Marshmellows von Kaylien ('Vorgeschichte' von 'Gin Tonic') ================================================================================ Kapitel 1: Woran... denkst du? ------------------------------ Seine rechte Hand liegt auf meinen gewellten, blonden Haaren. Mit der linken fährt er mir über den Rücken. „An was denkst du?“ fragt er leise. Sein Atem streicht über mein kaltes Ohr. „Denkst du… an den Geruch von Regen?“ Er stupst mir auf die Nase. Hör auf… „Denkst du… an den Geschmack von Marshmellow?“ Er fährt mir über die Lippen. „Oder…“ er beugt sich noch weiter nach vorne „denkst du… vielleicht an… deine Mama?“ Säuselt er. „Wie sie daliegt, japsend, nach Luft schnappend, in ihrem eigenem Blut?“ Sein lachen legt sich klebrig über mein Gesicht. „Wie sie weint, wie sie schreit… nach dir… nach mir?“ Seine Lippen pressen sich hart auf meine. Ich versuche den Kopf weg zu drehen. Vergeblich. Hilfe. Hilfe. Hilfe… „Tom! Tom! Komm zu mir! Komm zu Mama!“ Lachen ein kleines Kind wackelt lachend auf eine glücklich wirkende, hübsche Frau zu. Als es stolpert, hat sie es längst aufgefangen und hebt es hoch. Sie kitzelt es am Bauch. „Na? Willst du ein Eis?“ Fragt sie liebevoll. Das Kind brabbelt fröhlich drauf los. „Komm, wir hohlen dir eins!“ Die Frau stellt das Kind auf seine Füße. Sie nimmt es bei der Hand und läuft gebückt neben ihm her. Beide lachen glücklich. Kapitel 2: Atmen ---------------- Einatmen, Ausatmen. Einatmen, Ausatmen. Weiter schlagen. Nicht aufhören. Weiter. Einatmen, Ausatmen. Einatmen, Ausatmen. Stille. „Keine Angst. Du bist allein…“ flüstert sie. „Willkommen zurück!“ Überall schwarz. Hallo Dunkelheit. „Beruhig dich. Ich bin für dich da, immer…“ flüstert sie. Eisen Geschmack auf meiner Zunge. Blut. Ich rieche es. Überall… Ich habe Angst. Panische Angst. Ich hasse Blut. Einatmen, Ausatmen. „Schließ die Augen…“ Die Kälte streicht mir mit langen Fingern über die Augen. „Schlaf weiter…“ säuselt sie klirrend. „Ich komm dich später abholen…“ Sie gibt dem Jungen einen schnellen Kuss auf die Wange. Der Junge wischt ihn unwillig ab. „Mama! Ich bin schon groß! Lass das!“ Er schielt zu seinen Freunden. Seine Mutter lacht. „Wir sehen uns später, Großer! Bei der Imbissbude.“ „Tom? Kommst du?“ Der Junge nickt, dreht sich um und rennt zu den anderen und winkt seiner Mama noch einmal kurz zu und läuft zu den anderen. Kapitel 3: Pommes ----------------- Die Fesseln Scheuern an meinen Handgelenken und zerren meine Arme unbarmherzig nach oben. Kaltes Blut läuft meine Arme herab. Ich spüre seine warme Hand auf meinem Bauch. Verzweifelt bäume ich mich auf. Sein Lachen, als er meinen Hals küsst. Tonlos Schreie ich in den Knebel. Kalte Tränen versickern in der Augenbinde. Sein kranker, stinkender Atem verseucht die Luft. „Hallo Tom! Und, wie war dein Tag?“ „Langweilig!