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Interdependenz Buch 1

Die schweigende Lilie
von

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Aycos Schmerz

Luca hatte seinen Freund in den anschließenden Raum getragen, der Küche, Atelier und Schlafraum in einem war, ihn auf das Bett gesetzt und hockte nun vor ihm auf der schmalen, unbequemen Pritsche. Der Junge lehnte immer noch an seiner Brust und weinte nun still, halb versunken in seinen Gedanken.

"Ayco, soll ich Dir Tee machen?" fragte der Magier leise. Der Junge reagierte nicht. Genau wie noch vor einigen Tagen. Luca bekam Angst. Es dürfte nicht sein, dass Ayco wieder in dieses schweigende Brüten verfiel, diese geistige Katatonie.

Luca neigte sich zu ihm. Seine Lippen berührten das Ohrläppchen des Elfen.

"Ayco, mein Engel, komm zu mir zurück," flüsterte Luca. Die Verzweiflung in seiner Stimme, mehr als seine Worte, drangen durch Aycos Schmerz und seine Isolation. "Bitte, rede mit mir, entlaste Dein Herz, erzähle mir einfach, was Dich belastet, was Dich verletzt. Lass mich dich auffangen und mittragen, was Dich zerstört..."

Langsam, schwerfällig, fast wie ein alter Mann, hob Ayco seinen Blick und sah Luca an. In dem Moment erstarrte Lucas Herz vor Schmerzen und Leid. Dieser Blick allein trug so viel unausgesprochene Pein, eine solche Trauer mit sich, dass Luca nur noch eines wollte, ihm dieses Leid zu nehmen.

Lange Zeit sah Luca ihn an. Er empfand die selbe Leere des Verlusts, die Angst allein zurückzubleiben... Und Luca konnte sich denken, dass Ayco seine Schwester sehr früh verloren hatte, da die beiden schlussendlich Zwillinge waren. Lea war ein Kind, adäquat eines vielleicht sieben oder acht Jahre alten Mädchens. Ayco konnte also nur ein Kind gewesen sein, als er seine Schwester verlor.

,Grauenhaft, wenn man jemand anderem so nah steht,' dachte Luca erschrocken.

Ayco sah ihm in die Augen, starrte ihn an und Luca begriff gar nicht weshalb.

Ihm fiel gar nicht auf, dass er Aycos Wange streichelte, ihn zärtlich kraulte...
 

Aycos Herz schrie vor Schmerzen, und zuerst wünschte er sich damit allein zu sein, Luca zu entgehen, aber nun... Allein der Blick Lucas zeigte ihm, dass der Magier litt, das selbe fühlte, wie er selbst. Dann fühlte er die Hand auf seiner Wange. Lucas Hand, sanft, leicht, liebevoll. Dieser Mann, er streichelte Ayco völlig geistesabwesend. Sein Blick ruhte in Aycos, er sah ihn, und zugleich wieder nicht... Ihm rannen Tränen über die Wange, aber Luca fühlte nicht die salzige Nässe. So viel Mitleid und Wärme und Verständnis hätte Ayco nie erwartet. Mitleid? Nein, Mitleid war es nicht, das würde Luca nie tun. Er schien viel mehr zu spüren, was in Ayco vor sich ging.

Nie vorher war ihm ein Mann begegnet, der ein solch mitfühlendes Herz besaß. Bis dahin hatte sich einzig Lucas Großvater so um den Jungen Ayco bemüht, und vielleicht noch der Elf, der ihnen damals geholfen hatte. Aber niemand war mit ihm zu vergleichen.
 

Luca betrachtete Ayco still. Er sah vor sich das zerbrechlichste, traurigste, reinste Geschöpf, dass mehr denn je seinen Schutz brauchte, seine Freundschaft und Zuneigung. Nichts auf der Welt wollte er nun noch mehr, als Ayco glücklich zu machen. Sein Herz sollte immer lachen können und nie wieder allein sein. Nie. Er schwor sich, Ayco alles Glück der Welt zu Füssen zu legen. Nie wieder sollte seine große Liebe so leiden. Er würde Ayco fragen, Lea wieder ins Leben zurück zu rufen... Er konnte nicht wollen, dass sie untot blieb, ein Geist, nur gesehen von besonders sensitiven Personen. Das Mädchen hatte ein Recht darauf auch ihr Glück zu finden und zu leben...

Und vielleicht war es das, was Aycos Herz wärmen konnte.

