Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 7: Herr Peters' Fehler ------------------------------ Am Montagmorgen gelang es Luca, Thomas und dessen Gang aus dem Weg zu gehen. Er hatte sich auf dem Weg von der Bushaltestelle zur Schule noch ein Brötchen vom Bäcker geholt und gesehen, wie die vier vorbeigelaufen waren. Unauffällig war er ihnen gefolgt und als sie einen kurzen Abstecher zu einem Zigarettenautomat machten, war er so schnell er konnte in sein Klassenzimmer gerannt. Er staunte allerdings nicht schlecht, als er nicht, wie sonst immer, der erste war. Die Zwillinge Florian und Fabian, René, Rebecka und sogar Nicholas waren bereits anwesend. Sie standen neben den Lehrertisch und betrachteten den Lehrerstuhl. Fabian, der ruhigere der Zwillinge, zog ein Taschenmesser aus der Hosentasche, und begann, den Lehrertisch zu bearbeiten, während Florian zum Waschbecken lief und das Wasser aufdrehte. „Du musst warmes Wasser nehmen", wies Rebecka ihn an, „Sonst merkt Peters das sofort." „Das weiß ich selbst", brummte Florian, „Ich hab Jahre Erfahrung im Streiche spielen." René lachte. Dann fiel sein Blick auf Luca, der unschlüssig in der geöffneten Tür stand. „Du verpetzt uns doch nicht, oder?", fragte er. Luca schüttelte den Kopf, ehe er die Tür leise schloss und seine Schultasche auf seinen Platz warf. Er schluckte, sich an seinen Vorsatz von Samstag erinnernd, ehe er nach vorn ging und vor ihm stehen blieb. „Was willst du?", brummte Nicholas. „Ich- eh", stotterte Luca, „Danke. Wegen Freitag." René hob überrascht die Augenbraue. „Will ich wissen, was vorgefallen ist?" Nicholas hob die Schultern. „Haben ihn Freitagabend am Busbahnhof aufgegabelt. Julian und Benni wollten ihn nicht allein zurücklassen und es fuhr kein Bus mehr, also haben wir ihn mitgenommen und am nächsten Morgen zurückgebracht." „Wie nett von euch", meinte René, während Luca sich auf seinen Platz setzte. Irgendwie war ihm Nicholas am Freitag netter vorgekommen. Obwohl, wohl eher nicht. Sie hatten nach der Aktion auf dem Busbahnhof den ganzen Abend lang kein Wort miteinander gewechselt. Es war fast, als hätte Nicholas ihn ignoriert, seine Anwesenheit nur geduldet, weil etwas anderes Julian und Benni gegenüber unhöflich gewesen wäre. Als die anderen Schüler das Zimmer betraten, hatten sich die Zwillinge Florian und Fabian, René, Rebecka und Nicholas längst wieder auf ihre Plätze gesetzt und verrieten mit keiner Geste, dass sie etwas getan hatten. Lediglich die Zwillinge grinsten sich an, aber das taten sie immer. Pünktlich mit dem Klingelzeichen betrat Peters das Zimmer. Er lief zum Lehrertisch, stellte seine Tasche daneben ab, zog den Stuhl zurück und setzte sich. Einige Sekunden passierte nichts, dann weiteten sich seine Augen und er sprang auf. Er drehte sich, wohl unbewusst, mit dem Rücken zur Klasse und griff nach seinem Sitzkissen. Als die Schüler den nassen Fleck auf seiner Hose sahen, begannen sie, zu lachen. „Ruhe!", schrie Peters und wandte sich wieder der Klasse zu. Keiner gehorchte. Die Schüler lachten munter weiter. Peters' Gesicht wurde rot. Zornig ballte er die Hände zu Fäusten. Mit dem Fuß trat er gegen den Lehrertisch. Der Tisch fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. „Anders", brüllte Peters Lucas Nachnamen durch das Zimmer, woraufhin Luca erschrocken zusammenzuckte, „Das wirst du büßen! Du elende kleine Schwuchtel! Ich mach dich fertig, du Arschficker!" Geräuschvoll stand Nicholas auf. Er griff in seine Schultasche und zog einen 0,5-Liter-Becher Müllermilch heraus, die wohl für sein Frühstück gedacht war. Langsam ging er auf Peters zu. Vor dem Mann blieb er stehen, riss die Müllermilch auf und schüttete sie dem Lehrer über den Kopf. Auf einen Schlag war es in der Klasse ruhig. Fassungslos schauten die Schüler Nicholas an. „Darüber werde ich Ihre Eltern informieren", brauste Peters auf. „Und was werden Sie ihnen erzählen?" Nicholas schnaubte. „Dass ihr Sohn Ihnen eine Packung Milch über den Kopf gekippt hat, nachdem sie mit Worten wie „Schwuchtel" und „Arschficker" um sich geworfen haben? Machen Sie sich nicht lächerlich!" Er packte Peters am Kragen und stieß ihn gegen die Tafel. „Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Bewegen Sie Ihren homophoben Arsch aus diesem Zimmer und beten sie, dass Sie mir nie wieder über den Weg laufen, denn sonst kann ich für