass ich es am nächsten Tag vermutlich bereuen würde. Doch am Ende trat nicht einmal das ein.   Eigentlich hatte ich gehofft, dass es wie bei typischen One-Night-Stands ablaufen würde. Der „Gast“ wäre weg, noch bevor ich aufwachte und alle für ihn unangenehmen Gespräche blieben uns beiden erspart. Ich war eh nie jemand gewesen, der viel redete – ganz besonders nicht morgens. Diese Mühsal konnte ich nicht gebrauchen. Aber an dem Morgen danach war Kise nicht etwa verschwunden, sondern bediente sich wie selbstverständlich meiner Küchenutensilien. Das stellte ich leicht überrascht fest, als ich  auf dem Weg ins Bad meine kleine Wohnküche passierte. Er stand gelassen da, oberkörperfrei und gekleidet in meiner Jeans vom Vorabend, hantierte unschuldig mit einer Pfanne, von der ich nicht wusste, dass ich sie überhaupt besaß, und bereitete ungefragt das Frühstück für Zwei vor. Er fühlte sich allem Anschein nach wie zu Hause und ließ sich nicht von meiner abschätzenden Anwesenheit stören. Meine Blicke, die seinen bloßen, mit lauter Malen der letzten Nacht übersäten Rücken entlangwanderten, verwirrten ihn nicht im Geringsten. Nur ein Lächeln und ein über seine Schulter hinweg gehauchtes „Morgen“ waren Anzeichen dafür, dass er wusste, dass ich ihn beobachtete. Und vielleicht war genau diese Unbefangenheit die Ursache dafür, dass wir es gleich darauf wieder miteinander trieben. Mitten in der Küche auf meinem kleinen Tisch, den er zuvor gedeckt hatte. Ich konnte mich nicht beklagen.   Anschließend gehörte ihm mein ganzes Wochenende, an dem weder Bad, Boden, Couch noch der Rest meiner Wohnung verschont blieben. Dabei hatten wir nicht einmal unsere Namen ausgetauscht.  Damit warteten wir sogar noch bis zum nächsten Mal. Bis zum nächsten Mal, als er sich erdreistete, einfach so vor meiner Tür aufzutauchen – der Beginn einer nahezu zur Tradition mutierten Angelegenheit. – : –     Seitdem sind schon zwei Jahre vergangen. Allesamt gefüllt mit seinem raren Erscheinen bei mir nach zwischenzeitiger, monatelanger Kontaktlosigkeit. Nicht einmal jetzt habe ich seine Nummer oder dergleichen. Und vermutlich kenne ich sogar den Grund dafür. Nach all den Jahren, in denen er mich seltenerweise aus heiterem Himmel besuchen kam, kann ich inzwischen mit Sicherheit sagen, dass er seinen Lebensunterhalt nicht legal verdient. Wahrscheinlich könnte er es sogar, wenn er wollte, aber es liegt wohl einfach nicht in seiner Natur. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ihn gerade das unattraktiv für mich macht, denn wann auch immer wir uns sehen, ist da stets diese heimtückische Aura des Verbotenen um ihn herum, die ihn verlockend, ja mysteriös erscheinen lässt. Das Gefühl, ihn niemals ganz haben zu können, reizt mich.     – : – Wir haben nie ein Wort über seinen Beruf gewechselt, sondern bloß verdrängend totgeschwiegen, was sowieso schon klar war. Sicherlich wusste er auch, dass ich nicht lange brauchen würde, um zu erahnen, mit welchen Machenschaften seine geschickten Hände beschmutzt waren. Ich habe ihn sein gelassen, was er war, aber es hätte auch keine Gelegenheit geben können, das Gegenteil zu tun.   Immer wenn wir uns trafen, war es von kurzer, explosiv leidenschaftlicher Dauer. Meist gab es daher nicht viel, was wir uns zu sagen hatten, außer schmutzige, ins Ohr geflüsterte, gestöhnte, oder geknurrte Dinge. Jede lange Abwesenheit seinerseits wurde von mir entsprechend bestraft, aber genauso gut wusste ich, dass er gerade darauf stand. Wenn nicht unbedingt auf die Art, wie ich dann mit ihm umzugehen pflegte, dann ganz sicher darauf, wie viel Feuer in dem steckte, was wir taten. Meist blieb er über einige Tage bei mir. Zwei, höchstens drei. Und irgendwann entwickelte sich sogar eine Art routinierter Ablauf dieser gemeinsamen Zeit: Eine harte, beinah gnadenlose erste Nacht, in der jegliche Sanftheit fehlte, nein – eher unvorstellbar war. Ich fühlte mich dabei immer wie ein hungriges Tier, das endlich etwas zu fressen bekam – ausnahmsweise. In meiner Wohnung entstand eine Verwüstung, wie man sie in oscarreifen Filmen bei Raubzügen zu sehen bekommt. Folglich sah Kise danach nie unversehrt aus. Gereizte Haut, Kratzer, blaue Flecke, die sich von seiner blassen Haut merklich abhoben. Keiner von uns hielt sich an die Regeln eines gegenseitig behutsamen Umgangs. Wir drehten beide ganz auf, schließlich hatte er genug Kraft, um mir körperlich standzuhalten. Seine Provokationen waren stets von harter, verlangender Natur, als hätte auch er nach mir gehungert. Am darauffolgenden Tag war ich oft noch nicht versöhnlich gestimmt. Zeigte ihm mit meinem Verhalten sehr deutlich, wie frech ich es von ihm fand, bloß dann aufzutauchen, wenn er mit mir vögeln wollte. Denn dass er mich so selten aufsuchte, hieß nicht zwangsläufig, dass er sonst sehr prüde lebte. Nicht bei den Sachen, die er mit sich anstellen ließ und nicht bei der Art und Weise mich zu befriedigen. Es wäre also nicht gelogen, dass Kise mich gewissermaßen auch frustrierte. Er verdiente mein Missfallen also zurecht. Doch dieser Schleimer wusste sich immerzu richtig zu benehmen. Als würde er genau wissen, welche Knöpfe er bei mir drücken musste, mit seinen hinterhältigen Verwöhnungen. Dieser Tag verlief dennoch immer ruhig und fast schon besinnlich. Fühlte sich an, wie eine Wiedergutmachung nach einem heftigen Streit. Seine Taten während des Tages zeigten gegen Abend ihre unwiderrufliche Wirkung und spätestens dann hatte er mich wieder in seinen Fängen, brachte mich dazu, ihm wieder zu zeigen, dass er mir irgendwie gefehlt hatte. Indirekt, aber dennoch deutlich. Ausnahmslos hatte er es immer geschafft, mich den Groll vergessen zu lassen. Ob er bloß ungebeten in meine Wohnung wieder Ordnung brachte oder etwas kochte, mich in jeder Hinsicht verwöhnte, oder mir bloß reuevoll ins Ohr hauchte, dass es ihm leidtat. Wie gesagt – er wusste es ziemlich gut, sich lukrativ zu benehmen. Jede weitere Runde verlief innerhalb dieses Wiedersehens daher zunehmend friedlicher, sanfter, um nicht zu sagen für meine sonst so trockenen Verhältnisse romantisch. Nicht, dass wir zimperlich waren, aber ganz so zerstörerisch, wie in der ersten Nacht, war es allemal nicht mehr. Es fühlte sich eher ganz besonders danach an, als wären wir in einer längst laufenden Beziehung, obwohl wir beide genau wussten, dass es nicht stimmte. Wir waren nicht aneinander gebunden und würden es niemals sein. In keiner Weise, selbst wenn wir es wollten. Deshalb blieb es nur bei diesen seltenen One-Night-Stands. Denn anders hätte man sie nicht nennen können. Nicht einmal wirklich als Affäre.   