Annual Letter von nyappy_Aki (Adventskalender 2013 | 09. Türchen) ================================================================================ Kapitel 1: Annual Letter ------------------------ . . . Wenn es etwas in meinem Leben gibt, das ich wie die Nahrung für meinen Körper zum Überleben brauche, dann sind es meine täglichen To-Do Listen. Ohne sie wäre ich völlig aufgeschmissen in dieser viel zu komplizierten Welt. Manchmal stelle ich mir vor wie es wohl wäre, in einem ganz anderen Zeitalter zu leben. Die Vergangenheit ist in vielerlei Hinsicht einfacher gestrickt. Vielleicht bin ich ja wirklich in die falsche Zeit hinein geboren worden. Aber ließ sich daran jetzt noch etwas ändern? Nö. Trotzdem tut es gut, sich ab und zu mit dieser schönen Vorstellung zu vereinbaren. Jetzt habe ich mehr unnützes Zeug geredet, als ich ursprünglich vorhatte. Aber was soll’s, für Vorstellungen ist es bekanntlich nie zu spät. Also, mein Name lautet Naruto, Uzumaki Naruto, um genau zu sein. Mit meinen 26 Jahren stehe ich gut im Leben. Ich habe einen gut bezahlten Job in einer sehr bekannten Tierklinik, in die ich allerdings nur durch meine Eltern hinein geraten bin. Sie sind nämlich die Gründer und hatten schon immer ein großes Herz für Tiere aller Art, das sich dementsprechend auch in ihrer Erziehung widergespiegelt hat. Aufgewachsen bin ich mit einem Hund, den ich zu meinen besten Freunden zähle. Er war ein Geburtstagsgeschenk, als ich noch ganz klein war, was bedeutet, dass ich mir den Namen aussuchen durfte. Obwohl ich mit den Namen Kurama nicht wirklich etwas verbinde, er mir aber in einer ziemlich coolen Fernsehserie auf Anhieb gefallen hat, taufte ich ihn danach. Kurama hat sich im Laufe der Jahre natürlich zu einem ziemlich aktiven Gesellen entwickelt, den ich aber nicht weniger gern hab als am ersten Tag unseres Aufeinandertreffens. Wie du siehst, ergeht es mir finanziell also ausgesprochen gut. Heute ist Heiligabend und ich sitze hier mit einer nach Tanne duftenden Kerze in meinem Zimmer und schreibe diesen Brief. Er ist für niemand Bestimmten gedacht. Vielleicht werden ihn meine Nachkommen lesen, vielleicht auch meine Freunde. Vielleicht landet er eines Tages bei mir unbekannten Leuten, oder vielleicht werde ich es selbst sein, der sie im hohen Alter noch liest, um in schönen Erinnerungen zu schwelgen. Ich weiß es nicht. Jedenfalls versuche ich kein großes Geheimnis um mein Leben zu machen, denn ich möchte zusammen mit den mir wichtigsten Menschen Spuren in dieser Welt hinterlassen.   Jedes Jahr an Heiligabend erzähle ich von ein bis zwei bestimmten Tagen in meinem Leben, die für mich auf ihre eigene Art und Weise etwas ganz Besonderes darstellen. Dann verstaue ich den Brief in meine Geheimtruhe und gehe meinen Weg, nur um ein Jahr später über ein weiteres, ganz besonderes Ereignis zu schreiben. Das ist nicht immer einfach, immerhin gibt es viele Tage in meinem Leben, die ich als ganz besonders erachte. Aber bisher hat es eigentlich ganz gut geklappt. Heute Abend feiere ich Weihnachten in einem kleinen Kreis von Freunden, die ich dir gleich näher vorstellen möchte. Vielleicht wunderst du dich darüber, dass ich mir überhaupt die Mühe mache mich hier lang und breit bekannt zu machen und von meinen Freunden rede, als hätte ich sie in den Briefen zuvor nie erwähnt – wobei ich eine von ihnen tatsächlich erst vor kurzem kennengelernt habe. Der Grund dafür ist, dass ich jeden dieser Briefe als einzigartig ansehe. Egal welche meiner Geschichten dir zuerst in die Hände fällt, du wirst immer wissen, wer sich hinter diesen Worten verbirgt und wer die Menschen sind, über die ich schreibe.   Heute möchte ich dir etwas über den 09.-10. Dezember dieses Jahres erzählen. Das war nämlich so…           Das Piepen des Weckers riss mich unsanft aus dem Schlaf. Ich drückte meinen Kopf tiefer in das Kissen hinein in der Hoffnung, das schallende Geräusch einfach auszublenden. Aber Wecker wären nicht Wecker, wenn sie nicht diese hartnäckige, extrem Nerv tötende Eigenschaft mit sich trugen. So sah ich mich mal wieder gezwungen mich auf die andere Seite zu drehen, den Arm mühevoll nach dem jaulenden Ding auszustrecken und es endlich zur Ruhe zu bringen. Ich könnte mich jetzt auch einfach wieder hinlegen und weiterschlafen. Dumm nur, dass ich meine Schlafgewohnheiten kannte und wusste, dass ich schnell wieder in den Tiefschlaf verfallen würde, der mich mindestens noch zwei bis drei Stunden ans Bett fesselte. Also blieb mir keine andere Wahl, als mich regelrecht aus dem Bett zu quälen. Noch während ich aufstand, sehnte ich mich nach der warmen, kuscheligen Bettdecke und der gemütlichen Matratze, die bis eben meine liebsten Schätze gewesen waren. Dass die Arbeit auch immer so früh losgehen musste … zum Kotzen war das. Zugegeben, ich machte mir den Bonus der Verwandtschaft zum Vorteil, wodurch beispielsweise meine Pünktlichkeit des Öfteren litt. Aber wenn man schon mal die Chance dazu hatte, warum sollte man sie nicht ausnutzen? Nicht jeder teilte diese Einstellung, aber das war ja schlussendlich nicht mein  Problem. Ich hatte noch nicht einmal einen Schritt aus dem Zimmer getan, da kam mir mein Mitbewohner entgegen und sprang mich wie eine Diva, die gerade einen Wettbewerb gewonnen hatte, an. Kuramas Größe und Gewicht ließen mich fast nach hinten stolpern, aber gerade noch so gelang es mir, mein Gleichgewicht zu bewahren. „Stürmisch wie eh und je, was?“, sagte ich zu ihm und ließ mich von seiner nassen Zunge abschlabbern. Normalerweise hätte ich es eklig gefunden, aber mit der Zeit gewöhnte man sich an vieles. Außerdem würde ich sowieso gleich duschen gehen, von daher brauchte ich mich da nicht so zu zieren. „Komm, Kumpel, ich geb dir dein Leckerli, danach musst du dich aber selbst versorgen. Ich muss mich nämlich frisch machen.“ Ich sprach mit ihm wie mit einem normalen Menschen, auch wenn ich als Antwort nie mehr als Gesten und Bellen bekam. Trotzdem verstand ich in den meisten Fällen, was Kurama mir sagen wollte. Ich ging also ins Wohnzimmer und schenkte ihm dort frisches Futter ein und füllte das Wasser in seinen Hundenapf auf. Das sollte fürs Erste reichen. Schnell schlüpfte ich unter die Dusche und machte mich frisch. Wie jeden Morgen bereitete ich mir ein schnelles Frühstück zu, bestehend aus ein paar Scheiben Toast und irgendeinem Belag, den ich gerade Zuhause vorfand. Dazu ein Glas Milch et voila, ich war bereit für den Tag. Nebenbei machte ich das, was zusätzlich zum täglichen Frühstück zur Routine für mich geworden war: Ich nahm mir Stift und Zettel und notierte mir die Dinge, die ich heute erledigen wollte. Für den heutigen Tag standen genau vier Dinge auf dem Plan:     -Hundefutter für Kurama kaufen   -Smoking von der Wäscherei abholen   -Weihnachtsfeier überstehen   -Sasuke und Sakura treffen     Ein letztes Mal ging ich die Punkte auf dem Zettel durch, nicht, dass ich etwas Wichtiges vergessen hatte. Als mir nach einer Minute intensiven Grübelns nichts mehr einfiel, legte ich den Stift beiseite und schob den Zettel hinein in meine Hosentasche. Ich ließ alles stehen und liegen und begab mich zur Haustür, wo ich in meine Winterschuhe schlüpfte, mir Schal und Jacke überzog und meine Schlüssel in letztere verstaute. Ich brauchte Kurama gar nicht zu mir zu rufen, denn schneller, als ich bis drei hätte zählen können, stand er vor mir und wedelte fröhlich mit dem Schwanz. Grinsend öffnete ich die Haustür und entließ ihn in die Freiheit, dicht gefolgt von meiner Wenigkeit.     +++     Nach ungefähr eineinhalb Stunden fand ich mich an meinem Arbeitsplatz wieder – natürlich ohne Kurama an meiner Seite. Dieser musste sich die Zeit zu Hause vertreiben, bis ich wieder zurück war. Dummerweise kehrte ich heute erst spät wieder zurück, aber zur Weihnachtsfeier mitnehmen konnte ich ihn schließlich auch nicht. So ging ich also meiner alltäglichen Tätigkeit nach und kümmerte mich hier und dort um die verschiedensten Tiere. Die andere Hälfte meines Tuns beschäftigte sich allerdings mit Papierkram, der mir ehrlich gestanden keinen Spaß machte. Ich war lieber richtig aktiv als hinter meinem Schreibtisch zu hocken und irgendwelche Formalien zu bearbeiten. Nur gehörte das leider dazu und zugegeben, manchmal weckten die Hintergrundgeschichten einiger animalischer Patienten mein Interesse, dass ich mich beinah mehr als nötig damit aufhielt. Das Vibrieren in der Tasche meiner Jacke ließ mich aufschrecken. Kurz darauf ertönte dann auch schon der Klingelton und ich bekam mein Telefon zu greifen. Auf dem Display stand Dad geschrieben, sodass ich keine Sekunde damit zögerte abzuheben. „Hey, Dad“, sprach ich freudig in den Hörer hinein. Wenn meine Eltern nicht gerade außer Haus waren, um sich anderswo anders um kranke Tiere zu kümmern, begegneten wir uns hier in der Klinik. Da sie allerdings für die gesamte Organisation der anstehenden Weihnachtsfeier mit verantwortlich waren, war mir von Vornherein klar, dass ich sie heute frühestens dort antreffen würde. „Na klar, alles okay soweit. Ich mach später noch einen Rundgang durch das ganze Gebäude.“ Es war ja nicht das erste Mal, dass mir die Verantwortung für diese Klinik hier zukam. „Wie läuft’s bei euch da drüben? Kommt ihr voran?“, fragte ich im Gegenzug, während ich den vor mir liegenden Papierkram halbherzig mit meinem Namen unterzeichnete. „Das klingt doch gut. Mhm … nein, ich finde, ihr solltet das so lassen, wie es ist.“ Ich legte eine kleine Pause ein, in der ich nur den Worten meines Dads lauschte, bei denen ich unweigerlich anfing zu grinsen. „Jetzt tu bloß nicht so, als würde dich das überraschen! Du weißt doch wie Mom ist.“ Mit einem amüsierten Kichern gab ich meinem Ansprechpartner zu verstehen, dass ich mir für diese Schadenfreude definitiv nicht zu schade war. „Wie lange seid ihr jetzt schon verheiratet? Dir wird schon ein Weg einfallen, das Monster in ihr zu bändigen.“ Nun brach ich endgültig in ein schallendes Gelächter aus, was wohl nicht minder daran lag, dass mein Dad das nicht halb so lustig fand wie ich. Ich war schon immer ein frecher Junge und das würde sich vermutlich auch nicht mehr ändern, dafür machte es zu großen Spaß. Warum sollte ich mir diesen also nehmen lassen? Ich nahm das Seufzen am anderen Ende der Leitung wahr und beschloss, die angespannten Nerven meines Dads nicht noch weiter überzustrapazieren. Einen Funken Anstand hatte ich dann doch noch. „Schmeiß den Kopf nicht in den Sand, Dad. Ein bisschen Zeit bleibt euch ja noch. Ich muss noch einige Besorgungen erledigen, wir sehen uns ja später. Bis dann!“ Ich legte auf und verstaute das Handy wieder in meine Jackentasche, nur um mich gleich darauf dem Chaos an Papier auf meinem Schreibtisch zu widmen. Natürlich beseitigte ich es nur grob, ich war niemand, der penibel auf Ordnung achtete. Da das Wichtigste für heute getan war, holte ich meinen Notizzettel zum Vorschein und überflog die Tätigkeiten, die für heute noch so anstanden. Ich machte mir einen vagen Plan zurecht, nickte zufrieden und verließ schließlich das Büro.     +++     Hier stand ich also, genauso wie zig andere Menschen vor mir. Das konnte doch nicht wahr sein, ehrlich jetzt! Selten war es im Supermarkt so voll wie heute, aber natürlich geschah es ausgerechnet dann, wenn ich so gar keine Zeit dafür hatte. Dabei wollte ich doch nur Hundefutter kaufen – übersehen wir mal die Cup-Nudeln, die ich mir als Vorrat für die nächsten Tage anschaffen wollte. Vielleicht hätte ich den Einkauf doch lieber gleich am Morgen getätigt, dann müsste ich mir diesen Stress jetzt nicht geben. „Uhm … möchten … möchten Sie vielleicht vorgehen?“ Die weibliche Stimme vor mir erregte meine Aufmerksamkeit. Hätte sie mich nicht direkt angesehen, ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass sie mich soeben angesprochen hatte. Nun, ihre Augen begutachteten anscheinend lieber den Boden vor meinen Füßen als mein Gesicht. Als sich unsere Blicke begegneten, wandte sie ihren Kopf ruckartig wieder geradeaus. Hatte ich sie etwa verschüchtert? Nach einigen Sekunden wurde mir klar, dass auf meinem Gesicht nach wie vor ein Ausdruck purer Ungeduld geschrieben stand. Sie hatte das wohl persönlich genommen, wenn ich das richtig verstand. Ich schaute auf das Kassenband links von mir. Sehr viel mehr als ich hatte sie auch nicht vor zu kaufen und trotzdem unterbreitete sie mir das großzügige Angebot, vorgelassen zu werden. „Klar, gerne“, erwiderte ich sichtlich verspätet und kam mir ehrlich gestanden auch ein wenig unhöflich dabei vor. Andererseits hatte ich nicht alle Zeit der Welt, außerdem bot sie mir das ja freiwillig an. Die Frau vor mir wirkte noch immer ziemlich eingeschüchtert, wenn auch entspannter als vorher. Ich lächelte sie dankbar an, nahm meine Sachen vom Band und schlängelte mich an ihr vorbei. Da sich noch mindestens fünf weitere Personen vor mir befanden, drehte ich mich zu der unbekannten Frau herum und sah sie neugierig an. „Danke, ähm …“ Ich machte eine demonstrative Pause in der Hoffnung, sie würde mir ihren Namen verraten. Immerhin wäre es schön zu wissen, wem ich diese nette Geste zu verdanken hatte. Entweder, sie bemerkte meine unausgesprochene Frage und wollte sie nicht beantworten oder aber, ihre überfällige Reaktion war auf das langsame Erkennen meines Hinweises zurückzuführen. Ich wusste es nicht, aber letztendlich war es mir auch egal, denn ans Ziel gelangte ich letztendlich doch. „H-Hinata. Mein N-Name ist … Hinata …“ Weiterhin versuchte sie meinen Blicken so gut es ging auszuweichen. Es verwirrte mich – wirkte ich etwa so einschüchternd, dass man mir nicht einmal in die Augen sehen konnte? Eigentlich hatte ich bisher nie zu hören bekommen, dass ich jemandem durch meine bloße Präsenz Angst einjagte, viel eher bekam ich das Gegenteil zu hören. Seltsame Frau. „Danke, Hinata“, sprach ich den Satz von vorhin zu Ende und grinste sie an mit der unterschwelligen Hoffnung, ihre Angst – oder was auch immer das war – auf diese Weise zu mildern. Ich warf wieder einen Blick auf die Schlange vor mir. Zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass ich nur spärlich vorankam. Vielleicht konnte ich mich in der Zwischenzeit mit Hinata bekannt machen. Schließlich liebte ich es, neue Leute kennenzulernen und neue Freunde dazu zu gewinnen. Auch wenn ich nach wie vor den Eindruck hatte, dass sie sich in meiner Gegenwart unwohl fühlte. Aber das würde sich schon noch ändern, da machte ich mir keine ernstzunehmenden Sorgen. „Kommst du direkt von der Arbeit, Hinata?“ Sie zuckte merklich auf, wohl, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass wir weitere Worte miteinander wechseln würden. Ich musterte sie einmal kurz. Sie trug eine weiße Wollmütze, mit der sie einen Teil ihres langen, dunkelblauen Haares verdeckte. Ihre Haut war hell, aber nicht blass und ihre Wangen von den kalten Außentemperaturen leicht rosa verfärbt. Das auffälligste an ihrer Person waren aber ohne Zweifel ihre Augen. Nicht nur ihre Farbe war ungewöhnlich, sondern ebenso sehr die Tatsache, dass das Weiß ihrer Iris sich auch auf ihre Pupillen überschlug und sie förmlich verschlang. Es war irreführend und faszinierend zugleich, ganz anders als meine Augen. Und doch erinnerten sie mich an die onyxfarbenen Augen meines besten Freundes, dessen Iris sich ebenfalls kaum von seinen Pupillen unterscheiden ließen.   