Das Schmelzen von Eis von Norrsken ================================================================================ Kapitel 1: Ein Akt der wahren Liebe ----------------------------------- Nach der Rückkehr vom Eispalast, den Königin Elsa hoch oben am Nordberg errichtet hatte, befand Prinz Hans sich im Studierzimmer des ehemaligen Königs. In seiner Begleitung waren der Herzog von Pitzbühl und andere hohe Herrschaften, die zur Krönungszeremonie angereist waren und mit Arendelle in Vertrag standen. Die Reise zum Nordberg war in Hans‘ Augen ein Misserfolg. Er hatte sich auf den Weg gemacht um die Prinzessin zu finden, die das Gespräch mit ihrer Schwester suchen wollte. Ihm war bei dem Plan von Beginn an nicht wohl gewesen und lieber hätte er sie begleitet, doch er hatte auf Annas Wunsch davon abgesehen. Die Bürger von Arendelle waren aufgebracht, wussten sie doch nicht was der plötzliche Wintereinbruch zu bedeuten hatte, und brauchten eine sichere Führung. Sie hatte Hans für fähig befunden und ihm vertraut, weshalb er die Verantwortung auf sich nahm. Aber als das Pferd, auf dem Anna aufgebrochen war, ohne Reiter zurückkehrte, hatte es ihn nicht mehr halten können und er folgte ihr. Doch statt der Prinzessin fanden er und sein Gefolge den Eispalast und ein monströses Schneewesen, das ihn bewachte. Zu dem Zeitpunkt war zu viel auf einmal passiert, als das Hans auch noch an Anna hätte denken können, aber nun, da sie zurück waren, die Königin in ein verließ gesperrt und ohne jegliche Option dem Winter Einhalt zu gebieten oder eine Ahnung davon zu haben, wie schlimm es noch werden könnte, kreisten seine Gedanken unaufhörlich um sie. Anna hatte Elsa erreicht und hätte auf dem Rückweg sein müssen. Folglich hätte sie Prinzessin ihm entgegen kommen müssen, aber trotz weiträumiger Suche, war keine Spur von ihr zu finden gewesen. Hans erinnerte sich mit Unbehagen noch einmal an das Schneeungeheuer vor dem Eispalast. Es schien Besuchern nicht sonderlich freundlich gesinnt, was wenn Anna diesem Ding ausgeliefert gewesen war? Das viele Nachdenken machte Hans wahnsinnig. Nicht zu wissen, was mit Anna passiert war, machte ihn wahnsinnig. Er konnte nicht weiter tatenlos rumstehen. »Ich reite wieder los. Ich muss Prinzessin Anna finden«, informierte er die hohen Herrschaften und war schon auf dem Weg zu Tür, als er angehalten wurde, zu bleiben. »Das ist viel zu riskant«, erklärte Herzog Pitzbühl, doch von dem kleinen Mann, wollte sich Hans sicher nicht in seine Pläne reinreden lassen. Immerhin war er es, der unaufhörlich versuchte, die Königin zum Feindbild zu machen, und dessen Männer ein Attentat versucht hatten. Seine Schultern verspannten sich und nur mit größter Selbstbeherrschung schaffte es Hans, den Herzog nicht harsch anzugreifen. »Wenn ihr irgendetwas zustößt-« »Wenn ihr irgendetwas passieren sollte, seid Ihr alles, was Arendelle noch hat«, wurde er unterbrochen, und als sein Ärger und seine Sorge für einen kurzen Moment in den Hintergrund rückten, appellierte sein Verstand an ihn. Anna hatte ihm Arendelle anvertraut. Auch wenn es ihm schwer viel, musste er zu aller erst an das Königreich denken, welches nun in seiner Verantwortung lag. Seine persönlichen Bedürfnisse musste er zurückstellen, auch wenn das hieß, Anna für den Moment zurückzustellen. Es geht ihr sicher gut, versuchte er sich Mut zuzureden und ließ die Schultern sinken. Die Stille, die ihm Raum einkehrte, war bedrückend, bis das Türschloss, in Hans‘ Ohren unnatürlich laut, klackte. »Sie sind hier«, vernahm er die beruhigende Stimme von Kai. »Prinz Hans?