Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 29: Gefühlsausbruch --------------------------- Als Luca und René die Gruppe erreichten, wurden sie bereits von Julian, Benni und Andy erwartet. Nicholas hatte gerade seinen nächsten Kampf. „Alles ok?", fragte Andy. Er schien besorgt zu sein. Luca nickte und zwang sich zu einem Lächeln. Er wollte nicht, dass die anderen sich um ihn sorgten, weswegen er sich wieder zu ihnen setzte und seinen schwarzhaarigen Klassenkameraden weiter zuschaute. Noch immer fand er brutal, was hier getan wurde. Andy neben ihm lachte. „Du kannst wirklich nichts mit Karate anfangen, oder?" Der Blondhaarige lächelte entschuldigend, ehe er nickte. „Tut das nicht weh?" Er deutete auf Nicholas Gegner, der gerade einen Schlag auf die Brust einsteckte. Andy schüttelte den Kopf. „Nicholas hat den Schlag vorher abgebremst. Auch wenn es sich hier um einen Kampfsport handelt, ist es nicht das Ziel, uns gegenseitig zu verletzen. Es geht eher um die korrekte Ausführung der einzelnen Techniken und die Platzierung der Schläge und Tritte, als die Kraft dahinter. Es gibt viele Regeln, die uns untersagen, unseren Gegner zu verletzen." „Verstehe", murmelte Luca. Das erklärte, warum er bis jetzt noch niemanden gesehen hatte, der sich ernsthaft verletzt hatte. Mit dem Wissen, dass sich alle zurückhielten, wirkte das Ganze gleich nicht mehr so brutal. Trotzdem konnte er sich Schöneres vorstellen. Er beobachtete weiterhin, wie Nicholas sich mit seinem Gegner prügelte, obwohl er wusste, dass 'prügeln' nicht der richtige Ausdruck war, nannte er es weiterhin so. Nicholas' Bewegungen schienen geübt. Er wich den Schlägern seines Gegners mit Leichtigkeit aus. Dabei fiel ihm auf, dass er sich so ganz anders bewegte, wie es Menschen normalerweise taten. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum er, als er sich mit Thomas und dessen Freunden auf dem Schulhof geprügelt hatte, ihnen so weit überlegen war. Er schlug nicht blind auf seinen Gegner ein, sondern setzte gezielte Treffer. Einmal nutzte er sogar dessen Schwung, um ihn über seine Schulter zu werfen. Der Gegner blieb am Boden liegen und Nicholas gewann. Zumindest meinte Andy das. Doch konnte Luca sich nicht viel aus den Fachbegriffen nehmen, die er während des Kampfes nannte. Einige Kämpfe später, Nicholas hatte es gerade ins Viertelfinale geschafft, sackte Andy neben Luca auf seinem Sitz zusammen. „Du Arsch, das zahl ich dir zurück", schimpfte er laut und bedachte Nicholas mit einem wütenden Blick. Luca blickte ihn verwirrt an. Sollte er sich nicht darüber freuen, dass sein Freund gewonnen hatte? Der Schwarzhaarige drehte sich zu ihm um und grinste. Luca hatte ihn noch nie so gelassen Grinsen sehen. „Dann wissen wir auch, wer heute Abend das Essen bezahlt“, flötete René gut gelaunt. Andy schnaubte, erwiderte aber nichts. „Du hättest eben nicht mit ihm wetten sollen“, meinte Julian, der sich bis jetzt leise mit Benni unterhalten hatte. Luca verstand gar nichts mehr. Worum hatten die beiden gewettet? Doch nicht etwa wie weit Nicholas in dem Turnier kam, oder? Andy lachte. „Letztes Mal ist Nicholas viel früher ausgeschieden, also habe ich gedacht, ich gewinne diese Wette mit Leichtigkeit. Woher hätte ich den wissen sollen, dass er in so kurzer Zeit so viel besser geworden ist. Im Training hält er sich immer zurück.“ „Weil du dich immer über die blauen Flecken aufregst“, neckte Julian ihn. Er, Benni und René lachten. Wenig später stimmte auch Luca mit ein. Andy schnitt eine Grimasse, grinste dann aber. Er zog sein Portemonnaie aus seinem Rucksack und zählte den Inhalt. „Irgendwelche Wünsche, wo wir heute Abend hingehen?“, wollte er wissen, „Sucht euch nur nichts zu teures aus.“ „Wir sind auf dem Weg an einer Pizzeria vorbeigefahren. Dort könnten wir halt machen“, meinte Benni. „Du und deine Pizza. Du bist ja schon süchtig danach“, scherzte Julian und klopfte seinem Freund auf die Schulter, „Von mir aus können wir Pizza essen gehen. Ich hatte schon eine Weile keine mehr.“ „Und du?“, wandte Andy sich an Luca. Dabei hatte er sich nach vorn gebeugt und war dem Blondhaarigen ziemlich nahe gekommen. Zu nahe. Luca blickte ihn erschrocken an, bevor er vor ihm zurückwich. Doch das schien Andy nicht weiter zu stören, er rückte einfach noch ein Stück näher an ihn heran. „Hey!“, ging René schnell dazwischen, „Jetzt bedräng ihn doch nicht so. Du siehst doch, dass er das nicht mag.“ Andy seufzte, setzte sich allerdings wieder zurück auf seinen Platz. „Ich weiß zwar nicht, was Nicholas über mich erzählt hat, aber ich beiße nicht, Kleiner.