Sie nickte zögerlich, sagte aber nichts weiter, um das Gespräch am Leben zu erhalten. Ich erkannte die Nervosität an ihren Fingern, die sich wie verrückt ineinander verhakten, voneinander abließen und dasselbe Spiel von vorne spielten. Langsam kam ich mir wirklich vor wie ein gewalttätiger Verbrecher, der nur Böses im Schilde führte. Aber ich war nicht Naruto, wenn ich so einfach aufgab! „Wo arbeitest du denn?“, versuchte ich es diesmal mit einer anderen Art von Frage, bei dem kein stummes Nicken oder Kopfschütteln genügte. In wechselnden Abschnitten schaute sie zu mir hoch und wieder auf den Boden. „In … in einem Kindergarten, nicht unweit von hier …“, erwiderte sie so leise, dass ich Mühe hatte sie zu verstehen. Um es mir ein bisschen einfacher zu machen, ging ich einen halben Schritt auf sie zu, bedachte dabei allerdings erst im Nachhinein, dass ich ihr damit womöglich zu nahe treten könnte. Aber da sich hinter ihr ein Einkaufswagen befand, blieb ihr sowieso keine Möglichkeit, weiter nach hinten zu auszuweichen. Schnell wurde auch ihr diese Sackgasse bewusst. Viel zu fröhlich strahlte ich sie an, obwohl ich mich eigentlich gar nicht so fühlte, aber ich tat es ihr zuliebe. „Coole Sache. Andererseits ist es bestimmt sehr anstrengend, mit so vielen unterschiedlichen Kindern auf einmal klarzukommen.“ „E-Eigentlich nicht… Es macht mir Spaß, mich um die Kinder zu kümmern … ich empfinde das nicht als Last, eher als Segen.“ Überrascht zog ich die Augenbrauen in die Höhe. Zuerst, weil ich nicht erwartet hatte, dass sie doch noch einen vernünftigen Satz zustande bekam, ohne ins Stottern zu geraten. Dann aber, weil sie das mit einer solchen Genugtuung sagte, dass es mich positiv überraschte. Ich stellte mir diesen Beruf alles andere als einfach vor. Hinata jedoch war anzusehen, dass sie ihrer Tätigkeit mit Leidenschaft nachging und das war etwas, das mich tatsächlich freudig stimmte. Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und setzte ein so breites Grinsen auf, dass ich damit bestimmt Ähnlichkeit mit einem kleinen Bengel hatte. „Dann bist du dort ja gut aufgehoben. Das freut mich für dich.“ Was auch immer ich Falsches gesagt hatte, dass Hinata augenblicklich puterrot anlief – es brachte mich zum Lachen. In gewisser Hinsicht war sie ja doch niedlich. Langsam glaubte ich nicht mehr daran, dass sie ernsthaft Angst vor mir hatte. Ich hielt es für wahrscheinlicher, dass sie von Natur aus ein sehr schüchterner, introvertierter Mensch war, dem es einfach nur wahnsinnig schwer fiel, sich Fremden gegenüber zu öffnen. Nun ja, nicht jeder konnte so aufgeschlossen sein wie ich. Sasuke war da das beste Beispiel.   Ich konnte ihr die nächste Frage von den Lippen ablesen, war mir aber nicht sicher, ob sie es noch zustande brachte sie auch laut auszusprechen. Die Chance wollte ich ihr allerdings nicht nehmen, sodass ich geduldig abwartete. „U-Und … sie …?“, fiepte sie leise, brachte es aber wenigstens zustande, mir dabei in die Augen zu schauen. Ich merkte, es würde nicht so einfach werden, wie ich es mir anfangs ausgemalt hatte. Irgendwie tat sie mir schon ein bisschen leid, wenn sie bei den meisten ihrer Mitmenschen die Unsicherheit so sehr einholte wie jetzt. Sie brauchte eindeutig mehr Selbstbewusstsein, um lockerer mit solchen Alltagssituationen wie diesen umzugehen. „Du.“ Hinata begegnete mir mit einem verwirrten Ausdruck im Gesicht. „Sag ‚du‘ zu mir, das ist mir lieber.“ Zumal ich meinerseits sowieso schon angefangen hatte, sie ungefragt zu duzen. „Okay“, gab sie sich einverstanden und nickte, um ihr Einverständnis hervorzuheben. „Ich arbeite in einer Tierklinik, die meinen Eltern gehört. Zurzeit ist ganz schön viel Betrieb, aber damit stehen wir ja nicht alleine da. Allein, wenn ich mich hier umgucke“, ich blickte demonstrativ einmal durch den ganzen Supermarkt, „erkenne ich auf Anhieb, was die bevorstehende Weihnachtszeit auslöst.“ „Das ist schön.“ Sichtlich überrascht, ich würde sogar fast meinen verdutzt, starrte ich sie an – ein Fehler, wie ich gleich darauf feststellen durfte. Kaum hatte sie es geschafft ihre Schüchternheit zu überwinden und völlig ungezwungen mit mir zu sprechen, schon verdarb ich alles und ließ sie in ihr altes Schema verfallen. Beschämt kratzte ich mich am Hinterkopf und drehte diesen schließlich in die andere Richtung, um es nicht noch schlimmer zu machen. Komischerweise schien es zu funktionieren. „Du … du tust den Tieren, die Hilfe brauchen, etwas Gutes“, sprach sie völlig unerwartet weiter, sodass ich ihr wieder meine ganze Aufmerksamkeit schenkte. Diesmal versuchte ich allerdings nicht ganz so auffällig zu starren. „Das ist ein sehr rechtschaffener Beruf.“ Irrte ich mich oder hörte ich tatsächlich so etwas wie Stolz aus ihrem Munde heraus? Ich war mir da ehrlich gesagt nicht so sicher, aber sie brachte mich damit, gewollt oder ungewollt, in leichte Verlegenheit. Natürlich wusste ich, dass die Arbeit, der ich nachging, eine durch und durch anständige war. Trotzdem bekam ich das selten so direkt von einem Außenstehenden zu hören. Ein Gefühl von unermesslicher Zufriedenheit breitete sich in meinem Innern aus. „Danke, Hinata.“ Ich hatte schon damit gerechnet, dass sie ihr Gesicht gleich wieder vor mir zu verbergen versuchte, weshalb es mich nicht sonderlich wunderte, als sie es wie auf Knopfdruck tat.   Die Zeit verging schneller als zuvor, was ich allein meiner neuen Gesellschaft zu verdanken hatte, sodass ich mich nun der Dame an der Kasse gegenüber stehen sah. Nachdem ich alles bezahlt und in eine große Tüte verstaut hatte, warf ich einen letzten Blick zu Hinata hinter. Irgendetwas in den Augen dieser Frau sagte mir, dass sie mit der Situation nicht allzu glücklich war. Ich konnte allerdings nicht sagen, wieso. Da ich es jedoch nach wie vor eilig hatte und sie mich nicht umsonst vorgelassen haben sollte, verabschiedete ich mich an dieser Stelle von ihr. „Hat mich gefreut dich kennen zu lernen, Hinata.“ Ich hob die Hand und winkte ihr zu. „Wir sehen uns bestimmt bald wieder. Lass dich nicht von den Kleinen auf die Palme bringen.“ Ein paar Sekunden wartete ich noch, ob sie mich vielleicht auch noch verabschieden wollte oder ob sie noch irgendetwas anderes, wichtiges loswerden wollte, aber es kam nichts. Und ich hatte keine Zeit, noch länger zu warten. Also wandte ich mich um und verließ den Supermarkt. Mir war nicht nach rennen, also machte ich stattdessen große Schritte, die mich schnell vorwärts trieben. In meinem Auto sitzend warf ich die Tüte auf den Beifahrersitz und schnallte mich an. Ich schaltete den Motor an – und dann erst fiel mir ein, dass ich etwas vergessen hatte, was nur Idioten vergessen konnten: Ich hatte Hinata meinen Namen nicht verraten! Gut, das war bei weitem kein Weltuntergang, aber schon ein wenig unhöflich von mir, so im Nachhinein betrachtet. Vielleicht war es ja das, was sie mich zum Ende hin fragen wollte? „Oh man, da verwickele ich ein fremdes Mädchen in ein Gespräch ohne auf die Idee zu kommen, mich bei ihr vorzustellen. Ganz große Klasse.“ Seufzend meiner eigenen Verpeiltheit wegen schüttelte ich den Kopf. Beim nächsten Aufeinandertreffen mit ihr würde das das Erste sein, was ich ihr über mich erzählte. Es war schon vorteilhaft wenn man wusste, mit wem man es zu tun hatte. Da ich jetzt aber eh nichts mehr daran ändern konnte, schaffte ich den Gedanken beiseite und schaltete mein Navigationssystem ein, um herauszufinden, wo sich mein nächstes Ziel, nämlich die Wäscherei, befand.     +++     Es war laut um mich herum, wahnsinnig laut. Die Musik dröhnte schon seit einer geschlagenen halben Stunde aus den großen Boxen direkt in meine Ohren. Ich merkte erst etwas von dem sachten Gefühl der Taubheit, als ich mehr schlecht als recht aus der Tanzfläche heraus stolperte und mich von ihr entfernte. Ich suchte nach meinem Sitzplatz und steuerte mein Ziel geradewegs an. Hier würde ich meine Ruhe haben, denn außer meiner Person saß niemand am Tisch. Ich zog mir Schal und Jackett über und griff in die Tasche, um mein Handy zum Vorschein zu holen. Eine ungelesene SMS sprang mir entgegen, die von niemand anderem stammte als von meinem besten Freund. Ich machte mich gerade daran die Frage, wann ich denn losgehen würde, zu beantworten, da legte sich von jeder Seite jeweils eine Hand auf meine Schultern. Ich wusste zuerst nicht, in welche Richtung ich zuerst schauen sollte, aber das war gar nicht mehr nötig. Denn während ich meiner grinsenden Mom in die Augen sah, kam mein Dad von der anderen Seite daher gedackelt und stellte sich neben sie. „Du hast doch nicht etwa vor schon zu gehen?“, wollte er von mir wissen und ich fragte mich, ob ich das den beiden nicht schon im Vornherein mitgeteilt hatte. „Die Party ist noch in vollem Gange, du kannst uns doch jetzt nicht einfach verlassen“, schaltete sich nun meine Mom mit ein, ohne auch nur eine Sekunde lang ihr Grinsen abzulegen. Ich wusste ohne Zweifel, von wem ich diese Angewohnheit hatte. „Mom, Dad“, begann ich mit erhöhter Lautstärke, damit man mich überhaupt verstehen konnte. „Ich bin noch mit meinen Freunden verabredet. Nicht mehr lange und es ist Mitternacht, dann kann ich es mir gleich sparen. Ich kann nicht sie nicht länger warten lassen.“ Meine Eltern wechselten einen nachdenklichen Blick miteinander, bis mich mein Dad fragte: „Redest du von Sasuke und Sakura?“ Meine Antwort belief sich auf ein schlichtes „Ja“, gefolgt von einem Nicken. Wieder sahen sich meine Eltern gegenseitig an, diesmal jedoch erschien es mir ein wenig suspekt. Wieso lächelten die beiden sich so verschwörerisch an? Ich traute ihnen nicht. „Na gut, dann wollen wir dich mal nicht weiter aufhalten. Versprich mir, dass du vorsichtig fährst.“ Wie, als hätte sie mich in Gestalt eines kleinen Kindes vor sich, kniff sie mir in die Wange. Ich zog den Kopf zur Seite, um ihrer Hand zu entkommen. „Hör auf damit, ich bin doch kein Kind“, ermahnte ich sie, wohl wissend, dass meine Worte vermutlich wieder spurlos an ihr vorbei gehen würden. Aber ich würde mir die Mühe nicht machen, wenn ich nicht wenigstens einen Funken Hoffnung hätte, dass sich das irgendwann änderte. „So, ich werd dann mal.“ Ich warf einen Blick auf die Tanzfläche auf der Suche nach meinen Freunden, die sich dort vermutlich noch immer amüsierten. Mich wieder ins Getümmel zu stürzen, nahe den gigantischen Boxen, die meine Ohren betäubten, wollte ich mir allerdings nicht antun. Wenigstens hatte ich sie vorgewarnt, dass ich heute früher losgehen würde. Und sollten sie sich doch wundern, konnten sie jederzeit auf meine Eltern zukommen, die sie dann entsprechend aufklärten. „Viel Spaß euch noch“, meinte ich gelassen und hob die Hand zum Abschied. Sie winkten mir hinterher, sodass ich das als Zeichen auffasste, dass ich mich keinen weiteren Fragen oder Späßen stellen musste und beruhigt gehen konnte.   Das Leder meines Autositzes war bequemer als die Stühle im Saal und verschaffte meinem Körper eine herrliche Erleichterung. Obwohl ich schon viel zu spät dran war, fühlte ich mich nur mäßig unter Druck gesetzt. Morgen war ein freier Tag, das bedeutete, keiner von uns dreien brauchte zu befürchten, dass er unausgeschlafen in einen mühseligen Arbeitstag startete. Ich nahm wieder mein Handy in die Hand und las die neue SMS, die mein bester Freund mir hatte zukommen lassen. Nun, da ich den genauen Treffpunkt kannte, konnte ich den Motor starten und losfahren. Etwas Gutes hatte die späte Uhrzeit dann trotzdem: Ich konnte das Tempo meines Wagens beschleunigen – bei lauter Musik, wohlgemerkt –, ohne dabei auf viele Hindernisse im Straßenverkehr zu stoßen, wie es tagsüber der Fall gewesen wäre. So über die Straßen zu düsen war schon eine echt coole Sache. Entsprechend schnell, was ich wiederum fast bedauerte, erreichte ich mein Ziel. Doch der Gedanke an meine Freunde erhellte meine Laune auf Anhieb, sodass ich voller Vorfreude auf den kleinen Imbissstand mit der Aufschrift »Ichirakus Ramen« zuschritt. Von weitem erkannte ich bereits die zwei Gestalten, die es sich auf den Hockern hinter dem halblangen Vorhang gemütlich gemacht hatten. Ich vernahm Sakuras Lachen und sah, wie sie meinem Kumpel vertraut über den Arm strich. Ich stutzte. Hatte ich irgendetwas verpasst oder so? Andererseits waren die beiden ziemlich gut befreundet oder besser gesagt, wir drei bildeten eine Gruppe, bei der die Freundschaft an erster Stelle stand. Jeder einzelne von uns würde alles für den anderen geben, egal wie tief er auch in der Scheiße steckte. Obwohl wir Sakura erst seit drei Jahren kannten, hatten wir sie bereits fest in unser Herz geschlossen. So schnulzig das auch klingen mochte, aber sie war uns beiden die wichtigste und beste Freundin, die man nur haben konnte, auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer danach aussah. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass ich ihr bei unserer ersten Begegnung ausversehen meinen Eisbecher gegen die Brust geworfen hatte…   Bei der wiederkehrenden Erinnerung daran bekam ich eine Gänsehaut ohnegleichen. Wenn Sakura erst einmal Rot sah, dann konnte man eigentlich nichts weiter tun, als dem Leben ‚Auf Wiedersehen‘ zu sagen und sich seinem bevorstehenden, grausamen Schicksal zu stellen. Sakura musste wirklich Erbarmen mit mir gehabt haben, schließlich lebte ich noch. Meinen vorherigen Gedankengang hatte ich schon wieder völlig vergessen, aber da ich in diesem Moment sowieso hinter dem Vorhang auftauchte und auf mich aufmerksam machte, war das ja egal. „Hey, Freunde“, rief ich begeistert und schaute die beiden abwechselnd an. Auf Sakuras Gesicht machte sich ein Lächeln breit und ehe ich mich versah, schloss sie mich freudig in die Arme. Eine wohlige Wärme füllte mich von innen heraus aus. Ich drückte sie so fest ich konnte, bis sie mir mit einer Kopfnuss zu verstehen gab, dass sie kaum noch Luft bekam. Anscheinend hatte ich ihre misslungenen Versuche, es mir mit Worten beizubringen, gekonnt überhört. Sasuke begrüßte ich natürlich nicht mit annähernd so viel Körperkontakt. Nicht, dass ich großartig etwas dagegen gehabt hätte ihn zu umarmen, aber es käme mir reichlich komisch vor meinen Kumpel auf dieselbe Weise zu begrüßen, wie ich es bei meiner besten Freundin tat. Außerdem war Sasuke sowieso nicht der Typ, der viel Wert auf körperliche Nähe zu seinen Freunden legte. Mit einem simplen Faustschlag und einem vielsagenden Blick taten wir die Sache ab. Auch den freundlichen alten Mann hinter der Theke begrüßte ich, immerhin war ich Stammgast hier, was nicht zuletzt daran lag, dass er sein Geschäft zwei Mal in der Woche bis zwei Uhr nachts noch geöffnet hatte. Ich machte es mir auf dem Barhocker neben Sakura gemütlich und blickte meine Freunde erwartungsvoll an. „Schick siehst du aus“, sagte sie und musterte mich auffällig von oben bis unten, dass es mir fast schon peinlich war. Tja, so war das eben, wenn man nicht tagtäglich im Anzug herum lief. „Danke“, erwiderte ich stolz – es kam nicht oft vor, dass mir Sakura Komplimente machte, weswegen ich jedes einzelne von ihnen schätzte. Schade nur, dass Sakura so schnell das Thema wechselte, ich hätte mich gern weiter in ihrem Lob gesudelt. „Das hat ja ganz schön gedauert. Hat man dich etwa nicht gehen lassen?