Herrin des Feuers von Yurelia (Neuanfang 2014) ================================================================================ Kapitel 4: Abendspaziergang --------------------------- Es war früher Abend, als Yoru schließlich einen neuen Versuch wagte, Yuna das Dorf zu zeigen. Er hatte letztlich das Schweigen gebrochen, als Yuna das gefühlte hundertste Buch aufschlug und entnervt aufseufzte, als sie auch dieses nicht entziffern konnte. Die paar wenigen Bücher, die sie in ihrer Sprache fand, waren nur allgemeinbildende Bücher über ihre Welt gewesen. Lexika und Reiseführer. Nichts, das sie interessierte. Nichts, das sie noch nicht wusste. Sie kamen schließlich über die Bücher, die Yuna nicht lesen konnte, ins Gespräch und Yoru erzählte ihr ein wenig über sie. Viele waren Romane. Viele waren Bücher über Flora und Fauna der Region. Alles Mögliche eigentlich. Er begann, ihr ein paar wenige Runen beizubringen. Nur oberflächlich. Er merkte schnell, dass sie nicht bereit war, tiefer in die Thematik der Schriftzeichen Fantasiyas einzugehen. Sie wollte ja so schnell wie irgend möglich wieder nach Hause… So vergingen mehrere Stunden und ehe sie sich versahen, brach der Abend herein. Sie aßen etwas zu Abend und dann wollte Yoru unbedingt sein Vorhaben vom Mittag wiederholen. Yuna hoffte, dass sie nicht erneut auf Arashi trafen. Die erste Begegnung mit ihr hatte ihr völlig gereicht. Natürlich war sie neugierig gewesen und hätte Yoru am liebsten sofort über die Begegnung mit Arashi ausgefragt. Aber sie wusste, dass das ein sensibles Thema war und sie wollte ihm nicht zu nahe treten. Letztendlich ging es sie auch nichts an. Sie war nur Gast in dieser Welt und wollte nur Ayumi finden und dann so schnell wie möglich wieder zurück in ihre Welt. Was gingen sie also Yorus Probleme mit irgendeinem Elfenweib an? Das versuchte sie sich zumindest immer wieder einzureden. Aber eine winzige, leise Stimme in ihr flüsterte ihr immer wieder zu, dass es so einfach nicht werden würde. Sie versuchte verzweifelt diese Stimme zu ersticken und zu ignorieren.   Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie sie den Marktplatz betraten. Sie zuckte zusammen, als sie es bemerkte und schaute sich misstrauisch um. »Sie ist nicht hier«, sagte Yoru neben ihr plötzlich. Yuna schaute ihn an. »Du wusstest das, oder?« »Ja.« »Woher?« »Ich kenne sie schon eine Weile. Sie kommt abends nie hierher.« Sein Tonfall war so beiläufig, als redete er über das Wetter. Nach dem, was sich am Mittag auf diesem Platz ereignet hatte und wie angespannt Yoru gewesen war, erschien Yuna dieser beiläufige Ton völlig falsch und gestellt. Sie legte den Kopf schief und schaute ihn an, als würde sie Sorge haben, dass er gleich explodierte. »Es ist okay«, seufzte er und verdrehte dabei die Augen. »Ich bin einfach noch nicht bereit, über diesen Vorfall zu reden, ja? In diesem Moment möchte ich ihn einfach nur vergessen und mich meiner Aufgabe widmen.« »Ich erwarte gar nicht, dass du mir darüber etwas sagst. Es geht mich ja auch gar nichts an. Nur…«, erwiderte Yuna. »Ich weiß«, sagte er und lächelte gequält dabei. »Eine Explosion meinerseits ist deswegen nicht zu erwarten.« Irritiert schaute sie ihn an. Okay, langsam könntest du dich mal daran gewöhnen, dass er weiß, was in dir vorgeht, Yuna. Sie war sauer auf sich selbst, weil sie wusste, dass ihr das so schnell nicht gelingen würde. »Gut«, sagte sie, »dann kannst du ja deiner Pflicht nachkommen und mir dieses Dorf endlich zeigen, so wie du es eigentlich auch schon vorhin wolltest.