Kyo Kara Maou Novel: Reise zum Beginn - Abenteuer in Dark Makoku von KamuiMegumi ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- KAPITEL 3 Der Stoff meiner Uniform kratzte ungemein. Ich hätte sie gestern noch richtig auswaschen müssen. So war sie nach dem Ausziehen nur zum trocknen an die Feuerstelle gelegt worden und hatte beim Anziehen heute morgen den Charme eines Brettes. Auch war ich ganz froh, dass man für mich im Dorf noch Stiefel in der passenden Größe aufgetrieben hatte. So ein offizieller Besuch des Königs, der in Hausschuhen kam, hätte vermutlich mehr als seltsam gewirkt. Ich war noch nie ein großer Freund des Reitens gewesen. Obwohl es mit meiner schwarzen Stute Ao mittlerweile ganz gut klappte. Nur war diese nicht hier und alle vorhandenen Pferde waren mir fremd gewesen, so dass ich mich entscheiden musste, ob ich bei Wolfram oder Conrad mit ritt. Ich entschied mich für Conrad. Das wiederum schien Wolfram sauer aufzustoßen. Beleidigt ritt er einige Meter vor uns her und würdigte mich keines Blickes. Aber um ehrlich zu sein war mir das gerade egal. Ich war schon ein wenig aufgeregt! Gleich würden wir in den Wald einreiten, in dem echte Amazonen lebten. Und echte Hexen. Um genau zu sein: Amazonenhexen! Es war erstaunlich, dass ich selbst jetzt noch so viel Neues in meinem eigenen Königreich kennenlernte. Vermutlich hatte mir Günter in einer seiner vielen Unterrichtsstunden von diesem Volk berichtet. Ich weiß es nicht. Es fällt mir oft sehr schwer, seinen sehr ausschweifenden Berichten, die zudem doch recht ausgeschmückt geschildert wurden, von Anfang bis Ende zu folgen. „Wir werden bereits beobachtet!“, flüsterte Conrad leise und ich blickte mich überrascht um. Woher wusste er das? Ich konnte nichts erkennen. Für mich sah alles nach Wald aus. Hier ein Baum und dort, da ein Farn und da hinten Gestrüpp. Ich sah weit und breit niemanden. Aber auch die anderen Soldaten in meinem Gefolge nahmen eine wachsamere Haltung an. Nun ja, sie hatten alle 80 bis 100 Jahre mehr als ich auf dem Buckel. Und mindestens die Hälfte dieser Zeit hatten sie beim Militär verbracht. Alle in den Leibwachen von Gwendal, Conrad und Wolfram. Somit hoch qualifizierte, handverlesene Männer. Wir ritten auf eine sehr große Lichtung im Wald zu. Wolfram zog die Zügel und brachte seine weiße Stute zum Stillstand. Er drehte sich zu uns herum, wieder ohne mich dabei anzusehen (wie kann man nur so stur sein?) und meinte dann an Gwendal gewandt: „Wir werden hier warten müssen!“ „Oh je. Er ist wirklich gekränkt!“, flüsterte Conrad erneut. Diesmal noch leiser. Auch Conrad wusste um Wolframs sehr gutes Gehör. Ich zuckte nur mit den Schultern: „Jetzt, wo ich vorhabe, länger hier zu bleiben als gewöhnlich, werde ich so wieso nicht drum herum kommen, diese unliebsame Geschichte mit ihm aus der Welt zu räumen!“ Ich versuchte ebenso leise zu reden wie Conrad. Dieser drehte sich nun leicht zu mir herum. Seine klaren, braunen Augen mit den silbernen Sprenkeln darin sahen bekümmert aus: „Majestät, ihr wisst, dass ich euch dabei nicht zur Seite stehen kann und werde!“ Ich seufzte lauter und auch Conrad wusste, was ich nun sagen würde und lächelte bereits, bevor ich den Mund aufmachen konnte: „Für dich Yuuri! Und ja, ich weiß! Er ist dein Bruder. Ich möchte ihm auch nicht weh tun. Ich habe ihn sehr gern, aber ich bin nun mal nicht schwul! Das war alles ein ganz blödes Missverständnis!“ Conrads Blick richtete sich nun wieder ernsthafter nach vorne: „Sie kommen!“ „Wo?