Eine beschwerliche Reise von Kawaii_Fruit (Kratos & Anna) ================================================================================ Kapitel 14: Die Zeit vergeht ---------------------------- Sie reckte sich noch ein klein wenig weiter bis ihre Lippen sanft etwas Warmes berührten. Doch dabei handelte es sich keinesfalls um Kratos' Gesicht oder gar seinen Mund. Nein, ganz und gar nicht. Ein wenig benommen blinzelte sie ins Halbdunkel und kniff die Augen zusammen ehe sie erkannte was sie tatsächlich vor sich hatte: Seine Hand. Noch immer befand sich sein Gesicht direkt über ihrem, doch er stützte sich nur noch auf einen Arm, während sein anderer sie daran hinderte, den letzten Abstand zu überwinden. Mit einem leisen Quengeln ließ sie von ihm ab und fiel mit einem Schmollen zurück auf das weiche Kopfkissen. "Spielverderber.", nuschelte sie, während sie beide Arme in einem stillen Protest über der Brust verschränkte. "Man kann kein Spiel verderben, wo keins ist." Seine trockene Antwort stach wie Dornen. Sie war beschwipst und benommen und bisher in bester Laune gewesen. Doch das war zu viel. Selbst für sie. Warum musste er auch alles immer gleich so fürchterlich ernst nehmen? Oder war sie etwa wirklich selbst zu weit gegangen? Mit einem Mal war sie sich nicht mehr sicher. Unschlüssig, was sie nun tun sollte, erwiderte sie seinen ernsten Blick mit einem verbleibenden Funken Unzufriedenheit in den Augen, der einfach nicht erlöschen wollte. Er jedoch nutzte die Gelegenheit, um sich aufzusetzen und sich damit sicherheitshalber aus ihrer Reichweite zu entfernen. Sie war bereits vollkommen unberechenbar gewesen, als sie die Wirtsstube verlassen hatten, um sich auf den Heimweg zu machen. Mit dieser Aktion hatte er jedoch nicht im Geringsten gerechnet. Was in aller Welt war in sie gefahren? Obwohl sie sich in der verstrichenen Zeit unvermeidlich ein wenig näher gekommen waren, hatte er stets darauf geachtet eine klare Distanz zu wahren. Er wusste nichts über sie, bis auf ihre Herkunft und sie wusste noch viel weniger über ihn selbst. Ganz abgesehen davon, dass sie in der Folge noch immer praktisch Fremde füreinander waren, hatte er ihr niemals Anlass gegeben, sich ihm auf diese Weise zu nähern. Oder etwa doch? Wie er die Situation auch drehte und wendete, was gerade geschehen war, war vollkommen unmöglich. In jeder Hinsicht. Er hatte sich den Entschluss gefasst und wandte sich zu ihr um, um ihr ein für alle Mal einzuschärfen, dass sie nicht noch einmal auf solch eine absurde Idee kommen sollte. Doch bereits auf halbem Wege hielt er inne und realisierte, dass er sich jede Form der Mahnung sparen konnte. Ihr beleidigter Gesichtsausdruck war einem weicheren, entspannteren gewichen und ihr Kopf war zur Seite gesunken. Ihre Arme lagen noch immer verkreuzt auf ihrer Brust, doch nun nur noch locker und ohne Anspannung. Sie war einfach eingeschlafen. Zumindest war er sich nun sicher, dass sie in einem Wirtshaus nie wieder etwas Alkoholisches von ihm zu trinken bekommen würde. Er seufzte leise, stand vom Bett auf und ließ sich wie in den vergangenen Nächten zuvor auf dem Stuhl gegenüber nieder. Mit ein wenig Glück würde sie bis zum kommenden Morgen einfach vergessen, was geschehen war und alles verlief wie zuvor. Doch dem war nicht der Fall. Es wäre ja auch zu einfach gewesen. Nachdem sie sich am folgenden Morgen ausgiebig über grauenvolle Kopfschmerzen beklagt hatte, schien ihr langsam zu dämmern, was am vergangenen Abend geschehen war. Sie hatte darauf bestanden