nichts mehr garantieren!" Als Nicholas ihn losließ und locker zu seinem Platz zurückschlenderte, griff Peters seine Tasche und flüchtete aus dem Zimmer. Er kam nicht wieder, auch nicht zur zweiten Stunde. Der Dienstag lief alles andere als gut. Thomas, Leonie, Jan und Martin warteten bereits an der Bushaltestelle auf ihn. Luca hatte kaum den Bus verlassen, da wurde ihm schon etwas ins Gesicht gespritzt. Erschrocken zuckte er zusammen. „Treffer!", feierte Thomas, der eine Wasserpistole in der Hand hielt. Luca wischte sich die Flüssigkeit aus dem Gesicht und roch daran. Es war nur Wasser. Zum Glück. Er versuchte, zwischen den anderen Schülern unterzutauchen, um die vier abzuschütteln, was ihm aber nicht gelang. „Hey, du Schwuchtel, bleib gefälligst hier!", rief Leonie. Luca ignorierte sie. Wie jeden Morgen flüchtete er ins Klassenzimmer. Rebecka und die Zwillinge waren bereits da, Nicholas und René noch nicht. Er atmete erleichtert aus, als er feststellte, dass er nicht weiter verfolgt wurde und wischte sich erneut das Wasser aus dem Gesicht. Inzwischen waren seine Haare und Klamotten so ziemlich durchnässt, da Thomas mehr als diese eine Wasserpistole gehabt hatte, und Luca wurde langsam kalt. Wechselklamotten hatte er keine mit, da er heute keinen Sportunterricht hatte. An einer Heizung saß er ebenfalls nicht. Und dummgenug, um auf die Toiletten zu den Handtrocknern zu gehen, war er nicht. Sicher wurde er dort bereits erwartet. Kurz vor dem Klingelzeichen kam Thomas mit seiner Gang ins Zimmer spaziert. Vor Luca blieben sie stehen. „Was ist denn mit dir passiert?", fragte Leonie gespielt besorgt, „Bist du in den Regen geraten?" „Welcher Regen?" Martin grinste hämisch. Die Gruppe lachte. Luca sah sich nicht an, versuchte sein bestes, sie zu ignorieren. Doch das schien ihnen nicht besonders zu gefallen. Thomas packte ihn am Haar und zwang Luca somit, ihn anzublicken. „Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!", zischte er. Hätte in diesem Augenblick nicht der Lehrer das Zimmer betreten, wären sie sicher noch weiter gegangen. Aber so flüchteten sie schnell auf ihre Plätze. Herr Wagner, der Geschichtslehrer war, duldete es nämlich nicht, wenn sich jemand im Unterricht anderweitig beschäftigte und sie wollten kein Nachsitzen aufgebrummt bekommen. Die ganze Stunde über fror Luca und er befürchtete, schon blaue Lippen zu haben. Wagner schien das nicht zu bemerken, aber er war wohl nur ein Lehrer. Wenigstens hatte Luca in seinen Stunden seine Ruhe. Doch die Ruhe hielt nur bis Wagner nach dem nächsten Klingeln den Raum verlassen hatte. Er war kaum außer Sicht, da stand Thomas schon wieder vor ihm. In seiner Hand hielt er einen Plastikbehälter mit Papierschnipseln, die er Luca über den Kopf schüttete. „Mal schauen, ob du wieder das Zimmer kehren musst", flötete er fröhlich, bevor er mit seinen Freunden das Zimmer verließ. Fynn, der Klassensprecher, warf ihm einen mitleidigen Blick zu, sagte aber nichts und der Rest der Klasse schien Luca zu ignorieren. Alle bis auf Nicholas, dieser blickte ihn direkt an. Luca wusste nicht, was Schlimmer war, die Ignoranz der anderen, oder Nicholas' Blick. Schon oft hatte er sich gewünscht, dass endlich jemand eingreift. Aber es war nie passiert, weshalb er es schließlich aufgegeben hatte. Wozu auf Hilfe hoffen, wenn man eh keine bekam? So konnte er wenigstens nicht wieder enttäuscht werden. Als Wagner das Zimmer betrat, passierte genau das, was Thomas geplant hatte. Der Lehrer sah die Papierschnipsel um Luca herum und verdonnerte ihn gleich zum Nachsitzen, ohne zu fragen, was passiert sei. Menschen sahen nur, was sie sehen wollte, das hatte Luca gelernt. Wenn ihnen etwas nicht gefiel, blendeten sie es aus oder redete es schön. Luca fragte sich, wie weit Thomas' Gang wohl gehen konnte, bis irgendwer etwas unternahm. Würde überhaupt jemand eingreifen oder konnten sie ihn auf dem Schulhof verprügeln und alle würden nur zusehen? Inzwischen hatte Luca Schüttelfrost, von den nassen Klamotten. Aber Wagner sah das nicht. So fror Luca weiter, bis die Klamotten nach der achten Unterrichtsstunde von allein getrocknet waren. Jetzt musste er nur noch das Zimmer kehren, dann durfte er gehen. Vielleicht erwischte er noch seinen Bus, dann würde er rechtzeitig heimkommen und Jochen ließ ihn vielleicht in Ruhe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)