« Ernsthaft interessiert, mit welchem Anliegen das Schlosspersonal an ihn herantreten wollte, wandte sich Hans zur Tür, und noch bevor er seine Frage gedanklich ausformuliert hatte, erkannte er, wen sie zu ihm gebracht hatten. »Anna!« Die Prinzessin hob schwach den Kopf und begegnete seinem Blick. Sie wollte zu ihm, doch als sie einen Schritt vor tat und sich dem Halt von Kai und Gerda entzog, fühlte sie, wie ihre Beine zitterten. Ihre Füße wollten ihr Gewicht nicht mehr tragen und Anna begann einzuknicken. Augenblicklich stürzte Hans zu ihr, fing sie mit den Armen auf und hielt sie fest an sich gedrückt. Trotz der vielen Kleiderschichten, fühlte er eine ziehende Kälte, die von ihr ausging. Ihre Lippen waren blau und sie zitterte – am ganzen Körper. »Du bist ja halb erfroren.« Kein Wunder, dachte Anna. Immerhin war sie dabei zu Eis zu erstarren. Sie konnte nicht einschätzen, wie viel Zeit ihr noch blieb, aber ihr war überhaupt nicht danach, es herauszufinden. »Hans, du musst mich küssen«, forderte sie und hielt sich am weißen Kragen seines Fracks fest. »Was?«, rutschte es dem Prinzen heraus, sichtlich perplex und etwas überfordert mit der Situation. Im Nacken spürte er die Blicke, der anderen Männer, die sich sicher ihren ganz eigenen Reim darauf machten. Anna schien dies wenig zu kümmern. Ihr Griff in den Stoff wurde energischer und mit drängender Stimme verlangte sie: »Jetzt. Sofort. Los!« Hans bemühte sich ruhig zu blieben, auch wenn es ihm schwer fiel. Das Verhalten von Anna machte ihn nervös. Auch wenn er sie noch nicht lange kannte, hatte er sie nicht so eingeschätzt, dass sie auf diese Art über ihn herfallen würde. Zumindest nicht grundlos. »Warte. Langsam. Ich-« »Los, bitte«, wisperte Anna mit schwindender Stimme. Hans blieb stumm, versuchte aus den Augen der Prinzessin zu lesen, aber fand auf die vielen Fragen keinerlei Antwort. Gerda fing die Blicke des jungen Paares auf und bedeutete den anderen Schaulustigen den Raum zu verlassen. »Meine Herren, kommen sie mit hinaus.« Der Prinz war ihr dafür merklich dankbar, und als er mit Anna allein war, die sich weiterhin an ihn klammerte, hoffte er, dass sie sich etwas beruhigte und er ein paar Antworten bekam. »Was ist da draußen passiert?« Er hielt sie fest an den Armen und ihr Griff entspannte sich. »Elsa hat mich mit einem Eisblitz getroffen«, erklärte sie zitternd. Auch wenn Hans ihr etwas Wärme spendete, zog die Kälte sich weiter klamm um ihr Herz. In den Augen des Prinzen spiegelte sich Entsetzen. »Du sagtest, sie würde dir nichts antun.« Nur aufgrund dieser Versicherung hatte er sie gehen lassen. Sie war so überzeugt von dieser Tatsache gewesen, dass er darauf vertraut hatte. Nun fühlte er sich in seinem unwohlen Gefühl bestätigt. Es war nicht so gekommen, wie er befürchtet hatte, aber es schien nicht wesentlich besser ausgegangen zu sein. »Ich hab mich geirrt.