Nur selten blieb Kise über die zweite Nacht hinaus noch bei mir. Meist ging er bereits in den frühen Morgenstunden oder schlief entspannt aus, eher er nach einer ausgiebigen Dusche abzog. Ich vermutete, dass diese Treffen für ihn immer eine Art Ausflüge ins gewöhnliche Leben waren. Vielleicht sogar eine Art Kurzurlaub ins Reich der normalsterblichen, gewöhnlichen Leute wie mir. Aber jeder Urlaub ist irgendwann vorbei und mir blieb jeden Sonntagmorgen nur noch die Frage, ob es ein weiteres Mal geben würde, oder ob es hiermit geendet hatte. – : –     Für meinen Geschmack denke ich viel zu oft über ihn nach – zugegeben. So wie jetzt erinnere ich mich manchmal an vergangene Wiedersehen, ärgere mich über seine lange Abwesenheit oder sehne mich bloß danach, dass er wieder plötzlich vor meiner Tür auftaucht. Aber nie rechne ich damit oder vertraue darauf. Im Grunde nehme ich es einfach nur hin, wie es ist. In meinem Leben gibt es in den meisten Fällen nur das Hier und Jetzt, sodass ich nur selten in Erinnerungen schwelge. Ich bereue nichts, weil es eh nicht mehr zu ändern ist. Deswegen wundert es mich, dass mir Kise gerade heute so hartnäckig in Gedanken hängenbleibt, dass ich mir nicht einmal bewusst werden kann, was ich eigentlich einkaufen wollte.   Auf dem Rückweg vom Spätkauf, wo ich mir neben Coke und Bier noch eine Packung Zigaretten geholt habe, mache ich einen Abstecher in die Videothek. Die jugendfreie Abteilung bietet mir zwar bestimmt schon seit meinem 25. Lebensjahr keine Genugtuung mehr, aber ab und zu brauche ich visuellen Input, um beim Wichsen nicht an Kise denken zu müssen. Denn Letzteres bringt nur noch mehr Unzufriedenheit, als Pornos mit zu weiten Muschis und überdurchschnittlich großen Schwänzen.   Kühler Frühlingswind schlägt mir entgegen, als ich die Videothek verlasse. Vielleicht sollte ich mir endlich eine Freundin suchen, heiraten, Kinder zeugen und so, aber beim Gedanken daran, gebe ich ein müdes Seufzen von mir. An Frauen interessiert mich ja doch nur die Tatsache, dass sie Titten haben (wobei die meisten eh nicht mit der Größe glänzen, die ich als Titten bezeichnen würde). Bock auf irgendwelchen Gefühlskram ihrerseits habe ich nämlich ganz bestimmt nicht. Schließlich nervt es mich ja schon, wenn Satsuki mir von ihrem Mann vorschwärmt. Vielleicht bin ich gerade deswegen ganz zufrieden damit, wie es mit Kise läuft.   Kise.   Wie beschworen.   Ich erkenne seinen charakteristischen Blondschopf bereits von weitem, als ich mich meinem Wohnhaus nähere. Meine Schritte verlangsamen sich; ich sehe kurz zur Seite, in die Ferne, durch den Spalt zwischen den Hausdächern, ehe ich mich zur Haustür begebe, um den gemeinschaftlichen Außenbalkon zu betreten und meine Wohnung anzusteuern. Noch zeigt sich keine negative Reaktion bei mir. Keine Wut darauf, dass er sich bestimmt schon wieder seit geschätzten zwei Monaten nicht blicken gelassen hat. Aber meine Hand umschließt den Schlüssel in meiner Hosentasche dennoch angespannt mit einer Faust. Vielleicht liegt diese kleine Aufregung daran, dass Kise anders wirkt als sonst. Seine Augen sind zu und seine Stirn lehnt an meiner Haustür. Ich frage mich, was mit ihm los sein mag, denn es sieht nicht danach aus, als hätte er bereits geklingelt. Viel eher steht er teilnahmslos da, wartet nicht, sondern lässt bloß die Zeit verstreichen. Nicht einmal meine Schritte scheint er wahrzunehmen.   „Wartest du schon lange?“   Die Frage, die mein Mund wie von selbst geformt hat, ist sinnlos. Es müssen gerademal 15 Minuten vergangen sein, seit ich das Haus verlassen habe. Sogar das Licht in meiner Wohnung brennt noch, weil ich wusste, dass ich nicht lange wegbleiben würde. Ich bemerke bloß, wie er leicht zusammenzuckt und wie sich sein Rücken sichtlich anspannt. Dachte er etwa, ich wäre eigentlich zu Hause und hatte absichtlich nicht geklingelt, um mich nicht wissen zu lassen, dass er da war?   Warum, frage ich mich. Wie oft war er schon da, ohne dass ich es wusste?   Einige Momente verstreichen, in denen er ohne zu antworten genau so verbleibt, wie ich ihn vorgefunden habe, ehe er sich schließlich doch noch zu mir wendet. Lächelnd, wie sollte es auch anders sein? Sofort erkenne ich die Verletzung seiner Unterlippe. Die Haut um die kleine Platzwunde herum ist leicht geschwollen, verfärbt, aber als ich meinen Blick an ihm weiter herabwandern lasse, sehe ich, dass diese Verletzung das kleinste Problem ist. Sein Hemd ist an einigen Stellen gerissen, weitere Malträtierungen schimmern hindurch. Der Stoff seiner restlichen Kleidung ist zerknittert, schmutzig.   Was ist vorgefallen?   Nur, dass es zwecklos wäre, ihm diese Frage zu stellen. Er wird sie mir nicht beantworten.   „Hi“, haucht er mir leise zu. Sein Blick ist nahezu verträumt und ich kann Müdigkeit darin erkennen. Erschöpfung. Seine Handfläche gleitet den Türrahmen hinunter und schließlich stößt er sich davon ab, um die kurze Distanz zwischen uns zu überwinden. Ich gewähre seiner Hand, zu meinem Nacken zu fahren und nehme seinen sanften Kuss an, den er mir lächelnd und mit warmer Selbstverständlichkeit gibt. Seine Augen schließen sich, während ich geronnenes Blut schmecke und die Augenbrauen zusammenziehe. Diesmal werde ich auf seine verlogene Masche ganz sicher nicht reinfallen. Nicht bei dem körperlichen Zustand, in dem er sich befindet. Und doch nimmt er sich genießerisch diesen Kuss so lange, wie er es für richtig hält, ohne sich daran zu stören, dass ich nicht erwidere. Der Geruch von Staub, Rost und noch etwas anderem dringt in meine Nase. Etwas angewidert rümpfe ich sie und versuche Abstand zu gewinnen, indem ich meinen Nacken gegen Kises Hand zu drücken beginne. „Du stinkst nach ‘nem Fick“, knurre ich unzufrieden gegen seine angerauten Lippen. „Warum sollte ich dich in meine Wohnung lassen, hm?“ Seine Augen bleiben noch einige Momente lang geschlossen und leise gibt er dabei ein helles Lachen von sich. „Du kannst mir auch die Tür vor der Nase zuknallen, Aominecchi“, murmelt er mit entspannter Stimme. „Wie wär’s damit?“, frage ich abweisend, „Wir bringen es gleich hier hinter uns und ich knalle dir die Tür dann vor der Nase zu, hä? Dann muss ich dich erst gar nicht reinlassen, um auf meine Kosten zu kommen.“ Er lächelt, doch ich habe das Gefühl, als hätte ich irgendwo einen wunden Punkt getroffen. „Wie gemein, Aominecchi“, haucht er mit theatralischer Ironie, während er endlich die Augenlider hebt, „ich bin doch kein Spielzeug.“ „Ich aber auch nicht“, sage ich mit offensichtlichem Missfallen. „Bloß nicht den Egoisten raushängen lassen, Kise. Das ist meine Aufgabe.“ Er drückt den Atem in einem knappen Lacher durch die Nase. Dabei war meine Aussage nicht einmal ein Scherz. „Stimmt, ich vergaß“, sagt er mit dem Blick auf meinem Mund haftend, als würde er mit dem Kopf gerade ganz wo anders sein, und lässt seinen Satz offen für jede Interpretation.   Bin ich ein Spielzeug für ihn?   „Aber du lässt mich doch trotzdem rein, oder, Aominecchi?“, Das scheinheilig schüchterne Flehen in seiner Stimme kotzt mich an, sodass ich darauf nicht antworte und ihn nur nachdrücklich von mir wegschiebe. Langsam merke ich, wie sich in mir doch noch diese gewohnte Wut aufbaut, mit der ich ihn jedes Mal begrüße, wenn er sich gnädig zeigt, bei mir aufzukreuzen. Nur ist sie diesmal stärker und mit viel mehr Frust beladen. Keine Ahnung, ob es daran liegt, dass er sich so offensichtlich von jemand anderem hatte vögeln lassen, oder doch daran, dass es einfach nur einen abartigen Mistkerl da draußen gibt, von dem diese hässlichen Verletzungen auf Kises Haut stammen.   