Raritäten von Ur (rare-pair Oneshots) ================================================================================ Kapitel 1: Im Dunkeln --------------------- Es fängt an, als Pansy am Ende des fünften Schuljahres durch die Korridore in Richtung Küche geht, um sich etwas von der Syruptorte zu besorgen, die es beim Abendessen zum Nachtisch gab. Manchmal wacht sie nachts auf und hat wahnsinnig Heißhunger, da ist es schlau schon mal vorzusorgen, statt nachts zu riskieren, erwischt zu werden. Das Geräusch ist kaum hörbar und Pansy geht weiter, weil sie denkt, sie hat es sich vielleicht eingebildet. Aber nach drei Schritten hört sie es erneut, dreht um und starrt misstrauisch die halb geöffnete Tür zu einem der Abstellräume an, an denen sie schon häufig vorbei gegangen ist, ohne jemals hinein zu schauen. Es sieht genauso unspektakulär aus, wie man sich einen Abstellraum vorstellt, einmal abgesehen von der auf einer Holzkiste sitzenden Gestalt, die ziemlich verheult in einen Handspiegel starrt. Pansy hat mit den Problemen anderer Leute nicht allzu viel am Hut, aber sie ist neugierig und braucht ein paar Momente, um zu erkennen, wen sie da vor sich hat. Es ist diese Sechstklässlerin mit den gelockten Haaren, auf deren Gesicht seit einiger Zeit groß das Wort ‚Petze‘ zu lesen ist. Etwas, das Pansy witzig finden würde, wenn der Fluch nicht von der Granger stammen würde. Sie kennt den Lockenkopf nicht wirklich und Ravenclaws sind schon in Ordnung. Auch wenn sie weiterhin der Meinung ist, dass Chang einen miserablen Männergeschmack hat, Quidditch spielen kann sie, und sie hat eine Menge Grips. »Hey«, sagt Pansy probehalber, auch wenn sie sich noch nicht wirklich überlegt hat, was sie sagen soll, oder welche generelle Verhaltensweise sie an den Tag legen will. Der Kopf des anderen Mädchens ruckt nach oben und obwohl sie eine Menge Make-Up trägt, kann Pansy deutlich die Schrift darunter erkennen. Dass niemand bislang was dagegen gefunden hat, wurmt Pansy. Nicht aus Nächstenliebe, sondern weil es sie nervt, dass Granger so clever ist. »Was treibst du hier?«, will sie wissen und verschränkt die Arme vor der Brust. Ihr Gegenüber schnieft und lässt den Spiegel sinken. »Nichts«, kommt die leise Antwort und Pansy verdreht die Augen. Für offensichtliche Lügen hat sie keine Zeit. Ihre Syruptorte wartet. »Sieht nicht nach nichts aus«, entgegnet sie und pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Wenn man sich das Wort ‚Petze‘ aus ihrem Gesicht wegdenkt, ist sie eigentlich ganz hübsch, denkt Pansy sich. Sie hat braune Haut und dunkle, fast schwarze Augen, geschwungene Augenbrauen und Wimpern, auf die Pansy neidisch wäre, wenn sie nicht diesen großartigen Wimpernverlängerungszauber gefunden hätte, mit dem sie ihre eigenen eher kurzen Wimpern problemlos bearbeiten kann. »Ich will nicht drüber reden«, kommt es erstickt zurück und das Mädchen, dessen Name Pansy beim besten Willen nicht einfallen will, zieht sich den Umhang nach oben. Pansy fragt sich, ob diese Narben wohl für immer bleiben. Ganz schön scheiße. »Granger ist ein ziemliches Miststück, was?«, meint Pansy und hockt sich unaufgefordert neben das andere Mädchen. Dunkle Augen starren ihr entgegen. Es ist ziemlich schummrig hier drin und nur zwei entzündete Öllampen an den kalten, nackten Steinwänden spenden etwas Licht. »Schon, ja«, kommt die leise Antwort. Pansy ist immer zufrieden, wenn sie mit jemandem über Hermine Granger lästern kann und meistens geht sie nach dem Prinzip »Der Feind deines Feindes ist dein Freund«. »Ich hab deinen Namen vergessen«, gibt Pansy freimütig zu dreht sich eine Strähne ihres schwarzen Haares um den Zeigefinger, während sie ihr Gegenüber mustert. »Marietta.« »Ah, ja.« »Du bist Pansy, oder?« Pansy nickt und ist verwundert, dass Marietta ihren Namen kennt, aber gut, vielleicht ist sie einfach eins dieser Ravenclaw-Genies mit krassem Gedächtnis. »Magst du Syruptorte?«, erkundigt Pansy sich spontan bei Marietta, die verwirrt nickt. »Ok. Bin gleich wieder da.« Pansy will ohnehin Syruptorte, da kann sie auch ein Stück mehr mitnehmen. Und Marietta ist tatsächlich noch da, als Pansy einige Minuten später mit dem Kuchen zurückkehrt. Pansy hebt sich ihr Stück für später auf, aber Marietta isst ihr Stück Torte schweigend. Der Spiegel liegt neben ihr auf der Holzkiste. Pansy beobachtet Marietta beim Essen und fragt sich, ob sie irgendwas finden könnte, was gegen diese Narben hilft. Nur um Granger eins auszuwischen, versteht sich. * Pansy ist sich nicht sicher, wie es dazu kommen konnte, dass sie sich mehrmals die Woche abends eine Stunde vor Beginn der Ausgangssperre mit Marietta in den Kerkergängen in einem Abstellraum trifft, um magisch-kosmetische Zauber zu besprechen und nach mehreren Treffen über Verwandlungshausaufgaben und beim achten Mal über Mitschüler, die sie gutaussehend finden. Pansy beobachtet diese Entwicklung misstrauisch, aber da Marietta keine Anzeichen von versteckter Feindseligkeit zeigt, sieht Pansy keinen Grund, nicht mit ihr zu reden. Es wirkt tatsächlich so, als wäre Marietta erleichtert, dass sie sich mit irgendjemandem im Dunkeln treffen und reden kann, jemandem, der nichts mit dieser ganzen DA-Geschichte am Hut hat und sie deswegen nicht schief anschaut. Mal abgesehen davon, dass Pansy Marietta nicht schief anschauen