Luca lächelte aufmunternd. "Hab Mut," flüsterte er und schloss Ayco in seine Arme. "Stütze Dich auf mich und lass Dich fallen. Ich werde immer in deiner Nähe sein, um dich aufzufangen."
 

"Kennst... kennst Du Night's End?" flüsterte Ayco. Seine Stimme klang undeutlich, unsicher. Sein Herz hämmerte vor Angst, dennoch wollte er nun endgültig alles erzählen... dem einzigen, dem er traute wenigstens.

Luca nickte langsam. "Ja, sehr gut sogar." Auch sein Herz schlug hart und schnell. Night's End. Dieses winzige Holzfäller- und Bergbauerndorf lag ganz in der Nähe Valvermonts, gerade ein, eineinhalb Tagesreisen entfernt. Sicher kannte er Night's End, aber das wieder aufgebaute Dorf. Der Ort wurde vor etwa 100 Jahren von Söldnern geschleift und niedergebrannt...

Niedergebrannt... echote es in Lucas Schädel. Er ahnte, was Ayco ihm zu sagen versuchte, aber er schwieg. Ayco musste von selbst den Mut und das Vertrauen aufbringen, ihm alles zu erzählen.

"Ich komme aus Night's End. Meine Mutter war die..." seine Stimme versagte und ihn erfasste ein krampfhaftes Schluchzen. Luca schlang seine langen Arme noch fester um seinen Freund, versuchte ihm Schutz und Halt gleichzeitig zu sein, Trost und kraft.

Es sollte Minuten dauern, in denen sich Ayco einfach nur in Lucas Fleisch krallte, mit solcher Macht, dass seine langen Fingernägel die resistente Seraph-Haut aufrissen und tief in seinen Körper drangen. Dabei weite er, zog sich so eng er konnte an seinen Freund und presste seine Stirn gegen Lucas Schulter...

Der Magier nahm den betäubenden Schmerz zwar wahr, ignorierte ihn aber. Er sorgte sich eher um Aycos Kopf. Der junge Elf drückte sich seinen spitzen Schulterknochen direkt in den Schädel. "Nicht, mein Engel," flüsterte er. "Du tust Dir nur an meinem Körper weh. Bitte..."

Ayco schüttelte unter Qualen den Kopf und zwang sich noch enger an Luca. Der junge Elf schien nur noch den Wunsch zu haben sich in Lucas Körper zu verkriechen, wo er seinen Frieden finden konnte.

Der Magier zog den Elfen mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß und barg Aycos Gesicht an seinem Hals, seinem Haar. Sein rechter Arm schlang sich um Aycos Taille, die linke Hand vergrub sich in den silbernen Wellen des Elfenhaars. ,Weine, schrei deinen Schmerz hinaus und verlasse Dich auf meine Kraft. Sie reicht für uns beide aus...'

Ayco ergab sich diesem stummen Wunsch Lucas. Er schrie seinen gesamten Schmerz hinaus. Bald war Lucas nackter Oberkörper Nass von Aycos Tränen und sein Haar wie die silbernen Wellen Aycos klebten an ihm.

"Sie haben meine Mutter und Lea ermordet!!!!" Schrie Ayco plötzlich. Mehr konnte er vorerst nicht sagen, denn er schluchzte so laut und verzweifelt, dass er kaum zu Atem kam...

Luca zog ihn sanft zurück und ließ sich mit im zurücksinken, auf die staubige, harte Pritsche.

Der Junge rollte sich auf dem Körper seines Freundes zusammen und klammerte sich an ihn, krallte sich in Lucas Haar... Der Magier fiel mit Ayco auf die Seite und legte sich halb über ihn, schützte ihn... lehnte seine Stirn gegen die des Elfen...

Zum ersten Mal schlugen ihre Herzen im Gleichklang, hörte einer die Seele des Anderen, verbanden sich ihre Gedanken und einer vernahm die Stimme des anderen.

Ohne dass einer von ihnen Sprach erfuhren sie beide alles übereinander...

Aycos Seele überschüttete Luca mit schmerzvollen Eindrücken. Der junge Magier musste sich schon sehr zusammennehmen, um nicht unter all dem grauen und der Angst Aycos zusammenzubrechen. Dennoch, er hielt stand, und versuchte noch immer Ayco aufzufangen und ihm Kraft zu geben.