“, ich konnte immer noch nichts sehen. Wie aus dem Nichts stand plötzlich eine Frau neben unserem Pferd. Ich erschreckte mich so sehr, dass ich mich instinktiv in Conrads Seite krallte um nicht vom Pferd zu fallen. Nachdem ich mich vom ersten Schreck erholt hatte, erkannte ich, dass neben jedem Pferd unserer Gruppe eine junge Dame stand. Sie trugen alle Waffen. Meist Pfeil und Bogen oder so kleine Stichmesser. Aber diese waren entweder auf den Rücken geschnallt oder am Gürtel befestigt. Sie schienen nur zu unserem Geleit gekommen zu sein. Ich beschloss, die mir am nächsten Stehende genauer zu betrachten, da sie alle ziemlich identisch aussahen. Sie war in Menschenjahren vielleicht Mitte 20. In Dämonenjahren kann ich das nicht so genau sagen. Zudem wusste ich nicht, ob diese Amazonenhexen Dämonen im eigentlichen Sinne waren oder so eine Mischform. Aussehen taten sie auf jeden Fall durch und durch menschlich. Aber das taten Wolfram, Gwendal und Günter auch. Na ja. Bis auf dieses abnormal gute Aussehen natürlich! Aber diese Amazonen standen in Punkt Aussehen den Dämonen in Nichts nach! Alle diese Frauen wären auf der Erde bestverdienende Super-Topmodels geworden! Topmodel Nummer Eins, welche neben uns stand, hatte hüftlanges, blondes, gewelltes Haar, welches golden schimmerte. Sie hatte die interessanteste Augenfarbe, die ich jemals gesehen habe: ein stechendes Eisblau mit Goldpigmenten. Ihr ovales Gesicht wies keinerlei Unebenheiten auf, ihre Haut war makellos, ebenso wie ihr ganzer, durchtrainierter Körper. Unendlich lange Beine, eine wohlgeformte Hüfte, ein praller Busen. Sie hatte die perfekten Maße! Alles äußert knapp und eng bekleidet. Ein lebendig gewordener Männertraum! Ein stark stechender Schmerz ging plötzlich von meiner linken Kopfhälfte in den Rest meines Körpers über. Neben dem Pferd, auf dem ich saß, fiel ein halber Apfel zu Boden. „Au!“, entwich es mir. Conrad fuhr herum. „Starr sie nicht so an, du perverser Schwerenöter!“, schnauzte schließlich Wolframs Stimme von der linken Seite und mir den schmerzenden Punkt am Kopf reibend blickte ich ihn überrascht an. In seiner linken Hand hielt er die andere Hälfte des Apfels. „Spinnst du?“, pfefferte ich zurück. Conrads Pferd entdeckte die Apfelhälfte neben sich liegend und fing an, die Tatwaffe genüsslich zu vertilgen. „Das hier ist keine Fleischbeschauung und auch kein Einkauf für deinen Möchte-gern-Harem!“, giftete Wolfram mit hochrotem Kopf und wutverzerrtem Gesicht weiter: „Besinn dich wenigstens jetzt einmal auf deine Verantwortung als König und deine Aufgabe hier! Zudem ist es widerwärtig in der Gegenwart deines Verlobten...“ „Ich habe nicht darum gebeten, dein Verlobter zu sein!“, schnauzte ich ihn unterbrechend zurück: „Das war alles ein ganz großer Irrtum! Und das weißt du auch! Ich habe das Spiel nur dir und deinem falschem Ehrgefühl zu Liebe bisher mitgespielt aber es reicht, Wolfram! Diese Eifersucht macht niemand mit! Erst Recht niemand, der nicht das für dich empfindet was er empfinden sollte wenn man mit dir verlobt ist! Ich bin nicht schwul! Ich stehe nicht auf Männer! Ich werde dich nicht heiraten! Daher ist diese ganze Verlobung nichts weiter als eine dämliche, mich total nervende Farce!“ Wumm. Ich hatte es gesagt. Es war raus. Scheiße. Alle auf dieser Lichtung sahen uns an. Alle. Gwendal. Conrad. Mindestens dreißig Soldaten und ebenso viele Amazonen plus eine uralte Dame, die während unserer Streiterei in die Mitte der Lichtung getreten war. Wolframs Gesichtsfarbe hatte sich schlagartig von dunkelrot in kreidebleich gewandelt. Seine Augen waren weit aufgerissen. Sein Mund leicht geöffnet. Ich konnte ein Zittern seiner von mir so bewunderten Lippen erkennen. Er überlegte, ob er noch was erwidern sollte, schwieg aber. Dann neigte sich sein Blick ganz langsam nach unten, schräg von mir abgewandt. Um seine Augen herum erkannte ich eine leichte Röte, ebenso ein Schimmern. Verdammt! Er weinte! „Wolfram! Ich... ich wollte nicht...