Beste Freunde von Shizana (Ikki & Kento) ================================================================================ One Shot -------- Ding Dong. Auf der anderen Seite der Wohnungstür blieb es still. Nichts, kein Laut. Erneut läutete die Türklingel hell und fordernd. Ding Dong. Sekunden zogen sich in der Stille dahin. Es dauerte fast eine Minute, ehe aus dem Inneren schwerfällige Schritte zu hören waren. Der silberne Knauf drehte sich, dann wurde die Tür nach innen geöffnet und ein junger, hochgewachsener Mann in einem grün-braun karierten Freizeithemd, mit schmaler Brille und wüster, dunkelblonder Kurzhaarfrisur schob den Kopf zwischen dem schmalen Türspalt nach vorn. Grüne, stechende Augen blickten unwillkommen zu dem unerwarteten Besucher, von Begeisterung konnte wahrlich keine Rede sein. „Ja?“ „Jo, Ken“, begrüßte ihn der junge Mann in dunkler Kleidung und Sonnenbrille fröhlich, wobei er eine blau behandschuhte Hand zum Gruße hob. In dem ungewöhnlich silberfarbenen Haar fiel ein einziger Haarklips in Form eines Piks auf, der einige Strähnen aus dem Gesicht zurückhalten sollte, doch auch ohne ihn hätte das Haar kaum wüster sein können. „Oh, Ikkyu“, erkannte Ken, eigentlich Kento, den Freund vor seiner Tür. Es klang kaum eine Emotionsregung aus seiner Stimme heraus, weder Überraschung noch Begeisterung, sie blieb ebenso monoton wie zuvor. Dennoch zeigte er offenbar Bereitschaft für seinen Besuch, öffnete die Tür ein Stück weiter und richtete sich in eine gerade Haltung auf, wodurch er noch einmal größer wirkte als ohnehin schon. „Was machst du hier zu dieser Uhrzeit? Es ist schon nach zehn.“ „Ich störe dich doch nicht?“, reagierte Ikki eine Spur zu heiter mit einer Routinefrage, woraufhin er kurz auflachte. „Ein Mädchen wirst du wohl kaum bei dir haben, also kann ich dich schlecht bei etwas stören, bei dem mein unangemeldeter Besuch tatsächlich von Bedauern wäre. Also, hast du vielleicht etwas Zeit für mich? Ich würde gern ein wenig plaudern.“ Kento zog die Augenbrauen tiefer, als er den Freund abschätzend musterte. „Ikkyu … Kann es sein, dass du getrunken hast?“ „Ertappt“, lachte Ikki auf. „Du bist scharfsinnig wie eh und je, Ken.“ Leise seufzend schloss er die Augen und richtete sich beiläufig die Brille auf seiner Nase. „Ich wusste es. Es ist also wieder diese Zeit, hm? Ich hätte es wissen müssen.“ „Was denn, was denn?“ „Dein letzter Besuch dieser Art ist drei Monate her. Es war auch zu Monatsende gewesen. Und du warst ebenfalls betrunken und wolltest reden.“ „Och, nun sei doch nicht so zu einem alten Freund“, sprach Ikki schmeichelnd, zog eine kindliche Schnute und bemühte sich offenbar, Kento an einem schwachen Punkt zu erwischen. Als dies keine Wirkung zeigte, kehrte er zu einem breiten Grinsen zurück. „Nun komm schon. Ich stehe dieses Mal auch nicht mit leeren Händen vor deiner Tür und habe uns etwas mitgebracht.“ Daraufhin hob er ein schwarzes Einkaufstäschchen in die Höhe, die er in seiner anderen Hand getragen hatte. „Was ist das?“ „Terra Noble“, betonte er, um es möglichst edel klingen zu lassen, und griff in die schmale Tasche hinein, aus welcher er eine dunkle Flasche in schlanker Form und mit weißgoldenem Etikett hervorholte. Ganz in der Rolle eines Haustürvertreters präsentierte er dem Freund seine stolze Errungenschaft. „Gran Reserva Carmenere. Einer der besten Rotweine aus Chile. Trocken, würzig und voll im Geschmack, sehr samtig und weich im Abgang. Ein kleiner Schmeichler, der Gute. Er wird dir zusagen, da ich doch weiß, dass du nicht so auf Süßes stehst.“ „Ich begnüge mich mit Quellmineralwasser“, entgegnete Kento trocken, gänzlich unbeeindruckt von den Bemühungen Ikkis. „Na schön, dann werde ich ihn mir eben allein zu Gemüte führen. Also, lässt du mich rein oder soll ich noch bei den Nachbarn klingeln und bei denen nachfragen, ob sie sich zu uns gesellen wollen?“ Statt einer Antwort stieß Kento ein schweres Seufzen aus, ehe er die Tür gänzlich öffnete. Sein Blick haftete zweifelhaft an dem Freund, welcher mit einem fröhlichen „Vielen Dank“ an ihm vorbei in die Wohnung schritt. Gewohnt wechselte er die Straßenschuhe gegen ein Paar Hausschuhe, welche in dem kleinen Schuhschrank gleich hinter der Tür für Besucher bereitlagen, und Kento folgte gemächlich, als Ikki sich bereits seinen Weg durch die Wohnung bahnte. „Willst du nicht wenigstens probieren?“, versuchte Ikki erneut, Kento zu überreden. Er hatte sich ohne Umschweife in die kleine Küche begeben, welche offen an das geräumige, jedoch eher spärlich eingerichtete Wohnzimmer angrenzte, und suchte dort wissend in den hellen Schränken nach geeigneten Gläsern für den edlen Tropfen. „Wieso versuchst du es überhaupt?