trotz ihres angeschlagenen Zustands mit in die Akademie zu kommen. Bis die Cafeteria öffnete, dauerte es noch eine Weile und so hatte sie sich zu Kratos in die Bibliothek gesetzt und studierte augenscheinlich äußerst interessiert einige Geschichtsbücher. Dass sie eines der Bücher dabei sogar falschherum auf ihrem Schoß liegen hatte, während sie vorgab darin zu lesen, schien ihr selbst überhaupt nicht aufzufallen. Kratos jedoch entging es nicht. Genauso wenig wie ihr Gesicht, das über den Morgen gelegentlich die Farbe von äußerst blass zu rosarot und wieder zu kreidebleich zu wechseln schien. Er ging nicht weiter darauf ein, während er seinen eigenen Studien nachhing, die zusehends immer aussichtsloser wurden. Mittlerweile musste er fast jedes Buch der Bibliothek durchgesehen haben, das vielversprechend genug erschien, um ihm ein paar brauchbare Informationen zu vermitteln. Dennoch blieb die Spannung im Raum beinahe spürbar. Selbst Annas übliches fröhliches Gerede, das sie sonst nicht einmal in der Bücherei ganz hatte zügeln können, blieb am heutigen Vormittag aus. Ganz zur Erleichterung der Studenten, die sich sonst - nicht ganz so unfreiwillig - von ihrer lockeren Art hatten ablenken lassen. Obwohl ihm die unangenehme Situation ebenfalls Gedanken machte, ließ er selbst sich keinerlei Anspannung oder gar Verunsicherung anmerken. Die Umstände waren schon problematisch genug, ohne dass er ihr noch weiteren Grund gab, sich den Kopf zu zerbrechen. Stattdessen gab er sein bestes, sich zu benehmen wie immer. Die Zeit verstrich. Anna verließ bald die Bibliothek, um ihrer eigenen Aufgabe nachzugehen und Kratos vertiefte sich weiter in die Bücher und Schriften, um nur gelegentlich aufzustehen damit er seine Pflichten in der Akademie erfüllen konnte. Erst als die Sonne schon tief am Horizont stand und ihr warmes Abendlicht durch die dicken Fenstergläser auf die sauber sortierten Regale schickte, kam Anna zurück. Kratos begrüßte sie mit einem knappen Nicken und räumte die letzten Bücher auf dem Tisch zusammen bevor er sie zurück ins Regal stellte. Die Unruhe der jungen Frau schien sich in der Zwischenzeit ein wenig gelegt zu haben. Das Lächeln war auf ihr Gesicht zurückgekehrt und sie summte leise, als sie sich an eines der Regale lehnte und darauf wartete, dass auch er bereit war sich auf den Heimweg zu machen. Unweigerlich erinnerte ihn die bekannte Melodie an den Abend Nahe des Hakonesia-Passes, an dem sie sich eine grauenvolle Grippe eingefangen hatte. Das Lied schien ihr wirklich viel zu bedeuten. Schweigend stellte er die letzten beiden Bücher auf das Regalbrett, als ihre Stimme hinter ihm ertönte. „Du liest immer in Büchern über Geschichte, Schmiedekunst und Vergleichbares, wenn wir hier sind. Suchst du nach etwas Bestimmtem?“ Ihre plötzliche Frage ließ ihn kaum merklich das Gesicht verziehen. Sie hatte also doch aufmerksamer beobachtet, was er hier tat, als er zunächst angenommen hatte. Wer konnte es ihr verübeln? Aus ihrer Sicht gab es sicherlich nicht viel Spannenderes in dem stickigen, von Büchern überladenen Raum. „Ich interessiere mich lediglich dafür.“, entgegnete er nur zum Teil der Wahrheit getreu. Tatsächlich interessierten ihn all diese Aspekte, doch hauptsächlich aus einem Grund, den er ihr nicht verraten konnte, ohne sie in Dinge einzuweihen, die sie in Gefahr bringen würden. Abgesehen davon, dass sie mit ihrer Abneigung auf Geschichte mit einem Großteil davon vermutlich nicht einmal etwas anfangen konnte, wenn er nicht allzu weit ausholen wollte, um ihr alles zu erklären. Auf seine Antwort hin legte sie nur den Kopf ein wenig schief und musterte ihn mit einem Hauch von Misstrauen. Dann jedoch nickte sie und nahm seine Antwort hin. „Nicht mein Fall, aber dich scheint es ja zu unterhalten.