« Und das tat er. Er führte sie an jeden wichtigen Ort im Dorf, zeigte ihr, wo die Dorfheilerin wohnte und praktizierte, zeigte ihr die verschiedensten Läden, die Bibliothek, die Schule, die Poststation; er lief mit ihr jede Straße des Dorfes ab und zeigte ihr alle wichtigen Geschäfte, sodass Yuna bald kaum Orientierungsprobleme hatte und den Aufbau des Dorfes verinnerlichen konnte.   Sie saßen gerade am Marktplatz auf einer kleinen Holzbank, als der Mond aufging. »Wie schööön«, staunte Yuna. »Den Mond gibt es doch auch in deiner Welt«, meinte Yoru und hob eine Augenbraue. »Aber es ist so still und man kann alle Sterne sehen. Das ist in Tokyo nicht so. Die Stadt leuchtet dafür einfach selbst zu stark.« »Hm… Hat aber sicher auch seine Vorteile, oder?« »Alles hat seine Vor- und Nachteile.« »Wirklich?«, fragte Yoru. »Auch das hier?« Er machte eine ausladende Handbewegung, das Dorf und ganz Fantasiya einschließend. »Auch das, ja«, antwortete Yuna, »die Luft hier ist so rein, man kann frei atmen und man lernt die Natur erst einmal richtig zu schätzen.« Auf einmal grinste er sie an. Seine Augen blitzten dabei spitzbübisch. »Dann kannst du dir vorstellen, hier zu bleiben?« »Yoru, ich will nach Hause. Ich will nicht die Welt retten. Das kann ich doch sowieso nicht…« »Es ist deine Aufgabe, ob es dir passt oder nicht. Und wer sagt, dass du es nicht kannst? Das vorhin, deine Flammen, wenn du sie erst einmal kontrollieren kannst, kann diese Fähigkeit ganz Fantasiya retten.« »Es sei denn, ich geh bei dem Versuch drauf«, entgegnete sie sarkastisch. »Deswegen werde ich dich ja begleiten.« »Yoru, ich hab keine Ahnung, was für Fähigkeiten und Kenntnisse du hast, aber du kannst mich sicher nicht vor allem beschützen. Sicher hast auch du Grenzen.« Er seufzte. Und… verdrehte er da die Augen? »Was?!«, wollte Yuna wissen. »Nichts. Die Diskussion hatte ich nur schon mal mit Linora.« »Und sie hatte recht, oder? Sie ist tot. Du konntest sie nicht beschützen«, sagte sie leise. Ihre Stimme hatte einen traurigen Unterton. »Ja, weil sie davonlief«, brummte er. Jetzt seufzte Yuna. »Ich will einfach Ayumi finden, okay? Alles Weitere sehen wir dann…« Mit der Erklärung schien er zufrieden zu sein. Er grinste wieder und schaute zum Mond hoch. Sein Grinsen hatte fast etwas Triumphierendes… Als hätte sie verkündet, sie würde bleiben und sich ihrer Aufgabe stellten. Den Zahn werde ich ihm ganz bestimmt noch ziehen, beschloss Yuna grimmig. Jetzt grinste er sie angriffslustig an. »Das werden wir ja sehen.« »Oh, verdammt. Kannst du damit aufhören?« »Wie denn? Deine Gedanken sind wie ein plätschernder Wasserfall.« Er schien sich über diese Tatsache gehörig zu amüsieren. »Indem du mir beibringst, wie ich meine Gedanken blockiere, zum Beispiel!« »Hmm… Nein.« Er zeigte beim Lächeln seine Zähne. Das kann doch nicht… Grr! Böse funkelte Yuna ihn an. »Wieso nicht?« »Weil du deine Reise und damit meine Ausbildung gänzlich ablehnst. Solltest du dich in dein Schicksal fügen, dann können wir gerne darüber reden.« Er lächelte immer noch und seine Augen leuchteten dabei; es schien ihm offensichtlich Spaß zu machen, sie so zu ärgern. »Dann… sollte ich vielleicht aufhören zu denken«, überlegte Yuna entnervt. »Ja, vielleicht.« Er grinste sie frech an. »Hör auf damit, sonst schubse ich dich von der Bank.« »Versuch's doch«, gluckste er. Irgendetwas schien er aberwitzig zu finden. »Hmpf«, machte Yuna und verschränkte die Arme vor der Brust. Yoru legte fragend den Kopf schief. »Was denn?« »Du führst irgendetwas im Schilde.« »Nein gar nicht, ich bin die Unschuld in Person.