“, wollte Sakura von mir wissen, woraufhin ich mich leicht nervös am Hinterkopf kratzte. „Ja, auch … aber eigentlich hab ich die Zeit vergessen“, gab ich beschämt zu, versuchte dies allerdings mit einem saudoofen Kichern zu überspielen. „Du bist mir ja einer“, erwiderte sie und drückte mir ihren Ellenbogen in die Rippen. Nicht so stark, dass es mich gestört hatte, aber es war schon deutlich spürbar. Auf ihrem Gesicht erkannte ich das Vergnügen, das sie dabei hatte, mich zu ärgern. „Wir haben ja noch die ganze Nacht vor uns“, schaltete sich nun auch mein wortkarger bester Freund mit ein, der sich wie immer durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Ich hatte allerdings nicht vor mich mit diesem Thema weiter auseinander zu setzen, denn meine Gedanken kreisten seit meiner Ankunft immer wieder nur um eine Sache: Essen! „Drei Mal Ramen, bitte!“, rief ich dem Besitzer zu, der nebenbei erwähnt die allerbeste Nudelsuppe der Welt zubereitete! Niemand, aber auch gar niemand würde je mit ihm konkurrieren können. Natürlich ging ich davon aus, dass meine Freunde auch Hunger hatten, ansonsten säßen wir wohl kaum hier. „Was habt ihr heute nach der Arbeit gemacht?“, erkundigte ich mich und lehnte mich vor, um mich mit den Unterarmen am Tresen abzustützen. Mir entging nicht dieser seltsame Blick, den Sakura Sasuke kurz zuwarf. Sie schien verunsichert zu sein, weswegen auch immer. Es gab Dinge wie diese, die irritierten mich ungemein. Und Frauen waren besonders begabt darin ebensolche Dinge zu tun. Sakura war da keine Ausnahme.   „Wir waren Weihnachtsgeschenke kaufen“, antwortete Sasuke anstelle von Sakura, um ihrer kurzzeitigen Verunsicherung – oder was auch immer sich dahinter verbarg – ein Ende zu bereiten. Ich hinterfragte das nicht weiter, denn sogleich fiel mir etwas sehr Wichtiges ein. Ich beabsichtigte nämlich herauszufinden, was ich meinen besten Freunden zu Weihnachten schenken könnte. In solchen Angelegenheiten war ich wirklich einfallslos, also musste ich ihnen aufmerksam zuhören, bis vielleicht – oder eher hoffentlich – einer der beiden mir unbewusst einen Hinweis mit auf den Weg gab. „Cool! Im Gegensatz zu mir seid ihr ja zeitig dran. Habt ihr denn auch was gekauft?“ Diesmal übernahm Sakura wieder das Sprechen.  „Ja, aber das sind eher Kleinigkeiten. Bei den größeren Geschenken wissen wir selbst noch nicht so genau, was wir überhaupt holen wollen.“ Gut, dann stand ich, was das anging, mit diesem Problem zumindest nicht alleine. Auch wenn mir dieser Satz auf der Zunge brannte, zügelte ich mich, ihn laut auszusprechen. Die beiden sollten schließlich keinen Verdacht schöpfen, wenn ich mal eine etwas direkte Frage stellte. „Für wen sind denn die Geschenke?“ Punktgenau nachdem ich diese Frage stellte, schob uns der freundliche Ladenbesitzer die Schüsseln hin. Meine Augen wurden bei dem Anblick der dampfenden Nudelsuppe ganz groß und auch mein Mund weitete sich gierig. Der Duft der würzigen Suppe stieg mir in die Nase und ließ mich beinah auf den Tresen sabbern, aber mir gelang es, es gerade noch so zu verhindern. Die auf der Oberfläche schwimmende Fischpastete – kleine, weiße und runde Scheiben, die am Rand eine Zickzackform hatten und in der Mitte eine rosa Spirale aufzeigten – war übrigens mein Namensvetter und der Grund, weshalb ich ‚Naruto‘ hieß. Keine Ahnung, was meine Eltern sich dabei gedacht hatten. Vielleicht hatten sie ja eine Eingebung gehabt oder sowas wie einen sechsten Sinn, der ihnen sagte, dass ich Ramen abgöttisch lieben würde? „Haut rein, Leute!“ Ohne meine Freunde anzusehen, riss ich die Schüssel an mich, trennte die Essstäbchen voneinander und machte mich hungrig über mein Essen her. Ganz egal, dass ich vor drei Stunden bereits eine große Mahlzeit zu mir genommen hatte. Für Ramen hatte ich immer genügend Platz in meinem Magen. Obwohl ich die Nudeln vorher kalt pustete, waren sie noch heiß genug, dass ich mir fast die Lippen verbrannte. Aber das machte nichts, daran gewöhnte ich mich schnell. Nur so schmeckten sie am besten, außerdem musste ich mich beeilen, bevor die Suppe kalt wurde! Meine Freunde kannten diese Art von mir schon sehr gut, deshalb störte ich mich auch nicht daran, dass sie das mit einem Kopfschütteln abtaten. Sie würden meine Begeisterung für diese Speise vermutlich nie teilen, aber solange sie sich diese überhaupt mit mir gönnten, konnte mir das gleichgültiger nicht sein.   „Die Geschenke sind für Kollegen und Freunde“, erzählte Sakura plötzlich und riss mich damit aus meinen Gedanken rund um die köstlichen Ramen, die mir die Tränen in die Augen trieben. Oder lag es vielleicht daran, dass ich das Essen zu schnell in mich hinein stopfte? Ich schluckte den Happen herunter, der meinen Mund in eine kugelrunde Form versetzt hatte und sah die beiden an. Doch außer einem kurz angebundenen „Ah“ als Zeichen meiner Aufmerksamkeit verließ kein Wort meine Lippen – ich war immerhin damit beschäftigt, meine Nudelsuppe so schnell wie möglich aufzuessen! Meinetwegen konnten die beiden mir ihre Lebensgeschichte erzählen, ich würde zuhören, aber sie durften keineswegs von mir verlangen, dass ich mich an dem Gespräch beteiligte. Ich hörte Sakura neben mir seufzen, dann kichern und dann mit Sasuke über dieses und jenes reden. Er antwortete zwar genauso knapp wie ich vorhin, aber manchmal verließen dann doch ein paar sinnvolle Sätze seinen Mund. Besser als gar nichts und für Sakura zumindest einigermaßen zufrieden stellend. Insbesondere deshalb, weil ich dafür bekannt war mehr als eine Schüssel Ramen zu verdrücken. Heute beließ ich es bei nur zwei Schüsseln, aber das sah beim nächsten Mal bestimmt wieder anders aus. Gesättigt und zufrieden strich ich über meinen dicken Bauch. Wissend, dass ich wieder für jegliche Gespräche bereit war, wandte sich Sasuke an mich. „Wir haben uns überlegt, dass wir dorthin gehen.“ Hastig fügte Sakura hinzu: „Heute haben wir eine sternenklare Nacht. Lass uns das ausnutzen.“ Die beiden sahen mich an, als würde die Entscheidung ganz allein von mir abhängen. Als wüssten sie nicht schon längst, was ich davon hielte, zumal sie mich bei einer Absage so oder so umstimmen würden. Zugegeben, ein wenig reizen tat es mich schon zu behaupten, mir gefiele dieser Vorschlag nicht. Einfach nur um mitzuerleben, wie sie sofort jegliche Argumente aus ihren Taschen ziehen würden, um mich zu überreden. Letzten Endes verkniff ich mir diesen kleinen Spaß aber. „Gut, wollen wir dann gleich los?“ „Ja“, rief mir Sakura mit einem aufgeregten Strahlen entgegen, ehe wir unser Essen bezahlten und uns auf den Weg machten.   Da ich der einzige mit einem Auto war und Sasuke nur sein Motorrad zur Verfügung stehen hatte, fuhren die beiden natürlich bei mir mit. Nur so machte es schließlich Spaß und nicht zu vergessen die laute Musik, bei der Sakura und Ich wie Betrunkene ungeniert mitsangen. Sasuke dagegen saß nur stumm daneben, mal lächelnd, mal mit den Augen rollend. Nach nur einer halben Stunde Fahrzeit erreichten wir unser Ziel in Form einer riesengroßen Wiese. Das winterliche Wetter hatte das Gras schon halb austrocknen lassen, sodass nun anstelle von frischem Grün ein ermatteter, nahezu gräulich schimmernder Grünton die Landschaft bedeckte. Im Dunkeln fiel die Farbe kaum weiter auf, so unscheinbar war sie. Völlig unerwartet packte mich eine Hand und zog mich vorwärts. Als ich bemerkte, dass es niemand geringeres als Sakura war, die sowohl mich als auch Sasuke hinter sich her zog, entfuhr mir ein verwirrtes „Sakura? Was tust du?