“, doch da löste er die Spannung in den Zügeln, gab seiner Stute die Sporen und ritt quer durch unsere Gruppe von der Lichtung runter zurück in den Wald. Bald darauf war nicht einmal mehr der Hufschlag seines Pferdes zu hören. Absolute, beklemmende Stille. „Nicht gut“, Gwendal blickte finster, mit deutlich zu erkennender pochender Stirnfalte zu mir herüber, schüttelte einmal den Kopf und stieg dann vom Pferd ab. Er wandte sich an die ältere Frau, welche sich bisher weder geregt noch irgendetwas gesagt hatte, sondern nur schweigend alles beobachtete: „Wir bitten dieses an sich geplante Vier-Augen-Gespräch zu entschuldigen und hoffen, dass unsere Gespräche heute einen erfreulicheren Ausgang finden!“ „Gewiss. Gewiss. Junge Menschen sind ja so gefühlsbetont und aufbrausend. Heute noch der große Streit und morgen wieder in flammenster Leidenschaft und Liebe zueinander vereint, nicht wahr?“ , und plötzlich durchbohrte mich ihr Blick: „Beachten wir diesen Gefühlsausbruch nicht weiter. Es wird sich schon bald alles zum Rechten richten!“ Dieser Blick! Er kroch eisig durch Mark und Bein. Wortwörtlich. Der Schauder durchlief mich so heftig, dass ihn selbst Conrad vor mir spürte und mich besorgt ansah. „Ist dir kalt, Yuuri?“ „Nein. Conrad?“ „Hm?“ „Ich bin zu weit gegangen, nicht wahr?“ „Ja.“ Conrad war immer ehrlich zu mir. Conrad war auch direkt. Conrad würde nie etwas sagen, was mich verletzen würde. Und er wusste, dass mir ein „Nein“ wesentlich lieber gewesen wäre. Verdammt. Ich hatte wirklich ganz großen Mist gebaut. Irgendwie lief alles wie in einer Dokumentation über Friedensvertragsabschlüsse ab, mit denen man im Geschichtsunterricht bombardiert wird. Es kam mir auf jeden Fall so vor. Ich muss aber gestehen, dass ich nicht wirklich da war. Körperlich schon. Gedanklich jedoch nicht. Da war ich bei Wolfram. Immer und immer wieder schoss mir dieses Bild seiner Augen durch den Kopf. Ich hatte noch nie so viel Schmerz und Trauer in zwei Augen gesehen. In den für mich zwei schönsten Augen der Welt. Ach, beider Welten! Diese Augen sprühten sonst vor Leidenschaft, Kraft, Energie, Willen, Lebenslust, Enthusiasmus, Freude...ach, Wolfram konnte so viel Gefühle stets mit nur einem Blick zeigen und nun... diese Augen... als sich ihr Blick nach unten richtete... sie wirkten wie...wie... tot. Kalt, leblos, kraftlos, willenlos. Einfach tot. Und ich hatte sie getötet. Ja, ich wollte diese Sache aus der Welt schaffen. Und ja, ich hatte auch komplett die Wahrheit gesagt. Nur wusste ich schon in dem Moment wo ich sie ihm an den Kopf warf, dass dies der falsche Weg war wie ich es tat. Ich hatte ihn nicht nur vor seinen ganzen eigenen Soldaten, sondern auch vor seinen Brüdern und deren Soldaten sowie dem ganzen Volk der Amazonenhexen bloß gestellt. Ich wollte das ursprünglich unter uns klären. Und zwar möglichst so, dass man sich anschließend noch in die Augen sehen kann. Bestenfalls sogar so, dass man noch befreundet sein konnte. Denn Wolfram ist mein bester Freund. Okay. Wohl eher war mein bester Freund. Allein für Greta, meiner Adoptivtochter, war er immer der ideale Vater gewesen. Und Greta liebte Wolfram ebenso wie sie mich als ihren Papa liebte. Wie sollte ich meiner Tochter diesen von mir verzapften Bockmist erklären. Wolfram hatte alles