Tokyo: Real Vampire von Futuhiro (Zwischen Gothic und Legende) ================================================================================ Kapitel 2: kategorisiert ------------------------ Irgendwie war es cool, in einem Leichenwagen durch das nächtliche Tokyo zu fahren. Die bunten Lichter und leuchtenden Reklamen der Stadt waren ihm schon ewig nicht mehr so schön und aufregend vorgekommen. Safall fuhr den Wagen, er selbst saß auf dem Beifahrersitz und Zeda hatte es sich hinten auf der Ablage bequem gemacht, wo normalerweise der Sarg stand. Wenn irgendein Polizist sie angehalten hätte, hätte es sicher Ärger gegeben, aber Safall steuerte das Auto mit solcher Selbstverständlichkeit durch die Straßen, daß diese Möglichkeit in utopische Ferne zu rücken schien. Oniji wusste nicht, wohin die beiden Gothics ihn brachten, aber egal wo er landen würde, er freute sich darauf. Bestimmt würde es ein scharfer Abend werden. In einem Hinterhof lies Safall den Wagen stehen. Aus einer der Türen drang ihnen bereits gedämpfte Musik entgegen. Oniji erkannte die Band zwar noch nicht, aber sie kam ihm bekannt vor. Zeda hüpfte als erster euphorisch aus dem Kofferraum heraus, noch bevor die anderen beiden ausgestiegen waren. „Safall, ich verabschiede mich.“, meinte er und deutete eine leichte Verbeugung an. Safall erwiderte den kumpelhaften Handschlag. „Ist gut. Danke für deine Hilfe. Bis später, mein Freund.“ Zeda eilte voraus und verschwand in der Tür, die augenscheinlich zu einer Disco oder Rockkneipe führte. Safall und Oniji folgten ihm gemächlicher. „Er verbringt den Abend mit anderen Kumpels. Wir werden ihn heute vermutlich nicht mehr zu Gesicht bekommen.“, erklärte der Langhaarige. „Ey, wer ist´n die Muschi?“, tönte ihnen da auch schon aus dem Eingang entgegen. Ein glatzköpfiger Türsteher mit breiten Schultern trat heraus und musterte Oniji missmutig von allen Seiten. „Oniji. Er ist mein Schüler.“, gab Safall zurück. „Du und ein Schüler? Das ich das mal erleben würde! Der kleine Pisser hat ja noch nichtmal Zähne, man.“ „Sei etwas nachsichtig. Er ist erst gestern zum Vampir geworden. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.“ Der Türsteher bedachte den Studenten noch einen Moment unwillig, fand dann aber doch keinen Grund, ihm Hausverbot zu erteilen. „Nagut, er darf mit rein.“ „Das möchte ich dir auch geraten haben.“, gab Safall souverän zurück und ging voran. Mit eingezogenem Kopf schlich Oniji ihm nach. Drinnen schlug eine sagenhafte Monsterwelle von Musik über ihnen zusammen. Der Bass ließen die ganze Tanzfläche vibrieren. Sein Gesicht hellte sich schlagartig auf, als er die Stimme des Sängers erkannte, die hier aus den Boxen hämmerte wie ein Bulldozer. „Sie spielen hier The Gazette?“, stellte er begeistert fest. „Ja, kommt vor. Häufig auch Alice Nine, Girugamesh, Mejibray, D´espairs Ray und so´n Zeug. Magst du solche Musik?“ „Ich bete diese Bands an! Jede einzelne davon!“ „Schön, dann wird es dir hier ja gefallen.“, lächelte Safall und deutete auf die Sitzgelegenheiten an der Seite, wo die Musik nicht so überlaut war und alle anderen Geräusche einfach wegdominierte. Viele machten ihm Platz oder warfen ihm respektvolle Blicke zu, als er voraus ging und einen leeren Tisch ansteuerte. „Spielen die auch L.MC?“ „Nee, zu elektronisch.“ „Schade.“ „Okay, pass auf.“, begann der Gothic und machte ein Gesicht wie ein Lehrmeister, der etwas wichtiges zu sagen hatte. „Wir sind nicht zum Spaß hier. Ich will dir was beibringen und dir unsere Welt zeigen.“ Oniji kicherte leise. Unsere Welt. Seiner Meinung nach waren sie ja wohl immer noch in Tokyo, oder irrte er sich da? Und Safall und all die anderen Typen hier waren ganz normale Menschen, auch wenn sie schwarze Klamotten trugen und sich künstliche Gebisse einsetzten. Die Vampir-Idee hatte sich in seinem Kopf immer noch nicht so richtig durchgesetzt. Er hatte durchaus vor, sein ganz gewöhnliches Leben weiterzuführen wie bisher, ob Safall nun wollte oder nicht. „Siehst du die Mädchen in den Samtkleidern da drüben? Das sind Pik-Vampire. Die Pik-Vampire haben einen Barock-Stil, sie laufen in traditioneller, klassischer, altehrwürdiger Kleidung herum. Sehen sie nach Barock oder Rococco aus, sind sie Pik.“ Safall sah sich um. „Der Typ am Tresen da drüben, mit dem vielen Leder, das ist ein Karo. Die sehen immer aus wie Sadomaso-Sex-Fetischisten, daran erkennt man sie sofort. Mit denen würde ich mich an deiner Stelle nicht so sehr anfreunden. Der Kerl daneben ist ein Kreuz, die erkennt man an dem vielen Silber. Die laufen immer schwer mit Schmuck behangen durch die Gegend.“ Karo, Pik, Kreuz, zählte Oniji in Gedanken zusammen. „Klingt wie ein Kartenspiel.