“, fragte Kento mehr rhetorisch, als dass er tatsächlich auf eine Antwort abzielte. Er folgte Ikki nicht länger, sondern kehrte stattdessen an seinen üblichen Arbeitsplatz im Nebenzimmer des Wohnraumes zurück. Obgleich beide Räume die gleiche Größe hatten, wirkte dieser durch die vielen dunklen Bücherregale, welche ausnahmslos und bis auf den letzten Platz mit ordentlich sortierter Lektüre bestückt waren, sehr viel kleiner und zugestellter. Der immense Schreibtisch mit dem davorstehenden, hochlehnigen Bürostuhl in schwarzem Leder leistete keinen geringen Beitrag an dieser Fehlwahrnehmung. Das Zimmer wies eine weite Front mit hohen Fenstern direkt hinter dem Arbeitsbereich auf, welche tagsüber mehr als genügsam Licht spenden mussten, doch jetzt zur späten Abendstunde verwehrten heruntergelassene Jalousien den Blick nach draußen. Verschiedene Zimmerpflanzen verliehen dem Raum mühsam Abwechslung, konnten jedoch nur schwerlich den Eindruck schwächen, dass man sich in eine Büroeinrichtung verirrt hatte. Für die kurze Abwesenheit hatte sich der laufende Computer in den Ruhemodus gesetzt, welchen Kento mit einer flüchtigen Mausbewegung unterbrach. Der schwarze Bildschirm lichtete sich und Kento machte sich als gleich daran, die schlichte Tastatur zu bedienen und ein Passwort einzutippen. Noch währenddessen ließ er sich in den Bürostuhl sinken, ließ die zuletzt ausgeführten Programme hochfahren und fuhr in der begonnenen Arbeit fort, weitere Zahlen in die schier endlosen Spalten einer Excel-Tabelle einzutragen. „Was soll ich sagen? Ich bin eben ein schlechter Verlierer, wenn ich denn einmal verliere. Außerdem, wenn ich eines in unserer Freundschaft gelernt habe, dann, dass man ohne einen gewissen Grad an Hartnäckigkeit nicht sehr weit bei dir kommt.“ „Das hat mit der Sache nicht sehr viel zu tun“, wies Kento unbewegt zurück. Sein Blick blieb auf dem Monitor haften, seine Hände flogen geradewegs über die Tastatur, selbst dann noch, als Ikki neben ihn trat und ein Glas, in welchem zur Hälfte gefüllt der tiefdunkelrote Wein verlockend schwappte, abseits seines Tätigkeitsbereiches abstellte. „Du weißt, dass ich nicht trinke. Schon gar nicht während der Arbeit. Und wenn, dann Wasser. Gelegentlich Kaffee, eher in den Pausen. Es muss also einen Grund dafür geben, dass du trotz diesen Wissens versuchst, mich in dein Gelage zu involvieren.“ „So? Ist das wirklich so offensichtlich?“ „Dafür gibt es an sich nur drei Theorien. Erstens, du bist der Überzeugung, dass es einer Konversation förderlich wäre, wenn es dir gelingt, dass ich Alkohol zu mir nehme. Zweitens, du zielst auf eine Analogie ab, um dich besser zu fühlen, wenn ich mich auf denselben Level wie du begebe. Oder die dritte Theorie, in der du schlichtweg versuchst, herauszufinden, ob du mich unter Vorwand zu etwas bringen kannst, von dem du genau weißt, dass ich dem unter normalen Gegebenheiten niemals nachgehen würde.“ „Mhm, ich bin beeindruckt“, gab Ikki anerkennend von sich, sein eigenes Glas in seiner Hand schwenkend. Kurz nippte er an dem edlen Kristall. „Es gäbe da noch eine vierte Theorie, die jedoch wahrscheinlicher wäre, wenn du eine Frau wärst.“ „Da dies eine indiskutable Unmöglichkeit ist, scheint sie es mir auch nicht wert, sie erst in Betracht zu ziehen.“ „Schon, aber wenn“, legte er ein schiefes Lächeln auf, „dann wäre eine weitere Möglichkeit, dass es in meiner Absicht liegt, dich unter Alkoholeinfluss zu stellen, um mir im Anschluss deine Beeinflussbarkeit zu Nutze zu machen und dich so zu etwas zu bringen, das ich während deines nüchternen Zustandes nicht oder nur schwerlich bei dir bewerkstelligen könnte. Zum Beispiel … dass du nur einmal sturzbetrunken mit mir um die Häuser ziehst und die Nachbarschaft aufweckst.“ „Wieso sollte ich so etwas tun?“ „Weiß nicht. Vielleicht einfach, um es einmal getan zu haben?“ Kento unterbrach seine Arbeit und blickte zweifelhaft zu Ikki auf. Für mehrere Sekunden studierte er das Gesicht des Freundes, als prüfe er den Ernsthaftigkeitswert in dessen letzten Worten. Nicht die kleinste Regung ließ darauf schließen, was ihm dabei durch den Kopf ging. Schließlich wandte er sich wieder von ihm ab und erneut seiner Arbeit zu. „Darin fehlt die Logik“, befand er. „Das Einzige, was daraus resultieren würde, wäre ein unzivilisiertes Verhalten der Trunkenheit ohne Sinn und Verstand. Es beinhaltet weder einen Unterhaltungs- noch Erfahrungswert, was die mindeste Grundvoraussetzung wäre, um so etwas Sinnfreies zu tun.“ Ikki seufzte geschlagen. „Ken … Manchmal frage ich mich, ob du jemals etwas anderes tun wirst, als immerzu nur zu arbeiten und Wissenschaften zu studieren.“ „Tu ich.“ Das eifrige Tastenklappern setzte sich ununterbrochen fort. „Ich lese.“ „Alles, was du liest, hat mindestens mit einer Wissenschaft zu tun. Kein einziges Buch in diesem Raum enthält nicht wenigstens entfernt zeitgemäß wissenschaftliche Theorien oder faktische Darlegungen.“ „Ich unterrichte und halte Vorlesungen.“ „Nur eine weitere Arbeit.“ „Teilweise auch unentgeltlich.“ „Ken! Ich rede von etwas, das dir Spaß macht und von all dem ablenkt.“ „Ich entwerfe mathematische Rätsel verschiedener Schwierigkeitsstufen und in abwechslungsreicher Gestaltung.“ „Das macht dir Spaß, wohl wahr …“ „Und ich gärtnere. Aber wenn wir gerade dabei sind“, lenkte Kento im Thema um, „hast du das letzte Rätsel schon gelöst, das ich dir vor zwei Tagen gegeben habe?