« Das war die bittere Realität und immer wieder, wenn Anna sich dies vor Augen führte, hatte sie das Gefühl, die Kälte in ihrem Herzen würde noch stärker. Sie wollte nicht glauben, dass Elsa in den letzten Stunden irgendetwas mit Absicht getan hatte. Da war stets diese Angst in ihren Augen gewesen, doch was der Auslöser dafür war, konnte die Prinzessin nicht erahnen. In der Hoffnung, ihre Schwester würde sich ihr öffnen, wenn sie ihr beteuerte, dass sie ihr immer noch vertraute, sie liebte und an sie glaubte, war ein Fehler gewesen. Die Angst war zu tiefsitzend, die Schwestern zu lange voneinander getrennt gewesen. Doch ihr blieb nicht die Zeit, um sich weiter Gedanken um eine Lösung zu machen. Im Augenblick musste sie vorerst an sich selbst denken, damit sie nicht für immer erstarrte. Hans trug sie behutsam zum Sofa, welches nahe dem knisternden Kamin stand. Die Wärme von außen, würde den Zauber nicht aufhalten, doch vielleicht verlangsamen. Zumindest fühlte Anna sich etwas besser und konnte ohne zu zittern Erklären. »Mein eingefrorenes Herz kann nur durch einen Akt der wahren Liebe gerettet werden.« Die Gedanken des Prinzen waren noch aufgewühlt, weshalb es einen Augenblick braucht, bis er die Bedeutung der Worte von Anna verstand. »Jemand, der dich liebt, muss dich küssen.« Das war die Antwort, um das Wohl der Prinzessin von Arendelle zu gewährleisten. Es schien als würden die meergrünen Augen von Anna im Schein des Feuers aufglühen und strahlten Hans voller Erwartung entgegen. Mechanisch zog er sich den Handschuh aus und strich ihr über die Wange, bevor er sanft ihr Kinn umfasste und den Abstand zwischen ihnen überbrückte. Ihre Lippen waren kalt, doch dies war nicht der Grund für das taube Gefühl, das sich in seinen Gliedern ausbreitete. Ohne es zu merken, hatte Anna den Atem angehalten, und als sie Hans‘ weiche und warme Lippen fühlen konnte, war sie sich sicher spüren zu können, wie die Kälte aus ihrem Herzen verschwand. Doch kaum, dass er die Liebkosung beendete, kam das klamme Gefühl zurück. Aber wieso? Auch wenn Anna ihre Frage nicht laut gestellt hatte, war es Hans klar, was sie dachte. Es hatte ganz offensichtlich nicht funktioniert. Sie saß immer noch zusammengekauert da, versuchte das Zittern zu kontrollieren. Nicht überraschend. Er hatte es gleich geahnt, dass die Zuneigung, die er der jungen Frau entgegenbrachte, für einen Akt der wahren Liebe nicht ausreichen würde. Doch ein kümmerlicher Funken Hoffnung in ihm hatte es ihn versuchen lassen. Konfus schüttelte sie den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen. Es fiel ihr schwer, die Zusammenhänge zu begreifen. Was letztendlich daran lag, dass sie schlicht nicht glauben wollte, was so deutlich vor ihr aufgebrochen war. Hans liebte sie nicht. Nicht so, wie sie geglaubt hatte und nicht so, wie sie es in diesem Moment brauchte. Die Gefühle drohten über ihr zusammenzubrechen. Scham, Wut, Enttäuschung, Trauer, Bitterkeit – doch sie war wie gelähmt. Die Hoffnungslosigkeit und die Angst, was nun mit ihr passieren würde, beherrschten ihren Körper. Es gab keine Rettung für sie. Niemand konnte ihr helfen. Kapitel 2: Auf dem Eis ---------------------- Eiskalt blies ihm der Wind ins Gesicht, so stark, als wolle er ihn zurückdrängen. Die Sicht fiel ihm schwer, durch den Schnee, der wild stürmte. Nur mit zusammengekniffen Augen und der Hand als Sichtschutz, konnte er überhaupt schauen, wohin er lief. Es war schlimmer geworden – seit er mit den Gefolgsleuten des Dukes Elsa ins Königreich zurückgebracht hatte. In der