“ Der Junge verzieht das Gesicht. „Langweilig! Die Nina nervt mich dauernd und macht lärm! Und sie zieht die Tanja ganz gemein an den Haaren! Und..." Die Frau hinter dem Tresen der Imbissbude beugt sich mit missmutigem Gesichts Ausdruck über den Tresen. "Bestellst du Knirps heute noch, oder nicht?!?" schnauzt sie schlecht gelaunt. "Einmal Currywurst mit Pommes, bitte." Kapitel 4: Mami und Papi... --------------------------- "Mama! Wo ist Mama?" Ich schreie in die Schwärze. "Pscht." Beruhigend hält die Dunkelheit meine Hand. "Sie kommt nie wieder." Flüstert das Stroh traurig. "Das ist Julian, dein neuer Papi" Der fremde Mann legt seinen Arm um die Frau. "Hey Tom! Ich hab schon viel von dir gehört..." meint er mit sanfter, rauer Raucherstimme. Der kleine Junge mustert ihn. Der fremde, Julian, hat Schulter lange, braune, gewelkte Haare und freundliche, Haselnuss farbene Augen. Ein Schmunzeln hält sich in seinem Mundwinkel fest. "Hast du ein Auto?" fragt der Junge mit neugierig glänzenden Auge und stopft sich eine Hand voll Pommes in den Mund. Kapitel 5: Pinguine ------------------- Heiße Finger huschen wie Spinnen über meinen Körper. Ätzender Atem fährt in meine Nase. Ein Kreischen füllt meine Ohren. Ich schmecke kaltes Blut. Ich vermisse die Kälte; die Stille; die Dunkelheit. Der Junge hüpft fröhlich über den Schotterweg. "Guck mal! Die Pinguine!" Er deutet sich auf die sich ins Wasser stürzenden Vögel. "Ich möchte auch ein Pinguin sein..." mit glänzenden Augen verfolgt er die Vögel durch das Aquarium Glas. In dessen Spiegelbild sieht er, das er alleine ist. "Mama? Julian?" suchend geht er den Weg zu den Löwengehegen zurück. "Mama?" Die Frau steht mitihrem Partner eng umschlungen vor den Löwen. "Wo bleibt ihr denn?" lacht der Junge fröhlich. "Ihr müsst euch unbedingt die Pinguine anschauen kommen!" "Jajaja..." die Frau wedelt ihn mit einer Hand weg. Der Junge sieht seine Mutter mit großen Augen an. Kapitel 6: Gedichte... ---------------------- "In den Wipfeln mancher Bäume Streift der Wind nicht nur Geäst. Hier und da ein Kinderleib, Der die Beinchen baumeln lässt. Sonnenstrahlen küssen Fleisch, Das gestern noch voll leben war, Sieht man nur und riecht es nicht, Schein es schläft und träume gar. So wie einst in kleinem Bettchen, Als ich kam in kalter Nacht, Um alle in den Sack zu stecken, Habe sie hier her gebracht Und aufgeknüpft an langen Seilen, Brechen dicke Knoten Knochen Jede Schlinge ein Genick, Hals für Hals ist durchgebrochen." Haucht er mir mit rauer Stimme ins Ohr. Seine Händel liegen an meinem Kehlkopf "Morgen bin ich nicht da." Mit müden Augen versenkt eine Gabel in der Lasagne und wühlt desinteressiert darin herum. "Mama... was ist los?" "Nichts, nichts... ich bin nur müde..." Sie lächelt den Jungen aus verquollenen, übermüdeten Augen an. Ihr Gesicht scheint in den letzten Wochen um Jahre gealtert. Ihre Stirn liegt in tiefen Furchen und ihre Augen sind matt. Nachts hört er sie streiten. Die Frau, die einmal gelacht hat. Die seine Mutter war. Fröhlich spontan immer glücklich. Der Junge mustert sie Gedanken verloren. "Du kannst dir Pizza warm machen..." Der Junge nickt. Zum sechsten mal in dieser Woche wird er allein sein. Kapitel 7: Und immer tiefer... ------------------------------ Ich spüre Zähne an meinem Kehlkopf. Gierige Blicke, die mich verschlingen. Kalte Wut in schlanken Fingern. Hass im Herzen. Rache im Kopf. Mein Hirn platzt schier unter meinen Tonlosen