könnte, wenn sie wollte, weil Marietta und sie nach dem ersten Treffen immer im Stockdustern hocken, während sie sich unterhalten. Marietta scheint die Dunkelheit zu beruhigen, zweifelsohne wegen der Narben, die sich quer über ihren Mund ziehen. Und Pansy… Pansy findet es vielleicht auch ein ganz kleines bisschen nett, nicht immer nur Dracos Gesellschaft ertragen zu müssen, weil er sich für den König der Schule hält und wenn sie in ihrem Haus nicht der letzte Außenseiter sein will, dann muss sie sich mit Draco abgeben. Soviel steht fest. Selbst Zabini, der sich sonst einen Scheiß darum schert, was Leute von ihm denken, gibt sich mit Draco ab, obwohl er ihn nicht wirklich leiden kann. Allein schon deswegen, weil Draco immer seine beiden Gorillas dabei hat, deren IQ vermutlich irgendwo im Minusbereich liegt. Pansy hat keine Ahnung, was diese beiden Vollpfosten in dem Haus wollen, das Größe für seine Mitglieder prophezeit. Marietta probiert es mittlerweile mit einer Mischung aus Bubotublerlösung und einer speziellen Creme aus verschiedenen Zutaten, die beim Verblassen von Narben hilfreich sein sollen. Marietta war sehr dankbar für Pansys Ideen und Pansy ist es nicht so richtig gewöhnt, dass Leute aus anderen Häusern sie offenbar gut leiden können. Mit den arroganten Lackaffen aus Gryffindor liegt sie ohnehin im Clinch und mit Ravenclaws hat sie zwar kein Problem, aber es ist auch nicht unbedingt so, als würde das Haus von Rowena die Slytherins besonders schätzen. Pansy ist es mittlerweile gewöhnt, dass Leute sie anhand ihrer Hauszugehörigkeit in eine Schublade stecken und über die Jahre hinweg hat sie aufgehört sich Mühe zu geben, dagegen zu steuern. Sie braucht keine Leute in ihrem Leben, die sie verachten, weil ihr Haussymbol eine Schlange ist. Schlangen rocken. »Bist du eigentlich mit Draco zusammen?«, erkundigt sich Marietta nach ihrem zehnten Treffen im Dunkeln, nachdem sie sich ein paar Schokoladen-Eclairs geteilt haben und der fluchenden Stimme von Filch lauschen, der einen Gang weiter offenbar ein paar Drachenpopel von der Decke schrubben muss. Pansy feixt amüsiert und hofft, dass er sich lange daran abrackert. »Bei Merlins Bart, nein!«, antwortet sie und hebt abwehrend die Hände, was Marietta natürlich nicht sehen kann. Pansy hat das Gefühl, dass es mit ihren Narben besser geworden ist. Sie wäre auch sauer, wenn es nicht so wäre. Immerhin hat sie sich Nächte um die Ohren geschlagen deswegen und wenn sie schon mal hart für etwas arbeitet, soll es gefälligst auch Früchte tragen. Verfluchte Granger. »Ich dachte nur, weil ihr letztes Jahr zusammen beim Ball wart. Und du auch sonst viel mit ihm machst«, meint Marietta entschuldigend und Pansy lehnt sich zurück gegen die kalte Steinwand. Vielleicht sollten sie sich beizeiten mal einen bequemeren Ort zum Quatschen suchen, es ist doch recht kalt und unbequem hier unten. Aber all die Orte, an denen man gemütlich sitzen kann, sind entweder Gemeinschaftsräume der einzelnen Häuser oder Orte, an denen immer mindestens ein Dutzend Leute rumhängen. Und wenn man weder gesehen oder gehört werden will, dann sind die Kerker vermutlich die erste Anlaufstelle. »Tja, nun, ich hatte Mitleid mit ihm«, sagt Pansy schmunzeln und Marietta kichert leise in die Dunkelheit hinein. »Er ist wirklich nicht besonders… angenehm«, meint sie dann und Pansy schnaubt. »Du untertreibst maßlos. Ist dir klar, dass er bei jedem Wehwehchen eine Eule nach Hause schickt, um sich bei seinem Vater zu beklagen? Ich seh ihn in fünfzehn Jahren immer noch zu Hause wohnen und darüber klagen, wenn ihm irgendjemand versehentlich auf den Fuß getreten ist…« Pansy ertappt sich dabei, allerlei Geschichten zu erzählen, um Marietta zum Lachen zu bringen. Es ist ein angenehmes, leises Lachen und Marietta verdient ein bisschen gute Laune nach all dem Mist, der ihr passiert ist. »Findest du außer Blaise noch irgendwen gutaussehend? Vielleicht auch aus anderen Häusern?«, fragt Marietta, nachdem ihr Kichern sich beruhigt hat. Sie klingt verlegen. Pansy ist nicht gut darin, verlegen zu sein. »Weiß nicht. Der Neue von Chang sieht nicht schlecht aus, denke ich. Wie heißt er gleich?«, meint Pansy nachdenklich. Sie ist wirklich nicht gut darin sich unwichtige Namen zu merken. »Michael Corner«, sagt Marietta. »Ah, ja. Der Ex-Freund von Weasley. Die sieht übrigens auch nicht allzu schlecht aus, denk ich. Aber sag das keinem. Ich will mir nicht anhören müssen, ‘ne Weasleygöre hübsch zu finden.« Marietta macht ein zustimmendes Geräusch und schweigt. Pansy dreht ihr das Gesicht zu, auch wenn sie sie ohnehin nicht sehen kann. Pansy beschließt, einen Test zu machen. »Chang ist auch sehr hübsch«, fährt sie fort und lauscht auf jede mögliche Reaktion. »Und diese eine Siebtklässlerin aus Hufflepuff mit den kurzen blonden Haaren und der Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen.« Marietta schweigt immer noch und Pansy denkt darüber nach, ob sie noch irgendwelche Mitschülerinnen attraktiv findet. Aber sie ist ziemlich wählerisch und momentan fällt ihr keine ein. »Also magst du Mädchen, ja?«, fragt Marietta schließlich. »Ja, schon.« »Und Jungs?