Interdependenz Buch 1 von abgemeldet (Die schweigende Lilie) ================================================================================ Kapitel 10: Eiseskälte und glühende Hitze ----------------------------------------- Justin war wieder eingeschlafen und Luca nutzte die Chance. Er stand auf, nahm seien Sachen und wusch sich. Selten vorher hatte er sich so schmutzig gefühlt, so sehr daran geglaubt, dass sein Körper durch ihn selbst entweiht war. Und er schwor sich, dass dieses Mal, das letzte Mal gewesen sein sollte. So schön es war, so sicher unterstrich es seinen Entschluss sich von Justin zu trennen. Luca bemerkte erst, als er sich anzog, dass seien Haut rot und wund war von der Bürste, mit der er seinen Körper bearbeitet hatte. Der raue Stoff seines Hemdes auf seiner Haut tat weh und die Lederhose Scheuerte furchtbar. Luca wünschte sich im Moment sogar sein hässliches Akoluthen-Gewandt zurück, dass zwar einheitlich grau war, aber wenigstens weit und aus glatter Seide. Heute war das einzige, was er sich leisten konnte billigerer Leinenstoff und das, was er für seine Wanderungen brauchte. Vielleicht reagierte er auch einfach nur über, weil er immer noch nieste, hustete und Fieber hatte. Als er zurück in den Saal kam, redeten schon verschiedene Patienten durcheinander und waren scheinbar sehr versessen auf etwas zu Essen. Luca sah sich dennoch zuerst nach Ayco um. Der Junge lag still da und starrte die Decke an. Luca ging zu ihm hinüber. Ein Unterfangen was sich als recht schwierig erwies. Luca wurde von etlichen Männern angehalten, die ihn mit Fragen löcherten... Geduldig beantwortete Luca alle Fragen und sah sich die Verletzungen einiger an, behandelte sie... Bis er endlich Ayco erreichte, war eine Stunde vorüber. "Aycolén..." flüsterte Luca. "Wie geht es dir?" Der Junge drehte ihm wortlos den Rücken zu. Hätte er Augen im Hinterkopf gehabt, wäre ihm Lucas trauriges Gesicht aufgefallen, aber das interessierte ihn nicht. Ihn interessierte gar nichts. Mehr noch schien er wütend zu sein, dass Luca ihn am Leben halten wollte. Aber zugleich war Ayco auch verletzt weil Luca sein Wort nicht gehalten hatte und neben ihm lag, als er erwachte. Zugegebener Massen hatte Ayco zuerst nach unten geschaut, um sich zu vergewissern, dass sein Geschichtenerzähler noch da war. Diese Geschichte hatte Ayco schönere Träume geschenkt, hoffnungsvollere als sonst, und dann wagte sich Luca so dreist wieder hierher, nachdem er sein Wort gebrochen hatte? Luca streichelte Ayco sanft über die Haare. Blitzartig erstarrte Ayco unter der Berührung, versteifte sich. Obgleich die Berührung liebevoll und voller Wärme war, hätte eine Ohrfeige Ayco nicht mehr erschrecken oder verletzen können. Plötzlich war Lucas Hand fort und Ayco sah, wie Luca den Becher mit Wasser anhob und hineinsah... Dann den Apfel nahm. "Bitte, iss und trink," sagte er leise. "Du wirst mir verhungern... Du bist so schon dünn, aber jetzt..." Plötzlich lächelte Luca. "So einen dünnen Mann will kein Mädchen haben," flüsterte Luca. Warum sagt er das?! Fragte sich Ayco ärgerlich. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht ein Mädchen zu suchen... Jemand wie er verdiente das nicht. "Willst du nicht mal irgendwann eine Frau haben, Kinder und ein glücklicheres Leben? Sicher und behütet, als Künstler...?" Nun erschrak Ayco wirklich. Woher wusste Luca, dass er Künstler war? Dann fiel ihm wieder ein, dass er schon einmal im Labyrinth gewesen war und sie sich dort begegneten. Justin hatte ihn gerade erst aus den Klauen des Stadtprinzen Mesalla befreit, der ihn nach der größten Pleite in seinem ganzen Diebesdasein gefangen hatte... Dieser Auftrag ein Gemälde Mesallas zu fälschen und es auszutauschen... was für eine dumme Idee das doch war! Mesalla machte sich durch solche fingierten Aufträge die halbe Stadt zu Marionetten, die er manipulieren und umbringen konnte, wie er wollte... Mesalla... Mesalla! Ich hasse Dich! Dachte Ayco. Immerhin war dieser dafür