“ „Mh, nein.“ „Oho?“ Zum ersten Mal an diesem Abend blitzte so etwas wie Interesse in seinen Augen auf. Er ließ sogar von seiner Arbeit ab, um seine Aufmerksamkeit ganz an Ikki zu richten. „Das ist unüblich für dich. Normalerweise brauchst du nicht so lange, um meine Rätsel zu lösen. Eigentlich hätte ich es mir gleich denken können, da du mir deine Lösung nicht sofort präsentiert hast, als ich dir die Tür geöffnet habe. Gib es ruhig zu, Ikkyu: Ist es dieses Mal zu schwer für dich?“ „Nein, das ist es nicht.“ Tief in seinen Gedanken verloren, schwenkte er das Glas in seiner Hand. Der rote Wein bannte seinen abwesenden Blick, bis er ihn schließlich an seine Lippen führte und in wenigen Schlucken bis auf den letzten Tropfen leerte. Augenblicklich schenkte er sich nach. „Ich war nur anderweitig beschäftigt und mit meinen Gedanken eingebunden. Tut mir leid, Ken, ich habe mich noch nicht mit deinem Rätsel auseinandergesetzt.“ „Mhm.“ Kommentarlos beobachte er das trinkhafte Verhalten des Freundes. Er sagte auch nichts, als sich Ikki bereits das nächste Glas ansetzte, welches er bis kurz unter dem Rand gefüllt hatte, und in einem einigen Zug bis auf die Hälfte leerte. Zurück in seiner Gleichgültigkeit widmete er sich abermals seiner Arbeit. „Wenn du dich betrinken willst, ist das deine Sache. Aber könntest du zumindest die Sonnenbrille absetzen, solange du dich in meiner Wohnung aufhältst?“ „Oh, die hatte ich ganz vergessen. Tut mir leid.“ Er kam der Aufforderung sogleich nach, stellte sein Glas ab und verstaute die Brille mit den verdunkelten Gläsern sorgfältig in dem dunkelblauen Etui, welches er bei sich führte, und jenes anschließend in der Innentasche seines frackgeschneiderten, schwarzen Mantels. Als er im Anschluss erneut zu dem Kristall griff, stoppte er inmitten der Bewegung, noch bevor es seine Lippen erreicht hatte. „Huh? Sag mal, Ken … Kann es vielleicht sein, dass du dir tatsächlich Sorgen um mich machst?“ „Ich weiß nicht, worauf du anspielst“, entgegnete dieser und blickte nicht einmal auf. „Etwa auf meine Aussage bezüglich deines Trinkverhaltens? Das ist nicht neu für mich und es läge außerhalb meiner Zulässigkeit, darüber zu urteilen, was du zu tun und zu lassen hast. Zumal du ohnehin das tust, was du für richtig hältst.“ Ikki zog die Augenbrauen kraus. „Was redest du da nur? Du bist mein bester Freund, Ken. Du solltest wirklich etwas lockerer werden, wenn es um solche Dinge geht. Selbstverständlich hast du das Recht, etwas zu sagen, wenn du denkst, dass ich etwas falsch mache, und darfst mich auch ruhig belehren. Tust du das nicht sonst auch immer?“ „Und was nützt es, wenn ich es tue? Es liegt nicht in meiner Erinnerung, dass du jemals etwas an einer Situation geändert hättest, wenn man dich dahingehend hingewiesen hat.“ „Hm, das ist gemein.“ Für einen Moment dachte er nach. „Das stimmt so nicht. Vor zwei Jahren wollte ich mich für ein Pokerturnier einschreiben, bis du mich davon überzeugt hast, zu der Go-Meisterschaft zu gehen wegen des höheren geistigen Anspruchs und der »Kaffee- und Teesorten aus aller Welt«-Sammlung, die es zusätzlich zu dem Preisgeld zu gewinnen gab. Und meine Schwester hatte mir einmal davon abgeraten, mir meine Haare bis zum Steiß wachsen zu lassen, als ich einmal in dieser Phase war in meinen jüngeren Jahren.“ „Gut, dann lass den Alkohol bleiben und bediene dich stattdessen in der Küche. Ich habe neuerdings auch Wasser mit Geschmacksrichtung, wenn dir das lieber ist. Und grünen Eistee von einem Studenten, den ich noch nicht probiert habe.“ Abwägend schwenkte Ikki das Glas zwischen seinen Fingern, den Blick auf die wippende Flüssigkeit darin gerichtet. Es dauerte keine ganze Minute, bis er seine Entscheidung gefällt hatte und den restlichen Wein in einem Zug demonstrativ leerte. Es entlockte Kento nicht einmal ein Seufzen. „Ich hab’s gewusst.“ „Ach, nun komm schon, Ken“, versuchte Ikki ihn zu beschwichtigen. In der einen Hand sein Glas, in der anderen die offene Weinflasche drehte er sich ab und ging die wenigen Schritte in den Raum hinein bis zu der dunkelgrünen Ledercouch, welche etwa mittig des Zimmers mit dem Rücken zum Arbeitsbereich aufgestellt worden war. Sie war neben einem niedrigen Gesellschaftstisch und zwei weiteren, kleineren Sofas im beigen Stoffdesign so ziemlich das Einzige, was nicht zwangsweise an eine strenge Büroeinrichtung erinnerte. Schwerfällig ließ er sich auf das leise knirschende Polster fallen. Das leere Glas füllte er sich erneut, wobei er sprach: „Sei doch nicht so. Sieh es mir bitte nach, schließlich bin ich heute verlassen worden. Auf den Termin genau.“ „Du wirst darüber hinwegkommen.