« »Und alles dazwischen«, erklärt Pansy schulterzuckend. Marietta macht erneut ein verstehendes Geräusch, bevor sie wieder in Schweigen verfällt. Vielleicht ist er jetzt gekommen, der Moment. Der, in dem Pansy auffällt, dass diese ganze Freundschaftssache mit Marietta doch keine gute Idee war. »Ich glaube, ich mag vielleicht nur Mädchen«, sagt Marietta schließlich sehr leise. Pansy blinzelt. »Oh. Ok«, sagt Pansy. Als sie das letzte Mal aufgezählt haben, wen sie chic finden, hat Marietta nur Jungs genannt. Vielleicht hat sie sich nicht getraut, auch von Mädchen zu reden. Wer weiß. Pansy würde ihr keinen Vorwurf machen. Sie weiß natürlich theoretisch, dass Zabini und Theo manchmal miteinander rummachen, aber abgesehen davon hat sie noch nie irgendwen auf Hogwarts getroffen, der so war wie sie. Da hält man besser die Klappe, schließlich muss man sieben Jahre Schule überstehen. »Welche Mädchen findest du gut?«, will Pansy wissen. Wenn es schon mal raus ist, kann sie auch genauer nachfragen. »Ich war mal in Cho verknallt«, gibt Marietta zu und Pansy hört ein Rascheln, als würde Marietta sich unwohl hin und her bewegen. Pansys Herz macht einen beunruhigenden Hüpfer, den sie nicht wirklich einordnen kann. »Und Padma und Parvati sind auch sehr hübsch.« Pansy muss ein wenig in ihren Gedanken kramen, aber dann fallen ihr die Zwillinge ein und sie muss zugeben, ja, die sind auch sehr hübsch. Wenn Marietta nicht so unsicher wäre, würde Pansy zweideutige Bemerkungen über Zwillinge machen, aber sie lässt es bleiben und wartet darauf, ob Marietta vielleicht noch etwas sagt. »Findest du… findest du mich sehr schrecklich mit den Narben im Gesicht?«, platzt es schließlich aus Marietta heraus und Pansy ist verwirrt und ihr Herz macht schon wieder diese Dinge und sie fragt sich, seit wann sie so rührselig ist, aber sie tastet im Dunkeln nach Mariettas Hand und räuspert sich. Marietta zieht ihre Hand nicht zurück, zieht aber zischend die Luft ein, als der plötzliche Körperkontakt sie überrascht. »Nein, finde ich nicht«, sagt Pansy. Sie meint es so. »Wirklich?« »Großes Slytherin-Ehrenwort«, meint Pansy. In anderen Häusern würde das vermutlich Misstrauen erwecken, aber für Pansy ist es das Ehrlichste, was sie verteilen kann. »Danke«, nuschelt Marietta und es ertönt erneut ein leises Rascheln und dann hat Pansy plötzlich den Arm voller Marietta und sie weiß nicht so richtig, was sie damit anfangen soll, weil sie Umarmungen wirklich nicht gewöhnt ist. Aber Marietta ist warm und weich und riecht verteufelt gut und vielleicht vergräbt Pansy ihr Gesicht in Mariettas Locken und atmet ganz tief ein, und vielleicht drückt sie sie ein wenig enger an sich, als es sein müsste. Aber wenn das so wäre, dann würde sie es nicht zugeben. Erst als Marietta ihr einen Kuss auf die Wange drückt, ist Pansy völlig überfordert mit der Situation und auch das ist etwas, was sie sich nicht eingestehen will. Auch, wenn sie für gewöhnlich ein Mensch ist, der seinem gesunden Fluchtreflex folgt, scheint ihr an dieser Stelle die Flucht nach vorn das einzig Richtige zu sein. Und die Flucht nach vorn ist in diesem Augenblick ein Kuss auf den Mund. Es ist nicht Pansys erster Kuss und sie hat keine Ahnung, ob es Mariettas erster Kuss ist. Aber es ist Pansys erster guter Kuss. Es ist sanfter, als sie es von sich erwartet hätte und Gott sei Dank bei weitem nicht so feucht wie Dracos Küsse, die Pansy bislang zweimal über sich hat ergehen lassen. Sie beschließt in diesem Moment, dass sie Draco sehr eindeutig nie wieder küssen will. »Ist das jetzt… ein Ding… zwischen uns?«, flüstert Marietta ein paar Zentimeter von Pansys Mund entfernt. Pansy denkt darüber nach. Sie stellt sich vor, wie Mitschüler lachen und flüstern und mit den Fingern zeigen. Sie denkt an Dracos verachtend hochgezogene Augenbrauen und ihren eigenen Widerwillen, Schwäche zu bekunden. Und Beziehungen sind Schwäche, soviel steht fest. Aber dann denkt sie daran, wie jemand anders Marietta küssen könnte und wie der Granger klar werden würde, dass sie nicht Mariettas komplettes Leben ruiniert hat, weil es Leute gibt, denen diese Narben scheißegal sind, und sie hat sich ohnehin noch nie großartig etwas aus den meisten ihrer Mitschüler gemacht… »Ja, ich denke schon«, sagt sie schließlich. Pansy hört Marietta schlucken. »Das heißt, wir können uns auch im Hellen… also…« »Ich dachte, wir sitzen im Dunkeln, weil du dich für die Narben schämst«, meint Pansy verwirrt. »Ich dachte, wir sitzen im Dunkeln, weil du die Narben nicht sehen willst«, antwortet Marietta kleinlaut. »Und weil wir irgendwie geheim sind.« Pansy grummelt leise. »Nun, wir sind nicht geheim. Und deine Narben stören mich nicht«, stellt sie klar und Marietta seufzt erleichtert. »Und macht es dir nichts, dass die Leute reden und tuscheln werden?«, erkundigt Pansy sich. Sie hat das Gefühl, Marietta sollte sich im Klaren darüber sein, auf was sie sich einlässt. Marietta schnaubt leise und Pansy hört, wie trotzig es klingt. »Ach weißt du, sie reden doch sowieso schon.« Und weil Pansy ziemlich stolz auf Marietta ist, küsst sie sie direkt noch einmal. Kapitel 2: Entscheidungen ------------------------- Für nach dem prompt 'call me' (sth about character A asking for B). Es baut auf dem vorigen Oneshot auf. _____________________ Pansy flucht leise, während sie sich an ein paar Ravenclaw-Erstklässlern vorbei schiebt. Es ist wahnsinnig eng in diesem elenden verdreckten Pub, in dem sich momentan die Hälfte aller Hogwartsschüler tummeln, wobei die Jüngeren warten, mit Seit-an-seit-Apparieren fortgebracht zu werden. Es wird getuschelt und geweint und protestiert – vor allem von den Gryffindor-Blagen, die nicht in der Großen Halle bleiben und kämpfen durften – und Pansy würde am liebsten laut schreien, um sie alle dazu zu bringen, still zu sein. »Marietta? Marietta!