verantwortlich, dass er in Kriegsgefangenschaft geriet, gefoltert wurde und... seinen besten Freund verlor. "Was möchtest Du essen?" fragte Lucas Stimme in Aycos Bewusstsein hinein. Um ein Haar hätte Ayco gesagt: Gemüsesuppe... Doch dann schwieg er und zog sich die Decke noch weiter über den Kopf. Luca grinste. "Wenn Du mit mir nicht reden willst, dann vielleicht mit der da." Ayco spürte, dass sich Lucas Gewicht auf der Kannte der Pritsche verlagerte, er irgendetwas tat... dann hörte er ein leises Zetern und sah überrascht auf, als zwei schlanke, lange Hände etwas niedliches, rot geschupptes vor seine Nase auf das Kissen setzten. Goldy hörte sofort auf, hektisch mit den Flügelchen zu schlagen und sah dann Ayco ins Gesicht. "Oh... der ist ja richtig niedlich." Das breite Drachenmaul verzog sich zu einem lieben Lächeln und die goldenen Äuglein schimmerten vor Glück. Winzige Händchen streichelten Aycos Wangen... Der Junge fuhr zusammen, flüchtete aber nicht. Irgendwie mochte er das Drachenmädchen sofort. Sie war ihm sympathisch und vertraut... Als habe sie schon einen Teil seines Lebens ausgemacht, bevor sie zu ihm gekommen war... Als wäre sie sein... "Ayco ist Dein Name? Ich bin Goldy..." Was für ein scheußlicher Name, dachte Ayco. Wer kam denn auf so was? Irgendwann, beschloss er, würde er ihr einen schöneren Namen geben... tat er das wirklich? Er wollte doch sterben... Langsam wurde ihm klar, dass die eigentliche Macht Lucas nicht die Zauberei war, sondern sein Talent, andere abzulenken und ihnen Mut zu geben. Das allein war der Grund, warum er ihm Goldy in die Arme setzte. Einerseits machte es Ayco wahnsinnig wütend, dass jemand die Dreistigkeit besaß so über ihn zu verfügen und sein Gemüt zu manipulieren, andererseits war es ein eigenartiges, schönes Gefühl zu spüren, dass man einem anderen etwas bedeutete... aber dieses Gefühl hielt Ayco tief in sich verborgen und verschloss es vor Luca. Er wollte im Moment eigentlich nur... Was eigentlich? Sterben? Ayco drehte sich von Goldy weg und sah sich plötzlich Luca gegenüber, der an seiner Seite saß und ihn mit diesen großen, sanften, grünen Augen, die von dichten schwarzen Wimpern überschattet wurden, betrachtete. Für einen winzigen Moment wünschte sich Ayco, dass Luca immer so über ihn wachen würde, er wünschte sich Luca zum Freund, zu jemand, dem er vertrauen konnte, dem er alles sagen konnte, mit dem er seinen Schmerz teilen konnte... Dann verschwand der Wunsch und verkehrte sich in eisige Ablehnung. Er starrte zur Decke hinauf, zu dem Gebälk, dass über ihm thronte, fünf, sechs Meter über ihm in morschem Holz und Stein endete... Innerhalb der ersten Stunde schon hatte er die miserable instabile Architektur des Saales erfasst, der Dachstuhl, der schon einsturzgefährdet war, und nur noch von eisernen Trägern davon abgehalten wurde, dass die Schindeln und das Gebälk einsanken und herabstürzten... Allein der Gedanke, dass es eigentlich hier eine Zwischendecke zu geben hätte, machte Ayco ein wenig Angst. Wie morsch und baufällig musste ein Haus sein, wenn es diesen Zustand erreicht hatte? Scheinbar folgte Luca Aycos Blicken und interpretierte sie richtig. "Das Gebälk, schlimm nicht? Die morschen Steine und der Mörtel, der herabrieselt. Ich habe auch immer Angst, dass das Gebälk irgendwann diese Last nicht mehr zu tragen in der Lage ist. Und Mara versichert mir sturer Gelassenheit, dass ein Erdbeben das Haus nicht zum Einsturz bringen wird. Ich bete darum, dass sie recht hat." Luca lächelte. Ayco sah es nicht, aber er spürte seinen Blick, den sanften, liebevollen Blick und das Lächeln auf seinen Lippen. Der Elf ignorierte es. "Weißt du, ich war das erste Mal als Kind hier, als Neunjähriger. Danach immer wieder. Justin wurde zu meinem einzigen und besten freund, der einzige, der mir zuhörte, der mich zum Lachen oder weinen brachte. Ich habe ihn unheimlich geliebt, damals." Luca senkte den Kopf. "Er lehrte mich zu zeichnen, wollte aus mir einen berühmten Maler machen..." Er