Recht der Welt jetzt aus unserem Leben zu verschwinden. Und das würde er bestimmt auch tun. Er würde zu seinem Onkel ins Schloss der Familie von Bielefeld flüchten und nie wieder rauskommen noch mit mir reden. Die Stimmung um mich herum schien besser zu sein als nach diesem Skandal zu erwarten gewesen wäre. Ich beschloss, mich nun doch auf die Gespräche um mich herum zu konzentrieren, an denen ich bisher höchstens durch Nicken und an teilnahmslos nebenher trotten oder sitzen teilgenommen hatte. Die ältere Dame von der Lichtung war das Oberhaupt des Clans und die Dorfälteste. Sie stellte sich uns als Cha'ara vor und ihre Assistentin (welche zuvor neben meinem Pferd gestanden hatte) namens Lila'ya berichtete, Cha'ara sei nun 1678 Jahre alt und hätte diesen Streit, den es hier zu schlichten galt, schon vom ersten Moment an miterlebt. Dieses immens hohe Alter klärte für mich die Frage ob dämonisch oder nicht. Selbst Dämonen werden selten so alt! Für ihr erstaunlich hohes Alter war Cha'ara extrem rüstig. Sie führte uns in ihr Dorf, welches eigentlich aus vielen Baumhäusern, in unterschiedlichen Höhen angelegt, auf riesigen Bäumen lag. Wir wurden in kleinen, von Wasserkraft angetriebenen Fahrstühlen nach oben gebracht, während ein Großteil der Amazonen, ebenso wie Cha'ara, im gleichen Tempo neben uns her hochkletterten. Ich war erstaunt und tief beeindruckt. Die einzelnen Baumhäuser waren mit Hängebrücken verbunden und über diese führte man uns zum Größten. Man teilte uns mit, dass dies das sogenannte Ratszentrum sei, der Herrschaftssitz der Amazonen. Drinnen war alles viel größer und geräumiger als es von außen den Anschein gemacht hatte. Man führte Gwendal, Conrad, eine Handvoll Soldaten und mich in einen großen ovalen Raum und bat uns, an einer reich gedeckten Tafel Platz zu nehmen. Ich sah fragend zu Conrad beim Anblick der Speisen und Getränke und musste an Günters Warnungen denken, nie etwas zu mir zu nehmen, was nicht von uns selbst hergestellt oder geprüft worden war. Conrad schmunzelte: „Esst nur das was ich vorher schon zu mir genommen habe, eure Majestät!“ Ich nickte. Ich hatte gerade keine Lust mehr, Conrad erneut zu ermahnen, dass ich mit dem von ihm gewählten Namen angesprochen werden wollte. Irgendwie fehlte mir die Energie. Nachdem wir alle Platz genommen und uns die Bediensteten die Gläser gefüllt hatten, begann Gwendal das eigentliche Gespräch, weswegen wir hier waren. „Wir danken euch für dieses doch recht kurzfristig angesetzte Gespräch.“ „Ach“, Cha'ara lächelte und durch all ihre unzähligen Falten wirkte sie auf mich wie eine gutmütige, liebevolle Großmutter und nicht wie das Oberhaupt einer Gruppe Amazonen, „Wir haben eigentlich zu danken. Ich spreche für mein ganzes Volk, wenn ich sage, dass es uns eine außerordentliche Ehre ist, den 27. Maou des Großreiches der Dämonen in unserem bescheidenen Dorf empfangen zu dürfen!“ Ich spürte eine leichte Röte um meine Nasenspitze: „Vielen Dank!“ Gwendal fuhr mit sachlichem Ton fort: „Wie ihr vermutlich bereits wisst, baten uns die Bewohner des Ortes Herkas um unsere Hilfe. Ich möchte hier zu Beginn sagen, dass wir nicht hier sind, um Anschuldigungen auszusprechen noch einen unnötigen Streit zu beginnen. Das wäre ganz und gar nicht im Sinne meiner Majestät, König Yuuri.“ Er holte tief Luft: „Dennoch wollen wir dem Ganzen nun nachgehen. Einige Dorfbewohner beschuldigen sie der Handgreiflichkeiten ihnen gegenüber bis hin zu Gewaltverbrechen. Man sagt, sie wollen die Bürger Herkas vertreiben, um an deren Land zu kommen, welches sie als ihr Eigenes betrachten. Wie stehen sie dazu?