«, ruft sie durch die Menge. Sie wünscht sich zum ersten Mal in ihrem Leben größer zu sein. Verfluchter Drecks Potter mit seinen noblen Freunden. Alles wäre sehr viel leichter gewesen, wenn sie ihn einfach ausgeliefert hätten, aber nein. Nein, jetzt muss Pansy sich mit einem Pulk panischer Kinder herumschlagen und die feindseligen Blicke der Gryffindors ertragen. Nicht, dass Pansy das nicht gewöhnt wäre, aber im Moment kann sie wirklich keine Zwölfjährigen gebrauchen, die sie anklagend anstarren und ihr dabei den Weg versperren, während sie sich durch die Menge schiebt. »Marrietta!« Sie hatte Marietta im Raum der Wünsche verloren. Diese elende Häusertrennerei hatte dazu geführt, dass ihre Freundin mitsamt der anderen Ravenclaws erst nach den Slytherins in den engen Gang getrieben worden waren und jetzt kann Pansy sie nicht mehr finden. Eine schäbige Kuckucksuhr an der Wand verrät Pansy, dass die eine Stunde in zehn Minuten abgelaufen ist. Dann würde hier die Hölle losbrechen. Aber Pansy hat nicht vor, dann noch hier zu sein. Sie will sich mit Marietta aus dem Staub machen und die Nacht eng beieinander geschmiegt verbringen. Marietta wird sie festhalten, wenn Pansy Angst hat, dass ihre Eltern nicht heimkommen und… »Marietta!« »Sie ist nicht hier. Sie ist bei Cho und den anderen geblieben«, ruft ein Ravenclawmädchen Pansy zu. Pansy ist sich nicht sicher, ob sie das Mädchen schon einmal gesehen hat, aber eventuell ist es ein Mitglied der kichernden Gruppe um Chang. Pansy schluckt. Verfluchter Mistdreck. Was hat sich Marietta nur dabei gedacht? Pansy ringt mit sich, dann flucht sie erneut und beschließt, ohne Marietta zu apparieren. Wenn diese Wahnsinnige sich unbedingt umbringen lassen will, dann ist das ihr Problem. Doch Pansy ist zehn Minuten später immer noch in diesem stinkenden Pub, der mittlerweile ziemlich leer geworden ist. »Auf was wartest du, Mädchen?«, blafft der Wirt sie an und Pansy wirft einen Blick auf das Loch in der Wand, durch das sie gekommen war. Ja, auf was warte ich eigentlich, denkt sie sich und holt Luft, um beim ersten Anzeichen eines Bebens doch zu apparieren. Aber sie bringt es nicht über sich. »Hey! Wo willst du denn hin?«, brüllt der Wirt ihr noch nach, doch Pansy ist schon wieder durch das Portraitloch geklettert und eilt den Gang entlang. Das dunkle Grollen um sie herum bringt ihr Herz dazu, heftig zu hämmern. Es hat angefangen. Pansy hat sich selten wirklich klar gemacht, was Krieg eigentlich bedeutet, aber sie weiß, dass ihre Eltern irgendwo dort draußen sind, vermutlich maskiert. Sie weiß, dass keiner ihrer ehemaligen Schulkameraden noch im Schloss verweilt, weil sie alle wissen, was es bedeuten würde, zu bleiben. Pansy weiß es auch. Und trotzdem steigt sie aus dem Loch in der Wand, während das Schloss bebt und draußen auf dem Gang bereits Schreie ertönen. Pansy zieht ihren Zauberstab und verflucht alles, was ihr in den Sinn kommt. Den heiligen Potter und seine beknackten Freunde, Voldemort, die alte Schreckschraube McGonagall, den Sprechenden Hut, ihre Eltern, Chang und Marietta. Marietta, wegen der Pansy jetzt die Gänge entlang rennt. Marietta, die nicht mit Pansy gegangen ist. Marietta, die… »Ich mag dich wirklich sehr, weißt du?« »Das zeugt von deinem guten Geschmack.« »Ich meins ernst, Pansy. Ich mag dich.« Verflucht sei der Krieg und Merlins Bart und Godric Gryffindor und seine Mutter und… »Marietta!« Ein Fluch sirrt an Pansy Ohr vorbei und versengt ein paar ihrer Haare. Sie schleudert einen Fluch zurück ohne wirklich zu sehen, wer auf sie gefeuert hat. Es ist ihr auch egal. Freund oder Feind gibt es nicht wirklich. Es gibt die Kämpfenden und irgendwo in ihrer Mitte ist Marietta. »Ist das jetzt… ein Ding… zwischen uns?« »Ja, ich denke schon.« Und was für ein Ding. Pansy ist vorher noch nie verliebt gewesen. Sie findet das Wort Liebe scheußlich, aber sie kann einfach nicht leugnen, dass es die Gefühle beschreibt, die Marietta in ihr auslöst. Wenn sie jetzt an einem Trimagischen Turnier teilnehmen würde und man den Menschen entführt, den sie am meisten vermissen würde, dann wäre es Marietta. Marietta mit ihren Locken und den Narben im Gesicht und dem unsicheren Lächeln und den schneidenden Kommentaren und der Liebe für Syruptorte und der absolut uneingeschränkten Zuneigung zu Pansy. Wie ist das alles nur passiert? Pansy hat sich wie die meisten ihrer Slytherin-Mitschüler im Duellieren geübt und sie ist gut darin. Sie hatte allerdings nie vor, es auf diese Art und Weise in die Tat umzusetzen. Im Krieg. Wo es tatsächlich um Leben und Tod geht. Auf ihrem Weg durchs Schloss trifft sie mindestens drei Todesser mit ihren Flüchen, zwei anderen kann sie weismachen, dass sie auf ihrer Seite ist. Ihr Slytherin-Vertrauensschülerabzeichen hilft ihr dabei. Und dann findet sie Chang. »Hey! Wo ist Marietta?