Stadt war Hans niemandem mehr auf der Straße begegnet. Alle hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen, um sich vor der Kälte und dem Schnee zu schützen. Hilflos waren sie der Naturgewalt ausgeliefert, die so plötzlich den Sommer verdrängt hatte. Verursacht durch die Königin. Annas Vorhaben, mit ihr zu sprechen, war gescheitert. Die Prinzessin war zurückgekehrt mit einem Herz, das langsam gefror. In ihm hatte sie ihre letzte Rettung gesehen, doch zu seiner Schmach, musste er ihr diese Hoffnung nehmen. So sehr er auch gewollt hätte, dass was nötig war, konnte er nicht geben. Auch wenn er Anna mochte und sich ein Leben mit ihr an seiner Seite vorstellen konnte, war es nicht die wahre Liebe. Hans hatte in ihren Augen etwas zerbrechen sehen, als ihr klar geworden war, dass nicht das zwischen ihnen existierte, woran sie fest geglaubt hatte. Es tut mir leid, Anna. Die Worte waren nicht über seine Lippen gekommen, denn sie würden nichts ändern. Annas Herz würde trotzdem weiter von Eis umschlossen. Doch er war nicht gewillt aufzugeben. Vielleicht konnte er ihr nicht die nötige Hilfe sein, doch Elsa. Die Königin war die Ursache für all dies; für den Schnee, den Sturm und das Eis in Annas Herzen. Sie hatte die Macht über das Eis, also würde sie etwas tun können. Sie musste dazu in der Lage sein, Anna zu retten. Hans glaubte der Prinzessin, dass es nicht die Absicht ihrer Schwester gewesen war und er war sich inzwischen sicher, dass Elsa ihre Kräfte nicht gänzlich im Griff hatte. Allerdings musste sie, wenn sie all das Heraufbeschwören konnte, es auch rückgängig machen können – darauf musste er hoffen. Als er in ihr Verlies gestürmt war, um sie zu Anna zu bringen, war dieses leer. Die Fesseln waren vom Eis zerborsten und die steinerne Wand zerbröckelt. Ihre Kraft war gewaltig. Ohne weiter zu überlegen stürzte Hans ihr nach. Vor einem Tag war Elsa auf das Wasser geflohen, welches sich unter ihren Füßen in Eis verwandelt hatte. Dies war der direkte Weg in die verschneiten Berge, wo sie ihr Schloss errichtet hatte. Er hoffte, sie würde auch dieses Mal diesen Weg wählen und lief auf das Eis hinaus. Er musste sie abfangen, sonst würde es für Anna zu spät werden. Die Schiffe, die in Arendelle vor Anker gegangen waren, wurden von der dicken Eisschicht, die das Wasser überzog, gefangen gehalten. Auch über die Planken und Mäste zog sich eine Schicht Frost. Der Wind peitschte und ließ das Holz bedrohlich knarzen und knacken, dass es dem Prinzen mulmig wurde, zwischen den großen Ungetümen hindurchzugehen. Nachdem er den nächsten Koloss hinter sich gelassen hatte, erblickte Hans nicht weit von sich entfernt eine Silhouette. Wild flatterte ein heller Umhang im Wind und verschmolz mit dem Schnee. Elsa! Seine Glieder waren taub von der Kälte, der glatte Untergrund und der starke Gegenwind erschwerten das Vorankommen. Mit zusammengepresstem Kiefer, versuchte Hans, sich zu beeilen, um Elsa einzuholen. Die Arme schützend vor das Gesicht, um überhaupt sehen zu können, wohin sie lief. »Elsa!« Der Schreck durchfuhr ihre Glieder, und als sie sich zu Hans umwandte, blickte sie ihn völlig erstaunt an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr jemand folgen würde. Doch statt anzuhalten, wollte sie weiter, schneller. »Elsa, du darfst davor nicht weglaufen!