“ Kein Spott, aber auch keine Spur von Bedauern lag in seiner Stimme. Kento zeigte lediglich einen Fakt auf. „So wie immer“, fügte er leiser hinzu. „Sicher“, sprach Ikki gedämpft. Es lag wenig Überzeugung in diesem einen Wort. Er beugte sich in seiner Haltung nach vorn, die Arme auf seinen Schenkeln und das Glas halbherzig zwischen seinen Beinen haltend. Sein Blick ruhte unbestimmt auf dem hell ausgelegten Boden. Eine ganze Weile schwieg er, hinter ihm setzte sich das eifrige Tastenklappern kontinuierlich fort. Er bemerkte es kaum. „Du weißt ihn vermutlich schon gar nicht mehr“, sprach er kurz darauf seine Überlegung laut aus und schenkte sich erneut von dem Wein ein. „Den Namen meiner letzten Freundin, meine ich.“ „Bedauere“, entgegnete Kento knapp, „dieses Unterfangen habe ich aufgegeben.“ „Yuriko hieß sie.“ Auf seinen Lippen spielte ein trauriges Lächeln. „Ein schöner Name, findest du nicht? Oh, da fällt mir ein …“ Vorsichtig stellte er Glas und Flasche auf dem Tisch vor ihm ab, ehe er in seinem Mantel zu kramen begann. Aus der Innentasche holte er ein schwarzes Mobiltelefon im eleganten, schmalen Design hervor, welches er gezielt bediente. „Ich muss noch die Nummer und letzten Gesprächsverläufe löschen.“ Das leise, flache Klicken erfüllte den Raum, während Ikki besagtem Vorhaben nachging und die letzten Zeugnisse seiner jüngst gescheiterten Beziehung unwiderruflich aus seinem Handy entfernte. Sonst war nichts zu hören. Kento hatte von seiner Tastatur abgelassen, eine ungewohnte Stille ermächtigte sich des Zimmers. „Ne, Ken?“ „Hm?“ „Meinst du, ich werde jemals die Richtige finden? Jemanden, der zur Abwechslung einmal länger an meiner Seite bleibt als stets nur die üblichen drei Monate?“ Kentos Antwort verzögerte sich. Obwohl dieser Umstand an Ikki nagte, zeigte er sich geduldig und fuhr darin fort, seinen Handyspeicher von allem zu befreien, was auch nur entfernt den Namen »Yuriko« trug. „Korrigiere mich, wenn mich meine Erinnerung trügt“, sprach er endlich, wobei seine Augen noch immer Zeile um Zeile über seine Arbeit flogen und diese streng überprüften, „aber bist nicht du es, der konsequent eine Beziehung beendet, nachdem die von dir im Vorfeld festgelegte Zeitspanne abgelaufen ist?“ „Es scheint so“, stieß sich das leise, doch schwere Seufzen aus Ikki heraus. Schweigen füllte die darauffolgenden Sekunden. „Es ist nicht so, dass ich das will. Ich hoffe schon immer noch, jedes Mal, dass sie es sein könnte. Immer wieder und wieder. Aber es ist immer nur dasselbe Spiel, kontinuierlich fortlaufend. Dabei frage ich mich, wieso es so sein muss … Es ist in der Tat wie ein Fluch. Ne, Ken“, wandte er sich über die Couchlehne nach dem Freund um, „es muss doch möglich sein, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Ich meine, dass ich doch ein ganz umgänglicher Typ bin. Meinst du nicht?“ „Das scheint mir eine rhetorische Frage zu sein“, entgegnete Kento unbeeindruckt der Selbstzweifel Ikkis. „Meine ehrliche Antwort darauf würde wohl kaum zur Lösung deines Problems beitragen.“ „Moah, das war gemein“, schmollte Ikki gespielt beleidigt zu ihm zurück. Beiläufig legte er das Mobiltelefon auf der Tischplatte ab, langte stattdessen zurück nach seinem Weinglas und drehe sich auf dem Polster so herum, dass er die Arme über die Lehne legen und das Kinn auf ihnen stützen konnte. Nachdenklich betrachtete er den Freund hinter dem Schreibtisch. „Ich erinnere mich gar nicht mehr, wann es das letzte Mal jemand länger als drei Monate mit mir ausgehalten hat. Bis auf die Familie, vielleicht. Und dir, selbstverständlich. Wusstest du, dass wir nun schon seit vier Jahren miteinander befreundet sind? Und du erträgst mein ständiges Lamentieren noch immer und lässt mich herein, wenn ich betrunken vor deiner Tür stehe.“ Ein kurzes, leises Lachen stahl sich aus ihm hervor. „Ich bin wirklich ein unmöglicher Freund. Aber scheinbar doch nicht schrecklich genug, dass du mich fallen lässt.“ „Ja, du bist ein unmöglicher Freund“, bestätigte Kento unverblümt. „Nichtsdestotrotz bist du ein Freund. Freunde lassen einander nicht im Stich und stehen zueinander. Warst nicht du es, der das immer wieder gepredigt hat?“ „Mhm, das klingt in der Tat eher nach mir als nach dir.“ „Demzufolge wäre es entgegen dem Kodex einer Freundschaft, dich unbeachtet vor der Tür stehen zu lassen, nachdem du bereits die Mühe und den weiten Weg auf dich genommen hast, mich als deinen Freund aufzusuchen. Auch wenn es mir schleierhaft ist, welchen Sinn und Zweck es erfüllen soll. Du solltest wissen, dass ich nicht sonderlich geeignet bin für zwischenmenschliche Interaktionen dieser Art und lediglich mit Analysen und Faktenaufzählungen hinsichtlich deiner Misere dienen kann. In Anbetracht der Tatsache allerdings, dass dies nie das zu sein scheint, was du stattdessen von mir erwartest, entschlüsselt sich mir der Sinn nicht ganz, weshalb du dennoch zu mir kommst, um, wie du es sagst, zu reden.“ Ikki lachte, laut und vollen Herzens. Jene unerwartete Reaktion von ihm auf eine von Kentos unnötig verkomplizierten Ausführungen, die vielen anderen im ersten Moment die Sprache verschlagen und mit Fragezeichen zurückgelassen hätte, war es, die den jungen Wissenschaftler zweifelnd aufblicken ließ. „Was ist?“, verlangte er zu erfahren. „Habe ich gerade irgendetwas Lustiges gesagt?