« »Ja, klar…« Nun war es an Yuna, die Augen zu verdrehen. »Doch total. Mein Nachname bedeutet schließlich "Engel".« »Das sagt gar nichts über deine Person aus, Yoru.« »Bist du eigentlich kitzelig? Dieser garstige Gesichtsausdruck steht dir nämlich gar nicht gut.« »Versuch mich zu kitzeln und ich klebe dir doch eine.« Ein böses Grinsen unterstrich ihre Bemerkung. »Uha, jetzt wird sie böse!« In gespieltem Erschrecken machte er eine abwehrende Handbewegung. »Ich sollte besser aufpassen, sonst grillst du mich noch.« Yuna zog eine Fratze. »Na, ich weiß nicht, ob du mir schmecken würdest. Du bist sicher älter als du aussiehst, viel älter. Dein Fleisch ist bestimmt ganz zäh.« »Quatsch, ich bin im besten Alter.« »Nein, du bist ganz sicher ein alter Sack.« »Mit 115 Jahren doch noch nicht!« »Sag ich ja, ein alter Sack.« Sie schüttelte mit einer Geste der Hoffnungslosigkeit den Kopf. »Besser ein alter Sack, als ein Küken.« »Küken?! Ich bin in der Blüte meiner Jugend!« »Du hast den Jungen vorhin gesehen, der seiner Katze hinter jagte?« »Ja, und?« »Er ist ein Jahr älter als du.« »Verfluchter Mist!« »Küken!«, lachte er. Mit einem wütenden Aufschrei packte sie Yoru von hinten an den Schultern und schubste ihn mit vollem Karacho von der Bank. Er landete sehr unsanft auf seinem Hinterteil. »Au, verdammt!«, gab er erschrocken von sich. Yuna lachte triumphierend los. »Okay, ehrlich. Ich hab nicht erwartet, dass das funktioniert.« »Tz, das kann man hinterher immer sagen!«, beschwerte er sich vorwurfsvoll. Er rappelte sich auf, klopfte sich den Staub von der Hose und setzte sich wieder neben Yuna auf die Bank. »Du bist ja gemeingefährlich.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. In ihren Augen blitzte der Schalk. »Aber du bist trotzdem schwer in Ordnung. Den alten Yoru einfach von der Bank zu schubsen, tz. Das hat nicht mal Linora geschafft – und sie hat es wirklich verdammt oft versucht.« Yuna kicherte los. »Was ist denn nun wieder?« »Du hast dich "alt" genannt!« »Oh«, machte er bedröppelt und im nächsten Moment lachten sie beide schallend los. Nachdem sie sich beruhigt hatten, schaute Yuna in den Himmel und  ihr seliges Lächeln verwandelte sich in einen ernsten Gesichtsausdruck. »Was ist los?«, fragte Yoru. »Ich weiß nicht, was mich morgen erwartet. Du wirst sicher mit mir zu diesem Blanca gehen, oder?« »So ist der Plan.« »Wie ist er so?« »Eigentlich ist er schwer in Ordnung.« »Eigentlich?« »Naja…« Yoru rang ein wenig nach Worten. »Ich weiß nicht, wie ich das höflich ausdrücken soll…« »Dann sag es unhöflich? Ich sag's auch bestimmt nicht weiter«, versicherte Yuna ihm. »Er ist ein alter Schürzenjäger«, antwortete Yoru und verdrehte dabei die Augen. »Trage in seiner Gegenwart bloß nichts Aufreizendes.« Yuna klappte ein wenig der Unterkiefer runter. Sie hatte nicht mit dieser Art von Personenbeschreibung gerechnet. »Keine Sorge, das habe ich nicht vor.« »Es reicht, wenn du nur einen Rock trägst…«, seufzte Yoru. »Aber…«, machte Yuna. »Jaaa, Blanca ist unser Dorfoberhaupt. Unser Häutpling…« »Also eine Respektperson«, stellte Yuna fest. »Jep. Aber jeder hat seine Schwächen.« »Du scheinst trotzdem nicht gerade begeistert darüber zu sein…« »Ist doch auch kein Wunder oder? Es haben schon offizielle Anlässe stattgefunden, bei denen es wichtige Dinge zu erörtern gab und Blanca hat erst einmal der Kellnerin hübsch Augen gemacht…« Wieder verdrehte Yoru die Augen. »Warst du bei diesen Anlässen dabei?« »Klar, einer muss unseren Häuptling ja zur Vernunft bringen, wenn der wieder mal nur Frauen im Kopf hat.