schreien. "Na, gibst du auf?" Niemals. Der Junge sitzt zusammen gekauert vor dem großem Flachbildschirm auf dem Sofa. Im Schoß eine große Schüssel Eis. Die letzte Nacht hat er kaum geschlafen. Tiefe Augenringe zeugen von seinem Schlafmangel. Er verfolgt die Auto-Bots die sich schießend und prügelnd über den Bildschirm bewegen nur mit halbem Auge. Die Tür des geräumigen Zimmers öffnet sich, Julian tritt herein. Er scheint um keinen Tag gealtert zu sein, seit all den Jahren. Er lächelt den Jungen an. "Deiner Mama geht es bald besser. Der Arzt hat ihr neue Medikamente gegen ihre Depressionen verschrieben. Es geht bald wieder aufwärts." Er klopft dem Jungen freundlich lächelnd auf die Schulter. Kapitel 8: Einsamkeit und Lügen... ---------------------------------- Ein Seufzer durchreißt die Stille. Ist er zurück? Ich hebe schwach den Kopf. Die Kälte umfängt mich. Küsst die Kratzer auf meiner Haut. Ein Wispern im Dunkeln. "Tanz mit mir!" Ein Windhauch spielt mit meinen Haaren. "Sing mit mir!" Kreischt der Regen. "Hast du mich vermisst?" Die Tür fällt klickernd ins Schloss. "Vergib mir." Seufzt die Kälte. Der Windhauch versteckt sich in den Spinnweben unter der Decke, der Regen verstummt und feige versteckt sich die Dunkelheit vor meinen blinden Augen. Nur die Kälte bleibt und hält mich in ihrer eisigen Umarmung. "Hallo Mama! Du glaubst nicht, was wir heut in der Schule gelernt haben!" Er wirft den Schulranzen schwundvoll in die Garderobe. "Mama?" Er zögert. Da ist nichts. Keine Antwort. Nur Stille. Und Schreie. "Tom! Tom! Julian!" Stille. Keuchen. Atem. Angst. "Tom..." schwächer. Immer schwächer. Er läuft. Stolpert. Rutscht über den glatten Boden. In die Küche. In der Küche. Rot. Blut. Rotes Blut in Tropfen auf weißen Wänden. Blutschlieren auf den Schränken. Er taumelt. "Tom..." sie hustet. Ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Zurückstolpern. Lüge. Traum. Falsch. Nicht echt. Kann nicht echt sein. Unmöglich... Kapitel 9: Lauf... ------------------ Zusammenreißen. Das Lachen hallt noch immer in meinem Kopf und brennt in meinen Wunden. "Augen auf..." wispert die Dunkelheit "wir haben Besuch..." knarzten die Balken. Ich öffne die Augen. Eine Kerze leckt keck in die Luft. Ihr Licht scheucht die Dunkelheit kichernd über die rissigen Wände. Ein Schatten lugt scheu hinter einem Becher hervor. "Willst du nicht trinken...? Ich schlucke. Meine Kehle schreit nach Feuchtigkeit. Ich greife nach dem Becher. Die Kerze leckt mit Funkenfingern spielerisch nach dem Heu. Das Heu knistert ängstlich. "Nicht!" Ich hebe den Becher an die Lippen. Die Flüssigkeit brennt sich in meinen Magen, ohne Feuchtigkeit zu hinterlassen. Kichernd erlischt die Kerze. Die Dunkelheit umfängt mich. Sie küsst meine Lippen. "Lass los..." flüstert sie. "Lauf!" Die Lichter stechen mir in die Augen, jagen mich durch die dunklen Straßen. Mein Puls rast. Immer wenn ein Auto kommt, werfe ich mich an die Wand. Mache mich unsichtbar. Ich verstecke mich unter einer Brücke. Wie lange ist es her, das meine Mama starb? 