“ „Tut mir leid, tut mir leid“, kam es japsend von Ikki, welcher sichtbar Mühe hatte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Wehleidig strich er sich die Tränen, die sich während des Lachens gebildet hatten, aus den Augenwinkeln. „Ich meine, du hast ja recht. Und doch ist es so, wie ich es sage: Ich komme, um zu reden. Auch wenn es vielleicht nicht die Art von Unterhaltung ist, die man sich normalerweise in solch einer Situation vorstellt und wünschen würde. Ich bilde dabei keine Ausnahme. Dennoch sind die Unterhaltungen mit dir hilfreich und bringen mich in der Verarbeitung meiner Sorgen voran.“ „Hm, ist das so?“ „Ja.“ Ein entschiedenes Kopfnicken unterstrich diese Bestätigung. „Zudem“, legte Ikki ein beherztes Lächeln auf, während er zu dem Freund sah, „reicht es im Grunde schon aus, wenn du mir zuhörst. Einfach jemanden zu haben, der da ist, das genügt mir schon. Und ich schätze deine Gesellschaft wirklich sehr.“ „Verstehe, so ist das. Nun, ich schätze deine ebenfalls.“ „Das freut mich, zu hören.“ „Ich hatte Spaß“, verkündete Kento, wobei er sich von seinem Platz erhob. Noch in dieser Bewegung streckte er die Hand nach dem Computer aus, um ihn auszuschalten. Von der Tischplatte nahm er eine angerissene Wasserflasche, schraubte sie auf und trank, bis der Inhalt gänzlich geleert war. Flüchtig warf er einen Blick zu der Wanduhr linkerseits hinter ihm, deren Zeiger kurz vor elf zeigten, ehe er um den Tisch herumging. „Es ist spät, ich werde mich zu Bett begeben“, erklärte er und blieb hinter der Couch vor dem Freund stehen. „Ich nehme an, dass du hier übernachten möchtest.“ „Mh“, bestätigte Ikki mit einem Kopfnicken. „Sofern es dir keine Umstände macht.“ „Tut’s nicht.“ Daraufhin wandte er sich ab und setzte zum Gehen an, um den Raum zu verlassen. „Du kennst dich ja aus. Frische Bettwäsche liegt wie immer unter der Couch. Wenn du Durst bekommst, bediene dich am Kühlschrank. Solltest du das Bad während der Nacht aufsuchen, schließe die Tür nach dem Verlassen. Solltest du morgen frühzeitig aufbrechen, hinterlass eine kurze Nachricht.“ „Ja, ja.“ „Gute Nacht, Ikkyu.“ „Gute Nacht. Und danke.“ Schon hatte Kento das Zimmer verlassen, die Tür hinter ihm blieb auf einen Spalt offen. Seine schweren Schritte zogen sich durch die Wohnung, auf dem Weg zu seinem Privatzimmer. Dann fiel eine Tür leise klackend ins Schloss und bis auf das stetige Ticken der Zimmeruhr war es still. Am darauffolgenden Morgen wurde Ikki durch ein penetrantes Klappern geweckt. Es war nicht sehr laut, doch durch die Stille im Zimmer klang es nervenberaubend. Widerstrebend brummte er, zog sich die Decke bis über den Kopf und wechselte die Seite. Nur noch fünf Minuten länger, oder zehn … Es war ihm tatsächlich gelungen, noch einmal einzuschlafen. Für wie lange, wusste er nicht, doch das zweite Erwachen gestaltete sich wesentlich angenehmer. Die klappernden Geräusche waren verstummt, stattdessen schlich sich ihm ein wohltuender Geruch in die Nase: Kaffee. Nur langsam regte er sich, öffnete noch ganz benommen die Augen. Seine Anlaufzeit brauchte ein wenig länger, bis die Besinnung nach und nach zu ihm zurückkehrte und er sich schlussendlich dazu aufraffen konnte, sich zu erheben. In seinem Kopf wog ein Schummern, was ihn daran erinnerte, dass er gestern maßübersteigend Alkohol zu sich genommen hatte. Hoffentlich hatte er es nicht übertrieben und würde gleich die Konsequenzen zu spüren bekommen. Diese schlechte Angewohnheit musste er ablegen, ermahnte er sich im Stillen. Erneut, und wissend, dass er sich damit sehr wahrscheinlich falsche Hoffnungen machte. Vorsichtig setzte er sich auf und ließ nach einem kurzen Moment der Orientierung seinen Blick durch den Raum schweifen. Kentos Arbeitszimmer, so viel wusste er bereits. Der Freund war nicht im Raum, musste jedoch schon einmal hier gewesen sein, denn jemand hatte die Jalousien hochgezogen und die beiden wandgelegenen Fenster angeklappt. Frische Luft füllte den Raum, verdrängte den Muff der vergangenen Nacht. Außerhalb der Fenster ließ sich ein sonniger Morgen erkennen. Weiter in Richtung Tür zeigte die Uhr an der Wand kurz vor halb zehn. Die Arme über Kreuz in die Höhe schiebend, streckte sich Ikki einmal ausgiebig im Sitzen, wobei er einen brummelnden Laut von sich gab. Seine Aufmerksamkeit richtete sich anschließend auf den niedrigen Tisch vor ihm, welchen er ein Stück von sich zurückgeschoben hatte, um sich im Falle eines nächtlichen Sturzes von der Couch nicht unglücklich daran zu stoßen. Dort hatte jemand eine blaue Tasse abgestellt, deren emporsteigender Dampf jenen aromatischen Geruch nach frisch gebrühten Kaffee verströmte. Es entlockte ihm ein Lächeln. Ein Stück weit rückte er nach vorn und langte nach der Tasse aus. Schon der würzige Duft umschmeichelte seine müden Lebensgeister, und als er vorsichtig den ersten Schluck von dem Heißgetränk nahm, breitete sich ein Gefühl von vollkommenster Zufriedenheit in ihm aus. Jemand hatte an ihn gedacht und umsorgte ihn zuvorkommend. „Wie ich sehe, bist du wach“, meldete sich, ohne jegliche Vorwarnung, die Stimme Kentos zu Wort, als jener das Zimmer unbemerkt betreten hatte. Es wunderte Ikki, dass er sich offenbar bemüht hatte, keinen unnötigen Lärm zu machen; wohl, um ihn nicht zu wecken. Dabei wäre das sein gutes Recht, immerhin war es seine Wohnung und Ikki nur ein ungebetener Gast, der sich bei ihm einquartiert hatte. „Mhm. Guten Morgen.