Tokyo: Real Vampire von Futuhiro (Zwischen Gothic und Legende) ================================================================================ Kapitel 1: ausgeblutet und eingesargt ------------------------------------- „Ich will ein Vampir werden!“ „Tatsächlich?“, meinte Safall mit einer gewissen, zynischen Theatralik und nippte an seinem Wasser. Da er öfters hier in dieser Bar verkehrte, war es für Oniji nicht schwer gewesen, ihn wiederzufinden. Er hatte Oniji inzwischen häufiger getroffen und betrachtete ihn schon als guten Bekannten, sogar als Freund. Oniji hatte schon mehrfach nachgebohrt, wie man sich das mit dem Vampirismus genau vorstellen müsse, aber natürlich hatte Safall ihm nur sehr wenig Auskunft geben dürfen. Außenstehende ließ man ungern in die Karten schauen. „Führ mich in die Szene ein! Zeig mir alles!“ Safall lachte. „Meinetwegen, wenn du drauf bestehst ...“ Er griff in seine Manteltasche und holte einen dünnen, durchsichtigen Plastikschlauch heraus. Oniji erinnerte dieses Ding unangenehm an Krankenhäuser. Dazu brachte er eine steril verpackte Nadel zum Vorschein, die er auspackte und am Schlauch befestigte. Safall trank den Rest aus seinem Wasserglas aus, steckte dann das freie Ende des Schlauches hinein, schob unter Onijis entsetzten Blicken seinen Ärmel nach oben und stach mit geübter Hand die Kanüle in seine Ellenbeuge. Sofort quoll Blut daraus hervor, das durch den Schlauch ins leere Wasserglas tropfte. Oniji wurde es schlecht. „Was hast du damit vor?“ „Du sollst es trinken.“ „Bist du verrückt? Das ist Blut!“ „Natürlich ist das Blut! Du bist gerade dabei, ein Vampir zu werden.“, entgegnete Safall ruhig und beobachtete gelassen, wie weiter der rote Saft aus ihm herausfloss. „Das ist ... du bist ja ... wieviel?“, keuchte der Student entsetzt. Ihm schwirrte derart der Kopf vor Übelkeit und Fassungslosigkeit, daß er keinen klaren Gedanken mehr zustande bekam. „Hm, nicht sehr viel. Der menschliche Magen verträgt nur eine gewisse Menge an Blut. Versucht man zuviel davon zu trinken, kommt einem alles wieder hoch.“ Fachkundig zog er sich die Nadel wieder aus dem Arm, rollte den Schlauch wieder auf und hielt ihm dann das Glas auffordernd hin. Oniji starrte auf die rote Suppe, die vor seinen Augen herumschwappte und atmete tief und gleichmäßig durch, um sich nicht gleich hier und jetzt zu übergeben. Er nahm das Glas nicht an, kämpfte einfach nur mit seiner drohenden Hyperventilation, fast unfähig sich auch nur zu rühren. „Du solltest es trinken, bevor es gerinnt.“, schlug Safall geduldig vor. „Ich kann das nicht.“ „Oh, das solltest du aber, wenn du ein Vampir werden willst.“ „Scheiße, gib her!“ Oniji raffte seinen gesamten Mumm zusammen, schnappte mit dem Mut der Verzweiflung nach dem Trinkgefäß und hob es an seine Lippen. Und zögerte noch einmal. Er wollte sich einreden, es sei nur Rotwein. Dummerweise sah es nichtmal ansatzweise aus wie Rotwein. „Wie schmeckt das?“ „Wie Kupfer.“ Der Student holte tief Luft und stürzte den gesamten Sud dann in einem Zug hinter. Mit geschlossenen Augen. Er spürte die ausgekühlte Flüssigkeit kaum auf seiner Zunge, trotzdem schüttelten ihn ein grässlicher Schauer und der Würgereflex. Erst Sekunden später machte sich langsam der widerliche, metallische Geschmack in seinem Mund breit und lies ihn heftig husten, fast erbrechen. Safall klopfte ihm bestärkend auf den Rücken. „Gut gemacht, Amigo.