«, fragt sie ohne jegliche Einleitung. Chang und zwei andere Leute, die Pansy zwar vom Sehen her kennt, aber deren Namen ihr nie wichtig waren, stehen neben ihr und sehen verwirrt aus. Auch Chang blinzelt verwundert und Pansy würde ihr gern ins Gesicht schlagen. Schau nicht so verwirrt, will sie Chang anschreien, du weißt doch, dass sie meins ist und dass ich ihrs bin und dass ich sie nicht hier lassen würde. Pansy will Chang schütteln, weil sie der Grund ist, wieso Marietta geblieben ist. Marietta hat sich gegen Pansy entschieden, zumindest fühlt es sich so an. Aber Pansy würde das nicht einfach so auf sich beruhen lassen. »Sie ist mit ein paar Leuten runter in die Eingangshalle ge–« Pansy lässt Chang nicht ausreden, sondern dreht auf dem Absatz um und rennt erneut los. Vielleicht stirbt sie. Vielleicht ist Marietta schon tot. Vielleicht… Pansy sieht Mariettas Lockenschopf in der Mitte der Eingangshalle und Pansy möchte gleichzeitig weinen, Marietta anschreien und sie küssen. »Pansy?« »Wieso bist du nicht mitgekommen?« »Ich kann nicht einfach… es tut mir Leid.« »Findest du… findest du mich sehr schrecklich mit den Narben im Gesicht?« »Nein, finde ich nicht.« Pansy starrt ihre Freundin an. Sie will Marietta sagen, dass sie sie auch sehr mag, was sie bisher noch nie über die Lippen bekommen hat. Aber Marietta schien immer zu wissen, was Pansy gedacht hat und auch das ist etwas, was Pansy an ihrer Freundin sehr schätzt. Marietta reißt sie beiseite schleudert einen Fluch an Pansy vorbei und als Pansy sich umdreht, sieht sie einen Todesser zu Boden gehen. Pansy hatte nie Seiten wählen wollen. Sie will einfach nur ihre Ruhe. Aber sie will auch Marietta. Und Marietta hat Seiten gewählt. »Nur für den Fall, dass ich heute Nacht krepiere und keine Chance mehr kriege, es zu sagen«, knurrt sie und hebt ihren Zauberstab. Marietta schaut sie mit großen Augen an. »Ich mag dich auch sehr.« Kapitel 3: Zufluchtsangebot --------------------------- Für Janne ♥ _____________________ Ginny hatte es nur selten in ihrem Leben als vorteilhaft empfunden mit sechs Brüdern aufgewachsen zu sein. Es konnte witzig sein, ja. Sie hatte einiges gelernt und fühlte sich oftmals wie eine Überlebenskünstlerin – einfach nur wegen ihrer familiären Umstände. Aber meistens war es einfach zu viel des Guten. Sie konnte all die dämlichen Sprüche darüber, dass sie ein Mädchen war und deswegen bestimmte Dinge nicht tun oder tun konnte, nicht mehr hören. Sie hatte nie mit den anderen Quidditch trainieren dürfen. Sie hatte nie Percy und Ron beim Schach zuschauen dürfen, weil sie »störte« und »sowieso keine Ahnung hatte, wie das Spiel funktionierte«. Charlie und Bill waren diejenigen gewesen, sie ihr all diese dummen Sachen am wenigsten um die Ohren gehauen hatten, weswegen sie mit ihren ältesten Brüdern am besten auskam. Aber die beiden waren schon ewig aus dem Haus und vor allem Fred und George stichelten gern bei jeder Gelegenheit gegen sie. Sie hatte sich über die Jahre hinweg ein dickes Fell angefressen, heimlich Quidditch trainiert und einige sehr nützliche Flüche in der Abgeschiedenheit ihres Zimmers geübt, damit sie sich gegen ihre älteren Brüder wehren konnte, wenn diese ihr wieder einmal zu viel wurden. Mit fünfzehn konnte sie voller Stolz von sich behaupten, dass sie sich Freds und Georges Respekt erarbeitet hatte und lediglich Ron, der das Konzept vom Mädchensein offenbar immer noch merkwürdig, kompliziert und vollkommen unverständlich fand, ging Ginny häufiger auf den Zeiger. Ron hatte noch nicht so richtig verstanden, dass Mädchen auch Menschen waren. Aber Ginny würde einen Teufel tun und sich mit Rons Holzköpfigkeit weiter herum schlagen. Das konnte Hermine übernehmen. An diesem denkwürdigen Tag in ihrem fünften Schuljahr, als Ron seine Schwester mit Dean beim Knutschen erwischt hatte, hatte Ginny vollends bestätigt, dass ihr jüngster Bruder ein Hornochse war, mit einem Gehirn so groß wie eine Fledermausmilz. Trotzdem konnte sie nicht so tun, als hätten seine Worte sie nicht verletzt. Ginny hatte nicht übel Lust gehabt Ron von oben bis unten durch zu hexen und sie wusste mit großer Sicherheit, dass ihr Bruder in einem Duell gegen sie keine Chance gehabt hätte. Sie hatte hart für alles gearbeitet, was sie erreicht hatte. Ron war einfach nur ein Junge. Ha! »Du siehst sehr wütend aus«, kommentierte Luna Ginnys grimmige Miene als sie sich mehrere Wochen nach dem Vorfall an Rons scheußliche Worte erinnerte, während sie ihre Schulsachen in die Tasche packte und drauf und dran war das Klassenzimmer für Zauberkunst zu verlassen. Lunas große, lampenartige Augen musterten Ginny aufmerksam. Sie seufzte leise und warf sich ihre Schultasche über die Schulter. »Ich hab an Ron gedacht«, gab sie zu und strich sich ein paar Strähnen ihres feuerroten Haares aus dem Gesicht. Auch dafür hatten ein paar Jungs aus ihrem Jahrgang sie früher ausgelacht. Bis Ginny mit zwölf den Beinklammerfluch gelernt hatte. Dann hatten sie damit aufgehört. »Ron ist lustig. Und ziemlich grob«, meinte Luna mit einem nachdenklichen Nicken, als würde sie in ihrem Kopf all ihre Begegnungen mit Ron durchgehen und still bewerten. Ginny schnaubte freudlos. »Lustig ist er nur, wenn er nicht dein Bruder ist«, antwortete sie ungehalten und steuerte Seite an Seite mit Luna auf die Tür zu. »Das kann ich mir vorstellen. Ich wollte immer gern Geschwister, aber meine Mutter und Daddy hatten nicht genug Zeit für noch ein Kind, nehme ich an. Mit all ihren wichtigen Forschungen und Experimenten«, erklärte Luna verträumt. »Willst du später Kinder?