Aycos Erinnerung flutete Lucas Bewusstsein und riss ihn mit sich in ein Night's End vor einem Jahrhundert.

Damals, als er und Lea noch Kinder waren, Ayco ein junger Zauberlehrling im Hause eines Magiers, des ehemaligen Barons von Night's End, damals... vor dem Überfall. Aycos Glück war beinah perfekt. Er hatte eine so zauberhafte und starke und blendend schöne Mutter, eine Priesterin, eine Kluge, umsichtige, sanfte und offene Frau, die nichts fürchtete, und Lea, Aycos weiblicher Zwilling, die wild und stark war wie ihre Mutter, unerbittlich und fröhlich zugleich, verträumt und so liebevoll...

Alles war perfekt, alles, bis auf...

Ayco vermisste seinen Vater den er verehrte und liebte, bewunderte, aber ihn nur alle paar Jahre für wenige Tage sah.

Dann kam der Tag, an dem sich Lea lachend a Waldrand von ihrem Bruder verabschiedete und ihn hoch, in das Herrenhaus zu seinem Meister schickte. Ein seltsames, unerklärliches Gefühl von Verlust beschlich den Jungen in dem Moment bereits. Er kehrte zurück. Ienel, sein Meister, bekam ihn an dem Abend gar nicht zu Gesicht. Der junge Elf eilte hinauf in seinen Turm und starrte über die Wipfel der Bäume hinüber wo Night's End verborgen lag...Die Sonne sank. Er starrte lange in das Abendrot... Aber... es schien nicht dunkel werden zu wollen. Der Himmel blieb rot...? Aber... Nein!

Ayco federte auf die Füße und rannte so schnell er konnte. Seine nackten Füße rissen auf, bluteten, er trat sich Dornen und Steine in die Haut, tief in sein Fleisch... Sein Herz raste vor Angst, die Lungen pfiffen und der Schmerz darin wurde immer unerträglicher für ihn, aber anstatt langsamer zu werden, rannte er noch schneller. Er wusste in dem Moment, er würde sterben, wenn er sich nicht noch mehr beeilte. Aber er wusste nicht, dass dieser Tot nicht körperlich von Statten ging. Sein Herz brach...

Als er endlich den Rand des Dorfes erreichte stand Night's End bereits in Flammen. Aber nicht das schockierte Ayco... der gepfählte Kopf Leas am Dorfeingang war es, der Ayco fast an den Rand des Wahnsinns trieb und der Anblick einer gewaltigen, schwarz gerüsteten Gestalt, in deren silbernem Haar sich der Feuerschein fing...

Ayco huschte ohne jede Deckung durch die Flammen und eilte zu dem Tempel, dem Haus seiner Mutter, dem einzigen, dass nicht brannte... Ihm war gleich, ob der gerüstete ihn sah. Alles war ihm egal! Seine Mutter und seine Schwester! Sie konnten nicht tot sein! Niemals!!!

Wie durch ein Wunder bemerkte ihn niemand.

Aber vielleicht wäre das besser gewesen, denn der Schock des Anblicks im Tempel verkrafteten Herz und Seele des Kindes nicht. Er zerbrach in dem Augenblick, als er den geköpften Torso seiner Schwester fand, geschändet und den Kopf Lyeth' seiner Mutter zwischen den Beinen. Der Leib der Priesterin aber wurde zerstückelt...

Welches Monster konnte das nur tun? Welches Monster konnte so was mit lebenden Wesen tun?!!!
 

Ayco hingegen bekam mit, was Luca geschah, während er als Junge in den Orden kam. Es war bei weitem nicht so schlimm, wenigstens war sein Herz nicht gebrochen. Aber sein Wille und sein Körper. Die 19 Jahre, die Luca im Orden studierte, litt er. Jede Nacht brachte ihm Schmerz und zugleich trieb ihn die Verzweiflung an den Rand eisiger Gleichgültigkeit. Mesalla, der Prinz von Valvermont hatte ihm zuerst die Unschuld genommen, als er ein Kind war. Sie taten nur ein übriges. Jede Nacht, 19 Jahre lang...

Luca hasste sich dafür! Justin hatte recht. Er war eine männliche Hure, die die Schenkel öffnete um andere zu sich zu lassen und es machte ihm nichts aus. Nichts...