“ Cha'ara ließ ihren Blick von Gwendal zu mir herüber schweifen, ehe sie leise, aber bestimmt antwortete: „Vor bis rund 800 Jahren war alles Land südlich des Schlosses des Blutigen Eides vom großen Shinou selbst, uns, dem Clan der Tritassa, zugesprochen worden. Doch durch die vielen Kriege an den Grenzen ganz Shin Makokus kamen auch viele Flüchtlinge zu uns. Wir nahmen sie alle herzlich auf. Gaben ihnen was wir hatten und noch mehr um sie ihre traumatischen Erlebnisse ein wenig vergessen zu machen“, ihr Blick, der immer noch auf mich gerichtet war, wurde trauriger: „Doch viele von ihnen fürchteten uns. Wir hatten ausgesprochen viele begabte Magier unter uns. So entstanden die ersten Reibereien. Aus diesen wurden Streitereien. Schließlich sogar Kämpfe. Wir konnten jedoch nicht hingehen und die ursprünglichen Flüchtlingsfamilien, welche sich nun über Generationen hier angesiedelt hatten, ihrer neugewonnenen Heimat verweisen. Mein Volk zog sich daher mehr und mehr zurück. Bis hier hin. In diesen kleinen Wald. Und hier wollten und möchten wir auch eigentlich in Frieden leben. Nur, seit dem letzten Krieg vor über 20 Jahren, hat sich die Lage dramatisch verändert!“ Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas. Ich tat es ihr gleich. Und während wir tranken behielten wir trotz allem Blickkontakt. Es war als würde sie mich mit diesen Augen aufsaugen. Und das meine ich nicht negativ. Sie erinnerte mich mehr und mehr an die Großmutter, welche abends am Bett ihrer Enkel saß und von alten Zeiten erzählte. Doch diese Traurigkeit in ihren Augen zeigte mir, dass dies wirklich schwere Zeiten waren. So schwer, dass sie diese nicht in die richtigen Worte fassen wollte, sondern lieber sanftere Worte suchte. Sie wollte wirklich keinen Streit. Sie suchte auch den Frieden für sich und ihr Volk. Die Worte, die sie wählte, sollten daher keinen Anschein von Vorwürfen haben, obwohl sie bestimmt dazu berechtigt gewesen wäre. Schließlich hatte sie alles miterlebt. „Unser Wald war vorher wesentlich größer. Wir lebten von dem was der Wald uns gab und von kleinen Feldern, welche wir in den Lichtungen des Waldes anlegten. Doch die Bewohner der umliegenden Dörfer benötigten anscheinend durch die weitere Zunahme an Flüchtlingen größere Felder und begannen, den Wald nach und nach zu roden. Dort, wo nun Herkas liegt bis hier her, dort war vor 20 Jahren noch dichter Wald!“ Sie seufzte. Ich konnte nun die nackte Existenzangst um ihr Volk erkennen. „Wir haben versucht mit ihnen zu reden, doch sie fürchten uns durch die alten, sehr aufgebauschten Geschichten mehr denn je. Daher habe ich meine Amazonen angehalten, jeden Holzfäller, der sich diesen letzten Bäumen nähert, zu verjagen. Allerdings mit der strikten Auflage, niemanden zu verletzten oder gar zu töten!“ „Man wirft euch aktuell jedoch einen blutigen Angriff vor. Zunächst wurde uns von Toten berichtet, aber Lord von Bielefeld konnte diesen Vorwurf durch seine Ermittlungen entkräftigen. Was sagt ihr dazu?“, fragte Gwendal nach. Als er Wolframs Namen erwähnte zuckte ich zusammen. Wolf hatte viel unternommen um diese Situation hier und somit voll und ganz in meinem Sinne, friedlich zu lösen. Ich dachte an Wolfram, als ich ihn kennenlernte. Da waren friedliche Lösungen für ihn fast indiskutabel. Er hatte schnell die Hand am Griff seines Schwertes und konnte sich andere Lösungswege als der Weg des blutigen Kampfes nicht vorstellen. Wolf hatte sich sehr zum positiven verändert. Er hatte sich für mich verändert. Ich schluckte. Ich Idiot. „Am Waldrand tauchten wieder Holzfäller auf. Diese waren aber in Begleitung. Vermutlich Söldner“, sie atmete tief ein. „Und daher wurde ich hinzugerufen!