“ Oniji griff nach seinem Glas Wasser und spülte gründlich nach. Erst dann ging es ihm langsam wieder besser. Skeptisch hörte er in sich hinein. Irgendwie hatte er erwartet, daß jetzt irgendwas mit ihm geschehen würde, daß ihm spitze Zähne wuchsen, oder Flügel, oder Krallen, daß sich seine Sinne schlagartig verbesserten, daß sich eine telepatische Verbindung zu seinem Meister auftat, oder sei es auch nur, daß sein Körper spürbar starb, so wie es in den Filmen immer war. Aber es geschah absolut gar nichts. Nur sein Herz hämmerte immer noch wild in seiner Brust, wie schon vorher. Als Oniji langsam wieder aufsah, holte Safall gerade mit einem listigen Schmunzeln eine neue, sterile Nadel aus seiner Manteltasche und riss die Verpackung auf. „Jetzt bist du an der Reihe.“ Oniji schlief das Gesicht ein. „Dachtest du, du bekommst so ein Geschenk ohne Gegenleistung?“, fügte der Gothic an. Oniji schluckte den Fluch herunter, der ihm auf der Zunge lag, und versuchte sich damit zu trösten, daß er schon mehr als einmal bei der Blutspende war. Er hatte schon Erfahrung damit, angezapft zu werden. Als er mit mulmigem Gefühl dabei zusah, wie sein Blut ins nächste Glas tropfte, kam ihm der Gedanke, daß weder Safalls noch sein eigenes Blut gerade auf Aids oder andere Krankheiten untersucht worden war. Sie vertrauten einander blind, daß sie sich gegenseitig mit nichts ansteckten. Das war verdammt fahrlässig, aber nun nicht mehr rückgängig zu machen. Er konnte nicht hinsehen, als Safall sich das Glas schnappte und das Blut völlig ungerührt austrank. Allein bei dem Gedanken wurde ihm speiübel und er konnte sich kaum noch vorstellen, das auch gerade selbst getan zu haben. „Du bist ganz schön grün um die Nase.“, lachte Safall. Der Student murmelte nur etwas unverständliches in sich hinein und presste weiter das Taschentuch auf den Nadelstich in seiner Armbeuge, um die Blutung zu stillen. „Geh heim und ruh dich aus. Morgen zeige ich dir die Szene und das Leben als Vampir. Und iss bloß kein Fleisch, sonst bekommst du Ärger.“ „Glaub mir, ich werde heute keinen Bissen mehr runterkriegen.“, winkte Oniji versichernd ab. Oniji stand am nächsten Tag vor seinem Badezimmerspiegel und musterte sein Gesicht. War er blass? Hatte er Augenringe? Schweiß auf der Stirn? Oder irgendwas anderes, das darauf hindeutete, daß er krank wurde? Er fragte sich, was gestern in ihn gefahren war, Blut zu trinken. Noch dazu das einer anderen, ihm fremden Person, ohne irgendwelche Gesundheitstests. Er überlegte, zum Arzt zu gehen. Wie lange dauerte es bei AIDS wohl von der Ansteckung bis zur Nachweisbarkeit? Ob entsprechende Tests schon nach 18 Stunden anschlugen? Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als es an seiner Tür klingelte. Oniji hielt sich den Hörer der Freisprechanlage ans Ohr. „Ja?“ „Hier ist Safall. Komm runter und hilf mir tragen!“, drang ihm gedämpft aus der Anlage entgegen. Oniji brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. Er hatte nicht mit Besuch gerechnet. Was wollte der Gothic hier? Und warum hatte er so einen strengen Befehlston drauf? Hätte er nicht wenigstens sagen können? Seufzend schnappte sich Oniji seinen Wohnungsschlüssel und machte sich auf den Weg nach unten. Vor der Haustür lehnte Safall am Motorraum eines Leichenwagens und wartete mit verschränkten Armen auf ihn. Daneben stand noch so ein hochgeschossener Gothic-Typ mit rasierten Kopfseiten, Irokosenschnitt und Lederklamotten mit vielen Bändern und Netzeinsätzen. „Da bist du ja. Hier, schnapp dir das hintere Ende!“, wies Safall Oniji an, ging um seinen Leichenwagen herum und zog die Heckklappe auf. Darin stand ein schlichter Sarg aus rotem Holz. „Das war mein erster, bevor ich mir einen schöneren gekauft habe. Du kannst ihn nehmen, so für den Anfang. Betrachte ihn als Geschenk.“ „Was soll ich damit?“, gab Oniji überrumpelt zurück, packte aber ganz automatisch das Ende des Sarges an, der sich ihm entgegenschob. „Na, drin schlafen, was sonst? Gib Zeda deinen Schlüssel, er hält uns die Tür auf!