« »Hm.« »Was?« »Naja, es hört sich so an, als wärst du gleichrangig mit ihm. Oder ist die Hierarchie hier eher nicht stark ausgeprägt?« »Es geht. Aber ich bin schon ziemlich gleichrangig mit ihm. Ich nehme an politischen Debatten genauso teil wie er. Gerade, wenn es um die Zukunft Fantasiyas geht.« »Sagtest du nicht, das Land wird unterdrückt?« »Schon. Solche Debatten finden im Geheimen statt. Im Untergrund. Zwischen den wenigen Aufständischen.« »Oh«, machte Yuna. »Und natürlich gehören wir, die wir in dem Ort wohnen, der die Herrin des Feuers beherbergen wird, dazu.« Er zwinkerte sie an und lächelte. »Aber das weißt du natürlich nicht, sollte man dich fragen.« »Okay«, sagte Yuna nur und schaute Yoru etwas verdattert an. »Du wirst das sicher noch alles verstehen, sobald du etwas tiefer in der Thematik bist.« Daraufhin sagte Yuna nichts. Sie wusste nicht, was. Yoru schien die ganze Zeit nebenbei miteinfließen zu lassen, dass sie eine Pflicht zu erfüllen hatte. Dass sie nach Fantasiya gehörte und diese Welt retten sollte. Dass sie eine Schlüsselfigur in der Politik Fantasiyas zu spielen hatte. Ihm schien es gleichgültig zu sein, dass sie das nicht wollte. Oder er war sich seiner Sache sehr sicher, Yuna überzeugen zu können, zu bleiben und ihre Aufgabe anzunehmen. Sie bekam Kopfschmerzen. Das alles war ihr schon wieder ein wenig zu viel. Und sie vermisste Ayumi, die immer einen positiven Spruch auf den Lippen hatte, um sie aufzumuntern. »Es ist spät«, sagte Yoru plötzlich und Yuna schaute zu ihm auf. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass er aufgestanden war. »Und du bist müde«, stellte Yoru fest. Yuna nickte müde. Es fühlte sich an, als wäre ihr Kopf so schwer von der Fülle ihrer Sorgen und Gedanken, dass er  bestimmt abfallen würde, wenn sie ihn zu schnell bewegte. Sie stand vorsichtig auf und sofort erschienen vor ihrem Gesicht besorgte, grüne Augen. »Ist okay. Ich hab nur Kopfschmerzen«, meinte sie und wollte seine Hand, die sich auf ihre Schulter gelegt hatte, abschütteln. Es gelang ihr nicht. Sie schwankte und wäre umgefallen, hätte Yoru sie nicht gehalten. »Verdammt, du hast mir doch was ins Essen gemischt!", fluchte sie. Ihr Stimme mangelte es jedoch an Kraft und so klang ihr Fluchen eher kläglich. »Nein, du bist nur sehr erschöpft. Es war ein aufregender Tag für dich. Und die Nachwirkungen der Reise stecken dir noch immer in den Knochen.« »Hmpf«, machte Yuna. Ihr gefiel das gar nicht, dass sie sich jetzt auf ihn verlassen musste. Auf einmal! Er hielt sie vorsichtig im Arm und führte sie zurück zu seiner Hütte. Yuna schwieg größtenteils, manchmal knurrte sie leise, weil ihr die Situation gar nicht in den Kram passen wollte. Er amüsierte sich sichtlich und hörbar darüber, was ihr jedes Mal ein Schnauben entlockte. Zum Glück war der Weg ja nicht so weit. Sie war andere Entfernungen gewohnt. Nach kurzer Zeit fand sie sich im verdunkelten Schlafzimmer Yorus wieder. Genau genommen in seinem Bett. Ihr fehlte das Stück des Weges, das durch Yorus Hütte ins Schlafzimmer führen sollte. Wie eine Gedächtnislücke. Sie war zu müde, sich darüber zu ärgern. Sie bekam noch gerade mit, dass Yoru neben ihr am Bett stand und ihr eine gute Nacht wünschte. Dann schlief sie fest ein. Sie träumte von einer fremden, wilden und gefährlichen Welt, die sich mit ihrer eigenen vermischte und alles, was sie bisher kannte auf den Kopf stellte. Sie schlief unruhig und ihr Schlaf war dadurch nicht gerade erholsam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)