Meine Einkaufstüte landet kurzerhand auf dem Boden und ich steuere sofort das Bad an, wo ich heißes Wasser in der kleinen Wanne aufdrehe. Auch wenn ich alles andere als sauberkeitsfanatisch bin – so kommt mir Kise keinesfalls ins Bett. Blutverschmiert und zerfickt wie er ist – darauf kann er lange warten. Deswegen krame ich ungefragt auch nebenbei Desinfektionszeug raus, dessen Haltbarkeitsdatum zwar bestimmt schon längst abgelaufen, aber immerhin besser ist, als das, was er jetzt auf sich trägt. Kise steht im Flur wie bestellt und nicht abgeholt, lächelt müde, als ich an ihm ins Schlafzimmer vorbeigehe, um dort ein sauberes Handtuch aus den unordentlichen Tiefen einer Schublade herauszufischen, und auf die Schnelle ein paar Klamotten zu finden, die er anstatt seiner Halblumpen anziehen könnte. Das alles drücke ich ihm in die Hände, als ich aus dem Zimmer zurückkehre, mit dem Ziel ihn anschließend damit ins Bad zu schieben. Als ich bereits dabei bin, ihn alleine zu lassen, hält er mich an meinem Ärmel zupfend davon ab. „Was denn, bleibst du etwa nicht?“, fragt er fast schon zaghaft, mit der anderen Hand meine Sachen und das Handtuch festhaltend. „Was soll ich denn hier? Dich filmreif verarzten, obwohl ich nicht besser darin sein kann als du?“, gebe ich spöttisch von mir. Dieser Bastard hat kein anderes Verhalten meinerseits verdient. Nicht nachdem er zugelassen hat, dass mit ihm das passiert, was wohl passiert sein muss. Vielleicht mag er auf den ersten Blick schwach aussehen, aber das ist er immer nur zur Tarnung. Ich bin ziemlich sauer. Bin ich denn Gott, dass ich Ausartungen von kranken Sado-Maso-Spielchen nicht verurteile? Kises Branche und seine Fähigkeiten geben mir keinen Grund zu einer anderen Annahme, als dieser hier. Wieder eines seiner leisen Lacher, die keine Spur Freude in sich tragen, so unbekümmert und leicht sie auch klingen mögen. „Schon gut“, haucht er kaum hörbar. Wortlos entferne ich mich aus dem Bad.   Was hat er denn erwartet, frage ich mich, während ich beobachte, wie der Rauch meiner Zigarette aus dem Fenster in die Frische der Nacht entweicht. Was genau ist es denn, was er von mir erwartet?   Als Kise endlich fertig ist, liege ich schon längst im Bett, ohne auch nur ein Auge zudrücken zu können. Ehrlich gesagt, will ich nur noch, dass diese Nacht vorbei ist. Deswegen habe ich nicht einmal darauf gewartet, selbst das Bad belagern zu können. Eigentlich wollte ich auch nicht wach mitbekommen, wie er ins Zimmer kommt und sich leise auf das Bett niederlässt. Dass ich mich weggedreht habe und mit dem Rücken zu ihm gekehrt liege, hindert ihn aber auch nicht daran, mich zu nerven. Er kommt quer übers Bett zu mir gekrochen und platziert sich gegen meinen Willen direkt hinter mir, das Gesicht dicht an meinem Nacken. Seine warmen Atemzüge streifen sachte meine Haut, doch dessen nicht genug – um sich näher an mich ranzuschmiegen, schlingt er einen Arm um mich und fährt mit der Hand zu meiner Schulter. Die Spitzen seiner Haarsträhnen kitzeln aufdringlich meinen Hals, als er die Stirn dagegen drückt. Denkt er allen Ernstes, dass ich in meinem untervögelten, frustrierten Zustand diese Art von Nähe ohne hart zu werden aushalte? Bullshit – was für ein beschissener Vollidiot. Nur noch drei-vier seiner ruhigen Atemzüge ertrage ich bewegungslos. Dann überkommt es mich einem Platzregen gleich. Meine Wut verbindet sich mit Kises körperlicher Anziehungskraft und ich stoße ihn mit dem Ellenbogen von mir weg, um mich wenige Sekunden später ruckartig über ihn zu rollen. Einer seiner Handgelenke befindet sich in meinem Griff und ich drücke zu, ohne meine Gewalt zurückzuhalten. Er hatte nicht damit gerechnet, denn seine Augen stehen vor Überraschung weit offen. Pfft. Als ob es mich noch davon abhalten würde, ihn zu nehmen. „Bastard“, zische ich ihm zornig entgegen. Das Verlangen nach ihm überwältigt mich gnadenlos und ich verdränge den Zustand seines Körpers vollständig. „Ich kann dich echt nicht leiden, Kise“, knurre ich gegen die wunde Haut nahe seines Kiefers am Hals. Dann folgt wie zur Strafe ein rauer Biss. Kise versucht ein gequältes, brüchiges Stöhnen zu unterdrücken, doch das Scheitern dieses Unterfangens ist sicher.   Ich weiß genau, dass er nicht will. Ich kann es nur allzu gut spüren. Doch selbst wenn er sich jetzt wehren würde, wäre es mir vollkommen egal. Es reicht aus, dass ich ihn will. Jetzt.   Meine Hand zerrt den Gummizug seiner Hose grob hinunter, fährt besitzergreifend zwischen seine Beine. „Aominecchi…!“, höre ich ihn zwischen dem fahrigen Rascheln der Kleidung und des Bettlakens hauchen, als würde er mich mit diesem nervigen Spitznamen besänftigen wollen. „Warte…“, aber er wehrt sich physisch dennoch gegen nichts, was ich mache. „Ich…“ Seine Stimme stockt, als ich sein Handgelenk loslasse, um mich nun mit beiden Händen in seine Oberschenkel zu krallen und schroff seine Beine anzuwinkeln. Selbst das Gefühl von Kratzern und irritierter Haut kann mich nicht mehr davon abbringen, meine Hüfte gegen ihn zu drücken. Die Folge – ein gepresstes Stöhnen aus meinem Mund, als die Reibung und der von mir ausgeübte Druck mich beinah um den Verstand bringen.   Es war wohl keine so gute Idee, mich heute aufzusuchen, Kise. Vielleicht hättest du warten können, bis ich mir auf den ausgeliehenen Porno einen runtergeholt habe. Vielleicht wäre ich dann weniger in diesem beinah animalischen Verlangen nach deinem Körper gefangen. Und vielleicht hätte ich dich dann in Ruhe gelassen.   Ich stoße mit der Hüfte hart und unüberlegt zu, obwohl ich noch bekleidet bin, suche mit den Fingerspitzen wüst den blassen Körper entlang nach Kises Brustwarze, um grob hineinzukneifen und entlocke seinem Mund wieder die Stimme, die kein Anzeichen von Genuss in sich trägt, wie es sonst der Fall wäre. Dann befreie ich mich mit ungeduldigen Griffen von dem störenden Stoff meiner Wäsche.   Sag mir, dass ich aufhören soll. Verbiete es mir. Weise mich in meine Schranken.   Immer noch keine Gegenwehr. Ich bin zum Zerbersten hart, dass mir die Feuchte schier den Schwanz hinabläuft. Jeder einzelne Muskel meines Körpers ist angespannt und ich schaue mit zusammengezogenen Augenbrauen zwischen unsere Leiber, nur um zu vermeiden, dass ich in sein Gesicht sehen muss. Der Anblick seines Körpers im zerstreuten Licht der Straßenlaternen von außerhalb des Fensters verwehrt mir für einen Moment den Atem, genauso wie den Gehörsinn, an dessen Stelle ein dumpfes, fiebriges Wummern meines eigenen Herzschlags tritt. Dann halte ich es nicht länger aus und dringe ohne Vorwarnung in ihn ein. Gedankenlos und rau. Sein Rücken bäumt sich in einem Hohlkreuz unter mir auf, als wolle er mir entfliehen. Ich lasse es nicht zu, knie mich zwischen seinen Beinen aufrecht hin, nur um im nächsten Moment seine Hüfte mit den Händen zu ergreifen. Er ist eng genug, um mir seine Verspannung deutlich zu machen, aber gerade ist es mir egal genug, um es zu ignorieren. Mit zusammengebissenen Zähnen stoße ich wieder rücksichtslos in ihn. Er ist unaushaltbar eng und unempfänglich. Es schmerzt – verdammt nochmal – als würde ich eine verfickte Eisenplatte vögeln. Und obwohl es weh tut und meine Augen sich dadurch zu Schlitzen verengen, mache ich weiter. Seine Stimme verrät mir, dass es ihm ebenso ergehen muss. Dennoch lässt er es weiterhin ohne jegliche Gegenwehr zu.   