“, eine dunkle Stimme ließ uns alle zusammenfahren. Diese Stimme kannte ich! Ich drehte mich blitzartig um. Lässig, an die Tür gelehnt mit verschränkten Armen, stand er da. Er trug elegante, sehr hochwertige Kleidung, die ihn von den Dorfbewohnern in Herkas und erst Recht von den doch recht leicht bekleideten Amazonen unterschied. Er war sofort als ein Adeliger zu identifizieren. Er hatte einen Oberkörper, den ich so noch kein zweites Mal im Großreich der Dämonen gesehen hatte und der mich immer und immer wieder an nur eines erinnerte: American Football! Unter seiner leicht schiefen, aber dennoch sehr ausgeprägten Adlernase zeigte sich ein amüsiertes Grinsen: „So sieht man sich wieder, Kleiner! Habe schon von deiner mutigen Heldentat dem Jüngsten der Drei gegenüber gehört!“ Er löste sich vom Rahmen und schritt auf mich zu: Adalbert von Grantz! Na toll!, dachte ich, es macht im Reich schon die Runde! Gwendal sprang auf: „Was wollen sie denn hier, Grantz!“ „Ich bat ihn um Rat!“, beschwichtigte Cha'ara ruhig: „Diese Söldner waren brutal. Sie schlugen unsere Amazonen immer weiter zurück und vernichteten unsere Abwehr! Aber auch er musste sich an meine Regel halten weder Blut zu vergießen noch gar zu töten!“ „An diese Regel habe ich mich auch gehalten, auch wenn mir dies in der gegebenen Situation sehr schwer fiel“, vollendete Adalbert Cha'aras Erklärung, „Man lässt sich ungern abschlachten!“ Lila'ya brachte sich nun auch ein: „Herr Grantz und ich gerieten in einen Hinterhalt bei einer normalen Patrouille. Auf der Flucht über ein Feld rannten wir durch eine Gruppe Feldarbeiter hindurch und dann...“ „Dann erwischte ein Pfeil der Söldner einen Bauern. Es war ein Streifschuss an der Schulter. Dennoch... ein gefundenes Fressen für die Söldner. Man beschuldigte die Tritassas den Bauern aus Herkas verwundet zu haben!“, Adalbert wirkte angespannt. „Und Herkas sah sich dann darin bekräftigt, sich an uns zu wenden“, fügte schlussendlich Gwendal leise hinzu. Es folgte eine längere Zeit lang eine fast unheimliche, nachdenkliche Stille. Ich räusperte mich schließlich: „Gwendal?“ „Ja, Majestät?“ „Ich erlasse folgenden Beschluss!“ Wumm. Das zweite Mal an einem Tag. Wieder wurde ich von allen Anwesenden angestarrt. Doch ich schüttelte die Blicke ab: „Dieses Beschluss gilt ab dem heutigen Tage bis in alle Ewigkeit oder so ähnlich und ist unabänderlich!“ „Aber Majestät, sollten sie nicht...“, versuchte Gwendal einzuwenden, doch ich ließ mich nicht beirren, sondern blickte ihn ernst an: „Wolfram hatte Recht. Ich bin ein Waschlappen. Stets habe ich auf euch alle gebaut und gedacht, ihr werdet es richten. Ihr habt euch alle für mich verändert und nur so haben wir es bisher so weit gebracht. Es ist wirklich an der Zeit, dass ich mir meiner gegebenen Aufgabe als König dieses Reiches bewusst werde und auch so handle. Daher fälle ich nun dieses Urteil, Gwendal. Spricht da etwas gegen?“ Gwendal nickte, schien aber irgendwie mit meiner plötzlichen Ansage überfordert: „Nichts spricht dagegen, Majestät!“ Conrad musste grinsen. Auch in Adalberts Augen erkannte ich so etwas wie überraschte Bewunderung. „Also: Der Wald der Tritassas darf weder abgeholzt noch in seiner Natürlichkeit beschädigt werden. Dieser Wald ob steht allein der Verantwortung und der Fürsorge des Clans der Tritassas. Die angrenzenden Dörfer und Völker haben diese Vorschrift zu achten. Jedwede Zuwiderhandlung wird auf das Schärfste bestraft!“ „Auf das Schärfste?