«, rief er ihr über den tosenden Sturm entgegen. Es kostete Hans Mühe, die Hand, die sein Gesicht vor dem Schnee schützte, sinken zu lassen. Klar sah er die zierliche Gestalt, gehüllt in wenig Stoff und doch nicht frierend, aber vor Angst zitternd, vor sich. Wieder hielt sie inne. Ihr Blick ging zu den Bergen, ihrer Zuflucht, bevor sie das Wort an Hans richtete: »Bitte sorge gut für meine Schwester. Ich kann nicht-« »Deine Schwester?«, wiederholte er. »Anna kam schwach und unterkühlt von den Bergen zurück. Du hast sie mit einem Eisblitz getroffen, nicht wahr?« Elsa erstarrte und begann Geschehenes zu verstehen. Als sie in ihrem Schloss aus Eis waren, als sie in ihrer Panik die Kontrolle verlor. Sie hatte Anna getroffen – am Herzen. »Nein«, hauchte sie verzweifelt. Die Worte des alten Trolls kamen ihr in den Sinn. Das Herz war nicht so leicht zu heilen. Was hatte sie ihrer kleinen Schwester angetan? »Elsa, es ist noch nicht zu spät«, versuchte Hans zu ihr durchzudringen. Er hoffte zumindest, dass es noch nicht zu spät war. Seine kalte Hand berührte sanft ihre Schulter. Er selbst spürte es überhaupt nicht, doch er hoffte, sie würde auf ihn reagieren. »Du musst mit mir kommen und Anna helfen. Bitte, Elsa!« Hoffnungsvoll suchte er ihren Blick, doch sie wich ihm aus. Ihre Augen waren glasig, die Hand vor den Mund geschlagen. »Anna«, schluchzte sie und schien Hans vollkommen vergessen zu haben. »Komm mit mir und rette sie!«, wiederholte Hans sein Anliegen, doch sie stieß ihn von sich. »Ich kann nicht!« Verzweifelt sah Elsa ihn an. »Ich kann sie nicht retten.« Sie wusste nicht wie. Niemand hatte ihr je gezeigt, wie ihre Magie zu kontrollieren war. Es war ein Fluch, dem sie nicht entkam, der sie beherrschte, nicht sie ihn. Fassungslos blickte Hans sie an. Er brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, was Elsa da sagte. »Du lässt deine Schwester im Stich?« Mit großen Augen sah Elsa dem strengen Blick des Prinzen entgegen. In ihr Schrie eine helle Stimme; Nein! Aber sie hatte aufgegeben. Diese Macht je kontrollieren zu können, war eine Illusion gewesen. »Dann stirbt Anna«, sprach Hans und schlug ihr die harte Wahrheit entgegen, »und das ist deine Schuld.« Es versetzte Elsa einen Stich und sie sank kraftlos zusammen. Der tobende Sturm erstarb; wie eingefroren blieben die Schneeflocken in der Luft schweben. Ihre geliebte Schwester. Trotz ihrer Macht war sie machtlos, die Menschen, die ihr etwas bedeuteten zu beschützen. Anna war alles, was ihr geblieben war, nach dem Tod ihrer Eltern. Hilflos blickte Hans auf sie nieder. Anna würde sterben. Sie hatte seine Hilfe gesucht, doch er hatte nichts tun können. Er hatte Elsa für sie finden wollen, doch auch diese würde Anna nicht retten. Sie hat darauf vertraut, dass ich sie rette, waren seine bitteren Gedanken. Immer noch starrte er auf Elsas zusammengesunkenen Körper. Ihre Schultern zitterten mit jedem Schluchzen. Die Trauer um ihre Schwester war echt, doch sie hatte nicht einmal versucht Anna vor ihrem Schicksal zu bewahren. Sie hatte einfach aufgeben. Hans presste die Lippen zusammen zu einer schmalen Linie. Er wollte nicht aufgeben! Seine Hand legte sich fest um den Griff des Schwertes, dass es in den tauben Fingern schmerzte. Elsa hörte gar nicht, wie er es aus der Scheide zog und auf sie zukam, so sehr war sie in ihrer Trauer versunken. Es gab noch eine Chance. Wenn Elsa verschwand, würde der Albtraum ein Ende haben. Anna müsste nicht sterben und Arendelle würde aus dem ewigen Eis befreit. Wenn Elsa selbst nicht in der Lage war, dies zu beenden, würde er es eben tun müssen. »Tut mir leid, Elsa«, flüsterte er, als er sein Schwert über ihr erhob. Sein Griff verstärkte sich. Es war bizarr. Als er die Klinge mit aller Kraft niederschlug, fühlte er sich seltsam leer. »Nein!