«, erkundigte sich Ginny bei Luna, um das Thema zu wechseln, da sie keine Lust hatte, weiter über Ron nachzudenken. »Ja, ich denke schon«, sinnierte Luna während sie ihre Augen gen Decke richtete und nachdenklich an einem ihrer Radieschenohrringe herumspielte. Ginny mochte diese Ohrringe. Sie passten hervorragend zu Luna. »Vielleicht nicht sieben. Aber ich denke zwei oder drei wären schon in Ordnung«, fuhr sie fort und lächelte Ginny verschwommen an. »Wie ist es mit dir?« Ginny zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht so recht. Vielleicht. Ich will jedenfalls nicht so wie Mum direkt damit anfangen, wenn ich aus der Schule raus bin, weißt du? Ich will noch andere Dinge tun. Quidditch spielen, auf Konzerte gehen, die Welt sehen.« »Ja, das fände ich auch schön. Es gibt so viele spannende Kreaturen zu erforschen. Daddy und ich wollen nach meinem Abschluss auf jeden Fall nach ein paar Schlubbrigen Summlingern suchen gehen und wenn wir schon mal unterwegs sind, können wir ja vielleicht auch den ein oder anderen Schrumpfhörnigen Schnarchkackler beobachten.« Ginny gluckste leise und spürte, wie ihre Wut langsam verebbte. Luna hatte oftmals diese Wirkung auf sie. Sie brachte Ginny zum Lachen und beruhigte sie, wenn sie sich über irgendetwas – meistens irgendwelche dummen Jungs – geärgert hatte. Während sie gemeinsam mit Luna hinunter zu ihrer nächsten Stunde in Pflege magischer Geschöpfe bummelte, kamen ihr Dean und Seamus auf dem Gang entgegen. Ginny seufzte, als Dean den Kopf abwandte und sie sah, wie Seamus ihm mitleidig auf die Schulter klopfte. Luna musterte Ginny aufmerksam von der Seite. »Ich bin sicher, dass Dean sich wieder beruhigen wird«, murmelte Luna und Ginny verzog das Gesicht. »Ich will gar nicht, dass er sich beruhigt. Er hat sich benommen wie ein Hornochse. Ich glaub ich brauch dringend Urlaub von Jungs. Erst Michael, der ein grottenschlechter Verlierer ist, dann Dean, der es witzig findet, wenn jemand einen Klatscher gegen den Kopf kriegt… Ich sollte mein Glück endlich mal mit einem Mädchen versuchen.« Ginny atmete zufrieden die frische Luft ein, die ihnen entgegen schlug, als sie aus der Eingangshalle ins Freie traten und den Hang hinunter zu Hagrids Hütte liefen. Ginny mochte Pflege magischer Geschöpfe und war damit vermutlich eine Ausnahme. Aber abgesehen davon, dass sie Hagrid mochte und gern an der frischen Luft war, hatte sie nichts gegen gefährliche Situationen und Herausforderungen und fand magische Geschöpfe spannend. Vielleicht hatten Charlies Schwärmereien von früher sich ausgezahlt. »Mir gefallen Mädchen besser als Jungs, glaube ich«, überlegte Luna laut und wurde im Vorbeigehen von ein paar Gryffindor-Siebtklässlern angestarrt, als hätte sie verkündet, dass sie mit einem Besen zum Mars geflogen war. Ginny blickte ihnen finster nach und wandte sich dann wieder Luna zu. »Also, Jungs als Freunde sind ok«, fuhr Luna fort und nickte nachdrücklich, was Ginny zum Lächeln brachte, »aber ich glaube, wenn ich mal irgendwann jemanden küsse, dann lieber ein Mädchen.« »Und ich muss meine Ferien mit mindestens drei Jungs in einem Haus verbringen«, stöhnte Ginny und ließ ihre Schultasche ins Gras sinken, nachdem sie Hagrids Hütte erreicht hatte. »Ich hab diesen Sommer besonders wenig Lust auf Ron.« Luna tätschelte ihr die Schulter. »Wenn du willst, kannst du mich besuchen kommen. Da gibt es keine Jungs. Nur mich und Daddy, aber der ist ohnehin mit der Redaktion und seinen Forschungen beschäftigt«, bot Luna ihr an und Ginny konnte nicht umhin sehr breit und zufrieden zu grinsen. »Das wäre super«, gab Ginny zurück und freute sich, als sich auf Luna Gesicht ein Strahlen und ein leichter Rotton auf ihren Wangen ausbreitete. Ginny hatte nicht übel Lust in diesem Moment Lunas Hand zu nehmen, aber so wie es aussah, würden sie dafür in den Ferien noch genug Zeit haben. Kapitel 4: Auf Bewährung ------------------------ Dean kann nach all der Zeit nicht genau sagen, wie er hier gelandet ist. Er weiß, dass es alles mit diesem verhängnisvollen Nachsitzen angefangen hat, als Ron und Seamus gewettet haben, dass Dean sich nicht trauen würde, Zabini Pufferfischaugen auf den Afro zu schnipsen. Dean hatte immer schon Probleme damit, solche Wetten auf sich sitzen zu lassen, aber Professor Snapes Unterricht war wahrscheinlich nicht der beste Moment, um das ganze in die Tat umzusetzen. Ganze vier Pufferfischaugen haben es auf Zabinis Afro geschafft, bevor er und Snape in etwa gleichzeitig bemerkt hatten, was Dean da gerade tat. Wahrscheinlich hätte Dean das Nachsitzen alleine verlebt, wenn nicht just in diesem Moment Professor McGonagall den Kerker betreten hätte, als Zabini mit einer Scheibe Krokodilherz zum rächenden Schlag ausholte. Dean hatte—eine unappetitlich große Menge Krokodilblut im Haar und im Gesicht—das Mahlen von Snapes Unterkiefer gesehen, als er sich vor den Augen von Professor McGonagall nicht traute, nur Dean Nachsitzen aufzubrummen. So war eines zum anderen gekommen. Zwei schwarze Jungs, einer mit einem Rest Krokodilblut an der Schläfe, der andere mit einem einzelnen Pufferfischauge im Afro unten im Kerker und schweigend vor Zorn damit beschäftigt, alte Schlangenhäute und Flubberwürmer