Warum wehrst du dich nicht, Kise? Warum, wenn du es problemlos schaffen könntest, das hier zu stoppen?   Verflucht – beim nächsten, harten Stoß ist seine Stimme ein einzelner unterdrückter Schrei. Und trotzdem äußert er immer noch nicht die reinste Spur eines aktiven Widerstandes. „Halt die Schnauze, Bastard“, zische ich ihm zu, ehe ich mich zu ihm beuge. „Du bist Schuld an dem hier, kapiert?“ Er antwortet nicht, sondern dreht bloß den Kopf weg. Ein weiterer, rauer Stoß. „Was ist, hä?“ Ich kann mich nicht mehr kontrollieren. Warum macht es mich so unsagbar heiß, ihn in diesem Zustand zu erleben, obwohl es doch so abartig ist? Gedrungen entflieht ihm beim nächsten Stoß ein gespanntes Stöhnen durch die Nase. Seine Lippen sind fest aufeinandergepresst, wollen einen weiteren Schrei unterbinden. „Was ist denn, Kise? Du stehst doch scheinbar drauf“, fahre ich unaufhaltsam fort, als wollte ich wie ein verwundetes Raubtier meiner Gewalt einen Grund geben. Ich spüre, dass sein Körper an seine Grenzen gekommen ist, aber ich kann nicht mehr aufhören. Meine Hand ergreift sein Kinn und dreht sein Gesicht zurück in meine Richtung. „Ist es das, was du brauchst, ja?“, knurre ich gegen das gequälte Antlitz mit den vor Schmerz zusammengekniffenen Augen. „Sieh mich an, verdammter Masochist.“ Ich habe meine Stimme, meinen Wortfluss nicht im Griff. „Hast du dich deshalb von dem Typen knallen lassen?“ Seine Lippen zittern verspannt. „Weil ich dir nicht ausreiche?“   Halt die Klappe, Daiki. Halt deine verdammte Klappe.   Ich will keine Antwort hören. Keine einzige, egal, wie sie ausfallen würde. Deswegen schiebt sich meine Hand fest über Kises Mund.   Du verrätst dich, Daiki. Jedes verdammte Wort ist eine Tatsache, die du selbst nicht einmal wahrhaben willst. Jeder Satz – etwas, das du dir noch nicht einmal selbst eingestanden hast.   „Oder ist es eine weitere Provokation von dir, Kise?“ Meine Handfläche bebt über seinen Lippen. „Weil es dir zu langweilig geworden ist, einfach nur zum Ficken herzukommen?“ Ich kralle mich beinah in die Haut seines Gesichtes. Ein weiterer Stoß. „Sag!“     Warum erregt es mich? Warum gerade dieses erbärmliche Flehen in seinen hellen Augen, die mich nun anstarren?   Doch nicht etwa, weil es das einzig ehrliche Gefühl ist, das er mir jemals gezeigt hat?   Nur das kann es sein, oder?   Bislang war ich nur ein Mittel zum Zweck für ihn. Ein Fick zwischendurch. Nichts weiter Kein einziges Mal hat er mir gegenüber seine Fassade fallen lassen. Nie wirkliche Schwäche gezeigt.   Doch diesmal ist es anders.   Hier liegt er nackt und bloß unter mir. Mit hässlich aufsteigenden Tränen, die ich nicht sehen will und die mir doch alles in diesem Moment bedeuten, weil sie mir zeigen, dass auch er verletzlich ist. Menschlich. Dass er genau hier ist, bei mir. Schuldbewusst. Wehrlos, als wäre er mir für diese schäbige Unterkunft etwas schuldig.   Ich kann innerlich bloß ironisch auflachen.     „Du bist echt das Letzte, Kise“, murmle ich mit niedergeschlagener Resignation. Schließlich stoße ich mich von der Matratze ab und zische dabei ein „Shit“, das kurz im Raum widerzuhallen scheint. Dann setze ich mich auf die Bettkante, stütze meinen Ellenbogen auf den Oberschenkel und gleite mir mit der Hand fest über den Nacken, nachdem ich den Kopf geneigt habe. „Shit, weißt du wie verdammt beschissen es ist, jemanden zu vögeln, der rumheult?“ Nun bin ich komplett ernüchtert und enttäuscht. Müde. Nicht, weil ich nicht bekommen habe, was ich wollte, nein. Es fühlt sich anders an. Kommt irgendwie aus einer ganz anderen Richtung. Schließlich erhebe ich mich vom Bett und werfe keinen einzigen Blick mehr zurück auf die sich hörbar zusammenkauernde Gestalt. Mit einem ekelhaften Gefühl lasse ich das Zimmer endlich hinter mir.     Ich weiß, dass es falsch ist, Kise zu beschuldigen. Und ihm Sachen an den Kopf zu werfen, für deren Aussprache ich keine Berechtigung habe, weil Kise mir zu nichts verpflichtet ist. Genauso, wie ich ihm zu nichts verpflichtet bin. Und doch stellt sich mir die Frage, was es ist, das mich so weit getrieben hat so zu auszuticken. Außerhalb des schuldbeladenen Schlafzimmers und fern von Kises Nähe kann ich die Dinge nun in einem anderen Licht sehen. Nüchterner. Dass ich überreagiert habe ist kein Geheimnis, und dass ich dazu nicht berechtigt war, ist eine Tatsache. Aber das am meisten Ironische an dieser Geschichte ist mein weiterhin bestehendes Verlangen danach, dass er bleibt, obwohl das alles gerade so ziemlich aus den Fugen geraten ist. Egal wie widerlich sein Zustand ist, ob nun seelisch oder körperlich; egal, wie sehr es mich ankotzt, dass er so offensichtlich nach einem seiner perversen One-Night-Stands zu mir gekommen ist; und egal, auf was für krankes Zeug er dabei zurückgegriffen hatte – Allein der Gedanke daran, dass er mich aufgesucht hat, ohne mit mir schlafen zu wollen, reicht mir vollkommen aus, um das Verlangen zu haben, dass er nicht wieder verschwindet. Denn es hätte jeder andere sein können, bei dem er eine Art Schutz gesucht hätte. Aber letzten Endes war ich es. Vielleicht bin ich also doch kein bloßes Spielzeug für ihn. Vielleicht tut ihm meine Nähe einfach nur gut. Nur allzu gern will ich es wissen. Was in ihm wirklich vorgeht. Es ist mir bloß klar geworden, dass es keine dumme Provokation seinerseits war, kein Handeln aus Langeweile und auch kein Austesten meiner Grenzen.     Während ich am Fenster in der Wohnküche wieder eine Zigarette rauche, merke ich, wie sich dieser abartige Sturm in mir wieder legt. Der Groll ist verschwunden und hat einem anderen Gefühl Platz gemacht, das ich nicht genau definieren kann. Gedankenverloren fahre ich mir mit der Hand übers Gesicht, vernehme allerdings im nächsten Augenblick Geräusche aus dem Flur, die mich wieder auf den Boden der Tatsachen bringen. Es müssen schon endlose Minuten vorbeigezogen sein, in denen sich dieser blonde Idiot ebenfalls beruhigt hat, aber offenbar mit dem Beschluss, ohne Vorwarnung, ohne Erlaubnis einfach abzuhauen. Verständlich, dass ich nicht viel davon halte. Er soll bleiben, denn dass er in dieser Verfassung bei jemand anderem auftaucht, will ich ganz und gar nicht. Nicht mit dieser heruntergerissenen Fassade. Nicht mit diesem freigelegten Kern, der allein mir gehören soll. Nur mir.   „Vergiss es“, sage ich bestimmend, ohne mich zum Flur zu drehen, wo Kise dabei ist, leise seine Schuhe anzuziehen. Ich schaue weiter mit bewegungslosem Blick aus dem Fenster. „Ab zurück ins Bett“, höre ich mich überzeugt sagen, woraufhin er innehält. Zögernd. Er sagt kein Wort. Ein deutliches Anzeichen dafür, dass nichts in Ordnung ist. Nichts. Ob es in Wirklichkeit sein wahres Wesen ist? Ob er es versucht zu verbergen? „Na los, mach schon. Ich komm‘ gleich nach.“   Wie ist er wirklich?   Es vergehen einige Momente, ehe ich unsichere Schritte in Richtung des Schlafzimmers vernehmen kann. Fast schon gehorsam. Ich warte noch zwei Zigarettenlängen, dann begebe auch ich mich zurück.           Der darauffolgende Morgen ist herb.   Ich wache exakt so auf, wie ich in der Nacht zuvor eingeschlafen bin und mein linker Arm fühlt sich taub an. Ich liege auf dem Rücken mit Kise, der sich mit dem Gesicht gegen meine Halsbeuge schmiegt und seine Hand auf meiner Brust abgelegt, sowie sein Bein zwischen die Meinen geschoben hat. Seine Schulter drückt mir irgendeinen Nerv am Bizeps ab, weshalb auch die Taubheit nicht gerade ein Wunder ist. Zwar fühlt sich das Ganze angenehm vertraut an, weil es oft so vorgekommen ist, aber die Erinnerung an die vergangene Nacht ist auch nicht gerade das, womit ich mich brüsten kann. Ich stelle mit seichtem Staunen fest, dass ich der erste bin, der bereit zum Aufstehen wäre, obwohl es sich bislang zu 90 Prozent der Fälle immer andersrum zugetragen hatte. Der Blick auf den Wecker verrät mir, dass ich eigentlich keinen Anlass dazu habe, jetzt schon das Bett zu verlassen, da es Samstag ist und ich definitiv nicht zur Baustelle muss. Automatisch frage ich mich, ob Kise heute schon verschwinden wird, oder noch zu bleiben gedenkt. Und während ich darüber sinniere, reibe ich noch verschlafen gähnend über mein Gesicht mit der Hand. Zu meiner Linken regt sich Kise träge, zieht sich aber bloß enger an mich, die Wange auf mein Schlüsselbein schiebend. Einige nervige Strähnen seines Haares gleiten dabei auf mein Kinn und verbleiben dort hartnäckig trotz meiner Versuche, sie wegzupusten. Ich ertappe mich dabei, dass ich eigentlich nichts dagegen hätte, wenn jeder Morgen so ablaufen würde, wenn auch ohne Auseinandersetzungen wie sie sich gestern zugetragen hatten. Aber ich weiß ganz genau, dass Kise heute Abend oder spätestens morgen nicht mehr an mich gedrückt einschlafen wird. Oft genug habe ich ihn nachts, wenn er schlief, aus dem Affekt heraus von hinten an mich rangezogen und innerlich gegen seinen Nacken gebrüllt, dass er doch einfach bleiben soll. Einfach bleiben. Aber er hatte es immer nur als Aufforderung gesehen, mit mir zu schlafen, wenn er von meinen körperlichen Besitzansprüchen überhaupt wach wurde. So lief es zwischen uns. Ich weiß nicht, ob es nur ein Verstoß gegen meinen inneren Stolz war, dass ich es bislang niemals laut ausgesprochen habe. Und vielleicht mache ich es auch nicht, aus feiger Angst vor Veränderungen. Ob das alles überhaupt solcher Gedanken wert ist? Habe ich nicht erst gestern zu mir gesagt, dass ich damit zufrieden bin, wie es mit Kise läuft? Ein leiser, zynischer Lacher entweicht mir in den Raum, als ich mich beginne Kises Umarmung zu entziehen. Was mache ich mir bitteschön vor? Es ist doch eigentlich offensichtlich, dass ich mehr von ihm haben will, als nur das, was wir die zwei Jahre lang geteilt haben. Aber wer weiß, ob ich es ihm auch nicht offen zeige, weil ich nicht will, dass dieses Verlangen einfach verfliegt. Ich kenne mich zu gut. Was ich vollends in die Hände bekomme, wird nach kurzer Zeit bedeutungslos. Mein Interesse schwindet, bis es sich irgendwann ganz im Nichts auflöst. Vielleicht habe ich es Kise deshalb gestern vorgeworfen, denn es ist eine Sache, ob man selbst das Interesse verliert, eine andere, wenn sich diese Einstellung gegen einen selbst richtet.     Kise schläft in aller Seelenruhe weiter, als ich mich leise aus dem Zimmer begebe. Ich beschließe den alltäglichen Dingen nachzugehen, die ich schon eine Weile vor mir hergeschoben habe, wie das Leeren meines mit Post jeder Art überwucherten Briefkastens. Ganz der Erwartung nach ist er bis an den Rand gefüllt. Darunter eine Postkarte von Satsuki aus Italien. Ihr und ihrem Mann scheint es gut zu gehen, aber ihr kleiner Sohn hat sich am Strand einen Milchzahn an einer Austernmuschel ausgeschlagen. Bei dieser Vorstellung habe ich beim Pissen vor Lachen fast das Klo verfehlt – ich sollte es in Zukunft unterlassen, Satsukis Postkarten  dabei zu lesen, denke ich mir unterwegs zur Küche, wo ich mir zuallererst die Coke reinpfeife, die ich gestern nicht angerührt habe. Frühstück wär‘ jetzt cool – mein Magen gibt bei diesem Gedanken ein spöttisches Knurren zum Besten, aber der Kühlschrank hat beschlossen, sich als leer herauszustellen. Also bleibt es wohl vorerst nur beim Kaffee, ehe ich das Haus verlasse, um schnell irgendwas Essbares aufzutreiben. Zurück zu Hause kratze ich aus Langeweile den kleinen Stalaktiten vom Wasserhahn in der Küche ab, wegen dem mich Kise beim Putzen vor etlichen Monaten einmal ausgelacht hatte, nur um ihn dann trotzdem dranzulassen. Der zynische Humor schmeckt bitter angesichts der widerlichen Tragik der vergangenen Nacht. Und nach einigen anderen, sinnlos scheinenden Aktionen entdecke ich endlich den Blondschopf in der Küche, der sich an meiner versifften Kaffeemaschine bedient. Irgendwie hat sie noch einen Milchschaum zustande gebracht, den Kise daraufhin mit sinnlichem Gesichtsausdruck schlürft. „Guten Morgen, Aominecchi“, flüstert er mir liebreizend zu, als ich vor ihm stehen bleibe. Ich nippe ungefragt an seiner großen Tasse und lasse ihm seine nervige Freude daran, meinen übrigbleibenden Milchschnurrbart zu belächeln. Es ist fast so, als wären die Ereignisse der vergangenen Nacht verblasst. Nur die Verletzung auf Kises Unterlippe und seine leicht gerötete Haut um die Augen erinnern noch daran, weil alles andere gut versteckt unter der Kleidung liegt. Oder hinter seiner tückischen Verschwiegenheit. Er stellt den Kaffee auf der schmalen Küchentheke ab und beäugt neugierig die von mir zuvor abgestellte Tüte, die ich ihm nur vielsagend über die Küchentheke zuschiebe. „Mach‘ mir was zu essen“, brumme ich ihm zu. „Ich hoffe nicht, dass da nur pornographische Inhalte drin sind, Aominecchi.“ Er kichert dümmlich, als er die neuste Playboy-Ausgabe aus der Tüte fischt. „Nicht auszuschließen.“ „Hättest du nicht auch so was wie einen Morgenkuss besorgen können?“ Seine Hand hat sich wieder auf meine Brust geschlichen und sein Blick gilt offenbar mit leichter Besorgnis einem bei der Rasur ausgelassenen Bartstoppel auf meiner Kieferkante. „Wenn du Romantik willst, Kise, bist du bei mir an der falschen Adresse“, ermahne ich ihn vorsorglich, nicht ohne dabei die gute Aussicht auf seine immerzu Schlafzimmerblick-geformten Augen zu genießen, ehe er mich trotzdem küsst. Trotz der Mahnung, wie immer. Mit dem Mund saugt er verspielt den Milchschaum von meiner Oberlippe und grinst in den Kuss hinein mit dem verruchten Spruch „Mhhh, schmeckt gut!“.   Gott, er schafft es immer wieder, dieser verfluchte Wichser.   