“ „Ich soll in einem Sarg schlafen? Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Ängstlich schaute Oniji an der Fassade seines Hauses hoch. Er bildete sich ein, daß jeder einzelne Hausbewohner jetzt am Fenster stand und ihn beobachtete. War das peinlich! „Du WIRST da drin schlafen!“, gab Safall ungeduldig zurück und schob ihn fast samt dem Sarg ins Haus hinein. „Du bist ein Vampir! Und glaube nicht, daß du dir nur die Sachen aussuchen kannst, die du gerade cool findest! Du wirst unsere Lebensweise komplett annehmen!““ „Bin ich deshalb jetzt dein Eigentum, oder was?“ „Nein, aber du bist jetzt mein Schüler! Und solange du das bist, verlange ich, daß du keine Mätzchen machst. Und sage bloß nicht, du hättest es nicht gewollt!“ „Du kannst doch nicht einfach so über das Leben anderer Leute bestimmen! Wie ich schlafe, ist ja wohl meine Sache.“, maulte der Student. „Du wirst tun, was ich sage!“, verlangte Safall streng. Inzwischen hatten sie den Sarg bis in den zweiten Stock gehievt. Die alte, griesgrämige Frau auf der linken Seite zog ihre Wohnungstür einen Spalt breit auf, musterte die Gruppe böse und schlug die Tür dann krachend wieder zu. Oniji zog etwas den Kopf ein. Er kam sich gerade schrecklich vorgeführt und peinlich vor. „Hast du heute irgendwie schlechte Laune?“, wandte er sich wieder an den Gothic mit dem finsteren Gesicht. Herrje, worauf hatte er sich hier bloß eingelassen? Noch eine Etage. Dann bugsierten sie den Sarg um drei Türen herum in seine Wohnung und sein Schlafzimmer. Vielleicht sollte er einfach erstmal mitspielen, damit Safall zufrieden war. „Wenn das so ist, dann danke für den Sarg.“ Er würde das Ding einfach brav in die Ecke stellen und trotzdem weiter im Bett schlafen, schwor Oniji sich. Safall streckte seinen Rücken, der vom Schleppen der schweren Holzkiste verspannt war, und öffnete diese dann. Darin kam ein Werkzeugkasten zum Vorschein. „Zeda, hilfst du mir bitte mal?“ Unter den panischen Blicken des Studenten kramten die beiden Gothics Schraubenschlüssel daraus hervor und begannen dann euphorisch Onijis Bett abzubauen. „Zu meiner Zeit hätte er das noch selber machen dürfen.“, gab der Typ mit der Undercut-Frisur zurück. Die ersten Worte, die Oniji ihn sagen hörte. Seine Stimme war recht angenehm und warm, aber das änderte nichts an der Tatsache, daß sie ihm hier gerade sein verfluchtes Bett klauten und ihn dafür einsargten wie einen Toten. Zeda schnappte sich die ersten abmontierten Teile und trug sie nach unten in den Leichenwagen. „Ich stelle dir heute ein paar andere vor und zeige dir, wie das bei uns so läuft. Zieh dir was angemessenes an, so nehme ich dich nicht mit!“, meinte Safall mit einem Deut auf das Manga-T-Shirt, das Oniji gerade trug. „Was soll ich denn anziehen? Ich hab keine Gothic-Klamotten.“ „Du wirst doch wenigstens irgendwelche schwarzen Oberteile haben.“ Oniji seufzte und öffnete seinen Kleiderschrank. „Meine Fresse, das sind ja sektenähnliche Zustände hier bei euch.“ Nagut, was sollte er anziehen? Das dunkelste was er hatte, war ein schwarzer Pullover mit einem Kobra-Bild auf dem Rücken. Ob Safall das gebührend genug fand? „Wer ist dieser Zeda?“, wollte er dabei wie beiläufig wissen, um weiterem Streit aus dem Weg zu gehen und ein bischen friedlichere Konversation zu betreiben. „Ein Freund von mir.“, gab der Langhaarige wenig aussagefähig zurück und schraubte weiter am Bettgestell herum. Als der Student sich endlich den Kapuzen-Pulli übergezogen hatte, kam Zeda zurück, musterte ihn und grinste. Auch er trug lange, künstliche, aufgesteckte Eckzähne, vermutlich maßangepasst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)