auszumisten. Da keiner von ihnen Harry Potter hieß, durften sie dabei sogar Handschuhe tragen. Dean hatte das Gefühl, dass diese Situation wie der Anfang eines Witzes klang, das weiß er noch. Es war ein sehr abstruser Abend gewesen. Wenn die eine oder andere bröckelig gewordene Schlangenhaut durchs Zimmer geflogen und das Nachsitzen in unerwartetem Gelächter geendet war, dann... Nunja. Dann war das wahrscheinlich der Grund, wieso Dean Zabini heute zum genau dreiundzwanzigsten Mal gezeichnet hat und viel zu viel Zeit damit verschwendet, über ihn nachzudenken. Eine Tatsache, die er sehr gerne mit ins Grab nehmen würde. Slytherin und Gryffindor, das war eine Kombination, auf die die meisten Leute herabblickten. Unter anderem sein bester Kumpel, der Dean einmal dabei ertappt hatte, wie er nach dem Abendessen Richtung See schlendern wollte, um sich dort mit einem gewissen jemand zu treffen. „Wieso genau triffst du dich mit dem?“, hatte Seamus gefragt. Dean weiß noch, dass hitzige Scham in ihm aufgestiegen war, gepaart mit einer gesunden Portion Trotz. „Er ist ganz in Ordnung, wenn man ihn mal kennenlernt.“ Seamus hatte ihm sehr offensichtlich nicht geglaubt, aber Dean hatte sich trotzdem mit Zabini getroffen. Und noch einmal. Und noch einmal. Nach dem siebten Mal hatte Zabini aufgehört ihn „Thomas“ zu nennen und zum ersten Mal „Dean“ gesagt. Vielleicht war Deans Magen dabei ein wenig durchgedreht. Letztendlich hätte ihm klar sein müssen, dass er immer noch ein Schlammblut in den Augen der meisten Slytherins ist. Dean sind rassistische Äußerungen nicht fremd, auch wenn das Wort, mit dem er aufgewachsen ist, anders ist, als das, was er hier in Hogwarts gelernt hat. Als Pansy Parkison ihn Schlammblut nennt und ihre Freundinnen darüber lachen und Draco süffisant grinst, huschen Deans Augen hinüber zu Blaise. Er ist sich nicht sicher, was genau er eigentlich erwartet hat. Ein „rettendes“ Eingreifen? Von einem nicht vorhandenen Ritter in schimmernderRüstung? Irgendwie ist ihm klar gewesen, dass Blaise nichts sagen würde. Dean hat vielleicht—oder sogar sehr definitiv—schon hundert Mal über so eine Situation nachgedacht. In seinen kühnsten Gedanken ist Blaise eingeschritten. In einem ganz geheimen Tagtraum hat Dean sich vielleicht vorgestellt, wie Blaise anschließend seine Hand nehmen und mit ihm davon stolzieren würde. Diese Fantasie ist sehr weit nach hinten in sein Gehirn verbannt und dort versteckt worden und Dean kann förmlich spüren, wie sie dort in Rekordzeit verwelkt, während er hier von Slytherins umringt steht und sich ihre dämlich grinsenden Gesicht ansehen muss. Dean möchte Blaise nicht noch mal ansehen, aber er tut es doch. Wie bescheuert er gewesen ist. Er hätte auf Seamus hören sollen, denkt er sich, als er so tut, als würde ihm die ganze Situation nichts ausmachen. Er verdreht die Augen und zeigt Pansy den Mittelfinger, bevor er sich umdreht und den Gang entlang verschwindet, Pansy’s Gekicher noch in den Ohren. Wieso muss er so dämlich sein? Wieso hat sein beknacktes Herz beschlossen, sich in einen beknackten Slytherin zu verknallen? Einen, der erstaunlich subtile Witze macht und ein überraschend hübsches Lächeln hat, wenn er denn mal lächelt. Einer, der Deans Zeichnungen als „nicht übel, Thomas“ betitelt hat und der angestrengt ist von der öffentlichen Aufmerksamkeit, die seine Mutter bekommt. Einer, der gerne liest und interessiert klang an Mugglefilmen, als Dean davon erzählt hat und— Ugh. Dean achtet nicht so richtig darauf, wo er eigentlich hinläuft, aber letztendlich landet er draußen auf den Ländereien beim See, wo er sich zwischen ein paar Bäume hockt und anfängt, wahllos Steine in den See zu katapultieren. Vielleicht kann er so auch gleich ein paar seiner bescheuerten Gefühle loswerden. Kann man Gefühle im See ertränken? Er stellt sich vor, Seamus von seinem Dilemma zu erzählen, aber er hat das Gefühl, Seamus würde ihn nur angucken, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Dean will es Seamus zugute halten, dass er wahrscheinlich nicht so gucken würde, weil Dean sich in einen Jungen verknallt hat. Sondern weil der besagte Junge ein Slytherin ist. Dean ist sehr in Gedanken versunken und hört die Schritte nicht, die sich ihm nähern, bis ein Schatten auf ihn fällt und ihm die Sonne versperrt. Er erkennt schon an den Schuhen, wer vor ihm steht. Eine Tatsache, die ihn über sich selbst die Augen verdrehen lässt. Aber Dean weigert sich aufzuschauen, sondern schmeißt den nächsten Stein sehr dicht an Blaise vorbei in den See. Fast ist er ein bisschen traurig darüber, ihn nicht getroffen zu haben. Blaise sagt so lange nichts, dass Dean sich wirklich zusammen reißen muss, ihn nicht störrisch anzusehen. Oder ihn anzuschreien. Oder ihm doch noch einen Stein gegen seinen bekloppten, hübschen Kopf zu werfen. „Du bist sauer.“ Dean muss sich sehr zusammenreißen, nicht verächtlich zu schnauben. Er hebt endlich den Kopf und schaut zu Blaise hoch. Es ist nicht leicht, sein Gesicht zu lesen, weil Blaise meistens sehr bemüht ist, sorgfältig und ausdruckslos dreinzublicken. Dean sucht in dem hübschen Gesicht nach einem Anzeichen für irgendwelche Gefühle. Wahrscheinlich sucht er da vergebens. „Wow, ich bin beeindruckt. Zehn Punkte für Slytherin für diesen Geistesblitz.