“ Damit stieß sie sich mit beiden Händen vom Regal weg und sah ihn abwartend an. „Machen wir uns auf den Rückweg?“ Während sie gemeinsam durch die stillen Straßen zurück zum Hotel schlenderten, hatte Anna endlich ihre Sprache wiedergefunden. Auch wenn Kratos sich nicht sicher war, ob sie nicht lediglich versuchte davon abzulenken, wie unangenehm ihr der vergangene Abend war. Eifrig erzählte sie allerlei Erlebnisse aus der Cafeteria. Gerade rechtzeitig abgewendete Missgeschicke, Gespräche von Schülern, die sie aufgeschnappt hatte, die Tatsache, dass sie hungrig war und trotz all dem Essen keine Zeit gefunden hatte selbst einen Happen zu sich zu nehmen. Die Worte sprudelten förmlich aus ihr heraus, als hätten sie sich über den ganzen Vormittag angestaut wie ein See hinter einem Damm. Er konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Zuvor hatte er sich vorgenommen, mit ihr über das Geschehene zu sprechen, sobald sie zurück auf dem Zimmer waren, doch nun entschied er sich dagegen. Ihr schien es ebenso bewusst zu sein wie ihm, dass sich dieser Zwischenfall nicht wiederholen würde. Um das Problem ihres Hungers zu lösen, aßen sie in der Herberge eine Kleinigkeit und verbrachten den restlichen Abend mit leisen Gesprächen über die unterschiedlichsten Dinge vom nächsten Einkauf bis hin zu ihrer Überfahrt nach Izoold. Die folgenden Wochen verstrichen in ähnlicher Form und die Tage gewannen immer mehr an Routine während sie sich langsam dem Tag ihrer Abreise näherten. Kratos war in der Lage gewesen für eine der Überfahrten im Frühjahr einen Platz auf einem der Schiffe zu ergattern. Die vielen Unwetter, die Palmacosta in dieser Jahreszeit heimsuchten, zeigten sich immer seltener und mit ihrem Verschwinden ging etwas anderes einher. Das Frühjahr brachte die Blumenpracht zurück, die angenehme Brise, die vom Meer über das Land strich und auch die fröhliche Laune der Bewohner, die sich in den düsteren tagen mit dem Wetter getrübt hatte. Anna genoss die Zeit. Mit jedem verstreichenden Tag gewann sie dem mürrischen Mann ein wenig mehr Vertrauen ab und schon bald hatte sie ihn überzeugt, dass sie durchaus in der Lage war auch gelegentlich allein ins Innere der Stadt zu gehen, um kleine Einkäufe zu erledigen oder einfach für einen Moment ihre Freiheit zu genießen. Sie achtete darauf, dass nichts und niemand jemals einen Blick auf den Exsphere erhaschen konnte, der wie ein düsteres Andenken an ihre ebenso düstere Vergangenheit auf ihrer Brust prangte. Wenn sie allein nach draußen ging, wickelte sie sich zusätzlich zu ihrem hohen Kragen noch einen seidenen Schal um den Hals, um alles darunter vor feindlichen Blicken zu schützen. Wann immer sie ein Gerücht über das Auftauchen von Desians aufschnappte, reduzierte sie ihre Besuche in der Stadt auf das Nötigste und es gelang ihr, das Zusammentreffen zu meiden. Mit den Blumen in den Gärten wuchs auch ihre eigene Sicherheit, dass sie vielleicht tatsächlich mit Kratos‘ Hilfe in der Lage war den grausamen Männern ein Schnippchen zu schlagen und mit etwas Glück und Verstand ein mehr oder weniger normales Leben führen würde. Den Exsphere selbst hatte sie dabei aus ihren Gedanken verbannt. Noch immer zehrte er im Stillen an ihren Kräften, doch sie war nicht in der Lage ihn