Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 75: Wut und Unverständnis * ----------------------------------- Es war schon spät, als Nicholas vom Kickboxen zurückkam. René hatte darauf bestanden, dass sie sich danach noch ein paar Bürger genehmigten. Da er seinen Haustürschlüssel vergessen hatte, lief er durch den Garten zur Hintertür. Unter dem Gartenzwerg auf dem Fensterstock befand sich der Ersatzschlüssel. Diesen nahm er dann, um die Hintertür aufzuschließen und legte ihn wieder an seinen Platz zurück, falls er ihn wieder benötigte. Als er die Jacke aufgehängt hatte und durch den Flur an der Vordertür vorbeilief, bereute er es, nicht früher gegangen zu sein. Vor der Tür kauerte Luca, die Arme um den Oberkörper geschlungen und sichtbar frierend. Zuerst hatte er geglaubt, es sich einzubilden, aber der Blonde war wirklich hier. Er trug keine Jacke und die Hausschuhe waren durch den Schnee vollkommen durchnässt. Er öffnete die Tür und wollte Luca hereinlassen, aber der Blonde rührte sich nicht. Er schien ihn nicht einmal zu bemerken. Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, kniete der Schwarzhaarige sich neben ihn. Er streckte die Hand nach seinem Freund aus und fuhr ihm vorsichtig durch das Haar. Luca zuckte erschrocken zusammen. Dann, endlich, schaute er Nicholas an. „Lass uns reingehen“, sagte der Schwarzhaarige leise, mehr nicht. Er fragte nicht, was Luca hier tat oder wieso er vor der Tür gesessen hatte. Er würde eh keine Antwort erhalten. Er beobachtete, wie Luca versuchte, aufzustehen, es aber nicht schaffte. Nicholas wunderte das nicht weiter. Dem Zustand der Kleidung Lucas und dessen blauen Lippen zufolge, saß er hier schon eine Weile. An einigen Stellen war die Klamotten sogar gefroren. Vorsichtig hob Nicholas ihn auf seine Arme und trug ihn in das Haus in sein Zimmer, wo er ihn auf das Bett setzte. Langsam begann er, Luca aus den Klamotten zu schälen, was der Blonde widerstandslos über sich ergehen ließ. Er schien es noch nicht einmal richtig wahrzunehmen. Nicholas musste sich zwingen, ruhig zu bleiben und sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sich darüber erschrocken hatte. Er wollte Luca nicht verunsichern. Am liebsten wäre er zum Vater des Blonden gestürmt und hätte ihn zur Rede gestellt, doch das musste warten. Luca brauchte ihn. Er konnte ihn nicht allein lassen, nicht jetzt. Sheila, sie musste ihn beobachtet haben, brachte ihm eine Wärmeflasche und eine warme Decke. Dankbar nahm Nicholas sie entgegen und wickelte seinen Freund in die Decke. Er legte ihn auf das Bett, direkt neben die zuvor aufgedrehte Heizung und stopfte die Wärmeflasche auf der anderen Seite in die Decke. Das musste erst einmal reichen, um den Blonden wieder warm zu bekommen. Luca ließ das alles widerstandslos über sich ergehen. Das einzige, was darauf hindeutete, dass er Nicholas erkannt hatte, war die Anhänglichkeit. Immer wieder versuchte er, sich an den Schwarzhaarigen zu kuscheln und die Augen zu schließen. Als es nichts mehr zu tun gab, ließ Nicholas es dann zu. Er legte sich neben seinen Freund auf das Bett und fuhr ihm in regelmäßigen Abständen mit der Hand durch das Haar. Nur langsam wurde Luca wärmer. Ansprechbar war er immer noch nicht, aber er befand sich nicht mehr in diesem tranceähnlichen Zustand, sondern war eingeschlafen, was den Schwarzhaarigen etwas beruhigte. In seinem Zimmer war es inzwischen so heiß, dass er sich bis auf T-Shirt und Unterhose auszog. Trotzdem waren Lucas Finger noch kalt. Aber seine Haut hatte wieder eine normale Farbe. Erst jetzt traute Nicholas sich, den Blonden kurz aus den Augen zu lassen. Er schnappte sich sein Handy und kletterte wieder in das Bett. Eigentlich hatte er das schon früher tun wollen, es nur nicht gekonnt. Auch jetzt wagte er nicht, seinen Freund allein zu lassen. Aber er konnte es nicht länger hinauszögern. Er wollte Antworten, weswegen er die Nummer von Lucas Vater wählte und auf den grünen Hörer drückte. „Mertens hier“, antwortete der Mann, nachdem es kurz getutet hatte. Nicholas atmete noch einmal durch, um nicht zu schreien, er wollte seinen Freund schließlich nicht wecken, ehe er leise, aber deutlich sagte: „Du hast genau fünf Minuten, um zu erklären, warum Luca zu dieser Uhrzeit halb erfroren, ohne Jacke, nur mit Hausschuhen und nicht mehr ansprechbar vor meiner Haustür saß.