Ob ich ihm böse bin, oder irgendetwas Unangenehmes passiert ist – er schafft es immer und immer wieder eine Stimmung aufkommen zu lassen, als wäre nichts gewesen. Ich kann es nicht mehr vermeiden, ihm einen harten, beinah hungrigen Kuss zurückzugeben, fahre mit der Hand dabei zu seiner Taille unter das Shirt, um seine nackte Haut unter den Fingerkuppen zu spüren. Dabei erinnert mich ein leicht geschwollener Kratzer daran, dass ich besser nicht weitergehen sollte. Nicht bei seinem Zustand und nicht nach meiner gestrigen Aktion. „Lass es, wenn du nicht willst, dass ich dich flachlege“, zische ich mit aufsteigender Unzufriedenheit gegen seine Lippen. Er weiß mit Sicherheit, was er besser nicht tun sollte, wenn es nicht auf Sex hinauslaufen soll. Davon ist er jedoch spürbar verunsichert. „Sorry“, haucht er leise und dreht den Kopf leicht zur Seite, „ich dachte nur…“   Etwas ist anders …   „Nur – was?“, unterbreche ich ihn schroff. „Lass uns nicht streiten, ja?“, versucht er zu schlichten. Eindeutig – er weicht mir aus. Aber irgendwie bin ich davon nicht sonderlich gerührt. Ganz im Gegenteil. Seine Hände machen sich daran, den Inhalt der Einkaufstüte auszupacken. „Nur – was, Kise?“, bohre ich ausdrücklich nach, „Dass ich so einfach verdränge, wonach du zu mir gekommen bist?“ Dieses Thema gefällt ihm sichtlich nicht. Unzufrieden schnalzt er mit der Zunge und versucht sich etwas eingehender auf das Vorbereiten des Frühstücks zu konzentrieren, indem er sich ein Schmiermesser zur Hand nimmt. „Ich habe es nicht gewollt, okay?“, merkt er wie nebenbei an, aber ich merke an seinen Bewegungen, dass er leicht aufgeregt zu sein scheint. Es überrascht mich. Nicht einmal der Inhalt seiner Aussage, sondern viel eher ihre Existenz an sich. „Nicht gewollt, dich von dem Kerl ficken zu lassen, oder nicht gewollt, dass ich dich in dem Zustand tatsächlich vorfinde?“ Die Provokation ist vollkommene Absicht, als wollte ich mir mit Gewalt die Wahrheit zu eigen machen, jetzt da ich Schwäche und Nachgiebigkeit gewittert habe. Kises Bewegungen werden hastiger und sogar ein Stück weit ungelenk.   „Was sein musste, musste sein.“   Klingt seine Stimme genervt, oder bilde ich es mir nur ein? Ja, was sein muss, muss sein. Deswegen werde ich in diesem Gespräch auch nicht nachgeben.   „Also bloß wegen der Kohle, ja?“ Er hält inne.   „Daiki.“   Diesmal ist es ein gesenkter und harter Tonfall. Er dreht den Kopf zu mir und starrt mir mit eisernem, ziemlich kaltem Blick direkt in die Augen.   „Ich bin Einiges, aber keine beschissene Hure, verstanden?“   Sein überraschender, stiller Zorn nimmt mir unverfroren die Worte und ich bin mir sicher, dass mein Gesichtsausdruck deutlich macht, wie sehr es mich entwaffnet. Allein dass Kise sich überhaupt vor mir rechtfertigt, allein dass er auf meine Vorwürfe auf diese Weise eingeht, statt alles gekonnt zu überspielen; allein, dass die Provokation ihn irgendwo heftig getroffen hat, ist einmalig genug, um mich sprachlos zu machen und mich betreten den Kopf abwenden zu lassen. Ich kann nur nebenbei hören, wie Kise beginnt, irgendetwas Essbares zu fabrizieren, obwohl mir der Hunger vergangen ist.   Habe ich ihn mit dieser Konfrontation wirklich berührt? Wirklich?   Die Frage erübrigt sich, als ein lautes Klirren des ins Waschbecken geworfenen Messers ertönt.   „Scheiße!“, flucht er gepresst. Als ich zu ihm linse, schreit mir Niedergeschlagenheit entgegen. Frustration. Vielleicht sogar Hilfslosigkeit. Sein Kopf ist geneigt, der Körper angespannt. Zittriger Finger fährt er sich über das Gesicht und ich kann nicht anders, als mich plötzlich ziemlich schuldig zu fühlen.   Bin ich zu weit gegangen? Bin ich ein Egoist? Ein Egoist, der selbstsüchtig Schutzmauern Fremder niederreißt, um sich die übrigen Ruinen zu erobern, die sich dahinter verbergen? Ich will ihn umarmen, trösten. Und doch bin gleichzeitig ich es, der ihn in diesen Zustand durch schamlose Provokation gebracht hat.   Meine Lunge schnappt tief nach Luft. Es fällt mir nicht leicht, mich zu einer Umarmung zu überwinden. Nicht nur, weil es nicht meine gewohnte Art ist, sondern viel eher, weil ich weiß, dass es im Grunde keine Tugend ist. Nichts wird dadurch wieder gut gemacht. Nichts wird dadurch heilen. Und zu allem Übel ist es wieder einmal ein nutzloser Verrat mir selbst gegenüber. Je heftiger man angreift, desto größer ist das Risiko selbst getroffen zu werden, nicht wahr?   Wieviel weiß er bereits? Wieviel ist noch geheim geblieben? Wieviel bleibt mir noch übrig, um es verleugnen zu können?   Am Ende stehen wir bewegungslos da. Er – fest von meinen Armen umschlossen, seine Hände – verkrampft in mein Hemd gekrallt. Ein leises Schniefen ist zu hören. Meine Halsbeuge wird von seinen Augen feucht, weil er das Gesicht gegen mich presst. Ich höre auf, die Sekunden zu zählen. Was ergibt es noch für einen Sinn, irgendetwas zu leugnen? Was für einen Sinn – sich zu verschließen?   Er hebt den Kopf. „Keine Fragen mehr, Daiki. Okay?“   „Okay.“ Unruhige Stimme.   „Okay?“ Verbitterter Blick aus honigbraunen Augen.   „Ja“, flüstere ich.   Er küsst mir das Wort von den Lippen. „Lass mich vergessen“, haucht er kaum hörbar. Und ich kann einfach nicht anders, als mich ihm hinzugeben. Immer.   „Ja.“           – : – Postskriptum, als wir wortlos nebeneinander im Bett lagen – beide benommen wie zwei Teenager nach ihrem ersten Mal – konnte ich mich nicht daran erinnern, je so etwas getan zu haben. Nicht auf diese Art und Weise. Es war wohl mit Abstand der klischeehaft einfühlsamste Sex, den man sich vorstellen kann. Und vermutlich kennt man ihn so nur aus übertriebenen Romantikfilmen für vorpubertäre Mädchen; mit fast allem, was dazu gehört. Zur Krönung des Kitsches fehlten nur noch Rosenblüten, Kerzenschein und ein schmalzig ins Ohr gehauchtes Liebesgeständnis. Ich hatte wegen der beißenden Ironie einen dumpfen Lacher verlauten lassen. Denn obwohl zwischen den scheuen Atemzügen, dem Raunen meines Namens und dem Verflechten unserer Finger ineinander Kises Verwundbarkeit deutlich wurde – Verwundbarkeit, Sensibilität und die Fähigkeit, sich mir auf diese Weise hinzugeben – habe ich nicht weniger von mir preisgegeben. Genau das, was ich sorgfältig versucht habe zu vermeiden. Es konnte nicht rückgängig gemacht werden. Was getan war, war getan.     Er blieb bei mir. Verschwand auch nach einer Woche nicht spurlos, wie er es sonst getan hätte. Wartete immer ungeduldig mein Heimkommen von der Arbeit ab, überfiel mich schon oft an der Türschwelle, oder saß bloß auf dem Boden im Flur, wie ein alleingelassener Welpe, während ich hineinging und die Einkäufe in die Küche brachte; beschäftigte sich den ganzen Tag lang mit belanglosen Sachen, wie dem Spielen von Tetris auf meinem uralten, aus irgendeinem Kellerkarton herausgekramten Gameboy.   „Kannst du nicht wenigstens warten, bis ich geduscht habe?“ „Nein, Aominecchi – ich will dich ganz genau so: schmutzig und verschwitzt und männlich!