“. Mein Atem beschleunigte sich und wurde in Form von weißem Rauch vor mir sichtbar. Die kühle Luft spendete meinen Lungen eine Erfrischung, die mich sogleich lebendiger fühlen ließ. Entgegen meiner und Sasukes Erwartungen – ich las es ihm deutlich im Gesicht ab – lachte sie jedoch nur. Es war irgendwie ein erheiterndes Lachen, das mich glücklich machte, obwohl ich nach wie vor nicht kapierte, was es damit auf sich hatte. Ich schielte zu Sasuke, der nicht weniger irritiert auf mich wirkte und fragte ihn leise: „Habt ihr irgendwas getrunken, bevor ich dazu kam?“ Er schüttelte den Kopf und hob Schultern und Unterlippe als Zeichen dafür, dass er sich selbst nicht erklären konnte, was hier gespielt wurde. Also ließen wir es einfach über uns ergehen, bis Sakura beschloss, stehen zu bleiben. Genauso abrupt, wie sie uns vorhin gepackt hatte, warf sie sich ins Gras und riss uns – da sie uns immer noch an den Händen hielt – mit zu Boden, auf den wir etwas unsanft aufkamen. Das Gras fühlte sich kalt unter meinem Körper an, trotz der Klamotten, die meine Haut bedeckten. Meine Augen erhaschten unweigerlich den Himmel über mir und sogleich war mein Eindruck begleitet von einer Unmenge an Faszination dem Sternenzelt gegenüber. Ich glaubte, egal wie oft ich hierher kam und mir dieses Spektakel zugute führte – ich würde mich nie daran gewöhnen können. Und das war auch gut so, denn so versetzte mich dieser Anblick jedes Mal aufs Neue in wahrhaftiges Staunen.   „Schaut mal“, riss mich Sakura später aus meinen Gedanken, „der große Bär.“ Ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung und versuchte anschließend, ihrem Blick zu folgen. Meine Augen verzogen sich zu Schlitzen auf der Suche nach dem Sternbild, das sie augenscheinlich sah. Unter dem Haufen unzähliger Sterne war es gar nicht so mal einfach, das Gesuchte zu finden. Ob Sasuke den großen Bär schon ausfindig gemacht hatte? Wie als hätte Sakura meine Gedanken gelesen, hob sie den Finger in die Luft und deutete in den Winterhimmel. „Dort. Eins …“ Ich folgte ihren Bewegungen und versuchte zeitgleich, mich auf die leuchtenden Punkte zu konzentrieren.  „… zwei … drei … vier …“ Das Viereck war geschlossen und endlich erkannte auch ich das Sternbild – trotzdem fuhr sie fort. „… fünf …“ In meinem Kopf erzeugte ich dicke, weiße Linien, bis sich das Bild zu einem Ganzen zusammenfügte. „… sechs … und sieben …“ Unkontrolliert schlich sich ein Lächeln auf meine trockenen Lippen, aber ich verlor kein Wort. Wir genossen die ungewohnte Stille der Nacht, nahmen mit jedem Atemzug etwas von der kalten Luft in uns auf und ließen uns von diesem atemberaubenden Winterhimmel verzaubern. Es hatte einen guten Grund, warum das hier unser Lieblingsort war. Aber dieser Ort wäre nie so etwas Besonderes, hätte ich nicht meine Freunde, mit denen ich hier sein könnte. Ich zuckte kaum merklich auf, als Sakura zum zweiten Mal in Folge nach meiner Hand griff und sie fest in ihre schloss. Verwundert sah ich in ihre Richtung und bemerkte dabei, wie Sasuke es mir gleichtat. Da wurde mir bewusst, dass sie auch seine Nähe gesucht und gefunden hatte. Unsere Blicke trafen sich kurz, bis Sasuke ihn zurück zum Himmel wandte, während Sakura sich von alldem nicht beirren ließ. In ihren großen, grünen Augen spiegelte sich das silberne Licht der Sterne wider und obwohl ich sie gerne weiter beobachtet hätte, ließ ich es bleiben, um die Atmosphäre zwischen uns dreien nicht zu zerstören.   „Ich bin froh, dass ich euch habe“, sagte sie sanft. In ihrer Stimme schwang ohne Zweifel eine Glückseligkeit mit, die auch mir vor Augen führte, wie zufrieden ich sein konnte. Ich hatte die treuesten Freunde der Welt; die besten, die man sich nur vorstellen konnte. Sie waren ein Schatz, den ich auf ewig wahren und wie meinen Augapfel hüten würde. Meine Finger schlossen sich fester um ihre Hand und drückten eine unmissverständliche Zustimmung aus. Ich wusste nicht, wie lange wir hier noch lagen, aber irgendwann holte mich die Müdigkeit ein, gegen die ich mich nicht sehr lange zu wehren versuchte. Vermutlich nahm ich deswegen auch die Kälte stärker wahr, denn augenblicklich spannten sich meine Muskeln an. Mir fiel nur eine Lösung ein, um der rücksichtslosen Kälte wenigstens ein bisschen entgegen zu wirken. Mit halb geöffneten Lidern rief ich leise den Namen meiner besten Freundin, die mir neugierig in die Augen schaute. Im Gegensatz zu mir sah sie noch hellwach aus – ein Grund mehr, weshalb ich keine Anstalten machte zu fragen, ob wir uns zum Auto zurück begeben sollten. „Darf ich mich an dich kuscheln?“ Meine Frage schien sie zu überraschen, denn sie sah mich an, als machte ich Scherze. Dabei meinte ich es durchaus ernst, zumal ich keinerlei Hintergedanken dabei hatte. Die romantischen Gefühle, die ich anfangs ihr gegenüber empfunden hatte und sich letztendlich als einfache Schwärmerei herausstellte, hatte ich längst abgelegt. Die Müdigkeit ergriff immer mehr von mir Besitz, sodass ich zeitweise die Augen kaum noch offen halten konnte. Ich vernahm noch das belustigte „Okay“ Sakuras, drehte mich auf die Seite, legte einen Arm um ihren Bauch und drückte meinen Körper gegen ihren. Mir wurde nicht sofort wärmer, aber nach und nach drang die Wärme zu mir durch und taute meine Glieder auf. Ihre Nähe tat mir gut. Mit dem Wissen, dass die beiden mich schon wecken würden, wenn sie nach Hause fahren wollten, schloss ich die Augen und gab mich meinem Schlaf hin.     +++     Es war kalt, als ich erwachte. Viel zu kalt dafür, dass ich normalerweise in einem warmen Raum, unter einer warmen Decke und auf einer weichen Matratze wach wurde. In meinem Hals hatte sich ein Kloß festgesetzt, den ich durch ein kurzes Räuspern beseitigte. Etwas war komisch hier. Es war so furchtbar hell an diesem Morgen und irgendetwas lag in meinen Armen, das ich im ersten Moment nicht zu identifizieren wusste. Nun gut, es wäre vielleicht nicht schlecht, zu allererst einmal richtig wach zu werden, bevor ich noch wilde Spekulationen aufstellte. Mit einer Hand rieb ich mir den Schlaf aus den Augen, dann gähnte ich einmal herzhaft und setzte mich aufrecht hin. Um mich herum befand sich … nichts. Nur eine riesengroße, graue Wiese, die längst verdorrt war. Die Sonne ließ den Himmel in einem hellen Blau erstrahlen, das der Farbe meiner Augen gar nicht so unähnlich war. Aber Moment mal. Bedeutete das etwa, das ich – wir – uns noch immer hier draußen, in freier Wildnis befanden? Wenn ich nicht gerade träumte, dann musste es wohl so sein. In meinen Erinnerungen fand ich ohnehin keinen Hinweis darauf, dass wir nachts noch zurück gefahren waren. Ich sah zu den zwei Gestalten neben mir. Meine Freunde lagen friedlich schlafend da, Sakura halb auf Sasuke liegend und trotzdem mit einem leichten Zittern begleitet. Ich konnte mir nicht erklären warum, aber dieser Anblick brachte mich unweigerlich zum Grinsen. Auch wenn sich die beiden in meiner Gegenwart manchmal merkwürdig steif verhielten, dachte ich mir in diesem Augenblick nichts dabei, dass sie so eng umschlungen nebeneinander lagen. Schließlich hatte ich Sakura auch die ganze Nacht über in meine Arme geschlossen, denn Kuscheln hielt bekanntlich warm. Wenn man keine Decken dabei hatte, musste man sich eben anderweitig aushelfen. Ich beobachtete meine besten Freunde noch eine kleine Weile, immerhin bekam ich sie nicht oft schlafend zu Gesicht. Da kam mir eine kleine Idee. Schnell zückte ich mein Handy und machte die Kamera an, um die Erinnerung an diesen Tag in einem Foto festzuhalten. Den beiden würde es sicherlich nicht gefallen, dass ich sie hier ungefragt fotografierte, aber ich musste es ihnen ja auch nicht verraten. Zufrieden steckte ich mein Handy wieder weg und warf mich zurück ins Gras. Vorsichtig legte ich meinen Arm um Sakuras Bauch, atmete den Geruch ihrer nach Blüten duftenden Haare ein und schloss die Augen. Wir hatten heute alle Zeit der Welt, insofern sah ich keine Notwendigkeit darin, die beiden jetzt schon zu wecken. Gut, ich musste noch möglichst vor dem Mittag nach Hause, bevor Kurama noch die ganzen Nachbarn weckte, aber zumindest verhungern oder verdursten würde er nicht, dafür hatte ich gestern Abend ja gesorgt.     +++     „Sicher, dass ich dich nicht nach Hause fahren soll?“ Mit herunter gelassener Autoscheibe sah ich zu Sakura hoch, die einen Helm in ihrer Hand hielt, jederzeit bereit, ihn aufzusetzen. Sie schüttelte den Kopf. „Du musst in die andere Richtung. Sasuke setzt mich dann einfach vor meiner Tür ab.“ Ich wagte einen Blick zu meinem Kumpel, der seinerseits den Helm bereits aufgesetzt hatte. Durch das hoch geschobene Visier war ein Blick in seine dunklen Augen aber noch möglich. „Ich mach das schon“, gab er mir zusätzlich zu verstehen, was Sakura dazu veranlasste, sich den Helm aufzusetzen und hinter Sasuke auf den marineblauen, sportlichen Suzuki aufzusteigen. „In Ordnung“, gab ich mich geschlagen, lächelte dann aber. Bei ihm war sie ja auch in guten Händen. „Macht’s gut, ihr beiden.“ „Man sieht sich“, erwiderte Sakura, wohingegen Sasuke nur nickte – nichts, was ich nicht schon kannte. Ich hörte noch den startenden Motor von Sasukes Motorrad, dann kurbelte ich mein Fenster hoch und fuhr los.   Zuhause angekommen sprang mich Kurama ohne jeden Skrupel an und warf mich hart zu Boden. Selbst wenn ich ihm dafür hätte böse sein wollen, ich hätte es nicht gekonnt. Der Junge hatte mich nur vermisst, schließlich hatte er mich seit gestern Abend, direkt nach meinem Einkauf, nicht mehr zu Gesicht bekommen. Es wäre eine Schande ihn dafür zu verurteilen. Seine Zunge, die mir unaufhörlich über Wangen und Nase leckte, kitzelte mich, doch ich lachte nur über dieses übertriebene Verhalten meines Hundes. „Ist ja gut“, sagte ich und versuchte, Kurama wenigstens ein bisschen von mir wegzudrücken, da sein Gewicht schwer auf meinem wog. Als er aber nach einigen Minuten immer noch nicht zum Ende kam, drückte ich mich mit aller Kraft nach oben. „Schon gut, Kurama, ich hab verstanden“, gab ich von mir, aber keinesfalls ungeduldig oder genervt. Ich strich ihm über sein buschiges Fell und versuchte damit, ihn zu besänftigen – mit Erfolg. „Ich hab dich auch vermisst, mein Großer.“ Ich war mir sicher, Kurama hatte die genaue Bedeutung dieser Worte nicht verstanden, aber sein aufgeregtes Bellen verriet mir, dass er sie wenigstens im weitesten Sinne erfasst hatte. „Na was ist, wollen wir eine Runde spazieren gehen?“ Wie auf Knopfdruck bellte Kurama ein weiteres Mal, was ich als eindeutiges Bejahen auffasste. „Du musst aber warten, bis ich mich fertig gemacht habe.“ Wenigstens mein Gesicht wollte ich von seinem Sabber waschen. Meinen Smoking brauchte ich jetzt wohl kaum zu wechseln, er war sowieso schon wieder reif für die Wäscherei. Noch während ich mir lauwarmes Wasser ins Gesicht spritzte und diesen Vorgang zwei weitere Male wiederholte, zerrte Kurama an meinem Hosenbein. „Nicht so ungeduldig, wir gehen ja gleich“, meinte ich und riss mich von seinem Maul los, bevor er mir noch einen Riss in diese sündhaft teure Hose verpasste. Schnell hatte ich mein Gesicht trocken gerubbelt, wobei ich mich nun wunderte, wo Kurama plötzlich abblieb. Ich fand ihn vor der Haustür wieder, wo er frech mit seinem Schwanz wedelte und voller Ungeduld hechelte. Er bellte laut, fast schon befehlend, dass ich mich beeilen solle. „Schon gut, du Nervenbündel, ich bin ja fertig.“ Ich öffnete die Tür und Kurama stürmte auf der Stelle nach draußen. Belustigt schüttelte ich meinen Kopf. „Du bist mir echt einer …“   Wir liefen durch die Straßen, die noch nicht ganz so belebt waren, wie es in ein paar Stunden der Fall sein würde. Kurama lief neben mir her, wobei er sich mittlerweile meinem Tempo angepasst hatte, ganz anders als noch zu Anfang. Unser Weg führte uns zum Stadtpark, der zum Glück nicht sehr weit von meinem Zuhause entfernt lag. Die Bäume waren durch die niedrigen Außentemperaturen und den stetig wiederkehrenden, starken Windböen – von denen mich in der letzten halben Stunde bereits mehrere heimgesucht hatten – ohne Ausnahme kahl geschoren. Augenblicklich bereute ich es keine richtige Jacke mitgenommen zu haben, denn das Jackett spendete mir nur mäßig Wärme. Im Auto war es weitaus erträglicher, oder eben in Sakuras Armen. Schade nur, dass sie nicht in der Nähe war, auch wenn ich nicht mit Sicherheit behaupten konnte, dass sie das in dieser Situation auch zugelassen hätte. Im Blickwinkel nahm ich wahr, wie Kurama plötzlich stehen blieb. Ich tat es ihm gleich und folgte seinem Blick, der nach links zeigte, doch ich erkannte nicht den Grund seines Zögerns. „Was ist da, Kurama?“, fragte ich und kniete mich zu ihm nieder. Meine Augen durchsuchten weiter das Gebiet, das Kurama im Visier hatte, doch außer zwei Parkbänken, mehreren entblätterten Bäumen und einem menschenleeren Weg, der sich dahinter befand, fiel mir nichts auf, was ich als ungewöhnlich bezeichnen würde. Kurama bellte ein Mal, dann sprintete er los – und ich ihm, mit verspäteter Reaktion, hinterher. „Warte“, rief ich ihm zu, doch glaubte ich wirklich, er würde meiner Anweisung Folge leisten? „Kurama“, fügte ich hoffnungslos hinzu und folgte ihm immer weiter, bis er um eine Ecke bog und ganz aus meinem Sichtfeld verschwand. Ich legte einen Zahn zu und mahnte mich für das nächste Mal, ihn an die Leine zu nehmen, damit ich solche spontanen sportlichen Aktivitäten am frühen Morgen nicht noch öfter über mich ergehen lassen musste. Der Schrei einer Frau machte mich stutzig, denn er kam aus genau der Richtung, in die Kurama verschwunden war. Was zum Teufel hatte er bloß angestellt, er war doch sonst auch ein friedliebender Junge. Ich bog endlich um die Ecke und entdeckte eine junge Frau, wie sie auf dem staubigen Parkboden saß. Um sie herum lagen ihre Handtasche und eine große Tüte, aus der wild verstreut kleine, gefüllte Weihnachtsservietten lagen, die oben mit einem Geschenkband verschlossen waren. Kurama schleckte der Frau über das Knie, was mich sichtlich wunderte. Noch bevor die Frau von mir Notiz nahm, lief ich auf die beiden zu und kniete mich hin, um Kurama mit sanfter Gewalt von ihr wegzuziehen. „Kurama! Was ist bloß in dich gefahren?“ Meine Stimme klang aufgebracht, aber das sollte sie auch. Schließlich deutete alles darauf hin, dass Kurama diese Frau umgeworfen hatte, wieso auch immer er das getan hatte. Dass Kurama mich mit dieser unschuldigen Miene besah, machte die Sache nicht gerade besser. „Seit wann schmeißen wir denn einfach wildfremde Leute um, sag mal?“ Anstatt mir seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken, riss sich Kurama von mir los und setzte seine Schnauze wieder an das Knie der Frau, die bei dieser Berührung merklich aufzuckte. „Kuram-“   Ich hielt inne, als ich endlich in das gesenkte Gesicht der Fremden blickte. Meine Augen wurden bei der Feststellung, dass sie mir gar nicht so unbekannt war, wie ich anfangs angenommen hatte, größer. „Hinata!