«, hallte es laut über das weite Feld. Wie aus dem Nichts war Anna vor ihrer Schwester erschienen und wollte die Klinge abwehren. Das Ganze kam vollkommen unerwartet und so realisierte Hans zu spät, dass die Prinzessin sich schützend vor die Königin warf. Seinen Schlag konnte er nicht stoppen, doch als die Klinge auf die Hand von Anna traf, zersprang sie als wäre sie bloß aus Glas. Durch einen Rückstoß wurde Hans zurückgeschleudert, prallte unsanft auf das Eis und schlidderte ein Stück über den Boden. »Anna!«, schrie Elsa geschockt. Ruckartig stand sie auf und blickte in das erstarrte Gesicht ihrer Schwester. Haut und Haar hatte jegliche Farbe verloren und ihr Blick war starr. Als Elsa ihre Finger zitternd auf die Wangen ihrer kleinen Schwester legten, spürte sie zum ersten Mal Kälte. »Nein … Anna. Bitte nicht.« Verzweifelt schlang sie die Arme um den zu Eis kristallisierten Körper. Er fühlte sich schmerzhaft kalt an. Das, wovor Elsa stets am meisten Angst gehabt hatte, seit sie die Trolle getroffen hatte, war eingetroffen. Ihre Schwester, ihre liebe kleine Schwester war erstarrt – zu Eis. Durch ihre Schuld. Benommen richtete Hans sich wieder auf. Sein Kopf dröhnte von dem harten Aufprall auf das Eis und seine Sicht war verklärt. Seine Gedanken stoben wild durcheinander und er versuchte, das Geschehene zu rekonstruieren. Anna war plötzlich aufgetaucht, er hatte sie zuvor überhaupt nicht bemerkt. In dem Moment, als sie sich vor ihre Schwester warf, musste sie erstarrt sein und hatte so sein Schwert zerstört. Sie hatte verhindert, dass er Elsa tötete, obwohl es die letzte Chance gewesen war, dem Albtraum ein Ende zu setzen. Sein Blick wurde langsam schärfer und er sah auf eine Anna ganz aus Eis, in der beschützenden Haltung, die sie eingenommen hatte. Elsa hing an ihrer Schulter und schluchzte bitterlich. Die Prinzessin war verloren. Er hatte versagt. . . . Doch da begann eine warme Glut, in Annas Herzen zu lodern. Von ihrem Corpus aus begann Wärme ihren Körper zu durchströmen, was das Eis tauen ließ. Ihre Haut gewann an Farbe zurück, ihre Kleider wurden weich und mit einem Keuchen löste Anna sich erschrocken aus ihrer erstarrten Pose. Ungläubig blickten die Umstehenden auf die Prinzessin, die ebenso verwirrt über das gerade Geschehende schien. Anna hatte sich selbst von dem Fluch des gefrorenen Herzens befreit, indem sie aus wahrer Schwesternliebe die Ermordung von Elsa verhinderte. Doch vorläufig wollte sie sich nicht drum scheren und fiel lieber ihrer Schwester in die Arme. Herzlich drückten sich Königin und Prinzessin und schienen nie wieder loslassen zu wollen. »Anna, es tut mir leid«, wisperte Elsa mit zitternder Stimme. Mit einem Kopfschütteln wies sie die Schuld von ihrer älteren Schwester. »Alles ist gut, Elsa«, versicherte die Jüngere und hielt ihre Hände gedrückt. Auf ihren Lippen lag das zuversichtliche Lächeln, welches sie immer trug und das unendlich viel Kraft schenkte. Besorgt blickte Elsa auf ihr Königreich. Noch war nicht alles gut. Zwar hatte der Sturm aufgehört zu toben, doch noch immer lag Arendelle unter Schnee und Eis begraben. Was sollte sie tun? »Elsa«, sprach Anna in beruhigendem Ton zu ihr, »wir schaffen das.