“   Wäre er eine Frau, hätte ich ihn vermutlich geheiratet, hätte zig Kinder gezeugt und angefangen auf ein scheiß Haus am See zu sparen. Mit zwei Hunden, drei Katzen und einem nervigen Wellensittich. Und wahlweise einem dämlichen Wintergarten, wo Kise seinen grünen Daumen ausleben konnte, wie er wollte. Unsere absolut kitschigen Sessions im Bett wollten auch kein Ende nehmen. Wenn meine Kollegen auf der Baustelle, wo ich die meiste Zeit meine dicken Eier raushängen ließ, wüssten, was ich alles für schnulziges Zeug im Bett vollbringen konnte, würden die mich nie im Leben mehr ernstnehmen. Ich tat es ja selbst nicht einmal mehr. Von Kise ganz zu schweigen.   „Da hat wohl einer die sanfte Art für sich entdeckt. Hab ich dich etwa gezähmt, Aominecchi?“ „Willst du, dass ich dich erwürge, hm?“ Wildes Bettknarzen. Geringfügiges Handgemenge. „Oh nein, Aominecchi! Nicht… nicht doch!“ „Erwürgen, ja?“ Helles Lachen. Sanfte Dominanz. „Dein Wunsch ist mir Befehl, Ryōta.“ Wunde Lippen, von hingebungsvollen Küssen.   Was fehlte, waren vielleicht gemeinsame Ausflüge und ekelhaft romantische Lebensmitteleinkäufe zu zweit. Dafür dekorierte Kise meine Wohnung mit Pflanzen, die auf Dauer niemals eine Überlebenschance hätten, nachdem ich ihm einen Zweitschlüssel aushändigte. Er kaufte so unnützes Zeug, wie Satinbettwäsche, oder bereicherte meinen Bestand an Unterwäsche mit Sachen, von denen er meinte, dass sie perfekt zu meinem Hintern passten. Unsere Abende umfassten ein breites Spektrum an Kartenspielen aller Art, die stets ums möglichst gezielte Nacktwerden gingen und bei denen Kise zugegebenermaßen einen überaus guten Spürsinn fürs Pokerface zeigte. Darüber hinaus zockten wir irgendwelche veralteten Kampfspiele auf meiner bis dato verrosteten Playstation aus Jugendjahren, oder schauten ausgeliehene VHS-Filme auf meinem billigen Röhrenfernseher, den mir Satsuki vor Jahrzehnten abgetreten hatte. Ich stellte nach und nach mit reger Überraschung fest, dass bei Kise ein ziemlicher Nachholbedarf an Kulturklassik fehlte. Sowohl bei Spielfilmen, als auch bei Pornos. Es hatte bei ihm irgendwo zwischen „Die unendliche Geschichte“ und „Mortal Kombat“ aufgehört.   „Hast du gesehen, was er da gemacht hat, Aominecchi?! Hast du, hast du?! Wie geht so was überhaupt?!“ „Ja, habe ich. Schon an die 100 Mal. Das ist ein ‚kinematogrischer‘ 3D-Effekt, du Vollpfosten.“   Ich fand es immerzu ziemlich liebenswert. Ganz besonders, wenn er sich bei Thrillern und Horrorfilmen in Schockstarre an mich drückte, wie ein dummes, kleines Kind. Manchmal hatte er die Hemmung, wenn es dunkel wurde in die Abstellkammer zu gehen, um die in der Waschmaschine vergessene Wäsche aufzuhängen.   „Ich sag’s dir doch, Aominecchi – letztes Mal stand da die Tante aus ‚The Grudge‘! – ich schwöre es! Ich habe sie  mit eigenen Augen ge-“ „Mein Gott – ich komm‘ ja schon, Mann. Keine Panik.“   Vielleicht war es auch bloß ein schauspielerischer Vorwand, um mich für körperliche Nähe oder Hausarbeit zu engagieren. Und selbst wenn – irgendwo genossen wir es beide. – : –     So vergeht ein Monat.   Und das, was ausgesprochen gehörte, wurde nie ausgesprochen.           „Hey, Kise“, sage ich gedehnt, ohne meinen Blick von der längst erloschenen, losen Glühbirne im Schlafzimmer zu lenken, die von den Lichtern vorbeifahrender Autos wie gewohnt vertraut skurrile Schatten auf die Wände wirft. Er antwortet mit einem gedankenverlorenen „Hm?“, während seine Hand unermüdlich mit meinen Fingerkuppen spielt. Ich liege auf dem Rücken, den Arm angewinkelt, genieße die Wärme, die von Kises Körper ausgeht, auf dessen Brust ich meinen Hinterkopf gebettet habe. Kise ist mit dem Ellenbogen am Kissen aufgestützt und lehnt mit ruhigem Atem an der Wand am Kopf des Bettes. Sicher schaut er auf den hellen Vollmond über dem flachen Dach des gegenüberliegenden Hauses. „Wir sollten miteinander durchbrennen, oder so“, murmele ich zerstreut. Schmunzelnde Stille. „Aber Aominecchi – wir wären für immer auf der Flucht“, zitiert Kise leise und verschlafen eines dieser ausgelutschten Filmzitate, das er letztens irgendwo aufgeschnappt haben muss. Nur dass darin vermutlich viel zu viel Wahrheit steckt. Viel zu viel bittere Wahrheit. „Wie wär’s mit irgendeiner bescheuerten Insel im Pazifik?“, fahre ich einfach so fort. „Genau, eine Insel wäre jetzt gut. Oder irgendwo am Regenwald“, überlege ich, ohne realistisch zu sein. „Wir bauen uns eine Hütte aus Baumstämmen und leben vom Vertrieb von Flusskrebsen.“ Seine Stimme klingt sonnig, als er auflacht. „Oder Gurken – wir bauen Gurken an. Am Regenwald ist es doch feucht und warm – wir werden kein umständliches Treibhaus benötigen“, sinniere ich einfach weiter vor mich hin. „Shhh“, höre ich ihn raunen. Dann drückt er sich vom Kissen weg und stützt sich mit der Handfläche an meiner Brust ab, während ich meinen Hinterkopf in die Federn drücke, um es mir ohne seine Brust als Lehne gemütlich zu machen. „Ich habe eine bessere Idee“, haucht er plötzlich verführerisch und ich schaue ihm in die verruchten Augen, deren Schlafzimmerblick ich so sehr begehre. Er neigt sich zu mir hinunter, küsst meine Wange, stupst mit dem Nasenrücken den Meinen an, küsst meinen Mund, der nicht aufhören will, sinnlose Fabeln zu erfinden; küsst sich zu meinem Hals voran, zu meinen Schlüsselbeinen und weiter die Brust herab. „Was denn?“, frage ich leise mit wissender Neugierde. Meine Stimme klingt heiser, schläfrig. „Ich zeige dir was Schöneres“, flüstert er gegen meinen Bauchnabel. Die ersten Wogen der Erregung fluten mich, als ich die Augen langsam schließe. „Heh, ja“, gebe ich schmunzelnd von mir, „zeig’s mir.“ Sein Mund ist wie immer unheimlich geschickt, seine Zunge weiß genau, worauf ich stehe und was sich verdammt gut anfühlt. Ich drücke den Hinterkopf tiefer in das Kissen, befeuchte fahrig meine Unterlippe, ehe ich ein leises Stöhnen entfliehen lasse. Dieser Bastard ist wie gemacht hierfür. Irgendein Fluch entfährt mir und meine Hand krallt sich fest in Kises Haar. Die blonden Haarsträhnen wollen mir entgleiten, wie warmer Sand. Einen Dreck, werde ich es zulassen.   Wenn ich ehrlich bin, muss es keine dumme Insel im Pazifik sein. Und auch kein dämlicher Regenwald, solange es so bleibt, wie jetzt. Wie jetzt.   Er hat viel zu schnell aufgehört. „Was ist?“, frage ich benommen. Kise leckt verspielt wieder meinen Bauch hinauf zu meiner Brust. „Nichts“, sagt er amüsiert und beißt verspielt in meine Brustwarze. „Wir machen’s diesmal einfach etwas anders.“ Ich bin zu erregt, um klar denken zu können und selbst als ich seine Hand an meiner Leiste hinuntergleiten spüre, kann ich nicht länger seinen  fingerfertigen Liebkosungen widerstehen. „Ich bring dich hiernach um, Kise. Ist dir klar, oder?“ „Dieses Risiko gehe ich ein.“ Schon ist  Gefühl da, das ich nur ungerne akzeptieren würde. Ich kneife die Augen zusammen, versuche Kise an den Haaren wegzuziehen, doch er macht bestimmend weiter. Meine Zähne sind zusammengebissen, als er mit seinen Fingern auf unverschämte Weise einfach einen Schritt weitergeht. „Ich bring dich um!