“ Schon wieder zuckte sie auf, diesmal war ich und nicht Kurama allerdings die Ursache. Sie vergrub ihre untere Gesichtshälfte tiefer in ihren Schal und wagte kaum, mich anzusehen. Sie war so ganz anders als meine anderen Freunde, dass es mich zeitweise verwirrte und mir das Gefühl gab, etwas Falsches gesagt oder getan zu haben. „H-Hallo …“, begrüßte sie mich nun leise, sehr leise, aber immerhin begrüßte sie mich. In diesem Moment wurde mir wieder bewusst, dass ich solche Momente wie eben einfach nicht persönlich nicht nehmen durfte. Es lag lediglich an ihrer schüchternen Art lag, dass sie nicht so locker mit mir umgehen konnte. Nun gut, ich konnte es nicht sicher wissen, aber lieber redete ich es mir ein, bevor ich noch verzweifelt meine eigene Persönlichkeit hinterfragte. An der Stelle ihres rechten Knies konnte ich ein großes Loch in ihrer schwarzen Strumpfhose ausmachen, das eine blutende Schramme zum Vorschein kommen ließ. „Das sieht nicht gut aus“, gab ich ihr zu verstehen und kramte in meiner Hose nach einem Taschentuch. Dummerweise … hatte ich keines dabei. „Hast du Taschentücher dabei, Hinata?“ Sie nickte und zeigte auf ihre Handtasche, die ich sogleich zu mir zog. Ohne zu fragen öffnete ich diese und wühlte in ihren Sachen herum, bis ich eine Packung Taschentücher fand. Ich nahm mir eins heraus und drückte es vorsichtig auf ihre Wunde. Ihr Bein fuhr einige Male hoch, als der fremde Stoff ihr Knie berührte, aber da musste sie jetzt durch. Kurama kassierte gleich einen weiteren bösen Blick von mir, den Hinata bemerkt zu haben schien, denn sie sagte: „Es ist nicht seine Schuld. Ich … ich bin gestolpert.“ Sie deutete auf den etwas größeren Stein, der mitten im Weg lag. „Ich habe nicht aufgepasst … und dann war dein Hund plötzlich da …“ Verblüfft sah ich zu Kurama. Er hatte also nichts Schlimmes verbrochen? Und ich hatte ihn einfach so verurteilt, obwohl mir die ganze Sache von Anfang an komisch vorkam… Mein schlechtes Gewissen meldete sich zu Wort. Reuevoll strich ich meinem Hund durch die rotbraune Mähne. „‘Tschuldige, Kumpel. Ich hätte wissen müssen, dass du sowas nicht machst.“ Und dann fügte ich hinzu: „Danke, dass du Hinata gefunden hast.“   Kurama bellte ein paar Mal und ich war froh, dass er mir mein Missverständnis nicht übel nahm. Dann wandte ich mich an Hinata. „Komm, ich helfe dir auf.“ Ich legte einen Arm um sie, nahm sie bei der Hand und hievte sie vorsichtig nach oben. „Kannst du stehen?“, wollte ich wissen, damit ich sie wieder loslassen konnte, bevor sie noch ein weiteres Mal Bekanntschaft mit dem Boden machte. „Ja, es geht schon“, erwiderte sie nickend, sodass ich von ihr abließ. Gleich darauf bückte ich mich wieder, um ihre Sachen aufzusammeln und in die Tüte zu verstauen. Dabei entging mir nicht das Zittern ihres Knies, und als ich ihr die Tüte wiedergeben wollte, ließ ich es in letzter Sekunde bleiben. Stattdessen übergab ich die Tüte meinem treuen Begleiter, der mit seinem Maul nach den Tragegriffen schnappte. „Übernimmst du das, ja, Kurama?“ Er wedelte bestätigend mit dem Schwanz. Ihr verwirrter Ausdruck war nur zu verständlich, ich hätte vermutlich genauso geschaut. „Ich sehe doch, dass dir das Stehen schwer fällt. Deshalb begleite ich dich.“ Dieses Angebot würde sie wohl kaum abschlagen können. Ich grinste ihr frech entgegen und trat neben sie. „Ich schaffe das alleine … wirklich“, versuchte sie sich zu rechtfertigen, aber so einfach ließ ich mich nicht unterbuttern. Dafür war meine helfende Ader dann doch zu stark, in solchen Momenten mutierte ich gerne zu einem Dickkopf. „Mag sein, aber wenn ich schon einmal hier bin, kann ich dir auch gleich unter die Arme greifen.“ Ohne jede Vorwarnung schnappte ich mir ihren Arm und legte ihn um meinen Nacken. Sie quiekte leise auf. Meine andere Hand stützte ich an ihrer Hüfte ab, ehe ich uns langsam loslaufen ließ. Von alleine hätte sich Hinata vermutlich gar nicht erst vom Fleck bewegt. „Was ist denn in den Servietten drin?“ Neugierig, wie ich war, interessierte mich das doch sehr. Ich glaubte zwar es zu wissen, aber so konnte ich gleich mal die Gelegenheit nutzen, ein Gespräch zu beginnen. „Plätzchen. Ich habe gestern Abend gebacken.“ Meine Augen wurden ganz groß. „Lecker! Ich liebe Plätzchen!“ Ich versuchte erst gar nicht, meine Begeisterung dafür zu verbergen. Wozu auch? „Für wen sind die denn gedacht?“ „Ich … ich wollte sie gerade meiner Familie bringen. Wir fahren später noch gemeinsam zu meinem Cousin.“ Sie wirkte gleich um einiges selbstbewusster, als sie über ihre Familie sprach. Doch dieser kurze Höhepunkt verschwand gleich wieder, denn mit einem Mal wirkte sie wieder kleinmütiger denn je. „W-Willst du vielleicht … auch welche haben?“ Obwohl es nicht in meiner Absicht lag sie dazu bringen, mir dieses freundliche Angebot zu unterbreiten, pflichtete ich ihr ungezwungen bei. „Super gerne! Ich bin mir sicher, sie schmecken fantastisch“, entgegnete ich voller Vorfreude. „Das … das hoffe ich“, erwiderte sie leise, aber ich erkannte ein zartes Lächeln auf diesen Lippen, das ich getrost als kleinen Erfolg meiner Mission ‚Hinata auftauen‘ erachtete. „Du sag mal, Hinata“, begann ich, als mir eine spontane Idee kam, auf die mich erst der Gedanke an leckeren Plätzchen und mein unauffällig brummender Magen aufmerksam gemacht hatten. Da wir den Ausgang des Parks fast erreichten hatten, hatte ich einen einwandfreien Blick auf die große Uhr, die nahezu majestätisch in den Himmel ragte.   09:35 Uhr.   „Hast du vielleicht Lust in ein Café zu gehen?“ Irritiert zog ich die Augenbrauen in die Höhe, als sie anfing total nervös herumzudrucksen. Vielleicht war es besser, wenn ich meinen plötzlichen Sinneswandel weiter ausführte. Sie fühlte sich sicher überrumpelt. „Ich habe heute noch nicht gefrühstückt und deine Plätzchen haben meinen Hunger nur verstärkt.“ Verlegen kicherte ich vor mich hin. „Ich, uhm …“ „Bitte sag mir, dass du noch etwas Zeit hast.“ Ich zog die Unterlippe hoch und versuchte es mit Kuramas Taktik, dem unwiderstehlichen Hundeblick. Der wirkte eigentlich immer! Nur … dass ich das Gefühl hatte, Hinata damit eher ganz schön in Bedrängnis zu bringen. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment bewusstlos umkippen, wenn ich nicht auf der Stelle damit aufhörte. Sofort setzte ich meine erwachsene Fassade – wenn man sie so nennen konnte – wieder auf und merkte, wie sich ihr Körper entspannte. Hinata war wirklich das genaue Gegenteil von Sakura, daran musste ich mich erst einmal gewöhnen. Aber Sasuke war der beste Beweis, dass ich auch mit dieser verschwiegenen Art von Mensch umgehen konnte. Hinata sollte da keine Ausnahme darstellen. Die beiden waren zwar ganz unterschiedlich, aber wenn sie etwas gemeinsam hatten, dann war es ihre Introvertiertheit. Aber das war für mich kein Hindernis, höchstens eine Herausforderung. „Ein bisschen Zeit habe ich noch“, ließ sie mich wissen und mit einem Mal hellte sich meine Miene auf. „Das ist großartig!“, rief ich fröhlich und sah auf die andere Straßenseite, auf der Suche nach irgendeinem Café, das sich in unserer Nähe befand. Schnell war dieses gefunden und ich führte uns dahin. Und genau in dem Moment, als wir den Laden betraten, fiel mir wieder ein, was ich ihr schon von Anfang an sagen wollte. Ich war ja so ein Dummdödel, das schon wieder zu vergessen! Es war dringend Zeit, das hier und jetzt nachzuholen, noch vor allem anderen. Ich kam mir zwar reichlich bescheuert dabei vor, aber was soll’s. Ich setzte den coolsten Blick auf, den ich hatte und wartete darauf, dass sie ihn erwiderte. „Übrigens, mein Name ist Naruto.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)