verstummte. Ayco konnte den Impuls ihn anzusehen, gerade noch unterdrücken. Irgendwie gelang es Luca schon wieder, Ayco zu fesseln... "Alles scheiterte daran, dass meine kleine Schwester unserem Vater davon erzählte, dass ich zaubern könne... Und das konnte ein Mann wie mein Vater nicht zulassen. Er bestand darauf, dass ich die Familie verließ und..." Luca verstummte endgültig. Plötzlich lächelte er wieder. "Was erzähle ich für trübsinnigen Unfug. Ich will, dass du lächelst. Eigentlich sollte ich nun anfangen, dir lustige Geschichten zu erzählen." Er stand auf. "Aber das muss bis nach dem Frühstück warten. Ich brauche jetzt eine Weile, bis ich wieder bei Dir bin, aber ich komme wieder." Aycos Blick zuckte kurz zu Luca, und als er bemerkte, dass dieser ihn immer noch ansah sofort wieder zur Decke. "Ich bringe dir was gutes zu essen mit und Tee... Ich hoffe, dass Du Suppe magst." Luca streichelte behutsam durch Aycos Haare. Der Elf zuckte zusammen, wendete sich ab du drehte Luca den Rücken zu. Er spürte Lucas Nähe und dass es augenblicklich kälter wurde, als der junge Magier sich abwandte und ging. Ayco versuchte verzweifelt den Impuls, Luca nachzublicken zu unterdrücken, aber diesmal konnte er es nicht mehr. Er wandte den Kopf um und sah Luca hinterher... So sehr er sich gewünscht hatte, dass Luca ihn seinem Schicksal überließ, so sehr wünschte sich Ayco auch, dass Luca nun bei ihm blieb. Wenn Luca nicht da war, fühlte er sich eigenartig einsam und verlassen... Als er den Gedanken verinnerlichte, realisierte, erschrak er über sich selbst. Er wollte niemanden um sich haben!!! Niemanden! Auch Luca nicht, schon gar nicht diesen aufdringlichen Kerl! Was also wünschte sich in ihm den Magier mit solch tiefer Inbrunst herbei? Ayco rollte sich zusammen, sah so aus, als schliefe er, aber er beobachtete Luca, der gerade zusammen mit ein paar anderen Helfern aus der Küche gekommen war, Brot und dampfende Suppenschalen aus Holz auf Tabletts. Justin folgte ihnen... Der Magier wies die Männer an, einzelne Leute zu füttern, teilte Suppe an die aus, die selbst essen konnten und nahm sich die Zeit, anderen die Suppe direkt in den Mund zu geben. Was Ayco auffiel, dass Luca es den anderen untersagte, die Seuchenkranken zu behandeln... Was machte den Magier so sicher, gegen die Ansteckung gefeit zu sein? Dennoch schien Luca davor keine Angst zu haben. Er ging mit der selben Geduld dabei vor, die er auch bei Ayco bewies... Aber diese Leute hatten Lepra, Cholera... Ayco begann sich auszumalen, welche Gründe Luca dafür haben konnte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass diesem Mann sein Leben zuviel wurde und er auf diese Art nach dem Tot suchte. Vielleicht aber versuchte er so irgendetwas zu büßen, vielleicht tat er es auch aus reiner Überzeugung, oder weil es Justin von ihm verlangte... "Wie geht es dir denn, Ayco?" Der Elf zuckte zusammen und sah Justin in die Augen. Der Vampir lächelte lieb und streichelte durch Aycos Haare. "Mein Kleiner, wie ist es dir ergangen, seit Du zuletzt hier, bei mir warst?" Ayco sah ihn lange stumm an und wendete sich dann ab. Er sah keine Veranlassung, mit Justin zu reden, und er wollte es auch nicht. Zudem roch er ganz deutlich Luca an ihm... Nun wusste er, wo Luca gewesen war, als er erwachte... Bei Justin, in seinem Bett, eng umschlungen mit Justin, in wilder Leidenschaft... Ihm wurde bei der Vorstellung fast schlecht! Dass die beiden Männer ein Paar waren hatte er sich schon gedacht, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, wie Luca Justin umarmte und dieser ihn wiegte und hielt... "Was hast Du, Ayco? Bist Du mir böse?" Und wie, dachte Ayco... Wie, um Himmelswillen, kam er auf diesen Gedanken? Warum sollte er wütend auf Justin sein? Dennoch, er war wütend, verletzt und kam sich verraten vor. Er war noch lange nicht so weit, zu sagen, dass Luca ihm gehörte, aber der Wunsch dazu entstand in dieser Sekunde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)