« Ermutigend nickte sie in Richtung Ufer, doch ihre Schwester zögerte weiterhin. Hans mühte sich wieder auf die Beine und ließ seinen Blick ebenfalls zum winterlichen Arendelle schweifen. Der Schnee hatte das Königreich ins Chaos gestürzt und er müsste lügen, wenn er sagen würde, dass es sicher einfach werden würde, alles wieder in Ordnung zu bringen. Vorsichtig ließ er seinen Blick zu den beiden Frauen gleiten und begegnete den meergrünen Augen von Anna. In ihm keimte ein unangenehmes Gefühl von Schuld und Scham auf. In seiner Ratlosigkeit hatte er versucht, Elsa zu ermorden. Es war der letzte Ausweg, den er gesehen hatte, doch letztendlich war dies keine Entschuldigung. Die Prinzessin hatte ihn eines Besseren belehrt und gezeigt, zu was wahre Liebe imstande war. Nach allem, was er getan hatte, war er fest davon ausgegangen, dass Anna ihn verachtete – vollkommen zu Recht. Doch von dem verletzten und verzweifelten Mädchen, dass im Schloss seine Hilfe gesucht hatte, war nichts mehr zu sehen und unerklärlicherweise schenkte sie ihm ein Lächeln, als sie ihn ansah. Anders sah es da bei dem jungen Mann aus, der sich an die Seite von Anna stellte. Er war ihm noch nie begegnet, doch der Groll, den er dem ihm entgegen brachte, konnte Hans ihm nicht verübeln. Sein ganzes Handeln in den letzten Stunden war verachtenswert. »Wir sollten zurück«, entschied Kristoff und nickte in Richtung Arendelle. »Dort lässt sich leichter über eine Lösung nachdenken.« Anna stimmte ihm zu und hakte sich bei ihrer Schwester unter. »Wir werden eine Lösung finden«, versicherte sie. »Gemeinsam.« Dies war keine naive Zuversicht, sondern ein ehrenvolles Versprechen. Elsa blickte auf die Hand von Anna und drückte sie leicht. Die Wärme die sie ihr spendete drang bis in ihr Herz vor. Zu viert kehrten sie zurück nach Arendelle. Dort hatte sich, nachdem der Schneesturm plötzlich stillgestanden hatte, eine Traube von Menschen auf dem großen Marktplatz gebildet und erwartete die Rückkehr von Königin Elsa und Prinzessin Anna. Die Königin begegnete ihrem Volk mit Reue, doch Anna und auch Hans machten sich stark für sie und halfen mit ihrem Vertrauen in Elsa, auch die Bürger ihre Furcht verlieren zu lassen. Elsa, die durch ihre Angst völlig erstarrt war, begann zu tauen. Mit der Hilfe ihrer Schwester gewann sie den Mut, die Magie kontrollieren zu können und bald schon brachen die schweren Wolken, die den Sommer aussperrten, auf. Der Schnee schmolz langsam unter den warmen Sonnenstrahlen und für die überbleibende Unordnung organisierte Prinz Hans, mit tatkräftiger Unterstützung von Kristoff, freiwillige Helfer, sodass Arendelle in kürzester Zeit wieder in voller Pracht erstrahlte, als wäre nie etwas geschehen. Elsa würde ihre Magie immer mit Ehrfurcht betrachten, doch sie wusste nun, dass sie nicht davonzulaufen brauchte. Denn sie hatte die Kraft, für jedes Problem eine Lösung zu finden. Und wenn sie es nicht alleine schaffte, war ihre Schwester an ihrer Seite. Ende? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)