“ „Guten Morgen.“ „Vielen Dank für den Kaffee.“ Ikki hob verdeutlichend die Tasse in die Höhe, wobei er den Kopf in Richtung des Freundes drehte und müde zu ihm hinüberlächelte. „So einen Luxus habe ich selten.“ „Ich komme gerade vom Bäcker“, erklärte Kento unbeeindruckt und steuerte auf seinen Computer zu. Er schaltete lediglich den Bildschirm ein, beugte sich neben seinem Stuhl nach vorn, wobei er seine eigene Tasse Kaffee auf dem Tisch abstellte, und bediente die Maus in nur wenigen Klicks. Während er seinen Emailposteingang prüfte, fuhr er fort: „In der Küche liegt eine Tüte mit Brötchen. Ich habe eine Suppe gekocht, für den Fall, dass du etwas frühstücken magst. Wenn du also hungrig bist, bedien dich. Es ist auch noch anderes im Kühlschrank, falls dir nicht der Sinn nach etwas Warmen am frühen Morgen steht.“ Von Ikkis Seite aus blieb es still. Keinerlei Regung ging von ihm aus. „Oder soll ich dir etwas bringen?“ „Hm? Ah, nein, nein.“ Eilig winkte Ikki in Kentos Richtung ab und setzte ein schiefes Lächeln auf. „Tut mir leid, ich bin noch nicht ganz da, schätze ich. Nein, es ist schon in Ordnung so. Der Kaffee reicht fürs Erste voll und ganz. Ich hole mir später selbst etwas. Ich weiß doch, dass du nicht möchtest, dass in deinem Arbeitszimmer gegessen wird.“ „Stimmt. Iss bitte später im Wohnzimmer.“ „Was ist mit dir?“ „Ich habe bereits gegessen.“ Kento beendete seine Erledigungen am Computer, schaltete den Monitor wieder aus und gesellte sich mit seiner Tasse Kaffee in der einen, einer Tageszeitung in der anderen Hand auf eines der beiden Zweisitzsofas, die mit etwas Abstand seitlich zu der Couch aufgestellt worden waren, auf welcher Ikki Quartier bezogen hatte. Nahezu geräuschlos ließ er sich darauf nieder, lediglich das nachgiebige Polster knirschte leise unter seinem Gewicht. „Du hast dir doch keine Umstände wegen mir gemacht?“, hakte Ikki nach. Nachdenklich betrachtete er sich den Freund, der sich bereits in seinem üblichen Alltagsstraßenmantel in dem grün-schwarzen Kreuzdesign hergerichtet hatte, als würde er in Kürze das Haus erneut verlassen wollen. Fast fühlte er sich schlecht, dass Kento so viel frischer und besser aussah, als es wohl bei ihm der Fall sein durfte. „Hm? Wie kommst du darauf?“ „Weil du sagtest, dass du Frühstück gemacht hast. Und extra beim Bäcker warst. Es hätte mich auch nicht gestört, wenn ich erst zu Hause etwas gegessen hätte. Oder ich hätte mir notfalls auch etwas auf dem Heimweg holen können.“ „Ah, das. Nein, das hat mit deiner Anwesenheit wenig zu tun.“ Kento trank von seinem Kaffee. Entspannt lehnte er sich weiter gegen die Lehne zurück und hob seinen Blick aufmerksam in Ikkis Richtung. „Ich gehe seit geraumer Zeit jeden Morgen zum Bäcker und hole mir dort etwas, sofern ich die Zeit dazu habe. Was nicht oft vorkommt, aber es kommt vor. Ich dachte, du wüsstest das.“ „Ach ja?“, kam es wunderlich von ihm zurück. Kurz sann er nach. „Ich bin mir nicht mehr sicher, ehrlich gestanden. Möglich, dass du es einmal erwähnt hattest, aber das muss schon länger zurückliegen. Vielleicht erinnere ich mich wirklich nur nicht mehr daran. Sorry.“ „Wie dem auch sei“, wies Kento zurück, von Kränkung keine Spur. „Was den Rest anbelangt: Ich hatte noch einige Kräuter über, die verbraucht werden mussten, solange sie noch frisch sind. In dem Sinne habe ich nur praktisch gehandelt. Eine Suppe ist nicht besonders aufwendig, ein paar Kleinigkeiten habe ich auf meinem Weg zum Bäcker eingekauft. Da du ohnehin noch geschlafen hattest, hatte ich genug Zeit, den Morgen sinnvoll zu gestalten mit meinen Vorbereitungen. Ein ausgewogenes Frühstück ist wichtig, um den Körper mit den nötigen Nährstoffen für den Tag zu versorgen. Vor allem dann, wenn man ihn am Vorabend einer höheren Belastung ausgesetzt hat, ist eine morgendliche Stärkung besonders wichtig. Dir ist hoffentlich bewusst, welch enorme Strapazierung du deinen Körper letzte Nacht zugemutet hast?“ „Bist du wirklich mein bester Freund? Im Moment klingst du vielmehr wie eine Mutter“, brummte Ikki gegen den Rand seiner Kaffeetasse. Natürlich wusste er, worauf der Freund anspielte, und wie von selbst richtete sich Ikkis Blick zu der inhaltlosen Weinflasche am anderen Ende der Couch auf dem Boden. Irgendwie hatte er es tatsächlich geschafft, sie noch vor dem Schlafengehen ganz ohne Kentos Zutun auf alleinigem Verdienst zu leeren. Bedachte er, was er zuvor schon an jenem Abend an Alkoholischem konsumiert hatte, wunderte es ihn gar nicht, dass er sich heute Morgen so geschlagen fühlte. Vielleicht geschah es ihm ganz recht, dass er sich nun jene Predigten anhören musste, deren Rechtmäßigkeit er nicht verleugnen konnte. „Wie lange bist du denn schon auf?