“ Blaise hat tatsächlich den Anstand sich auf die Unterlippe zu beißen. Dean weiß nicht, wie er mit dieser ganzen bekloppten Situation umgehen soll, deswegen rappelt er sich auf und klopft sich Dreck vom Umhang. Zu seinem Unmut ist Blaise leider gute zehn Zentimeter größer als er. Ugh. „Was hätte ich deiner Meinung nach machen sollen“, sagt Blaise und verschränkt die Arme vor der Brust. Dean möchte ihm liebend gern eine reinhauen. „Oh, ich weiß nicht. Wie wäre es gewesen mit ‚Sag dieses Wort nicht‘ oder ‚Dean ist eigentlich kein übler Typ‘ oder ‚Halt die Fresse, Parkinson‘?“ Blaise öffnet den Mund, aber Dean hat jetzt schon die Schnauze voll. „Vergiss es. Ich hab die Schnauze voll“, sagt Dean wütend und er hört, dass seine Stimme zittert. Er wünscht sich, seine Gefühle besser unter Kontrolle zu haben. So wie Blaise, der einfach aussieht wie eine Marmorstatue als Dean an ihm vorbei rauscht. „Warte“, ruft Blaise ihm nach. „Lass mich in Ruhe“, blafft Dean zurück. „Es tut mir Leid, ok?“ „Nein, es ist nicht ok!“ Dean hat sich wieder umgedreht und seine Stimme trägt über den See und durch den Wald. Er will eigentlich nicht laut werden, er will seine Gefühle unter Kontrolle halten, aber er ist so endlos enttäuscht und wütend. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, als er zu Blaise hinüber sieht, der nun gute fünfzehn Meter von ihm entfernt steht und zu allem Überfluss seine Hände in die Hosentaschen gesteckt hat. Dean weiß, dass irgendwo da drin Gefühle sind. Aber anscheinend ist er es nicht wert, dass man sie rauslässt. „Es ist nicht ok! Es ist nicht ok, dass du verheimlichst mit mir abzuhängen. Es ist nicht ok, dass du einfach daneben stehst, wenn deine dummen Freunde mich beleidigen! Du bist ein erbärmlicher Feigling und ich hab keine Ahnung, was genau ich an dir eigentlich so ma—“ Dean klappt den Mund zu, bevor er noch irgendwas sehr viel Dümmeres sagen kann. „Ich hab schon gesagt, dass es mir leid tut.“ Blaise kommt jetzt auf ihn zu. Dean meint, ihn schlucken zu sehen. Wieso hat er das gesagt? Wieso hat er nicht einfach die Klappe gehalten? „Klar. Und gleich gehst du wieder zurück zu deinen beknackten, rassistischen Freunden und dann könnt ihr über mich herziehen und später soll ich dann so tun, als wäre das alles nicht passiert, ja? Was soll das eigentlich alles? Wieso triffst du dich überhaupt mit mir, wenn du dann nichts Besseres zu tun hast, als—“ Dean gibt ein erschrockenes Geräusch von sich, als er sich plötzlich mit dem Rücken an einem Baum wiederfindet, zwei sehr weiche, langfingrige Hände an den Seiten seines Gesichts und ein paar entschlossener Lippen auf seinen. Oh. Blaise‘ Augen sind geschlossen und er ist so nah, dass Dean seine Wimpern zählen kann. Sein Herz stürzt sich in ein hysterisches Stakkato und er kann kaum atmen, während sein Gehirn versucht gedanklich aufzuholen und die Situation zu begreifen. Blaise küsst ihn. Auf den Mund. Dean würde gerne sagen, dass seine Wut nicht zur Hälfte verpufft, aber er denkt schon so lange darüber nach, wie es sein muss, Blaise zu küssen, dass sein erster Instinkt ist, seine Hände in Blaise‘ Umhang zu verkrallen und ihn festzuhalten, die Augen zu schließen und sehr enthusiastisch zurückzuküssen. Blaise gibt ein Geräusch von sich, das Dean nicht erwartet hat. Es ist irgendwo zwischen einem Keuchen und Seufzen und Dean hat sofort das Bedürfnis, noch mehr von diesen Geräuschen zu hören. Aber dann fällt ihm ein, dass er eigentlich immer noch sauer ist und er zieht den Kopf zurück. Blaise‘ Lippen folgen ihm einige Zentimeter und seine Augen sehen tatsächlich ein wenig glasig aus. „Was zum—“ „Deswegen. Deswegen treff ich mich mit dir“, sagt Blaise. Klingt er etwa heiser? „Aber—“ „Es war... scheiße. Ich hätte was sagen sollen.“ Blaise schaut ihn nicht an. Dean ist sich nicht sicher, dass Blaise schon jemals in seinem Leben zugegeben hat, irgendwas falsch gemacht zu haben. Aber hier ist er, ein Riss in der Rüstung. Ein Bruch im Marmor. „Ich werd nicht dein kleines Schlammblut-Geheimnis sein“, sagt Dean mit verengten Augen. Blaise verzieht das Gesicht über die Formulierung—etwas spät, wie Dean findet. „Ich werd mich nicht über Nacht in einen Gryffindor verwandeln“, sagt Blaise mit gehobenen Augenbrauen. Dean denkt kurz darüber nach, was das bedeutet. Wahrscheinlich, dass Blaise sich nicht getraut hat, was zu sagen. Dean erinnert sich daran, wie Dumbeldore im ersten Jahr gesagt hat, dass es Mut kostet, sich seinen Feinden in den Weg zu stellen, aber noch mehr Mut, sich seinen Freunden in den Weg zu stellen. „Deine Freunde sind Arschlöcher“, sagt Dean brummig. Blaise schnaubt. „Nun. Ich bin auch ein Arschloch“, sagt er. Dean seufzt und verdreht die Augen. „Wenn du mich noch mal küssen willst, kannst du lernen, seltener ein Arschloch zu sein“, sagt er und löst sich komplett von Blaise, ehe er Richtung Schloss davon stapft. „Heißt das, wir sind wieder—ok?“, ruft Blaise ihm nach. Dean schnaubt. „Du bist auf Bewährung, Arschloch!“ Er hört Blaise noch ein schnaubendes Lachen ausstoßen, dann ist er außer Hörweite. Dean muss sich sehr bemühen, nicht mit den Fingern seine Lippen berühren. Er wird ja sehen, wohin all das ihn noch führt. Für den Moment reicht ihm die Gewissheit, dass Blaise Zabini doch irgendwo Gefühle unter seinem Mamor versteckt hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)