Doch, seine Seele gefror und brach, jedes Mal, wenn er von Cyprian genommen wurde, Ihad, Damiano oder Mesh... oder irgendeinem der Anderen. Oder mehreren. Wenn sie zu viert oder fünft erschienen zog er nur noch die Decke zur Seite und wendete den Blick ab, wenn sie ohne ihn vorzubereiten bestiegen.

Er hatte aufgehört zu weinen, sich zu wehren, gegen sie zu kämpfen. Wenn er es tat, schlugen sie ihn zusammen, bis er nichts mehr spürte. Aber er kämpfte mit seinem Herzen gegen sie an und lernte noch mehr, schneller, härter. Das allein, der Wunsch sich magisch gegen sie aufzulehnen und ihnen überlegen zu sein, machte ihn zum jüngsten Großmeister den es je gab...

Und zum einsamsten Mann.

Luca wusste zu gut, wie seine Ausstrahlung andere anzog, Sie flogen wie die Motten zum Licht, in eine Kerzenflamme, die sie verbrannte, aber es gar nicht wollte. Er wollte niemals jemand anderen verletzen. Schützen, nicht verwunden... Liebe, nicht Hass...
 

Luca spürte plötzlich Aycos Hand, die seine Tränen trocknete, seine Fingerspitzen, die die Nässe auf seinen Wangen verstrichen, Muster in die Nässe malten, und sie aufnahmen, so liebevoll und behutsam, dass Luca erschauerte. Ihm war nicht klar, dass Ayco einen Teil seiner Vergangenheit gesehen hatte, er wusste nur, dass seine Tränen Aycos Schmerz waren. Und er war dankbar darum.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2003-11-17T06:35:25+00:00 17.11.2003 07:35
@ Tauglanz:
Das Kapitel ist schon fertig, aber daran schließt sich, wie immer, gleich das nächste an, was bereits angeschrieben aber nicht geladen ist.
Luca ist sich noch über eine ziemliche Zeit völlig unsicher, was sich in Ayco tut. Besonders weil...

Okay, ich spoilere nicht... ^___~
Lies es selbst. Die beiden haben noch viel ärger vor sich, bevor sie zusammen sein dürfen.

@ Shimi:
Ich lasse Dich sicher nicht hängen, nur vor Mittwoch abend wird das nichts. Das ganze WE bin ich schon am Spielleiten und heute und morgen wird das auch nicht anders aussehn.
Aber glab mir, das nächste Kapitel ist in Arbeit.

@ Shinija:
Muss ich Dich erst wieder einfangen gehen, bevor Du mir davonschwebst... ^___~
Luca und besonders... hm... schöne definiton. Er ist einfach geduldig. alles in allem hat er die Geduld gepachtet. Und Ayco, er ist immer noch schnell verletzlich und wankelmütig und hat noch lang nicht überstanden, was ihm passiert ist. Seine Vorgeschichte ist auch grausam genug. Besonders wenn man sich vorstellt, dass er seine Vergangenheit immer udn immer wieder träumt. Der einzige, der ihm schönere Träume zu schenken vermag, das ist letztlich Luca...
Aber cih schreiibe bald weiter... will Euch drei ja nicht so schlimm auf die Folter spannen.
Von:  shinjia
2003-11-14T18:20:37+00:00 14.11.2003 19:20
Mit jeden Kapitel merkt man mehr, was für ein ungemein außergewöhnlicher Chara Lysander doch ist.

Ich weiß gar nicht, warum ich mir das hier antue, zu lesen, wie du die beiden quälst. Da sieht man erst, wie gut du bist. Dass ich trotzdem nicht loskomme.

Wie ich deinen Stil liebe!
*seufzenddavonschweb*
Von: abgemeldet
2003-11-14T16:19:08+00:00 14.11.2003 17:19
ich finde diesen teil wieder einmal super!!!!!
es ist traurig abder sehr gefühlvoll geschrieben...
du hast die gefühle sehr gut zum ausdruck gebracht!
bi'tte schreib schnell weiter!!
Von:  Tauglanz
2003-11-14T15:51:00+00:00 14.11.2003 16:51
hmm
Das liest sich irgendwie halb fertig... kommt da noch was?
Genau genommen ist es ja nicht nur Ayco sonder auch Lucas Erinnerungen.

Und WANN erloest Du endlich Luca von der Ungewissheit?! Der Arme ist ja schon total fertig, weil er nicht weiss, wo er bei Ayco wirklich steht! *Haare rauf*

Waldelfe Tauglanz


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