“, bemerkte er dann. „Ist es auch. Die verschiedenen Strömungen haben sich nach den Farben von Spielkarten benannt. Ich weis nicht warum, vermutlich der Einfachheit halber, oder weil sie keine bessere Idee hatten.“ „Dann gibt es innerhalb der Vampire also Klans? Oder Orden?“ „Hm, ich würde sie eher als Blutlinien bezeichnen. Man hat nicht wirklich Einfluss darauf, in welchen Kreisen man landet. Und man kann sie nicht wechseln. Wenn du kein Kreuz mehr sein willst, bleibt dir nur der Austritt aus der Szene. Aber du wirst niemals bei irgendeiner anderen Linie Anschluss finden.“ Safall sah sich wieder suchend in der Rockkneipe um. „Es ist natürlich kein Herz da, das hatte ich schon erwartet. Die lassen sich sehr selten hier sehen.“ „Du trägst auch ne Menge Silber. Bist du demnach ein Kreuz-Vampir?“, wollte Oniji wissen. „Ja.“ „Was unterscheidet die Blutlinien denn, abgesehen vom Modegeschmack?“ „Ihre Interessenschwerpunkte. Wir Kreuze streben nach Wissenschaft und Kunst. Wir lernen viel und sammeln Weisheit. Die Pik sind eher in der Wirtschaft und den Finanzen zu Hause. Die wollen nur Geld. Und die Karo legen Wert auf Disziplin und Ordnung. Sie haben strenge Gesetze und Regeln und bestrafen Verstöße ungemein hart. Deshalb, wie gesagt, lass dich nicht zu sehr mit denen ein.“ „Und was tun die Herzen?“ „Tja ... das wüsste ich auch gern. Das weis keiner so genau.“ „Okay. Pik tragen Barock und wollen Geld, Kreuz tragen Silber und fördern Kunst und Wissenschaft, Karo sind Sexfetischisten und bestrafen Ordnungsverstöße. Und über Herz weis man nichts. Ich denke, das kann ich mir merken.“, resumierte Oniji wieder. „Stehen die Blutlinien sich feindlich gegenüber? Oder vertragen die sich?“ „Direkte Anfeindungen gibt es nicht. Aber sagen wir, die Blutlinien bleiben gern unter sich. Es kommt nur selten vor, daß Vampire verschiedener Lager echte Freunde sind. Ganz ausgeschlossen ist es allerdings nicht.“ „Bei dir duftet es aber lecker.“, stellte Safall fest, als er am nächsten Tag die kleine Wohnung des Studenten betrat. Sie waren zum Kaffeetrinken verabredet. „Ich habe Kekse gebacken.“ „Gibt es die zum Kaffee?“ „Ich denke eher nicht.“ „Wieso nicht?“ Ungefragt bahnte sich Safall einen Weg in die Küche um zu schauen, was es mit dem leckeren Duft auf sich hatte. „Sie sind nicht gut geworden. Sie werden einfach nicht fest.“ Safall entdeckte auch sogleich das auf der Anrichte geparkte Tablett und angelte mit spitzen Fingern vorsichtig einen der teigigen, bröseligen Klumpen. „Du hast vielleicht zuviel Butter genommen.“ „Schon möglich.“ „Schieb sie in den Kühlschrank, vielleicht werden sie noch, wenn sie richtig auskühlen. Wie hat dir eigentlich die Nacht im Sarg gefallen?“ Oniji verschränkte sauer die Arme. „Er ist bequemer als er aussieht, auch wenn ich es nur ungern zugebe. Aber ich finde es immer noch dreist von euch, einfach mein Bett mitzunehmen.“ Safall lachte gut gelaunt. „Das wird nicht das letzte gewesen sein, was wir dir wegnehmen. Heute ist dein Kühlschrank dran.“ „Spar dir die Mühe. Es ist kein Fleisch und keine Wurst drin.“ „Vorbildlich, ich bin begeistert von dir. Nagut, was hältst du dann davon, wenn wir dir mal ein bischen was beibringen? Bei uns Kreuz-Vampiren findest du Unmengen an Wissen. Was willst du lernen?“ „Was kann man denn bei euch lernen?“, wollte Oniji wenig begeistert wissen. „Alles, was ansatzweise mit Okkultismus zu tun hast. Interessierst du dich für Wahrsagerei?“ „Ja, warum nicht.“ „Gut, dann bringe ich dich zu meiner Schwester, sie hat sehr viel Ahnung davon. Zieh dir gefälligst was ordentliches an!“ Der Student seufzte. Damit hatte es sich wohl mit dem Kaffeetrinken. Mürrisch zog er sich den hellgrauen Pullover aus und machte sich auf die Suche nach irgendwas schwarzem. Er würde wohl nicht umhin kommen, in den nächsten Tagen ein paar Klamottenläden abklappern zu müssen. Und Schmuckläden. Safall würde auf Dauer sicher darauf bestehen, daß sein Schüler Silber trug, um als Kreuz-Vampir erkennbar zu sein. Wenigstens lernte er nun mal noch ein paar Leute aus der Szene kennen, wie es schien. Safall hatte ihn gestern in der Disco mit niemandem mehr bekannt gemacht. Wohlmöglich waren einfach keine vernünftigen Leute aus seinem Freundeskreis da gewesen, überlegte er. „Deine Schwester ist auch Vampir?“, hakte nach, gedämpft mit dem Kopf im Kleiderschrank steckend. „Durch und durch.“, bestätigte der Gothic. „Ist sie deine echte Schwester? Also, habt ihr die gleichen Eltern? Oder ist das nur so eine Bezeichnung innerhalb der Vampirgemeinschaft? Ich meine, in der Kirche bezeichnen sich ja auch alle als Brüder, obwohl sie´s nicht sind.“ „Nein, sie ist tatsächlich meine Schwester. Mein Zwilling, um genau zu sein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)