“ Auf der anderen Seite der Leitung war es still. „Ich warte“, fuhr er deswegen fort. Er schaute auf seinen Funkwecker. „Noch vier Minuten.“ „Das kann nicht sein“, kam es gebrochen vom anderen Ende der Leitung, „Als ich wiedergekommen bin, hing seine Jacke an der Garderobe und ich hätte gehört, wenn er das Haus verlassen hätte.“ Nicholas schnaubte. „Natürlich hängt die Jacke noch dort. Sonst hätte Luca sie schließlich angehabt. Und jetzt sag mir endlich, was du getan hast, um ihn in diesen Zustand zu versetzen!“ Wieder war es kurz still. Diesmal antwortete Peter ihm allerdings: „Wusstest du, dass Luca schwul ist? Dass er einen Freund hat?“ „Natürlich“, antwortete Nicholas. So langsam begann er, zu erahnen, was passiert war, und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Hätte Peter vor ihm gestanden, wäre er sich nicht sicher gewesen, ob er nicht handgreiflich geworden wäre. Allein durch Luca, der neben ihm schlief, konnte er die nötige Selbstkontrolle aufbringen, nicht zu schreien. Auch seine Wortwahl kontrollierte er. „Ich hätte dich nicht für ein homophobes Arschloch gehalten!“ „Das bin ich auch nicht“, empörte sich der Mann, „Ich habe kein Problem, wenn andere homosexuell sind!“ „Aber wenn Luca es ist, oder was?“, bohrte Nicholas nach. Das Peter es nicht abstritt, war ihm Antwort genug. „Jetzt hör mir mal gut zu: Entweder du akzeptierst Luca so wie er ist, oder du verschwindest wieder aus seinem Leben! Er hat es schwer genug, auch ohne deinen Scheiß!“ „Das kannst du nicht machen! Luca ist mein Sohn!“, rief Peter. „Dann behandle ihn auch so“, verlangte Nicholas, „Dann ist er eben schwul, na und? Macht ihn das zu einem anderen Menschen?“ „Nein“, gab Peter betreten zurück, „Aber warum hat er es mir nicht gesagt? Warum musste ich während eines Essens mit einem Kollegen vom Sohn des besagten Kollegen erfahren, dass mein Sohn nicht nur schwul, sondern auch mit einem Jungen zusammen, den ich nicht kenne?“ Hätte Peter vor ihm gestanden, hätte er ihm spätestens jetzt geohrfeigt. „Das ist jetzt nicht dein Ernst!“, brauste er auf, sprach danach aber leiser weiter, „Hast du schon einmal daran gedacht, dass er dir noch nicht genug vertraut? Er kennt dich noch nicht einmal einen Monat! Außerdem wollte er dir das sicher in Ruhe sagen und so wie ich dich kenne, hast du wieder einen Großteil deiner Freizeit mit Arbeiten verbracht. Natürlich hat er es dir nicht gesagt!“ „Weißt du, wer sein Freund ist?“, fragte Peter. Einen Augenblick spielte Nicholas mit dem Gedanken, dem Mann von seiner und Lucas Beziehung zu erzählen, hielt es allerdings für keine gute Idee. „Was lässt dich glauben, dass ich dir das sage, wenn Luca es dir nicht gesagt hat? Ich werde ihn nicht hintergehen.“ Er hörte, wie Peter seufzte. Der Mann schien eingesehen zu haben, dass er von ihm keine Informationen bekommen würde. Aber er hatte Nicholas' Frage auch noch nicht vollständig beantwortet. „Mit wem warst du essen?“, wollte der Schwarzhaarige deswegen wissen. Vielleicht kam er dadurch an mehr Informationen. „Mit meinem Geschäftspartner Johann Lange. Sein Sohn geht in eure Klasse“, antwortete Peter. Beinahe hätte Nicholas das Handy fallen gelassen. Luca war mit Thomas Essen gewesen? Hoffentlich war da nichts passiert. Es lag noch nicht lange zurück, da war der Blonde das Opfer von Thomas und dessen Freunden gewesen. „Ich werde Luca erst einmal ein paar Tage hier behalten. Du freundest dich inzwischen mit dem Gedanken an, dass er schwul ist und kommst dann vorbei und sprichst noch einmal mit ihm. Dann kann er entscheiden, ob er mit dir mitkommen möchte oder nicht“, schlug er Peter vor. Der Mann schien zwar nicht besonders begeistert, stimmte aber zu. „Ich komme in drei Tagen vorbei. Bis dann.“ Danach legte er auf. Nicholas wählte unterdessen die Nummer seines besten Freundes. „Wo brennt's?“, flötete René so gut gelaunt in das Telefon, dass Nicholas beinahe wieder aufgelegt hätte. Ein paar Mal hatte er das auch schon getan. „Ich brauch die Nummer von Thomas“, sagte er nur. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)