abzunehmen. Genauso wenig kannte sie jemanden, der ihr eine Auskunft darüber geben konnte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als all das zu genießen was ihr blieb. Und davon würde sie sich nicht nehmen lassen. Kratos hingegen gelang es nicht, den Gedanken an den gefährlichen Stein einfach zu verdrängen. Nachdem seine Studien über das Ewige Schwert zu seinem Ärgernis keinerlei Frucht getragen hatten, hatte er sich der Studie über Exspheres gewidmet und seine Annahme bestätigt. Zwerge waren in der Lage Schutzfassungen herzustellen, die den Träger vor den negativen Auswirkungen der Steine schützen. Doch einen Zwerg zu finden war kein leichtes Unterfangen. Im Umkreis von Palmacosta schien niemand einen Zwerg zu kennen und so blieb ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass man ihm in Izoold eine vielversprechendere Auskunft geben konnte. Es war schwer einzuschätzen, wie viel Zeit blieb, bis der Exsphere ernsthafte Probleme bereiten würde. Als schließlich nur noch eine Woche zur Abreise aus Palmacosta verblieben war, drangen zum ersten Mal finstere Gerüchte an die Ohren der beiden Flüchtigen. Nachdem die Desians in keinem der Dörfer um die Farm bei Asgard einen Hinweis auf das entflohene Testsubjekt gefunden hatten, schienen sie ihre Suche auszuweiten. Von Reisenden kamen die Worte an die Ohren der Städter und verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Nicht allzu weit entfernt begannen die Desians damit Leute zu befragen und zu bedrohen, wenn sie sich weigerten Antwort zu geben. Sie durchsuchten verdächtige Häuser und Herbergen in Nachbardörfern und kämmten sich Stückchen für Stückchen durch das Land. Es war in gewissem Maß erstaunlich, dass sie nicht längst annahmen, dass Anna tot war und nie wieder auftauchen würde. Doch dafür war das Experiment für ihr Vorhaben zu bedeutsam. Widerwillig fügte die Frau sich dem Willen ihres Beschützers und verließ das Hotel fortan nicht mehr ohne seine Begleitung. Als die ersten Desians in Palmacosta aufkreuzten und begannen Leute zu befragen, untersagte er ihr allein in der Akademie zu arbeiten und sie fand sich ein weiteres Mal dort wieder, wo sie schon zu oft gewesen war. Eingepfercht in einem kleinen Raum, ohne Freiheit und mit einem Bewacher, der jeden ihrer Schritte kontrollierte. Natürlich vergleich sie Kratos in keiner Form mit den Wachen der Desians. Er achtete stets auf ihr Wohlergehen. Und dennoch sehnte sie sich zurück zu den vergangenen Tagen, an denen sie sich beinahe wieder gefühlt hatte, als wäre sie endlich frei von all dem Grauen, dass sie durchstanden hatte. Sie fühlte sich wie ein Vogel im goldenen Käfig. Es fehlte ihr an nichts. Und dennoch fühlte sie sich wie angekettet… Mit einem Seufzen blätterte sie das Buch auf die nächste Seite. Tatsächlich hatte die Langeweile sie so weit getrieben, dass sie nun wirklich in einem der Geschichtsbücher las, um nicht einfach auf einem der Tische einzuschlafen, während Kratos die zurückgegebenen Bücher in die Regale sortierte. Vielleicht konnte sie sich ein wenig Gesprächsstoff anlesen, wenn er sich schon so sehr für diese Themen interessierte. Gähnend flog ihr Blick über die dicht aneinandergereihten Buchstaben. „Viele Jahre nach der Entstehung des Lebens fand ein gewaltiger, grausamer Krieg statt, der mithilfe von Magitechnologie geführt wurde. Dieser Krieg dauerte tausend Jahre an, bis Mithos der Held ihn mit Hilfe seiner drei Kameraden beendete. Die Namen der drei Begleiter lauten laut Überlieferung Martel,“ Sie legte den Kopf ein wenig schief. Eine der Begleiterinnen trug den Namen der Göttin? Mit gewecktem Interesse las sie weiter. „Yuan und schließlich Kratos.