“ Luca nickte zaghaft. Das wusste er. Er wusste auch, dass Andy es nicht böse meinte. Es war ihm nur unangenehm, wenn ihm jemand zu nahe kam, egal ob er diese Person kannte oder nicht. Wenn er nicht damit rechnete, erschrak er sich. Bis jetzt war Nicholas der einzige, der von seinen Berührungsängsten wusste und Luca wollte, dass es so bleib. außerdem war es ja nicht so, dass andere ihn gar nicht anfassen konnten. Solange er sah, was sie taten, konnte er damit umgehen. Wenig später trat Nicholas gegen seinen nächsten Gegner an. Allerdings verlor er diesen Kampf. Luca war etwas enttäuscht, dass der Schwarzhaarige es nicht weiter geschafft hatte, aber er fand trotzdem, dass er gut gekämpft hatte. Es konnte ja nicht jeder gewinnen. Und außerdem hatte Andy ja eben gemeint, er hätte sich sehr verbessert. Nächstes Mal kam er bestimmt weiter. Nicholas schien seine Niederlage nicht weiter schwer zu nehmen. Mit einem Grinsen im Gesicht schlenderte er auf die Gruppe zu. „Du hast dich gut geschlagen“, meinte René sofort. Andy dagegen schaute ihn beleidigt an. „Hättest du nicht eine Runde früher verlieren können?“, schimpfte er. Nicholas hob die Augenbrauen. „Und euch gefräßiges Volk heute Abend durchfüttern? Vergiss es!“ Sein Blick fiel auf Luca. „Es wäre allerdings nett, wenn ihr die Besucher in Zukunft in Grenzen halten könntet.“ Das tat weh. Es war eine Weile her, dass Luca sich das letzte Mal so unerwünscht gefühlt hatte. Ohne wirklich zu realisieren, was er tat, erhob er sich und griff nach dem Handgelenk des Schwarzhaarigen. Er zog ihn in den Gang und noch ein paar Meter weiter, damit sie weit genug vom Rest der Gruppe entfernt waren und nicht mehr von ihr gehört werden konnten. Luca wusste nicht, woher er die Kraft nahm. Seine Hände zitterten, das bemerkte auch Nicholas, der sich widerstandslos hatte mitziehen lassen und ihn jetzt abwartend musterte. Er wusste nur, dass er genug vom abweisenden Verhalten seines Gegenübers hatte. „Wenn du mich nicht dabeihaben willst, dann sag es mir ins Gesicht“, flüsterte er. Sogar seine Stimme zitterte. Am liebsten wäre er weggelaufen, doch er zwang sich, das nicht zu tun. Nicholas zeigte keine Regung. Immer noch blickte er ihn abwartend an. Luca schluckte. „Dann werde ich dich nicht weiter belästigen.“ Er wandte sich zum Gehen. So war es besser. Er musste es beenden, bevor Nicholas ihm noch wichtiger wurde, bevor Nicholas irgendwann später entschied, dass er nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. „Warte“, rief der Schwarzhaarige und packte ihn am Arm, „So hab ich das nicht gemeint.“ „Lass mich los!“ Luca kämpfte gegen den Griff an, hatte allerdings keine Chance, da ihm die Kraft dazu fehlte. Nicholas war ihm körperlich mehr als nur überlegen. Der Schwarzhaarige schon ihn rückwärts durch den Gang, bis er gegen eine Mauer stieß. „Wie bitte kommst du auf die Idee, dass ich dich nicht dabeihaben will?“ Jetzt war Luca verwirrt. „Aber du hast doch eben gesagt-“ Sein Gegenüber unterbrach ihn. „Julian und Benni schleppen ständig irgendwelche Leute an. Irgendwann fängt das einfach an zu nerven.“ „Und warum hast du mich dann die ganze Zeit ignoriert?“ „Verstehst du nicht?“, brauchte Nicholas auf, „Die zwei versuchen, uns miteinander zu verkuppeln.“ Luca fuhr zusammen, konnte sich allerdings nicht rühren, da Nicholas ihn an beiden Schultern gegen die Wand presste. Er musste unbedingt Abstand zwischen sie bringen, bevor es zu spät war und er sich nicht mehr kontrollieren konnte. „Du tust mir weh“, sagte er deshalb. Der Schwarzhaarige lockerte den Griff etwas, ließ ihn allerdings nicht los, doch es war besser als nichts. Jetzt fühlte er sich nicht mehr ganz so stark bedrängt. „Du hast mich nie eingeladen“, fuhr der Blondhaarige fort, „Immer waren es die anderen, die mich gefragt haben, ob ich mitkommen möchte.“ Inzwischen standen ihm die Tränen in den Augen. Er konnte nicht länger ignorieren, was er vorhin bemerkt hatte. „Du warst es, der mich in eure Gruppe aufgenommen hat und trotzdem habe ich das Gefühl, dass du mich nicht dabeihaben willst. Hattest du nur Mitleid mit mir?“ Er zwang sich, Nicholas in die Augen zu sehen. Doch er erhielt keine Antwort. Unfähig, die Tränen noch länger zurückzuhalten, fing er leise an zu schluchzen. „Versteh mich nicht falsch. Ich bin dir wirklich dankbar, für alles, was du für mich getan hast. Aber ich will kein Mitleid. Ich will nicht nur geduldet werden, ich will dein Freund sein!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)