100 Jahre? Wenigstens scheint die Sprache gleich geblieben zu sein... Der Wind pfeift kalt unter der Brücke durch. Er bringt den Gestank einer schlafenden, dreckigen, kranken Stadt. Kapitel 10: Dienste und Schatten -------------------------------- "Sie hat mir gute Dienste geleistet..." Ich möchte Schreien um mich schlagen. Der Knebel trocknet meinen Mund aus. Die Fesseln klirren. Mit seinen Fingernägeln fährt er langsam über meine Beust. "Zu schade, dass sie sterben musste... sie war hübsch..." Ich winde mich, versuche mich aus seinem Griff zu drehen. Hilflos. Er lacht. Ich kann sein Gesicht vor meinem inneren Auge sehen. Das sympathisch Lachen, er immer in seinem Mundwinkel festgehalten hat. Er lässt es frei. Und es kriecht schleimig, giftig auf seine Opfer zu und spinnt sie ein. In ein Netz aus Angst und Hilflosigkeit. "Diese Halluzination-Medikamente bringen es immer wieder..." Er lacht und küsst meinen Hals. "Die Welt ist grausam..." wispert er "Es geht nur ums Geschäft." Seine Stimme klingt fast fürsorglich. "Nur um das süße Geld..." Ich will nichtmehr... "Halt durch!" raschelt das Stroh und berührt mich mit seinen kratzigen Fingern. Ich mustere mein Spiegelbild, die Hände in der Jeans vergraben, das gestohlene Geld fest umklammert. Es sind knapp 200€. Jahre waren es sicher... meine Haare sind länger. Viel länger... Ich drehe mich um und gehe. Weg. Durch die Menschenmengen, die mich angewidert mustern. Ich ignoriere sie. "Was wissen die schon..." flüstern die Schatten mir zu. Ich lächle. Kapitel 11: Entkommen ~ Willkommen ---------------------------------- Das Blut macht die Handschellen rutschig. Ich spüre es. Meine Hände sind nass von dem vielen Blut. Sie sind taub. "Weiter! Weiter!" Feuert meine Freundin mich an. Ihre schweigende Stimme durchreißt die Stille in meinem Kopf. "Weiter! Weiter!" Ich zerre an meinen Händen. Plötzlich sind sie frei und die Kälte küsst meine Handgelenke. "Du hast es geschafft!" Flüstert die Dunkelheit, meine alte Freundin. Am Abend streife ich durch die Gassen. Lasse mich bewundern von den Schatten. Von der Dunkelheit. Meine Haare sind bunt und kürzer. Tattoos und Piercings zieren meinen Körper. Eine Umhängetasche mit Nieten hängt über meiner Schulter. Ich bin ein anderer. Und all das Geld ist weg. Die ganze Nacht laufe ich. Denke nach. Ich weiß nicht mehr wo ich bin, als die Sonne aufgeht. Die Sonne glänzt auf alten Autos, Tüten flattern im Wind. „Schrottplatz“ steht auf einem schiefhängenden, großen, rostigen Schild. Am einer Seite das schiefen Lattenzauns steht in verschmierter Grapity-Schrifft ‚Klar so weit.‘ Gleich darüber hängt ein gelbes Schild ‚keep out‘ Ich ziehe die Augenbrauen hoch Das kenn ich doch irgendwo her… „Fluch der Karibik… Ich liebe die Filme.“ Lautlos ist eine schwarze gestallt neben mir aufgetaucht. „Es ist immer wieder lustig, wie sehr der Spruch zu dem Schild passt…“ Sie grinst, streift sich eine schwarze Haarsträhne hinter ihr Ohr und schnipst ihre Zigarette weg. Sie mustert mich von unten bis oben. „Siehst nicht aus, als wüstest d nicht wirklich, wo hin…“ Meint sie sanft. Ich schüttele den Kopf. „Ich bin Tea, Willkommen im Paradiese!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)