“ Sie stutzte und hob ihren Kopf aus dem Buch. „Sag mal, Kratos“, setzte sie an und fuhr mit dem Finger über die geschwungenen Lettern seines Namens. „Waren deine Eltern auch solche Fans von Geschichte?“ „Warum fragst du?“, ertönte es hinter einem der Regale zu ihrer Rechten. „Weil einer der drei Begleiter von Mithos dem Helden deinen Namen trägt. Oder besser anders herum. Du trägst seinen Namen. Das erklärt immerhin wieso dein Name so… komisch ist.“ Für einen Moment herrschte Stille und sie wandte ihre Augen zurück auf das Buch, ehe Kratos hinter dem Regal hervor trat und ihr einen tadelnden Blick zuwarf. „Mein Name ist nicht komisch.“, entgegnete er trocken und nahm ihr das Buch aus der Hand, um es einzusortieren, bevor sie weiter darin lesen konnte. Seine Antwort ließ sie belustigt kichern. „Gut, einigen wir uns auf ungewöhnlich. Du kannst nicht abstreiten, dass es kein Name ist, den man heute noch häufig hört.“ Er verzog das Gesicht ein wenig. Tatsächlich war sein Name ein wenig auffällig. Doch nur die wenigsten behielten sich die Namen der drei Begleiter, wenn sie überhaupt Zugang zu solchen geschichtlichen Informationen hatten. Neben der Geschichte von Mithos dem großen Helden, gingen sie praktisch einfach unter. Es war ihm nicht unrecht. „Lass uns jetzt zurückgehen.“, gab er schlicht zurück, um ihren stichelnden Kommentar einfach zu überspielen. „Du solltest ausreichend geschlafen haben, wenn wir morgen an Bord gehen.“ Mit einem Mal war sie auf den Beinen. Der Gedanke daran, dass der letzte todeslangweilige Tag in der Bibliothek endlich sein Ende gefunden haben sollte, brachte all ihre gute Laune vollends zurück. Sie vermisste Palmacosta schon jetzt, mit seinem Geruch nach Meer, den netten Leuten und vor allem dem warmen Bett. Doch die Aussicht darauf wieder etwas Neues kennen zu lernen weckte ihre Vorfreude auf das was bevorstand. Kratos schäfte ihr immer wieder unmissverständlich ein, wie gefährlich die Reise mit dem Schiff werden konnte. Doch sie wollte sich von ihm den Spaß nicht verderben lassen. Niemand konnte sagen ob und wann sie jemals wieder die Chance haben würde eine solche Reise zu erleben. Ganz abgesehen davon, dass die Ankunft der Desians ihr ein wenig Angst bereitete und sie sich bei dem Gedanken wohler fühlte, sie gemeinsam mit der Stadt hinter sich zu lassen. Ein leichter Nieselregen kam ihr auf dem Rückweg gelegen, um sich die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht zu ziehen. Kratos tat es ihr gleich. Es war zu riskant sich am letzten Abend doch noch durch das Aussehen zu verraten. Tatsächlich erblickten sie in einer der dunkleren Gassen eine Gruppe Desians, die einen vollkommen unwissenden Mann grob nach dem Verbleib ihres Testsubjekts ausfragten. Um kein Risiko einzugehen, machten sie einen großen Bogen um das geschehen und bogen in eine schmale Seitenstraße ab. Anna hatte Mitleid mit dem Mann und ihre Gedanken drifteten ein weiteres Mal zurück nach Luin. Zu ihren Freunden und ihrer Familie. Inständig betete sie dafür, dass es ihnen gut ging, dass ihnen nichts geschehen war. In Wahrheit hatte sie den Glauben daran jedoch längst aufgegeben und rechnete nicht mehr damit, dass es eine Möglichkeit gab sie jemals wiederzusehen. Dennoch fiel es ihr zu schwer einfach damit abzuschließen. Die Sonne war bereits am Horizont versunken, als sie ein letztes Mal gemeinsam