“, wechselte er geschickt das Thema, als ihm auffiel, von welcher Aktivität Kento ihm da berichtet hatte, die unmöglich in ein Zeitfenster von ein oder zwei Stunden passen konnte. „Erst seit um sieben“, war die trockene Antwort. Ikki hatte Mühe, den ihm aufsteigenden Sarkasmus herunterzuspielen. „Das ist zeitig. Da hattest du ja wirklich viel Zeit zu überbrücken, bis ich endlich aus den Federn gekommen bin.“ „Duschen, Einkaufen, Frühstück zubereiten.“ „Danke, jetzt fühle ich mich schlecht.“ „Du hast gefragt.“ Während er sprach, lehnte sich Kento nach vorn und stellte seine halb geleerte Tasse auf dem Tisch ab. Stattdessen nahm er die Tageszeitung zur Hand, deutete fragend mit ihr in Ikkis Richtung, welcher verstehend nickte und Kento einen Teil daraus herauslöste, um diesen dem Freund zu überreichen. Daraufhin kehrte Stille zwischen ihnen ein und nur noch das gelegentliche Rascheln der üppigen Papierseiten war zu hören. „Sieh an, die Lakers haben das Spiel gewonnen“, war es irgendwann Ikki, der das eingekehrte Schweigen brach, während er die aktuellen internationalen Sportberichte überblickte. Ein zufriedenes Lächeln legte sich über sein Gesicht. „Wenn sie so weitermachen, haben sie wieder die Chance auf den Weltmeisterschaftstitel. Vielleicht sollte ich auf sie setzen.“ „Wieso ausgerechnet ein internationales Team? Japan hat auch gute Basketballteams, habe ich gehört. Wäre es nicht angemessener, der JNB deine Unterstützung zukommen zu lassen?“ „Oh, ich stehe durchaus hinter unserem Nationalteam“, beteuerte Ikki, wobei er die Zeitung zusammenfaltete und nach dem Rest seines Kaffees langte. „Selbstverständlich tue ich das. Aber du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Von dem Leistungsvermögen und der sportlichen Kapazität der Los Angeles Lakers trennen uns noch Lichtjahre.“ „Mhm.“ „Vielleicht sollte ich auch einem Team beitreten. Basketball wäre einmal etwas anderes, meinst du nicht auch?“ „Du vergisst dabei eine Sache.“ Kento ließ eine Pause entstehen, ehe er fortsetzte. „Basketball baut nicht nur auf Handspiel auf. Neben einer strikten Hand-Bein-Koordination ist auch körperliche Kondition, Geschicklichkeit, Wendigkeit, Kraft und nicht zuletzt wache Reflexe von Nöten; zusätzlich der Fähigkeit, seine Umgebung, Kameraden und Gegner stets im Auge zu behalten. Du bist gut in sämtlicher Form von Spiel und Sport, die deine Hände erfordern. Aber eben auch nur deine Hände. Alles andere liegt außerhalb deines Fachgebietes, wodurch du zu einem gewöhnlichen Anfänger wirst mit wenig bis nichtiger Aussicht auf baldige Erfolge und Aufstiegschancen.“ „Du bist ein Spielverderber, Ken.“ Anstelle eines Schmollens gab sich Ikki einem ausgiebigen Strecken seiner Glieder hin, ehe er sich erhob und daran machte, das Bettzeug zusammenzuräumen. „Apropos, da fällt mir ein: Heute ist das Meeting, nicht wahr?“ „Du meinst vom Meido no Hitsuji? Ja, das ist heute. Versammlung um 15:30 Uhr im Café, alle Mitarbeiter betreffend.“ „Ich frage mich, ob Shin es rechtzeitig schaffen wird“, überlegte er laut, indes er Decke und Kissen sorgfältig über die Coucharmlehne ablegte. Entschlossen, sich allmählich auf seinen Aufbruch vorzubereiten, schlug er den Kragen seines blau-schwarz gestreiften Hemdes hoch, welches er auch über Nacht getragen hatte, und nahm sich seine schwarze Krawatte von der Rückenlehne, um sie sich umzubinden. Die gewohnten Handgriffe erfolgten ganz automatisch, fließend, wobei er in seiner Unterredung fortfuhr: „Als wir vorgestern gemeinsam Dienst hatten, habe ich mitbekommen, wie er zum Chef gesagt hat, dass er am Tag des Meetings Spätschule hat und daher höchstwahrscheinlich nicht kommen kann. Er hat auch schon das letzte Meeting versäumt, daher war der Chef nicht gerade begeistert über diese Information.“ „Lässt sich nichts machen“, befand Kento, ohne die Miene zu verziehen. „Sein Studium hat Vorrang, und das wissen alle. Er wird nicht viel versäumen, wenn er tatsächlich nicht auftauchen sollte. Alles, was die Küche anbelangt, kann ich ihm übermitteln, und für alles andere wird Toma sicherstellen, dass er es erfährt. Meiner Meinung nach besteht kein großes Problem darin, ob er dem Meeting nun beiwohnt oder nicht.“ „Mhm, vermutlich hast du recht.“ Derweil war die Krawatte gebunden und saß, wie vor dem Spiegel hergerichtet. Ikki schlug den Kragen zurück, widmete sich den wenigen offenstehenden Knöpfen seines Hemdes, bevor er sich noch einmal flüchtig über Oberteil und Hose strich, um die Kleidung zu richten. Über dem anderen, freien Sofa lag weniger säuberlich zusammengelegt sein schwarzer Frackmantel, welchen er aufhob, kurz aufschüttelte und schließlich einen Arm nach dem anderen hineinschlüpfte. Nachdem er seine Ankleide beendet hatte, wandte er sich mit einem Lächeln an den Freund. „Ich denke, ich habe genug von deiner Zeit in Anspruch genommen. Ich werde mich so langsam auf den Weg machen. Hab noch einmal vielen Dank, dass ich bei dir übernachten durfte. Und wegen gestern –“ „Was meinst du?