“, zische ich mit leicht aufsteigender Nervosität. „Das ist es mir wert“, flüstert er verrucht gegen meinen Mund, sich zwischen meine Beine drängend. „Entspann dich einfach.“ Das ist er – dieser Bastard, der mich immer wieder in Ekstase reden kann, wie es ihm gefällt. Egal, was für dummes Zeug er von sich gibt. Hinterhältig hat er den richtigen Moment abgepasst, um hiermit anzukommen. Hat mich im Zustand irgendeiner hirngespinstischen Widerstandslosigkeit erwischt. Er beißt sich fest auf die Unterlippe und dringt ein. Kein Zurück. Mit einer Mischung aus körperlichem Schmerz, Resignation und perverser Neugierde ziehe ich die Luft geräuschvoll zwischen den Zähnen in meine Lunge. Allein die Tatsache, dass Kise diese Dreistigkeit besitzt, mich zu so etwas zu bringen, versetzt mich in die ersten Anflüge des heißen Rausches. Das ist es, womit er mich immer kriegt. Mit seiner dämlichen, überzeugten und schamlosen Selbstverständlichkeit. Ohne jeglichem Anschein von Scheu. Mit nahezu undeutbarem Selbstbewusstsein und dieser verführerischen Geheimniskrämerei. Er ist sanft. Sanft genug, um mich damit in den begierdeweckenden Wahnsinn zu treiben.   „Ich kann dich nicht leiden, Ryōta.“   „Ich weiß.“     Es ist unmöglich, ihm zu widerstehen. Unmöglich.           Er hat nicht gelogen, als er sagte, er würde mir was Schönes zeigen. Und auch wenn ich es mir ganz bestimmt nicht so vorgestellt habe, kann ich nicht leugnen, dass ich es vermutlich wieder machen würde. Mit viel Überzeugungskraft, die Kise aufbringen müsste. So einfach werde ich es ihm nicht noch einmal machen. -  Das ist der einzige Gedanke, an den ich mich noch bewusst erinnern kann, als ich am nächsten Morgen aus dem Schlaf zu mir selbst wiederfinde. Schon im halbwachen Zustand verfluche ich den übriggebliebenen Schmerz, der sich am Ende meiner Wirbelsäule staut, und grummle verschlafen so was wie „Ein nächstes Mal wird’s nicht geben, damit das klar ist“ in das Kissen, in das sich mein Gesicht noch drückt. Als unverschämterweise keine Antwort kommt, schnappt sich meine Hand das nächste, was sie zwischen die Finger kriegt, um es in eine blind geschätzte Richtung nach Kise zu werfen. Wenn er davon ein blaues Auge kriegen sollte, ist das nicht mein Problem, schließlich werde ich zu meinen Lebzeiten niemals zugeben, dass er Recht behalten hatte, und dass ich nach dem Verarbeiteten meines Egotraumas vielleicht doch noch ein nächstes Mal in Betracht ziehen würde. Mit viel Überzeugungsarbeit seinerseits, wie gesagt. Offenbar habe ich Kises Gesicht mit der geworfenen Nachttischlampe verfehlt, weil er sich gar nicht im Bett befindet. – Bastard. Ächzend drehe ich meinen Kopf zur anderen Seite und öffne die Augen, nur um festzustellen, dass der Platz neben mir tatsächlich leer ist. Er hatte meine schlechte Laune sicher kommen sehen und ist dabei, sich mit irgendeiner Schleimerei in Form von Essen zu revanchieren. Na warte – das wirst du nicht so einfach schlichten können, denke ich verstimmt und erbost, während ich mich mental darauf vorbereite, ihm nach dieser Nacht noch ungehemmt ins Gesicht blicken zu können. Es ist nicht so, als wäre es leicht für mich, das einfach so hinzunehmen, was geschehen ist. Kises blendende Guten-Morgen-Visage wird es auch nicht rückgängig machen, dass ich meinen Arsch hingehalten habe.   „Hey, Kise!“, brumme ich, nachdem ich mich mit angewinkelten Beinen im Bett aufgesetzt habe. „Kise?“ Was macht dieser Idiot von Frühaufsteher, bitteschön? „Kise, hör auf verängstigt zu spielen und komm verdammt nochmal her!“   Als auch darauf keine Antwort kommt, macht sich ein ungutes Gefühl in mir breit.   „Ryōta?“   Nichts.   Ich werde langsam unruhig, versichere mir aber in Gedanken, dass er einfach was einkaufen gegangen sein muss. Deswegen gehe ich im Bad einfach meiner morgendlichen Routine nach. Ich ziehe alles in die Länge, was in die Länge gezogen werden kann. Sogar in den Spiegel schaue ich eine gefühlte Ewigkeit, während ich mir das Gesicht nach der Rasur mit dem Handtuch abtrockne. Der Sekundenzeiger der kleinen Uhr im Bad scheint sich einfach nicht vom Fleck bewegen zu wollen. Jeder überschüssige Tropfen aus dem Wasserhahn will sich nicht lösen.   Warum höre ich immer noch nicht, wie die verfickte Haustür aufgeschlossen wird? Wo sind die heimkehrenden Schritte im Flur? Wo, das vertraute Rascheln der Einkaufstüten? Wo, ein nerviges „Guten Morgen, Aominecchi“?   Ich stoße mich mit den Händen vom Waschbecken ab, will mir schnellstmöglich einen Kaffee machen. Sicher lässt sich damit die Zeit gut totschlagen. Ganz sicher.   Aber so weit komme ich nicht mehr.   Ich bleibe vor dem Küchentisch stehen. Ein Pinnzettel mit schnellem Schriftzug und ausschweifenden, filigranen Buchstaben darauf klebt bewegungslos auf der Oberfläche. Daneben ein Schlüssel und ein sorgfältig zusammengelegter Stapel Scheine.     » Danke für die schöne Zeit «     Ein Witz.   Das ist ausnahmslos ein Witz.   Ich kann nichts anderes mehr hören, als die dumpfen Wogen meines Pulses. Nicht einmal mein eigenes Auflachen höre ich.   „Du bist ein …“   Der Tisch klappt krachend in sich zusammen, als meine Faust darauf trifft. Das Geld flattert durch die Luft wie in all den Filmen über Korruption. Ein paar hatten wir uns bestimmt zusammen angesehen.   „… VERDAMMTER BASTARD!“   Irgendwo vibriert der Nachklang des zu Boden gefallenen Zweitschlüssels.     Ich hätte es wissen müssen. Mehr noch. Ich habe es verdammt nochmal gewusst! Aber ich war zu verblendet gewesen. Verblendet von einem beschissen märchenhaften Traum über eine unumsetzbare Zukunft. In einem beschissenen Haus aus Baumstämmen. Irgendwo auf einer beschissenen Insel im Pazifik. Mit beschissenen Hunden und Katzen und Wellensittichen.     „Scheiße!“, fluche ich gepresst.   Aber keiner ist da, um die Arme um mich zu legen. Keiner, dem ich sagen kann: „Lass mich vergessen.“ Keiner, dessen beschissene Gefühle ich nach Belieben manipulieren kann. Und keiner, den ich als Urlaub benutzen würde, um es ihm anschließend in beschissenen Scheinen zurückzuzahlen.     Nein, es ist keiner da, Daiki. Das ist bloß etwas, was du allein dir wünschst. Denn auch wenn es vielleicht ein weiteres Widersehen geben wird, bist du der einzige, der mehr will als leere Worte, offene Fragen und bloßen Sex. Du weißt ganz genau, dass es so nicht weitergehen kann, weil du es nicht willst. Nicht so. Deswegen bist du es, der dieser kranken Beziehung ein Ende setzten wird. Schluss.       Wie wohl meine Stimme klingt, während ich zynisch lachend die Küche verlasse? Zurückblicken ist was für Weicheier, versuche ich mir krampfhaft einzureden. Das einzige, was mir bleibt, ist die Zukunft.           Kein Stein bleibt auf dem anderen. Veränderung ist das, was uns ausmacht. Und wenn man manchmal wünscht, dass alles stillsteht, gibt es nichts, was sich diesem Willen beugen wird. Also hör auf zu träumen. Und wach auf.     Jeder hat seine eigenen Entscheidungen zu fällen.       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)