“, fragte Gwendal vorsichtig nach. Er hatte bisher alles mitgeschrieben. „Ja“, bestätigte ich, „auf das Schärfste. Ich denke da so an eine menschenlebenslange Haftstrafe! In Dämonenjahren ist das doch nicht zu viel, oder?“ Adalbert unterdrückte sich hörbar ein Auflachen. „Was ist mit den Dörfern. Sie behaupten, sie haben ihre Ländereien nur erweitern müssen, weil das Getreide durch die schlechten Ernten in den letzten Jahren nicht ausreichte für alle Bewohner!“, fragte nun Cha'ara. Ich fand es schon erstaunlich und es sprach absolut für sie, dass sie sich um das Wohl der Dörfler sorgte. „Welchem Haus ist dieses Gebiet zugeteilt?“, das war echt peinlich das ich das nach fast drei Jahren Regentschaft immer noch nicht richtig zuordnen konnte, aber die Anwesenden schienen es mir nachzusehen. „Dem Hause der von Grantz!“, antwortete Adalbert. Oh! dachte ich, das Stofftier! Das Haus der von Grantz stand unter der Führung von Adalberts Vater, nachdem Adalbert dem Dämonenreich den Rücken gekehrt hatte und somit als Verräter am Großreich und seiner Majestät, also mir, galt. Ich sah das Ganze allerdings nicht mehr so eng. Im Gegenteil: Ich hatte Adalbert, trotz mehrstimmiger entsetzter Aufschreie in den Adelshäusern, mehrfach angeboten, ins Großreich zurück zu kehren. Doch er hatte jedes Mal abgelehnt. Sein Vater hingegen schien sich für das unehrenhafte Verhalten seines Sohnes so sehr zu schämen, dass er sich keiner seltsamen Ausrede zu Schade war, um nicht an den regelmäßigen Versammlungen der Adelshäuser teilnehmen zu müssen. Grundsätzlich wurde daher eines von Gwendals Stofftieren auf den leeren Stuhl der Familie von Grantz bei eben diesen Versammlungen gesetzt. Innerlich nahm ich mir nun nicht zum ersten Male vor, dem Schloss von Grantz einmal einen überraschenden Besuch abzustatten, nur um endlich einmal herauszufinden, wie Adalberts Vater wohl aussah und auch um ihm diese unsinnige Scham mir gegenüber zu nehmen. „Sehr gut!“, fuhr ich fort, „Dann ist es nun Aufgabe der Familie von Grantz, sich in der jeweiligen Erntezeit um das genaue Ausmaß dieser Ernte und derer gerechten Verteilung zu kümmern und sollte es dann nicht reichen, so hat sich das Haus von Grantz direkt an mich zu wenden und wir stellen die möglichen Hilfsgüter und Lebensmittel oder was auch immer zur Verfügung!“ „Und die Söldner?“, Adalbert nahm nun mir schräg gegenüber Platz. „Wir werden einige der stationierten Soldaten vorerst hier lassen und sie mit der Suche nach den Söldnern sowie deren Auftraggebern betrauen! Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese gefasst werden oder verschwinden.“ Es herrschte wieder Stille. „Ist das alles in Ordnung so?“, fragte ich nun doch vorsichtig in Gwendals Richtung. Er zog eine Augenbraue hoch und nickte schließlich: „Es ist auf alle Fälle einen Versuch wert es so zu verkünden und dann warten wir ab, ob alles zum Guten verläuft!“ „Mein Volk und ich stehen dem nicht im Wege!“, fügte Cha'ara noch hinzu. Conrad und Adalbert nickten mir ebenfalls ermutigend zu. Anscheinend machte ich diesen Job hier doch nicht ganz so verkehrt. Doch nun würde ich mich wohl einer weitaus schwierigeren Situation stellen müssen. Diese war blond und hatte ein ziemlich hitziges Temperament. Und hätte ich geahnt, was alles genau in den nächsten Wochen auf mich zu kommen würde, wäre ich vermutlich genau jetzt in den nächsten Tümpel zurück zur Erde gesprungen und hätte mit der Aussicht, so schnell nicht wieder her zu müssen, das Studieren an einer Universität diesen Katastrophen vorgezogen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)