“, fiel Kento ihm schnell ins Wort und erhob sich ebenfalls. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ Ikkis Lächeln wurde heller, weicher. Von dem niedrigen Tisch nahm er noch sein Handy zur Hand, welches er behutsam in der Innentasche seines Mantels verstaute. Die kleine Haarspange in Form des Pik-Symbols setzte er sich an die übliche Position seiner Haare, nachdem er es sich mit wenigen Handgriffen in eine geschätzt richtige Frisur gelegt hatte, auf dass sie ihm die kinnlangen Strähnen aus seiner linken Gesichtshälfte heraushalten würde. „Hast du etwas dagegen, wenn ich mir die Brötchen und etwas von deiner Suppe mit nach Hause nehme?“, blickte er fragend zu Kento auf, nachdem er auch die leere Wein- und angefangene Wasserflasche aufgenommen hatte, um keine Unordnung zu hinterlassen. „Allerdings müsstest du mir einen Behälter dafür leihen. Ich kann ihn dir später wieder vorbeibringen, oder morgen. Das sollte nicht das Problem sein.“ „Mache dir darüber mal keine Gedanken“, wies er Ikkis Bemühungen zurück, ergriff die beiden geleerten Kaffeetassen und zog bereits an dem Freund vorüber in Richtung Küche. „Komm einfach mit.“ Kurze Zeit später waren alle Formalitäten geklärt und die beiden hatten sich im Innenflur der Wohnung eingefunden, wo sich Ikki noch mit seinen Schuhen bemühte. Nachdem auch dies geschafft war, er sich seine blauen Handschuhe übergezogen und die Sonnenbrille griffbereit aus ihrem Etui geholt hatte, wandte er sich noch einmal nach Kento um. „Also dann. Noch einmal vielen Dank für alles. Du hast etwas bei mir gut.“ „Ich glaube kaum, dass diese eine Gefälligkeit mehr oder weniger noch viel Abbruch auf deiner Liste tun wird, was ich schon alles bei dir gut habe.“ „Ach, nun komm. Sei doch nicht so.“ „Wie auch immer“, Kento schob sich betont die Brille zurück, „komm ruhig jederzeit wieder vorbei, wenn dir danach ist.“ „Ja, das werde ich.“ Er schenkte dem Freund ein offenes Lächeln. Zum Abschied hob er die Hand, dann wandte er sich zum Gehen. Just in dem Moment, als Ikki den Türknauf betätigte, die Tür aufzog und nach draußen treten wollte, schien ihm ein Gedanke zu kommen. In einer halben Drehung wandte er sich noch einmal an Kento. „Da fällt mir ein … Ken, du hast zufällig heute noch nichts vor, oder?“ Überrascht hob dieser eine Augenbraue. „Nun … meine Ausarbeitung zur Prüfung des Algebrakonflikts und der möglicherweise zweifelhaften algebraischen Geometrie- und Zahlentheorie, deren Wahrheitsgehalt es zu analysieren und neu darzustellen galt, habe ich gestern vervollständigen und somit fürs Erste abschließen können. Bis die Professoren mit ihrer Beurteilung durch sind, stehe ich in keinen weiteren Verpflichtungen gegenüber der Universität. Meine nächste Vorlesung habe ich erst morgen wieder. Schicht habe ich heute keine. Demzufolge nein, ich habe für den heutigen Tag, bis auf das Meeting heute Nachmittag im Meido, noch nichts Festes vor.“ „Das ist gut“, brachte Ikki unverblümt seine Freude über diese gute Nachricht zum Ausdruck und drehte sich gänzlich nach ihm um. „Mir ist nämlich gerade wieder eingefallen, dass derzeit eine Schachausstellung in der Stadt abgehalten wird. Ich habe gelesen, dass sie sehr interessant sein soll, mit historischen Entwicklungsschritten und Ereignissen, die man aus aller Welt über die Jahre zusammengetragen hat. Zum Ende der Ausstellung ist geplant, dass die Veranstalter ein kleines Turnier unter den Besuchern abhalten. Man kann sich bei Interesse gleich vor Ort einschreiben und über das Turnier aufklären lassen. Ich dachte mir, das könnte dir gefallen. Ich hätte heute ebenfalls noch nichts vor und wollte mir die Ausstellung sehr gern einmal ansehen, in aller Ruhe. Vielleicht magst du mich später begleiten?“ „Klingt interessant. Ich bin dabei.“ „Schön. Dann sagen wir, hole ich dich nachher ab? So gegen halb eins. Ich möchte vorerst zu Hause etwas essen, duschen und mich umziehen. Anschließend können wir –“ „Das ist viel zu umständlich“, fiel ihm Kento ins Wort. „Und noch dazu viel zu zeitaufwendig. Ich bin kein Date, das du von der Haustür abholen musst. Sagen wir einfach, wir treffen uns gegen halb eins direkt vor Ort. Das ist viel sinnvoller und der knappen Zeit bis zum anschließenden Meeting im Meido weitaus zweckdienlicher.“ „Tut mir leid“, sagte Ikki und lachte verlegen. „Das ist eine blöde Angewohnheit von mir. Du hast natürlich recht. Dann treffen wir uns direkt dort und gehen im Anschluss gemeinsam zum Meeting.“ „So ist es sinnvoller.“ „Sehr schön. Ich freue mich. Also, bis später.“ „Und lass deinen Fanclub bitte zu Hause“, rief Kento ihm noch nach, als sich Ikki bereits von ihm abgewandt hatte und zur Tür hinausgetreten war. Über die Schulter tat er noch einen Abschiedsgruß, anschließend sah Kento nur noch, wie sich der Freund die Sonnenbrille vor die Augen schob und sich auf dem Hausflur entfernte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)