in das Hotelzimmer traten, dass sie für Wochen miteinander geteilt hatten. Der Anblick des kleinen Zimmers machte sie ein wenig wehmütig. Die Zeit, die sie hier mit Kratos verbracht hatte, war im Vergleich zu allem anderen so kurz und dennoch war es ihr zu einem Zuhause geworden, in dem sie sich so geborgen fühlte und so vieles erlebt hatte. Ein müdes Lächeln zierte ihr Gesicht. Schweigend ging sie durch den Raum und ließ die Hand über die spärliche Einrichtung streichen, ehe sie sich auf die Bettkante sinken ließ. Sie lehnte sich ein Stück zurück, schloss die Augen und stützte beide Hände in die weiche Matratze. „Wenn ich könnte, würde ich hier bleiben.“, murmelte sie schließlich und zuckte zusammen, als eine fremde Hand durch ihr Haar fuhr. Überrascht schlug sie die Augen auf und blickte empor zu Kratos, der aus dem Fenster sah und mit einer Hand durch ihr wirres, braunes Haar wuschelte. „Wenn sich die Möglichkeit ergibt, dann kommen wir wieder her.“, entgegnete er leise und wunderte sich selbst ein wenig über seine Worte. Vor wenigen Wochen noch hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, was er mit einer fremden Frau anfangen sollte, die er im Affekt aus einer Zelle entführt und mitgenommen hatte. Nun zerbrach er sich den Kopf darüber, ob es möglich war, dass sie in Zukunft die Möglichkeit haben würden noch einmal gemeinsam nach Palmacosta reisen würden. Gemeinsam? Kaum merklich schüttelte er den Kopf. Wie kam er auf den Gedanken, dass alles so blieb, wie es war? Er hatte sich vorgenommen sie zu beschützen, bis es nicht mehr notwendig war und dabei blieb es. Doch davon würde sie erfahren, wenn die Zeit dafür gekommen war. Er ließ die Hand sinken und ein Blick auf ihr strahlendes Gesicht bestätigte seine Entscheidung. Solange sie lächeln konnte, wollte er ihr den Moment nicht nehmen. Wie üblich setzte er sich auf den Stuhl neben dem Bett und lehnte sich zurück. „Leg dich jetzt schlafen. Morgen haben wir einen langen Tag vor uns.“ Die Sonne schickte gerade ihre ersten Strahlen hinab in die verschlafene Stadt, als Kratos bereits eine Kleinigkeit zum Frühstück aus dem Wirtshaus holte, damit Anna sich für die Fahrt stärken konnte. Mit einem Teller in der einen und einem Glas voll Milch in der anderen Hand schob er die Tür mit dem Fuß auf und ließ beides beinahe fallen bei dem Anblick, der sich ihm bot. Anna stand in der Mitte des Raums, in der Hand hielt sie ein Messer, das sie zu ihrer Selbstverteidigung gekauft hatten. Doch nicht etwa vor sich, sondern in ihrem Nacken. Sie schenkte ihm ein kurzes Grinsen und im nächsten Augenblick glitt das Messer durch das braune Haar, das sie fest in ihrer anderen Hand hielt. Zurück blieb ein Haarschnitt, der knapp bis unter ihr schmales Kinn reichte. Den abgeschnittenen Rest hielt sie ihm triumphierend entgegen. „Die Desians suchen mich anhand einer Beschreibung, richtig? Jetzt erkennt mich keiner mehr.“, stellte sie fest und stemmte die Hand mit dem Messer nach hinten gerichtet in die Hüfte. Ein breites Grinsen dekorierte ihr Gesicht, das endlich die Folgen ihrer langen Gefangenschaft abgeworfen zu haben schien. „Die sollen ruhig weiter versuchen mich zu finden. Wir finden einen Weg sie abzuhängen!“ Sie war bereit. Sie fühlte sich endlich dazu bereit, das was sie gefesselt hatte ein für alle Mal zurück zu lassen. Mit all dem Schrecken und Grauen und aller Angst. Sie würde einen Neuanfang machen. Hier und jetzt und heute. Und das an seiner Seite… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)